Neu im Kino/Filmkritik: Paradies gesucht, „Eden“ gefunden

April 3, 2025

1932 machen sich der 42-jährige Weltkriegsveteran und Staatsangestellte Heinz Wittmer (Daniel Brühl) mit seiner schwangeren jüngeren Ehefrau Margret (Sydney Sweeney) und seinem Sohn Harry auf den Weg zur im Galápaos-Archipel liegenden Insel Floreana.

Dort leben seit 1929 als erste Bewohne der Insel der Berliner Arzt und Schmalspurphilosoph Dr. Friedrich Ritter (Jude Law) und seine an Multiple Sklerose erkrankte Lebensgefährtin Dore Strauch (Vanessa Kirby). Sie sind Aussteiger, die mit der Welt nichts zu tun haben wollen. Er schreibt auch an einem philosophischen Manifest. In Deutschland wurde Ritter durch seine Briefe als Aussteiger bekannt. Sein Leben abseits der Zivilisation auf einer Südseeinsel wurde zeittypisch verklärt.

Ritter und Strauch lehnen die ihre Idylle störenden Neuankömmlinge schon vor der ersten Begegnung ab. Sie weisen ihnen ein unfruchtbares Stück Land an einer Höhle zu und hoffen, dass die naiven Städter schnell aufgeben und in einigen Wochen das nächste oder übernächste regelmäßig vorbeifahrende Schiff besteigen werden. Aber die Wittmers meistern die Herausforderungen.

Als wenige Monate später die Baronin Eloise Wehrborn de Wagner-Bosquet (Ana de Armas) mit ihrer Entourage auftaucht, verbünden sie sich – mehr oder weniger – gegen die Neuankömmlinge. Der Plan der Baronin, auf der Insel ein Luxushotel zu errichten, ist dann der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Zwischen März und November 1934 führen die Intrigen und Feindschaften zwischen ihnen zu einer Kette niemals vollständig geklärter Ereignisse, die mit dem Tod von drei Menschen und dem spurlosen Verschwinden von drei weiteren Menschen enden.

In seinem neuen Film „Eden“ erzählt Ron Howard diese wahre Geschichte, die in den frühen dreißiger Jahren für Schlagzeilen sorgte und seitdem mehrmals in Büchern und Filmen behandelt wurde. Es ist eine faszinierende Geschichte von Aussteigertum, Idealismus und wie deren Träume an der schnöden Realität, Dummheit und Egoismus scheitern. Ritters Utopie endet mit drei Toten und drei spurlos Verschwundenen. Die Überlebenden, die teils auf der Insel blieben, erzählten anschließend verschiedene Versionen der damaligen Ereignisse.

Ron Howard, der anfangs den Eindruck erweckt, eine möglichst nah an den historischen Fakten entlang erzählte Geschichte zu erzählen, erzählt letztendlich die damaligen Ereignisse aus der Sicht von Margret Wittmer. Sie überlebte die anderen Floreana-Aussteiger um mehrere Jahrzehnte und starb mit 95 Jahren am 21. März 2000.

Das ist jetzt nicht wirklich ein Problem des Dramas. Eher schon, dass es sich bis zum Ende nicht auf eine Erzählperspektive und Erzählhaltung festlegen will. So mäandert der Film zwischen Genres und Stilen, immer wieder mit den Frauen als treibende Kräfte, zu seinem mörderischen Ende.

Eden (Eden, USA 2025)

Regie: Ron Howard

Drehbuch: Noah Pink, Ron Howard

mit Jude Law, Daniel Brühl, Ana de Armas, Sydney Sweeney, Vanessa Kirby, Felix Kammerer, Jonathan Tittel, Toby Wallace, Paul Gleeson

Länge: 129 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Eden“

Metacritic über „Eden“

Rotten Tomatoes über „Eden“

Wikipedia über „Eden“ (deutsch, englisch) und die wahre Geschichte (jaja, Spoiler)

Meine Besprechung von Ron Howards „Rush – Alles für den Sieg“ (Rush, USA/Großbritannien/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Ron Howards „Im Herzen der See“ (In the Heart of the Sea, USA 2015)

Meine Besprechung von Ron Howards „Inferno“ (Inferno, USA 2016)

Meine Besprechung von Ron Howards „Solo: A Star Wars Story“ (Solo: A Star Wars Story, USA 2018)


Im Verhörzimmer: Jeff Nichols über „The Bikeriders“

Juni 21, 2024

1968 veröffentlichte Danny Lyon den Bildband „The Bikeriders“. In ihm sind Bilder aus dem Leben und von Mitgliedern des Outlaws Motorcycle Club und Interviews, die er mit ihnen führte. Lyon war selbst mehrere Jahre Mitglied der Bikergang. Aber die Entstehung dieses Buch ist eine andere Geschichte, die hier jetzt nicht erzählt wird.

Vor zwanzig Jahren erhielt Jeff Nichols diesen Bildband von seinem älteren Bruder. Er war sofort fasziniert von den Fotografien und wollte das Buch verfilmen. Er wusst nur nicht, wie.

Als Lyon die Mitschnitte der Interviews veröffentlichte und Nichols Kathy reden hörte, hatte er eine Idee, wie er aus dem Bildband einen Film machen könnte.

Das tat er jetzt mit einer Riege bekannter Schauspieler, wie Jodie Comer als Kathy, die „Erzählerin“ des Films und Frau von Benny, Austin Butler als Benny, die Nummer 2 in der Bikergang, Tom Hardy als Johnny, Gründer und Anführer der fiktiven Bikergang Vandals, Michael Shannon, Norman Reedus und Boyd Holbrook als Mitglieder der Vandals und einer oft peinlich genauen Nachstellung der Bilder aus dem Bildband. Einige von Lyons Aufnahmen werden Im Abspann des Films gezeigt.

