Neu im Kino/Filmkritik: „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“, „Die Rote Kapelle“, „Sky Sharks“, „Tides“, „Die Unbeugsamen“ – die Neustarts vom 26. August 2021, Teil 2

August 27, 2021

Im zweiten Teil meiner Besprechungen der aktuellen Filmstarts bespreche ich drei Science-Fiction-Filme und zwei Dokumentarfilme.

Im ersten Teil sind die Besprechungen von „Candyman“ (Horror), „Coup“ (Krimi), „Killer’s Bodyguard 2“ (Action), „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ (Doku) und „Martin Eden“ (Drama).

Nach „M“ geht es mit „R“ weiter:

Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“ ist ein prächtig aussehender Science-Fiction-Noir, der unter seiner allzu dünnen Geschichte leidet.

Nick Bannister (Hugh Jackman) ist schon auf den ersten Blick der typische Hardboiled-Privatdetektiv. Staubmantel, Drei-Tage-Bart, Trinker und selbstverständlich vollständig desillusioniert vom Leben, der Welt und dem ganzen Rest. Seine Sekretärin Watts (Thandiwe Newton) ist eine alte Kriegsgefährtin, die immer einen Flachmann in Griffweite hat. Und eine Pistole. Ihr Arbeitsplatz ist ein heruntergekommener, riesiger Raum, der früher möglicherweise der Eingangsbereich einer Bank war. Ihre Kunden wollen von ihnen mittels einer Erinnerungsmaschine in ihren Erinnerungen abtauchen. Meistens wollen sie sich an glückliche Momente erinnern. Diese werden auf Datenträgern gespeichert. Manchmal helfen Bannister und Watts mit ihrer Erinnerungsmaschine auch der Polizei bei Ermittlungen.

Eines Tages, nach Feierabend, taucht Mae (Rebecca Ferguson) bei ihnen auf. Die umwerfend gut aussehende Nachtclubsängerin hat ihren Schlüssel verloren. Bannister kann ihr helfen, indem er sie durch ihre Erinnerungen an die vorherigen Stunden führt. Und er verliebt sich in die Frau, die Noir-Fans spätestens bei ihrem ersten Auftritt auf der Nachtclubbühne an „Gilda“ erinnert.

Das ist der Auftakt für eine erschreckend beliebige Geschichte, die sich durchgehend wenig für ihre Figuren, überhaupt nicht für die Kriminalgeschichte, kaum für die Liebesgeschichte, aber sehr für die Bilder interessiert. Sie sind sorgfältig gestaltete Tableaus, wie geschaffen für eine Fotostrecke in einem Magazin. Das im Wasser versinkende, immer noch sonnendurchflutete Miami, das sumpfig-schwüle New Orleans, die an „Blade Runner“ erinnernden Straßenschluchten (wieder in Miami), die verruchten Vierziger-Jahre-Nachtclubs (deshalb ist Mae eine Nachtclubsängerin) und die vollkommen unsinnigen Innenräume. So gibt es keinen rationalen Grund, warum Bannister die Erinnerungen seiner Kunden sehen kann und warum sie als lebensgroße Hologramme mitten im Raum stehen; außer natürlich, dass es gut aussieht, wenn Bannister vor dem singenden Mae-Hologramm steht oder er durch die schön-kitschigen Erinnerungen seiner Kunden geht.

Das sieht immer gut aus, aber es bleibt l’art pour l’art.

In „Tides“ (dazu später mehr) gelingt die Verbindung von Stil und Story viel besser und das macht „Tides“ dann auch zur besseren Dystopie. „Reminiscence“ ist dagegen nur das Blättern im Science-Fiction-Noir-Katalog.

Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie (Reminiscence, USA 2021)

Regie: Lisa Joy

Drehbuch: Lisa Joy

mit Hugh Jackman, Rebecca Ferguson, Thandiwe Newton, Cliff Curtis, Marina de Tavira, Daniel Wu, Mojean Aria, Brett Cullen, Natalie Martinez, Angela Sarafyan, Nico Parker

Länge: 116 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Reminiscence“

Metacritic über „Reminiscence“

Rotten Tomatoes über „Reminiscence“

Wikipedia über „Reminiscence“ (deutsch, englisch)

Die Rote Kapelle“ ist ein gelungener Dokumentarfilm über eine immer noch fast vergessene Widerstandsgruppe gegen Adolf Hitler und die Nazi-Diktatur. Das kann daran liegen, dass die Rote Kapelle als Spionagering für die Sowjetunion spionierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Kommunisten im Kalten Krieg zu Bösewichtern. Da bestand im Westen kein besonders großes Interesse daran, eine Geschichte über heldenhafte Sowjet-Spione, die mit ihren Informationen zum Ende des Faschismus beitrugen, zu erzählen. Weil die Geschichte der Roten Kapelle während des Zweiten Weltkriegs einige unschöne Wendungen nahm, wurde sie auch im Osten fast vollständig vergessen. Die Mitglieder der Roten Kapelle, die den Krieg überlebten, wurden von der Gesellschaft und der erst Jahre nach dem Krieg entstehenden Erinnerungskultur, ignoriert.

Trotzdem beschäftigen sich Anfang der siebziger Jahre zwei Filme mit ihr: der DEFA-Film „KLK ruft PTX – Die Rote Kapelle“ und der deutsch-französische TV-Mehrteiler „Die Rote Kapelle“. Beide heute unbekannten Filme erzählten nur einen Teil der Geschichte der Roten Kapelle und es wurde sich auf bestimmte Gruppen der Roten Kapelle konzentriert. Denn sie war keine fest organisierte Gruppe, sondern ein loses Netzwerk Gleichgesinnter, die teilweise nichts voneinander wussten. Inzwischen sind ungefähr vierhundert Mitglieder der Roten Kapelle namentlich bekannt. Ihren Namen erhielt sie von der Gestapo, die unter dem Begriff „Rote Kapelle“ verschiedene Widerstandsgruppen zusammenfasste, die Kontakt in Richtung Sowjetunion hatten oder von denen ein solcher Kontakt vermutet wurde.

Der Dokumentarfilm „Die Rote Kapelle“ konzentriert sich auf den in Berlin agierenden Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen, einem Offizier im Luftfahrt-Ministerium mit Zugang zu geheimen Informationen, und einen von dem Palästinakämpfer und Sowjet-Agenten Leopold Trepper in Paris und Brüssel aufgebauten Spionagering.

Ihre Geschichte erzählt Carl-Ludwig Rettinger chronologisch als eine Mischung aus sprechenden Köpfen, aktuellen und historischen Aufnahmen. Das ist von seiner Machart konventionell, aber informativ und das Material wird gelungen präsentiert. Interessant ist die fast schon exzessive Verwendung von Ausschnitten aus den beiden bereits erwähnten Filmen über die Rote Kapelle. Sie machen die Aktionen der Roten Kapelle begreifbarer. Gleichzeitig werfen sie einen Blick darauf, wie das Agieren der Roten Kapelle nach dem Krieg beurteilt wurde und sie zeigen auch, dass Geschichte immer eine Interpretation der Ereignisse ist.

Die Rote Kapelle (Deutschland/Belgien/Israel 2020)

Regie: Carl-Ludwig Rettinger

Drehbuch: Carl-Ludwig Rettinger

mit Lital Levin, Rebecca Donner, Roberta Böcker, Yehudit Kafri, Hans Coppi, Guillaume Bourgeois, Sacha Barcza, André Possot, Gerhard Sälter

Länge: 125 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Verleihseite zum Film

Filmportal über „Die Rote Kapelle“

Moviepilot über „Die Rote Kapelle“

Wikipedia über die Rote Kapelle (deutsch, englisch)

Kommen wir zu „Sky Sharks“.

