Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Zur neuen Verfilmung von Michael Endes „Momo“

Oktober 3, 2025

Nachdem ich in meinen Besprechungen langsam die ungute Tendenz bemerke, Filmen vorzuwerfen, dass sie unlogisch und unrealistisch seien, kann ich jetzt mit Fug und Recht und großer Geste einen Tsunami an Empörung über Unlogik und Unrealismus entfachen. Oder einfach darauf hinweisen, dass es immer um Logik und Realismus innerhalb der Geschichte und der in ihr gesetzten Grenzen geht. Wenn in „Momo“ behauptet wird, dass es zigarrenrauchende Zeit stehlende graue Herren gibt, dann bin ich durchaus bereit zu akzeptieren, dass es diese Zeit-Diebe und die Zeit-Spar-Kasse gibt.

Michael Ende, der Erfinder von Jim Knopf und Erzähler der „unendlichen Geschichte“ erfand diese Männer und erzählte in dem 1973 erschienenem Kinderbuch „Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte – Ein Märchen-Roman“ ihre Geschichte. Die Zeit-Diebe sind die Bösewichter. Die Heldin ist Momo, ein aus dem Nichts aufgetauchtes Waisenmädchen, das allein in einem Amphitheater lebt und gut zuhören kann. Sie hat Zeit und schenkt anderen Menschen ihre Zeit. Niemand hat viel Geld. Aber alle sind glücklich und zufrieden. In dieser Welt tauchen die Zeit-Diebe auf. Die grauen Herren bequatschen die Menschen, ihnen ihre Zeit zu geben. Sie würden sie später mit Zinsen zurückerhalten. Wenn die Menschen einmal in den Fängen der Zeit-Diebe sind, haben sie keine Zeit mehr. Immer mehr Menschen unterwerfen sich dem Regime der Zeit-Diebe.

Momo will ihre Freunde und alle Bewohner der Stadt retten. Die Menschen sollen wieder Zeit für sich und andere Menschen haben. Zusammen mit Meister Hora, dem im Nirgend-Haus lebendem Hüter der Zeit (der seinen ersten Auftritt ziemlich genau in der Buchmitte hat), und seiner Schildkröte Kassiopeia nimmt sie den Kampf auf.

Endes Buch wurde ein immer noch erhältlicher Bestseller und ist anscheinend für Viele eine wohlige Kindheitserinnerung. Ich hielt schon als Kind einen wohltuenden Abstand zu Fantasy-Geschichten und gehörte eindeutig zum Winnetou-Edgar-Wallace-James-Bond-Lager (als ob das realistische Geschichten sind). 1986 verfilmte Johannes Schaaf, mit Billigung des Autors den Roman. Ihm gefiel die Verfilmung von seinem Roman „Die unendliche Geschichte“ nicht.

Und jetzt verfilmte Christian Ditter wieder den Roman als internationale Produktion, die mit einer internationalen Besetzung und bekannten Namen auf einen internationalen Markt schielt. Alexa Goodall, eine zwölfjährige englische Schauspielerin in ihrer siebten Rolle, spielt Momo. Kim Bodnia spielt Beppo Straßenkehrer, Martin Freeman Meister Hora und Claes Bang den Anführer der grauen Herren, die im Film Greys heißen und nicht mehr nur aus Männern bestehen. Die Geschichte wurde an einigen weiteren Stellen modernisiert. Aber insgesamt halten die Macher sich an den Roman.

Das Ergebnis ist ein durchaus unterhaltsamer, CGI-lastiger Fantasyfilm für Kinder mit einem sympathischen Ensemble und einem wohligen Retro-Feeling. Die aus der Zeit gefallene Welt, in der „Momo“ spielt, erinnert an das aus Filmen bekannte Italien der fünfziger und sechziger Jahre, mit einigen Insignien der Gegenwart. Die Botschaft ist begrüßenswert und heute, zwischen gnadenloser Zeit-Optimierung im Beruf/Schule und in der Freizeit und sinnfreier Zeitvertrödelei vor dem Computer mit automatisch generierten Listen belangloser Posts, aktueller als damals.

