Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Hercule Poirot erlebt „A Haunting in Venice“

September 14, 2023

In seinen ersten beiden Hercule-Poirot-Verfilmungen „Mord im Orient-Express“ und „Tod auf dem Nil“ erzählte Kenneth Branagh bekannte und bereits sehr erfolgreich verfilmte Poirot-Romane noch einmal. Dabei hielt er sich weitgehend an die von Agatha Christie geschriebenen Romane. In seinem dritten Hercule-Poirot-Film ist alles anders. Die von Agatha Christie geschriebene Vorlage ist unbekannter. „Hallowe’en Party“ wurde einmal, 2010 im Rahmen der langlebigen ITV-Poirot-TV-Serie mit David Suchet als Ermittler, verfilmt. Auch diese Verfilmung ist unbekannter. Dieses Mal hielten die Macher sich kaum bis überhaupt nicht an die Vorlage. Bei Agatha Christie spielt die jetzt als „A Haunting in Venice“ verfilmte Geschichte 1969 in einem englischen Dorf.

Der Film spielt, wie der Titel andeutet, in Venedig. Er spielt auch nicht in den späten sechziger Jahren, sondern 1947. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der weltberühmte Detektiv Hercule Poirot sich zurück. In Venedig genießt er seinen Ruhestand. Da bittet ihn die erfolgreiche und mit ihm befreundete Krimi-Autorin Ariadne Oliver um einen Gefallen. Er soll sie zu einer Séance begleiten.

In dem Palazzo der früheren Opernsängerin Rowena Drake soll die bekannte Hellseherin Joyce Reynolds an Halloween auftreten und den Kontakt zu Drakes vor einem Jahr verstorbener Tochter Alicia herstellen.

Poirots Freundin Oliver hat eine ihrer Shows besucht. Seitdem fragt sie sich nun, ob Reynolds eine Schwindlerin ist oder ob sie wirklich Kontakt zu den Toten hat. Denn ihr gelang es nicht, die Tricks von Reynolds zu durchschauen. Das soll jetzt ihrem Freund Hercule Poirot gelingen. Poirot, der auch nicht an Hellseherei, Wahrsagerei und Gesprächen mit den Toten glaubt, begleitet seine Freundin zu der Abendgesellschaft.

Die Séance nimmt einen ungeahnten dramatischen Verlauf. Und kurz darauf ist Reynolds tot. Spätestens in dem Moment sind im Palazzo und im Kinosaal die letzten Zweifler überzeugt, dass Reynolds eine Betrügerin ist. Eine echte Hellseherin hätte ihren Tod doch vorhersehen können.

In den nächsten Stunden versucht Poirot in dem düsteren Palazzo den Mord und viele weitere große und kleine Verbrechen und Lügen aufzuklären. Dabei zweifelt er mehr als einmal an seiner Beobachtungsgabe und seinen legendären kleinen grauen Zellen.

Das klingt doch ganz spannend. Aber Michael Green, der auch für Branaghs vorherige Poirot-Filme die Drehbücher schrieb, gelingt es nie, Poirots Ermittlungen und Überlegungen nachvollziehbar zu erzählen. Allerdings, das muss gesagt werden, haben Green und Branagh dieses Mal kein Interesse an einem konventionellem Rätselkrimi. Sicher, Poirot sucht den Täter, er verhört die Anwesenden, dröselt die Hinweise auf und enttarnt am Ende den Täter. Aber dieses Mal versammelt er dafür nicht, wie wir es bei einem Rätselkrimi erwarten, alle Tatverdächtigen und Anwesenden in einem Raum und präsentiert ihnen ein halbes Dutzend verschiedener Täter, ehe er, zu unserer Verblüffung, den wahren Täter enthüllt. In „A Haunting in Venice“ geschieht die Enttarnung des Mörders quasi nebenbei.

Branagh erzählt die Tätersuche und Enttarnung des Mörders so lustlos und chaotisch, dass wahrscheinlich niemand diesen Teil des Films nacherzählen kann. Es kann auch nicht mitgerätselt werden.

Als Rätselkrimi ist „A Haunting in Venice“ ein ziemlicher Totalausfall.

