Oli „Beule“ Schröder (Janek Rieke) betreibt in Norddeutschland eine schlecht gehende Bootswerkstatt. Deshalb heuert er immer wieder für fünf Monate auf einem Schiff an. Insgesamt ist er etwas überfordert von den alltäglichen Problemen, seiner schwangeren Frau, die durch die Schwangerschaft ein ganz anderer Mensch wird, die ihn darüber hinweg tröstende Tankstellenwärterin, die plötzlich Besitzansprüche erhebt, und seine Kumpels, die ihn immer wieder verprügeln. Beule lässt dann seinen Frust an Zigarettenautomaten und Mülltonnen aus.
Zuerst einmal muss ich den Hut ziehen vor dem Engagment von Janek Rieke, der hier die Hauptrolle übernahm, Regie führte, das Drehbuch schrieb und auch produzierte. Nachdem das Projekt von allen Förderinstitutionen abgelehnt wurde, kratzten er und die anderen Produzenten alles Geld zusammen und machten den Film ohne Fördergelder und ohne einen Verleih. Gedreht wurde vom 16. Januar bis zum 12. Februar 2019. Die Premiere war am 2. Oktober 2022 auf dem Filmfest Hamburg. Und jetzt läuft er im Kino. Das ist eine beachtliche Leistung.
Der Film selbst ist dann weniger beachtlich. Es ist, soweit erkenn- und nachvollziehbar, eine chaotische, nie überzeugende Geschichte von Liebe und Freundschaft. Die Figuren sind, bei allen gewollten Überzeichnungen, in sich nicht stimmig. Die sich aus ihren Begegnungen entwickelnde Geschichte bleibt, immer mit der nächsten Pointe im Blick, beliebig. Es werden halt vor allem Sketche aneinandergereiht und, wenn man nicht mehr weiter weiß, wird Gewalt angewendet gegen Sachen und Menschen. Der Humor tendiert, ohne ein bestimmtes Ziel, durchgängig zu grobem Klamauk und übertriebener Farce.
Janek Rieke ist vor allem als Schauspieler bekannt. Von 2010 bis 2015 spielte er in der Kirmiserie „Der Kriminalist“ in 42 Folgen Kommissar Max Winter. In „Herr Lehmann“, „Die weiße Massai“, „Jerry Cotton“ und „Einmal Hans mit scharfer Soße“ spielte er mit. „Beule – Zerlegt die Welt“ ist sein zweiter Spielfilm als Regisseur. Sein Regiedebüt war 1997 die Beziehungskomödie „Hartetest“, ebenfalls nach seinem Drehbuch und mit ihm in der Hauptrolle.
Beule – Zerlegt die Welt(Deutschland 2022)
Regie: Janek Rieke
Drehbuch: Janek Rieke
mit Janek Rieke, Julia Hartmann, Max Giermann, Nilam Farooq, Freya Tampert, Hans Löw, Gerdy Zint
Der Trailer und auch die ersten Minuten des Films zeigen es nicht. „Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt“ ist ein One-Take-Film. Der Trailer wurde notgedrungen auf einige spannende Momente geschnitten. Beim Film sind die Einblendungen von schwarzen Tafeln mit Text vollkommen überflüssig und ärgerlich. Es sind Schnitte in einem Film, der ohne Schnitte gedreht wurde. Denn Thomas Sieben inszenierte einen technisch gelungenen One-Take-Horrorfilm mit einer überraschenden Traumsequenz im Film – und Nachbearbeitungen von Bild und Ton im Studio.
Die hochschwangere Maria (Nilam Farooq) trifft gerade im einsam gelegenen Landhaus ihres Verlobten Viktor und seiner Familie ein. Viktor (David Kross) will später eintreffen. Sein Vater (Justus von Dohnányi), ein Arzt, wohnt in der Nähe.
Wenige Minuten nach ihrer Ankunft und einem Gespräch mit dem sich merkwürdig verhaltendem Nachbarn, fällt im Haus das Licht aus. Sie fühlt sich beobachtet und entdeckt im Keller ein geheimnisvolles Zimmer.
