Neu im Kino/Filmkritik: Über „Was man von hier aus sehen kann“

Januar 4, 2023

Wenn Oma Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand in dem Dorf im Westerwald. Aber das passiert nur alle Jubeljahre. Das Dorf sieht wie eine liebevoll zusammengestellte, die alte Bundesrepublik in all ihrer provinziellen Enge und wohligem Charme repräsentierende Modellstadt aus. Zwischen Oma Selmas Okapi-Träumen geht das Leben im Dorf seinen gewohnten Gang zwischen Erwachsenwerden, Liebe und nicht eingestandener Liebe weiter. Es passiert einiges. Und doch passiert nichts.

Erzählt wird die Romanverfilmung „Was man hier aus sehen kann“ von Selmas Enkeltochter Luise, „die vor der Liebe genauso viel Angst hat wie vor dem Tod“ (Mariana Leky).

Wenn Luise lügt, fällt etwas Großes herunter. Das kann sie sich allerdings auch einbilden. Trotzdem sorgt ihr schlechtes Gewissen für einige überraschende Splattereinlagen, die sich Sekunden später als Phantasien herausstellen. Irgendwann verliebt sie sich in einen schweigsamen jungen buddhistischen Mönch, den sie im Wald trifft. Er wohnt mit seinem Glaubensbrüdern bei einer abergläubischen Hausvermieterin. Und so könnte das Leben weiter seinen geruhsamen Gang gehen.

Das ändert sich, als Selma wieder von einem Okapi träumt und die Dorfbewohner von ihrem Traum erfahren.

Aron Lehmanns „Was man von hier aus sehen kann“ ist ein zwischen Gegenwart und Vergangenheit vor sich hin mäanderndes Märchen voller skuriller Figuren. Ihre Wohnungen und die Stadt sind aus der Zeit gefallen und existieren jetzt in einer Fantasiezeit. Das ist durchaus sympathisch, aber auch arg ziellos und gefällig in seiner Beschwörung der heilen Vergangenheit des Dorflebens. Eigentlich irritieren, nachdem man sich auf diese etwas seltsame, gleichzeitig sehr vertraute und wohlige Welt eingelassen hat, nur die unpassenden, sekundenlangen Traum-Splatter-Einlagen.

Das gesagt, hat der Film „Triangle auf Sadness“ als Spitzenreiter der der Arthouse-Kinocharts abgelöst.

Was man von hier aus sehen kann (Deutschland 2022)

Regie: Aron Lehmann

Drehbuch: Aron Lehmann

LV: Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann, 2017

mit Corinna Harfouch, Luna Wedler, Karl Markovics, Ava Petsch, Cosmo Taut, Rosalie Thomass, Benjamin Radjaipour, Katja Studt

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Was man von hier aus sehen kann“

Moviepilot über „Was man von hier aus sehen kann“

Wikipedia über „Was man von hier aus sehen kann“

Perlentaucher über den Roman „Was man von hier aus sehen kann“

Meine Besprechung von Aron Lehmanns „Highway to Hellas“ (Deutschland 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Mika Kaurismäkis „Grump“

November 28, 2022

Grump ist, wie sein Name verrät, ein grummeliger, immer schlecht gelaunter, von seiner Meinung überzeugter Mittsiebziger. Als er seinen über alles geliebten, ihn seit Ewigkeiten überallhin befördernden roten 72er Ford Escort zu Schrott fährt, braucht der in Finnland auf dem Land lebende Witwer ein neues Auto. Und das muss ein roter 72er Ford Escort sein. Grumps Nachbar findet im Internet genau so einen Oldtimer. Der Verkäufer lebt in der Nähe von Bonn.

Also macht Grump sich auf den Weg. In Hamburg trifft er durch eine Verkettung unglücklicher Umstände, die uns hier nicht weiter zu interessieren brauchen, seinen Bruder Tarmo. Früher waren sie ständig zusammen. Seit vierzig Jahren haben sie kein Wort mehr miteinander gesprochen. Tarmo ist das Gegenteil von Grump: er lebt in einem Wohnwagen, ist nett, lebensbejahend, tolerant, allgemein beliebt und neugierig.

Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in Richtung Bonn. Nach dem Kauf des Ford Escorts geht es ohne Umwege zur nächsten Familienzusammenführungen. Denn Tarmo hat eine Tochter, die er seit Ewigkeiten nicht gesehen hat.