Die Idee war wohl, nach einem Filmabend mit „Iron Sky“, „Sharknado“ und zuviel Alkohol: Nazis, fliegende Haie, Trash. Aber halt bewusster Trash. Sozusagen Metatrash.

Dazu gibt es, weil das halt zu einem Trashfilm gehört, hirnlose Gewalt, Blutfontänen (CGI-Blut, nicht Kunstblut) und – Gähn! – nackte weibliche Brüste.

Herausgekommen ist Murks. „Sky Shark“ ist – und zu dem Urteil bin ich schon letztes Jahr gekommen, als die Kinos geschlossen waren und ich den Film als Stream sehen konnte – einer der schlechtesten, wahrscheinlich sogar der schlechteste Film des aktuellen Kinojahres. Zu dieser Einschätzung stehe ich immer noch. In den letzten Monaten habe ich viele, aber keinen schlechteren Film gesehen. Denn in „Sky Sharks“ stimmt nichts. Eine Story gibt es nicht. Die Dialoge sind zum Abwinken. Die Tricks sind grottenschlecht. Die Schauspieler sind zum Vergessen. Oliver Kalkofe ist wahrscheinlich nur deshalb dabei, um den Film für seine SchleFaZ-Reihe zu disqualifizieren.

Unter allen Umständen vermeiden.

Sky Sharks (Deutschland 2020)

Regie: Marc Fehse

Drehbuch: A.D. Morel, Marc Fehse, Carsten Fehse

mit Eva Haberman, Barbara Nedeljáková, Tony Todd, Naomi Grossman, Michaela Schaffrath, Oliver Kalkofe, Ralf Richter

Länge: 102 Minuten

FSK: ab 18 Jahre (eine erfreuliche Meldung des Jugendschutzes)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Sky Sharks“

Moviepilot über „Sky Sharks“

Rotten Tomatoes über „Sky Sharks“

Wikipedia über „Sky Sharks“

Genau das sollte man bei „Tides“ nicht tun. Es ist der neue Film von „Hell“-Regisseur Tim Fehlbaum. Es ist wieder eine Dystopie und wieder überzeugt der Science-Fiction-Film. Vor allem visuell.

Vor einigen Jahrzehnten verließen die Menschen die von ihnen unbewohnbar gemachte Erde. Auf dem Planeten Kepler 209 fanden sie Zuflucht. Allerdings macht die Atmosphäre sie unfruchtbar. Deshalb soll jetzt eine Erkundungsmission (das Schicksal einer früheren Mission ist unklar) herausfinden, ob die Menschen wieder auf die Erde zurückkehren können.

Nach der Bruchlandung befinden die Astronauten, die die Landung überlebten, sich in einer nebligen und sehr bedrohlich wirkenden Wattlandschaft. Kurz darauf werden sie angegriffen. Nur Blake (Nora Arnezeder) überlebt. Sie wird von einer Gruppe Nomaden, den Mudmenschen, gefangen genommen. Sie sind im Krieg mit einer von Gibson angeführten Gruppe Menschen, die sie immer wieder überfällt und Mitglieder von ihnen entführt.

Und wenn dann Iain Glen auftaucht, wissen wir, wer der Bösewicht in diesem Film ist, weil Glen diese Rolle öfter übernimmt und weil der Plot aus zahlreichen anderen Dystopien bekannt ist. Aber Fehlbaum veränderte einige Details (so haben Frauen eine deutlich wichtigere Rolle) und er hat diese Welt bis ins letzte Detail liebevoll zu einer Welt ausgestaltet, in der niemand leben möchte. Diese Erde ist eine nasse, neblige Welt, in der die Menschen im Müll der Gegenwart in einem archaischen Zustand leben und einer fremden Sprache sprechen.

Kameramann Markus Förderer, mit dem Fehlbaum bereits bei seinem Debüt zusammen arbeitete, nahm diese Welt in monochromen Bildern auf, die durchgehend für die große Leinwand komponiert sind.