Während sie noch versucht herauszufinden, was in dem Haus vor sich geht und welches Geheimnis Viktors Familie vor ihr verbergen will, denken gestandene Horrorfilmfans sofort an „Rosemaries Baby“. Daran ändern auch ein immer wieder kurz im Bildhintergrund auftauchender Geist und die mit der deutschen Kolonialvergangenheit verknüpfte Geschichte von Viktors Familie nichts. Dieser Teil der deutschen Geschichte ist im Horrorfilm thematisches Neuland. In „Home Sweet Home“ wird sie allerdings eher beliebig eingesetzt als krude Inspiration für eine Erklärung des Verhaltens einiger Männer und für Bilder von brennenden Hütten.
Die darum erzählte Geschichte ist dann arg vorhersehbarer Horrorstoff, – mit einer ziemlich abstrusen Erklärung.
Home Sweet Home – Wo das Böse wohnt(Deutschland 2023)
Regie: Thomas Sieben
Drehbuch: Thomas Sieben
mit Nilam Farooq, David Kross, Justus von Dohnányi, Olga von Luckwald, Fatoni, Karl Schaper, Sven Habermann
Wegen eines Sturmtief stellt die Bahn ihren Betrieb ein und verteilt Taxi-Gutscheine an die am Abend in München im Hauptbahnhof gestrandeten Passagiere. Die pensionierte Professorin und verbal rüstige Alt-Prostlerin Marianne (Iris Berben), das zerstrittene Pärchen Tiana (Nilam Farooq), die am nächsten Vormittag eine für ihr Start-Up wichtige Präsentation, und Freund, der tiefenentspannte Schluffi Philipp (Ben Münchow), und die geistig behinderte Susi (Lena Urzendowsky) entern Josephs Taxi. Jeder von ihnen muss aus einem anderen wichtigen Grund am nächsten Tag in Hamburg sein.
Als der notorisch schlecht gelaunte Joseph (Joachim Król) die Taxi-Gutscheine sieht und erfährt, dass er jeden Gutschein einzeln abrechnen kann, ist er bereit von München nach Hamburg zu fahren.
In seinem Feelgood-Film „791 km“ erzählt Tobi Baumann („Faking Hitler“), wie die fünf Menschen, die sich zufällig getroffen haben, sich auf der nächtlichen Fahrt quer durch Deutschland näher kommen. Und wie es das Drehbuch so will, sind sie alle gegensätzliche und sich entsprechnd gut ergänzende Archetypen, die auch ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft sind. Das ist immer eine Spur zu didaktisch erzählt und zu sehr in Richtung TV-Bildschirm erzählt, um auf der großen Kinoleinwand zu begeistern.
791 km (Deutschland 2023)
Regie: Tobi Baumann
Drehbuch: Gernot Gricksch (nach einer Idee von Tobi Baumann)
mit Iris Berben, Joachim Król, Nilam Farooq, Ben Münchow, Lena Urzendowsky, Langston Uibel, Barbara Philipp, Denis ‚Marschall‘ Ölmez, Götz Otto
In einem Stuhlkreis sitzen Täter und Opfer eines Verbrechens und reden darüber. ‚restorative justice‘ nennt sich die Methode. Es geht um einen formalisierten Prozess des gegenseitigen Verstehens und auch Verzeihens. Sie ähnelt dem bei uns als Täter-Opfer-Ausgleich bekannten Modell.
In seinem Spielfilm „All eure Gesichter“ zeigt Jeanne Herry („In sicheren Händen“) mehrere dieser Prozesse und sie zeigt die Chancen, die diese Methode hat. Sie geht auch auf die Voraussetzungen, aber nicht auf die Beschränkungen ein.
Trotzdem ist „All eure Gesichter“ als karg inszeniertes, sich auf seine Schauspieler, die sich teils im Stuhlkreis, teils direkt gegenüber sitzen, konzentrierendes Dialogdrama sehenswert. Das Kammerspiel für die große Leindwand regt zum Nachdenken über Schuld, Sühne und verschiedene Methoden einer Verarbeitung an.