Aber schon in den ersten, sehr atmosphärischen Minuten entwirft Branagh ein Bild von Venedig als Geisterstadt, in der Maskierte und Tote in Gondeln durch die Stadt gleiten. Nach dem Mord ermittelt Poirot in einem sehr dunklem Palazzo. Fast jedes von Branaghs Stammkameramann Haris Zambarloukos aufgenommene Bild ist schräg und arbeitet mit teils extrem verschobenen Perspektiven. Unterbrochen von wenigen exzessiven Kamerafahrten und vielen desorientierenden Schnitten. Das bedient durchgehend die Klaviatur des Gothic-Horrorfilms.

Als sich wenig um erzählerische Konventionen kümmernder Horrorfilm voller echter und falscher Gespenster ist „A Haunting in Venice“ ziemlich gelungen.

Und jetzt zur Vorlage: Agatha Christies „Die Halloween-Party“. In seinem Vorwort zur Neuausgabe schreibt Michael Green, er habe einen Mord begangen und das Opfer sei Agatha Christies drittletzter Hercule-Poirot-Roman „Die Halloween-Party“. Denn die Verfilmung hat mit dem Roman, bis auf einige zufällige und vermeidbare Ähnlichkeiten und Namen, nichts zu tun.

Während einer von Rowena Drake in ihrem Haus für die Kindes des Dorfes Woodleigh Common veranstalteten Halloween-Party, behauptet die dreizehnjährige Joyce Reynolds, sie habe vor längerer Zeit einen Mord beobachtet. Das sei ihr damals nicht bewusst gewesen. Kurz darauf ist sie tot. Sie wurde in der Bibliothek des Hauses in einem für ein Spiel mit Wasser gefülltem Metalleimer ertränkt.

Die Krimiautorin Ariadne Oliver (ja, sie könnte Agatha Christie sein), die während der Tatzeit in Drakes Haus war, bittet ihren Freund Hercule Poirot um Hilfe. Er soll den Täter finden.

Poirot beginnt in dem Dorf mit der Mördersuche. Dabei will er auch herausbekommen, ob Joyce einen Mord beobachtet hat und, wenn ja, wer das Opfer und wer der Täter ist.

Die Halloween-Party“ (bzw. früher „Die Schneewittchen-Party“ oder, im Original, „Hallowe’en Party“) ist einer von Agatha Christies letzten Romanen. Und er hat nicht die Qualität ihrer früheren Geschichten. Die Figuren sind blass. Der Rätselplot ist bestenfalls solala. Und am Ende wird der Täter, wie in der Verfilmung, nicht in einer großen Versammlung aller Tatverdächtigen enttarnt. Er wird auf frischer Tat ertappt.

A Haunting in Venice (A Haunting in Venice, USA 2023)

Regie: Kenneth Branagh

Drehbuch: Michael Green

LV: Agatha Christie: Hallowe’en Party, 1969 (Die Schneewittchen-Party; Die Halloween-Party, und neuerdings A Haunting in Venice)

mit Kenneth Branagh, Kyle Allen, Michelle Yeoh, Camille Cottin, Jamie Dornan, Tina Fey, Jude Hill, Ali Khan, Emma Laird, Kelly Reilly, Riccardo Scamarcio

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage in der Filmausgabe

Agatha Christie: A Haunting in Venice

(übersetzt von Hiltgunt Grabler) (mit einem Vorwort von Michael Green)

Atlantik, 2023

256 Seiten

14 Euro

Ältere deutsche Titel

Die Schneewittchen-Party (ursprünglicher Titel)

Die Halloween-Party (Titel der Neuausgabe von 2018)

Originalausgabe

Hallowe’en Party

Harper Collins, London 1969

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „A Haunting in Venice“

Metacritic über „A Haunting in Venice“

Rotten Tomatoes über „A Haunting in Venice“

Wikipedia über „A Haunting in Venice“ (deutsch, englisch), die Vorlage (deutsch, englisch), Hercule Poirot (deutsch, englisch) und Agatha Christie (deutsch, englisch)