Während Grump und sein Bruder durch Deutschland fahren und sich wieder näher kommen, warten in Finnland Grumps Söhne auf seine Rückkehr. Sie sehen sich schon seit Ewigkeiten nur noch ab und zu und sie müssen sich jetzt, während sie einige Tage auf dem Hof ihres Vaters verbringen, ihren familiären und finanziellen Problemen stellen.

Grump“, der neue Film von Mika Kaurismäki, ist ein in Finnland und Deutschland spielendes Road-Movie mit einem schon von der ersten Minute an absehbarem positiven Ende. Denn Kaurismäki spult das sattsam bekannte hamonieselige Feelgood-Programm ab. Nur dass er die Geschichte nordisch unterkühlt erzählt. Einige schräge Figuren, ebenso schräger Humor und Grumps herrlich ichbezogen und von der Richtigkeit seiner Meinung überzeugten Sätze sorgen für vergnügliche Momente.

Am Ende ist „Grump“ eine rundum nette und harmlose Mischung aus Road-Movie und Feelgood-Movie.

Die Originalfassung ist zweisprachig.

 

Grump (Mielensäpahoittaja Eskorttia etsimässä, Finnland/Deutschland 2022)

Regie: Mika Kaurismäki

Drehbuch: Daniela Hakulinen, Tuomas Kyrö

LV: Grump-Romane von Tuomas Kyrö

mit Heikki Kinnunen, Kari Väänänen, Ville Tihonen, Likka Forss, Rosalie Thomass, Tiina Lymi, Mari Perankoski, Silu Säppälä, Samu Haber

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Grump“

Moviepilot über „Grump“

Wikipedia über „Grump“ 

Meine Besprechung von Mika Kaurismäkis „The Girl King“ (The Girl King, Fnnland/Deutschland/Kanada/Schweden 2015)

Meine Besprechung von Mika Kaurismäkis „Master Cheng in Pohjanjoki“ (Master Cheng, Finnland/China/Großbritannien 2019)

Meine Besprechung von Mika Kaurismäkis „Eine Nacht in Helsinki“ (Yö Armahtaa, Finnland 2020)


TV-Tipp für den 1. September: Polizeiruf 110: Er sollte tot

August 31, 2022

Am Dienstag, den 6. September, feiert Dominik Graf seinen siebzigsten Geburtstag. Deshalb werden in den nächsten Tagen mehrere seiner Filme gezeigt; mit dem erwartbarem Schwerpunkt auf seinen neueren und bekannteren Filmen, wie dem heutigem Polizeiruf:

RBB, 22.15

Polizeiruf 110: Er sollte tot (Deutschland 2006)

Regie: Dominik Graf

Drehbuch: Rolf Basedow

Die junge Prostituierte Maria ermordet den Rentner Waller. In dem Verhör will Kommissar Tauber herausfinden, warum sie das tat.

Für sein Drehbuch stützte Rolf Basedow sich auf die Protokolle eines wahren Falles aus Schleswig-Holstein. Und Dominik Graf inszenierte das Zusammentreffen zwischen dem ruppigen, einarmigen Kommissar Tauber und der jungen Mörderin mit seiner gewohnten Meisterschaft.

Zu den gemeinsamen Arbeiten von Dominik Graf und Rolf Basedow (als Drehbuchautor) gehören „Sperling und das Loch in der Wand“, „Sperling und der brennende Arm“, „Hotte im Paradies“ (diese Zuhälterstudie könnte mal wieder gezeigt werden), „Zielfahnder: Flucht in die Karpaten“ und die TV-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“.