All eure Gesichter (Je verrai toujours vos visages, Frankreich 2023)
Regie: Jeanne Herry
Drehbuch: Jeanne Herry, Chloé Rudolf
mit Birane Ba, Leïla Bekhti, Dali Benssalah, Elodie Bouchez, Suliane Brahim, Jean-Pierre Darroussin, Adèle Exarchopolous, Gilles Lellouche, Miou-Miou, Denis Podalydès
Massachusetts im Winter 1964: die schüchterne Eileen Dunlop (Thomasin McKenzie) lebt noch bei ihrem Vater, einem jähzornigem Alkoholiker, und arbeitet im Jugendgefängnis als Sekretärin. Ihr triester Alltag verändert sich schlagartig, als die neue Psychologin des Gefängnisses eintrifft. Rebecca Saint John (Anne Hathaway) ist ein Marilyn-Monroe-Lookalike, die sofort allen Männern den Kopf verdreht. Aber dann lädt die Femme Fatale Eileen zu einem Drink ein.
„Eileen“ ist die langweilige Arthaus-Version eines Noirs. Für einen gelungenen Noir entwickelt sich die Geschichte viel zu langsam und nebulös. Ehe dann im dritten Akt plötzlich alles anders wird.
Eileen (Eileen, USA 2023)
Regie: Willliam Oldroyd
Drehbuch: Ottessa Moshfegh, Luke Goebel
LV: Ottessa Moshfegh: Eileen, 2015 (Eileen)
mit Thomasin McKenzie, Anne Hathaway, Shea Whigham, Marin Ireland, Owen Teague
In seinem Biopic „Munch“ über den Künstler Edvard Munch (12. Dezember 1863 – 23. Januar 1944) (Ja, das ist der mit dem Bild „Der Schrei“, das die Ghostface-Maske in den „Scream“-Filmen inspirierte.) erzählt Henrik M. Dahlsbakken das schwierige Leben des Künstlers zwischen Alkoholismus, Genie und Wahnsinn nicht chronologisch nach. Er zersplittert es auf mehrere Zeitebenen, zwischen den er kontextlos hin und her springt und er lässt Munch von drei Schauspielern und einer Schauspielerin spielen. Sie spielen ihn als 21-, 29-, 45- und 80-jährigen Mann. Und für jeden Munch-Schauspieler gibt es einen eigenen Stil.
Das Ergebnis ist ein sich experimentell gebendes Biopic, das wenig über den Künstler verrät und einen erstaunlich unberührt lässt.
Munch (Munch, Norwegen 2023)
Regie: Henrik M. Dahlsbakken
Drehbuch: Mattis Herman Nyquist, Gina Cornelia Pedersen, Fredrik Høyer, Eivind Sæther
mit Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G. Furuseth, Anne Krigsvoll, Anders Baasmo Christiansen, Lisa Carlehed, Jesper Christensen
Damals, 1991, war „Manta, Manta“ mit deutlich über einer Million Besucher ein Kinohit. Für Til Schweiger war die Komödie über eine Gruppe Manta-Fahrer seine erste Kinorolle und gleich der Durchbruch. Mit „Der bewegte Mann“ wurde er zum Star. „Männerpension“ und „Knockin’ on Heaven’s Door“ und Angebote aus Hollywood folgten.
Heute ist „Manta, Manta“ vor allem und nur als Zeitdokument interessant. Regisseur Wolfgang Büld („Gib Gas – Ich will Spaß“, „Der Formel Eins Film“) gelang es in neunzig Minuten ein überraschend präzises Porträt einer Zeit, eines Orts und einer Subkultur zu zeichnen. Die Häuser, die Einrichtungen, die Kleider, die Frisuren, die Sprüche und die Musik verorten den Film eindeutig in den späten achtziger, frühen neunziger Jahren. Und einige der am Film beteiligten Schauspieler, die damals am Anfang ihrer Karriere standen, sind heute immer noch bekannt. Neben Til Schweiger ist hier vor allem Michael Kessler zu nennen. Er spielt wieder den gutmütigen Trottel Klausi.
Aber niemand, der mehr als eine halbe Gehirnzelle hat, würde „Manta, Manta“ einen guten oder sehenswerten Film nennen. Und, auch wenn schon seit Jahren über eine Fortsetzung gesprochen wurde, hat wahrscheinlich niemand ernsthaft auf eine Fortsetzung gewartet.
