In dem bayerischen Ort Grubberg soll das heruntergekommene städtische Freibad geschlossen werden. Auf der frei werdenden Fläche sollen noble Wohnungen entstehen. Bademeister Karl Kruse, der titelgebende „Beckenrand Sheriff“, der sich ein Leben außerhalb des Freibads nicht vorstellen kann, will das verhindern.
Ausgehend von dieser Prämisse entwirft Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt, ist länger tot“, „Sommer in Orange“) eine prominent besetzte, entspannt vor sich hin blödelnde Geschichte. In einer Abfolge von Sketchen werden alle wichtigen und aktuellen Themen angesprochen. Mal besser, mal schlechter, aber nie unter der Gürtellinie. So spielt Milan Peschel den betont grantigen, überaus peniblen Bademeister Karl Kruse, der darauf achtet, dass die Stühle millimetergenau ausgerichtet sind. Dimitri Abold spielt Sali, einen aus Nigeria kommenden Asylbewerber, der als Azubi zu ihm geschickt wird. Kruses in der Verwaltung arbeitende Schwester hofft so, Salis Abschiebung zu verhindern. Sali ist zwar willig, aber auch ein Nichtschwimmer. Das wäre kein großes Problem, wenn nicht die selbstverständlich hoffnungslos erfolglose Wasserball-Mannschaft einen Sieg bräuchte (Haben wir das nicht schon in einem Dutzend anderer Komödien gesehen?) und Sali ein begnadeter Ballfänger wäre. Also muss er schwimmen lernen.
Im Schwimmbad trifft er lange nachdem das Bad für den täglichen Publikumsverkehr geschlossen wurde, Lisa (Sarah Mahita). Die junge Schwimmerin war mal die große Olympiahoffnung des Dorfes. Bis eine seltsame, nie vollkommen geklärte Dopinggeschichte diese Karriere beendete. Jetzt trainiert sie heimlich nach Sonnenuntergang. Ihr Vater ist Albert Dengler (Sebastian Bezzel), der Mann, der auf dem Schwimmbadgelände Häuser bauen möchte.
Und so langsam finden sich die Menschen zusammen, die einerseits in herzlicher Abneigung miteinander verbunden sind, und andererseits nur gemeinsam das Freibad retten können.
Bei den Mitteln, die sie dafür einsetzen, und wie ihnen die Rettung gelingt, wird es dann immer wieder ärgerlich. Natürlich ist ein Spielfilm keine verfilmte Gemeinderatsordnung. Und natürlich können die Filmemacher sich beim Erzählen ihrer Geschichte jede künstlerische Freiheiten nehmen. Ärgerlich wird es allerdings dann, wenn man den Eindruck hat, das Wissen der Macher über die Kommunalpolitik erschöpft sich in einer Mischung aus Schlagzeilenlektüre und Stammtischgesprächen. Dabei hätten die realen Verfahren Stoff für mehr und bessere Verwicklungen und politische Winkelzüge geboten. So sammelt, um nur ein Beispiel zu nennen, Kruse irgendwann Unterschriften für den Erhalt des Freibads. Jeder, der schon einmal eine Unterschriftensammlung gemacht hat, weiß, wie schwierig die Formulierung der Forderung ist und wie sehr eine Verwaltung eine Sammlung vor, während und nach der Unterschriftensammlung blockieren kann. Zum Beispiel, indem sie Formulierungen nicht zulässt, die Prüfung endlos hinauszögert oder nur an bestimmten Orten sammeln lässt. All das bietet Stoff für wundervolle komödiantische Verwicklungen, die hier nicht genutzt werden, weil Kommunalpolitik auf nicht informiertem Stammtisch-Niveau behandelt wird.
„Beckenrand Sheriff“ ist ein belangloser Bayern-Klamauk, der eine politische Satire hätte sein können.
Beckenrand Sheriff (Deutschland 2021)
Regie: Marcus H. Rosenmüller
Drehbuch: Marcus Pfeiffer
mit Milan Peschel, Dimitri Abold, Sebastian Bezzel, Rick Kavanian, Gisela Schneeberger, Johanna Wokalek, Sarah Mahita, Rocko Schamoni, Thomas Mraz, Frederick Linkemann
Zehn Film werde ich jetzt besprechen. Dabei starten heute sogar siebzehn Filme. Und nur einem Film wünsche ich eine möglichst kurze Zeit in den Kinos. Die anderen sind vielleicht nicht alle kommende Klassiker, manche sind auch zwiespältig oder nur für ein bestimmtes Publikum geeignet (Ja, Killer’s Bodyguard, du bist gemeint), aber doch, in dem Fall für die Zielgruppe, mindestens einen Blick wert.
