Zwei Companeros (Vamos a matar companeros, Italien/Spanien/Deutschland 1970)
Regie: Sergio Corbucci
Drehbuch: Dino Maiuri, Massimo De Rita, Fritz Ebert, Sergio Corbucci
Während der mexikanischen Revolution will „Der Schwede“ Petersen einen Safe knacken. Weil er den Safe nicht knacken kann, will er den von den Amerikanern gefangen gehaltenen Professor Xantos, der die Kombination des Safes kennt, befreien. Und schon ist er, zusammen mit dem revolutionär gesinntem Basken, mitten im Revolutionsgetümmel.
Selten gezeigter Italo-Western, der nie als ernsthafter Beitrag zur politischen Bildung gedacht war.
Gezeigt wird die fast zweistündige Originalfassung. In den deutschen Kinos lief damals eine um 18 Minuten auf 100 Minuten gekürzte, von Rainer Brandt schnoddrig synchronisierte Fassung.
Die Musik ist von Ennio Morricone.
mit Franco Nero, Tomas Milian, Jack Palance, Fernando Rey, Iris Berben, Francisco Bodalo, Karin Schubert
auch bekannt als „Laßt uns töten, Companeros“ (ursprünglicher Kinotitel)
Triangle of Sadness(Triangle of Sadness, Schweden/Deutschland/Frankreich/Großbritannien 2022)
Regie: Ruben Östlund
Drehbuch: Ruben Östlund
TV-Premiere. Eine Seefahrt, die ist, jedenfalls wenn Ruben Östlund der Kapitän ist, nicht besonders lustig, sondern ziemlich schwarzhumorig und gemein. Seine aus drei klar voneinander getrennten Teilen bestehende Satire erhielt zahlreiche Preise, u. a. die Goldene Palme und mehrere Europäische Filmpreise, Kritikerlob und auch einen großen Publikumszuspruch. Dennoch ist „Triangle of Sadness“ sein schwächster Film.
mit Harris Dickinson, Charlbi Dean, Dolly De Leon, Zlatko Burić, Iris Berben, Vicki Berlin, Henrik Dorsin, Jean-Christophe Folly, Amanda Walker, Oliver Ford Davies, Sunnyi Melles, Woody Harrelson
Wegen eines Sturmtief stellt die Bahn ihren Betrieb ein und verteilt Taxi-Gutscheine an die am Abend in München im Hauptbahnhof gestrandeten Passagiere. Die pensionierte Professorin und verbal rüstige Alt-Prostlerin Marianne (Iris Berben), das zerstrittene Pärchen Tiana (Nilam Farooq), die am nächsten Vormittag eine für ihr Start-Up wichtige Präsentation, und Freund, der tiefenentspannte Schluffi Philipp (Ben Münchow), und die geistig behinderte Susi (Lena Urzendowsky) entern Josephs Taxi. Jeder von ihnen muss aus einem anderen wichtigen Grund am nächsten Tag in Hamburg sein.
Als der notorisch schlecht gelaunte Joseph (Joachim Król) die Taxi-Gutscheine sieht und erfährt, dass er jeden Gutschein einzeln abrechnen kann, ist er bereit von München nach Hamburg zu fahren.
In seinem Feelgood-Film „791 km“ erzählt Tobi Baumann („Faking Hitler“), wie die fünf Menschen, die sich zufällig getroffen haben, sich auf der nächtlichen Fahrt quer durch Deutschland näher kommen. Und wie es das Drehbuch so will, sind sie alle gegensätzliche und sich entsprechnd gut ergänzende Archetypen, die auch ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft sind. Das ist immer eine Spur zu didaktisch erzählt und zu sehr in Richtung TV-Bildschirm erzählt, um auf der großen Kinoleinwand zu begeistern.
791 km (Deutschland 2023)
Regie: Tobi Baumann
Drehbuch: Gernot Gricksch (nach einer Idee von Tobi Baumann)
mit Iris Berben, Joachim Król, Nilam Farooq, Ben Münchow, Lena Urzendowsky, Langston Uibel, Barbara Philipp, Denis ‚Marschall‘ Ölmez, Götz Otto
In einem Stuhlkreis sitzen Täter und Opfer eines Verbrechens und reden darüber. ‚restorative justice‘ nennt sich die Methode. Es geht um einen formalisierten Prozess des gegenseitigen Verstehens und auch Verzeihens. Sie ähnelt dem bei uns als Täter-Opfer-Ausgleich bekannten Modell.
In seinem Spielfilm „All eure Gesichter“ zeigt Jeanne Herry („In sicheren Händen“) mehrere dieser Prozesse und sie zeigt die Chancen, die diese Methode hat. Sie geht auch auf die Voraussetzungen, aber nicht auf die Beschränkungen ein.
