Neu im Kino/Filmkritik: Über Pierre Morels „Freelance“

Oktober 5, 2023

Mason Pettits (John Cena) ist ein ehemaliger Special-Forces-Soldat, der heute verheiratet, Vater und Anwalt ist. Vor allem diesem Job und seinen Kunden hadert er. Da wird er von seinem alten Army-Freund Sebastian Earle (Christian Slater, endlich mal wieder im Kino) gebeten, die Journalistin Claire Wellington (Alison Brie) nach Paldonien zu begleiten. Sie will den Regierungschef interviewen. Juan Arturo Venegas (Juan Pablo Raba) ist einer dieser südamerikanischen Diktatoren, wie sie im Buch, also diesen schundigen Abenteuerbüchern aus längst vergangenen Zeiten, stehen und aus vielen, vielen, sehr vielen in tropischen Fantasieländern spielenden Geschichten bekannt sind.

Kaum sind sie im Land angekommen, geraten sie in einen Putsch. Gemeinsam mit Venegas kämpfen sie sich durch den Wald und mordgierige Feinde. Venegas chargiert, improvisiert und scheint dabei nie den Überblick zwischen den Fronten und den vielen Männern, die ihn umbringen wollen, zu verlieren. Wellington wittert dabei die Story ihres Lebens. Und Pettits versucht beide zu retten.

Die Story von „Freelance“ ist erschreckend sinnfrei. Da stimmt, wenn man darüber nachdenkt, nichts. Aber mit der richtigen Portion Humor und Action könnte da einiges rausgerissen werden. Könnte.

John Cena spielt mal wieder in seiner in den vergangenen Jahren etablierten Wohlfühlzone die Rolle des netten Daddys, der um sich herum alles zerstört. Alison Brie darf weitgehend unauffällig durch den Dschungeln staksen. Nur Juan Pablo Raba als Diktator hatten seinen Spaß. Mit großer Geste und durchgehend gutgelauntem Overaction sorgt er für die wenigen Lacher des Films. Die anderen Witze sind marginal dem Zeitgeist angepasste Witzeleien, abgestandene Geschlechterklischees und bemühte Screwball-Comedy. Action gibt es auch kaum.

Freelance“ ist ein lahmer Actionfilm ohne Humor. Solche Filme hat Luc Besson mit seiner Firma EuropaCorp in den letzten Jahren dutzendweise produziert. Für das halbe Budget, mit mehr und besserer Action und mehr Humor. Und, wenn ich darüber nachdenke, auch einer besseren Story.

Für Besson inszenierte „Freelance“-Regisseur Pierre Morel „Ghettogangz – Die Hölle vor Paris“ (Banlieue 13), „96 Hours“ (Taken) und „From Paris with Love“.

Freelance (Freelance, USA 2023)

Regie: Pierre Morel

Drehbuch: Jacob Lentz

mit John Cena, Alison Brie, Juan Pablo Raba, Alice Eve, Marton Csokas, Christian Slater

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Freelance“

Metacritic über „Freelance“

Rotten Tomatoes über „Freelance“

Wikipedia über „Freelance“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pierre Morels Jean-Patrick-Manchette-Verfilmung „The Gunman“ (The Gunman, Großbritannien/Frankreich/Spanien 2015)

Meine Besprechng von Pierre Morels „Peppermint – Angel of Vengeance“ (Peppermint, USA 2018)


DVD-Kritik: Liam Neeson ist „The Marksman – Der Scharfschütze“

August 22, 2021

Jim Hanson ist Witwer, Vietnam-Veteran und Rancher in Arizona. Sein Land direkt liegt an der Grenze zu Mexiko. Seine Tochter arbeitet bei der Grenzpolizei. Täglich meldet er der Polizei Illegale. Das will er auch jetzt tun, aber die beiden Flüchtlinge, Rosa und ihr Sohn Miguel, werden von einigen Kartellmännern gejagt, die schnell zu den Waffen greifen. Spontan wehrt Jim sich. Am Ende der Grenzschießerei sind die Mutter und einer der Verbrecher tot. Der tote Verbrecher war der Bruder von Mauricio, dem Anführer der kleinen Gruppe von Kartellmännern.