Aber jetzt ist sie da. Und sie ist ein wahrlich bizarres Werk. Es ist kein fertiger Film, sondern eher eine erste Skizze, ein hastiges Einsprechen der Texte, teils Blindtexte, die einen Eindruck von der Länge des geplanten Dialogs geben sollen, und Visualisierungen, die ebenfalls vor allem einen Hinweis auf die zu sehenden Bildern geben sollen. Anschlussfehler und logische Brüche sind da egal. Deshalb stehen gelungene Szenen neben erbarmungwürdig schlechten Szenen. Da wird kopflos chargiert. Da ist der erste Auftritt von Moritz Bleibtreu ein Fremdschäm-Moment, in dem nichts zusammen passt. In seinen nächsten beiden Auftritten überzeugt er dann als aasiger Ersatzvater. Wotan Wilke Möhring vergeigt seinen Auftritt als Bankbeamter hundertfünfzigprozentig.
Da gibt es alle paar Minuten, ohne Sinn und Verstand, eine Zeitlupe. Mal passt sie, meistens nicht. Im Abspann werden dann geschnittene Szenen präsentiert, die oft witziger sind als die im Film enthaltenen Szenen. Außerdem werden einige bekannte Gesichter gezeigt, die nicht im Filmauftauchen. Da passt nichts zusammen.
Das gilt auch für die Story, die Til Schweiger erfand und mit sich in der Hauptrolle verfilmte.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht dieses Mal eindeutig Bertie Katzbach (Til Schweiger). Inzwischen ist er geschieden, hat seine Rennfahrerkarriere schon vor Jahren aufgegeben und betreibt seitdem eine Autowerkstatt, die auch ein Gebrauchtwagenhandel ist (ist am Anfang mal wichtig) und eine für die Filmgeschichte vollkommen unwichtige Kart-Bahn hat. Alle Geschäfte in Berties Werkstatt laufen so schlecht, dass seine Hausbank alles zwangsversteigern will. Da hat Bertie eine Idee: wenn er das Classic-Cars-Rennen am Bilster Berg fährt und gewinnt, wäre er schuldenfrei. Er könnte weiter in seiner Werkstatt leben und mit seinen Freunden, die schon seit Monaten unentgeltlich für ihn arbeiten, abhängen.
In dem Moment bittet seine große Liebe und jetzt Ex-Frau Uschi (Tina Ruland) ihn, sich um ihren gemeinsamen Sohn Daniel (Tim Oliver Schultz) zu kümmern. Der steht kurz vor seinem Abi an einer Abendschule. Als Möchtegern-Influencer, der seine reichen Freunde mit der Kreditkarte von seinem Stiefvater beeindrucken will, beschäftigt er sich lieber mit anderen Dingen und er hasst Bertie.
Diese Prämisse könnte, wie in „Manta, Manta“, der auch keine erinnerungswürdige Story hatte, mit anderen Dingen wettgemacht werden. Aber da ist in „Manta, Manta – Zwoter Teil“ nichts.
Wer Mantas und Autorennen sehen will, wird enttäuscht werden. Es gibt nur einen Manta und den auch erst am Ende. Autorennen gibt es mehr als eines, aber lieber beschäftigen sich alle mit anderen Dingen, wie einer Schlägerei in einer Strandbar oder dem amateurhaft durchgeführtem Diebstahl eines Motors von einem Schrottplatz. Das große Classic-Cars-Rennen am Filmende ist dann so konfus geschnitten, dass der Rennverlauf höchstens rudimentär erahnbar ist. Die Regeln erinnern an eine durchgeknallte Version von „Rollerball“ oder „Death Race“. Mit dem kleinen Unterschied, dass hier niemand stirbt, sondern nur ältere und alte Autos fotogen geschrottet werden.
Lokalkolorit ist auch nicht vorhanden. „Manta, Manta – Zwoter Teil“ spielt irgendwo im Nirgendwo.
Die Fortsetzung ist, im Gegensatz zu „Manta, Manta“, der eine Clique porträtierte, kein Ensemblefilm, sondern eine Til-Schweiger-Show, die ständig betont, wie cool sie sei.
Das Endergebnis ist, in einem Wort, ein Totalschaden, bei dem unklar ist, warum Til Schweiger ihn so ins Kino brachte.