Trotzdem ist „All eure Gesichter“ als karg inszeniertes, sich auf seine Schauspieler, die sich teils im Stuhlkreis, teils direkt gegenüber sitzen, konzentrierendes Dialogdrama sehenswert. Das Kammerspiel für die große Leindwand regt zum Nachdenken über Schuld, Sühne und verschiedene Methoden einer Verarbeitung an.
All eure Gesichter (Je verrai toujours vos visages, Frankreich 2023)
Regie: Jeanne Herry
Drehbuch: Jeanne Herry, Chloé Rudolf
mit Birane Ba, Leïla Bekhti, Dali Benssalah, Elodie Bouchez, Suliane Brahim, Jean-Pierre Darroussin, Adèle Exarchopolous, Gilles Lellouche, Miou-Miou, Denis Podalydès
Massachusetts im Winter 1964: die schüchterne Eileen Dunlop (Thomasin McKenzie) lebt noch bei ihrem Vater, einem jähzornigem Alkoholiker, und arbeitet im Jugendgefängnis als Sekretärin. Ihr triester Alltag verändert sich schlagartig, als die neue Psychologin des Gefängnisses eintrifft. Rebecca Saint John (Anne Hathaway) ist ein Marilyn-Monroe-Lookalike, die sofort allen Männern den Kopf verdreht. Aber dann lädt die Femme Fatale Eileen zu einem Drink ein.
„Eileen“ ist die langweilige Arthaus-Version eines Noirs. Für einen gelungenen Noir entwickelt sich die Geschichte viel zu langsam und nebulös. Ehe dann im dritten Akt plötzlich alles anders wird.
Eileen (Eileen, USA 2023)
Regie: Willliam Oldroyd
Drehbuch: Ottessa Moshfegh, Luke Goebel
LV: Ottessa Moshfegh: Eileen, 2015 (Eileen)
mit Thomasin McKenzie, Anne Hathaway, Shea Whigham, Marin Ireland, Owen Teague
In seinem Biopic „Munch“ über den Künstler Edvard Munch (12. Dezember 1863 – 23. Januar 1944) (Ja, das ist der mit dem Bild „Der Schrei“, das die Ghostface-Maske in den „Scream“-Filmen inspirierte.) erzählt Henrik M. Dahlsbakken das schwierige Leben des Künstlers zwischen Alkoholismus, Genie und Wahnsinn nicht chronologisch nach. Er zersplittert es auf mehrere Zeitebenen, zwischen den er kontextlos hin und her springt und er lässt Munch von drei Schauspielern und einer Schauspielerin spielen. Sie spielen ihn als 21-, 29-, 45- und 80-jährigen Mann. Und für jeden Munch-Schauspieler gibt es einen eigenen Stil.
Das Ergebnis ist ein sich experimentell gebendes Biopic, das wenig über den Künstler verrät und einen erstaunlich unberührt lässt.
Munch (Munch, Norwegen 2023)
Regie: Henrik M. Dahlsbakken
Drehbuch: Mattis Herman Nyquist, Gina Cornelia Pedersen, Fredrik Høyer, Eivind Sæther
mit Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist, Ola G. Furuseth, Anne Krigsvoll, Anders Baasmo Christiansen, Lisa Carlehed, Jesper Christensen
Die Geschichte von Anne Frank, ihrem Leben und Tod, dürfte allgemein bekannt sein. Nur Kitty, die beste Freundin von Anne Frank, kennt sie nicht vollständig. Denn Kitty ist eine Fantasiefigur. Erfunden wurde sie von Anne, weil sie ihre Tagebucheinträge nicht an sich selbst, sondern an eine andere Person richten wollte.
Als in Amsterdam im Anne-Frank-Haus „Heute in einem Jahr…“ ein Blitz einschlägt, erwacht Kitty zum Leben. Sie kennt das Haus, aber jetzt sind in ihm nicht mehr Anne, ihre Familie, die Familie van Daan und der später hinzugekommene Albert Dussel, sondern viele fremde Menschen. Kitty will ihre beste und einzige Freundin finden.
Dafür verlässt sie das Haus und stellt dabei fest, dass sie im Haus unsichtbar ist. Vor dem Haus ist sie, wenn sie das originale Tagebuch von Anne Frank dabei hat, sichtbar und sie kann sich mit Menschen unterhalten. Also nimmt sie es mit. Dummerweise wird die rothaarige Kitty jetzt als die Diebin des wertvollen Tagebuchs gesucht.
Das ist der zugegeben fantastische Auftakt von Ari Folmans Animationsfilm „Wo ist Anne Frank“ (ohne Fragezeichen). Folman ist vor allem bekannt für „Waltz with Bashir“. Vor inzwischen zehn Jahren wurd er vom Anne Frank Fonds gefragt, ob er einen Film über Anne Frank machen möchte. Daraus entstand dann zunächst, zusammen mit seinem „Waltz with Bashir“-Partner David Polonsky, eine Graphic Novel des Tagebuchs. Dieser Comic bleibt sehr nah am Text des Tagebuchs. Sie übernahmen sogar längere Tagebucheinträge direkt.
