Neu im Kino/Filmkritik: „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“, „Die Rote Kapelle“, „Sky Sharks“, „Tides“, „Die Unbeugsamen“ – die Neustarts vom 26. August 2021, Teil 2

August 27, 2021

Im zweiten Teil meiner Besprechungen der aktuellen Filmstarts bespreche ich drei Science-Fiction-Filme und zwei Dokumentarfilme.

Im ersten Teil sind die Besprechungen von „Candyman“ (Horror), „Coup“ (Krimi), „Killer’s Bodyguard 2“ (Action), „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ (Doku) und „Martin Eden“ (Drama).

Nach „M“ geht es mit „R“ weiter:

Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ ist ein prächtig aussehender Science-Fiction-Noir, der unter seiner allzu dünnen Geschichte leidet.

Nick Bannister (Hugh Jackman) ist schon auf den ersten Blick der typische Hardboiled-Privatdetektiv. Staubmantel, Drei-Tage-Bart, Trinker und selbstverständlich vollständig desillusioniert vom Leben, der Welt und dem ganzen Rest. Seine Sekretärin Watts (Thandiwe Newton) ist eine alte Kriegsgefährtin, die immer einen Flachmann in Griffweite hat. Und eine Pistole. Ihr Arbeitsplatz ist ein heruntergekommener, riesiger Raum, der früher möglicherweise der Eingangsbereich einer Bank war. Ihre Kunden wollen von ihnen mittels einer Erinnerungsmaschine in ihren Erinnerungen abtauchen. Meistens wollen sie sich an glückliche Momente erinnern. Diese werden auf Datenträgern gespeichert. Manchmal helfen Bannister und Watts mit ihrer Erinnerungsmaschine auch der Polizei bei Ermittlungen.

Eines Tages, nach Feierabend, taucht Mae (Rebecca Ferguson) bei ihnen auf. Die umwerfend gut aussehende Nachtclubsängerin hat ihren Schlüssel verloren. Bannister kann ihr helfen, indem er sie durch ihre Erinnerungen an die vorherigen Stunden führt. Und er verliebt sich in die Frau, die Noir-Fans spätestens bei ihrem ersten Auftritt auf der Nachtclubbühne an „Gilda“ erinnert.

Das ist der Auftakt für eine erschreckend beliebige Geschichte, die sich durchgehend wenig für ihre Figuren, überhaupt nicht für die Kriminalgeschichte, kaum für die Liebesgeschichte, aber sehr für die Bilder interessiert. Sie sind sorgfältig gestaltete Tableaus, wie geschaffen für eine Fotostrecke in einem Magazin. Das im Wasser versinkende, immer noch sonnendurchflutete Miami, das sumpfig-schwüle New Orleans, die an „Blade Runner“ erinnernden Straßenschluchten (wieder in Miami), die verruchten Vierziger-Jahre-Nachtclubs (deshalb ist Mae eine Nachtclubsängerin) und die vollkommen unsinnigen Innenräume. So gibt es keinen rationalen Grund, warum Bannister die Erinnerungen seiner Kunden sehen kann und warum sie als lebensgroße Hologramme mitten im Raum stehen; außer natürlich, dass es gut aussieht, wenn Bannister vor dem singenden Mae-Hologramm steht oder er durch die schön-kitschigen Erinnerungen seiner Kunden geht.

Das sieht immer gut aus, aber es bleibt l’art pour l’art.

In „Tides“ (dazu später mehr) gelingt die Verbindung von Stil und Story viel besser und das macht „Tides“ dann auch zur besseren Dystopie. „Reminiscence“ ist dagegen nur das Blättern im Science-Fiction-Noir-Katalog.

Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie (Reminiscence, USA 2021)

Regie: Lisa Joy

Drehbuch: Lisa Joy

mit Hugh Jackman, Rebecca Ferguson, Thandiwe Newton, Cliff Curtis, Marina de Tavira, Daniel Wu, Mojean Aria, Brett Cullen, Natalie Martinez, Angela Sarafyan, Nico Parker

Länge: 116 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Reminiscence“

Metacritic über „Reminiscence“

Rotten Tomatoes über „Reminiscence“

Wikipedia über „Reminiscence“ (deutsch, englisch)

Die Rote Kapelle“ ist ein gelungener Dokumentarfilm über eine immer noch fast vergessene Widerstandsgruppe gegen Adolf Hitler und die Nazi-Diktatur. Das kann daran liegen, dass die Rote Kapelle als Spionagering für die Sowjetunion spionierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Kommunisten im Kalten Krieg zu Bösewichtern. Da bestand im Westen kein besonders großes Interesse daran, eine Geschichte über heldenhafte Sowjet-Spione, die mit ihren Informationen zum Ende des Faschismus beitrugen, zu erzählen. Weil die Geschichte der Roten Kapelle während des Zweiten Weltkriegs einige unschöne Wendungen nahm, wurde sie auch im Osten fast vollständig vergessen. Die Mitglieder der Roten Kapelle, die den Krieg überlebten, wurden von der Gesellschaft und der erst Jahre nach dem Krieg entstehenden Erinnerungskultur, ignoriert.

Trotzdem beschäftigen sich Anfang der siebziger Jahre zwei Filme mit ihr: der DEFA-Film „KLK ruft PTX – Die Rote Kapelle“ und der deutsch-französische TV-Mehrteiler „Die Rote Kapelle“. Beide heute unbekannten Filme erzählten nur einen Teil der Geschichte der Roten Kapelle und es wurde sich auf bestimmte Gruppen der Roten Kapelle konzentriert. Denn sie war keine fest organisierte Gruppe, sondern ein loses Netzwerk Gleichgesinnter, die teilweise nichts voneinander wussten. Inzwischen sind ungefähr vierhundert Mitglieder der Roten Kapelle namentlich bekannt. Ihren Namen erhielt sie von der Gestapo, die unter dem Begriff „Rote Kapelle“ verschiedene Widerstandsgruppen zusammenfasste, die Kontakt in Richtung Sowjetunion hatten oder von denen ein solcher Kontakt vermutet wurde.

Der Dokumentarfilm „Die Rote Kapelle“ konzentriert sich auf den in Berlin agierenden Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen, einem Offizier im Luftfahrt-Ministerium mit Zugang zu geheimen Informationen, und einen von dem Palästinakämpfer und Sowjet-Agenten Leopold Trepper in Paris und Brüssel aufgebauten Spionagering.

Ihre Geschichte erzählt Carl-Ludwig Rettinger chronologisch als eine Mischung aus sprechenden Köpfen, aktuellen und historischen Aufnahmen. Das ist von seiner Machart konventionell, aber informativ und das Material wird gelungen präsentiert. Interessant ist die fast schon exzessive Verwendung von Ausschnitten aus den beiden bereits erwähnten Filmen über die Rote Kapelle. Sie machen die Aktionen der Roten Kapelle begreifbarer. Gleichzeitig werfen sie einen Blick darauf, wie das Agieren der Roten Kapelle nach dem Krieg beurteilt wurde und sie zeigen auch, dass Geschichte immer eine Interpretation der Ereignisse ist.

Die Rote Kapelle (Deutschland/Belgien/Israel 2020)

Regie: Carl-Ludwig Rettinger

Drehbuch: Carl-Ludwig Rettinger

mit Lital Levin, Rebecca Donner, Roberta Böcker, Yehudit Kafri, Hans Coppi, Guillaume Bourgeois, Sacha Barcza, André Possot, Gerhard Sälter

Länge: 125 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Verleihseite zum Film

Filmportal über „Die Rote Kapelle“

Moviepilot über „Die Rote Kapelle“

Wikipedia über die Rote Kapelle (deutsch, englisch)

Kommen wir zu „Sky Sharks“.

Die Idee war wohl, nach einem Filmabend mit „Iron Sky“, „Sharknado“ und zuviel Alkohol: Nazis, fliegende Haie, Trash. Aber halt bewusster Trash. Sozusagen Metatrash.

Dazu gibt es, weil das halt zu einem Trashfilm gehört, hirnlose Gewalt, Blutfontänen (CGI-Blut, nicht Kunstblut) und – Gähn! – nackte weibliche Brüste.

Herausgekommen ist Murks. „Sky Shark“ ist – und zu dem Urteil bin ich schon letztes Jahr gekommen, als die Kinos geschlossen waren und ich den Film als Stream sehen konnte – einer der schlechtesten, wahrscheinlich sogar der schlechteste Film des aktuellen Kinojahres. Zu dieser Einschätzung stehe ich immer noch. In den letzten Monaten habe ich viele, aber keinen schlechteren Film gesehen. Denn in „Sky Sharks“ stimmt nichts. Eine Story gibt es nicht. Die Dialoge sind zum Abwinken. Die Tricks sind grottenschlecht. Die Schauspieler sind zum Vergessen. Oliver Kalkofe ist wahrscheinlich nur deshalb dabei, um den Film für seine SchleFaZ-Reihe zu disqualifizieren.

Unter allen Umständen vermeiden.

Sky Sharks (Deutschland 2020)

Regie: Marc Fehse

Drehbuch: A.D. Morel, Marc Fehse, Carsten Fehse

mit Eva Haberman, Barbara Nedeljáková, Tony Todd, Naomi Grossman, Michaela Schaffrath, Oliver Kalkofe, Ralf Richter

Länge: 102 Minuten

FSK: ab 18 Jahre (eine erfreuliche Meldung des Jugendschutzes)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Sky Sharks“

Moviepilot über „Sky Sharks“

Rotten Tomatoes über „Sky Sharks“

Wikipedia über „Sky Sharks“

Genau das sollte man bei „Tides“ nicht tun. Es ist der neue Film von „Hell“-Regisseur Tim Fehlbaum. Es ist wieder eine Dystopie und wieder überzeugt der Science-Fiction-Film. Vor allem visuell.

Vor einigen Jahrzehnten verließen die Menschen die von ihnen unbewohnbar gemachte Erde. Auf dem Planeten Kepler 209 fanden sie Zuflucht. Allerdings macht die Atmosphäre sie unfruchtbar. Deshalb soll jetzt eine Erkundungsmission (das Schicksal einer früheren Mission ist unklar) herausfinden, ob die Menschen wieder auf die Erde zurückkehren können.

Nach der Bruchlandung befinden die Astronauten, die die Landung überlebten, sich in einer nebligen und sehr bedrohlich wirkenden Wattlandschaft. Kurz darauf werden sie angegriffen. Nur Blake (Nora Arnezeder) überlebt. Sie wird von einer Gruppe Nomaden, den Mudmenschen, gefangen genommen. Sie sind im Krieg mit einer von Gibson angeführten Gruppe Menschen, die sie immer wieder überfällt und Mitglieder von ihnen entführt.

Und wenn dann Iain Glen auftaucht, wissen wir, wer der Bösewicht in diesem Film ist, weil Glen diese Rolle öfter übernimmt und weil der Plot aus zahlreichen anderen Dystopien bekannt ist. Aber Fehlbaum veränderte einige Details (so haben Frauen eine deutlich wichtigere Rolle) und er hat diese Welt bis ins letzte Detail liebevoll zu einer Welt ausgestaltet, in der niemand leben möchte. Diese Erde ist eine nasse, neblige Welt, in der die Menschen im Müll der Gegenwart in einem archaischen Zustand leben und einer fremden Sprache sprechen.

Kameramann Markus Förderer, mit dem Fehlbaum bereits bei seinem Debüt zusammen arbeitete, nahm diese Welt in monochromen Bildern auf, die durchgehend für die große Leinwand komponiert sind.

Und genau dort sollte „Tides“ unbedingt gesehen werden.

Tides (Deutschland 2021)

Regie: Tim Fehlbaum

Drehbuch Tim Fehlbaum, Mariko Minoguchi, Jo Rogers (Co-Autor), Tim Trachte (Co-Autor)

mit Nora Arnezeder, Iain Glen, Sarah-Sofie Boussnina, Sope Dirisu, Sebastian Roché, Joel Basman, Kotti Yun, Bella Bading, Chloé Heinrich, Eden Gough

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Tides“

Moviepilot über „Tides“

Metacritic über „Tides“

Rotten Tomatoes über „Tides“

Wikipedia über „Tides“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tim Fehlbaums „Hell“ (Deutschland/Schweiz 2011)

Nach mehrmaligen pandemiebedingten Verschiebungen läuft Torsten Körners neuester Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ endlich an. Von ihm ist auch die Doku „Angela Merkel – Die Unerwartete“. In „Die Unbeugsamen“ geht es um die Politikerinnen, die während der Bonner Republik, im Bundestag saßen und welche Widerstände sie erlebten. Damit ist der jetzige Starttermin, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, perfekt, um auf ihre Leistungen, die gesellschaftlichen Veränderungen und den Backlash durch die AfD in den Parlamenten, hinzuweisen.

Körner unterhielt sich für „Die Unbeugsamen“ mit, u. a. Herta Däubler-Gmelin, Ingrid Matthäus-Maier, Renate Schmidt, Rita Süssmuth, Christa Nickels (die 1952 geborene ist die jüngste Interviewte) und Marie-Elisabeth Klee. Die 1922 geborene, 2018 verstorbene CDU-Politikerin ist seine älteste Gesprächspartnerin. Sie sind schon lange keine Mitglieder des Bundestages mehr. Konkret gesagt, beendeten sie fast alle ihre Arbeit im Bundestag bevor dieser nach Berlin umzog.

Aus den Gesprächen und den vielen sehr klug und pontiert gewählten Ausschnitten aus Parlamentsdebatten, historischen Interviews und TV-Beiträgen, die heute alle unbekannt sind, ergibt sich eine Historie und Sittengeschichte der Bundesrepublik. Denn egal zu welcher Partei die Parlamentarierinnen gehören, sie muissten alle mit den gleichen Widerständen kämpfen. Die Männer, auch heute noch geachtete Top-Politiker, benahmen sich aus heutiger Sicht atemberaubend unmöglich. Vor dreißig, vierzig, fünfzig Jahren nahmen sie ihr Verhalten als normal wahr. Petra Kelly sagte dazu: „Seit ich in Bonn bin, werde ich immer männerfeindlicher.“

Die Unbeugsamen“ zeigt, wie viel sich in den vergangenen Jahrzehnten veränderte. Der Einzug der AfD und ihr Verhalten im Bundestag zeigt auch, dass der Kampf noch nicht gewonnen ist. Und genau deshalb startet Körners beeindruckender Dokumentarfilm, den ich schon gerne letztes Jahr auf meine Jahresbestenliste gesetzt hätte, jetzt zu einem passenden Zeitpunkt.

Die Unbeugsamen (Deutschland 2020)

Regie: Torsten Körner

Drehbuch: Torsten Körner

mit (den Interviewpartnerinnen) Herta Däubler-Gmelin, Renate Faerber-Husemann, Elisabeth Haines, Renate Hellwig, Marie-Elisabeth Klee, Ursula Männle, Ingrid Matthäus-Maier, Christa Nickels, Renate Schmidt, Helga Schuchardt, Rita Süssmuth, Roswitha Verhülsdonk, Carola von Braun, Sabine Gräfin von Nayhauß-Cormons

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Unbeugsamen“

Moviepilot über „Die Unbeugsamen“

Wikipedia über „Die Unbeugsamen“


Neu im Kino/Filmkritik: Der „Joker“ will nur…

Oktober 11, 2019

Auf den Filmfestspielen von Venedig erhielt er den Goldenen Löwen. Seitdem werden ihm mehr oder weniger gute Chancen für einen oder mehrere Oscars eingeräumt. Allerdings dauert es bis zur Oscarverleihung noch einige Monate. Außerdem ist der „Joker“ ein Superheldenfilm und die hatten bisher, wie Science-Fiction- und Fantasy-Filme, wenig Glück bei den Oscars.

Bis zu den Nominierungen und Preisverleihungen kann der Verleih sich an den überwiegend positiven Kritiken, den begeisterten Publikumsreaktionen und dem überaus erfreulichem Einspiel – in den USA spielte der Film am Startwochenende über 96 Millionen US-Dollar ein – erfreuen. Außerdem wird über über den Protagonisten, die Gewalt und die Botschaft des Films diskutiert. Denn nichts davon ist wirklich eindeutig und nichts davon wird in dem heute gewöhnlichen Comicfilm-Actionstil präsentiert, in dem alles so unmöglich ist, dass, auch wenn ganze Städte und Galaxien zerstört werden, immer der Entertainment-Aspekt im Vordergrund steht. Wirklich verletzt wird niemand und am Ende gewinnen die Guten.

Spaß hat in „Joker“ niemand.

Das liegt auch daran, dass Todd Phillips in seinem Film nicht von einer weiteren Konfrontation zwischen Batman und dem Superschurken Joker erzählt. Sein Film gehört daher, wenigstens für den Moment, nicht zum DC Extended Universe. So wird das von Warner Bros. Pictures und DC Comics gemeinsam produzierte filmische Universum genannt. Nach einem sehr holprigen Start mit düsteren und ernsten Superheldenfilmen wurde es zuletzt mit „Wonder Woman“, „Aquaman“ und „Shazam!“ besser, unterhaltsamer und vergnüglicher.

Joker“ knüpft nicht an diese Filme und das DCEU an, sondern er ist als Einzelfilm, der in keiner Verbindung zum DCEU steht, konzipiert. Außerdem erzählt er die Entstehungsgeschichte des Jokers. Im Gegensatz zu anderen Superhelden und Superschurken gibt es nicht die allgemein akzeptierte, kanonisierte Ursprungsgeschichte des Jokers. Eigentlich kennt man den Joker in den Comics und Filmen nur als Superschurken mit einem, ähem, problematischen Sozialverhalten, Lust am Chaos und einem verzerrten Clownsgesicht.

Das eröffnet Todd Phillips (die „Hangover“-Filme, „War Dogs“) die Möglichkeit, seine Version von dem Joker und wie der Joker der Joker wurde zu erzählen, ohne sich um all das Drumherum zu kümmern.

Sein Joker heißt Arthur Fleck. Als wir ihn zum ersten Mal in Gotham City in den frühen 1980er Jahren sehen, wedelt er als Clown auf der Straße mit einem Werbeschild herum, das ihm prompt von einer Bande Jugendlicher geklaut wird. Nach einer Verfolgungsjagd stellen sie ihn in einer Nebengasse, schlagen ihn zusammen und zerstören das Schild. Das Schild wird später von Flecks Gehalt abgezogen.

Gotham City ist hier, wie auch in den Comics, ein Synonym für New York City. Es ist die Stadt, in der Martin Scorseses „Taxi Driver“ und „The King of Comedy“ spielen. Beide Filme wurden schon vor der Premiere als Inspirationen für „Joker“ genannt. Vor allem „The King of Comedy“ ist die immer wieder erkennbare Inspiration für „Joker“. Beide Male geht es um einen erfolglosen Künstler, der von seinem Idol wahrgenommen werden will. Bei Scorsese war Jerry Lewis das Idol und Robert De Niro der fanatische Möchtegern-Komiker. Bei Phillips ist Joaquin Phoenix der bis auf die Knochen abgemagerte Möchtegern-Komiker Arthur Fleck und Robert De Niro, in einer kleinen, aber wichtigen Nebenrolle, der bekannte Late-Night-Gastgeber Murray Franklin.

Bis es zur ersten echten Begegnung zwischen Fleck und Franklin kommt, führt Phillips uns in Flecks Psyche. Er ist ein nicht witziger Komiker, ein Clown zum Fürchten, ein von unerklärlichen Lachkrämpfen geplagter Psychopath, der immer noch bei seiner kränkelnden Mutter lebt und der ewige Verlierer, der höchstens in seiner Fantasie das Mädchen bekommt. Es gibt nichts, was ihn irgendwie auf seine spätere Karriere als Superverbrecher Joker vorbereiten könnte. Auch seine ersten verbrecherischen Taten, wie die Ermordung einiger nerviger Yuppies in der U-Bahn, folgen keinem Plan, sondern sind reine Affekthandlungen. Entsprechend ratlos reagiert er am Ende, wenn aus dem Clown Fleck der Joker wird und ganz Gotham City zum Schauplatz einer Straßenschlacht wird, während in einer Gasse neben einem Kino ein künftiger Superheld geboren wird.

Aber wirklich packend ist diese mit Anspielungen und Zitaten reichhaltig gesegnete Origin Story nie. Dafür ist der Film zu sehr überzeugt von seiner eigenen Bedeutung. Die Geschichte, die vor allem eine zwischen Wahn und Wirklichkeit pendelnde Charakterstudie ist, entwickelt sich zu schleppend und zu unentschlossen. So als habe man gleichzeitig provozieren und niemand provozieren wollen.

Und ich habe Arthur Fleck niemals als künftiges Verbrechergenie gesehen. Er ist von der ersten bis zur letzten Minute, auch wenn dann viele Menschen mit einem Clownsgesicht durch die Stadt marodieren, ein Niemand, der in dem Moment zu einer Projektionsfläche wird. Nur ist unklar für was.

Joker (Joker, USA 2019)

Regie: Todd Phillips

Drehbuch: Todd Phillips, Scott Silver

LV: Charakter von Bob Kane, Bill Finger und Jerry Robinson

mit Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Brett Cullen, Shea Whigham, Bill Camp, Glenn Fleshler, Leigh Gill, Josh Pais, Brian Tyree Henry

Länge: 122 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche WarnerBrosDC-Facebook-Seite

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Joker“

Metacritic über „Joker“

Rotten Tomatoes über „Joker“

Wikipedia über „Joker“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Todd Phillips‘ „War Dogs“ (War Dogs, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Shallows – Gefahr aus der Tiefe“ für Blake Lively

August 26, 2016

Nancy (Blake Lively) will in der einsam gelegenen, traumhaften Bucht nur etwas surfen. Aber dann wird sie von einem Hai angegriffen, kann auf ein Felsstück, das bei Ebbe aus dem Wasser ragt, flüchten und sie fragt sich, wie sie sich aus ihrer misslichen Lage befreien kann. Denn Hilfe ist nicht in Sicht und ihr Handy liegt am Strand, der nur wenige hundert Meter entfernt ist. Meter, in denen ein extrem schlecht gelaunter Weißer Hai schwimmt, der sie und alle weiteren Eindringlinge in sein Revier als Mahlzeit betrachtet.

Gut, die Prämisse wirkt auf den ersten Blick etwas weit hergeholt, aber da bei Überschwemmungen schon Menschen in ihrem Keller ertrinken, ist Nancys Malaise durchaus glaubwürdig und Regisseur Jaume Collet-Serra erzählt die Geschichte nach einem ruhigen Anfang, der wie ein Werbevideo für Traumurlaube an unberührten Stränden und Surfen wirkt, in knackigen achtzig Minuten (ohne den Abspann). Es ist ein Thriller mit einem klaren Konflikt, ohne Subplots und Umwege. Es geht nur um eine junge Frau, die um ihr Überleben kämpft.