Obwohl Nichols viel Zeit und Mühe in eine authentische Rekreation der sechziger Jahre und dem Leben in einer Bikergang steckte und wahrscheinlich jeder andere Regisseur den Film als „eine wahre Geschichte“ oder als „inspiriert von einer wahren Geschichte“ verkauft hätte, erfand Jeff Nichols eine Bikergang. Im Interview erklärt er, warum er das tat.

The Bikeriders“ ist ein Film iwie ein Bildband, den man geruhsam durchblättert, in den vorzüglichen Fotografien versinkt und dabei den Text, eine ebenfalls vorzügliche Reportage, garniert mit Interviews, liest. Es ist ein guter Film mit Auslassungen. Die negativen Seiten der Motorradgangs, ihre Gewalttätigkeit, ihre Verbrechen und ihre politische Einstellung, werden kaum beleuchtet oder in die Zeit nach dem Filmende verschoben. „The Bikeriders“ hat auch keine emotional packende Geschichte nach den Regeln eines konventionellen Hollywood-Dramas. Sein Film ist eine Reportage über den Aufstieg und Niedergang des Gründers eines Motorradfahrerclubs und die Liebesgeschichte zwischen einer Frau, die als Fremde die Welt der Bikergangs betritt und sich in ein Mitglied der aus gesellschaftlichen Outsidern bestehenden Gruppe verliebt. Außerdem hat der Film ein wundervoll zwiespältiges, fast schon zynisches Ende, über das wir uns während des Interviews nicht unterhielten

Als Jeff Nichols vor einigen Tagen Berlin besuchte, unterhielten wir uns im Waldorf Astoria über den Weg zum Film, das Verhältnis von Fakten zu Fiktion, die Besetzung, die Struktur des Films, wie wichtig für ihn das von ihm geschriebene Drehbuch ist, in welchem Rahmen die Schauspieler improvisieren dürfen und das Thema des Films.

Frage

Seit zwanzig Jahren wollen Sie Danny Lyons Bildband „The Bikeriders“ verfilmen. Warum hat es so lange gedauert?

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Jeff Nichols

Mein Bruder Ben hat es mir damals gegeben. Ich bin der jüngste von drei Jungs. Ben ist mein ältester Bruder. Er spielt in einer Band namens Lucero. Er war immer der Coolste in unserer Familie. Und er hat mir das coolste Buch gegeben, das ich je gelesen habe. Erzählerisch war ich noch nicht weit genug. Ich wusste nicht, wie ich die Geschichte erzählen sollte. Ich verstand, was Danny getan hatte. Er war nicht nur ein Fotograf, sondern tatsächlich ein Anthropologe. Mit seinen Fotos und Interviews hatte er eine Subkultur in ihrer Gesamtheit eingefangen.

Als Filmemacher, der Menschen in eine Welt entführen will, mit der sie vielleicht nicht vertraut sind oder in der sie sich nicht wohl fühlen, braucht man all diese Details. Danny hatte sie alle auf wirklich schöne Weise gesammelt. Ich musste mir nur eine Handlung ausdenken, und das hat mich etwa 20 Jahre gekostet.

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Frage

Apropos Danny. Wenn ich es richtig verstehe, spielt in diesem Film nur Mike Faist eine reale Person. Alle anderen Figuren sind fiktionalisierte Versionen echter Menschen.

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Jeff Nichols

Alle Figuren sind fiktionalisiert. Sogar Dannys Version. Vor kurzem unterhielt ich mich mit Danny und er meinte, das sei das Einzige, was ihm an dem Film nicht gefalle. Er sei viel schmutziger als Mike Faist. Er nimmt die Tatsache, dass er selbst ein Rebell war, wirklich sehr ernst.

Es ist wirklich schwierig, das zu erklären oder darüber zu sprechen. Im Buch wurde eine echte Kathy interviewt. Es gab einen echten Mann namens Johnny, der diesen Club gegründet hat. Kathy war mit einem echten Mann namens Benny verheiratet. Andere Charaktere sind Amalgame. Da war ein Typ namens Brucie, aber er ist nicht so gestorben, wie ich es im Film erzähle. Ungefähr siebzig Prozent der Dialoge im Film sind wahrscheinlich direkt aus diesen Interviews übernommen. Aber die Handlung ist komplett von mir erfunden. Es gab nie diese Dreiecksbeziehung zwischen den drei Personen. Kathy war mit Benny verheiratet, aber ich habe keine Ahnung, wie Johnny sich fühlte. Johnny war in dem Buch keine wirklich wichtige Figur. Sie sind Menschen. Es ist also eine Art hybrider narrativer Dokumentarfilm.

Ich habe ziemlich schnell gemerkt, wenn Kathy heute noch leben würde und zu mir käme, könnte ich ihr nicht in die Augen sehen und sagen: „Ich habe deine Geschichte erzählt.“ Ich habe ihr Interview von 1965 genommen. Den Rest habe ich erfunden. Ich habe keine Ahnung, was mit Kathy danach passiert ist.

Also sagt man am besten, mein Film ist eine Erfindung, die stark von diesen Interviews und diesen Leuten beeinflusst ist.
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Frage

Sie sind Autor und Regisseur. Sie machen also beides. Was waren für Sie in „The Bikeriders“ und in „Loving“ (sein Drama über den Fall des Ehepaares Loving, der 1967 zu einem einsitmmigen Urteil des Obersten Gerichtshofs führte, das ein Verbot von Eheschließungen aufgrund von Rassenmerkmalen für verfassungswidrig erklärte) die Herausforderungen beim Erzählen einer Geschichte mit bereits existierende Charakteren?

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Jeff Nichols

Es war interessant, „The Bikeriders“ nach „Loving“ zu machen. Ich glaube nicht, dass ich diesen Film ohne „Loving“ hätte machen können. Es sind zwei völlig unterschiedliche Projekte. Nicht nur ästhetisch oder erzählerisch, sondern auch in der Art und Weise, wie ich an sie herangegangen bin. Bei „Loving“ wollte ich mir nichts ausdenken. Als weißer, 1978 geborener Mann aus der Mittelschicht war es nicht meine Aufgabe, ihre Geschichte zu fiktionalisieren. Meine Aufgabe war es, so viel wie möglich über sie als Menschen zu erfahren und sie so angemessen wie möglich darzustellen. Das war bei „The Bikeriders“ anders.

