Neu im Kino/Filmkritik: Aretha Franklin fordert „Respect“

November 25, 2021

Zwei Wochen nach der sehenswerten Doku „Billie – Legende des Jazz“ über die Jazzsängerin Billie Holiday kommt jetzt Liesl Tommys sehenswertes Biopic „Respect“ über die Soulsängerin Aretha Franklin in die Kinos. Tommy konzentriert sich auf die frühen Jahre der 1942 geborenen Sängerin. Nach einem 1952 in Detroit spielendem Prolog, in dem die zehnjährige Aretha Franklin mit ihrem Gesang die Abendgesellschaft ihres Vaters, des Predigers Reverend CL Franklin, erfreut, geht es weiter in das Jahr 1959 und damit zu den Anfängen von Franklins Profikarriere. Sie – ab diesem Moment wird sie von Aretha Franklins Wunschbesetzung Jennifer Hudson überzeugend gespielt – hatte schnell Erfolg. Vor allem nach ihrem Wechsel zu Atlantic folgte Hit auf Hit. Ihr Engagement für die Bürgerrechtsbewegung wird im Film eher stiefmütterlich behandelt. Das gleiche gilt für bestimmte Aspekte ihres Privatlebens, wie, dass Franklin ihr erstes Kind als Zwölfjährige, das zweite als Vierzehnjährige bekam.

Tommy erzählt Franklins Leben in den Sechzigern chronologisch bis zu ihrem Gospelkonzert 1972 in der Missionary Baptist Church in Watts, Los Angeles, das für die Doppel-LP „Amazing Grace“ aufgenommen wurde. Es ist das erfolgreichste Live-Gospel-Album aller Zeiten und Franklins größter kommerzieller Erfolg.

Mit diesem Triumph endet „Respect“. Ihr weiteres Leben wird – und das ist eine kluge Entscheidung – im Abspann mit Bildern der echten Aretha Franklin abgehandelt.

Respect“ ist in seiner konventionellen Machart nie schlecht, aber auch nie hundertprozentig überzeugend. Im Film wechseln sich Szenen aus Franklins Leben mit von ihr an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Gelegenheiten gesungenen Liedern ab. Das gibt einen guten Überblick über ihre verschiedenen biographischen Stationen und Hits. Gleichzeitig wirkt ihr Leben wie eine Abfolge mühelos erreichter Erfolge. Nie muss sie Proben. Nie gibt es Konflikte mit ihrer Band. Im Gegenteil: sogar als sie in Alabama zum ersten Mal mit einer ausschließlich aus weißen Männern bestehenden Band zusammen spielen muss, gelingt dieses Zusammenspiel sofort perfekt und die Männer folgen willig ihren Anweisungen.

In ihrem Privatleben gab es zwar Konflikte – ihre Schwangerschaften, ihre Beziehung zu ihrem Vater, ihre Beziehung zu ihrem Ehemann -, aber sie werden nie vertieft, sondern nur pflichtschuldig erwähnt. Daher bleibt auch unklar, was Aretha Franklin als Künstlerin und Mensch antreibt. Sie sagt nur einige Male, dass sie Hits will. Hits sind allerdings eine rein kommerzielle und keine künstlerische Messlatte. Immerhin endet „Respect“ mit dem Konzert in der Missionary Baptist Church, bei dem die Sängerin mit Gospelsongs zu ihren musikalischen Wurzeln zurückkehren wollte.

Respect“ ist ein überaus respektvoll verfilmter Wikipedia-Artikel mit viel Musik.

Respect (Respect, USA 2021)

Regie: Liesl Tommy

Drehbuch: Tracey Scott Wilson

mit Jennifer Hudson, Forest Whitaker, Marlon Wayans, Marc Maron, Skye Dakota Turner, Saycon Sengbloh, Hailey Kilgore, Albert Jones, Kimberly Scott, Tituss Burgess, Myk Watford, Audra McDonald, Mary J. Blige, Gilberg Glenn Brown

Länge: 146 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Respect“

Metacritic über „Respect“

Rotten Tomatoes über „Respect“

Wikipedia über „Respect“ (deutsch, englisch) und Aretha Franklin (deutsch, englisch)

AllMusic über Aretha Franklin

History vs. Hollywood über „Respect“

Meine Besprechung von Alan Elliottt/Sydney Pollacks „Aretha Franklin: Amazing Grace“ (Amazing Grace, USA 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: „Die Schöne und das Biest“ als Realfilm-Musical

März 16, 2017

Am Anfang läuft Emma Watson als Belle singend durch das französische Klischeedorf Villeneuve. Die Dorfbewohner sind ein singender und tanzender Chor und spätestens jetzt ist klar: „Die Schöne und das Biest“ ist ein Musical, das sich vollumfänglich in der Tradition bewegt, in der ganze Dörfer zu Kulissen für Gesangsnummern werden und Lieder die Handlung ersetzen. Entsprechend vernachlässigbar ist diese. Die Figuren gewinnen allein durch ihren Gesang Dimensionen.

Die sattsam bekannte Geschichte lässt sich mühelos in einem Satz zusammenfassen. Durch einen Fluch verwandelt sich der selbstsüchtige Prinz (Dan Stevens) in das titelgebende Biest. Erst wenn sich eine Frau in ihn verliebt, werden er und sein Hofstaat wieder zu Menschen.

Belle begibt sich, um ihren Vater zu befreien, in die Hände des grummeligen Biestes. Im Schloss freundet sie sich mit dem Kerzenleuchter Lumière, der Kaminuhr von Unruh, der Teekanne Madame Pottine, ihrem Sohn Tassilo, einer Teetasse, dem Kleiderschrank Madame de Garderobe, dem Staubwedel Plumette und dem Cembalo Maestro Cadenza an. Sie sind alle verwandelte Schlossbesucher; gesprochen und an wenigen Drehtagen gespielt von Ewan McGregor, Ian McKellen, Emma Thompson, Nathan Mack, Audra McDonald, Gugu Mbatha-Raw und Stanley Tucci. Außerdem ist Belle von der Schlossbibliothek begeistert. Denn sie ist nicht nur jung und schön, sondern auch klug und belesen.

Ihre freiwillige Gefangenschaft ist daher ganz erträglich, wenn dem Schlossherrn aufgrund des Fluchs nicht die Zeit für eine Rückverwandlung davonliefe und der aufgeblasene Dorfschnösel Gaston (Luke Evans) sie befreien und ehelichen möchte.

Sprechende, singende und tanzende Kerzenleuchter, Uhren, Kleiderschränke und Teekannen kennen Disney-Fans bereits aus dem erfolgreichen 1991er Zeichentrickfilm „Die Schöne und das Biest“ (Regie: Dick Purdom, Drehbuch: Linda Woolverton). Er war auch die Vorlage für Bill Condons jetzt im Kino laufende Neuinterpretation. Die Originalsongs von Alan Menken und Howard Ashman aus der 1991er Verfilmung, ergänzt um drei Songs, die Alan Menken jetzt mit Tim Rice schrieb, werden in Condons Film gesungen. Außerdem hat Condon mit 130 Minuten Laufzeit 45 Minuten mehr Zeit als Dick Purdom, der die Geschichte in 85 Minuten erzählen musste. Da kann schon ein Lied mehr geträllert und am Ende länger im Schloss gekämpft werden.

Condons Film sieht natürlich gut aus, hat etwas Humor, ist immer geschmackvoll und spricht, wie man es von Disney gewohnt ist und erwartet, Junge und Ältere an. Zur Identifikation gibt es eine taffe Heldin und ein äußerlich hässliches, in seinem Inneren zutiefst sympathisches, an sich selbst zweifelndes, überhaupt nicht furchterregendes Monster. Oh, und ein, zwei echte Überraschungen, wie – erstmals in einem Disney-Film – einen offen schwulem Charakter. Der sorgte dann auch gleich für einige Kontroversen. In Russland ist der Kinderfilm, nachdem er zunächst überhaupt nicht gezeigt werden sollte, jetzt frei ab sechzehn Jahre. Malaysia überlegt noch, wie sie mit dem Problem umgehen soll.

Aber wer Musicals wie die Pest hasst, wird höchstens erleichtert feststellen, dass in der zweiten Filmhälfte weniger gesungen wird. Jedenfalls fällt es nicht mehr so negativ auf. Außerdem hat Condons „Die Schöne und das Biest“ erstaunlich wenig mit der letzten Verfilmung des Märchens zu tun. Die 2013er Verfilmung von Christophe Gans mit Léa Seydoux und Vincent Cassel gefiel mir allerdings deutlich besser. Wahrscheinlich weil nicht gesungen wurde und alles etwas komplexer als in Disneys Musical-Version ist.

Die Schöne und das Biest (Beauty and the Beast, USA 2016)

Regie: Bill Condon

Drehbuch: Stephen Chbosky, Evan Spiliotopoulos (basierend auf Linda Woolvertons 1991er Drehbuch „Die Schöne und das Biest“)

mit Emma Watson, Dan Stevens, Luke Evans, Kevin Kline, Josh Gad, Ewan McGregor, Stanley Tucci, Gugu Mbatha-Raw, Audra McDonald, Hattie Morahan, Nathan Mack, Ian McKellen, Emma Thompson

Länge: 130 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Die Schöne und das Biest“

Metacritic über „Die Schöne und das Biest“

Rotten Tomatoes über „Die Schöne und das Biest“

Wikipedia über „Die Schöne und das Biest“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Bill Condons „Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt“ (Inside Wikileaks, USA 2013)

Meine Besprechung von Bill Condons „Mr. Holmes“ (Mr. Holmes, Großbritannien 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „Ricki – wie Familie so ist“ und wie das Leben so spielt