Im ersten Teil bespreche ich „Candyman“, „Coup“, „Killer’s Bodyguard 2“, „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ und „Martin Eden“; im zweiten Teil „Reminiscence: Die Erinnerung stirbt nie“, „Die Rote Kapelle“, „Sky Sharks“, „Tides“ und „Die Unbeugsamen“.
Beginnen wir in alphabetischer Reihenfolge mit dem Mann, der Süßigkeiten an kleine Kinder verteilt.
„Candyman“ ist irgendetwas zwischen Remake, Reboot, Prequel und Weitererzählung von „Candyman’s Fluch“ (Candyman, USA 1992). In den ersten Minuten wird nämlich von einem Auftauchen des titelgebenden Candymans im Sommer 1977 in Chicago in der real existierenden Sozialwohnungssiedlung Cabrini-Green erzählt. Dann springt die Filmgeschichte in die Gegenwart. Cabrini-Green ist inzwischen gentrifiziert. In einem der neuen Nobelapartments wohnt der schwarze Künstler Anthony McCoy. Als er die Geschichte von Candyman hört, ist er fasziniert. Schnell beschließt er, dass er sich in seinem neuen Projekt mit diesem Candyman und seinen Taten in Cabrini-Green beschäftigen will. In dem Moment ahnt er noch nicht, dass er dabei auch dem titelgebenden Mann mit den Süßigkeiten begegnen wird. Denn er taucht immer dann auf, wenn man seinen Namen fünfmal in einen Spiegel sagt (Nein! Nicht ausprobieren!).
Jordan Peele („Get out“) produzierte und schrieb das Drehbuch für diese Neuinterpretation einer Großstadtlegende. Die Regie übernahm die 1989 in Brooklyn geborene Nia DaCosta. Ihr Spielfilmdebüt war „Little Woods“. Ihr nächster Film ist der Marvel-Film „The Marvels“.
„Candyman“ überzeugt vor allem als fast schon hypnotisch langsam erzählter, ätzender Kommentar zu Gentrifizierung, Rassismus und männlichen Selbstzweifeln. Weil der Protagonist ein Künstler ist, sind diese Sellbstzweifel monströs und die Macher können auch einen sarkastischen Blick auf die Kunstszene werfen. In den Städten ist sie ein Treiber der Gentrifizierung und Anthonys neues Projekt lebt genau von diesem Zwiespalt: einerseits will er in seinem neuen Werk auf die Geschichte bekannter machen, andererseits beutet er sie für seine Karriere aus. Vor allem nachdem nach der Präsentation seiner Werke in einer Galerie ein bestialischer Doppelmord geschieht, steigt der Preis für seine Bilder rapide.
Die üblichen Horrormomente, also vor allem die brutalen und blutige Morde, werden meistens nicht gezeigt. Die Opfer schon. Traditionelle Jumpscares werden auch größtenteils vermieden. Stattdessen wird die Vergangenheit von Candyman im Stil eines Schattenspiels erzählt.
Insofern kann „Candyman“ als gelungene Wiederbelebung eines schon toten Horrorfilm-Franchises aus dezidiert afroamerikanischer Perspektive gesehen werden. Denn selbstverständlich gab es nach dem überraschenden Erfolg des ersten „Candyman“-Films weitere, schlechtere und unbekanntere „Candyman“-Filme.
Allerdings hatte ich auch den Eindruck, dass der „Candyman“-Mythos die Macher beim Erzählen ihrer Geschichte etwas hinderte. Schließlich mussten sie immer wieder auf die aus den vorherigen Filmen bekannte Großstadtlegende von dem Killer mit der Hakenhand, sein Schicksal und seine Taten verweisen, anstatt eine eigene urban legend zu erfinden.
Candyman (Candyman, USA 2021)
Regie: Nia DaCosta
Drehbuch: Jordan Peele, Win Rosenfeld, Nia DaCosta
mit Yahya Abdul-Mateen II, Teyonah Parris, Nathan Stewart-Jarrett, Colman Comingo, Kyle Kaminsky, Vanessa Williams, Brian King, Rebecca Spence, Tony Todd
Auf den ersten Blick wirkt „Coup“ wie der nächste Versuch eines deutschen Genrefilms. Im Mittelpunkt der wahren Geschichte steht ein 22-jähriger Bankangestellter. Obwohl er nur lustlos arbeitet, hat er eine feste Anstellung und finanziell eigentlich ausgesorgt. Da entdeckt er eine Sicherheitslücke. Er nutzt sie aus und hat plötzlich mehrere Millionen Deutsche Mark. Zusammen mit seinem besten Freund, wie er ein Rocker, flüchtet er nach Australien. Dort geben sie das erbeutete Geld mit vollen Händen aus. Er möchte auch, dass seine große Liebe und ihr gemeinsames Kind nachkommen. Aber sie will nicht.
