TV-Tipp für den 7. Mai: Der Untergang

Mai 6, 2020

Kabel 1, 20.15

Der Untergang (Deutschland 2004)

Regie: Oliver Hirschbiegel

Drehbuch: Bernd Eichinger

LV: Joachim Fest: Der Untergang – Hitler und das Ende des Dritten Reiches, 2002

LV: Traudl Junge, Melissa Müller: Bis zur letzten Stunde – Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben, 2002

Was geschah in den letzten Kriegstagen in Berlin im Führerbunker? Nach 150 Minuten wissen wir es.

Der Untergang“ ist gediegen erzähltes, starbesetztes Unterhaltungskino im Hollywoodstil. Historisch akkurat und ohne eine erkennbare Haltung zum Sujet. Deshalb reiht sich eine Episode an die nächste Episode, aber eine Geschichte wird, abseits der strikt chronologischen Anordnung des Materials, nicht erkennbar.

mit Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler, Heino Ferch, Christian Berkel, Matthias Habich, Thomas Kretschmann, Michael Mendl, André Hennicke, Ulrich Noethen, Birgit Minichmayr, Rolf Kanies, Justus von Dohnányi, Dieter Mann, Christian Redl, Götz Otto, Alexander Held, Bettina Redlich, Heinrich Schmieder, Anna Thalbach, Ulrike Krumbiegel, Jürgen Tonkel, Devid Striesow

Wiederholung: Freitag, 8. Mai, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Filmportal über „Der Untergang“

Rotten Tomatoes über „Der Untergang“

Wikipedia über „Der Untergang“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Five Minutes of Heaven“ (Five Minutes of Heaven, GB 2009)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Diana“ (Diana, USA/GB 2013)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Elser“ (Deutschland 2015)  (mit Interviews mit Oliver Hirschbiegel über den Film) (und der DVD)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Der gleiche Himmel“ (Deutschland 2017)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Über Stefan Ruzowitzkys Herman-Hesse-Verfilmung „Narziss und Goldmund“

März 12, 2020

Laut der IMDB ist „Narziss und Goldmund“ die, wenn man die TV-Filme mitzählt, achte Hermann-Hesse-Verfilmung. Das ist angesichts der immer noch vorhandenen Popularität des 1962 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers erstaunlich. Auch weil viele während ihrer Jugend (so mit 14 Jahren beim Interrail-Fahren durch Europa) eine Hesse-Phase hatten. Die zweite Hesse-Phase soll dann im hohen Alter kommen. Da sollte es in den vergangenen Jahrzehnten doch einige Regisseure gegeben haben, die sich seiner Romane annehmen und daraus einen Film machen. Die bisherigen Verfilmungen, unter anderem „Der Steppenwolf“ mit Max von Sydow, sind weitgehend und aus verschiedenen Gründen obskur. Das kann von Stefan Ruzowitzkys Verfilmung von „Narziss und Goldmund“ nicht behauptet werden. Mit einem ordentlichem Budget, mittelalterlichen Schauwerten und bekannten Schauspielern (Jannis Niewöhner, André M. Hennicke, Emilia Schüle, Uwe Ochsenknecht, Kida Khodr Ramadan, Jessica Schwarz, Sunnyi Melles, Matthias Habich und Sabin Tambrea) bearbeitete er Hesses Geschichte für die große Leinwand und für ein Mainstream-Publikum. Und er nahm sich einige Freiheiten.

Im Mittelpunkt der irgendwann im Mittelalter spielenden Geschichte stehen Narziss und Goldmund, die sich zum ersten Mal als Knaben im Kloster Mariabronn treffen. Narziss ist ein sehr begabter Novize, der auch seinen Lehrern widerspricht. Er ist ein Intellektueller, ein Geistesmensch, der mit einem enthaltsamen, von der Welt abgewandtem Leben im Kloster glücklich wird.

Goldmund ist das Gegenteil. Der Zehnjährige wird von seinem Vater ins Kloster gebracht, damit er etwas lernt. Narziss wird vom Abt zu Goldmunds Lehrer ernannt. Der Abt hofft, dass so auch Narziss etwas für sein weiteres Leben lernt.

Nach einer kurzen Zeit, in der die beiden Jungen sich näher kommen (und, ja, im Buch und Film wird einem eine homosexuelle Liebesgeschichte nahe gelegt), verlässt Goldmund das Kloster. Er will die Welt erkunden, Abenteuer erleben und Sex haben. Seine Schule sind nicht Bücher und das Nachdenken in einer stillen Kammer, sondern das eigene Erleben und, später, das Schaffen von Kunstwerken, die aus seinem eigenen Erleben ihre Kraft ziehen.

