Neu im Kino/Filmkritik: „Bolero“, ein Biopic über Maurice Ravel und sein bekanntestes Stück

März 10, 2025

Für Maurice Ravel war es eine Auftragskomposition und eine technische Übung, die er zwischen Juli und Oktober 1928 für die Tänzerin und Choreographin Ida Rubinstein schrieb.

Das für ein Ballett geschriebene Orchesterwerk wurde schnell populär. Heute ist der „Bolero“ Ravels bekanntestes Stück. Immer noch, fast hundert Jahre nach der Premiere, ist es, so steht es im Presseheft, weltweit alle fünfzehn Minuten irgendwo zu hören. Oder anders gesagt: das Stück ist auf der Erde ununterbrochen zu hören.

Ravel hätte das vielleicht gefallen. Schließlich betrachtete er die Auftragskomposition als extremes und einseitiges Experiment, in dem ein Thema ohne jede Entwicklung wiederholt wird und allmählich einer Klimax zugeführt wird. Er meinte, es sei sein einziges Meisterwerk und ergänzte: „Leider hat es aber nichts mit Musik zu tun.“

Und diese Nicht-Musik wird jetzt ständig gespielt. Ohne eine Variation und ohne jemals zu enden.

Anne Fontaine („Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft“) erzählt in ihrem Biopic „Bolero“ jetzt, sich Freiheiten nehmend, Maurice Ravels Leben nach. Im Zentrum steht das titelgebende Stück. Sie konzentriert sich auf drei Abschnitte in Ravels Leben. Nämlich als er sich Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts fünfmal, immer erfolglos, um den renommierten Prix de Rome bewarb, auf das Schreiben des Orchesterstückes „Bolero“ 1927/1928 und auf seine letzten Tage, als eine schwere neurologische Erkrankung sein Leben bestimmte. Der am 7. März 1875 in Ciboure geborene Ravel starb am 28. Dezember 1937 in Paris.

Fontaine erzählt Ravels Leben nicht als verfilmten Wikipedia-Artikel. Das ist erfreulich, aber schon während des Sehens drängt sich der Eindruck auf, dass das Ansehen einer guten Dokumentation über Ravel die mit großem Abstand und in jeder Beziehung bessere Wahl gewesen wäre.

Bolero (Bolero, Frankreich/Belgien 2024)

Regie: Anne Fontaine

Drehbuch: Anne Fontaine, Claire Barré, Pierre Trividic (Mitarbeit), Jacques Fieschi (Mitarbeit), Jean-Pierre Longeat (Mitarbeit)

LV: Marcel Marnat: Maurice Ravel, 1986

mit Raphaël Personnaz, Doria Tillier, Jeanne Balibar, Vincent Perez, Emmanuelle Devos, Sophie Guillemin, Anne Alvaro, Marie Denarnaud

Länge: 121 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Bolero’“

AlloCiné über „Bolero“

Rotten Tomatoes über „Bolero“

Wikipedia über „Bolero“ (englisch, französisch)

Meine Besprechung von Anne Fontaines „Tage am Strand“ (Adore, Australien/Frankreich 2013)

P. S.: Arte feiert gerade den 150. Geburtstag von Maurice Ravel mit einem umfassendem Programm. Wer also nicht fühlen, sondern hören will…


Neu im Kino/Filmkritik: „Ein Schweigen“ herrscht über eine Anwaltsfamilie

Juni 14, 2024

Der wahre Fall, von dem Joachim Lafosses „Ein Schweigen“ inspiriert ist, hat alle Zutaten für ein süffiges Drama oder eine ätzende Gesellschaftssatire in der Tradition von Claude Chabrol. Aber Lafosses Version der Geschichte ist ein extrem langsam erzähltes Drama, in dem vieles nur angedeutet wird, sich schwer, kaum oder oft auch sehr spät im Film langsam erschließt. Einiges bleibt auch nach dem Abspann nebulös.

Als Inspiration diente der Fall Viktor Hissel. Er war bei den Verhandlungen gegen den Kinderschänder Marc Dutroux der Anwalt von zwei Opferfamilien. Der Fall Dutroux erschütterte Mitte der neunziger Jahre Belgien. Auch hier in Deutschland wurde ausführlich über den Fall Dutroux berichtet. Über den Fall Hissel nicht. Er war eine bekannte Symbolfigur im Kampf gegen Kindesmissbrauch. Als seine pädophilen Neigungen bekannt wurden, war das für viele Belgier ein Schock. Er wurde angeklagt, sich zwischen 2005 und 2008 7500 kinderpornografische Bilder angesehen zu haben. Letztendlich wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. 2009 versuchte sein Sohn ihn zu erstechen. Der Mordversuch misslang. Das Gericht hielt ihn zum Zeitpunkt der Tat für unzurechnungsfähig.