Und genau dort sollte „Tides“ unbedingt gesehen werden.

Tides (Deutschland 2021)

Regie: Tim Fehlbaum

Drehbuch Tim Fehlbaum, Mariko Minoguchi, Jo Rogers (Co-Autor), Tim Trachte (Co-Autor)

mit Nora Arnezeder, Iain Glen, Sarah-Sofie Boussnina, Sope Dirisu, Sebastian Roché, Joel Basman, Kotti Yun, Bella Bading, Chloé Heinrich, Eden Gough

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Tides“

Moviepilot über „Tides“

Metacritic über „Tides“

Rotten Tomatoes über „Tides“

Wikipedia über „Tides“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tim Fehlbaums „Hell“ (Deutschland/Schweiz 2011)

Nach mehrmaligen pandemiebedingten Verschiebungen läuft Torsten Körners neuester Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ endlich an. Von ihm ist auch die Doku „Angela Merkel – Die Unerwartete“. In „Die Unbeugsamen“ geht es um die Politikerinnen, die während der Bonner Republik, im Bundestag saßen und welche Widerstände sie erlebten. Damit ist der jetzige Starttermin, wenige Wochen vor der Bundestagswahl, perfekt, um auf ihre Leistungen, die gesellschaftlichen Veränderungen und den Backlash durch die AfD in den Parlamenten, hinzuweisen.

Körner unterhielt sich für „Die Unbeugsamen“ mit, u. a. Herta Däubler-Gmelin, Ingrid Matthäus-Maier, Renate Schmidt, Rita Süssmuth, Christa Nickels (die 1952 geborene ist die jüngste Interviewte) und Marie-Elisabeth Klee. Die 1922 geborene, 2018 verstorbene CDU-Politikerin ist seine älteste Gesprächspartnerin. Sie sind schon lange keine Mitglieder des Bundestages mehr. Konkret gesagt, beendeten sie fast alle ihre Arbeit im Bundestag bevor dieser nach Berlin umzog.

Aus den Gesprächen und den vielen sehr klug und pontiert gewählten Ausschnitten aus Parlamentsdebatten, historischen Interviews und TV-Beiträgen, die heute alle unbekannt sind, ergibt sich eine Historie und Sittengeschichte der Bundesrepublik. Denn egal zu welcher Partei die Parlamentarierinnen gehören, sie muissten alle mit den gleichen Widerständen kämpfen. Die Männer, auch heute noch geachtete Top-Politiker, benahmen sich aus heutiger Sicht atemberaubend unmöglich. Vor dreißig, vierzig, fünfzig Jahren nahmen sie ihr Verhalten als normal wahr. Petra Kelly sagte dazu: „Seit ich in Bonn bin, werde ich immer männerfeindlicher.“

Die Unbeugsamen“ zeigt, wie viel sich in den vergangenen Jahrzehnten veränderte. Der Einzug der AfD und ihr Verhalten im Bundestag zeigt auch, dass der Kampf noch nicht gewonnen ist. Und genau deshalb startet Körners beeindruckender Dokumentarfilm, den ich schon gerne letztes Jahr auf meine Jahresbestenliste gesetzt hätte, jetzt zu einem passenden Zeitpunkt.

Die Unbeugsamen (Deutschland 2020)

Regie: Torsten Körner

Drehbuch: Torsten Körner

mit (den Interviewpartnerinnen) Herta Däubler-Gmelin, Renate Faerber-Husemann, Elisabeth Haines, Renate Hellwig, Marie-Elisabeth Klee, Ursula Männle, Ingrid Matthäus-Maier, Christa Nickels, Renate Schmidt, Helga Schuchardt, Rita Süssmuth, Roswitha Verhülsdonk, Carola von Braun, Sabine Gräfin von Nayhauß-Cormons