Thrilling Detective über Hercule Poirot

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs „Jack Ryan: Shadow Recruit“ (Jack Ryan: Shadow Recruit, USA 2013)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs „Cinderella“ (Cinderella, USA 2015)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, USA 2017)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ (Death on the Nile, USA/Großbritannien 2022)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs „Belfast“ (Belfast, USA 2021)

Homepage von Agatha Christie

Krimi-Couch über Agatha Christie

Meine Besprechung von Agatha Christies „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, 1934)

Meine Besprechung von John Guillermins Agatha-Christie-Verfilmung “Tod auf dem Nil” (Death on the Nile, Großbritannien 1978)

Meine Besprechung von Michael Winners Agatha-Christie-Verfilmung „Rendezvous mit einer Leiche“ (Appointment with Death, USA 1988)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, USA 2017)

Meine Besprechung von Gilles Paquet-Brenner Agatha-Christie-Verfilmung „Das krumme Haus“ (Crooked House, USA 2017) (und Buchbesprechung)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ (Death on the Nile, USA/Großbritannien 2022) (und Buchbesprechung)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Nanni Morettis Ensemblefilm „Drei Etagen“

März 17, 2022

Nanni Morettis neuer Film beginnt mit einem Autounfall. Stockbesoffen fährt Andrea durch das Wohnviertel, überfährt eine Fußgängerin und kracht in die Parterrewohnung des Hauses, in dem er noch bei seinen Eltern wohnt. Seine Eltern sind Vittorio (Nanni Moretti) und Dora (Margherita Buy). Beide sind Richter. Aber nach dem Unfall hilft der rechtsprinzipientreue Vittorio seinem Sohn Andrea nicht. Er fordert, dass er die Verantwortung für seine Tat übernimmt. Und das bedeutet eine längere, auch die Ehe von Vittorio und Dora belastende, Haftstrafe für Andrea.

Die Wohnung die Andrea zerstörte, ist das Arbeitszimmer von Lucio (Riccardo Scamarcio). Seine siebenjährige Tochter wird öfter von einem älteren Ehepaar behütet. Nachdem der schon leicht demente ‚Großvater‘ mit Lucios Tochter im Wald ein kindisches Spiel spielte, hält er ihn für einen Pädophilen. Er beginnt Beweise für seine wilde Vermutung zu suchen und gefährdet dabei seine Ehe, seine Familie und auch sein gesamtes Leben.

Andreas Unfall wurde von Monica (Alba Rohrwacher) beobachtet. Die psychisch instabile Schwangere war auf dem Weg zum Krankenhaus. Später muss sie ihre Tochter weitgehend allein aufziehen. Ihr Mann ist als Bauleiter bei großen Projekten beruflich viel unterwegs. Monicas Leben verändert sich, als ihr Schwager auftaucht.

Diese im Film porträtierten vier Familien leben in Rom in den titelgebenden „Drei Etagen“ eines bürgerlichen Wohnhauses. Über ein Jahrzehnt, von 2010 bis 2020, beobachtet Nanni Moretti („Liebes Tagebuch“) deren Leben und wie sehr sie mehr nebeneinander als miteinander leben. Das ist aus der Perspektive dramaturgischer Verdichtung natürlich enttäuschend. Aber halt realistisch. Die meisten Nachbarn kann man, im Gegensatz zur eigenen Familie, ignorieren und meistens tut man genau das. Schließlich ist die Adresse die einzige offensichtliche Gemeinsamkeit. Auch der Aufbau des Films – die erste Stunde des Films spielt 2010, die nächste halbe Stunde fünf Jahre später und die letzte halbe Stunde wieder fünf Jahre später – lädt zu einem episodischem Erzählen ein. In diesem Drama gibt es nicht die klaren, Hollywood-Dramaturgieregeln gehorchenden, sich gegenseitig verdichtenden Spannungsbögen.

Moretti beobachtet, feinfühlig wie gewohnt, seine Figuren mit großer Sympathie und ohne sie zu verurteilen. Das ist nicht schlecht, aber letztendlich bleibt alles doch etwas zu sehr an der Oberfläche, im Plakativen und im Ungefähren. Nur einmal wird ein konkretes Datum genannt, ansonsten sind die Ereignisse in diesem römischen Haus vollkommen von aktuellen Entwicklungen abgekoppelt.