In seinem Regiedebüt erzählt Sven O. Hill diese Geschichte mit einem minimalen Budget und einem Mix aus Real- und Animationsfilm. Erzählt wird die Geschichte von dem Bankräuber, der sie Hill erzählte und der immer noch etwas fassungslos über seinen 1988 erfolgten Bankraub ist.
Das Problem dieser verfilmten wahren Geschichte ist dann die wahre Geschichte, die halt nicht den Hollywood-Drehbuchregeln folgt und deshalb etwas spannungs- und konfliktfrei ist. Denn brenzlig oder gefährlich wird es für für ihn nie.
„Coup“ ist kein pulstreibendes Krimidrama, sondern eine Schnurre mit nett-verpeilten Hamburger Jungs und ein Blick in die bundesdeutsche Vergangenheit als eine Anstellung bei einer Bank eine krisensichere Arbeit bis zur Rente war.
Coup (Deutschland 2019)
Regie: Sven O. Hill
Drehbuch: Sven O. Hill
mit Daniel Michel, Rocko Schamoni, Tomasz Robak, Paula Kalenberg
Die Story von „Killers’s Bodyguard 2“, bzw. im Original mit „The Hitman’s Wife Bodyguard“ treffender betitelt, ist Unfug, der nur existiert, um exzessive Gewalt, Brachialhumor und ein gutgelauntes Ensemble im konstanten Overacting-Modus zusammem zu führen.
Diese Fortsetzung knüpft an „Killer’s Bodyguard“ an. In dem Überraschungserfolg musste der Top-Bodyguard Michael Bryce (Ryan Reynolds) den erfolgreichen Profikiller Darius Kincaid (Samuel L. Jackson) lebendig von Coventry nach Den Haag bringen. Bei der Mission gab es Verletzte, Tote und erhebliche Schäden an Fahrzeugen und Gebäuden.
Jetzt ist Bryce immer noch todunglücklich über den Verlust seines Top-Ratings als Bodyguard (das gibt es in dieser Welt) und seiner Lizenz (auch das gibt es in dieser Welt). Als er sich auf Anraten seiner Therapeutin, die ihren therapieunfähigen Patienten unbedingt loswerden will, in einen Erholungsurlaub begibt, wird er von Sonia Kincaid (Salma Hayek), der Frau von Darius Kincaid, gefunden und sofort in ein riesiges Gefecht mit einer Hundertschaft schieß- und gewalttätiger Männer verwickelt. Während er unter keinen Umständen eine Waffe anrühren möchte, ballert sie wild drauflos.
Sie entkommen und stolpern gleich in die nächste Schlacht. Denn Sonia will unbedingt ihren von einem Mafiosi entführten Mann befreien und sie möchte Mutter werden (dabei ist sie die ungeeignetste Person dafür). Außerdem werden sie von dem echt harten, immer schlecht gelauntem Interpol-Agenten Bobby O’Neill (Frank Grillo), der unbedingt wieder zurück in die USA will, erpresst, den größenwahnsinnigen griechischen Cyberterroristen Aristoteles Papadopolous (Antonio Banderas) auszuschalten.
Die James-Bond-würdige Geschichte erhebt sich bei ihrer europäischen Sightseeing-Tour nie über das Niveau der Rollennamen. Da werden die Klischees munter aneinandergereiht und zitiert; in dem vollen Bewusstsein, dass jeder im Saal die Anspielungen versteht.
Und dann tritt auch noch Morgan Freeman als Quasi-Gott auf. Im Film ist das einer der wirklich überraschenden Momente. Wer allerdings einen Blick auf das Plakat geworfen hat, weiß, dass Morgan Freeman mitspielt.
In der richtigen Stimmung ist Buddy-Movie (oder Buddy-Buddy-Movie) „Killer’s Bodyguard 2“ ein spaßiger Film, sozusagen der räudige, sich schlecht benehmende, sein schlechtes Benehmen geniesende Bruder von „Free Guy“, ebenfalls mit Ryan Reynolds.