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Unbeugsamen“

Moviepilot über „Die Unbeugsamen“

Wikipedia über „Die Unbeugsamen“


Neu im Kino/Filmkritik: „Candyman“, „Coup“, „Killer’s Bodyguard 2“, „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“, „Martin Eden“ – die Neustarts vom 26. August 2021, Teil 1

August 26, 2021

Zehn Film werde ich jetzt besprechen. Dabei starten heute sogar siebzehn Filme. Und nur einem Film wünsche ich eine möglichst kurze Zeit in den Kinos. Die anderen sind vielleicht nicht alle kommende Klassiker, manche sind auch zwiespältig oder nur für ein bestimmtes Publikum geeignet (Ja, Killer’s Bodyguard, du bist gemeint), aber doch, in dem Fall für die Zielgruppe, mindestens einen Blick wert.

Im ersten Teil bespreche ich „Candyman“, „Coup“, „Killer’s Bodyguard 2“, „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ und „Martin Eden“; im zweiten Teil „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“, „Die Rote Kapelle“, „Sky Sharks“, „Tides“ und „Die Unbeugsamen“.

Beginnen wir in alphabetischer Reihenfolge mit dem Mann, der Süßigkeiten an kleine Kinder verteilt.

Candyman“ ist irgendetwas zwischen Remake, Reboot, Prequel und Weitererzählung von „Candyman’s Fluch“ (Candyman, USA 1992). In den ersten Minuten wird nämlich von einem Auftauchen des titelgebenden Candymans im Sommer 1977 in Chicago in der real existierenden Sozialwohnungssiedlung Cabrini-Green erzählt. Dann springt die Filmgeschichte in die Gegenwart. Cabrini-Green ist inzwischen gentrifiziert. In einem der neuen Nobelapartments wohnt der schwarze Künstler Anthony McCoy. Als er die Geschichte von Candyman hört, ist er fasziniert. Schnell beschließt er, dass er sich in seinem neuen Projekt mit diesem Candyman und seinen Taten in Cabrini-Green beschäftigen will. In dem Moment ahnt er noch nicht, dass er dabei auch dem titelgebenden Mann mit den Süßigkeiten begegnen wird. Denn er taucht immer dann auf, wenn man seinen Namen fünfmal in einen Spiegel sagt (Nein! Nicht ausprobieren!).

Jordan Peele („Get out“) produzierte und schrieb das Drehbuch für diese Neuinterpretation einer Großstadtlegende. Die Regie übernahm die 1989 in Brooklyn geborene Nia DaCosta. Ihr Spielfilmdebüt war „Little Woods“. Ihr nächster Film ist der Marvel-Film „The Marvels“.

Candyman“ überzeugt vor allem als fast schon hypnotisch langsam erzählter, ätzender Kommentar zu Gentrifizierung, Rassismus und männlichen Selbstzweifeln. Weil der Protagonist ein Künstler ist, sind diese Sellbstzweifel monströs und die Macher können auch einen sarkastischen Blick auf die Kunstszene werfen. In den Städten ist sie ein Treiber der Gentrifizierung und Anthonys neues Projekt lebt genau von diesem Zwiespalt: einerseits will er in seinem neuen Werk auf die Geschichte bekannter machen, andererseits beutet er sie für seine Karriere aus. Vor allem nachdem nach der Präsentation seiner Werke in einer Galerie ein bestialischer Doppelmord geschieht, steigt der Preis für seine Bilder rapide.

Die üblichen Horrormomente, also vor allem die brutalen und blutige Morde, werden meistens nicht gezeigt. Die Opfer schon. Traditionelle Jumpscares werden auch größtenteils vermieden. Stattdessen wird die Vergangenheit von Candyman im Stil eines Schattenspiels erzählt.

Insofern kann „Candyman“ als gelungene Wiederbelebung eines schon toten Horrorfilm-Franchises aus dezidiert afroamerikanischer Perspektive gesehen werden. Denn selbstverständlich gab es nach dem überraschenden Erfolg des ersten „Candyman“-Films weitere, schlechtere und unbekanntere „Candyman“-Filme.