In „Ein Schweigen“ porträtiert Joachim Lafosse die Familie des renommierter Anwalts François Schaar. Es geht um aktuelle und dreißig Jahre zurückliegende Ereignisse über die bislang in der Familie des Anwalts geschwiegen wurde.

Was damals geschah, wird erst sehr spät und kryptisch – auch wenn wir es uns schon früh denken können – enthüllt. Davor und danach wird von einer zum begüterten Provinzbürgertum gehörenden Familie berichtet, die ihre Leichen im Keller verbuddelt und schweigt. Die noble Fassade wird immer gewahrt. Dass dieses Schweigen Auswirkungen auf alle Betroffenen hat, ist offensichtlich. Trotzdem unternimmt niemand etwas dagegen. Die Kamera beobachtet die Ereignisse extrem zurückhaltend. Lafosse vermeidet alles, was emotionalisieren könnte.

Er erzählt elliptisch und unterkühlt, gibt dem Publikum wenig Orientierung und bietet ihm keine Identifikationsfigur an. Keine Figur erzeugt ein nennenswertes Interesse. Dafür erfahren wir zu wenig über sie, ihre Gefühle, Probleme, inneren Konflikte und Wünsche.

Das Ergebnis ist ein dröges Drama, das einen auch als intellektuelles Puzzlespiels unbefriedigt zurücklässt.

Nicht auszudenken, was Claude Chabrol aus dem Stoff gemacht hätte.

Zu Lafosses früheren Filmen gehören „Die Ökonomie der Liebe“ und „Die Ruhelosen“.

Ein Schweigen (Un Silence, Belgien/Frankreich/Luxemburg 2023)

Regie: Joachim Lafosse

Drehbuch: Joachim Lafosse, Thomas Van Zuylen, Chloé Duponchelle (Co-Autor), Paul Ismaël (Co-Autor), Sarah Chiche (Mitarbeit), Matthieu Reynaert (Mitarbeit), Valérie Graeven (Mitarbeit)

mit Daniel Auteuil, Emmanuelle Devos, Matthieu Galoux, Jeanne Cherhal, Louise Chevillotte, Nicolas Buysse

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Ein Schweigen“

AlloCiné über „Ein Schweigen“

Rotten Tomatoes über „Ein Schweigen“

Wikipedia über „Ein Schweigen“ (englisch, französisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Pascal Elbé hat „Schmetterlinge im Ohr“ und im Bauch

Juni 17, 2022

Antoine hört schlechter als noch vor einigen Jahren. Aber anstatt zum Ohrenarzt zu gehen und sich, wenn nötig, ein Hörgerät verschreiben zu lassen, stellt der Geschichtslehrer einfach seine Stereoanlage lauter und beschwert sich, wenn sich die Nachbarn bei ihm beschweren. Schließlich steht in seiner Berufsbezeichnung als Lehrer, dass er alles besser weiß und immer Recht hat.

Das führt zunächst zu verbalem Streit mit seiner neuen Nachbarin Claire, der in den folgenden knapp neunzig Minuten in den erwartbaren Bahnen gelöst wird.

Vor allem nachdem Antoine beginnt, sich um Claires Tochter Violette zu kümmern. Seit dem Tod ihres Vaters spricht sie nicht mehr. Nachts schreit sie, aber das stört Antoine nicht. Er hört es ja nicht. Noch nicht.

Schmetterlinge im Ohr“ ist Pascal Elbés dritte Regiearbeit. In Frankreich ist er vor allem als Schauspieler bekannt. In diesem Film verarbeitet er seine eigene Schwerhörigkeit.

Entstanden ist eine nette romantische Komödie. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Kleiner Tipp: wer auf der gleichen Anlage seine Lieblingsmusik und -filme ständig lauter stellen muss, sollte wirklich mal zum Hörtest gehen.

Oder die Musik auflegen, die die Nachbarn hören wollen.

Schmetterlinge im Bauch (On est fait pour s’entendre, Frankreich 2021)

Regie: Pascal Elbé

Drehbuch: Pascal Elbé

mit Pascal Elbé, Sadrine Kiberlain, Valérie Donzelli, François Berléand, Emmanuelle Devos, Manon Lemoine

Länge: 94 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

AlloCiné über „Schmetterlinge im Bauch“

Moviepilot über „Schmetterlinge im Bauch“

Rotten Tomatoes über „Schmetterlinge im Bauch“

Wikipedia über „Schmetterlinge im Bauch“