In „Wo ist Anne Frank“ versucht Folman einem heutigen, jüngerem Publikum die Geschichte von Anne Frank nahe zu bringen. Gleichzeitig will er erzählen, was nach Anne Franks letztem Eintrag in ihr Tagebuch geschah. Das gelingt ihm, indem er Kitty zur Protagonistin macht.
Während Kitty versucht herauszufinden, was mit Anne nach ihrem letzen Tagebucheintrag geschah, fügt Folman animierte Ausschnitte aus Anne Franks Tagebuch in den Film ein, Kitty sieht überall in Amsterdam die Spuren von Anne Frank (Letztendlich wurde jedes zweite Gebäude nach ihr benannt) und sie verliebt sich in den jugendlichen Taschendieb Peter. Über ihn lernt sie aus nordafrikanischen Ländern geflüchtete Menschen, wie das Mädchen Awa, kennen. Sie leben in Amsterdam teilweise ohne Papiere in einer geheimen Unterkunft. Folman verbindet hier zunächst unaufdringlich und rein assoziativ das Schicksal von Anne Frank mit dem Schicksal von heute aus ihren Heimatländern Geflüchteten.
„Wo ist Anne Frank“ ist ein überaus ambitioniertes Werk, das sich etwas unglücklich zwischen Kinder- und Erwachsenenfilm setzt. Für die einen zu anspruchsvoll, für die anderen, wenigstens in Teilen, zu naiv. Wobei die Macher ihn für Kinder ab 12 Jahren und auch die Bildungsarbeit empfehlen. Denn der Anne Frank Fonds, der diesen Film initiierte, ist eine von Anne Franks Vater Otto Frank gegründete Stiftung, die sich in zahlreichen Projekten für einen würdigen Umgang mit Anne Franks Werk, dem Gedenken an den Holocaust und der Verwirklichung von Kinderrechten einsetzt. Zwölfjährige dürften mit der komplexen Struktur des Films zurechtkommen. Jüngere eher nicht. Erwachsene dürften sich eher über das überaus naive Finale des Films an der Flüchtlingsunterkunft ärgern, das sogar die Geduld des gutmütigsten Zuschauers strapaziert. Und Kitty muss sich bei ihrer Suche nach Anne manchmal wirklich dumm verhalten.
Doch das ist jammern auf hohem Niveau. Denn, wie die Pixar-Filme, spricht Folman in „Wo ist Anne Frank“ schwierige Themen an, behandelt sie vielschichtig und wird nur selten zu didaktisch. Deshalb ändert meine Kritik nichts daran, dass dieser Animationsfilm viel, viel besser ist als andere Animationsfilme, die sich ausschließlich an Kinder unter zehn Jahren richten.
Parallel zum Film erschien im S. Fischer Verlag die Graphic Novel „Wo ist Anne Frank“. Dabei handelt es sich um die gelungene gezeichnete Version des Films.
Wo ist Anne Frank (Where is Anne Frank, Belgien/Frankreich/Niederlande/Luxemburg/Israel/Deutschland/USA 2021 )
Regie: Ari Folman
Drehbuch: Ari Folman
mit (in der deutschen Fassung den Stimmen von) Sarah Tkotsch, Anni C. Salander, Jaron Müller, Oliver Szerkus, Bernhard Völger, Jessica Walther-Gabory, Laura Oettel, Iris Berben
Länge: 104 Minuten
FSK: ab 6 Jahre
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Lesenswerter Lesestoff zum Film
Während Ari Folman an „Wo ist Anne Frank“ arbeitete, schrieb er eine gelungene Comic-Version des Tagebuchs von Anne Frank. Sie verkaufte sich gut und half so auch bei der schwierigen Finanzierung von „Wo ist Anne Frank“. Der Spielfilm wurde ebenfalls zu einem Comic verarbeitet. Der Comic unterscheidet sich kaum vom Film.