Das Konzept der Zeit-Spar-Kasse und wie Momo die Zeit-Diebe besiegen kann ist, nun, etwas einfach. Sowieso ist der gesamte Film, jedenfalls für Erwachsene, etwas einfach geraten. Kinder dürften das anders sehen. Und für sie wurde der Film gemacht.

Mit neunzig Minuten hat Christian Ditters „Momo“ auch die richtige kindgerechte Länge.

Momo (Deutschland 2025)

Regie: Christian Ditter

Drehbuch: Christian Ditter

LV: Michael Ende, Momo, 1973

mit Alexa Goodall, Martin Freeman, Araloyin Oshunremi, Kim Bodnia, Claes Bang, Laura Haddock, Jennifer Amaka Pettersson, David Schütter, Skylar Blu Copeland, Maxwell Smith

Länge: 92 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Die Vorlage (aktuell auch als Filmausgabe mit Fotos aus dem Film erhältlich)

Michael Ende: Momo oder Die seltsame Geschichte von den Zeit-Dieben und von dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte – Ein Märchen-Roman

Thienemann, 2025

288 Seiten

15 Euro

Erstausgabe

Thienemann, 1973

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Momo“

Moviepilot über „Momo“

Wiikipedia über „Momo“ (Film 2025, Roman: deutsch, englisch)

Homepage von Michael Ende

Thienemann über Michael Ende

Meine Besprechung von Dennis Gansels Michael-Ende-Verfilmung „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ (Deutschland 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: „F1 – Der Film“ über im Kreis fahrende Männer

Juni 26, 2025

Ruben Cervantes (Javier Bardem) bittet Sonny Hayes (Brad Pitt) um Hilfe. Vor dreißig Jahren fuhren sie in der Formel 1. Ein Unfall beendete Sonnys Karriere und verschaffte ihm den hämischen Namenszusatz „Der Beste, der es niemals geschafft hat“. Seitdem schlägt Sonny sich auf anderen Rennstrecken durch’s Leben. Für ihn ist die Welt in Ordnung, solange er Rennen fahren kann.

Ruben leitet den Formel1-Rennstall APXGP, der in dieser Saison mit seinem neuen Fahrer Joshua Pearce (Damson Idris) und einem neuen Rennwagen nur durch seinen absolut schlechten Punktestand auffällt. Wenn sie in der zweiten Hälfte der Rennsaison nicht endlich Rennen gewinnen, ist Ruben am Ende der Saison seinen Job und sein Unternehmen los. Sonny soll das verhindern. Nicht als Berater, sondern als Fahrer. Er wäre damit der mit Abstand älteste Fahrer in der Formel 1.

Sonny nimmd das Angebot an. So könnte er endlich wieder in der Formel 1 fahren und, mit etwas Glück endlich die Hoffnungen, die vor dreißig Jahren in ihn gesteckt wurden, erfüllen.

Nach diesem Set up entwickelt sich Joseph Kosinskis neuer Film „F1 – Der Film“ in jeder Sekunde exakt so, wie man es erwartet und wer möchte, kann schnell die mehr oder weniger deutlich verarbeiteten aktuellen Vorbilder herunterbeten. Der altbekannte Plot kann mühelos als „’Top Gun: Maverick‘ im Formel-1-Milieu“ interpretiert werden. Beide Male zeigt ein alter Hase den Jüngeren, was in ihm steckt. Beide Male hat der alte Hase ein lockeres Verhältnis zu den Regeln. Beide Male steht er vor einer ziemlich unmöglichen Mission. Und beide Male inszenierte Kosinski, nach einem Drehbuch von Ehren Kruger, den Film. „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“, „Rush“ und die beiden mit Aufnahmen von realen Rennen punktenden Rennfahrerfilmklassiker „Grand Prix“ und „Le Mans“ sind weitere ebenso offensichtliche wie unhintergehbare Referenzfilme. Auch „F1“-Regisseur Joseph Kosinski und sein Team scheuten keine Mühen, um hochauflösende Kameras zu erfinden und so in den Rennautos zu platzieren, dass überzeugende Aufnahmen von echten Rennsituationen entstehen konnten. Teils werden im Film von Formel-1-Fahrern während echter Rennen aufgenommene Bilder verwendet. Diese Bilder sollen beim Publikum, das den Film auch im IMAX ansehen kann, das Gefühl erzeugen, in einem Formel-1-Auto über die Rennstrecke zu brettern. Das gelingt, auch wenn diese Aufnahmen, weil alles im Rausch der Geschwindigkeit verschwimmt, teils eher an Computerbilder erinnern. Bei einigen Rennen wird auch etwas zu oft geschnitten. Der siebenfache Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton gehört zu den Produzenten des Films. Er öffnete Türen, die einen umfassenden Dreh im Rahmen der echten Formel-1-Rennen erlaubten.

Aber im Gegensatz zu den schon erwähnten, auf wahren Geschichten beruhenden und nah an der Realität entlang erzählten Rennfahrerfilmen „Rush“ und „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“ kümmert sich „F1“ zugunsten des Spektakels nicht um die Hintergründe. Training und das langwierige Arbeiten am Fahrzeug, um Zehntelsekunden herauszuholen, werden galant ignoriert. Das fällt, nachdem in einer Szene angestrengt auf Computerbildschirme gestarrt wurde, wie Manna vom Himmel. Ebenso wird das Qualifying ignoriert. Irgendwann stehen die Rennautos in einer bestimmten Reihenfolge am Start. Die beiden APXGP-Fahrer stehen dann auf den letzten beiden Startpositionen, weil sie uns als das Verliererteam vorgestellt wurden. Nach dem Start provoziert und rammt Sonny die anderen Fahrer so rücksichtslos von der Strecke, dass er wahrscheinlich schon während der ersten beiden Runden gegen alle geschriebenen und ungeschriebenen Regeln verstößt. Das ist natürlich vollkommen unrealistisch, aber im Kinosessel sehr vergnüglich anzusehen. Vor allem wenn der immer noch erschreckend jugendliche Brad Pitt als sympathischer Agent des Chaos fungiert.

Dass die Formel 1 eine riesengroße kommerzielle Veranstaltung ist, findet ihren Niederschlag nur in omnipräsenten Firmenlogos und dem Hinweis im Abspann, dass es im Film Product Placement gibt.

Die Authentizität beim Dreh, Kosinskis schlackenfreie Inszenierung, die überzeugenden Schauspieler und der präzise Schnitt machen den Film trotz vorhersehbarer Geschichte, bestenfalls rudimentär gezeichneten Klischeefiguren und einer Länge von 156 Minuten, zu einem atemberaubendem, kurzweiligem und kompetent gemachtem Stück wirklichkeitsfernem Blockbuster-Kino.

F1“ ist bei den aktuellen sommerlichen Temperaturen genau der richtige Film für einen langen Besuch in einem gut gekühltem Kino.

F1 – Der Film (F1 – The Movie, USA 2025)

Regie: Joseph Kosinski

Drehbuch: Ehren Kruger (nach einer Geschichte von Joseph Kosinski und Ehren Kruger)

mit Brad Pitt, Kerry Condon, Javier Bardem, Damson Idris, Shea Whigham, Simone Ashley, Tobias Menzies, Liz Kingsman, Lewis Hamilton, Kim Bodnia

Länge: 156 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „F1 – Der Film“

Metacritic über „F1 – Der Film“

Rotten Tomatoes über „F1 – Der Film“

Wikipedia über „F1 – Der Film“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Joseph Kosinskis „Oblivion“ (Oblivion, USA 2013)

Meine Besprechung von Joseph Kosinskis „No Way Out – Gegen die Flammen“ (Only the Brave, USA 2017)

Meine Besprechung von Joseph Kosinkis „Top Gun: Maverick“ (Top Gun: Maverick, USA 2022)


Neu im Kino/Filmkritik: „Nightwatch: Demons are forever“ in der Leichenhalle

Mai 17, 2024

Dreißig Jahre nach seinem Debüt, dem international erfolgreichen Thriller „Nightwatch – Nachtwache“, erzählt Ole Bornedal die Geschichte von seinem immer noch bekanntesten Film mit den damaligen Hauptdarstellern Nikolaj Coster-Waldau, Kim Bodnia und Ulf Pilgaard und einigen Neuzugängen weiter.