Killer’s Bodyguard 2 (The Hitman’s Wife Bodyguard, USA 2021)
Regie: Patrick Hughes
Drehbuch: Tom O’Connor
mit Ryan Reynolds, Samuel L. Jackson, Salma Hayek, Antonio Banderas, Morgan Freeman, Frank Grillo, Caroline Goodall, Rebecca Front, Gabriella Wright, Alice McMillan,
Bleiben wir in Italien. Aber während „Killer’s Bodyguard 2“ Italien nur für den Klischeetrip US-amerikanischer Prägung benutzt, taucht Franco Maresco in seinem neuen Film „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ tief in den sizilianischen Alltag ein.
Am 23. Mai 1992 und am 19. Juli 1992 verübte die Mafia Bombenattentate auf die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino. Die Attentate, bei denen auch mehrere Unbeteiligte starben, waren letztendlich auch das Ende der Mafia, wie wir sie aus unzähligen Filmen kennen.
25 Jahre später will Maresco in Palermo die Feiern zu ihrem Todestag aufnehmen. Dafür begleitet er die Fotografin Letizia Battaglia. Sie dokumentierte ab den Siebzigern die Morde der Mafiosi. Sein zweiter Protagonist ist der Party-Veranstalter Ciccio Mira, der mit vielen Künstlern eine Feier zu Ehren der beiden ermordeten Mafiajäger durchführen will. Seine an Peinlichkeit kaum zu überbietende Dorfkirmes-Veranstaltung mit untalentierten Amateurkünstlern lebt von dem Gegensatz zwischen der erklärten Absicht, Borsellino und Falcone zu ehren, und der Realität, in der die Veranstalter und die Künstler wortreich nicht erklären können, warum sie an der Veranstaltung teilnehmen wollen und sie sich nicht von der Mafia distanzieren wollen.
In seinem Dokumentarfilm bedient Maresco sich eines satirischen Ansatzes, bei dem immer unklar ist, wie sehr die einzelnen Szenen inszeniert sind. Denn er ist ein ausgesucht respektloser und penetranter Fragensteller. Trotzdem ertragen seine Interviewpartner ihn klaglos und höflich. Auch wernn er zum x-ten Mal von ihnen ein Bekenntnis gegen die Mafia hören will. Oder er den immer freundlichen, aber auch sehr halbseidenen Festivalveranstalter Mira ins Kreuzverhör nimmt und dieser wort- und gestenreich ausweicht.
„Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ ist eine sehr italienische satirische Doku, die perfekt in kleine, schummerige Arthauskinos passt. Die Studentenkinos sind ja noch geschlossen.
Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war(La mafia non è più quella di una volta, Italien 2019)
Regie: Franco Maresco
Drehbuch: Franco Maresco, Claudia Uzzo, Francesco Guttuso, Giuliano La Franca, Uliano Greca
mit Letizia Battaglia, Ciccio Mira, Matteo Mannino, Christian Miscel, Franco Zecchin
Wikipedia über „Die Mafia ist auch nicht mehr das, was sie mal war“ (englisch, italienisch)
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Wir bleiben in Italien. „Martin Eden“ ist die freie Verfilmung von Jack Londons gleichamigem, autobiographisch inspiriertem Roman. Pietro Marcello verlegte die Geschichte in seinem Spielfilmdebüt in das Nachkriegsitalien des Neorealismus.
Wie Dominik Graf in seiner Erich-Kästner-Verfilmung „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ erstarrt Marcello nicht in Ehrfurcht vor der Vorlage. Er bebildert sie nicht, sondern eignet sie sich an, interpretiert und verändert sie; dabei benutzt er die filmischen Mittel, die ihm passen. Die Geschichte gewinnt eine zeitlose Qualität, die immer an eine unspezifische Vergangenheit und die große Zeit des italienischen Kinos erinnert.
Martin Eden ist ein ungebildeter Seemann und Landarbeiter. Er gehört zum Subproletariat. Als er im Hafen von Neapel die großbürgerliche Elena Orsini vor einigen Schlägern rettet, öffnet sich für ihn eine Tür in eine andere Welt. Er verliebt sich in sie und sie scheint auch etwas für ihn zu empfinden. Um sie zu beeindrucken, beginnt er hochliterarische Werke zu lesen und er möchte Schriftsteller werden.
Einer der wenigen Menschen, die an ihn glaubt ist der Bohemien und Sozalist Russ Brissenden. Er fragt sich aber auch, ob Eden erfolgreich sein kann, ohne sich zu verraten. Falls er überhaupt einen Text verkaufen kann.
Martin Eden (Martin Eden, Italien/Frankreich/Deutschland 2019)
Regie: Pietro Marcello
Drehbuch: Maurizio Braucci, Pietro Marcello
LV: Jack London: Martin Eden, 1909 (Martin Eden)
mit Luca Marinelli, Jessica Cressy, Denise Sardisco, Vincenzo Nemolato, Carmen Pommella, Elisabetta Volagoi, Marco Leonardi, Autilia Ranieri, Pietro Raguso, Carlo Cecchi
Wer heute in einen Helge-Schneider-Film geht und dabei einen normalen Film erwartet, hat die letzten zwanzig Jahre wahrscheinlich in einer Höhle verbracht und hat auch niemals den 1986er Kultfilm „Johnny Flash“ von Werner Nekes mit ihm als Hauptdarsteller gesehen.
Schon mit seinem ersten Spielfilm, dem Anti-Western „Texas – Doc Snyder rettet die Welt“ (1993), pervertierte er alle Erwartungen, die man an einen Western oder eine Westernkomödie haben kann. Der Film war ein Überraschungshit im Kino, es gab ausverkaufte Kinovorstellungen vor studentischem Publikum, den Hit „Katzenklo“, Helge wurde zum Star und spielte plötzlich in großen Sälen vor einem Publikum, das seinen Anti-Humor nicht verstand und einfach von der ersten bis zur letzten Minute lachte.
Zwei Jahre später folgte „00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter“, ein gelungener Anti-Edgar-Wallace-Sechziger-Jahre-Trash-Krimi und der Rest ist Geschichte. Wobei Helge Schneider in den vergangenen Jahren, nach seinem bislang letzten Film „Jazzclub – Der frühe Vogel fängt den Wurm“ 2004, vor allem als Romanautor und Musiker mit einer verdammt guten Jazzband jazzte.
Etliche seiner Bandkollegen spielen auch in seinem neuesten Film „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“ mit und sie hatten sicher ihren Spaß bei den improvisierten Dreharbeiten zu diesem überall ausfransendem Werk, das noch nicht einmal rudimentär von einer Story zusammengehalten wird. Denn die Jagd von 00 Schneider nach dem gefährlichen Verbrecher Jean-Claude Pillemann, der wegen seiner seltsamen Bewegungen und seiner ätzenden Spucke „Die Eidechse“ genannt wird, nimmt nur einige Szenen ein neben den zahlreichen anderen Geschichten und Episoden, die mal mehr, mal weniger gelungen sind, aber zu nichts führen. Nicht nach den konventionellen dramaturgischen Regeln, aber auch nicht nach dem ständigen Verweigern dieser Regeln.
Wenn „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“ eine Free-Jazz-Improvisation wäre, wäre es eine, in der die Musiker sich irgendwann hoffnungslos auseinanderbewegen und irgendwann aufhören, weil ihnen die Luft ausgeht. Die Ideen sind ihnen schon vorher ausgegangen und vieles, was witzig gemeint ist oder witzig sein könnte, ist es dann doch nicht, weil die Szene einfach zu lange dauert (zum Beispiel beim Zahnarzt) oder nicht konsequent geplant wurde (zum Beispiel 00 Schneiders Interview zu seinen Memoiren in seiner Wohnung) oder es einfach nicht witzig ist (zum Beispiel 00 Schneiders falsche Tante aus Amerika, die von einem Mann gespielt wird) oder aus dem Set-Up nichts gemacht wird (zum Beispiel der im Polizeirevier abgestellte Koffer oder der Staubsaugervertreter oder der Verkehrspolizist).
Immer bleibt der Eindruck, dass Helge Schneider mit seinem Team mehr aus der Geschichte hätte herausholen können. So ist „00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse“, gemessen am Helge-Schneider-Standard, ein enttäuschendes Werk, das nie die Qualität seines ersten „00 Schneider“-Films erreicht. Dafür ist der Anti-Film, der natürlich auch keine Krimi-Parodie sein will, einfach zu unkonzentriert und zu selbstgenügsam.
Da helfen auch keine pathetischen Spaghetti-Western-Anklänge, Eddie-Constantine-Handkanten, eine Tatortbesichtigung, die die Bestohlene mehr schädigt als der vorherige Diebstahl oder ein Undercovereinsatz von Kommissar 00 Schneider als Straßenprostituierte.
00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse (Deutschland 2013)
Regie: Helge Schneider, Andrea Schumacher (Co-Regie)
Drehbuch: Helge Schneider, Andrea Schumacher, Pete York (Mitarbeit Buch), Bodo Österling (Mitarbeit Buch)
mit Helge Schneider, Tyree Glenn Jr., Rocko Schamoni, Peter Thoms, Willy Ketzer, Rudi Olbricht, Ira Coleman, Salvatore Bonarrigo, Pete York