So ist der Ensemblefilm ein schöner und auch in vielen Szenen immer wieder berührender Film. Am Ende bleibt allerdings das Gefühl, dass man nur das filmische Äquivalent zum Blättern in einem Fotoalbum erhalten hat.

Drei Etagen (Tre Piani, Italien/Frankreich 2021)

Regie: Nanni Moretti

Drehbuch: Nanni Moretti, Federica Pontremoli, Valia Santella

LV: Eshkol Nevo: Shalosh komot, 2015 (Über uns)

mit Riccardo Scamarcio, Margherita Buy, Alba Rohrwacher, Adriano Giannini, Elena Lietti, Nanni Moretti, Denise Tantucci, Alessandro Sperduti

Länge: 121 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Italienische Homepage zum Film

Moviepilot über „Drei Etagen“

Rotten Tomatoes über „Drei Etagen“

Wikipedia über „Drei Etagen“ (deutsch, englisch, italienisch)

Meine Besprechung von Nanni Morettis „Mia Madre“ (Mia Madre, Italien/Frankreich 2015)


TV-Tipp für den 19. Mai: John Wick: Kapitel 2

Mai 19, 2019

Wenige Tage bevor John Wick wieder im Kino kämpft (Jubelarie zum Filmstart), gibt es heute den zweiten John-Wick-Actionkracher. So als Vorbereitung.

RTL, 23.00

John Wick: Kapitel 2 (John Wick: Chapter 2, USA 2017)

Regie: Chad Stahelski

Drehbuch: Derek Kolstad

Der Kampf geht weiter. Wir erfahren mehr über John Wicks Welt. Es gibt mehr Kämpfe und Tote – und am Ende von „Kapitel 2“ läuft John Wick um sein Leben.

John Wick: Kapitel 3“ schließt am 23. Mai im Kino nahtlos daran an.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Keanu Reeves, Riccardo Scamarcio, Ian McShane, Ruby Rose, Common, Claudia Gerini, Lance Reddick, Laurence Fishburne, John Leguizamo, Bridget Moynahan, Franco Nero, Peter Stormare

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „John Wick: Kapitel 2“

Metacritic über „John Wick: Kapitel 2“

Rotten Tomatoes über „John Wick: Kapitel 2“

Wikipedia über „John Wick: Kapitel 2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Chad Staheskis „John Wick“ (John Wick, USA 2014)

Meine Besprechung von Chad Stahelskis „John Wick: Kapitel 2“ (John Wick: Chapter 2, USA 2017)

 

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Loro – Die Verführten“ in Berlusconis Reich

November 17, 2018

Diese Fassung des Films wurde zum Regisseur geschnitten.

Natürlich ist das ist fast immer so. Aber in diesem Fall muss extra darauf hingewiesen werden. Denn in Italien lief „Loro – Die Verführten“ im Frühjahr im Kino in zwei Teilen. Insgesamt 204 Minuten Filmzeit. Für die internationale Auswertung setzte Paolo Sorrentino sich noch einmal in den Schneideraum und er entfernte ungefähr eine Stunde. Jetzt dauert der Film immer noch etwas über 150 Minuten, aber es ist ein Torso, auf den man gut verzichten kann.

Weil Sorrentino immer wieder lange, in sich geschlossene Szenen inszeniert und es immer wieder lange Kamerafahrten gibt, ist es schwierig, innerhalb einer Szene zu kürzen. Vor allem ohne die Stimmung und den Rhythmus der Szene zu zerstören. Also wurden wahrscheinlich ganze Szenen entfernt. Mit dem Ergebnis, dass auch der Rhythmus und die Geschlossenheit des Films zerstört wurden.

