Neu im Kino/Filmkritik: Der nette Superbösewicht „Kraven the Hunter“ jagt Bösewichter

Dezember 12, 2024

Beginnen wir mit einigen Fakten: „Kraven the Hunter“ ist der sechste Film in Sony’s Spider-Man Universe. Es ist wieder ein Einzelfilm ohne irgendeinen erkennbaren Zusammenhang mit den anderen Filmen des SSU und wieder ohne Spider-Man. Es ist auch ein Superheldenfilm ohne eine Szene im oder nach dem Abspann.

Regie führte J. C. Chandor, der mit „Der große Crash – Margin Call“ (2011), „All Is Lost“ (2013) und „A Most Violent Year“ (2014) hintereinander drei großartige Dramen inszenierte. Sein nächster Film war 2019 der Netflix-Actionthriller „Triple Frontier“. Das Drehbuch ist von Richard Wenk, Art Marcum und Matt Holloway. Bei den drei Namen ist unklar, wer letztendlich die Verantwortung für die Geschichte hat und, angesichts der langen Vorgeschichte, wer noch involviert war. Allgemein wird Richard Wenk, dem Autor der „The Equalizer“-Filme, der größte Anteil zugestanden.

Aaron Taylor-Johnson übernahm die Hauptrolle ‚Kraven‘ Sergei Kravinoff. Russel Crowe spielt seinen Filmvater. Ariane DeBose, Fred Hechinger, Alessandro Nivola und Christopher Nivola übernahmen weitere Rollen.

Ben Davis war Kameramann bei „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, „Guardians of the Galaxy“ „Eternals“ (kein guter, aber ein gut aussehender Film), „The King’s Man“, „Jojo Rabbit“ und „Cry Macho“.

Der Film dauert, mit Abspann, etwas über zwei Stunden und er hat eine FSK-16-Freigabe. Es gibt also einige die Freigabe rechtfertigende blutige Szenen.

Angesichts des vor und hinter der Kamera versammelten Talents und des für einen Superheldenfilm okayen Budgets von 130 Millionen US-Dollar ist das Ergebnis ernüchternd.

Kraven ist in den Marvel-Comics ein von Stan Lee und Steve Ditko 1964 erfundener Bösewicht, der Spider-Man töten will. Im Film ist er ein Jäger, der Bösewichter jagt und oft bestialisch tötet. Die Filmgeschichte dreht sich um seine Beziehung zu seinem Vater Nikolai Kravinoff (Russell Crowe), einem Oligarchen, Verbrecher und passioniertem Großwildjäger, und seinem schüchtern-ängstlichem Halbbruder Dmitri Smerdyakov (Fred Hechinger). Ungefähr in der Filmmitte entführt der Bösewicht ‚Rhino‘ Aleksei Sytsevich (Alessandro Nivola) Dmitri. Kraven will ihn befreien.

Während des gesamten Films tauchen noch weitere Superhelden und Superbösewichtern auf, die vielleicht eifrigen Comiclesern vertraut sind. Kinogänger kennen sie noch nicht. Genauer vorgestellt werden sie trotzdem nicht. Im Film stolpern diese Superschurken und -helden irgendwann durch das Bild und behindern sich meistens beim Entfalten ihrer oft rätselhaft bleibenden Superkräfte. Bei zwei wichtigern Figuren wird sogar erst im dritten Akt enthüllt, dass sie Superkräfte haben.

Die Geschichte wurde wahrscheinlich aus im Schneideraum herumliegenden geschnittenen Szenen zusammengefügt. Kaum eine Szene funktioniert. Mal ist das Spiel schlecht. Mal die Action. Die Dialoge sind hingeschluderte Erklärdialoge in der ersten Fassung. Ein ordentliches Set-Up findet nie statt. Das Ergebnis kann als schlampige Einführung in das Kraven-Universum (falls es denn weitere Filme geben sollte) und rudimentäre Entwicklungsgeschichte beschrieben werden, die uns die Szenen erspart, in denen der Superheld (und das ist Kraven in „Kraven the Hunter“) die Möglichkeiten und Grenzen seiner Kräfte kennen lernt. Ein guter Film ist „Kraven the Hunter“ nie. Noch nicht einmal ein annehmbarer Film. Denn sogar ein KI-Programm hätte eine schlüssigere Geschichte erfunden und besere Dialoge geschrieben.

Kraven the Hunter“ ist ein deprimierender Film, der noch nicht einmal über Trash-Qualitäten verfügt.