Ari Folman/Lena Guberman: Wo ist Anne Frank – Eine Graphic Novel
(übersetzt von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel)
S. Fischer, 2022
160 Seiten
22 Euro
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Ari Folman/David Polonsky: Das Tagebuch der Anne Frank
(übersetzt von Mirjam Pressler, Ulrike Wasel und Klaus Timmermann)
S. Fischer, 2017
160 Seiten
20 Euro
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Außerdem gibt es natürlich immer noch den Originaltext
Wer nach (oder vor) dem Film so richtig in die Schriften von Anne Frank einsteigen möchte, sollte sich die Gesamtausgabe, die auch ganz banal „Gesamtausgabe“ heißt, zulegen. In ihr sind die verschiedenen Versionen ihres Tagebuchs (es gibt das ursprüngliche Tagebuch, eine von ihr für eine Veröffentlichung schon überarbeitete Fassung, die von ihrem Vater Otto Frank für die Veröffentlichung erstellte Fassung und die von Mirjam Pressler 2001 im Auftrag des Anne Frank Fonds erstellte und autorisierte „Version d“, die die heute verbindliche Fassung ist und in der für frühere Veröffentlichungen gekürzte und weggelassene Teile wieder aufgenommen wurden), die „Geschichten und Ereignisse aus dem Hinterhaus“ (ihre Erzählungen, die teils auf selbst Erlebtem basieren und die auch teils von ihr in ihr Tagebuch übernommen wurden), weitere Erzählungen, Briefe, Einträge in Poesiealben, „Das Schöne-Sätze-Buch“ (das hauptsächlich eine Sammlung von Texten, die ihr gefielen und die sie im Versteck abschrieb, ist) und ‚Das Ägyptenbuch‘ (das ebenfalls vor allem aus anderen Texten besteht und das Anne Franks Faszination für das alte Ägypten dokumentiert) abgedruckt. Damit ist ihr schriftstellerisches Gesamtwerk in diesem Buch enthalten.
Ergänzt wird der Sammelband durch Fotos und Dokumente über sie und ihre Familie und vier Aufsätze über Anne Frank, ihre Familie, den zeitgeschichtlichen Kontext und die Rezeptionsgeschichte.
Diese umfassende Ausgabe eignet sich vor allem für das vertiefte und auch vergleichende Studium.
Für den Hausgebrauch reicht natürlich die Ausgabe ihres Tagebuchs.
Vor vier Jahren zofften sich in „Der Vorname“ Thomas Böttcher (Florian David Fitz), seine Frau Anna Wittmann (Janina Uhse), Stephan Berger (Christoph Maria Herbst), seine Frau Elisabeth Berger-Böttcher (Caroline Peters), ihr Adoptivbruder René König (Justus von Dohnányi) und ihre Mutter Dorothea Böttcher (Iris Berben). Denn bei einem Abendessen sagte Thomas, dass sie ihren Sohn Adolf nennen werden. Literaturprofessor Stephan Berger fand den Namen wegen Adolf Hitler unerträglich und schon fetzten sie sich an einem langen Abend. Die Vorlage für diesen Familienstreit war ein französisches Boulevardstück. Für diese Verfilmung wurde es auf deutsche Befindlichkeiten umgeschrieben. Die von Sönke Wortmann inszenierte vergnügliche Komödie war mit 1,2 Millionen Zuschauern ein Erfolg in den Kinos.
Eine Fortsetzung war daher fast unvermeidlich. Claudius Pläging schrieb wieder das Drehbuch. Sönke Wortmann übernahm wieder die Regie. Und die Schauspieler des „Vornamens“ sind bei „Der Nachname“ auch alle dabei.
Dieses Mal lädt die Mutter ihre Kinder und ihre Partner nach Lanzarote in ihr Feriendomizil ein. Dort verkündet Dorothea ihnen, dass sie wieder geheiratet hat. Für ihre Kinder bedeutet diese Nachricht mindestens eine doppelte Katastrophe. Denn sie hat den Nachnamen ihres Mannes angenommen. König. Und ihr Mann ist ihr Adoptivsohn René König. Der wird wunderschön verwahrlost und tiefenentspannt von Justus von Dohnányi gespielt.
Die Prämisse für die ganze Aufregung ist ziemlich weit hergeholt. Während das Konfliktpotential eines falsch gewählten Vornamens allseits bekannt und nachvollziehbar ist, ist das bei einem Nachnamen weniger offensichtlich, um nicht zu sagen, nicht vorhanden.
Trotzdem finden Dorotheas Kinder es schlimmer, dass ihre Mutter den Namen ihres neuen Mannes angenommen hat (wie sie es schon bei ihrem vorherigen Mann tat), als dass sie dadurch vielleicht durch die Hintertür enterbt werden. Das wäre immerhin ein handfestes ökonomisches Motiv. Denn René ist jetzt nicht nur ihr Sohn, sondern auch ihr Mann und, so planen Dorothea und René es, der Vater ihrer künftigen Kinder.
Daneben werden noch flugs einige Familiengeheimnisse enttarnt, etwas schmutziger Wäsche gewaschen, über Seitensprünge sinniert und über finanzielle Probleme gesprochen. Thomas und Stephan könnten eine Finanzspritze gut gebrauchen. Nichts davon ist dringlich in diesem Themenhopping unter südlicher Sonne. Es wird auch nichts konsequent zu Ende erzählt. Entsprechend mau fallen die Pointen über verschlossene Zimmer, außereheliche Affären und Keksdosen aus. Und am Ende haben sich alle ganz lieb.
„Der Nachname“ ist eine leidlich amüsante Angelegenheit, die krampfhaft eine schon im ersten Film auserzählte Geschichte weitererzählt.
Der Nachname (Deutschland 2022)
Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Claudius Pläging
mit Iris Berben, Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters, Justus von Dohnányi, Janina Uhse, Elena Sancho Pereg
Das könnte Ruben Östlands kommerziell erfolgreichster Film werden. Auch wenn „Triangle of Sadness“ sein schwächstes Werk ist.
Mit „Involuntary“, „Play – Nur ein Spiel?“, „Höhere Gewalt“ und „The Square“ erarbeitete er sich einen guten Ruf. Die Filme liefen auf den wichtigsten Festivals, erhielten zahlreiche Preise und sorgten für Diskussionen.
Jetzt hat er, mit einigen international bekannten Namen, seinen ersten englischsprachigen Film gedreht. Woody Harrelson spielt den trunksüchtigen Kapitän eines Luxuskreuzfahrtschiffes. Mit an Bord sind Iris Berben, Sunnyi Melles, Harris Dickinson, Charlbi Dean (das Model starb am 29. August 2022), Zlatko Burić, Oliver Ford Davis, Amanda Walker und Dolly De Leon.
Seine Premiere hatte das zweieinhalbstündige Werk im Mai in Cannes. Dort erhielt es, wie schon Östlunds vorheriger Film „The Square“, die Goldene Palme.
„Triangle of Sadness“ besteht aus drei klar voneinander getrennten Teilen, die chronologisch aufeinander folgen. Im ersten Teil werden uns Carl und Yaya vorgestellt. Im zweiten Teil sind sie auf einem Luxuskreuzfahrtschiff. Im dritten Teil, nachdem das Schiff während eines Sturms kenterte, sind sie mit einigen anderen Passagieren schiffbrüchig auf einer Insel.
Der erste und beste Teil des Films ist klassischer Östlund. Yaya (Charlbi Dean) und Carl (Harris Dickinson) sind ein Paar. Beide modeln und lassen als Influencer die Welt an ihrem schönem Leben teilhaben. In einem Restaurant streiten sich darüber, wer die Rechnung bezahlt. Carl will von Yaya wissen, warum sie das Essen, wieder einmal, nicht bezahlt. Denn vorher sagte sie, sie werde es machen. Außerdem verdiene sie mehr Geld als er. Aus Carls Frage entspinnt sich ein zunehmend eskalierender Streit über den Stand ihrer Beziehung.
Neben den quälend langen Streitgesprächen der beiden Models in Restaurants und anonymen Hotelzimmern, wirft Östlund einen Blick hinter die Kulissen der Modebranche, in der Models einfach nur gut aussehende Kleiderständer sind.
Auch der zweite Teil beginnt mit kleinen Irritationen. Yaya und Carl wurden eingeladen, als Influencer auf einem Luxuskreuzfahrtschiff mitzufahren und über die Reise zu berichten. Die ersten Tage auf dem Schiff entsprechen dann auch ihren Erwartungen an eine langweilige Kreuzfahrt, die viele gute Bilder für ihre Online-Videos produziert. Daneben plaudern sie mit den reichen Gästen über deren Leben und wie sie zu ihrem Vermögen gekommen sind.
Die Millionäre und deren Gattinnen versuchen dabei gönnerhaft, die Stewardessen zu Handlungen bewegen, die sie ihren Job kosten können. Denn hier auf dem Schiff müssen die Angestellten ihnen jeden Wunsch erfüllen. Egal, was von ihnen verlangt wird.
Obwohl ein Sturm aufzieht, wird den Gästen im Rahmen des Captain’s Dinner ein aus mehreren Gängen bestehendes Fünf-Sterne-Menü serviert. Als die ersten Sturmböen das Schiff treffen, klatschen die ersten ausgekotzten Lebensmittel von außen an die Fenster des Bordrestaurants. Beim ersten Mal glaubt man noch, sich versehen zu haben. Doch es passiert öfter und wird mehr. Die Millionäre kotzen ihr Essen in comicreifen Fontänen aus. Einmal. Zweimal. Dreimal. Das ist der harmlose Auftakt für eine minutenlangen Szene, in der die Scheiße aus den Toiletten quillt und durch das Schiff wabert, während die Millionäre darin ausrutschen, sich in ihr wälzen und in ihr durch die Gänge rutschen. Freunde des Pipi-Kacka-Humors dürften sich freuen über diesen nicht enden wollenden Klamauk.
Während das Schiff in Scheiße und Kotze versinkt und untergeht, hat Woody Harrelson seinen großen Auftritt als Kapitän des Schiffes. Stockbesoffen zitiert er Karl Marx, liest über die Schifflautsprecher aus dem Kommunistischen Manifest vor und steigert sich mit dem russischen Waffenhändler Zitate in einen absurden Zitierwettbewerb. Das nennt sich dann wohl Kapitalismuskritik.
Einige Passagiere – der Kapitän gehört nicht dazu – überleben den Untergang des Schiffes. Sie können sich auf eine Insel retten. Dort, fernab der Zivilisation, verändern sich schnell die Herrschaftsverhältnisse. Abigail (Dolly De Leon), die philippinische Toilettenfrau des Schiffes, auf die vorher niemand achtete, wird zur Herrscherin. Sie weiß, was getan werden muss, um in der Wildnis zu überleben. Sie kann Feuer machen. Sie kann Fische fangen. Die anderen Überlebenden, allesamt Millionäre und die beiden Influencer Carl und Yaya, können das nicht. Sie sind hilflos und auch etwas begriffsstutzig. Das zeigt sich beim ersten Abendessen. Abigail verteilt den Fisch so, dass sie ein Stück für sich behält, das nächste an einen der anderen Überlebenden abgibt, das nächste wieder für sich behält undsoweiter. Den Reichen fällt erst am Ende der Verteilung auf, dass Abigails Portion viel größer ist.
Spätestens in diesem Moment dürften Cineasten sich an die kapitalismuskritischen Satiren aus den Siebzigern erinnern. Vor allem für den dritten Teil fällt einem Lina Wertmüllers „Hingerissen von einem ungewöhnlichen Schicksal im azurblauen Meer im August“ (Travolti da un insolito destino nell’azzurro mare d’agosto, Italien 1974) ein. In der Komödie strandet eine schwerreiche Industriellengattin mit einem ihrer Seemänner auf einer Insel. Dort drehen sich die Machtverhältnisse um.
Östlunds Episodenfilm kann als Edelversion von Lina Wertmüllers Film, ergänzt um einen Einblick in die Modebranche, gesehen werden. Er veränderte die Geschlechter. Er vergrößerte die Zahl der Figuren und er lässt einen großen Teil des Films in der Modebranche spielen. Dabei operiert er dieses Mal über weite Strecken nicht mit dem Stilett, sondern mit dem kapitalismuskritischem Holzhammer.
Triangle of Sadness (Triangle of Sadness, Schweden/Deutschland/Frankreich/Großbritannien 2022)
Regie: Ruben Östlund
Drehbuch: Ruben Östlund
mit Harris Dickinson, Charlbi Dean, Dolly De Leon, Zlatko Burić, Iris Berben, Vicki Berlin, Henrik Dorsin, Jean-Christophe Folly, Amanda Walker, Oliver Ford Davies, Sunnyi Melles, Woody Harrelson
Auch dieser Film von Dominik Graf ist aus vielen Gründen nicht wirklich als Vorbereitung für seinen neuen Kinofilm „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ (mit Tom Schilling, Albrecht Schuch und Saskia Rosendahl) geeignet. Seine überzeugende und selbstverständlich sehenswerte Erich-Kästner-Verfilmung läuft am 5. August 2021 an.
ARD, 20.15
Hanne (Deutschland 2019)
Regie: Dominik Graf
Drehbuch: Beate Langmaack
Die frisch pensionierte Chefsekretärin Hanne Dührsen erfährt, dass sie vielleicht Leukämie hat. Während sie über das Wochenende auf die Diagnose warten muss, stürzt sie sich in das Nachtleben.
Berührendes Drama über eine Frau, die vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben, das Leben genießt.Dafür gab es drei Grimme-Preise (Regie, Drehbuch, Hauptrolle).
mit Iris Berben, Petra Kleinert, Herbert Knaup, Trystan Pütter, Sophie Lutz, Mohamed Achour, Sönke Möhring
Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag, Rudolf Thome!
RBB, 00.00
Supergirl(Deutschland 1971)
Regie: Rudolf Thome
Drehbuch: Max Zihlmann, Rudolf Thome
Supergirl (Iris Berben), ein Mädchen von einem anderen Stern, verdreht Erdmännern den Kopf.
„Sympathische Komödie von Rudolf Thome, der im München des Jahres 1970 einen verspielt-vertrackten Howard-Hawks-Film zu inszenieren versuchte, jedoch an zu vielen Klischees und den Produktionsbedingungen des Fernsehens scheiterte.“ (Lexikon des internationalen Films)
Vor „Supergirl“ inszenierte Thome „Detektive“ und „Rote Sonne“, zwei Sixties Kultfilme des deutschen Films, später „Berlin Chamissoplatz“, „System ohne Schatten“ und „Die Sonnengöttin“. Der am 14. November 1939 in Wallau (Hessen) geborene Thome wird wegen seines Stils immer wieder mit Eric Rohmer verglichen.
Anschließend, um 01.40 Uhr, läuft Thomes „Ins Blaue“ (Deutschland 2012).
mit Iris Berben, Marquard Bohm, Karina Ehret-Brandner, Jess Hahn, Klaus Lemke, Eddie Constantine, Rainer Werner Fassbinder
Tatort: Das Glockenbachgeheimnis (Deutschland 1999)
Regie: Martin Enlen
Drehbuch: Friedrich Ani
Wer ermordete Hauserbe Martens? Und was ist das Geheimnis des Glockenbaches?
Guter Münchner „Tatort“ mit den Kommissaren Batic (Miroslav Nemec), Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Menzinger (Michael Fitz). Iris Berben spielt eine dubiose Caféhaus-Besitzerin.
Diese scheinbar harmlose Frage sorgt in der Komödie „Der Vorname“ für viel Ärger. Denn Thomas Böttcher, ein Immobilienmakler, antwortet auf die von seinem Schwager gestellte Frage: „Adolf.“
Und weil Stephan Berger, der Fragesteller, ein richtiger Bildungsbürger ist, ein Literaturprofessor, der Kraft seines Berufs immer Recht hat, erklärt er Böttcher in seinem schönsten Dozententonfall sofort, warum Adolf kein guter Name für ein Kind ist.
Böttcher antwortet und sofort sind Böttcher und Berger in einen Streit über den Namen verwickelt. Die anderen Gäste mischen sich ein und schnell geht es nicht nur um den Vornamen des Ungeborenen.
Nur Bergers Ehefrau, eine Gymnasiallehrerin, hält sich ziemlich aus der hitzigen Diskussion heraus. Sie ist vor allem mit dem Kochen und Servieren des Abendessens beschäftigt.
Die Vorlage für Sönke Wortmanns neuen Film „Der Vorname“ ist ein bereits 2012 als „Der Vorname“ (Le Prénom) von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte verfilmtes Boulevardstück. Ihr Theaterstück hatte 2010 in Paris seine Premiere.
Wortmann passte für seine Verfilmung das Stück an die deutsche Wirklichkeit an. Denn die feinen Unterschiede der Bourgeoisie sind in Deutschland, auch nach dem Genuss des Gesamtwerks von Claude Chabrol, ziemlich unbekannt. Für die Befindlichkeiten und feinen Unterschiede des deutschen Bildungsbürgertums gilt das nicht.
Für die Zuschauer ist die Schlacht der Argumente während eines Abendessens unter Verwandten und Freunden ein kurzweiliges boulevardeskes Fest. Die Schauspieler – Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters, Justus von Dohnányi und Janina Uhse – sind gut aufgelegt. Die Pointen kommen schnell. Die Trefferquote ist hoch. Die Dialoge sind deutlich spritziger und pointierter, als man es im deutschen Film gewohnt ist. Ein Vergnügen.
Und: Augen auf bei der Namenswahl!
Der Vorname (Deutschland 2018)
Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Claudius Pläging, Alexander Dydyna (Drehbuchbearbeitung) (basierend auf „Le Prénom“ von Alexandre de La Patellière und Matthieu Delaporte)
mit Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz, Caroline Peters, Justus von Dohnányi, Janina Uhse, Iris Berben (körperlich abwesend beim Abendessen)
Die Prämisse von „High Society – Gegensätze ziehen sich an“ ist altbekannt und, auch wenn Regisseurin Anika Decker im Presseheft sagt, sie sei vor zweieinhalb Jahren durch die Lektüre eines Zeitungsartikels über vertauschte Babys in Frankreich darauf gekommen, schon in zahlreichen Spielfilmen durchgespielt worden. Denn sie ist ein wundervolles „was wäre wenn“-Gedankenexperiment: Was wäre, wenn du nach deiner Geburt vertauscht worden wärst? Üblicherweise sind die Familien vollkommen gegensätzlich. Üblicherweise ist eine Familie sehr arm und die andere sehr reich. Die Fragen und Konflikte ergeben sich aus dieser Prämisse fast von selbst: Was ist Erziehung? Was Vererbung? Wer sind deine Eltern? Die biologischen oder die, die dich erzogen haben? Soll der Tausch wieder rückgängig gemacht werden? Oder wäre das ein noch größeres Unrecht? Undsoweiter, undsofort. Eigentlich ist es kaum möglich, eine solche Verwechslungsgeschichte zu vergeigen.
Anika Decker gelingt das in ihrem neuen Film „High Society“, den sie eine Familien- und Gesellschaftskomödie nennt, mit einer fast schon beeindruckenden Konsequenz.
In „High Society“ werden Anabel und Aura in der Geburtsklinik vertauscht. 25 Jahre später wird der Tausch entdeckt und, schwuppdiwupp, ist die reiche Anabel (Emilia Schüle) in der Familie von Carmen Schlonz (Katja Riemann) im Plattenbau (mit importiertem Ghetto-Feeling) und die arme Aura (Caro Cult) in der Familie von Trixie von Schlacht (Iris Berben) in der noblen Industrieellenvilla, in der Menschen mit offensichtlichen Geschmacksverirrungen leben dürfen. Wie im Plattenbau am anderen Ende von Berlin.