Manta, Manta – Zwoter Teil(Deutschland 2023)
Regie: Til Schweiger
Drehbuch: Til Schweiger, Michael David Pate, Miguel Angelo Pate, Carsten Vauth, Peter Grandl, Murmel Clausen, Reto Slimbeni
mit Til Schweiger, Tina Ruland, Michael Kessler, Tim Oliver Schultz, Luna Schweiger, Tamer Trasoglu, Ronis Goliath, Nilam Farooq, Justus Johanssen, Emma Drogunova, Martin Armknecht, Moritz Bleibtreu, Wotan Wilke Möhring, Axel Stein, Lukas Podolski, JP Kraemer, Frank Buschmann
Länge: 127 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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alternative Schreibweise: Manta Manta – Zwoter Teil
Vor ungefähr einem Jahr sorgte der „Beckenrand Sheriff“ für einen geregelten Ablauf im und neben dem Freibad. Marcus H. Rosenmüllers Komödie war bestenfalls durchwachsen.
Jetzt versucht Doris Dörrie ihr Glück. Bis auf wenige Szenen, die insgesamt wohl keine fünf Minuten ausmachen, spielt ihr Film vor und vor allem in einem Freibad, das nur von Frauen besucht werden darf.
Das ist schon einmal eine nette Idee, aus der etwas gemacht werden kann. Immerhin können hier Frauen abseits der neugierigen Blicke und Kommentare von Männern (im Freibad!) über die Dinge reden, die ihnen wichtig sind. Außerdem ist ein Freibad immer auch ein gleichmachender Mikrokosmos der Gesellschaft. D. h. auch, dass alle Konflikte, die es in der Gesellschaft gibt, auch im Freibad aufeinanderprallen und zwischen Umkleidekabine und Schwimmbecken gelöst werden müssen.
Und dann ist der Film von Doris Dörrie. Seit ihrer Erfolgskomödie „Männer“, einem ihrer ersten Filme, hatte sie immer wieder ein gutes Gespür für gesellschaftliche Stimmungen und Geschlechterverhältnisse, Befindlichkeiten und Entwicklungen. Das sollte auch bei dieser Komödie zu einigen neuen und überraschenden Erkenntnissen führen.
Das Ergebnis ist eine belanglose, furchtbar aussehende Nummernrevue, die befließen und mit didaktischem Ernst das Verhältnis der Deutschen zum Islam abarbeitet. Die bekannten Vorurteile werden genannt und mit den bekannten Gegenargumenten entkräftet.
So ist die türkische Familie betont normal und entsetzt über ihre überaus gutaussehende und wohlproportionerte Tochter, die in einem Burkini schwimmt.
Die Burka-tragenden Frauen, die das Freibad besuchen, sind unglaublich vermögend, kommen aus der Schweiz und freuen sich, dass sie in diesem Freibad einfach ungestört verhüllt herumsitzen können. In der Schweiz ist das seit einer 2021 erfolgten Volksabstimmung verboten.
Als in dem Freibad doch ein Mann auftaucht – er wurde engagiert, nachdem die überaus faule, gutaussehende Bademeisterin kündigte -, haben die Frauen nichts besseres zu tun, als um ihn herumzuscharwenzeln. Er selbst ist dagegen Postgender und mehr am Lesen hochgeistiger Bücher über aquatische Menschen, wie er auch einer ist, interessiert. Gut aussehen tut er trotzdem.
Zum Glück gibt es auch einige fülligere und ältere Frauen in dem Frauenfreibad. Aber insgesamt sehen in diesem Freibad fast alle Frauen in ihren Badeanzügen und Bikinis sehr gut aus.
Und Andrea Sawatzki präsentiert, als Maßnahme gegen die Islamisierung des Freibads, mehrmals ihren blanken Busen, der durch höhere Umstände fast immer von ihren langen Haaren verdeckt wird. Das ist dann wiederum ziemlich prüde. Sie spielt die Schlagersängerin Eva, die früher einen Hit hatte und heute immer noch von dem Ruhm vergangener Tage zehrt. Wenn sie nicht gerade ihre Schlagersängerinnenkarriere verklärt, inszeniert sie sich mit ihrer Freundin Gabi als grantelnde Vorkämpferinnen des Feminismus in den Siebzigern. Damals kämpften sie für die Freiheit und Befreiung der Frau. Heute sehen sie in ihrem Freibad Burkas, Burkinis und Kopftücher tragende, lustfeindliche und unterdrückte Frauen.