Allerdings hatte ich auch den Eindruck, dass der „Candyman“-Mythos die Macher beim Erzählen ihrer Geschichte etwas hinderte. Schließlich mussten sie immer wieder auf die aus den vorherigen Filmen bekannte Großstadtlegende von dem Killer mit der Hakenhand, sein Schicksal und seine Taten verweisen, anstatt eine eigene urban legend zu erfinden.

Candyman (Candyman, USA 2021)

Regie: Nia DaCosta

Drehbuch: Jordan Peele, Win Rosenfeld, Nia DaCosta

mit Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Nathan Stewart-Jarrett, Colman Comingo, Kyle Kaminsky, Vanessa Williams, Brian King, Rebecca Spence, Tony Todd

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Candyman“

Metacritic über „Candyman“

Rotten Tomatoes über „Candyman“

Wikipedia über „Candyman“ (deutsch, englisch)

Auf den ersten Blick wirkt „Coup“ wie der nächste Versuch eines deutschen Genrefilms. Im Mittelpunkt der wahren Geschichte steht ein 22-jähriger Bankangestellter. Obwohl er nur lustlos arbeitet, hat er eine feste Anstellung und finanziell eigentlich ausgesorgt. Da entdeckt er eine Sicherheitslücke. Er nutzt sie aus und hat plötzlich mehrere Millionen Deutsche Mark. Zusammen mit seinem besten Freund, wie er ein Rocker, flüchtet er nach Australien. Dort geben sie das erbeutete Geld mit vollen Händen aus. Er möchte auch, dass seine große Liebe und ihr gemeinsames Kind nachkommen. Aber sie will nicht.

In seinem Regiedebüt erzählt Sven O. Hill diese Geschichte mit einem minimalen Budget und einem Mix aus Real- und Animationsfilm. Erzählt wird die Geschichte von dem Bankräuber, der sie Hill erzählte und der immer noch etwas fassungslos über seinen 1988 erfolgten Bankraub ist.

Das Problem dieser verfilmten wahren Geschichte ist dann die wahre Geschichte, die halt nicht den Hollywood-Drehbuchregeln folgt und deshalb etwas spannungs- und konfliktfrei ist. Denn brenzlig oder gefährlich wird es für für ihn nie.

Coup“ ist kein pulstreibendes Krimidrama, sondern eine Schnurre mit nett-verpeilten Hamburger Jungs und ein Blick in die bundesdeutsche Vergangenheit als eine Anstellung bei einer Bank eine krisensichere Arbeit bis zur Rente war.

Coup (Deutschland 2019)

Regie: Sven O. Hill

Drehbuch: Sven O. Hill

mit Daniel Michel, Rocko Schamoni, Tomasz Robak, Paula Kalenberg

Länge: 81 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Coup“

Moviepilot über „Coup“

Die Story von „Killers’s Bodyguard 2“, bzw. im Original mit „The Hitman’s Wife Bodyguard“ treffender betitelt, ist Unfug, der nur existiert, um exzessive Gewalt, Brachialhumor und ein gutgelauntes Ensemble im konstanten Overacting-Modus zusammem zu führen.

Diese Fortsetzung knüpft an „Killer’s Bodyguard“ an. In dem Überraschungserfolg musste der Top-Bodyguard Michael Bryce (Ryan Reynolds) den erfolgreichen Profikiller Darius Kincaid (Samuel L. Jackson) lebendig von Coventry nach Den Haag bringen. Bei der Mission gab es Verletzte, Tote und erhebliche Schäden an Fahrzeugen und Gebäuden.