Mit Edgar Selge, Michaela Mey, Rosalie Thomass, Jochen Striebeck, Eisi Gulp, Ulricke C. Tscharre, Klaus Lemke

Hinweise

ARD über den „Polizeiruf 110″

Wikipedia über „Polizeiruf 110: Er sollte tot″

Meine Besprechung von Dominik Grafs „Schläft ein Lied in allen Dingen“

Meine Besprechung der von Dominik Graf inszenierten TV-Serie  „Im Angesicht des Verbrechens“

Meine Besprechung von Johannes F. Sieverts Interviewbuch „Dominik Graf – Im Angesicht des Verbrechens: Fernseharbeit am Beispiel einer Serie“

Meine Besprechung von Chris Wahl/Jesko Jockenhövel/Marco Abel/Michael Wedel (Hrsg.) “Im Angesicht des Fernsehens – Der Filmemacher Dominik Graf”

Meine Besprechung von Dominik Grafs “Die geliebten Schwestern” (Deutschland/Österreich 2013/2014)

Meine Besprechung von Dominik Grafs Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ (Deutschland 2021)

Dominik Graf in der Kriminalakte


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: „Die Känguru-Verschwörung“ bestätigt die richtige Weltsicht

August 25, 2022

Nach einem gescheiterten romantischen Abendessen im Dunkelrestaurant – Marc-Uwe war etwas unbeholfen und sein Mitbewohner, der ohne eine Einladung dabei war, kommentierte alles süffisant und schaltete im Restaurant das Licht an – hofft Marc-Uwe auf eine zweite Chance bei seiner großen Liebe Maria. Er wettet mit ihr, dass er ihre Mutter aus ihrem verschwörungstheoretischem Wahn wieder in die reale Welt zurückholt. Dabei soll ihm sein Mitbewohner, das Känguru, helfen. Es ist ein echtes Känguru, das bei ihm wohnt, redet, politisiert, klugscheißt und sich durchschnorrt. Die Geschichte ihrer ersten Begegnung wird in „Die Känguru-Chroniken“ erzählt.

Das von Marc-Uwe Kling erfundene Känguru hatte seinen ersten Auftritt 2008 in dem wöchentlichen Podcast „Neues vom Känguru“ beim RBB-Radiosender „Fritz“. Die kurzen Geschichten kamen gut an. Später wurden sie als Bücher veröffentlicht und zu Bestsellern. 2020 kam mit „Die Känguru-Chroniken“ die Verfilmung in die Kinos. Die Komödie war das erste prominenten Opfer der Covid-Pandemie. Denn kurz nach dem erfolgreichen Kinostart schlossen die Kinos. Trotzdem sahen über 800.000 Zuschauer den Film in den Kinos. Er steht auf dem neunten Platz der besucherstärksten Filme des Jahres 2020 in den deutschen Kinos. Da war eine Fortsetzung unvermeidlich. „Die Känguru-Verschwörung“ heißt sie und sie läuft jetzt in den Kinos an.

Wenn der schluffige Kleinkünstler Marc-Uwe die Wette gewinnt, muss Maria ihn zu einem Essen in Paris einladen. Wenn er verliert, muss er Maria und ihrem Sohn seine günstige, große Kreuzberger Mietwohnung überlassen.

Das Känguru kommentiert die Wette durchaus prophetisch mit der rhetorischen Frage: „Bist du wahnsinnig?“

Im folgenden erzählt „Die Känguru-Verschwörung“, wie Marc-Uwe und das Känguru versuchen, Marias Mutter ‚Diesel-Liesel‘ Lisbeth Schlabotnik von ihrem verschwörungstheoretischem Denken abzubringen. Dummerweise ist sie von den verschiedenen Verschwörungstheorien hundertfünfzig Prozent überzeugt und in der Szene der aufstrebende Star. Entsprechend desaströs verläuft für unsere beiden Helden die erste Begegnung mit Diesel-Liesel in Köpenick bei einer Diskussionsveranstaltung über die Klimalüge.

Als nächstes soll sie in Bielefeld auf der „Conspiracy Convention“ vor Adam Krieger, dem großen Star der Szene, auftreten. Das ist für Marc-Uwe und das Känguru die zweite Chance, die Wette zu gewinnen.