Zuerst wirkt Bornedals Fortsetzung „Nightwatch: Demons are forewer“ wie ein Remake des grandiosen Originals mit geänderten Geschlechterrollen. Damals arbeitete Jurastudent Martin (Nikolaj Coster-Waldau) als Nachtwächter in der Gerichtsmedizin. Er begegnete dabei dem Serienmörder Wörmer (Ulf Pilgaard), der ihn, seinen besten Freund Jens (Kim Bodnia) und seine Freundin töten wollte.

Heute, dreißig Jahre später, nimmt Martins Tochter Emma, gespielt von Ole Bornedals Tochter Fanny Leander Bornedal mit einnehmendem Das-Mädchen-von-nebenan-Charme, einen Job als Nachtwächterin in eben diesem Institut für Rechtsmedizin Kopenhagen an. Die Medizinstudentin will mehr über die damaligen Ereignisse erfahren – und hält eine Arbeit an dem Ort, an dem es vor dreißig Jahren geschah, für einen guten Startpunkt für ihre Erforschung der Familiengeschichte.

Während sie in ihren Nachtwachen das Institut erkundet und mit ihren Freunden abhängt, lungert ihr Vater antriebslos auf der Couch herum. Meist schafft er es noch nicht einmal, die ihm von seinem Arzt verschriebenen Tabletten einzunehmen. Er hat offensichtlich die dreißig Jahre zurückliegenden Ereignisse immer noch nicht verarbeitet.

In dem Moment weiß Emma noch nicht, dass auch der Serienmörder Wörmer die Nacht überlebt hat. Er sitzt in einer Psychiatrie. Und jetzt begebe ich mich in das Minenfeld zwischen spoilern und ‚ist doch eh klar‘: Wörmer hat eine Tochter, deren Identität erst im Finale enthüllt wird, und es gibt jemand, der wie Wörmer mordet. Das erste Mal ungefähr in der Mitte des Films.

Bis dahin gibt es Trauer auf der Couch, Langeweile am Arbeitsplatz und Abhängen mit anderen Studierenden.

Bornedal schleppt den schon am Filmanfang angedeuteten, äußerst vorhersehbaren Thrillerplot ziemlich unlustig durch den Film. Er zieht sich wie Kaugummi und wird immer wieder über weite Strecken ignoriert. Beispielsweise wenn Martins Freund Jens nach jahrzehntelanger Abwesenheit in Thailand überraschend nach Dänemark zurückkehrt, er mit Martin in Erinnerungen schwelgt und sie nachts ein menschenleeres Fußballstadion besuchen. In den Momenten ahnt man, dass es Bornedal weniger um einen weiteren vorhersehbaren Serienkillerthriller, sondern mehr um eine psychologische Studie und eine Auseinandersetzung mit der Verabeitung traumatischer Erlebnisse geht. Dummerweise bleibt er hier an der Oberfläche. Alle, die damals involviert waren, scheinen die damaligen Ereignisse auf die gleiche Art zu verarbeiten. Nach den damaligen Gewalterfahrungen kapseln sie sich über dreißig Jahre ein. Eine Therapie lehnen sie ab. Sie würde eh nichts ändern.

Das verkürzt die Erkenntnisse der Traumaforschung und wie Trauma teils über Generationen weitergegeben werden, auf nur eine einzige Form der Verarbeitung. Das ist Quatsch und in dieser Häufung in der Realität unrealistisch. Im Film ist das anders. Da kann der Regisseur sich Freiheiten nehmen. Wenn es sich nicht um die möglicherweise sogar grotesk übersteigerte Reaktion einer Figur auf ein Ereignis handelt, kann das zu einem spannendem Film führen. Wenn, wie hier, in einem Film ungefähr alle Hauptpersonen gleich auf ein Ereignis reagieren, langweilt man sich dagegen schnell.

In Bornedals Remake/Reboot/Weitererzählung seines Spielfilmdebüts behindern die einzelnen Teile und Plots sich gegenseitig. Für einen Thriller ist „Nightwatch: Demons are forever“ zu lahm. Für eine psychologische Studie zu oberflächlich. Und für ein Coming-of-Age-Drama zu wenig interessiert an Emma. Immerhin wissen wir, mit einem Blick auf Martin, Jens und den Filmtitel „Demons are forever“, welche ewig währenden dämonischen Nachwirkungen ein Kampf gegen einen Serienkiller auf die Psyche hat.