Diese Eva ist ein ziemliches Biest und sie ist, sofern in einem Ensemblefilm davon gesprochen werden kann, die Protagonistin. Dass gerade eine der unsympathischten Figuren die Sympathieträgerin sein soll, ist ein Problem des Ensemblefilms, der eigentlich nur Beobachtungen und unwitzige Witze aneinanderreiht. Denn Eva vollzieht überhaupt keine Entwicklung. Das gleiche gilt für ihre ähnlich unsympathische Freundin, die sich über Kopftuch-tragende Frauen aufregt, während sie selbst ein Kopftuch trägt.
Nach hundert Minuten bleibt nur die erschreckende Erkenntnis, wie wenig aus dem Stoff gemacht wurde.
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Zum Filmstart erschien, wie vor wenigen Tagen bei der „Känguru-Verschwörung“, ein Comic zum Film. Paulina Stulin übernahm die Aufgabe, aus dem Drehbuch einen Comic zu machen. Ihr vorheriger Comic, das sechshundertseitige autobiographische Opus „Bei mir zuhause“, war dieses Jahr für den „Max und Moritz“-Preis als „Bester deutschsprachiger Comic“ nominiert. Doris Dörrie las das Buch. Anschließend sprach sie Stulin an, ob sie parallel zur Entstehung des Films eine Graphic Novel zeichnen möchte.
Paulina Stulins Version des Films ist kein Storyboard-Comic (so das Label bei der „Känguru-Verschwörung“). Die Grundlage für ihre Arbeit war die finale Fassung des Drehbuchs. Deshalb gibt es im Comic auch einige Stellen, die nicht im Film sind. Außerdem wusste Stulin, welche Schauspielerinnen welche Rollen spielen. Sie war mehrere Tage als Beobachterin bei den Dreharbeiten und tauschte sich regelmäßiger mit Doris Dörrie über ihre Arbeit aus.
Ihre im Stil der vom Impressionismus beeinflussten New Barbizon School gehaltenen Zeichnungen sind sehr nah am Film. Allerdings wirken ihre Figuren immer äußerst aggressiv und feindselig. Ihr Freibad ist kein Ort der Entspannung, sondern immerwährender Anspannung.
Freibad(Deutschland 2022)
Regie: Doris Dörrie
Drehbuch: Doris Dörrie, Karin Kaçi, Madeleine Fricke (nach einer idee von Doris Dörrie)
mit Andrea Sawatzki, Maria Happel, Nilam Farooq, Lisa Wagner, Melodie Wakivuamina, Julia Jendroßek, Sabrina Amali, Nico Stank, Samuel Schneider, Ilknur Boyraz, Sema Poyraz, Arzu Ermen, Semra Uysallar, Ulla Geiger, Simon Pearce, Pablo Sprungala, Amir Alkodur, Shadiya Almoussa, Leopold Schadt, Paulina Alpen
Freitagnachmittag, kurz vor Feierabend, in einem Gymnasium irgendwo in Deutschland: die Schüler haben die Schule bereits verlassen. Im Lehrerzimmer warten einige Lehrer gelangweilt auf das Wochenende. Da klopft jemand an die Tür. Es ist Manfred Prohaska (Thorsten Merten). Der Vater hat ein dringendes Anliegen. Die Abi-Zulassung seines Sohnes Fabian ist gefährdet. Ein Punkt fehlt ihm. Dieser entscheidende Punkt wurde ihm bei einer Latein-Hausarbeit verwehrt. Und damit könnte der Lateinlehrer ihm den Punkt geben. Wenn er nicht so ein verknöcherter, seine Macht auskostende Regelfanatiker wäre, der unter keinen Umständen seine Bewertungen mit anderen diskutieren möchte.
Also verlangt Prohaska von den zufällig anwesenden Lehrern, dass sie jetzt sofort über Fabians Abi-Zulassung sprechen – und Fabian am Ende ihrer Besprechung den nötigen Punkt geben.