Während Hesse die Geschichte von Narziss und Goldmund chronologisch erzählt und immer bei Goldmund bleibt, wählt Ruzowitzky eine wesentlich komplizierte Struktur. Bei ihm kommt Goldmund, wie im Roman, fünfzehn Jahre nach seinem Abschied aus dem Kloster zurück. In dem Moment sind ungefähr 25 Filmminuten vergangen. Im Kloster erhält Goldmund von Narziss, der inzwischen zum Abt wurde, den Auftrag, einen Altar zu schnitzen. Während der Arbeit am Altar erzählt Goldmund Narziss, was er in den vergangenen Jahren erlebte. Gleichzeitig regt sich im Kloster Widerstand gegen Goldmunds viel zu offensichtlich von seinen weltlichen Erlebnissen und der Suche nach seiner Mutter inspirierte Arbeit.

Außerdem verlegte Ruzowitzkys Hesses zeitlich nicht genau verorteten Roman in ein Fantasy-Mittelalter, das zeitlich überhaupt nicht mehr zu verorten ist. Es wurde einfach genommen, was gefällt. Auch wenn es aus verschiedenen Jahrhunderten stammt. Ruzowitzkys Hesse-Mittelalter ist sauber. Die Schauspieler haben blendend weiße Zähne, einen akkuraten Haarschnitt und trendige Klamotten. Die Männer dürfen sehr oft ihren nackten Körper präsentieren. Vor allem „Goldmund“ Jannis Niewöhner zeigt mehrmals einen preiswürdigen Waschbrettbauch, der eindeutig aus dem Fitness-Studio um die Ecke stammt. Die Frauen bleiben dagegen züchtig verhüllt.

Die Filmgeschichte wird durch die von Ruzowitzky gewählte Struktur in den Rückblenden schnell redundant. Wie Casanova stolpert Goldmund von dem einen unglücklich endendem Liebesabenteuer zum nächsten, das ebenso unglücklich endet, weil Goldmund sich wieder in die falsche Frau verliebt hat. Außerdem hat er überhaupt kein Interesse an einer längerfristigen Bindung. Deshalb kann er sich umstandslos in die nächste Affäre stürzen.

Zur gleichen Zeit bleibt der von Ruzowitzky erfundene Konflikt um den Altar, den Goldmund für das Kloster anfertigt, an der Oberfläche und über Narziss‘ Aufstieg im Kloster erfahren wir im Film nicht mehr als im Buch. Da verschwindet er allerdings die meiste Zeit aus der Geschichte.

Ruzowitzkys „Narziss und Goldmund“ ist eine gut gemeinte Literaturverfilmung, die immerhin gut genug für den Schulunterricht ist.

P. S.: Fun Fact: Sunnyi Melles, die hier eine Gräfin spielt, hatte ihr Filmdebüt 1974 als Judith Melles in der schon erwähnten Verfilmung von „Der Steppenwolf“.

Narziss und Goldmund (Deutschland 2020)

Regie Stefan Ruzowitzky

Drehbuch: Stefan Ruzowitzky, Robert Gold (Ko-Autor)

LV: Hermann Hesse: Narziss und Goldmund, 1930

mit Jannis Niewöhner, Sabin Tambrea, André M. Hennicke, Henriette Confurius, Emilia Schüle, Uwe Ochsenknecht, Kida Khodr Ramadan, Jessica Schwarz, Sunnyi Melles, Roxane Duran, Matthias Habich

Länge: 118 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage

(pünktlich zum Filmstart mit einem neuen Cover)

Hermann Hesse: Narziss und Goldmund

Suhrkamp, 2020 (Filmausgabe)

320 Seiten

10 Euro

Erstausgabe

S. Fischer Verlag, 1930

 

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Narziss und Goldmund“

Moviepilot über „Narziss und Goldmund“

Wikipedia über „Narziss und Goldmund“ und Hermann Hesse

Suhrkamp-Sonderseite über Hermann Hesse

Meine Besprechung von Stefan Ruzowitzkys „Cold Blood – Kein Ausweg, keine Gnade“ (Deadfall, USA/Frankreich 2012)

Meine Besprechung von Stefan Ruzowitzkys „Das radikal Böse“ (Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Stefan Ruzowitzkys „Die Hölle – Inferno“ (Österreich/Deutschland 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Stockholm Syndrom ist „Berlin Syndrom“

Mai 26, 2017

Stockholm-Syndrom: „ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert.“ (Wikipedia)

Berlin Syndrom“ könnte der Titel eines Films von Dario Argento sein. Dann wäre es ein herrlich durchgeknallter Horrorfilm der den Exzess zum Stilprinzip erhebt.