Die Story dient Marc-Uwe Kling, der hier neben dem Drehbuch (zusammen mit Jan Cronauer) auch die Regie übernahm, natürlich nur als grober Rahmen für eine enttäuschende Nummernrevue. Die Hauptstory wird immer wieder von Episoden unterbrochen, die mit ihr nichts zu tun haben. Sie bringen sie in keinster Weise voran und könnten ohne einen Verlust aus dem Film herausgeschnitten werden. Das sind ein Kampf mit dem Hauptmann von Köpenick, eine Auseinandersetzung mit einem BVG-Busfahrer, ein Drogentrip und ein Reenactment der Varusschlacht, in das unsere beiden Helden kurz vor Bielefeld hineinstolpern. Die beiden Hauptfiguren variieren teils aus den Känguru-Geschichten altbekannte Gags. Die Witze über Verschwörungstheorien und deren Verfechter sind nicht besonders gelungen. Viel zu oft wiederholen sie nur naheliegende und altbekannte Gags über Verschwörungstheoretiker und ihre abstrusen Theorien. Dazwischen gibt es, an den unpassendsten Stellen, das Alternative-Zitate-Spiel (in dem Zitate verändert oder den falschen Personen zugeordnet werden), und immer wieder, immer in Zeitlupe, Schnick Schnack Schnuck (bzw. Schere, Stein, Papier). Mit diesem Spiel treffen Marc-Uwe und dem Känguru Entscheidungen; wobei Marc-Uwe immer verliert.

Kling führte hier erstmals, durchaus gelungen Regie. Er hat viele Ideen. Er denkt in Filmbildern und es gibt etliche Nebenbei-Gags, die für mich zu den gelungensten Witzen des Films zählen. Allerdings nervt die immergleiche Präsentation von Schnick Schnack Schnuck, das im Film viel zu oft gespielt wird. Die Dialoge sind eher ambitionslos auf dem Niveau einer schlechteren TV-Sketch-Comedy inszeniert. Das Timing ist entsprechend. Und die Schauspieler spielen alle zu ausdruckslos. Das ist zwar angenehmer als ein permanentes Overacting, aber es ist hier einfach zu emotionslos.

Am Ende ist „Die Känguru-Verschwörung“ linksalternatives Wohlfühlkino, das niemanden überfordern oder verunsichern will. Das könnte zum Nachdenken führen.

Zum Filmstart erschien „Der Storyboard-Comic zum Film“. Dafür wurde das Storyboard, also die von Axel Eichhorst vor den Dreharbeiten gezeichnete Visualisierung des Films, die einen genauen Eindruck von dem späteren Film vermittelt, genommen und von Michael Holtschulte (Text), Ralf Marczinczik und Jan Thüring (Layout) für die Buchveröffentlichung bearbeitet. Das jetzt veröffentlichte Storyboard vermittelt einen guten, aber auch eigenständig lesbaren Eindruck von dem Film. Die Zeichnungen wirken immer wie Skizzen, die in erster Linie Anweisungen sind, die den Mitarbeitern am Set die Vision des Regisseurs vermitteln sollen. Die Dialoge und Abläufe sind aus dem Drehbuch und dem Film entnommen.

Die Känguru-Verschwörung (Deutschland 2022)

Regie: Marc-Uwe Kling

Drehbuch: Marc-Uwe Kling, Jan Cronauer

Buch zum Film: Marc-Uwe Kling/Jan Cronauer/Axel Eichhorst: Die Känguru-Verschwörung, 2022

mit Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Petra Kleinert, Michael Ostrowski, Benno Fürmann, Volker Zack, Adnan Maral, Tim Seyfi, Carmen-Maja Antoni, Melanie Straub, Daniel Zillmann, Nils Hohenhövel

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Das Buch zum Film

Marc-Uwe Kling/Jan Cronauer/Axel Eichhorst: Die Känguru-Verschwörung

Ullstein, 2022

296 Seiten

20 Euro

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Känguru-Verschwörung“

Moviepilot über „Die Känguru-Verschwörung

Wikipedia über „Die Känguru-Verschwörung“ und über Marc-Uwe Kling

Homepage von Marc-Uwe Kling

Meine Besprechung von Dani Levys Marc-Uwe-Kling-Verfilmung „Die Känguru-Chroniken“ (Deutschland 2020) und der Vorlage(n)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland“ (2017)

Meine Besprechung von Marc-Uwe Klings „Qualityland 2.0 – Kikis Geheimnis“ (2020)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: „Die Känguru-Chroniken“ transformieren ins Kino

März 5, 2020

Die erste Begegnung läuft im Film genauso undramatisch wie im Buch ab: ein Känguru klingelt und fragt Marc-Uwe Kling, ob er Eier für einen Eierkuchen habe. Kling, eigentlich Marc-Uwe, gibt sie ihm. Ohne sich über das sprechende Känguru zu wundern. Kurz darauf klingelt das Känguru wieder und fragt nach dem Salz. Marc-Uwe gibt es ihm. Nachdem das Känguru sich alle Zutaten für den Eierkuchen zusammengeschnorrt hat, fällt ihm auf, dass es keinen Herd hat.