Das ist die knallige Prämisse von Sönke Wortmanns neuestem Film „Eingeschlossene Gesellschaft“. Zuletzt verfilmte er fürs Kino französische Erfolgskomödien und erfolgreiche Theaterstücke („Contra“, „Der Vorname“, „Frau Müller muss weg!“). Dieses Mal ist es ein Hörspiel von Jan Weiler („Maria, ihm schmeckt’s nicht“, „Das Pubertier“). Und wieder sitzen die Pointen, wenn der ultrakonservative „Ich habe alles in meinem Buch notiert“-Lateinlehrer Klaus Engelhardt (Justus von Dohnányi), die Schüler ebenfalls abgrundtief verachtende ältliche Jungfer Heidi Lohmann (Anke Engelke), der zu seinen Schülern äußerst joviale Womanizer-Sportlehrer Peter Mertens (Florian David Fitz), der sich überall anbiedernde Schüleranwalt Holger Arndt (Thomas Loible), der nerdige Chemielehrer Bernd Vogel (Torben Kessler) und die genderbewusste Referendarin Sara Schuster (Nilam Farooq) sich im Lehrerzimmer angiften, übereinander herfallen, dabei kleine und große Geheimnisse und Peinlichkeiten enthüllen, um sich selbst kreisen und sich dabei selbstverständlich nicht für das von Prohaska aufgeworfene Problem interessieren. Bis kurz vor dem Ablauf von Prohaskas Ultimatum reden sie nicht über Fabians Note.
Das gesamte Kollegium besteht halt aus Trotteln, die, zu unserem Vergnügen, nichts auf die Reihe bekommen und alle ihre kleinen Geheimnisse haben, von enttäuschter Liebe über Pornokonsum und Denunziation bis hin zur Unterschlagung. Diese sechs Lehrer sind Klischeefiguren. Die Schauspieler übertreiben und füllen diese Klischees lustvoll aus. Das sorgt, im Stil einer Boulevard-Komödie, für Situationskomik, verbale Gemeinheiten und etliche Lacher.
Aber der ganze leichtgewichtige und kurzweilige Spaß kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Prohaska ein Erpresser und Geiselnehmer ist, der sein Ziel so nicht erreichen kann.
Eingeschlossene Gesellschaft (Deutschland 2022)
Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Jan Weiler (nach seinem Hörspiel)
mit Florian David Fitz, Anke Engelke, Justus von Dohnányi, Nilam Farooq, Thomas Loibl, Torben Kessler, Thorsten Merten, Nick Julius Schuck, Carl Benzschawel, Claudia Hübbecher, Jürgen Sarkiss, Serkan Kaya, Ronald Kukulies
Horrorfilme können billig hergestellt werden. Sie leben von Schocks und, nun, Geschmacklosigkeiten und Grenzüberschreitungen. Sie sprechen unsere Ängste an und sie können, wie zuletzt „Get out“, Themen ansprechen, die in höher budgetierten Filmen, die entsprechend mehr Geld einspielen müssen, nicht oder nicht so offen angesprochen werden. Sie richten sich vor allem an ein jugendliches Publikum und schon einige beachtliche Karrieren starteten mit Horrorfilmen. Ich sage nur George A. Romero, John Carpenter, Wes Craven, Tobe Hooper und Eli Roth. Filme wie „The Texas Chainsaw Massacre“, „Halloween“, „Hostel“, „Saw“ und „The Blair Witch Project“ (USA 1999) waren gigantische Erfolge, die ihr Geld mehr als einmal einspielten und unzählige Male kopiert wurden. Vor allem die Idee von „The Blair Witch Project“ war grandios. Im Internet wurde die Legende von einer Hexe und damit verbundener unheimlicher Ereignisse in den Wäldern von Maryland gestrickt. Der Film bestand dann, so wurde vor dem Filmstart kolportiert, aus den wieder aufgetauchten Aufnahmen, die eine handvoll spurlos verschwundener Filmstudenten auf ihrer Suche nach der Hexe gemacht haben. In den gefundenen Aufnahmen streifen sie ohne ein Drehbuch durch den Wald (was die oft erbärmlichen Dialoge erklärt). Sie sind keine Schauspieler (was das, ähem, naturalistische Spiel erklärt). Und sie sind keine ausgebildeten Kameramänner (was die oft erbärmliche Bildqualität erklärt).
Der unglaublich erfolgreiche Horrorfilm begründete das „Found Footage“-Subgenre, das behauptet, der Film sei aus gefunden Aufnahmen hergestellt worden. Und diese gefundenen Aufnahmen sind halt technisch nicht so perfekt, wie in einem richtigen Film. Alles das, was ein Kameramann vermeidet wie der Teufel das Weihwasser, ist hier ein Qulitätsmerkmal. Möglich wurde das durch die Entwicklung von immer kleineren, leistungsfähigen Videokameras. So drehte Steven Soderbergh seinen neuen Film, den Horrorthriller „Unsane“ (Kinostart 29. März 2018), komplett mit dem iPhone.
Für Filmproduzenten hatte das Subgenre noch drei erfreuliche Nebenwirkungen: es musst nicht mehr nach richtigen Schauspielern gesucht werden (die Protagonisten sollten ja gerade nicht spielen, sondern sich wie der Junge von nebenan benehmen), ein Drehbuch mit ausgefeilten Dialogen ist unnötig (die Schauspieler sollen sich ja wie die Schulkameradinnen verhalten und reden) und die Produktionskosten waren astronomisch niedrig. Man braucht nur ein Gebäude und einige Schauspieler. Sogar für Spezialeffekte braucht man eigenlich kein Geld, weil im Notfall ja immer die Kamera einen Schwenk in die langweilige Ecke machen kann. Blumhouse Productions, um nur die bekannteste Firma zu nennen, produziert seit Jahren mit enem Microbudget finanzierte Found-Footage-Horrorfilme, die durchgehend finanziell einträglich sind. Bis auf wenige Ausnahmen sind es allerdings auch ziemliche Langweiler.
„Heilstätten“ fällt in dieses Found-Footage-Subgenre. Dieses Mal spielt die Geschichte allerdings nicht in den USA, sondern in Deutschland und es handelt sich um eine deutsche Produktion mit deutschen Schauspielern. Gedreht wurde der Film in einer Ruine mit Schauspielern, von denen einer auch ein YouTube-Star ist. Die anderen benehmen sich so als ob.
Die Story ist Asbach-Uralt-Horrorfilm: eine Gruppe Jugendlicher will eine Nacht in einem Gebäude verbringen, in dem es spucken soll. Die Nazis haben in der Heilstätte Menschenexperimente gemacht. Jetzt haben die untereinder verfeindeten YouTuber sich entschlossen, eine 24-Stunden-Challenge zu machen, in der es darum geht, eine Nacht in der Ruine zu verbringen. Zuerst halten die Jugendlichen die Mutprobe für einen großen Spaß. Denn Geister gibt es nicht.
Sie verteilen Kameras in dem Gebäude, die alles aufnehmen sollen, was in der Nacht geschieht. Und, wie es sich für einen YouTuber gehört, laufen sie immer mit einer eingeschalteten Kamera herum.
Dann geschehen unheimliche Dinge, es gibt Tote und anstatt herumzublödeln, wird geschrien und durch dunkle Gänge gerannt oder durch den Wald gestolpert.
Das ist, – wenig überraschend -, erbärmlich schlecht gespielt. Das aufgedrehte Gehabe der grenzdebilen YouTube-Stars nervt so sehr, dass ich über jedes Ableben erfreut war. Eine Nervensäge weniger in dieser überflüssigen Blumhouse-Kopie.
Dummerweise gibt es am Ende eine überraschende Wendung, die dem Film eine tiefere Bedeutung verleihen soll und die hier nicht verraten werden soll, weil es ein Mega-Spoiler wäre. Es ist allerdings auch eine vollkommen aus dem heiteren Himmel kommende überraschende Wendung, die teilweise im Widerspruch zu der vorherigen Geschichte steht und nicht vorbereitet wurde. Genausogut hätte auch ein Ufo auftauchen können.
So wird das nichts mit dem deutschen Horrorfilm.
Immerhin ist „Heilstätten“ nicht übermäßig lang und die Kulisse gefällt. Gedreht wurde der Film allerdings nicht in der Heilstätte Beelitz (eine oft genutzte Filmkulisse, u. a. „Men & Chicken“ und „A Cure for Wellness“), dem Handlungsort des Films, sondern in der ebenfalls verfallenen, unbekannteren Heilstätte Grabowsee gedreht.
Ach, und das Plakat ist auch gelungen.
Heilstätten (Deutschland 2018)
Regie: Michael David Pate
Drehbuch: Michael David Pate (nach einer Drehbuchvorlage von Ecki Ziedrich)
mit Sonja Gerhardt, Tim Oliver Schultz, Nilam Farooq, Lisa Maria Koroll, Emilio Sakraya, Timmi Trinks, Farina Flebbe, Maxine Kazis, David Schulz