Es ist aber der Titel des neuen Films der Australierin Cate Shortland („Lore“), der in Berlin spielt und, wenig subtil, auf das Stockholm-Syndrom anspielt.

Die australische Rucksackreisende Clare Havel (Teresa Palmer) trifft in Berlin-Kreuzberg Andi Werner (Max Riemelt). Er ist ein charmanter, literarisch interessierter Englischlehrer, der ihr Berlin abseits der Touristenpfade zeigt. Weil man als Reisende an keinen festen Terminkalender gebunden ist, verbringt sie etwas Zeit mit ihm. Inclusive einer Nacht in seinem Bett. Das ist, immerhin ist „Berlin Syndrom“ ein Thriller, ein böser Fehler. Denn Andi sperrt sie in seiner hermetisch abgeschlossenen Hinterhofwohnung in einem leeren, renovierungsbedürftigen und daher menschenleeren Wohnblock ein.

In diesem Moment ist das Fundament für einen klassischen Konflikt zwischen Entführer und Gefangener gelegt, der natürlich unterschiedlich ausformuliert werden kann. Einerseits, wie in dem Kriegsfilm-Klassiker „Gesprengte Ketten“ oder der Stephen-King-Verfilmung „Misery“, indem die Gefangene von der ersten Minute alles versucht, um auszubrechen. Andererseits indem die Gefangene Sympathie für den Täter entwickelt und sich vielleicht sogar in ihn verliebt.

Shortland beschreitet keinen dieser Wege konsequent. Zwar benutzt Clare etwaige Fluchtmöglichkeiten, wenn sie ihr auf dem Silbertablett serviert werden. Aber das sieht immer nach einer halbherzigen Pflichterfüllung aus. Die üblichen Thrillermechanismen einer Ausbruchsgeschichte werden in diesen Momenten höchst halbherzig bis zum vorhersehbaren Ende, das seine eigenen Probleme hat, bedient.

Als Thriller ist „Berlin Syndrom“ daher eine ziemliche Enttäuschung.

Auf der anderen Seite entwickelt sich keine Beziehung zwischen Clare und Andi. Sie leben fast wie ein altes Ehepaar nebeneinander her. Sie macht mehr oder weniger den Haushalt. Er verdient als Lehrer das Geld und er erzählt auch seinen Arbeitskollegen von seiner neuen Freundin. Dass diese Beziehung nur eine begrenzte Haltbarkeit hat, wird schon früh in einem Gespräch zwischen Andi und seinem Vater (Matthias Habich) deutlich. Er fragt seinen Sohn, warum er immer Berlin-Besucherinnen als Freundin habe.

In diesen Momenten könnte „Berlin Syndrom“ ein Drama über eine eine verquere Beziehung, über die Dynamik zwischen Anziehung und Ablehnung, und über Abhängigkeiten werden. Aber dafür geschieht einfach zu wenig zwischen Clare und Andi und das, was geschieht, bleibt zu sehr an der Oberfläche.

Immerhin liefert Max Riemelt ein hübsches Psychopathenporträt (natürlich mit DDR-Trauma) und es gibt Berlin-Impressionen von dem schon oft abgefilmten Kreuzberg (was bei Berlinern natürlich immer bestimmte Gefühle auslöst), während der Film das Potential seiner Prämisse verschenkt.

Berlin Syndrom (Berlin Syndrome, Australien 2017)

Regie: Cate Shortland

Drehbuch: Shaun Grant, Cate Shortland (zusätzliches Material)

LV: Melanie Joosten: Berlin Syndrome, 2011

mit Teresa Palmer, Max Riemelt, Matthias Habich, Emma Bading, Elmira Bahrami, Christoph Franken, Lucie Aron, Nassim Avat

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Berlin Syndrom“

Metacritic über „Berlin Syndrom“

Rotten Tomatoes über „Berlin Syndrom“

Wikipedia über „Berlin Syndrom“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Berlin Syndrom“