Die sechzehnjährige Juno (Ellen Page) ist schwanger. Aber anstatt das mit einem Schulkameraden gezeugte Kind abzutreiben, möchte sie es zur Adoption freigeben. Sie hat auch schon die richtigen Eltern gefunden.
Die herrlich unsentimentale, schnoddrige und immer wieder altkluge Komödie war ein Überraschungserfolg. Diablo Cody erhielt für ihr Buch den Drehbuchoscar.
„Juno“ ist die erste Zusammenarbeit von Jason Reitman und Diablo Cody. „Young Adult“ (mit Charlize Theron) und „Tully“ (ebenfalls mit Theron) folgten. In den Filmen reflektiert Cody auch ihr Leben.
Mit Ellen Page, Michael Cera, Jennifer Garner, Jason Bateman, J. K. Simmons
TV-Premiere. Gelungene Tragikomödie über eine Mutter ((Charlize Theron), die von ihrem Baby an den Rand des Nervenzusammenbruchs gebracht wird. Aber dann taucht die Nanny Tully (Mackenie Davis) auf und alles wird besser.
Reitmans nächster Film ist „Ghostbusters: Afterlife“. Er soll noch dieses Jahr starten.
Zuletzt trat Charlize Theron in „Atomic Blonde“ und „Fast & Furious 8“ den Männern so kräftig in den Hintern, dass die Begegnung mit ihr für die Männer meistens tödlich endete. In „Tully“, dem neuen Film von Jason Reitman und Diablo Cody (eine der wenigen Drehbuchautorinnen, deren Name einem breiteren Publikum bekannt ist), spielt Theron Marlo, eine vierzigjährige zweifache Mutter, die gerade zum dritten Mal schwanger ist. Ihr Bauch ist so riesig, dass er schon in den ersten Minuten einen Hinweis auf die Perspektive und Interpretation des Films gibt. Reitman inszenierte zwar gewohnt naturalistisch, fast schon dokumentarisch, aber er nimmt von der ersten Minute an vollständig Marlos Perspektive ein. Und da ist der Bauch riesig und die Probleme, die mit dem dritten Kind kommen, sind noch größer. Vor allem weil ihr Mann keine große Hilfe für sie ist. Er verdient das Geld. Nach einer Beförderung noch mehr, aber er ist wenig zu Hause und nach Feierabend starrt er, im Bett, gebannt auf den Fernseher. Ihr fünfjähriger Sohn ist so verhaltensauffällig, dass die Schule ihn nicht weiter unterrichten will. Und sie hat niemand, der ihr bei den Kindern und dem Haushalt hilft.
Da bietet ihr vermögender Bruder ihr an, ihr eine Nacht-Nanny zu bezahlen. Sie kümmert sich in der Nacht, während die Mutter schläft, um das Baby. Sie übernimmt die Aufgaben, die früher die Familie, vor allem die Oma, übernommen hat.
Tully (Mackenzie Davis) heißt die Nacht-Nanny und sie ist ganz anders, als Marlo es erwartet hat. Tully ist jung. Mitte Zwanzig. Sie wirkt wie eine etwas ältere Studentin.Sie erinnert Marlo an ihr jüngeres, freigeistiges Ich. Für Marlo ist sie in dem Moment der perfekte rettende Engel. Tully kümmert sich nämlich nicht nur um das Baby, sondern auch um den restlichen Haushalt. Nur wir wollen nicht an den schönen Schein glauben. Immerhin haben wir spätestens seit „Die Hand an der Wiege“, genug Filme gesehen, in denen Babysitter nicht so Mary-Poppins-harmlos waren, wie sie auf den ersten Blick erschienen.
Diablo Cody verarbeitete in ihrem Drehbuch wieder persönliche Erlebnisse. Sie ist selbst dreifache Mutter und nahm bei ihrem dritten Kind eine Nacht-Nanny. Aus dieser Inspiration schuf sie die Studie einer ausgewachsenen postpartalen Depression (vulgo Babyblues oder Heultage) und einer Beziehung zwischen einer Mutter, die glaubt, alles alleine machen zu müssen, und dem guten Hausgeist, der nach Sonnenuntergang auftaucht und vor Sonnenaufgang wieder spurlos verschwindet.
Jason Reitman verfilmte bereits kongenial zwei Drehbücher der gleich alten Cody. Er verfilmte auch „Tully“ mit der ihm eigenen, immer den Personen zugewandten, sie niemals verurteilenden Feinfühligkeit. In „Juno“ arbeiteten sie erstmals zusammen. Der Film, Codys Oscar-prämiertes Debüt und Reitmans zweiter Film (nach dem Sundance-Hit „Thank you for smoking“), war für sie der große Durchbruch. Sie erzählen die Geschichte einer schwangeren Sechzehnjährigen, die ihr Kind zur Adoption freigeben will. In „Young Adult“ geht es um eine Jugendbuchautorin, die mit Mitte Dreißig plötzlich die Zeit zurückdrehen und ihre Jugendliebe wieder verführen will. Rückblickend betrachtet war ich damals wohl etwas zu harsch gegenüber dem Film. In „Tully“ geht es dann um die Probleme einer mehrfachen Mutter, ihren Alltag zu organisieren.
Jeder dieser Filme wirft einen originären Blick auf das Leben und die Gefühle von Frauen. Sie sind komplexe Charaktere, die versuchen, mit ihrem Leben zurecht zu kommen. Dabei ergibt sich, wenn man die drei Filme als fiktive Chronologie von Diablo Codys Leben und Gefühlswelt betrachtet, eine die Filme überspannende Entwicklung von jugendlicher Unbeschwertheit über Selbstfindungsprobleme hin zu mehrfacher Mutterschaft und Verantwortung für mehrere Menschen. Salopp gesagt: von spitzer Komödie zu düsterem Drama. In „Tully“ gibt es nichts mehr zu lachen. Die Protagonistin denkt nicht mehr daran, wie sie die Welt verändern will, sondern wie sie früher die Welt verändern wollte und wie sie früher ein freier und ungebundener Mensch war. Wie Tully. Heute ist sie, ständig übermüdet, im Gefängnis von drei Kindern, deren Forderungen und den Ansprüchen der Gesellschaft, die im Alltag gerne das Hollywood-Bild einer glücklichen Mutter hätte.
Und Charlize Theron, die schon in „Young Adult“ die Hauptrolle hatte, sieht hier wirklich wie die vierzigjährige, ständig übermüdete und überforderte Mutter aus, die keine Zeit mehr hat, auf ihr Aussehen oder ihren Körper zu achten, aus. Sie will nur noch den nächsten Tag überleben.
Mütter werden in Marlo leicht ein Ebenbild von ihnen erkennen. Männer werden vielleicht besser verstehen, was eine Frau nach der Schwangerschaft durchmacht. Und am Ende haben beide einen Film gesehen, der sehr gelungen und scheinbar mühelos die verschiedenen Themen, Motive und Fährten zu einem Ende zusammenfügt, das nichts von einem typischen Hollywood-Ende hat.
P. S. für James-Bond-Fans: Kaitlyn und Mady Dever singen als Beulahbelle eine Cover-Version von „You only live twice“.
Tully (Tully, USA 2018)
Regie: Jason Reitman
Drehbuch: Diablo Cody
mit Charlize Theron, Mackenzie Davis, Ron Livingston, Mark Duplass, Lia Frankland, Asher Miles Fallica
Die sechzehnjährige Juno (Ellen Page) ist schwanger. Aber anstatt das mit einem Schulkameraden gezeugte Kind abzutreiben, möchte sie es zur Adoption freigeben. Sie hat auch schon die richtigen Eltern gefunden.
Die herrlich unsentimentale, schnoddrige und immer wieder altkluge Komödie war ein Überraschungserfolg. Diablo Cody erhielt für ihr Buch den Drehbuchoscar.
„Juno“ ist die erste Zusammenarbeit von Jason Reitman und Diablo Cody. „Young Adult“ (mit Charlize Theron) und „Tully“ (ebenfalls mit Theron) folgten. In den Filmen reflektiert Cody auch ihr Leben.
„Tully“ läuft heute in den deutsche Kinos an – und der Film, auch wenn er keine Komödie ist, einen Blick wert.
Mit Ellen Page, Michael Cera, Jennifer Garner, Jason Bateman, J. K. Simmons
Der deutsche Titel von dem neuen Film, in dem Mery Streep singt (das tut sie in letzter Zeit ja gerne), ist „Ricki – wie Familie so ist“ und er lässt einen dieser netten Filme erwarten, in der eine Familie sich etwas fetzt und etwas herzt und man am Ende, wenn sich die Familie versöhnt, den Kinosaal mit einem feuchten Taschentuch verlässt. Der US-Titel ist „Ricki and the Flash“ und das ist der Name von Rickis Band.
Denn Ricki Rendazzo (Meryl Streep) ist Rocksängerin. So eine richtig scharfe Rockröhre, die mit ihrer Band jeden Abend das heiße Rock’n’Roll-Leben zelebriert. Dass das in einer kleinen, schummerigen Bar in Los Angeles vor einem überschaubarem Publikum geschieht; – na gut, ein „American Girl“ kann halt nicht alles haben. Auch wenn sie, „Wooly Bully“, „Let’s Work together“ mit ihrer Band „Keep playing that Rock and Roll“ macht, „I still haven’t found what I’m looking for“ schmachtet und schließlich ihren Kindern am Filmende versichert „My Love will not let you down“ (Ihr habt Rickis Songs erkannt?). Aber bis dahin geht es durch drei höchstens lose miteinander verknüpfte Kapitel, die mehr Situationsbeschreibungen und Collagen als ausformulierte Geschichten sind.
Ricki erhält von ihrem Ex-Mann Pete (Kevin Kline), ein äußerst wohlhabender Geschäftsmann, der ihre drei Kinder großzog und inzwischen wieder glücklich verheiratet ist, einen Anruf. Ihre Tochter Julie (Mamie Gummer) will sich nach einer gescheiterten Beziehung umbringen. Ricki, die ihre Kinder seit Jahren nicht gesehen hat, fliegt von L. A. nach Indianapolis, Indiana, und versucht ihre Tochter aus ihrer Depression zu befreien, während Petes Frau und Vorbildmutter Maureen (Audra McDonald) gerade ihren todkranken Vater in einer anderen Stadt pflegen muss.
Diese eher humoristische Episode mit Familienzusammenführung und Rock’n’Roll-freigeistigen Lebensweisheiten (auch wenn Ricki einige sehr konservative Ansichten hat) endet mit der Rückkehr von Maureen.
Dann gibt es eine längere Episode, die Ricki und ihre Band und ihr Leben, vor allem die sich stärker entwickelnde Beziehung zu ihrem Gitarristen Greg (Rick Springfield) beschreibt. Jetzt sind ihre Kinder wieder Teil einer vollkommen anderen Welt. Aber in dem entsprechend humorfreiem Liebesdrama gibt es einige weitere live von Ricki and the Flash gespielte Songs.
Und dann geht es wieder, holterdipolter, zurück ans andere Ende der USA. Denn ihr Sohn heiratet und Ricki, die bis jetzt alle Hochzeiten ihrer Kinder (zu denen sie nicht eingeladen war) und auch alle anderen Familientreffen (zu denen sie ebenfalls chronisch nicht eingeladen wurde) verpasste, will dieses Mal als die Mutter des Bräutigams dabei sein, was immerhin zu einigen schön irritierten Blicken der Ostküsten-High-Society führt. Denn so richtig standesgemäß kann sich die Rockerbraut Ricki nicht anziehen.
Das ist von „Das Schweigen der Lämmer“-Regisseur Jonathan Demme immer wieder schön beobachtet und die meisten Szenen entwickeln sich auch immer etwas anders als erwartet. So wie ein Musiker einem bekannten Song eine kleine persönliche Note beifügt. Ein Ohr für Musik hat er auch, was wir seit dem „Talking Heads“-Konzertfilm „Stop Making Sense“ und diversen Filmen mit und über Neil Young wissen. Entsprechend gelungen sind, auch dank Rickis guter Band, die live eingespielten, gut abgehangenen Rockklassiker. Aber „Ricki – wie Familie so ist“ ist auch ein Film, der ohne Anfang und Ende, einfach so mit einigen banalen Lebensweisheiten bis zum sentimental-verlogenen Ende vor sich hin plätschert. Denn nach der ersten und längsten Episode, in der Ricki versucht, eine Mutter zu sein, geht es weiter als ob es kein Spielfilm, sondern mehrere Episoden einer sympathischen, aber auch etwas belanglosen Serie wären.
Regisseur James Toback („Finger – Zärtlich und brutal“, Drehbuch für „Bugsy“) und Schauspieler Alec Baldwin („Jagd auf ‚Roter Oktober’“, TV-Serie „30 Rock“) fliegen 2012 nach Cannes, um einerseits Geld für einen Film zu sammeln und andererseits eine Dokumentation über ihre Suche nach Investoren zu machen und einen Blick hinter die Kulissen des Filmfestivals zu werfen.
Für diesen Blick hinter die Kulissen trafen sie sich auch mit Schauspielern und Regisseuren, die in ihren Erinnerungen an ihre Filme und Cannes schwelgen konnten. Es sind Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Roman Polanski, die immer interessante Gesprächspartner sind, auch wenn sie zu dem von Toback und Baldwin geplanten Spielfilm nichts beitragen können.
Bernardo Bertolucci schon eher; in einer Arkandimension. Er erzählt viel über seinen Skandalfilm „Der letzte Tango in Paris“ in dem Marlon Brando und Maria Schneider ein Liebespaar spielen. Toback, so der Minimalpitch des Teams Baldwin/Toback bei den potentiellen Investoren, will ein Remake von „Der letzte Tango in Paris“ drehen. Mit Alec Baldwin und Neve Campbell („Scream“) in den Hauptrollen. Mit Sex und politischen Verwicklungen. Im Irak. Der Arbeitstitel ist daher „Der letzte Tango in Tikrit“.
Doch eigentlich ist dieses Projekt nur der Vorwand, um einen Blick hinter die Kulissen des Festivals und hinter den schönen Schein der Filmwelt zu werfen. Denn neben den Filmpremieren, dem Auftrieb der Stars und Sternchen, den vielen bunten Bildern, ist Cannes auch ein riesiger Filmmarkt, auf dem Projekte vorgestellt und verkauft werden. Manchmal nur mit ein, zwei Namen und einem Plakat. Diesen Blick auf die ökonomische Seite des Filmegeschäfts gibt es bei Gesprächen mit Investoren und bekannten Produzenten, wie Avi Lerner, der unter anderem die „The Expendables“-Filme und „Ich. Darf. Nicht. Schlafen.“ (startet am Donnerstag) produzierte. Diese Geldgeber denken bei einem Projekt zuerst an die Verkaufsmöglichkeiten (also die Einnahmen) und wie hoch deshalb die Kosten sein dürfen, damit sie einen Gewinn haben. Ein wichtiger Punkt bei dieser Glechung ist dabei der Markwert der Stars. Und der von Baldwin und Campbell war, wie ein Blick auf ihre letzten Filme zeigte, damals nicht besonders hoch.
„Verführt und Verlassen“ ist vor allem, und daran ändert der rote Faden mit der Investorensuche nichts, eine Liebeserklärung an Cannes, das Kino und den Spielfilm, die immer wieder sympathisch konfus zwischen Verkaufsgesprächen, Hintergrundgesprächen zur Filmfinanzierung und Geschichten aus der Filmwelt schwankt, wenn die bekannten Regisseure und Schauspieler angenehm offen von ihren Erfahrungen erzählen. Da passt auch Tobacks Abschlussfrage bei den Interviews, ob man bereit zum Sterben sei, wunderbar in das offene Konzept des Films. Obwohl man in einem normalen Pitch diese Frage niemals stellen würde. Aber bei einem normalen Pitch laufen auch keine Kameras und es wird auch kein Film daraus gemacht.
Der exzessive Split-Screen-Einsatz in der Dokumentation lädt zum zweiten Ansehen auf einem großen Bildschirm ein. Denn auf den ersten Blick kann man all die Fotografien von früheren Cannes-Festivals und die Filmausschnitte aus Filmklassikern gar nicht erfassen.