Das ist der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Im Buch war diese Begegnung schon vor über zehn Jahren. Den ersten Auftritt hatte das Känguru 2008 in dem wöchentlichen Podcast „Neues vom Känguru“ beim RBB-Radiosender „Fritz“. Seitdem schrieb Kling unzählige weitere Känguru-Geschichten, die er in bis heute vier Büchern veröffentlichte. Die Bücher wurden Bestseller. Die Hörbücher ebenso. Da war eine Verfilmung nur eine Frage der Zeit. Wobei die Känguru-Bücher sich gegen eine Verfilmung sperren. Sie bestehen aus kurzen, meist drei- bis vierseitigen Geschichten, die wenig bis überhaupt nicht miteinander verbundenen sind. Einige Figuren tauchen öfter auftauchen, ohne dass sie nennenswert an Tiefe gewinnen. Die Wirtin der Eckkneipe ist die Wirtin der Eckkneipe. Der tumbe Nazi der tumbe Nazi.

Für den Film musste daher eine Geschichte erfunden werden. Und die geht so: Kleinkünstler Marc-Uwe und das Känguru, das, philosophisch gebildet, Besitz ablehnt und sich daher schamlos am Eigentum anderer Menschen vergreift und durchschnorrt, leben gemütlich in Marc-Uwes Kreuzberger Altbauwohnung vor sich hin. Als der großkotzige Großinvestor Jörg Dwigs, gleichzeitig Vorsitzender der „Nationalkonservative Partei für Sicherheit und Verantwortung“ den Kiez durchsanieren und die Baugrube neben Marc-Uwes Haus mit einem edlen Schicki-Micki-Hochhaus zubauen will, ist Widerstand angesagt.

Neben diesem Hauptplot gibt es zahlreiche Episoden, die mehr oder weniger direkt auf bereits bekannten Känguru-Geschichten basieren. Dabei bediente Marc-Uwe Kling, der das Drehbuch schrieb, sich bei allen Känguru-Büchern. So hat Dwigs seinen ersten Auftritt erst im zweiten Känguru-Buch „Das Känguru-Manifest“.

Damit ist schon einmal klar, dass der Humor des Films dem der Vorlagen ähnelt. Diese sind klassische Lesebühnentexte, zu denen alle beifällig nicken können und sich niemand jemals überfordert fühlt. Es sind humorig-harmlose Schnurren. Niemand wird verletzt. Es wird auf konsensfähige Gegner eingeschlagen. Im Buch Nazis und Kapitalisten. Im Film eine AfD-ähnliche Partei und Kapitalisten. Es gibt Beobachtungen aus dem Großstadtleben, die ebenso konsensfähig sind. Eine satirische Zuspitzung oder auch eine Demaskierung des eigenen Milieus erfolgt nicht. Dafür sind die Geschichten durchgehend zu nett und zu oberflächlich. Marc-Uwe Kling will kein Max Goldt, Georg Schramm oder Wiglaf Droste sein.

Auch der Film überfordert niemals. Episodisch wird sich von einer Situation zur nächsten gehangelt. Der Kampf gegen das Bauprojekt bleibt eine erzählerische Krücke mit einem Ende, das sich in dem Moment vielleicht gut anfühlt, aber das Problem nicht löst. Es noch nicht einmal versucht. Dabei spricht der Kampf gegen Mietwucher, Großinvestoren und Gentrifizierung reale Berliner Probleme an, die auch die Probleme von allen Metropolen sind. In Berlin führte das zu einer Volksinitiative, die eine Enteignung von großen Wohnungsgesellschaften, wie Deutsche Wohnen, fordert, und einem Mietendeckel.

Die Anspielungen und Zitate auf und aus anderen Filmen – Ich sage nur, ergänzend zu den schon im Trailer gezeigten Anspielungen, Bud Spencer, „Pulp Fiction“ (die goldene Uhr), „The Big Lebowski“ (der Teppich) – sind überdeutlich und peinlich schlecht zitiert. Der Rest spielt sich in der Kreuzberger Wohlfühlzone der saturierten Kapitalismuskritik und des Verkloppens bierbäuchiger und sehr dummer Nazis ab.