Nightwatch: Demons are forever (Nattevagten 2 – Dæmoner går i arv, Dänemark 2023)

Regie: Ole Bornedal

Drehbuch: Ole Bornedal

mit Fanny Leander Bornedal, Nikolaj Coster-Waldau, Kim Bodnia, Sonja Richter, Paprika Steen, Vibeke Hastrup, Ulf Pilgraad

Länge: 114 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Nightwatch: Demons are forever“

Metacritic über „Nightwatch: Demons are forever“

Rotten Tomatoes über „Nightwatch: Demons are forever“

Wikipedia über „Nightwatch: Demons are forever“ (deutsch, dänisch)

Meine Besprechung von Ole Bornedals „Small Town Killers“ (Dræberne fra Nibe, Dänemark 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Taffe Frauen: Jennifer Lawrence als „Serena“

Dezember 18, 2014

„Serena“ spielt während der Großen Depression in North Carolina und am Ende von Susanne Biers Film ist man ziemlich depressiv, weil hier so viel Talent versammelt ist und am Ende nur das Gefühl einer großen Verschwendung bleibt, trotz Bradley Cooper und Jennifer Lawrence in den Hauptrollen.
Cooper spielt den Holzunternehmer George Pemberton, der sich 1929 bei einem Besuch in der Großstadt in Serena (Jennifer Lawrence) verliebt. Sie entstammt einer Holzfällerdynastie und ihre Eltern kamen bei einem tragischen Unfall ums Leben. Sie heiraten und kehren in die Wälder von North Carolina zurück.
In den Smoky Mountains zeigt Serena den Holzfällern, die von der Stadtschnepfe nichts halten, schnell, dass sie mit der Axt umgehen kann und auch als Geschäftsfrau übernimmt sie schnell die Führung im Unternehmen ihres Mannes.
Allein schon diese Aufstiegsgeschichte einer Frau in einer Männerwelt in wirtschaftlich schweren Zeiten könnte für einen guten Film ausreichen. Vor allem wenn die Geschichte mit etwas Lokalpolitik garniert wird. Denn selbstverständlich werden in den Smoky Mountains Probleme mit etwas Geld, das in die richtigen Taschen fließt, gelöst. Und wenn das nicht hilft, dann, wie im Wilden Westen, eben mit Gewalt.
Aber dann gibt es noch eine zweite Liebesgeschichte. George hatte, bevor er die rationale Serena heiratete, eine Geliebte, die er auch schwängerte. Er nimmt, immerhin spielt die Geschichte in den frühen Dreißigern und die Geliebte gehört zu den Angestellten, das Kind offiziell nicht an, aber er hilft ihr finanziell. Serena, die nach einem Unfall, keine Kinder mehr bekommen kann, kommt, als sie davon erfährt, mit dieser Situation nicht klar und das Verhängnis nimmt, dramaturgisch nicht besonders schlüssig, aber von den Wünschen des Drehbuchautors getragen, seinen Lauf.
Mit zunehmender Laufzeit verstärkt sich der Eindruck, dass Susanne Bier und ihr Drehbuchautor Christopher Kyle („K 19“, „Alexander“) nicht wussten, was sie erzählen wollten. Ratlos pendeln sie zwischen den verschiedenen Geschichten, ohne dass sie sich gegenseitig befruchten. Die Liebesgeschichte von George und Serena hat eigentlich nichts mit der Geschichte zwischen George und seiner ehemaligen, sich passiv verhaltenden Geliebten zu tun. Das Wirtschaftsdrama, die lokaler Korruption und die Hinterzimmerpolitik sind den Filmmachern herzlich egal. Ebenso der Aufstieg von Serena im Unternehmen ihres Mannes. Letztendlich produzieren sie vor allem Klischees und im negativen Sinn überraschende Wendungen. So sollen wir, zum Beispiel, plötzlich glauben, dass die rücksichtslose Geschäftsfrau sich doch nur nach einer gepflegten Mutterschaft sehnte. Über die Visionen des Vorarbeiters legen wir gnädig den Mantel des Schweigens.
Auch der historische Hintergrund bleibt blass. Dabei bietet die Große Depression sich, auch wenn Pembertons Holzgeschäft gut läuft und er dank seiner Frau expandieren kann, gut an, um im historischen Gewand von den Auswirkungen eines ungebremsten Kapitalismus auf die Menschen und die Umwelt zu erzählen. Aber in North Carolina sind die Wälder unendlich; – auch wenn der Film 2012 in Tschechien gedreht wurde und das kleine Pembertonsche Hüttendorf im Wald nie seine Herkunft als Filmset verleugnen kann.
Dabei ist der Drehort das geringste Problem von „Serena“, der zweiten Zusammenarbeit von Bradley Cooper und Jennifer Lawrence nach „Silver Linings“ und vor „American Hustle“.