Ich interessiere mich eigentlich nicht sehr für die Motorradkultur. Die heutigen Biker-Gangs sind mir vollkommen egal. Was mich interessierte, waren die Menschen, die Danny interviewte. Irgendwann wurde mir klar, dass mir die Fiktionalisierung die Freiheit geben würde, näher an das Buch heranzukommen. Es gibt ein Gefühl, das man bekommt, wenn man das Buch liest und wenn man sich die Fotos ansieht. Es gibt eine Spannung zwischen den Fotos und den Interviews. Die Fotos sind romantisch. Sie sind wunderschön. Die Interviews sind manchmal bösartig, manchmal humorvoll. Aber die Fassade ist definitiv weg. Zwischen ihnen entsteht eine Spannung. Um das im Film zu erreichen, musste ich es fiktionalisieren. Wenn ich mich der Herausforderung gestellt hätte, nur zu versuchen, die Geschichte der Chicago Outlaws zu erzählen, den echten Club, den Danny fotografierte und der zur zweitgrößten Motorradgang der Welt wurde, dann wäre das nicht die Geschichte, die mir wichtig war. Die Geschichte, die mir wichtig war, waren die Menschen.
Also brauchte ich die Freiheit, alles drumherum fiktionalisieren zu können, damit ich tatsächlich zu dem gelangen konnte, was ich für das Wesentliche hielt.

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Frage

Austin Butler sieht in seiner Rolle wie James Dean aus. War sein Aussehen von Anfang an geplant?

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Jeff Nichols

Ich würde sagen, es liegt nicht am Aussehen. Es war etwas, das ich beim Drehen entdeckt habe und das sich beim Schnitt noch vertieft hat, und es war eine Fehlkalkulation meinerseits. Wenn diese echte Frau, Kathy, über den Mann spricht, den sie geheiratet hat, Benny, spricht sie davon, dass er emotional nicht erreichbar war. Er ist innerlich irgendwie tot. Austin Butler ist dagegen so unglaublich charmant. Beim Dreh sagte ich immer wieder zu ihm: „Hör auf zu lächeln.“ „Nein, hör auf zu lächeln.“ Und er konnte es nicht. Er konnte nicht anders. Ich sagte: „Nein, du musst emotional nicht erreichbar sein. Du musst innerlich tot sein.“ Aber ich hatte Austin Butler, der das Gegenteil von innerlich tot ist.
Er ist voller Emotionen, aber sein Mund ist verschlossen. Er kann nicht reden. Das ist James Dean. Wenn Sie sich „Rebel Without a Cause“ (… denn sie wissen nicht, was sie tun) ansehen, ist da ein Mann, der nicht in der Lage ist, all das auszudrücken, was in ihm vorgeht. Wir hatten das Glück, dass Austin Butler dabei war. Er war besser als sein Regisseur.

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Frage

Ist „The Bikeriders“ der neue „Easy Rider“ oder „The Wild One“ (Der Wilde) (In „The Bikeriders“ wird er im Fernsehen gezeigt. Danach gründet Johnny die Vandals) für unsere Generation oder ist er etwas völlig anderes?

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Jeff Nichols

Ich denke, mein Film ist etwas Eigenes. Die von ihnen genannten Filme waren repräsentativ für ihre Zeit.

Wenn man sich „The Wild One“ ansieht, ist er sehr stark ein Produkt des Studiosystems der fünfziger Jahre. Er beginnt mit diesem kitschigen Bild von Marlon Brando auf einem falschen Motorrad mit einer Rückprojektion hinter ihm. Heute sieht das fast absurd aus. Trotzdem hat „The Wild One“, was ich faszinierend finde, die Idee der Rebellion besser auf den Punkt gebracht als vielleicht irgendjemand davor oder danach. Wogegen rebellierst du? Was willst du? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Teenager auf der Welt gibt, der dem nicht zustimmt, oder ein Punkrock-Kid. Das Erstaunliche ist, dass man dann fünfzehn Jahre später „Easy Rider“ sieht. Was zum Teufel ist in diesen fünfzehn Jahren in der Gesellschaft und in der Kultur passiert, um ihr jetzt diesen Gegenkultur-Drogenfilm zu geben? Er ist im Grunde ein unabhängiger amerikanischer Film, der aus einem völlig anderen System als „The Wild One“ hervorgegangen ist. Und was auch immer passiert ist, darüber wollte ich einen Film machen. Das, was diese beiden Filme verbindet, ist das, worüber ich einen Film machen wollte.

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Frage

Sie zeigen uns eine Männerwelt aus der Sicht einer Frau. Das finde ich interessant. Ich denke, der Film wäre anders, wenn Sie ihn aus der Perspektive von Johnny oder Benny erzählen würden. Warum haben Sie sich für Kathy entschieden?

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Jeff Nichols

Der pragmatische Grund ist, dass sie die interessanteste Person ist, wenn man sich die Interviews im Buch durchliest. Sie ist nachdenklich. Sie ist selbstironisch. Sie ist manchmal verärgert. Sie ist eine echte Person aus Fleisch und Blut, die sich mit der Realität auseinandersetzt und sich fragt, warum sie sich mitten in dieser Welt befindet. Ich habe mich in sie verliebt. Wenn man den Film nur aus der männlichen Perspektive erzählt hätte, wäre er zu schwer.

Einer der Subtexte des ganzen Films ist, dass die Männer sich nicht ausdrücken können. Warum sollte ich einen von ihnen als Erzähler auswählen? Der Film würde sich falsch anfühlen. Er wäre gestellt. Es wäre auch sehr schwierig, zum Kern der Sache vorzudringen. Aber dann ist da Kathy. Sie denkt nach. Das kann man in den Interviews lesen. Es fühlt sich an, als würde sie beim Sprechen versuchen, herauszufinden, was in ihrem Leben vor sich geht.