Von Regisseur Dani Levy hätte ich mehr als diesen rundum harmlos-gefälligen Klamauk erwartet.

Fans der Känguru-Geschichten werden sich allerdings genau darüber freuen.

Die Känguru-Chroniken (Deutschland 2020)

Regie: Dani Levy

Drehbuch: Marc-Uwe Kling

LV: Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken, 2009 (naja, eigentlich eher „lose inspiriert“)

mit Dimitrij Schaad, Rosalie Thomass, Adnan Maral, Tim Seyfi,Carmen-Maja Antoni, Bettina Lamprecht, Henry Hübchen, Oscar Strohecker, Volker Zack, Paulus Manker

Länge: 92 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Lesehinweis

 

Wer tiefer in die Welt von Marc-Uwe Kling und seinem Mitbewohner einsteigen will, kann zwischen zwei neuen Ausgaben ihrer Abenteuer wählen. Für den schmalen Geldbeutel erschien der erste Band der Känguru-Geschichten im Filmcover. Der Rest entspricht den früheren Ausgaben.

Als Ostergeschenk eignet sich der Sammelband „Die Känguru-Tetralogie“, der alle bislang erschienenen Känguru-Bücher in einem schicken Schuber enthält. Die Bücher haben einen festen Einband. Ansonsten unterscheiden sie sich nicht von früheren Ausgaben.

Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Chroniken

Ullstein, 2020 (mit Filmcover)

272 Seiten

10,99 Euro

Marc-Uwe Kling: Die Känguru-Tetralogie (Die Känguru-Werke)

Ullstein, 2020

1184 Seiten

36 Euro

enthält

Die Känguru-Chroniken, 2009

Das Känguru-Manifest, 2011

Die Känguru-Offenbarung, 2014

Die Känguru-Apokryphen, 2018

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Känguru-Chroniken“

Moviepilot über „Die Känguru-Chroniken“

Wikipedia über „Die Känguru-Chroniken“

Homepage von Marc-Uwe Kling

Meine Besprechung von Dani Levys „Die Welt der Wunderlichs“ (Deutschland/Schweiz 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Es führt keine „Highway to Hellas“

November 27, 2015

Das ist nicht „Local Hero“. Das ist nicht „Local Hero“. Das ist nicht „Local Hero“, obwohl die Prämisse von „Highway to Hellas“ sehr nach „Local Hero“ klingt, dieser herzigen Komödie von Bill Forsyth, in der ein US-Amerikaner aufgrund seines schottischen Namens ein abgelegen an der Küste gelegenes schottisches Dorf überzeugen soll, dass eine riesige Ölraffinerie vor der Haustür eine tolle Angelegenheit sei.
In „Highway to Hellas“ soll Jörg Geissner für die AVO-Bank die Sicherheiten für einen Kredit, den die Bank der griechischen Insel Paladiki vor Jahren zur Entwicklung des Tourismus gewährte, überprüfen. Die Inselbewohner sind von dem Besuch aus Deutschland nicht begeistert. Aber südländisch gewitzt wie sie sind, wollen sie den stocksteifen deutschen Aktenfresser so lange an der Nase herumführen, bis er bestätigt, dass die in der Realität nicht vorhandenen Sicherheiten für den Kredit vorhanden sind.
Deshalb beginnen die wenigen Inselbewohner (insgesamt scheint die Insel mit einem großen Leerstand bezugsfertiger Wohnungen nur von einer Handvoll Menschen bewohnt zu sein) mit einer Charade, die alles das enthält, was einem halt so einfällt, wenn man die bekannten Klischees über Griechenland und die Südeuropäer so sammelt. Es gibt also bunte Fassadenhäuser, epische Beerdigungen, reichlich Alkohol und wonneproppige Frauen. Es gibt Improvisationen und kleine Gemeinheiten, wenn Herr Geissner (gespielt von Christoph Maria Herbst, der seit Stromberg nur noch einen Typ spielen darf) auf einem Esel reitet oder, tags drauf, Sozius auf dem Motorrad des deutsch-griechischen Klein-Casanova-Einzelhändlers Gigolo Panos (Adam Bousdoukos) sein darf, das natürlich prompt liegen bleibt.
Diese eher weniger witzigen Episoden plätschern dann so aufregend wie eine schlechte „Traumschiff“-Folge bis zum vorhersehbaren und auch unbefriedigenden Ende vor sich hin. Da gibt es dann sogar ein, zwei Überraschungen, die, wenn sie früher präsentiert worden wären, auch aus dieser arg vor sich hin langatmigen Geschichte einen besseren Film gemacht hätten.
Allerdings, das muss auch gesagt werden, taugt das auf Harmonie machende Ende noch nicht einmal als Scheinlösung. Jedenfalls wenn man sich nur eine Zehntelsekunde fragt, was jetzt aus den Plänen der AVO-Bank wird. Diese und der Widerstand der Inselbewohner dagegen hätten die Grundlage für einen guten Film sein können. Aber die Macher drehten einen anderen Film.
So ist „Highway to Hellas“ vor allem behauptete Völkerverständigung mittels sich bestätigender Klischees.