Dabei sind die übriggebliebenen Teile durchaus sehenswert. Sorrentino liefert ein Porträt Italiens von 2006 bis 2010. Im Mittelpunkt stehen Sergio Morra, ein junger, sehr aufstiegsgieriger, skrupelloser apulinischer Kommunalpolitiker (dass er mich an Innenminister Matteo Salvini erinnert, liegt sicher an meinem schlechten Wissen über Italiens politische Kaste) und der allseits bekannte, von Hofschranzen und vollbusigen Frauen umgebene und vergötterte Partymeister Silvio Berlusconi. Der Machtmensch wird von Sorrentinos Stammschauspieler Toni Servillo gespielt und er verkörpert den Charakter mit sardonischer Freude. Wie schon 2008 Giulio Andreotti in „Il Divo“. Andreotti war ein für das Italien der letzten Jahrzehnte ähnlich einflussreicher, aber in der Art seines öffentlichen Auftretens vollkommen entgegengesetzter Charakter. Skrupellose Machtmenschen mit mehr als halbseidenen Verbindungen zur Mafia und Stehaufmännchen waren beide.

Wie in „Il Divo“ und „La Grande Belleza“ ist Sorrentino nicht an einem nach bekannten Biopic-Formeln durchdekliniertem Drama interessiert. Aus vielen Episoden entsteht ein Sittengemälde, ein Porträt einer Zeit, das durchaus immer satirisch zugespitzt, melancholisch an die Vergangenheit erinnernd (so hat Berlusconi das Gefühl, den Höhepunkt seiner Macht bereits hinter sich zu haben) und offen für Interpretationen ist. Sorrentino hat zwar einen Blick auf seine Figuren, aber er schreibt diesen Blick dem Zuschauer nicht vor.

Trotz der episodischen Struktur, bewegt sich die Filmgeschichte immer wieder zu elliptisch vorwärts und die Gewichtung zwischen den beiden Hauptcharakteren stimmt in der internationalen Fassung nicht. So verschwindet der am Filmanfang episch eingeführte Morra, nachdem sein Heranwanzen an den mächtigen Lebemann Silvio Berlusconi detailliert gezeigt wurde, irgendwann und ohne Erklärung fast vollständig aus dem Film.

Man könnte den Torso von „Loro – Die Verführten“ als einen schwachen Film von Paolo Sorrentino akzeptieren, wenn man nicht wüsste, dass in Italien ein anderer, ein längerer und sehr wahrscheinlich auch viel besserer Film gezeigt wurde. Hoffentlich wird diese Version bei uns wenigstens auf DVD veröffentlicht.

Loro – Die Verführten (Loro, Italien/Frankreich 2018)

Regie: Paolo Sorrentino

Drehbuch: Paolo Sorrentino, Umberto Contarello

mit Toni Servillo, Elena Sofia Ricci, Riccardo Scamarcio, Kasia Smutniak, Euridice Axen, Fabricio Bentivoglio, Roberto de Francesco, Dario Cantarelli

Länge: 157 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Loro“

Rotten Tomatoes über „Loro“

Wikipedia über „Loro“ (deutsch, englisch, italienisch) und über Paolo Sorrentino (deutsch, englisch, italienisch)

Meine Besprechung von Paolo Sorrentinos „Cheyenne – This must be the Place“ (This must be the Place, Italien/Frankreich/Irland 2011)

Meine Besprechung von Paolo Sorrentinos „La grande Bellezza – Die große Schönheit“ (La grande Bellezza, Italien/Frankreich 2013)

Meine Besprechung von „Paolo Sorrentino – Director’s Collection“


TV-Tipp für den 4. April: Pasolini

April 4, 2018

Arte, 22.50

Paolini (Pasolini, Belgien/Frankreich/Italien 2013)

Regie: Abel Ferrara

Drehbuch: Maurizio Braucci (nach einer Idee von Abel Ferrara und Nicola Tranquillino)

Essayistisches Porträt über die letzten Stunden von Pier Paolo Pasolini.