Kraven the Hunter (Kraven the Hunter, USA 2024)

Regie: J. C. Chandor

Drehbuch: Richard Wenk, Art Marcum, Matt Holloway (nach einer Geschichte von Richard Wenk)

mit Aaron Taylor-Johnson, Russel Crowe, Ariane DeBose, Fred Hechinger, Alessandro Nivola, Christopher Nivola, Christopher Abbott

Länge: 127 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Kraven the Hunter“

Metacritic über „Kraven the Hunter“

Rotten Tomatoes über „Kraven the Hunter“

Wikipedia über „Kraven the Hunter“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von J. C. Chandors „All is lost“ (All is lost, USA 2013)

Meine Besprechung von J. C. Chandors „A most violent Year“ (A most violent Year, USA 2014)

zu den SSU-Filmen

Meine Besprechung von Ruben Fleischers „Venom“ (Venom, USA 2018)

Meine Besprechung von Andy Serkis‘ „Venom: Let there be Carnage“ (Venom: Let there be Carnage, USA 2021)

Meine Besprechung von Daniel Espinosas „Morbius“ (Morbius, USA 2022)

Meine Besprechung von S. J. Clarksons „Madame Web“ (Madame Web, USA 2024)

Meine Besprechung von Kelly Marcels „Venom: The Last Dance“ (Venom: The Last Dance, USA 2024)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Gladiator II“ – Kloppen und Sterben im Kolosseum

November 13, 2024

Dieses Mal gibt es Haie und Seeschlachten im Kolosseum, das vorher natürlich geflutet wurde. Als große Attraktion für das Publikum gab es während des Römischen Imperiums solche nachgestellten Seeschlachten. Die Haie entspringen der Fantasie der Macher von „Gladiator II“, der auf den ersten Blick überflüssigen Fortsetzung von „Gladiator“. Denn „Gladiator“ ist ein Monumentalfilm mit einem perfektem Ende. Da muss es keine Fortsetzung geben.

Russell Crowe ist wieder dabei. In Rückblenden aus dem ersten „Gladiator“-Film. Connie Nielsen ist ebenfalls wieder dabei. In echt. Sie spielt wieder die Kaisertochter Lucilla. Nach den damaligen Ereignissen, die mit dem Tod von Maximus Decimus Meridius (Crowe) und Commodus (Joaquin Phoenix) endeten, schickte sie ihren Sohn Lucius in die Fremde und brach jeden Kontakt zu ihm ab.

Jetzt, knapp zwanzig Jahre später, im Jahr 200 A. D., lebt Lucius Verus (Paul Mescal) in Nordafrika in Numidien. Er ist ein begnadeter Kämpfer und glücklich verheirateter Bauer. Er und seine Frau, ebenfalls eine begnadete Kämpferin und Bogenschützin, kämpfen mit hren Landsleute gegen das römische Heer, das ihre Heimat Numidien zu einer römischen Provinz machen will. Bei einer für beide Seiten verlustreichen Schlacht gegen die von General Marcus Acacius (Pedro Pascal) angeführten römischen Truppen stirbt sie. Lucius wird gefangen genommen und nach Rom verschifft. Dort trifft er den mit Gladiatorenkämpfen Geld verdienenden Geschäftsmann Macrinus (Denzel Washington), der am Hof aufsteigen will, und er muss im Kolosseum um sein Überleben kämpfen. Denn er will sich an General Marcus, der mit Lucilla verheiratet ist, rächen. Das Publikum verliebt sich schnell in den tapferen Gladiator. Gleichzeitig gerät er, ein wenig und vor allem als Spielball, in die Machtkämpfe zwischen den verschiedenen um die Herrschaft in Rom kämpfenden Männern und Fraktionen.

Gladiator II“, der jetzt, 25 Jahre nach „Gladiator“, im Kino anläuft, erzählt eigentlich die aus dem an der Kinokasse, bei Preisverleihungen, unter anderem den Oscar als bester Film des Jahres, und der Kritik enorm erfolgreichen Monumentalfilm bekannte Geschichte noch einmal. Einige neue Namen und eher minimal veränderte Handlungselemente ändern daran nichts. „Gladiator II“ ist einfach nochmal „Gladiator“. Nur nicht so gut.