Als Jim kurz darauf erfährt, dass Miguel zurück nach Mexiko in den sicheren Tod geschickt werden soll, befreit er ihn aus dem Polizeigewahrsam. Er will den Zehnjährigen, dem Wunsch seiner toten Mutter folgend, zu Verwandten nach Chicago bringen.

Auf ihrer Fahrt werden sie von Mauricio und seinen Männern verfolgt. Denn er will den Tod seines Bruder rächen. Und die Tasche mit Geld haben, die sich in Miguels Besitz befindet und das dem Kartell gestohlen wurde.

Spätestens ab diesem Moment entwickelt sich die Handlung von „The Marksman“ so gradlinig wie die Autobahn nach Chicago. Das ist nie innovativ, aber druckvoll und mit einem engagiertem Ensemble erzählt. Im Mittelpunkt des Road-Movies steht die sich entwickelnde Freundschaft zwischen Jim und Miguel, die natürlich zwei sehr gegensätzliche Charaktere sind, und ihrer Flucht vor den Bösewichtern, die auf ihrer Jagd nach Jim und Miguel über Leichen gehen. Sie bringen sogar Jims Hund um!

Schon von der ersten Minute an, wirkt „The Marksman“ wie ein Thriller, der ursprünglich als Vehikel für Clint Eastwood geplant war. Dazu hätte es der Szene aus dem Clint-Eastwood-Western „Hängt ihn höher“ (Hang ‚em high), den Jim und Miguel sich in einem Motel ansehen, nicht bedurft.

Der Eindruck, dass der Thriller mit Clint Eastwood als Hauptdarsteller im Hinterkopf geschrieben wurde, verstärkt sich, wenn man weiß, dass Robert Lorenz seit den „Brücken am Fluss“ (The Bridges of Madison County) zu Clint Eastwoods Crew gehört. Meistens als Second Unit Director oder Producer. Sein Regiedebüt war „Back in the Game“ (Trouble with the curve) mit, ihr ahnt es, Clint Eastwood in der Hauptrolle. Trotzdem war Eastwood niemals offiziell in das Projekt involviert.

Jedenfalls hat jetzt Liam Neeson die Hauptrolle des konservativen Haudegen, der tut, was ein rechtschaffener Mann tun muss, übernommen. Und das ist, den letzten Wunsch einer sterbenden Frau erfüllen, einen Jungen zu seinen Verwandten bringen und dabei böse Verbrecher töten. Denn auf den Staat, verkörpert durch korrupte Polizisten, kann man sich dabei nicht verlassen.

The Marksman“ ist gut abgehangenes Thriller-Kino, das man wie einen Country-Song schon beim ersten Mal mitsingen kann.Und das ist nicht unbedingt schlecht.

Das vernachlässigbare Bonusmaterial besteht aus einem Making of mit den üblichen Werbe-Statements und einem Video-Interview mit Liam Neeson.

(c) 2021 LEONINE Studios

The Marksman – Der Scharfschütze (The Marksman, USA 2021

Regie: Robert Lorenz

Drehbuch: Chris Charles, Danny Kravitz, Robert Lorenz

mit Liam Neeson, Jacob Perez, Juan Pablo Raba, Katheryn Winnick, Teresa Ruiz

Blu-ray

Leonine Studios

Bild: 2,40:1 (1080p/24)

Ton. Deutsch, Englisch (DTS-HD MA 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Making of, Interview – Liam Neeson. Trailer

FSK: ab 16 Jahre

Länge: 108 Minuten

DVD identisch. Außerdem als Download erhältlich.

Hinweise

Moviepilot über „The Marksman“

Metacritic über „The Marksman“

Rotten Tomatoes über „The Marksman“

Wikipedia über „The Marksman“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Peppermint – Angel of Vengeance“ rächt ihre Familie

November 29, 2018

Nachdem am Geburtstag ihrer Tochter die kleine Familienfeier am Rand eines Vergnügungsparks in Los Angeles in einem Blutband endet, bei dem Riley North schwer verwundet und ihr Mann und ihre Tochter erschossen werden und, Monate später, die Täter vor Gericht freigesprochen werden, verschwindet Riley spurlos.

Sie ist tief enttäuscht von dem korrupten Justizsystem, das Mörder freispricht und sie in eine Psychiatrie abschieben will. Abseits der USA absolviert sie ein Trainingsprogramm, das auch Bruce Wayne gefallen hätte. Und wie Wayne kehrt sie Jahre später zurück um, wie Batman im schönsten Punisher-Stil, das Gangsterkartell, das ihre Familie ermordete, zu vernichten. Beginnend mit den Mördern ihrer Familie, die sie dekorativ an einem Riesenrad aufhängt.

Pierre Morel, der vor zehn Jahren in dem Überraschungserfolg „96 Hours“ (Taken) aus dem Charakterschauspieler Liam Neeson einen Actionhelden machte, präsentiert in seinem neuen Actionthriller „Peppermint – Angel of Vengeance“ Jennifer Garner als Racheengel Riley North. Und sie tut in dem Film das, was sonst Männer tun: im Alleingang eine Gangsterbande vernichten. Dabei zeigt sie, dass sie seit ihren „Alias“-Tagen nichts verlernte.

Die Story selbst bewegt sich, durchaus kurzweilig mit viel Old-School-Action, auf den vertrauten Pfaden eines Actionthrillers, der eine kompromisslose Rachegeschichte erzählt. Mit der entsprechenden Selbstjustiz rechtfertigenden kruden Moral.

Da überrascht dann nur die Identität des korrupten Cops. Und dass der Film nicht auf einer Comicvorlage basiert.

Peppermint – Angel of Vengeance (Peppermint, USA 2018)

Regie: Pierre Morel

Drehbuch: Chad St. John

mit Jennifer Garner, Method Man, John Ortiz, John Gallagher Jr., Juan Pablo Raba, Annie Ilonzeh, Jeff Hephner, Pell James

Länge: 102 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

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Rotten Tomatoes über „Peppermint – Angel of Vengeance“

Wikipedia über „Peppermint – Angel of Vengeance“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pierre Morels Jean-Patrick-Manchette-Verfilmung „The Gunman“ (The Gunman, Großbritannien/Frankreich/Spanien 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „69 Tage Hoffnung“ für die Bergleute und ihre Familien

Februar 13, 2016

Das Schlussbild beschreibt eigentlich ziemlich genau das Problem von „69 Tage Hoffnung“. Wir sehen, in Schwarzweiß, die 33 echten Minenarbeiter, die 2010 die titelgebenden 69 Tage in der San José Mine in der Nähe von Copiapó in Chile in einer eingestürzten Mine eingeschlossen waren, einträchtig nebeneinander am Strand. Es ist ein harmonisches Familienbild. Und der Film davor setzte ihnen ein Denkmal, das in jedem Fall dazu führt, dass sie nicht vergessen werden und das vielleicht dazu führt, dass sie entschädigt werden. Denn bislang erhielten sie von ihrem Arbeitgeber, der Minengesellschaft Compañía Minera San Esteban Primera, kein Geld. Dabei führte deren Missachtung von Warnungen und Sicherheitsbestimmungen zu dem Grubenunglück am 5. August 2010.
Nach dem Unglück entwickelt sich in Patricia Riggens Film, wie in der Realität, die Geschichte in mehreren Erzählsträngen zwischen den 700 Meter unter der Erde eingeschlossenen 33 Minenarbeitern, ihren Familien, die vor den Toren der Mine in der Zeltstadt Camp Esperanza (Hoffnung) ausharren, den Rettern, die zunächst versuchen herauszufinden, ob überhaupt jemand gegen alle Wahrscheinlichkeit das Unglück überlebte, und der Politik, die sich, durch den Druck der Familien und Medien, dazu bereit erklärt, die Rettungsmaßnahmen tatkräftig zu unterstützen.
Diese Situation hat schon auf den ersten Blick viel dramatisches Potential. Aber dann, und wahrscheinlich kann man „69 Tage Hoffnung“ am besten darüber beschreiben, was er nicht ist, umschiffen die Macher diese Konflikte, weil die Rettungsmaßnahmen nach anfänglichen Problemen gut laufen. Aus der ganzen Welt kommen Bohrexperten, das Geld für die Rettungsmaßnahmen fließt und, nachdem es einen Kontakt zu den Bergarbeitern gibt (die vorher, weil die Bergwerksgesellschaft auch an der Notverpflegung sparte, fast verhungert wären), entwickelt sich der Aufenthalt unter der Erde, was auch an der Organisation der Arbeiter lag, zu einem erstaunlich konfliktfreien Club Med. Gerade das dürfte, wie wir aus jedem Urlaub wissen, nicht der Realität entsprechen, aber die Bergarbeiter und ihre Familien berieten die Filmemacher und natürlich lässt man hier – was für beide Seiten gilt – einiges weg.
Insofern ist „69 Tage Hoffnung“ kein Survival-Drama à la „The Revenant“ oder „Everest“. Es ist auch kein Polit-Thriller, der die Umtriebe der Bergwerksgesellschaft kritisiert. Sie gefährdet für ihren Profit das Leben der Bergarbeiter. Es ist auch keine Darstellung des komplexen Verhältnisses zwischen Staat und Kapital in einem südamerikanischen Staat. Es ist auch keine Medienkritik; das erledigte Billy Wilder schon 1951 mit „Reporter des Satans“ (Ace in the Hole). Außerdem sind in „69 Tage Hoffnung“ die Journalisten viel zu sehr Staffage, die vor allem dazu dient, ab und an, schnell einige für das Verständnis nötige Informationen zu transportieren. So ist Riggens Film eine gut gefilmte, gut gespielte, etwas zu sehr in Richtung glattes Hollywood-Kino gehende Erinnerungspostkarte der Eingeschlossenen und ihrer Familien. Und, als wichtige Nebenfiguren, ihrer Retter.
Aus kommerziellen Gesichtspunkten ist das verständlich. Mit 26 Millionen Dollar Kosten ist es für einen südamerikanischen Film eine große Produktion, die auf den Weltmarkt schielt und mit einer internationalen Besetzung aufwartet. Auch wenn diese Entscheidung „69 Tage Hoffnung“ einiges von seinem dramatischen Potential raubt, das er mit einer Zuspitzung gehabt hätte. Eine Zuspitzung, die in punkto Einspielergebnis ein Risiko gewesen wäre und auch, wie wir es von anderen auf wahren Ereignissen basierenden Filmen kennen, für Diskussionen gesorgt hätte, ob die Geschichte wirklich richtig interpretiert wird.
Gedreht wurde vor Ort und das ist ein eindeutiger Pluspunkt des Films. Die Minenaufnahmen entstanden in Kolumbien in den Minen von Nemocón und Zipaquira; die anderen Aufnahmen entstanden wenige Kilometer vom Unglücksort in Chile in der Atacama Wüste und dieser Realismus trägt natürlich, zwischen all den CGI-Katastrophenfilmen (wie „San Andreas“), zur angenehm altmodischen Qualität des Films bei. Man hofft, auch wenn man sich noch an den Ausgang der Geschichte erinnert, dass die Bergarbeiter überleben. Am 13. Oktober 2010 erblickten sie wieder das Tageslicht. Vor laufenden Kameras, die ihre Bilder in die ganze Welt sendeten.
So ist das betont unkontroverse und traditionell inszenierte Drama, das den zutreffenden deutschen Titel „69 Tage Hoffnung“ hat, nicht so beeindruckend, wie es hätte sein könnte. Es ist halt näher an einer Stadtchronik als an einer Reportage.

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69 Tage Hoffnung (The 33, USA/Chile 2015)
Regie: Patricia Riggen
Drehbuch: Mikko Alanne, Craig Borten, Michael Thomas (nach einer Geschichte von Jose Rivera)
LV: Hector Tobar: The 33: Deep Down Dark – The untold Stories of 33 Men buried in a Chilean Mine, and the Miracle that set them free, 2014
mit Antonio Banderas, Rodrigo Santoro, Juliette Binoche, Gabriel Byrne, James Brolin, Lou Diamond Phillips, Mario Casas, Jacob Vargas, Juan Pablo Raba, Oscar Nuñez
Länge: 127 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Englische Homepage zum Film
Moviepilot über „69 Tage Hoffnung“
Metacritic über „69 Tage Hoffnung“
Rotten Tomatoes über „69 Tage Hoffnung“
Wikipedia über „69 Tage Hoffnung“ (deutsch, englisch) und das Unglück (deutsch, englisch)