Jetzt ist Bryce immer noch todunglücklich über den Verlust seines Top-Ratings als Bodyguard (das gibt es in dieser Welt) und seiner Lizenz (auch das gibt es in dieser Welt). Als er sich auf Anraten seiner Therapeutin, die ihren therapieunfähigen Patienten unbedingt loswerden will, in einen Erholungsurlaub begibt, wird er von Sonia Kincaid (Salma Hayek), der Frau von Darius Kincaid, gefunden und sofort in ein riesiges Gefecht mit einer Hundertschaft schieß- und gewalttätiger Männer verwickelt. Während er unter keinen Umständen eine Waffe anrühren möchte, ballert sie wild drauflos.

Sie entkommen und stolpern gleich in die nächste Schlacht. Denn Sonia will unbedingt ihren von einem Mafiosi entführten Mann befreien und sie möchte Mutter werden (dabei ist sie die ungeeignetste Person dafür). Außerdem werden sie von dem echt harten, immer schlecht gelauntem Interpol-Agenten Bobby O’Neill (Frank Grillo), der unbedingt wieder zurück in die USA will, erpresst, den größenwahnsinnigen griechischen Cyberterroristen Aristoteles Papadopolous (Antonio Banderas) auszuschalten.

Die James-Bond-würdige Geschichte erhebt sich bei ihrer europäischen Sightseeing-Tour nie über das Niveau der Rollennamen. Da werden die Klischees munter aneinandergereiht und zitiert; in dem vollen Bewusstsein, dass jeder im Saal die Anspielungen versteht.

Und dann tritt auch noch Morgan Freeman als Quasi-Gott auf. Im Film ist das einer der wirklich überraschenden Momente. Wer allerdings einen Blick auf das Plakat geworfen hat, weiß, dass Morgan Freeman mitspielt.

In der richtigen Stimmung ist Buddy-Movie (oder Buddy-Buddy-Movie) „Killer’s Bodyguard 2“ ein spaßiger Film, sozusagen der räudige, sich schlecht benehmende, sein schlechtes Benehmen geniesende Bruder von „Free Guy“, ebenfalls mit Ryan Reynolds.

Killer’s Bodyguard 2 (The Hitman’s Wife Bodyguard, USA 2021)

Regie: Patrick Hughes

Drehbuch: Tom O’Connor

mit Ryan Reynolds, Samuel L. Jackson, Salma Hayek, Antonio Banderas, Morgan Freeman, Frank Grillo, Caroline Goodall, Rebecca Front, Gabriella Wright, Alice McMillan,

Kristofer Kamiyasu, Tom Hopper

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Killer’s Bodyguard 2“

Metacritic über „Killer’s Bodyguard 2“

Rotten Tomatoes über „Killer’s Bodyguard 2“

Wikipedia über „Killer’s Bodyguard 2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Patrick Hughes‘ „The Expendables 3“ (The Expendables, USA 2014)

Meine Besprechung von Patrick Hughes‘ „Killer’s Bodyguard“ (Hitman’s Bodyguard, USA 2017)

Bleiben wir in Italien. Aber während „Killer’s Bodyguard 2“ Italien nur für den Klischeetrip US-amerikanischer Prägung benutzt, taucht Franco Maresco in seinem neuen Film „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ tief in den sizilianischen Alltag ein.

Am 23. Mai 1992 und am 19. Juli 1992 verübte die Mafia Bombenattentate auf die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Die Attentate, bei denen auch mehrere Unbeteiligte starben, waren letztendlich auch das Ende der Mafia, wie wir sie aus unzähligen Filmen kennen.

25 Jahre später will Maresco in Palermo die Feiern zu ihrem Todestag aufnehmen. Dafür begleitet er die Fotografin Letizia Battaglia. Sie dokumentierte ab den Siebzigern die Morde der Mafiosi. Sein zweiter Protagonist ist der Party-Veranstalter Ciccio Mira, der mit vielen Künstlern eine Feier zu Ehren der beiden ermordeten Mafiajäger durchführen will. Seine an Peinlichkeit kaum zu überbietende Dorfkirmes-Veranstaltung mit untalentierten Amateurkünstlern lebt von dem Gegensatz zwischen der erklärten Absicht, Borsellino und Falcone zu ehren, und der Realität, in der die Veranstalter und die Künstler wortreich nicht erklären können, warum sie an der Veranstaltung teilnehmen wollen und sie sich nicht von der Mafia distanzieren wollen.