Highway to Hellas - Plakat

Highway to Hellas (Deutschland 2015)
Regie: Aron Lehmann
Drehbuch: Arnd Schimkat, Moses Wolff, Aron Lehmann
LV/Buch zum Film (oder so): Arndt Schimkat/Moses Wolff: Highway to Hellas, 2014
mit Christoph Maria Herbst, Adam Bousdoukos, Akillas Karazisis, Christos Valavanidis, Giorgos Kotanidis, Rosalie Thomass, Eva Bay, Errikos Litsis, Gitta Schweighöfer
Länge: 89 Minuten
FSK: ab 6 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Filmportal über „Highway to Hellas“
Film-Zeit über „Highway to Hellas“
Moviepilot über „Highway to Hellas“


TV-Tipp für den 25. Juni: Tod einer Polizistin

Juni 24, 2015

ZDFneo, 20.15
Tod einer Polizistin (Deutschland 2013, Regie: Matti Geschonneck)
Drehbuch: Magnus Vattrodt, Bernd Lange
Polizistenmörder Frank benutzt eine Anhörung zur Flucht aus dem Gefängnis. Während die Berliner Polizei nach ihm fahndet, will er sich an den Menschen rächen, die ihn damals ins Gefängnis brachten. Ganz oben auf seiner Liste ist der legendäre Kommissar Theweleit.
Spannender Krimi mit gut aufgelegten Darstellern und einigen Twists; vor allem nachdem eine junge Polizistin sich noch einmal den alten Fall ansieht.
mit Götz George, Jürgen Vogel, Rosalie Thomass, Uwe Kockisch, Uwe Preiss, Michael Schenk, Therese Hämer
Hinweise
Filmportal über „Tod einer Polizistin“
Wikipedia über „Tod einer Polizistin“


TV-Tipp für den 26. März: Tatort: Tempelräuber

März 26, 2015

WDR, 20.15

Tatort: Tempelräuber (Deutschland 2009, Regie: Matthias Tiefenbacher)

Drehbuch: Magnus Vattrodt

Buch zum Film: Martin Schüller: Tempelräuber, 2010

In Münster wird ein Priester ermordet. Während Kommissar Thiel versucht, den Mörder des Leiters des Sankt-Vincenz-Seminars zu finden, mischt sich Gerichtsmediziner Boerne mal wieder, auch mit zwei gebrochenen Armen, ungefragt in die Ermittlung ein.

Gewohnt witziger „Tatort“ des Teams Thiel/Boerne, in dem die Witze Hauptsache und die Mördersuche Nebensache sind.

mit Axel Prahl, Jan Josef Liefers, Friederike Kempter, Christine Urspruch, Mechthild Grossmann, Claus Dieter Clausnitzer, Ulrich Noethen , Rosalie Thomass, Johanna Gastdorf, Wolf-Niklas Schykowski, Marita Breuer

Hinweise

Tatort-Fundus über Kommissar Thiel

Meine Besprechung von Martin Schüllers „Tempelräuber“


Neu im Kino/Filmkritik: Ist „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ nichts für Feiglinge?

April 18, 2013

 

Nachdem die anscheinend allseits beliebte Mutter bei einem Unfall stirbt, stehen ihr Ehemann Markus Färber (Wotan Wilke Möhring), seine Mutter Gerlinde (Christine Schorn) und seine Tochter Kim (Helen Woigk) vor der Frage, wie sie mit dem plötzlichen Verlust umgehen sollen.