In den späten siebziger und achtziger Jahrer erarbeitete Abel Ferrara sich seinen Ruf als stilprägender Neo-Noir-Regisseur mit gewalttätigen Großstadtfilmen, wie „The Driller Killer“, „Die Frau mit der 45er Magnum“, „Fear City“, „China Girl“ und „King of New York“. In den neunziger Jahren war er auf dem Höhepunkt seiner Karriere mit Filmen wie „Bad Lieutenant“, „Snake Eyes“, „The Addiction“ und „Das Begräbnis“. In den letzten zwanzig Jahren fanden seine Filme ein immer kleineres Publikum und sie wurden oft in Deutschland nicht mehr oder kaum gezeigt. Auch „Pasolini“ wurde in Deutschland nur auf einigen Festivals präsentiert.

mit Willem Dafoe, Riccardo Scamarcio, Maria de Medeiros, Giada Colagrande, Valerio Mastandrea, Adamo Dionisi

Hinweise

Metacritic über „Pasolini“

Rotten Tomatoes über „Pasolini“

Wikipedia über „Pasolini“

Meine Besprechung von Abel Ferraras “King of New York” (King of  New York, USA 1989)

Abel Ferrara in der Kriminalakte


DVD-Kritik: „John Wick: Kapitel 2“: Viele Leichen, Regeln und die Ehre unter Dieben

Juli 3, 2017

Vor drei Jahren war „John Wick“ ein Überraschungserfolg mit einem offenem Ende. Man konnte darüber diskutieren, ob er überlebt oder stirbt.

Er überlebte und in den ersten Minuten von „John Wick: Kapitel 2“ erledigt er einige weitere Schergen von Abram Tarasov und Tarasov. Sein Sohn hat in „John Wick“ Wicks Hund getötet und seinen 1969er Ford Mustang March 1 gestohlen. Wick, ein sich im Ruhestand befindender Über-Profikiller, begab sich auf eine Rachemission.

Jetzt, nachdem sie erledigt ist, will er endgültig seinen Ruhestand genießen. Deshalb lehnt er auch den mit einer Schuldmünze (Marker im Original) bekärftigten Auftrag von Santino D’Antonio ab. Dabei ist Wick durch den Kodex der Profikillervereinigung, zu der er gehört, verpflichtet, den Auftrag anzunehmen. Und hier kommen wir zu einem Problem des Films: John Wick muss sich mehrmals vollkommen unlogisch verhalten. Jedenfalls solange man ihm keinen verkappten Todeswunsch unterstellt. Das geschieht am Ende des Films, wenn das dritte Kapitel vorbereitet wird, wieder. Denn wieder verstößt er bewusst gegen eine der fundamentalen Regeln des Ordens. Und wieder muss der intelligente Killer sich unglaublich dumm verhalten.

Nachdem Wick den D’Antonios Auftrag ablehnt, zerstört dieser Wicks Haus. Angesichts der nach den Ordensregeln möglichen Bestrafung (D’Antonio dürfte Wick töten) ist das eine sehr milde Strafe. Der Obdachlose Wick übernimmt dann den Auftrag und fliegt nach Rom, um D’Antonios Schwester Gianna zu töten.

Sie nimmt ihm durch einen Suizid die Arbeit ab. Dennoch tötet er sie mit einem Kopfschuss (keine Ahnung warum) und, schon in Rom, kämpft er gegen D’Antonios Schergen, die ihn töten wollen.

Zurück in New York eskaliert der Kampf.

In „John Wick: Kapitel 2“, wieder geschrieben von David Kolstad und inszeniert von Chad Stahelski, einem Stuntman und Second Unit Director (zuletzt „Captain America: Civil War“), ist alles eine Spur größer als in „John Wick“. In diesem Fall gibt es einen willkommen Ausflug nach Rom und etliche Action-Set-Pieces in großen Locations mit vielen Statisten. Die schon im ersten Film etablierte Welt von John Wick wird liebevoll um einige weitere Details ergänzt. Es ist die Welt von Geheimgesellschaften, Verbindungen und Organisationen, die sich an ein jahrhundertelanges Regelwerk halten und so nur in Pulp-Romanen oder Comics existieren. Auch der Bildaufbau (Kamera: Dan Laustsen [„Crimson Peak“]) orientiert sich immer wieder gelungen an Comic-Panels. Im Finale wird auch die legendäre Spiegelkabinett-Szene aus dem Noir-Klassiker „Die Lady von Shanghai“ gelungen zitiert.