Serena - Plakat

Serena (Serena, USA/Frankreich 2014)
Regie: Susanne Bier
Drehbuch: Christopher Kyle
LV: Ron Rash: Serena, 2008
mit Bradley Cooper, Jennifer Lawrence, Rhys Ifans, Toby Jones, David Dencik, Ana Ularu, Kim Bodnia
Länge: 110 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Facebook-Seite zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Serena“
Moviepilot über „Serena“
Metacritic über „Serena“
Rotten Tomatoes über „Serena“
Wikipedia über „Serena“


DVD-Kritik: „Die Brücke – Transit in den Tod“ geht in die zweite Runde

Juli 15, 2014

Als ein führerloses Schiff die Dänemark und Schweden verbindende Öresundbrücke rammt und in ihm fünf bewußtlose junge Menschen aus den beiden Ländern entdeckt werden, haben Saga Norén (Sofia Helin) und Martin Rohde (Kim Bodna) wieder einen Grund, um zusammen zu arbeiten. Für Rohde ist es auch der Versuch, mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen. Denn am Ende der ersten Staffel von „Die Brücke – Transit in den Tod“ war sein Sohn August tot und der Mörder, ein ehemaliger Kollege, kam ins Gefängnis. Dabei hätte Rohde ihn am liebsten getötet. Norén verhinderte das.
Auch die zweite Staffel von „Die Brücke – Transit in den Tod“ besteht wieder aus fünf spielfilmlangen Episoden. In insgesamt gut zehn Stunden erzählt Hans Rosenfeldt, der Erfinder und Hauptautor der Serie, wieder einen Fall, der schnell ziemlich unüberschaubare Dimensionen annimmt. Das entwickelt, wie bei „Kommissarin Lund“, einen enormen Sog. Auch weil der Fall schnell größer wird: die im Schiff betäubten dänischen und schwedischen Jugendlichen waren mit der Pest infiziert, im Internet bekennt sich eine Öko-Terrorgruppe dazu und kündigt weitere Anschläge an, Lebensmittel werden vergiftet, ein Tanklaster wird in Malmö im Hafen in die Luft gejagt und weitere, größere Anschläge sind geplant.
Dieser Krimiplot wird mit Episoden aus dem Privatleben der Ermittler und weiterer Personen, die in den Fall involviert sind, großzügig angereichert. Denn neben den Terroristen, die von einem Hintermann gesteuert werden, und den Polizisten werden etliche Charaktere eingeführt, deren Bedeutung für die Geschichte teilweise über mehrere Folgen vollkommen unklar bleibt. Das gilt vor allem für eine Verlegerin, eine todkranke Firmenbesitzerin, ihren Bruder, eine Veranstaltungsmanagerin, ihren fremd gehenden Ehemann, einen Gigolo und einen jungen Schüler, der mit dem Tod seines Bruders aus der Geschichte verschwindet. Einerseits wissen wir, dass sie für die Geschichte irgendwann wichtig werden, aber Eheprobleme und die Arbeit an einer Biographie sind nicht sonderlich spannend, auch wenn natürlich – wie in einem Dorf – alle Charaktere irgendwie etwas miteinander zu tun haben.
Dahinter verschwindet der Fall immer wieder. Teilweise vollkommen. Vor allem nachdem am Ende der zweiten Folge die Terroristen – jedenfalls die erste Gruppe – von einem Unbekannten ermordet wurde, gibt es in der dritten und vierten Folge viele verschiedene Taten, die teilweise schnell aufgeklärt werden und so den Eindruck hinterlassen, dass alles furchtbar kompliziert ist, es eine große Verschwörung gibt und die verschiedenen Taten und Zusammenhänge unmöglich noch sinnvoll logisch rekonstruiert werden können. Es sind einfach zu viele Verbrechen und zu viele Täter, die teilweise nach einem kurzen Auftritt von der Bildfläche verschwinden, was aber die Spannung auf einem konstanten Level hält, auch wenn die Ermittler in ihrem Hauptfall nicht voran kommen und die letzte Stunde von „Die Brücke“ dann – immerhin geht es um das Verhindern eines Terror-Attentates und damit um ein „24“-Szenario – doch eher vor sich hin plätschert. Da spielt die Thriller-Serie „24“ dann doch in einer anderen Liga, aber „Die Brücke“ schlägt sich als Krimi-Serie wacker.
Im Zentrum stehen dabei die schon aus der ersten „Die Brücke“-Staffel bekannten Ermittler Sofia Norén und Martin Rohde. Er ist ein stinknormaler Kriminalpolizist aus Dänemark, der derzeit, weil er noch mit den psychischen Nachwirkungen des vorherigen „Die Brücke“-Falls zu kämpfen hat, getrennt von seiner Frau lebt, sie aber regelmäßig besucht und ein gutes Verhältnis zu ihr und ihren zahlreichen gemeinsamen Kindern hat. Und er hat, wie es sich für skandinavische Ermittler gehört, ein mehr als erfülltes Sexualleben und einen anscheinend unwiderstehlichen Sex-Appeal auf das andere Geschlecht.
Die Schwedin Norén ist dank ihres ihr Asperger-Syndroms eine begnadete Ermittlerin (sie kann sich wirklich alles merken), aber auch vollkommen beziehungsgestört. Dennoch lebt sie jetzt mit einem Comic-Zeichner zusammen. Aber ihr sprunghaftes und vollkommen undiplomatisches Verhalten deutet schon schnell das Ende der Beziehung an. So findet sie es okay, dass er bei ihr lebt, aber er soll seine Kartons nicht auspacken und auch nichts in der Wohnung verändern. Auch in der Arbeit agiert sie oft wie ein Terminator, der stur sein Ziel verfolgt und überhaupt nicht versteht, dass Menschen Gefühle haben. Das sorgt immer wieder für absurde Situationen. Aber mir erschien diese Situationskomik hier oft etwas zu dick aufgetragen. Denn Norén benimmt sich wie ein kleines Kind oder ein gerade aus einer fremden Galaxie gekommener Alien.
Das klingt jetzt alles furchtbar negativ, dabei ist „Die Brücke“ insgesamt nicht schlecht. Immerhin gelingt es den Machern, die Spannung und das Interesse über gut zehn Stunden aufrecht zu erhalten.
Der Drehstart der dritten Staffel ist im September und die meisten Stammschauspieler sind wieder dabei.