 

Markus versucht die Normalität aufrecht zu erhalten. Dass er eine Catering-Firma leitet hilft ihm etwas. Kim, die ihre Klassenkameraden und Lehrer gerne mit ihrem Gruftie-Look und ihrer Ihr-könnt-mich-alle-am-Arsch-lecken-Attitüde verstört, zieht sich noch weiter zurück. Denn für sie war ihre Mutter auch eine Vertraute und Freundin und jetzt kümmert sich niemand mehr um sie. Gerlinde erfährt, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt ist und demnächst sterben wird. Sie will ihrem Sohn nicht zur Last fallen und schwindelt ihm etwas von einer Reise vor, während sie versucht sich mit Paula (Rosalie Thomass), einer Altenpflegerin, die gerne Schauspielerin wäre und immer Zeit hat, zu arrangieren.

 

Kim findet in Alex (Frederick Lau), einem Schulabbrecher aus reichem Haus mit einer kleinkriminell-punkigen Attitüde, einen Gleichgesinnten, in den sie sich auch verliebt und mit ihm nach Dänemark flüchtet.

 

Markus frisst den Verlust weiter in sich hinein und, als er erfährt, dass seine Mutter todkrank ist und seine Tochter gerade Richtung Dänemark auf einem Bonnie-and-Clyde-Trip unterwegs ist, bricht er mit seiner Mutter und ihrer Pflegerin nach Norden auf. Zur Familienzusammenführung.

 

Das Leben ist nichts für Feiglinge“, der neue Film von „Arschkalt“-Regisseur André Erkau, nach dem Roman von Gernot Gricksch, der auch das Drehbuch schrieb, ist ein Ensemblestück, das als Dramödie unentschlossen zwischen Drama und Komödie pendelt und einige Lebensweisheiten verkaufen will. Dummerweise nicht gelungen. Denn Erkau kann sich nicht entscheiden, welche Geschichte die Hauptgeschichte ist. Also erzählt er die drei Geschichten fast gleichwertig, mit viel zu vielen vorhersehbaren Wendungen und einer nie stimmigen Mischung aus Komödie und Drama. Vor allem die Szenen mit Markus wirken immer eine Spur zu gewollt. Mit Gerlinde geht es dann in Richtung Tapfere-Alte-trotz-der-Welt-Komödie, während es mit Kim in Richtung sattsam bekanntes Teenager-Drama geht.

 

Die ach so beliebte Mutter bleibt ein Phantom, das schon vor dem Filmbeginn gestorben ist und im Film höchstens in Halbsätzen erwähnt wird. Entsprechend schlecht kann gerade bei Kim nachvollzogen werden, warum für sie ihre Mutter so wichtig war und warum die Beziehung zu ihrem Vater so zerrüttet ist. Denn eigentlich wirkt Markus ziemlich okay. Es bleibt auch unklar, warum Gerlinde – abgesehen von dem göttlichen Willen des Autors, der seine Figuren wie Schachfiguren auf seinem Spielbrett bewegt – diese Charade mit dem Urlaub durchzieht.

 

So wirkt „Das Leben ist nichts für Feiglinge“ wie eine papierne Versuchsanordnung, die sich nie entscheiden kann, wessen Geschichte sie erzählen und welches Genre sie primär bedienen will.

 

Das Leben ist nichts für Feiglinge - Plakat

 

Das Leben ist nichts für Feiglinge (Deutschland 2012)

 

Regie: André Erkau

 

Drehbuch: Gernot Gricksch

 

LV: Gernot Gricksch: Das Leben ist nichts für Feiglinge, 2010

 

mit Wotan Wilke Möhring, Helen Woigk, Christine Schorn, Frederick Lau, Rosalie Thomass

 

Länge: 98 Minuten

 

FSK: ab 12 Jahre

 

 

Hinweise

 

Deutsche Homepage zum Film

Facebook-Seite zum Film

 

Film-Zeit über „Das Leben ist nichts für Feiglinge“

 

Droemer-Knaur-Verlagsseite über Gernot Gricksch

 

Meine Besprechung von André Erkaus „Arschkalt“ (Deutschland 2011)