Und, wie im ersten Film gibt es etliche Actionszenen, in denen man die Stuntmänner bei der Arbeit beobachten kann. Neben den üblichen Kämpfen mit Fäusten, Messern, Schusswaffen und Autos gibt es, in Rom, auch einen langen Kampf, in dem John Wick und sein Gegner miteinander kämpfend eine Steintreppe hinunterrollen. Staheski inszeniert die Actionszenen wieder mit wenigen Schnitten.

Insgesamt ist „John Wick: Kapitel 2“ eine gute Fortsetzung, die mit einigen Storyschwächen (wenn Wick gegen die Regeln des Ordens der Auftragskiller verstößt) zu kämpfen hat. Aber die Action und die prägnanten Auftritte von bekannten Schauspielern, wie, dieses Mal, Franco Nero und Laurence Fishburne, reißt es dann heraus.

Ein drittes „John Wick“-Kapitel ist angesichts der positiven Resonanz und des überzeugenden Einspiels schon beschlossen. Es ist nur unklar, wann die Dreharbeiten beginnen.

Das Bonusmaterial der DVD besteht aus einem Audiokommentar von Chad Stahelski und Keanu Reeves und zwei Featurettes, die es auf insgesamt knapp neun Minuten Laufzeit bringen. Für die Blu-ray sind über siebzig Minuten Bonusmaterial angekündigt.

John Wick: Kapitel 2 (John Wick: Chapter 2, USA 2017)

Regie: Chad Stahelski

Drehbuch: Derek Kolstad

mit Keanu Reeves, Riccardo Scamarcio, Ian McShane, Ruby Rose, Common, Claudia Gerini, Lance Reddick, Laurence Fishburne, John Leguizamo, Bridget Moynahan, Franco Nero, Peter Stormare

DVD

Concorde Home Entertainment

Bild: 2,39:1 816:9)

Ton: Deutsch (Doly Digital 5.1, Dolby Digital 2.0, DTS 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

Bonusmaterial: Audiokommentar von Keanu Reeves und Regisseur Chad Stahelski, RetroWick: Der unerwartete Erfolg von „John Wick“ (Featurette), Die Verbrecherwelt des John Wick (Featurette), Deutscher und Original-Kinotrailer

Länge: 118 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „John Wick: Kapitel 2“

Metacritic über „John Wick: Kapitel 2“

Rotten Tomatoes über „John Wick: Kapitel 2“

Wikipedia über „John Wick: Kapitel 2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Chad Staheskis „John Wick“ (John Wick, USA 2014)