Während in „Gladiator“ der Konflikt zwischen Maximus und Commodus im Mittelpunkt steht, ist das in „Gladiator II“ nicht so klar. „Gladiator“ erzählt eine Rachegeschichte, eine Geschichte von Verrat und gegensätzlichen Vorstellungen über die Zukunft des römischen Imperiums. Verkörpert wird dieser Konflikt durch die beiden Hauptfiguren, die mal Freunde waren und zu Feinden wurden, nachdem Commodus seinen Vater ermordet, um an die Macht zu gelangen. Als Maximus ihm danach nicht helfen will, sondern sich gegen ihn stellt, lässt er dessen Familie ermorden und gibt den Befehl, Maximus zu ermorden. Maximus überlebt und begibt sich nach Rom, um dort Commodus zu ermorden. Das ist eine einfache Geschichte, die gradlinig mit Schauwerten präsentiert wird.

In „Gladiator II“ sind schon die Motive der beiden Gegner schwächer. General Marcus Acacius ist ein Feldherr, der einfach eine Schlacht gewinnen will. Der Tod von Lucius‘ Frau ist dabei einer der vielen Tote, die es in einer Schlacht gibt. Ein persönliches Motiv ist nicht erkennbar. Auch später, in Rom, hat Marcus kein Interesse daran, Lucius zu töten. Unnötig verklompliziert wird die Beziehung zwischen Marcus und Lucius, weil Marcus mit Lucius‘ Mutter Lucilla verheiratet ist.

Der mit den beiden Hauptfiguren verknüpfte Kampf um das künftige Schicksal des römischen Imperiums, also von wem es wie regiert werden soll, entfällt ebenfalls. Beide Hauptpersonen interessieren sich nicht dafür. Der eine will seine Frau rächen. Der andere will eigentlich in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Für Politik und Macht interessieren sie sich nicht.

Macrinus (Denzel Washington) interessiert sich dafür. Er ist eine Mischung aus Unternehmer und politischem Profiteur. Er will in die Herrschaftsriege aufsteigen. Eine besondere Mission oder eine Vorstellung, was sich unter seiner Herrschaft ändern soll, hat er nicht. Er ist einfach nur ein Profiteur, der die Macht um ihrer selbst will.

Seine Gegner sind die Kaisergeschwister Caracalla und Geta. Sie sind verwöhnte, psychotische, leicht beeinflussbare reiche Kinder. Besonders angsteinflößend sind sie nicht. Wie sie, nachdem am Ende von „Gladiator“ die Zeichen für eine bessere Zukunft gesetzt waren, an die Macht kamen, wird nicht erklärt und bleibt rätselhaft. Denn nichts qualifiziert sie für das Amt, das sie auch nicht ausfüllen möchten. Fred Hechinger und Joseph Quinn sorgen im ihrem Overacting eher für einen schrägen Camp-Humor in dem ernsten Film.

In diesen Momenten erzählt „Gladiator II“, neben der Rachegeschichte, auch eine Polit-Intrige, ohne sich für den politischen noch für den intriganten Teil zu interessieren. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Macht würde vom Spektakel im Kolosseum ablenken. Aber vielleicht erzählt Scott das ja in epischer Breite in der schon jetzt angedeuteten möglichen und deutlich längeren Fassung des zweieinhalbstündigen Films.

In der Langfassung wird dann vielleicht auch erkennbar, ob Scott möchte, dass die Filmgeschichte als Metapher für die aktuelle Situation in den USA gelesen werden soll und wie sie gelesen werden soll. Im Moment kann sie nämlich mühelos in jede politische Richtung interpretiert werden. „Gladiator II“ ist kein Monumentalfilm mit einer politischen Agenda oder einem klar gekennzeichnetem Konflikt verschiedener Vorstellungen von Gesellschaft und dem richtigen Leben. Das war früher, als es in Monumentalfilmen um den Kampf gegen das Christentum oder um Sklavenaufstände ging, anders. In „Gladiator II“ geht es um nichts.

Weitere Probleme von „Gladiator II“ sind schon in den ersten Minuten offensichltich. Der Monumentalfilm beginnt mit einer epischen, CGI-gesättigten Schlacht, bei der brennende Kugeln und Pfeile locker Festungsmauern und Rüstungen durchschlagen und Schiffe schwuppdiwupp zum Sinken bringen. Während der Schlacht fällt Lucius ins Wasser und taucht erst lange nach dem Ende der Schlacht wieder auf. Eigentlich müsste er ertrunken sein. Realismus und Wahrscheinlichkeit werden schon in diesen Minuten zugunsten vermeitlicher Schauwerte geopfert.

Etwas später muss Lucius in der Kampfarena gegen Fantasy-Monsterpaviane auf Speed kämpfen. In diesem Moment qualifiziert „Gladiator II“ sich endgültig zum todernsten Fantasy-Film mit teilweise erstaunlich schlechten und unglaubwürdigen CGI-Effekten.

Als Spektakel erreicht der Sandalenfilm mühsam seine Ziellinie. Als ernstzunehmender Film hat er sich schon in den ersten Filmminuten Richtung Trash und freudlos-züchtiger Anything-can-go-Fantasy verabschiedet. Bei Ridley Scotts neuem Film ist nur beeindruckend, wie wenig beeindruckend der Film ist. Dabei war schon „Gladiator“ nicht wirklich gut, aber immerhin über die gesamte Laufzeit unterhaltsam.

Gladiator II (Gladiator II, USA 2024)

Regie: Ridley Scott

Drehbuch: David Scarpa (nach einer Geschichte von Peter Craig und David Scarpa, nach Charakteren von David Franzoni)

mit Paul Mescal, Pedro Pascal, Joseph Quinn, Fred Hechinger, Lior Raz, Derek Jacobi, Connie Nielsen, Denzel Washington

Länge: 148 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Gladiator II“

Metacritic über „Gladiator II“

Rotten Tomatoes über „Gladiator II“

Wikipedia über „Gladiator II“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Thelma & Louise“ (Thelma & Louise, USA 1991)

Meine Besprechung von Ridley Scotts “Prometheus” (Prometheus, USA 2012)

Meine Besprechung von Ridley Scotts “Exodus – Götter und Könige (Exodus – Gods and Kings, USA 2014)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“ (The Martian, USA 2015)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Alien: Covenant“ (Alien: Covenant, USA 2017)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Alles Geld der Welt“ (All the Money in the World, USA 2017)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „The Last Duel“ (The Last Duel, USA 2021)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „House of Gucci“ (House of Gucci, USA 2021)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Napoleon“ (Napoleon, USA 2023)


Neu im Kino/Filmkritik: Über „Thelma – Rache war nie süßer“

Oktober 10, 2024

Thelma Potts (June Squibb) ist 93 Jahre alt und noch sehr fit für ihr Alter. Trotzdem fällt sie auf einen Betrüger herein. Er behauptet am Telefon, ihr über alles geliebter Enkel Daniel zu sein und dass er dringend Geld braucht. Panisch schickt Thelma ihm das Geld per Post zu. Nur um kurz darauf festzustellen, dass sie betrogen wurde. Die Polizei ist keine große Hilfe. Solche Betrüger gäbe es, so erklärt der hilfsbereite Beamte Thelma und ihrer Familie, öfter und normalerweise würden sie nicht bestraft werden.

Stinksauer beginnt Thelma in ihrer Heimatstadt in Los Angeles auf eigene Faust den Verbrecher zu suchen. Dabei hilft ihr ihr alter Freund Ben (Richard Roundtree). Verfolgt werden sie von Thelmas TochterGail (Parker Posey) und ihrem Schwiegersohn Alan (Clark Gregg). Zwischen ihnen steht Daniel (Fred Hechinger).

Thelma – Rache war nie süßer“ ist eine ihrer Heldin angemessen langsam erzählte harmlos-nette Krimikomödie. Der Humor entsteht aus der sorgfältig konstruierten Geschichte und der Diskrepanz zwischen dem, was Thelma und Ben in ihrem Alter noch tun können, und was wir aus Actionfilmen kennen. Die Schauspieler sind erwartbar gut. Störend und unpassend zur vorherigen Geschichte ist das Ende, in dem Thelma die Bösewichter für ihre Taten bestraft.

Josh Margolin wählte für sein Spielfilmdebüt das 2.39:1-Bildformat, das nur auf einer großen Kinoleinwand seine volle Pracht entfalten kann.

Sein Spielfilmdebüt ist der vorletzte Film von „Shaft“ Richard Roundtree. Er starb am 24. Oktober 2023 in Los Angeles. Sein letzter Film wird Greg Pritikins noch nicht veröffentlichter Kurzfilm „Swedish Erotica (a comedy)“ sein.

Thelma – Rache war nie süßer (Thelma, USA 2024)

Regie: Josh Margolin

Drehbuch: Josh Margolin

mit June Squibb, Fred Hechinger, Parker Posey, Clark Gregg, Richard Roundtree, Malcolm McDowell, Chase Kim, Aidan Fiske

Länge: 99 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Thelma“

Metacritic über „Thelma“

Rotten Tomatoes über „Thelma“

Wikipedia über „Thelma“ (deutsch, englisch)