Die Brücke II - DVD-Cover

Die Brücke – Transit in den Tod – Staffel 2 (Bron; Broen, Schweden/Dänemark/Deutschland 2013)
Regie: Kathrine Windfeld, Morten Arnfred, Mikael Hansson
Drehbuch: Hans Rosenfeldt, Nikolaj Scherfig, Maren Loiuse Kaehne, Camilla Ahlgren
Erfinder: Mans Marlind, Hans Rosenfeldt, Björn Stein
mit Sofia Helin, Kim Bodnia, Dag Malmberg, Sarah Boberg, Rafael, Pettersson, Henrik Lundström, Vickie Bak Laursen, Lars Simonsen, Camilla Bendix

DVD
Edel
Bild: 16:9
Ton: Deutsch, Dänisch/Schwedisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte
Bonusmaterial: Interviews mit den Darstellern (circa 30 Minuten)
Länge: 578 Minuten (5 DVDs)
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

ZDF über “Die Brücke”

Wikipedia über „Die Brücke“ (deutsch, englisch, dänisch, schwedisch)

Meine Besprechung von „Die Brücke – Transit in den Tod – Staffel 1“ (Bron; Broen, Schweden/Dänemark/Deutschland 2011)

Meine Besprechung von „Sebastian Bergman – Spuren des Todes 1“ (ebenfalls erfunden von Hans Rosenfeldt)