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Frage

Können Sie uns ein bisschen etwas über die Struktur erzählen? Sie erzählen die Geschichte nicht gerade heraus, sondern mehrfach gebrochen. Sie blicken aus der Gegenwart auf die Bikerkultur von vor sechzig Jahren zurück. Dafür benutzen sie einen Bildband und einen Reporter, der Interviews führte und in den Interviews erzählt eine Frau, wie sie eine Männergesellschaft erlebt. Die Erzählungen der Frau bilden dann das Rückgrat der Filmgeschichte.

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Jeff Nichols

Also, ich werde jetzt einiges erzählen und vielleicht beantwortet das ihre Frage.

Es gibt nur eine Szene, die ich aus diesem Film herausgeschnitten habe, und zwar eine Szene nur mit Mike Faists Charakter Danny. Es war die einzige Szene ohne Biker, und ich erinnere mich: als wir sie drehten, sagte Mike Faist zu mir: „Du wirst das niemals in den Film aufnehmen.“ Ich sagte: „Auf keinen Fall. Dies ist meine Gelegenheit, durch die Figur Danny meinen Standpunkt zu vertreten. Hier sage ich, warum es wichtig ist, mit diesen Leuten zu sprechen.“ Ich wettete mit ihm um 1000 $, dass sie drin bleiben würde.

In der Szene versuchte ich, meinen eigenen Kommentar einzubringen. Es war eine Szene zwischen Danny und einer Frau, mit der er aufs College gegangen ist. Sie waren in seinem dunklen Zimmer, der nur sein Badezimmer war. Sie sitzt da, raucht einen Joint, sieht sich seine Fotos an und fragt: „Wie kannst du mit diesen Leuten reden?“ Er gibt eine Antwort, die halb Blödsinn, halb wahr ist. Und eigentlich war ich es, der euch ansieht und die Frage stellt, warum er das gemacht hat. Ich erkannte, dass es für die Erzählung nicht wichtig war. In der Erzählung können wir darüber reden und ich kann euch meine Antwort geben, aber die Wahrheit ist, dass wir in der Filmerzählung nicht von diesen Leuten ablenken wollten. Wir wollten auf Kurs bleiben.

Es war die erste Szene, die ich aus dem Film herausgeschnitten habe. Ich hatte sie nicht einmal im Rohschnitt.

Diese Szene war direkt vor der Szene mit dem roten Kleid. In dem Moment wart bereit für die Veränderung im Film. Ich weiß also nicht, ob das ihre Frage direkt beantwortet, aber es ist definitiv Teil meines Prozesses, zu verstehen, wo mein Standpunkt hineinpasst. Und die Wahrheit ist, dass er nicht direkt in diesen Film passte.

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Frage

Die Besetzung ist offensichtlich eine All-Star-Besetzung und es ist nicht so sehr die Frage, warum Sie diese Schauspieler engagierten, sondern warum Sie sie für diese Charaktere auswählten. Können Sie uns etwas darüber erzählen?

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Jeff Nichols

Wir hatten das Glück, Mike Faist für diese Rolle zu bekommen. Diese Rolle hätte ein Mauerblümchen sein können. Es hätte jemand sein können, der einfach nur da sitzt und wartet bis er die paar Zeilen zu sagt, die er hatte. Aber Mike ist ein wirklich kluger Kerl. Er interessiert sich für Kunst. Er interessiert sich dafür, wie die Dinge funktionieren. Er schreibt selbst ein Drehbuch und möchte, glaube ich, selbst Filmemacher werden. Was man also statt eines Mauerblümchens bekommt, ist ein Mensch, der wirklich zuhört. Wenn ich also zu ihm zurückschneide ist da ein anderer Blick und er unterscheidet sich stark von den Bikern. Das hilft, weil er wirklich ein Außenseiter ist.

Ich denke, das ist ein Grund, warum der echte Danny sich nicht mit dieser Figur identifiziert. Danny hat große Anstrengungen unternommen, um sich schmutzig zu machen und ein Teil dieser Welt zu werden, damit die Jungs sich wohl genug fühlten, um sich ihm zu öffnen. Das war ein Teil, den wir anders gestaltet haben.

Wenn Sie nach dem Rest der Besetzung fragen, hatte ich wirklich Glück. Das Casting ist ein so kniffliger Prozess, weil es wirklich der wichtigste Teil ist. Ich habe Austin Butler gecastet, bevor „Elvis“ herauskam. Wissen Sie, es gibt etwas Interessantes über Benny in dem Buch. Es gibt mehrere Fotos von ihm, aber sie zeigen nie sein Gesicht und er wird nie direkt interviewt. Er wird nur von Kathy erwähnt. Er ist irgendwie mythologisch und ich habe ihn als eine solche Figur geschrieben. In der ersten Stunde des Films fühlt er sich fast wie eine Legende an. Und dann ändert sich das, wenn man Austin Butler persönlich trifft.

Er kann die Last dieser Mythologie tragen. Körperlich ist er wunderschön. Gleichzeitig steckt in ihm all das andere Zeug, über das wir gesprochen haben. Er war der erste Schauspieler, den ich für die Rolle traf, und ich habe ihn sofort engagiert.

Jodie Comer war ein Vorschlag meiner unglaublichen Casting-Direktorin Francine Maisler. Sie meinte, ich solle Jodie Comer einfach dazu bringen, die Rolle anzunehmen. Das einzige Mal, dass Francine das zuvor zu mir gesagt hat, war als sie mir für „Midnight Special“ Adam Driver empfahl. Also lernte ich, auf Francine zu hören, und glücklicherweise sagte Jodie zu. Danach sah ich sie in London in dem Ein-Frauen-Stück „Prima Facie“, das im West End lief. Ich war eigentlich in London, um Tom Hardy zum ersten Mal zu sehen. Als ich aus dem Stück kam, dachte ich, das ist die beste Aufführung, die ich je gesehen habe, und sie ist in meinem Film die Hauptdarstellerin. Ich hatte das Gefühl, ein Ass im Ärmel zu haben.

Sie ist wirklich eine der besten Schauspielerinnen, mit denen ich je gearbeitet habe. Und dann ist da noch Tom Hardy, bei dem wir einfach Glück hatten, dass er zusagte. Tom Hardy ist kein traditioneller Schauspieler. Tom Hardy ist eine Naturgewalt. Wirklich. Er ist wie ein Tornado oder ein Hurrikan oder ein Zugunglück. Man kann einfach nicht die Augen von ihm abwenden. Und er ist gefährlich und sexuell. Seine Figur wird durch Tom Hardy unglaublich verbessert. Diese Szene am Lagerfeuer, in der er Austin so nahe kommt, und es ist so sinnlich und gefährlich und unangenehm und erstaunlich. Das ist alles Tom Hardy. Es war nicht so geschrieben. Die Zeilen sind alle gleich, aber die Art, wie er ihn vorgetragen hat, war außergewöhnlich.

Das gleiche gilt für Michael Shannon. Es gibt einen Monolog, den er am Lagerfeuer hält, und ich habe ihn ziemlich wörtlich aus dem Buch übernommen. Kennen Sie die Geschichte von einem Typen, der am Abend vor der Sitzung des Einberufungsausschusses so betrunken ist, dass seine Mutter ihn aus dem Bett ziehen muss? Und dann stinkt er nach Wein und fällt bei den Tests durch. Bevor wir die Szene filmten, kommt Mike Shannon zu mir. Normalerweise reden wir nicht. Wir proben nicht, weil er so verdammt schlau ist. Wissen Sie, er macht einfach, was er tun muss. Aber er kommt zu mir und sagt: „Jeff, du findest das ziemlich lustig, oder?“ Ich antworte: „Ja, ich finde es ziemlich lustig, oder?“ Er entgegnet: „Ich finde es überhaupt nicht lustig.“ Ich dachte mir: „Also gut, zeig mir, wie du das siehst.“ Wir waren in der ersten Woche des Drehs. Er setzt sich hin und versammelt all diese jungen Schauspieler um das Lagerfeuer. Sie schauen ihn an. Allein das war schon ziemlich erstaunlich. Er fängt an, die Geschichte zu erzählen und alle lachen.

Dann kommt er zu der Stelle, an der der Musterungsbeamte ihm sagt: „Wir wollen dich nicht. Du bist eine unerwünschte Person. Wir wollen dich nicht.“ Karl Glusman, ein unglaublicher junger Schauspieler, lacht. Mike sieht ihn an und dann lachte niemand mehr. Mike nahm eine wirklich gute Rede, die ich für ihn geschrieben hatte, und macht sie großartig, weil er im Grunde in einem Rutsch die Psychologie dieser Typen enthüllt. Er zeigt, warum sie die Mainstream-Gesellschaft ablehnen, sich aber trotzdem verletzt fühlen, wenn sie als Außenseiter betrachtet werden. Das ist eine wirklich seltsame Sache. Es ist eine seltsame Psychologie, die er in dieser einen Rede perfekt auf den Punkt bringt. Das ist Michael Shannon. Ihm verdanke ich meine Karriere.

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Frage

Haben sie in dem Film eine Lieblingsszene?

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Jeff Nichols

Das ist schwierig. Der Film hat viele großartige Momente. Aber einer sticht heraus. Es gibt eine Szene, in der Tom Hardys Charakter am Ende des Films zu Kathys Haus kommt. Sie geht auf die Veranda hinaus. Ich liebe diese Szene, denn hier ist dieser Mann, der unfähig ist, danach zu fragen, was er wirklich will. Tom schafft es großartig, das in sich hineinzufressen und irgendwie zu unterdrücken. Aber es ist das, was Jody macht, während er spricht. Sie fragt immer wieder, was er braucht. Am Ende sagt er diese eine Zeile, die ich geschrieben habe, dass man alles, was man hat, in eine Sache stecken kann und diese trotzdem tut, was sie tun will. Und so denke ich sehr über das Filmemachen und das Leben im Allgemeinen.

Aber sie fragt ihn wieder: „Was brauchst du?“ Und er sagt nichts. Und sie macht diese Sache, wenn sie dich packt und mit ihren Augen verrät, dass sie erkennt, dass dieser Mann nicht in der Lage ist, zu sagen, was er wirklich sagen will. Er will sagen, ich will Benny sehen. Ich bin in Benny verliebt. Ich will mit dir reden. Denn wenn ich nicht mit Benny reden kann, bist du die Person, die am nächsten an der Person ist, die wir miteinander geteilt haben. Wir haben diesen jungen Mann miteinander geteilt und ich liebe ihn und ich habe Angst zu sterben und ich habe Angst davor, wo mein Platz in der Welt ist. Alles das will er sagen und er kann nichts davon sagen. Sie akzeptiert das. Es ist fast so, als würde sie ihn mit diesem Blick, den sie ihm zuwirft, aus der Verantworung entlassen. Und ich liebe es einfach. Ich liebe ihre Leistung in diesem Moment einfach.

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Frage

Können sie uns etwas über ihren Regiestil erzählen und wie sehr sie sich bei den Dreharbeiten an ihr Buch halten. Es gibt ja Regisseure, die keine Änderungen zulassen und andere, bei denen beim Dreh viel improvisiert wird.

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Jeff Nichols

Ich mag es nicht, wenn die Schauspieler den Dialog ändern. Ich verbringe viel Zeit mit meinen Drehbüchern und führe beim Schreiben Regie auf dem Papier. Ich kann den Film in meinem Kopf sehen. Aber dann haben Sie eine Szene, und ich habe bereits darüber gesprochen, wie Tom Hardy und Austin Butler, die von diesem Lagerfeuer gestört werden. Diese Szene ist so geschrieben, dass sich zwei Männer gegenüberstehen. Der ältere Mann sitzt auf der Kante seines Motorrads. Er steht irgendwann auf, stellt sich vor ihn und bietet ihm den Knüppel an. Ich glaube, ich habe geschrieben, dass der Knüppel ihn an der Brust berührt. Näher kommen sie sich nicht. Weil wir auf Film drehen ist das, vor allem wenn man nachts dreht, sehr schwierig. Es erfordert viel Vorbereitung. Und wir wollten diesen Film nachts auf Film drehen. Also mussten wir vorab beleuchten. Wir mussten festlegen, wo unser Kran steht. Wir hatten diese große Lampe, die diese spezielle Art von Natriumdampflicht auf diese Schauspieler werfen sollte. Und ich sagte, also, wenn hier die beiden Schauspieler sind, stellen wir einfach den Kransockel hierhin. Denn ich werde eine Über-die-Schulter-Kamera so und eine Über-die-Schulter-Kamera so machen. Unsere Kamera wird sich nie in die Richtung des Krans schwenken. Und dann steigt Tom Hardy von seinem Motorrad und kommt immer näher und näher. Mein Steadicam-Operator muss sich bewegen und was eine Einzelaufnahme sein sollte, wird zu einer Zweieraufnahme. Ich sehe zu meinem Kamermann Adam Stone rüber. Er senkt seinen Kopf, weil wir die Szene anders ausgeleuchtet haben. Toms Gesicht wird dunkel. Aber er ist so verdammt gut. Er neigt seinen Kopf. Und dieser Lichtstrahl fällt auf sein Gesicht und dann sieht es plötzlich so aus, als würde er Austin küssen. Das ist das Sexuellste, was ich je gesehen habe. Ich konnte es nicht glauben. Er hat alle Zeilen genau so gesagt, wie sie geschrieben waren. Aber durch sein Spiel ist es eine völlig andere Szene.

Wenn wir also über Improvisation sprechen, wenn wir darüber sprechen, was Schauspieler mitbringen, geht es um diese ganze Welt. Du kannst ein sehr gutes Drehbuch haben und sie können es großartig machen.

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Frage

Ihr Film hat mich auf vielen Ebenen berührt. Trotzdem war für mich das Wichtigste, dass Sie uns eine universelle Geschichte über Identität erzählen. Ich frage mich, wie wir unsere Identität aufbauen. Was sind die Einflüsse in unserem Leben? Ich glaube, wir alle möchten Teil von etwas Größerem sein und unserem Leben Sinn geben.

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Jeff Nichols

Wahrscheinlich ist die Suche nach Identität die treibendste Kraft, die es derzeit in der Gesellschaft gibt. Teilweise wegen der sozialen Medien. Jetzt möchte jeder berühmt sein. Aber in Wirklichkeit möchte jeder einzigartig sein, weil jeder seinem Leben einen Sinn geben möchte. Ich meine, wir müssen jeden Tag aus dem Bett aufstehen. Warum sollten wir einen Fuß vor den anderen setzen? Weil wir einzigartig sind. Unsere Identität, sei es durch unser Geschlecht, unsere Rasse, unsere sexuelle Orientierung, was auch immer wir wählen, je einzigartiger es ist, desto mehr Sinn haben wir. Aber weil wir Menschen sind, schließen wir uns zusammen. Wir fühlen uns zu Gruppen hingezogen. Und je einzigartiger diese Gruppe ist, desto einzigartiger wird möglicherweise deine Identität sein.

Aber wir fühlen uns auch zu gefährlichen Dingen hingezogen. Das ist Teil der menschlichen Natur. Wenn wir mit Dingen in Verbindung gebracht werden, die uns töten können, macht uns das lebendiger und unsere Identität wird prägnanter und spezifischer. Wenn Sie sich zum Beispiel ein Motorrad ansehen, ist da eine Spannung in einem Motorrad. Es ist wunderschön. Sie wollen darauf steigen, Sie wollen es fahren. Es steht für Freiheit und kann Sie in einem Sekundenbruchteil töten. Wenn Sie also auf einem Motorrad sitzen, sind Sie lebendiger.

Vielleicht fühlen sich die Leute deshalb zu diesen Gruppen hingezogen. Das kann eine äußerst positive und kraftvolle Sache sein. Es kann aber auch eine sehr, sehr gefährliche Sache sein. Ich denke, bei „The Bikeriders“ geht es um beides.

The Bikeriders (The Bikeriders, USA 2023)

Regie: Jeff Nichols

Drehbuch: Jeff Nichols

LV: Danny Lyon: The Bikeriders, 1968

mit Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Michael Shannon, Mike Faist, Norman Reedus, Boyd Holbrook, Damon Herriman, Beau Knapp, Emory Cohen, Karl Glusman, Toby Wallace, Paul Sparks, Will Oldham

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „The Bikeriders“

Metacritic über „The Bikeriders“

Rotten Tomatoes über „The Bikeriders“

Wikipedia über „The Bikeriders“ (deutsch, englisch) und Jeff Nichols (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Midnight Special“ (Midnight Special, USA 2015)

Meine Besprechung von Jeff Nichols‘ „Loving“ (Loving, USA/Großbritannien 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Filme ohne Bienen: „Im letzten Sommer“, „Animalia“, „Baby to go“, „15 Jahre“, „The Royal Hotel“

Januar 12, 2024

Beginnen wir den Überblick über die aktuellen Filmstarts (abgesehen von dem Imkerfilm) mit einem Remake, gehen dann in die Zukunft und reisen über Deutschland nach Australien.

Zehn Jahre nach ihrem letzten Film kehrt Catherine Breillat mit „Im letzten Sommer“ in die Kinos zurück. Sie erzählt die Liebesgeschichte zwischen der ungefähr fünfzigjährigen erfolgreichen Anwältin Anne (Léa Drucker) und dem siebzehnjährigen Théo (Samuel Kircher, Debüt). Théo ist der Sohn ihres Mannes aus erster Ehe. Sie gehören zur Bourgeoisie, haben zwei Mädchen adoptiert und leben ein glückliches und sorgloses Leben. Mit ihrer Affäre setzt Anne das alles aufs Spiel.

Im letzten Sommer“ ist das französische Eins-zu-eins-Remake von May el-Toukhys „Königin“ (Dronningen, Dänemark/Schweden 2019). Wie bei anderen aktuellen Remakes sind die Änderungen so gering, dass es zu einer Frage des persönlichen Geschmacks wird, welche Fassung einem besser gefällt. Und welche Schauspieler man für attraktiver hält. Also Trine Dyrholm im Original als Verführerin oder Léa Drucker. Gustav Lindh im Original als verführten und verführenden Teenager oder Samuel Kircher, der stark an Timothée Chalamet erinnert.

Größere Änderungen gibt es im dritten Akt. Sie ändern aber nichts daran, dass das Remake so nah am Original ist, dass niemand, der das Original kennt, sich das Remake ansehen muss. Es ist, als ob man einen Film, zugegebenen einen guten Film, der interessante moralische Fragen aufwirft und keine seiner Figuren verurteilt, zum zweiten Mal sieht.

Samuel Kircher erhielt die Rolle auf Empfehlung seines Bruders Paul. Der war ursprünglich für die Rolle des Siebzehnjährigen vorgesehen, aber veränderte Drehpläne verhinderten das. Er spielt jetzt in „Animalia“ eine Hauptrolle.

Im letzten Sommer (L’été dernier, Frankreich 2023)

Regie: Catherine Breillat

Drehbuch: Catherine Breillat, Pascal Bonitzer (Mithilfe) (basierend auf dem Drehbuch zu „Königin“ [Dronningen] von May el-Toukhy und Maren Louise Käehne)

mit Léa Drucker, Samuel Kircher, Olivier Rabourdin, Clotilde Courau, Serena Hu, Angela Chen

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Im letzten Sommer“

AlloCiné über „Im letzten Sommer“

Metacritic über „Im letzten Sommer“

Rotten Tomatoes über „Im letzten Sommer“

Wikipedia über „Im letzten Sommer“ (deutsch, englisch, französisch)

Animalia“ hatte seine Premiere in Cannes beim Filmfestival. In Deutschland lief Thomas Cailleys neuer Film beim letzten Fantasy Filmfest als Centerpiece. Und damit dürfte klar sein, in welche Richtung der Film geht.

In der nahen Zukunft verwandeln einige Menschen sich langsam in Tiere. Zuerst sind die Veränderungen kaum zu bemerken. Später wird aus einem Arm ein Flügel und das Sprechvermögen nimmt ab. WiesoWeshalbWarum es zu diesen Mutationen kommt, ist unklar. Aber es kann jeden treffen und der Umgang mit diesen mutierten Menschen ist schwierig. Das spüren auch der sechzehnjährige Emile (Paul Kircher) und sein Vater Francois (Roman Duris). Denn Emiles Mutter verwandelt sich in ein Tier und soll ein ein extra für die mutierten errichtetes Zentrum gebracht werden. Dort soll sie geheilt werden. Francois will in ihrer Nähe bleiben. Deshalb zieht er mit seinem Sohn um in die Provinz. Auf dem Weg zum Zentrum verunglückt der Transporter und die Passagiere flüchten in den Wald.

Während die Polizei die Flüchtlinge sucht, versuchen Francois und Emile sich in ihrem neuen Wohnort einzurichten. Francois will, während er zunehmend verzweifelt in den Wäldern seine Frau sucht, als liebender Vater und Ehemann das Richtige tun. Emilie sucht und findet neue Freunde. Da bemerkt Emilie Veränderungen bei sich. Auch er wird zu einem Tier mutieren.

Animalia“ ist ein atmosphärischer Hybrid aus Science-Fiction-, Horror- und Coming-of-Age-Film, der aus einem Minimum an Erklärungen das Maximum herausholt. Er konzentriert sich dabei auf die Vater-Sohn-Geschichte und wie sie, einzeln und gemeinsam, versuchen, mit den Veränderungen umzugehen.

Animalia (Le règne animal, Frankreich 2023)

Regie: Thomas Cailley

Drehbuch: Thomas Cailley, Pauline Munier

mit Romain Duris, Paul Kircher, Adèle Exarchopoulos, Tom Mercier, Billie Blain, Xavier Aubert, Saadia Bentaïeb, Gabriel Caballero

Länge: 128 Minuten

FSK: ab 12 Jahre (mit Eltern ab 6 Jahren erlaubt [Uhuh])

Hinweise

Moviepilot über „Animalia“

AlloCiné über „Animalia

Rotten Tomatoes über „Animalia“

Metacritic über „Animalia“

Wikipedia über „Animalia“ (deutsch, englisch, französisch)

Bleiben wir in der Zukunft und wenden uns dem Probelm der Schwangerschaft zu. Obwohl das, wenn wir uns Sophie Barthes „Baby to go“ ansehen, kein Problem mehr ist. Rachel (Emilia Clarke) und Alvy (Chiwetel Ejiofor) leben in New York in einer luxuriösen und hochmodernen Wohnung. Es ist ein Biologe, der an das Natürliche glaubt und möglichst viel von der Natur bewahren möchte. Sie ist eine aufstrebende Managerin in einem Tech-Unternehmen. Sie möchte ein Kind und ist erfreut, als sie einen der wenigen Plätze in einer Geburtsklinik bekommt. Dort könnte sie, mit einem künstlichem Brutkasten, Pod genannt, ein Kind bekommen ohne auf ihre Arbeit verzichten zu müssen. Den Pod könnte sie wie eine Babybauch-Attrappe umschnallen, sich dann wie eine normale schwangere Frau fühlen und eine innige Beziehung zu ihrem Baby aufbauen. Begleitet würde sie bei ihrer Schwangerschaft von der Künstlichen Intelligenz der Firma, die sie so anleiten würde, dass ihre Schwangerschaft für ihr Kind optimal verläuft. Auch Alvy könnte den Pod tragen und so schon vor der Geburt eine Verbindung zu seinem Kind aufbauen.

Aber Alvy würde eine natürliche Schwangerschaft bevorzugen.

Barthes‘ Idee mit den Pods für künstliche und glückliche Schwangerschaften ist bestehend. Den daraus entstehenden Konflikt zwischen künstlicher und natürlicher Schwangerschaft formuliert sie schön aus. Sie entwirft dabei, immer mild satirisch überspitzt, eine durchaus glaubwürdige Zukunft. Aber nach einem guten Auftakt wird der Film im zweiten Akt, wenn Alvy der künstlichen Schwangerschaft zustimmt, immer zäher bis hin zu einem schwachen Ende. Und so fühlt sich diese Science-Fiction-Satire trotz guter Ideen, guter Inszenierung, guten Schauspielern und liebevoller Ausstattung fast schon wie eine Zeitverschwendung an.

Baby to go (The Pod Generation, Großbritannien 2023)

Regie: Sophie Barthes

Drehbuch: Sophie Barthes

mit Emilia Clarke, Chiwetel Ejiofor, Vinette Robinson, Rosalie Craig, Jean-Marc Barr, Jelle De Beule

Länge: 110 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

ursprünglich als „The Pod Generation angekündigt

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Baby to go“

Metacritic über „Baby to go“

Rotten Tomatoes über „Baby to go“

Wikipedia über „Baby to go“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Sophie Barthes‘ „Madame Bovary“ (Madame Bovary, USA/Deutschland/Belgien 2014)

Siebzehn Jahre nach „4 Minuten“ erzählt Chris Kraus die Geschichte von Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung) weiter. Die begnadete Pianistin saß fünfzehn Jahre für einen Mord, den sie nicht begangen hat, im Gefängnis. Ihr damaliger Freund war der Täter.

Inzwischen ist ihre Jugendliebe als Gimmiemore (Albrrecht Schuch) bekannt. Aus dem Punker wurde ein erfolgreicher Schlagersänger und er ist Jury-Mitglied einer quotenträchtigen TV-Talentshow, in dem behinderte Musiker gegeneinander antreten.

Die immer noch äußerst unberechenbare und aggressive Jenny will sich an ihm rächen. Zusammen mit einem aus Syrien geflüchteten Musiker, der dort seine Hand, aber nicht seine postivie Lebenseinstellung verlor, beteiligt sie sich an der Talentshow.

Die Story von „15 Jahre“ ist eine wüste Kolportage, die einfach alles in die Geschichte packt, was gerade aktuell ist, einen guten Film oder eine gute Szene abgeben könnte. Dass vieles dabei nicht besonders glaubwürdig und wahrscheinlich ist, nimmt Chris Kraus sehenden Auges in Kauf. Die Schauspieler – Hannah Herzsprung als beständig ausflippende und um sich schlagende Pianistin, Albrecht Schuch als Parodie eines aalglatten TV-Talentshow-Jurors mit atemberaubend schlecht sitzender Perücke – werfen sich lustvoll in die unwahrscheinliche Geschichte und Chris Kraus inszeniert das kraftvoll als Rachefantasie voller physisch und psychisch Versehrter. Das Ergebnis ist halb großartiges Kino, das weder kunstvolles Arthauskino noch banales Kommerzkino ist und nie langweilt.

15 Jahre (Deutschland 2023)

Regie: Chris Kraus

Drehbuch: Chris Kraus

mit Hannah Herzsprung, Hassan Akkouch, Albrecht Schuch, Christian Friedel, Adele Neuhauser, Stefanie Reinsperger, Katharina Schüttler, Désirée Nosbusch

Länge: 144 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Filmportal über „15 Jahre“

Moviepilot über „15 Jahre“

Wikipedia über „15 Jahre“

Meine Besprechung von Chris Kraus‘ „Die Blumen von gestern“ (Deutschland 2016)

Nach Australien geht es mit den beiden Rucksacktouristinnen Hanna (Julia Garner) und Liv (Jessica Henwick). Als sie in Sydney ihren letzten Cent verfeiert haben, nehmen sie einen Job als Bedienung in dem titelgebenden „The Royal Hotel“ an. Dieses Hotel liegt im australischen Outback in der Nähe einer abgelegenen Bergbausiedlung. Es ist ein heruntergekommener Schuppen, in dem billiger Alkohol an die prollige Kundschaft, – Einheimische, Bergarbeiter und Quartalssäufer -, verkauft wird. Billy (Hugo Weaving), der Besitzer der Kneipe, heuert immer wieder arbeitssuchende Rucksacktouritinnen an. Für einige Wochen arbeiten sie als billige Arbeitskräfte im „Royal Hotel“.

Kitty Green erzählt vor allem, wie Hanna und Liv in der Kneipe arbeiten und die Kunden kennen lernen. Dabei sind sie immer wieder verstört von der australischen Saufen-bis-zum-umfallen-Trinkkultur und dem sexistischen und primitiven Verhalten der Gäste.

Viel mehr passiert bis zum Ende nicht. Es gibt keine Charakterentwicklung und keine Story, sondern nur die intensive, aber nicht sonderlich in die Tiefe gehende Beschreibung einer Situation und eines Ortes. Denn über die Trinker erfahren wir nur das, was sie in der Kneipe tun. Und das erschöpft sich im trinken und reden. Ein Film wie die Lektüre einer Feldstudie.

Die Inspiration für Kitty Green war Peter Gleesons Dokumentarfilm „Hotel Coolgardie“, den sie ziemlich genau nachstellte.

The Royal Hotel (The Royal Hotel, USA 2023)

Regie: Kitty Green

Drehbuch: Kitty Green, Oscar Redding (inspiriert von dem Dokumentarfilm „Hotel Coolgardie“)

mit Julia Garner, Jessica Henwick, Toby Wallace, Hugo Weaving, Ursula Yovich, Daniel Henshall, James Frecheville, Herbert Nordrum

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „The Royal Hotel“

Metacritic über „The Royal Hotel“

Rotten Tomatoes über „The Royal Hotel“

Wikipedia über „The Royal Hotel“ (deutsch, englisch)