Neu im Kino/Filmkritik: Bradley Cooper ist „Im Rausch der Sterne“

Dezember 4, 2015


Seitdem es immer mehr Fertiggerichte gibt, die immer mehr gekauft werden und wir immer weniger Zeit in der Küche und beim Essen verbringen, gibt es im Fernsehen immer mehr Kochsendungen und im Kino Kochfilme, in denen Essen hungrig machend präsentiert wird. Es gibt auch einen Kult um die Ein-, Zwei- und Drei-Sterne-Michelin-Küche, die auch in Berlin (wo die Sterne-Küche sehr günstig sein soll) eigentlich erst im dreistelligen Euro-Bereich beginnt. Ohne Getränke.
Auch in „Im Rausch der Sterne“, der neue Film von John Wells („Im August in Osage County“), nach einem Drehbuch von Steven Knight („Tödliche Versprechen – Eastern Promises“, „Peaky Blinders“), der schon in „Madame Mallory und der Duft von Curry“ zeigte, dass er die geschriebene Vorlage für einen kulinarischen Film liefern kann, dreht sich alles um das richtige Zubereiten von teuren Gerichten.
Adam Jones (Bradley Cooper) war in Paris ein Starkoch, bis einige Dinge geschahen, die für uns niemals vollständig aufgeklärt werden, die aber etwas mit Frauen, Drogen, Schulden und Kontakten zur Mafia zu tun haben und die seine Karriere ruinierten. Nachdem er in Louisiana eine selbst auferlegte Bußzeit absolvierte und dem Frauen- und Drogenkonsum abschwor, kehrt er mit seinem gewohnt großen Ego zurück in die Welt der Spitzenköche. In London will er im Nobelhotel Langham, das von Tony (Daniel Brühl, gewohnt überzeugend) geführt wird, wieder als Koch arbeiten und möglichst schnell seinen dritten Stern bekommen.
Also versammelt er eine Mannschaft begnadeter Köche, die er teils von früher kennt, um sich herum, es gibt etwas Liebestrouble mit der Köchin Helene (Sienna Miller als alleinerziehende Mutter) und es wird viel gekocht. Weshalb John Wells immer wieder hübsch drapierte kleine Portionen auf großen Tellern zeigt und die Schauspieler fluchend Essen durch den Raum werfen lässt. Sowieso herrscht ein rechter Kasernenhofton in der Nobelküche.
„Im Rausch der Sterne“ erfindet das Genre des Kochfilms nicht neu und ohne die durchgehend liebenswerten Schauspieler, die öfter nur kleinste Auftritte haben, wäre Wells‘ Film eine arg beliebige und unkritische Geschichte über das Leben eines ehrgeizigen und arroganten Sternekochs und seiner Sucht nach dem nächsten Michelin-Stern, den er vor allem deshalb verdient hat, weil er glaubt, dass er ihm zusteht. Wobei Bradley Cooper, der den Koch spielt, immer sympathisch ist. Deshalb wirkt der von ihm gespielte Adam Jones auch sympathischer als er ist. Trotz Kuchen-Backen für Helenes kleine Tochter, die gerade Geburtstag hat und diesen notgedrungen in dem Nobelrestaurant verbringen muss. Jones ist nämlich ein egozentrischer Stinkstiefel, der Brüllen mit Autorität verwechselt.
Da waren zuletzt „Madame Mallory und der Duft von Curry“ und „Kiss the Cook“ schon weiter, weil sie auch ernste Themen behandelten und in „Madame Mallory und der Duft von Curry“ das Kochen auch verschiedene Lebensphilosophien präsentierte.

Im Rausch der Sterne - Plakat

Im Rausch der Sterne (Burnt, USA 2015)
Regie: John Wells
Drehbuch: Steven Knight
mit Bradley Cooper, Sienna Miller, Daniel Brühl, Emma Thompson, Omar Sy, Matthew Rhys, Uma Thurman, Alicia Vikander, Lily James, Sarah Greene, Sam Keeley, Riccardo Scamarcio, Henry Goodman
Länge: 102 Minuten
FSK: ab 6 Jahre

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Im Rausch der Sterne“
Moviepilot über „Im Rausch der Sterne“
Metacritic über „Im Rausch der Sterne“
Rotten Tomatoes über „Im Rausch der Sterne“
Wikipedia über „Im Rausch der Sterne“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 5. Januar: Go Go Tales

Januar 5, 2015

Arte, 22.10
Go Go Tales (Italien/USA 2007, Regie: Abel Ferrara)
Drehbuch: Abel Ferrara, Scott Pardo
Ray Ruby hat ein großes Herz und er leitet einen Stripclub, der kurz vor der Pleite steht. Mit einem Lotto-Gewinn will er alle glücklich machen.
In den Neunzigern war Abel Ferrara Gott. Ich sage nur „King of New York“ und „Bad Lieutenant“. Aber seitdem fanden seine neuen Werke kaum noch den Weg nach Deutschland, geschweige denn ins Kino. Auch „Go Go Tales“, immerhin schon acht Jahre alt, erlebt heute seine große Deutschlandpremiere. Denn nach der Premiere in Cannes wurde der Film in Deutschland nur auf einigen Festivals gezeigt.
Dabei kam Ferraras Komödie, die seine Version von John Cassavetes‘ „Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“ ist, bei den Kritikern gut an. Über die grandiose Besetzung muss nichts gesagt werden.
mit Willem Dafoe, Bob Hoskins, Matthew Modine, Asia Argento, Riccardo Scamarcio, Sylvia Miles, Roy Dotrice, Joe Cortese, Burt Young, Stefania Rocca, Anita Pallenberg
Hinweise
Rotten Tomatoes über „Go Go Tales“
Wikipedia über „Go Go Tales“

Meine Besprechung von Abel Ferraras “King of New York” (King of  New York, USA 1989)

Abel Ferrara in der Kriminalakte