

Die Polarlys ist ein Dampfer der von Hamburg nach Hammerfest fährt und dabei primär Waren an Orte in Norwegen befördert, die über Land nur schwer oder, mangels Straßen, nicht erreichbar sind. Das Schiff nimmt bei jeder Fahrt auch immer einige Passagiere mit. Dieses Mal sind es fünf Menschen. Einer von ihnen, Polizeirat von Sternberg, wird kurz nach der Abfahrt in seiner Kabine ermordet. Er verfolgte die Polarlys von Hamburg nach Cuxhaven, um noch an Bord zu gelangen. An Bord versteckt er sich in seiner Kabine.
Als Kapitän Petersen die Leiche sieht, weiß er, dass der Täter noch an Bord ist.
„Der Passagier der Polarlys“ ist einer der frühesten Romane von Georges Simenon (1903 – 1988). Er schrieb ihn 1930. Veröffentlicht wurde er 1932. Die deutsche Erstausgabe war 1935 unter dem Titel „Flucht nach dem Nordkap“. Im Werk von Simenon bedeutet dieser Roman, zusammen mit den zeitgleich geschriebenen Romanen, wozu auch mehrere Maigrets gehören, den Wandel vom unter 27 Pseudonymen in atemberaubendem Tempo schreibendem Groschenromanautor zum ernsthaften Autor, der eine ähnliche Schreibgeschwindigkeit vorlegte.
Insgesamt veröffentlichte Simenon ab 1931, als sein erster Roman unter seinem Namen erschien, 75 Romane mit Kommissar Maigret, 117 Non-Maigrets und zahlreiche weitere Erzählungen und Reportagen. Im deutschsprachigen Raum werden sie regelmäßig, teils in neuen Übersetzungen, veröffentlicht. Aktuell erscheinen sie, als Kooperation der Verlage ‚Hoffmann und Campe‘ und ‚Kampa‘, im Rahmen der ersten deutschsprachigen Gesamtausgabe von Simenons erzählerischem Werk; – wozu dann auch eigentlich die fast bis vollständig unbekannten Kurzgeschichten gehören.
Szenarist José-Louis Bocquet und Zeichner Christian Cailleaux nahmen sich jetzt diesen frühen Roman von Simenon für ihre überzeugende, werkgetreue Comic-Adaption vor. Sie veränderten vor allem den Ort, an dem dem Leser ein großer Teil des Motivs enthüllt wird. Im Roman geschieht dies in einer Rückblende. Kapitän Petersen entdeckt bei dem ermordeten von Sternberg eine Pariser Tageszeitung. Er vermutet, dass der Zeitungsbericht über den Tod einer jungen Frau, die in einem Künstleratelier in Montparnasse an einer Überdosis Drogen starb, der Grund für von Sternbergs Tod ist und dass der Mörder der Frau an Bord ist. Der Comic beginnt mit der Schilderung des Todes der jungen Frau.
Im 192-seitigem Roman und im 80-seitigem Comic entwickelt der Plot sich flott vom Beladen des Schiffes in Hamburg, über die Entdeckung der Leiche und die verschiedenen anderen Ereignisse an Bord, die hier nicht verraten werden sollen, bis hin zur Auflösung. Formal folgt er rudimentär den Rätselkrimi-Konventionen mit falschen Fährten und Verdächtigen. Er verlässt sich allerdings nicht auf einen Ermittler und dessen detektivischen Spürsinn. Der ab Stavanger als Beobachter an Bord anwesende Inspektor Jennings ist bestenfalls eine Nebenfigur. Kapitän Petersen ist zwar aktiver, aber mehr ein Beobachter als ein tatkräftig Spuren verfolgender und Befragungen durchführender Ermittler. Simenon verlässt sich in der Geschichte auf Zufälle, überraschende Wendungen und grundlose Geständnisse.
Die Stärke der Geschichte liegt nicht im Rätselplot und der Auflösung, sondern in der intensiven Schilderung des Lebens an Bord und den farbig gezeichneten Passagieren.
Der Comic hat ein sehr informatives Nachwort von José-Louis Bocquet über den Roman, seine Entstehung und seine Stellung im Werk von Georges Simenon.

Georges Simenon: Der Passagier der Polarlys
(übersetzt von Stefanie Weiss, mit einem Nachwort von Hansjörg Schertenleib)
Hoffmann und Campe, 2019
192 Seiten
21,90 Euro
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Taschenbuchausgabe
Atlantik, 2024
13 Euro
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Neuauflage der Diogenes-Übersetzung von 1986
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Frühere deutsche Auflagen, teilweise in anderen Übersetzungen, unter
Flucht nach dem Nordkap
Der Passagier der Polarlys
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Originalausgabe
Le passager du Polarlys
Fayard, Paris 1932
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José-Louis Bocquet/Christian Cailleaux: Simenon – Der Passagier der Polarlys
(übersetzt von Christoph Haas)
Carlsen, 2025
80 Seiten
22 Euro
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Originalausgabe
Simenon – Le Passager du Polarlys
Hors Collection Dargaud, 2023
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Hinweise
Carlsen über „Der Passagier der Polarlys“
Hoffman und Campe über Georges Simenon
Homepage von Christian Cailleaux
Wikipedia über Georges Simenon (deutsch, englisch, französisch), den Roman, José-Louis Bocquet und Christian Cailleaux
Deutsche Georges-Simenon-Fanseite
Meine Besprechung von José-Louis Bocquets „Papas Musik“ (La musique de papa, 2007)
Veröffentlicht von AxelB 