Das erinnert in seiner konsequenten Reduktion an J. C. Chandors Seglerdrama „All is lost“, in dem Robert Redford mitten im Indischen Ozean gegen sein sinkendes Schiff kämpfte. Oder, auch wenn es dort kein Wasser gibt, an Alfonso Cuaróns „Gravity“, in dem Sandra Bullock im Weltraum um ihr Überleben kämpfte. Da folgte die Geschichte etwas zu starr dem Drehbuchratgeber, aber dafür beeindruckten im Kino auf der großen Leinwand die Bilder vom dunklen Weltraum und 3D wurde endlich einmal sinnvoll eingesetzt.

Und genau wie bei diesen Filmen waren die Dreharbeiten für „The Shallows“ schwierig. Gedreht wurde, auch wenn die Filmgeschichte aus was für Gründen auch immer in Mexiko spielt, auf der zu Australien gehörenden Lord-Howe-Insel, die Teil des Unesco-Weltkulturerbes ist. Der Drehort war abgelegen. Die gesamte für den Dreh nötige Technik musste dorthin gebracht werden. Der im Film unberührte Strand musste, nachdem die Filmcrew durchmarschiert war, immer wieder in den unberührten Zustand versetzt werden. Die Möwe, mit der Nancy sich unterhält, musste trainiert werden. Immerhin musste der Hai nicht trainiert werde, weil er, beängstigend echt, aus dem Computer kommt. Allerdings mussten während dem Dreh die Bewegungen des Hai und das von ihm verdrängte Wasser erzeugt werden. Das sind dann Herausforderungen, die erklären, warum bestimmte Geschichten so selten verfilmt werden.

Für Jaume Collet-Serra war „The Shallows“ auch eine Auszeit von seinen Filmen mit Liam Neeson in der Hauptrolle. Er inszenierte mit Neeson die durchweg sehenswerten Thriller „Unknown Identity“, „Non-Stop“ und „Run all night“. Derzeit dreht er mit ihm „The Commuter“. Der Thriller soll im November 2017 bei uns anlaufen.

Und Blake Lively, die wir aus der TV-Serie „Gossip Girl“, der Don-Winslow-Verfilmung „Savages“ und der Romanze „Für immer Adaline“ kennen, zeigt, dass sie ganz allein einen Film tragen kann. Auch wenn sie bis zum Ende viel zu gut aussieht für die Strapazen, die sie erleiden muss.

Am Ende von „The Shallows“ erscheint ein rappelvoller Strand mit nervigen, oft viel zu knapp bekleideten Badegästen als eine gar nicht mehr so schlechte Option; wenn es da nicht die Sache mit „Der weiße Hai“ gäbe.

The Shallows - Plakat

The Shallows – Gefahr aus der Tiefe (The Shallows, USA 2016)

Regie: Jaume Collet-Serra

Drehbuch: Anthony Jaswinski

mit Blake Lively – außerdem, nicht unwichtig, aber im Cameo-Bereich Óscar Jaenada, Angelo Jose, Lozano Corzo, Jose Manual, Trujillo Salas, Brett Cullen, Sedona Legge, Pablo Calva, Diego Espejel, Janelle Bailey, Ava Dean, Chelsea Moody, Sully ‚Steven‘ Seagall (Debüt!)

Länge: 87 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Moviepilot über „The Shallows“

Metacritic über „The Shallows“

Rotten Tomatoes über „The Shallows“

Wikipedia über „The Shallows“

Meine Besprechung von Jaume Collet-Serras “Non-Stop” (Non-Stop, USA 2013)

Meine Besprechung von Jaume Collet-Serras „Run all Night“ (Run all Night, USA 2015)