September 4, 2015

Der deutsche Titel von dem neuen Film, in dem Mery Streep singt (das tut sie in letzter Zeit ja gerne), ist „Ricki – wie Familie so ist“ und er lässt einen dieser netten Filme erwarten, in der eine Familie sich etwas fetzt und etwas herzt und man am Ende, wenn sich die Familie versöhnt, den Kinosaal mit einem feuchten Taschentuch verlässt. Der US-Titel ist „Ricki and the Flash“ und das ist der Name von Rickis Band.
Denn Ricki Rendazzo (Meryl Streep) ist Rocksängerin. So eine richtig scharfe Rockröhre, die mit ihrer Band jeden Abend das heiße Rock’n’Roll-Leben zelebriert. Dass das in einer kleinen, schummerigen Bar in Los Angeles vor einem überschaubarem Publikum geschieht; – na gut, ein „American Girl“ kann halt nicht alles haben. Auch wenn sie, „Wooly Bully“, „Let’s Work together“ mit ihrer Band „Keep playing that Rock and Roll“ macht, „I still haven’t found what I’m looking for“ schmachtet und schließlich ihren Kindern am Filmende versichert „My Love will not let you down“ (Ihr habt Rickis Songs erkannt?). Aber bis dahin geht es durch drei höchstens lose miteinander verknüpfte Kapitel, die mehr Situationsbeschreibungen und Collagen als ausformulierte Geschichten sind.
Ricki erhält von ihrem Ex-Mann Pete (Kevin Kline), ein äußerst wohlhabender Geschäftsmann, der ihre drei Kinder großzog und inzwischen wieder glücklich verheiratet ist, einen Anruf. Ihre Tochter Julie (Mamie Gummer) will sich nach einer gescheiterten Beziehung umbringen. Ricki, die ihre Kinder seit Jahren nicht gesehen hat, fliegt von L. A. nach Indianapolis, Indiana, und versucht ihre Tochter aus ihrer Depression zu befreien, während Petes Frau und Vorbildmutter Maureen (Audra McDonald) gerade ihren todkranken Vater in einer anderen Stadt pflegen muss.
Diese eher humoristische Episode mit Familienzusammenführung und Rock’n’Roll-freigeistigen Lebensweisheiten (auch wenn Ricki einige sehr konservative Ansichten hat) endet mit der Rückkehr von Maureen.
Dann gibt es eine längere Episode, die Ricki und ihre Band und ihr Leben, vor allem die sich stärker entwickelnde Beziehung zu ihrem Gitarristen Greg (Rick Springfield) beschreibt. Jetzt sind ihre Kinder wieder Teil einer vollkommen anderen Welt. Aber in dem entsprechend humorfreiem Liebesdrama gibt es einige weitere live von Ricki and the Flash gespielte Songs.
Und dann geht es wieder, holterdipolter, zurück ans andere Ende der USA. Denn ihr Sohn heiratet und Ricki, die bis jetzt alle Hochzeiten ihrer Kinder (zu denen sie nicht eingeladen war) und auch alle anderen Familientreffen (zu denen sie ebenfalls chronisch nicht eingeladen wurde) verpasste, will dieses Mal als die Mutter des Bräutigams dabei sein, was immerhin zu einigen schön irritierten Blicken der Ostküsten-High-Society führt. Denn so richtig standesgemäß kann sich die Rockerbraut Ricki nicht anziehen.
Das ist von „Das Schweigen der Lämmer“-Regisseur Jonathan Demme immer wieder schön beobachtet und die meisten Szenen entwickeln sich auch immer etwas anders als erwartet. So wie ein Musiker einem bekannten Song eine kleine persönliche Note beifügt. Ein Ohr für Musik hat er auch, was wir seit dem „Talking Heads“-Konzertfilm „Stop Making Sense“ und diversen Filmen mit und über Neil Young wissen. Entsprechend gelungen sind, auch dank Rickis guter Band, die live eingespielten, gut abgehangenen Rockklassiker. Aber „Ricki – wie Familie so ist“ ist auch ein Film, der ohne Anfang und Ende, einfach so mit einigen banalen Lebensweisheiten bis zum sentimental-verlogenen Ende vor sich hin plätschert. Denn nach der ersten und längsten Episode, in der Ricki versucht, eine Mutter zu sein, geht es weiter als ob es kein Spielfilm, sondern mehrere Episoden einer sympathischen, aber auch etwas belanglosen Serie wären.

Ricki - wie Familie so ist - Plakat

Ricki – wie Familie so ist (Ricki and the Flash, USA 2015)
Regie: Jonathan Demme
Drehbuch: Diablo Cody
mit Meryl Streep, Kevin Kline, Mamie Gummer, Audra McDonald, Sebastian Stan, Rick Springfield, Bernie Worrell, Rick Rosas, Joe Vitale (die vier Jungs sind „The Flash“ und über diese Backing-Band kann nicht gemeckert werden)
Länge: 102 Minuten
FSK: ab 0 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Ricki – wie Familie so ist“
Moviepilot über „Ricki – wie Familie so ist“
Metacritic über „Ricki – wie Familie so ist“
Rotten Tomatoes über „Ricki – wie Familie so ist“
Wikipedia über „Ricki – wie Familie so ist“ (deutsch, englisch)


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