In seinem Dokumentarfilm bedient Maresco sich eines satirischen Ansatzes, bei dem immer unklar ist, wie sehr die einzelnen Szenen inszeniert sind. Denn er ist ein ausgesucht respektloser und penetranter Fragensteller. Trotzdem ertragen seine Interviewpartner ihn klaglos und höflich. Auch wernn er zum x-ten Mal von ihnen ein Bekenntnis gegen die Mafia hören will. Oder er den immer freundlichen, aber auch sehr halbseidenen Festivalveranstalter Mira ins Kreuzverhör nimmt und dieser wort- und gestenreich ausweicht.

Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ ist eine sehr italienische satirische Doku, die perfekt in kleine, schummerige Arthauskinos passt. Die Studentenkinos sind ja noch geschlossen.

Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war (La mafia non è più quella di una volta, Italien 2019)

Regie: Franco Maresco

Drehbuch: Franco Maresco, Claudia Uzzo, Francesco Guttuso, Giuliano La Franca, Uliano Greca

mit Letizia Battaglia, Ciccio Mira, Matteo Mannino, Christian Miscel, Franco Zecchin

Länge: 105 Minuten

FSK: ?

Hinweise

Deutsche Verleihseite zum Film

Moviepilot über „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“

Rotten Tomatoes über „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“

Wikipedia über „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ (englisch, italienisch)

Wir bleiben in Italien. „Martin Eden“ ist die freie Verfilmung von Jack Londons gleichamigem, autobiographisch inspiriertem Roman. Pietro Marcello verlegte die Geschichte in seinem Spielfilmdebüt in das Nachkriegsitalien des Neorealismus.

Wie Dominik Graf in seiner Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ erstarrt Marcello nicht in Ehrfurcht vor der Vorlage. Er bebildert sie nicht, sondern eignet sie sich an, interpretiert und verändert sie; dabei benutzt er die filmischen Mittel, die ihm passen. Die Geschichte gewinnt eine zeitlose Qualität, die immer an eine unspezifische Vergangenheit und die große Zeit des italienischen Kinos erinnert.

Martin Eden ist ein ungebildeter Seemann und Landarbeiter. Er gehört zum Subproletariat. Als er im Hafen von Neapel die großbürgerliche Elena Orsini vor einigen Schlägern rettet, öffnet sich für ihn eine Tür in eine andere Welt. Er verliebt sich in sie und sie scheint auch etwas für ihn zu empfinden. Um sie zu beeindrucken, beginnt er hochliterarische Werke zu lesen und er möchte Schriftsteller werden.

Einer der wenigen Menschen, die an ihn glaubt ist der Bohemien und Sozalist Russ Brissenden. Er fragt sich aber auch, ob Eden erfolgreich sein kann, ohne sich zu verraten. Falls er überhaupt einen Text verkaufen kann.

Martin Eden (Martin Eden, Italien/Frankreich/Deutschland 2019)

Regie: Pietro Marcello

Drehbuch: Maurizio Braucci, Pietro Marcello

LV: Jack London: Martin Eden, 1909 (Martin Eden)

mit Luca Marinelli, Jessica Cressy, Denise Sardisco, Vincenzo Nemolato, Carmen Pommella, Elisabetta Volagoi, Marco Leonardi, Autilia Ranieri, Pietro Raguso, Carlo Cecchi

Länge: 129 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Filmportal über „Martin Eden“

Moviepilot über „Martin Eden“

Metacritic über „Martin Eden“

Rotten Tomatoes über „Martin Eden“

Wikipedia über „Martin Eden“ (deutsch, englisch, italienisch)


%d Bloggern gefällt das: