Verlorene Illusionen (Illusions perdues, Frankreich 2021)
Regie: Xavier Giannoli
Drehbuch: Xavier Giannoli, Jacques Fieschi
LV: Honoré de Balzac: Illusions perdues, 1843 (Verlorene Illusionen)
Ein junger Dichter aus der Provinz will in den 1820er Jahren in Paris sein Glück finden. Als scharfzüngiger Kritiker feiert er erste Erfolge.
TV-Premiere zu einer blöden Uhrzeit. Xavier Giannolis erzählerisch konventionelle Verfilmung von Honoré de Balzacs Klassiker überzeugt als Mediensatire und prächtig ausgestattetes Sittengemälde.
mit Benjamin Voisin, Cécile de France, Vincent Lacoste, Xavier Dolan, Salomé Dewaels, Jeanne Balibar, Gérard Depardieu, André Marcon, Louis-Do Lencquesaing, Jean-Francois Stévenin
–
Die Vorlage (in der neuen Übersetzung)
Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen – Roman aus der Provinz
LV: Aidan Chambers: Dance on my Grave, 1982 (Tanz auf meinem Grab )
TV-Premiere. Ein Küstendorf in der Normandie in den Achtzigern: der sechzehnjährige Alex muss vor Gericht erklären, warum er auf dem Grab eines Toten tanzte (80er Jahre Provinzprobleme halt). In Rückblenden entfaltet Ozon eine sich über einen Sommer erstreckende Liebes- und Coming-of-Age-Geschichte zwischen dem schüchternen Alex und dem zwei Jahre älteren coolen David.
„Sommer 85“ ist der Auftakt der Reihe „rbb QUEER“. Bis zum 15. August zeigt das rbb Fernsehen dienstags um 22.45 Uhr sieben queere Filme, sechs als deutsche Erstausstrahlung. Die nächsten Filme der sechsten Ausgabe von „rbb QUEER“ sind „Einfach Charlie“ (11. Juli, Großbritannien 2017, Regie: Rebekah Fortune), „Sprung ins kalte Wasser“ (18. Juli, Zypern/Griechenland/Italien 2021, Regie: Stelios Kammitsis), „Sweetheart“ (25. Juli, Großbritannien 2021, Regie: Marley Morrison), „Weekend“ (1. August, Großbritannien 2011, Regie: Andrew Haigh), „Als wir tanzten“ (8. August, Georgien/Schweden 2019, Regie: Levan Akin) und – endlich! – „Tangerine L.A.“ (15. August, USA 2015, Regie: Sean Baker).
Am Donnerstag läuft François Ozons neuer Film „Mein fabelhaftes Verbrechen“ an. Die Screwball-Comedy ist ein herrlich schwarzhumoriger Spaß über einen Mord und wie viele Damen davon profitieren wollen.
mit Félix Lefebvre, Benjamin Voisin, Philippine Velge, Valeria Bruni Tedeschi, Melvil Poupaud, Isabelle Nanty, Laurent Fernandez, Aurore Broutin
„Verlorene Illusionen“ ist ein guter, nämlich ein Erwartungen weckender Titel. Honoré de Balzac nannte so seine in den frühen zwanziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts spielende Chronik des Lebens in der Provinz und in der Hauptstadt Paris.
Der Roman ist ein Klassiker, der trotz seiner filmtauglichen Handlung, bisher nur zweimal verfilmt wurde. Einmal 1966 als TV-Miniserie. Und jetzt als Spielfilm. Regisseur und Drehbuchautor Xavier Giannoli veränderte für seine Verfilmung selbstverständlich einiges an der Vorlage, die in der aktuellen Ausgabe deutlich über achthundert engbedruckte Seiten umfasst. Die größten Unterschiede sind, dass Giannoli von den drei Büchern des Romans das letzte Buch, „Die Leiden des Erfinders“, nicht verfilmte und das erste, „Die zwei Dichter“, in der ersten viertel Stunde seines Films, stark gekürzt, erzählt. Das führt dazu, dass aus der Geschichte von Lucien Chardon bzw. Lucien de Rubempré und seinem Schwager David Séchard die Geschichte von Lucien de Rubempré wird und sich der Film auf sein Leben in Paris konzentriert. Dort ist er, wie das zweite Buch ironisch betitelt ist, „Ein großer Mann vom Land in Paris“.
Es gibt durch diese Kürzung einige teils notwendige, teils die Filmgeschichte runder machende Änderungen. Und Nathan d’Anastazio erzählt Luciens Geschichte. Nathan ist ein Schriftsteller, der Luciens Auf- und Abstieg in Paris beobachtet.
In der Provinzstadt Angoulême arbeitet Lucien in der kleinen Druckerei von David. In seiner Freizeit dichtet er. Seine Gedichte trägt er bei Empfängen von Louise de Bargeton vor. Dabei verliebt der junge Schöngeist sich in die Hausherrin. Beide leiden sie an der provinziellen Enge. Sie flüchten nach Paris, der Stadt in der alles viel besser sein soll. Kurz nach ihrer Ankunft trennen sie sich. Die Standes- und Altersunterschiede zwischen dem jungen, bürgerlichem Dichter und der älteren Adligen Louise de Bargeton sind zu groß.
Danach stürzt Lucien sich in das Pariser Leben. Als sein ursprünglicher Plan, seine Gedichte zu veröffentlichten und der neue Star der Literatur zu werden, scheitert, wird er zum Kulturkritiker. Der Journalist Étienne Lousteau weist ihn in das Handwerk ein. Lucien lernt Bücher und Aufführunge hoch- und niederzuschreiben; je nachdem, wie es gerade gefordert ist. Er verdient viel Geld. Er wird gefeiert. Er verliebt sich in die gleichaltrige Schauspielerin Coralie.
Dass dieses Glück nicht lange halten wird und Lucien wieder absteigen wird, verrät schon der Titel „Verlorene Illusionen“.
Honoré de Balzac schrieb „Verlorene Illusionen“ zwischen 1837 und 1843 und veröffentlichte den Roman ursprünglich in drei voneinander getrennten Büchern, die auch getrennt gelesen werden können. Zusammen mit de Balzacs anderen Romanen ergeben sie in seinem Großwerk „Die menschliche Komödie“ ein breites Sittengemälde des damaligen Frankreichs. In „Verlorene Illusionen“ beschäftigt er sich, wenn David und die von ihm betriebene Druckerei im Mittelpunkt stehen, das ist vor allem in „Die Leiden des Erfinders“ der Fall, intensiv mit dem Druckereigewerbe und dem Handel mit Schuldscheinen, an denen Anwälte und Banken prächtig verdienen. Im zweiten Band „Ein großer Mann vom Land in Paris“ steht dann das damalige Zeitungsgewerbe im Vordergrund. Beides kannte de Balzac aus eigener Erfahrung und beide Male rechnet er gnadenlos mit den damaligen Gepflogenheiten ab. Der Roman selbst ist im damaligen, heute nur noch schwer lesbarem Stil geschrieben. Die Handlung selbst wird immer wieder von teils seitenlangen Beschreibungen unterbrochen, in denen de Balzac sich über den damaligen Journalismus, das Druckerhandwerk und den Handel mit Schuldscheinen auslässt. Das ist dann ziemlich länglich. Deutlich interessanter sind die Beschreibungen der Sitten und liebevoll gepflegten Standesunterschieden in der Provinz und der Hauptstadt. Sie erklären auch, warum Lucien unbedingt den adligen Namen seiner Mutter annehmen möchte.
Xavier Giannoli kann vieles von de Balzacs ausführlichen Beschreibungen schnell in Bilder übersetzen. Anstatt langer Beschreibungen verschiedener Zimmer und was welche Kleidung über einen aussagt, zeigt er es einfach. Da verrät ein skeptischer Blick alles notwenige. Anderes lässt er, wie gesagt, weg. Die Darstellung des damaligen Journalismus und wie Zeitungen und Bücher gemacht wurden, die im zweiten Buch der „Verlorenen Illusionen“ einen großen Teil der Lesezeit einnimmt, nimmt auch einen großen Teil der Filmzeit ein. Das damalige Gebaren der Zeitungsmacher, die skrupellos Meinungen und Stimmungen manipulierten, und alles als Geschäft betrachteten, ist erschreckend aktuell.
Der Film selbst überzeugt als Mediensatire und prächtig ausgestattetes Sittengemälde.
Erzählerisch wird das arg konventionell und brav präsentiert.
In Venedig hatte das satirische Drama 2021 seine Premiere. Danach hatte es in Frankreich eine knappe Million Kinozuschauer und erhielt sieben Césars. Unter anderem als Bester Film, für das beste Drehbuch, die beste Kamera, die besten Köstüme und Lucien-Darsteller Benjamin Voisin wurde als vielsprechendster Schauspieler ausgezeichnet. Nominiert war das Werk in acht weiteren Kategorien, unter anderem für die Regie.
Verlorene Illusionen(Illusions perdues, Frankreich 2021)
Regie: Xavier Giannoli
Drehbuch: Xavier Giannoli, Jacques Fieschi
LV: Honoré de Balzac: Illusions perdues, 1843 (Verlorene Illusionen)
mit Benjamin Voisin, Cécile de France, Vincent Lacoste, Xavier Dolan, Salomé Dewaels, Jeanne Balibar, Gérard Depardieu, André Marcon, Louis-Do Lencquesaing, Jean-Francois Stévenin
Länge: 150 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
–
Die Vorlage (in der Neuübersetzung)
Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen – Roman aus der Provinz