Beginnen wir mit dem Positiven: Iris Berben und Katja Riemann werfen sich mit einer Verve in ihre Rollen, dass man sich schnell fragt, warum sie das tun. Vielleicht wollten sie einfach ihren Spaß haben. Denn, und schon sind wir beim Negativen, das Drehbuch ist eine willkürliche Aneinanderreihung von Szenen, die höchstens für einen unlustigen Sketchabend taugen. Die gezeigten Milieus und Konflikte stammen dann auch aus genau dieser wirklichkeitsfernen TV-Soap- und Sketch-Welt mit ihren billigen Kulissen und unglaubwürdigen Charakteren. Stringenz in der Geschichte und Figurenzeichnung sind hier Fremdworte. Der Film ist ein einziger Kladderadatsch, der wirkt, als habe man einfach Szenen aus verschiedenen Drehbüchern zusammengeworfen und danach nicht einmal geprüft, ob das irgendwie auch nur halbwegs stimmig ist. Dass keine einzige Pointe zündet, verwundert in dieser kopflosen Fremdschäm-Veranstaltung, nicht. Wegen des Timings, wegen der Qualität der Pointen und wegen der Abwesenheit irgendeiner Idee, wie das Material sinnvoll angeordnet werden kann.
Dass es Anika Decker nicht gelingt, aus der Prämisse eine Geschichte zu entwickeln, verwundert dann doch. Denn bei der Prämisse schreibt sich die Geschichte wie von selbst. Wenn man denn ein Thema hat.
Anika Decker schrieb die Drehbücher für „Keinohrhasen“, „Zweiohrhasen“, „Rubbeldiekatz“ und „Traumfrauen“, ihrem Regiedebüt.
High Society – Gegensätze ziehen sich an (Deutschland 2017)
Regie: Anika Decker
Drehbuch: Anika Decker
mit Emilia Schüle, Jannis Niewöhner, Iris Berben, Katja Riemann, Caro Cult,Jannik Schümann, Manuel Rubey, Marc Benjamin, Rick Kavanian
Dass Alain Gsponer in seiner Verfilmung die Geschichte von Ödön von Horváths „Jugend ohne Gott“ aus der Nazi-Zeit in die Zukunft verlegt, ist nicht das größte Problem des Films. Im Gegenteil. Diese Verlegung der Handlung aktualisiert die Geschichte und macht sie auch für ein neues Publikum zugänglich.
Das gleiche gilt für den Wechsel des Protagonisten. Im Roman ist es der Lehrer. Ein Ich-Erzähler, der seinen Schülern etwas beibringen will und in Konflikt mit der herrschenden Ideologie gerät. Danach soll er, wie ihm sein Schuldirektor sagt, seine Schüler „moralisch zum Krieg erziehen“.
Im Film ist er eine Nebenfigur. Zach, einer seiner Schüler, ist der Protagonist. Um ein junges Publikum zu erreichen, ist das eine kluge Entscheidung. Schließlich identifiziert man sich als Jugendlicher eher mit einem Gleichaltrigen als mit einem Lehrer. Vor allem mit einem Lehrer, der an seiner Aufgabe hadert und von Selbstzweifeln darüber geplagt ist.
Diese beiden Änderungen und einige weitere, zu denen ich gleich komme, machen dann aus Gsponers Film eine freie Verfilmung des Romans.
In dem Film – und ich muss jetzt in Teilen der Filmhandlung weit vorgreifen – fährt die Schulklasse des namenlosen Lehrers (Fahri Yardim) in die Berge zu einem Zeltlager. Durch verschiedene Tests ihrer Persönlichkeit sollen die Schüler ausgewählt werden, die sich für einen Platz an Eliteuniversität qualifizieren.
Alle bis auf Zach (Jannis Niewöhner) folgen willig und ohne darüber nachzudenken, der in der Gesellschaft propagierten Leistungsideologie. Er ist, obwohl beliebt, schon in der Klasse ein hochintelligenter Außenseiter. Sein wertvollster Besitz ist ein Tagebuch, dem er seine Gedanken und Gefühle anvertraut. Im Gegensatz zu seinen Klassenkameraden denkt er nach. Er nimmt die gesellschaftlichen Veränderungen wahr und sie gefallen ihm nicht. Denn hinter dem schönen Schein der egalitären Wohlstandswelt gibt es bittere Armut. Letztendlich ist die von Gsponer gezeichnete Welt eine dystopische Zwei-Klassen-Gesellschaft. Es ist eine diktatorische Leistungsgesellschaft, die gnadenlos unliebsame, nicht angepasste oder nicht leistungsfähige Menschen aussortiert.
In dem Zeltlager werden sie von dem Aufseher vor einer im Wald lebenden Bande Jugendlicher, die außerhalb ihrer Zone leben und sich mit Diebstählen über Wasser halten, gewarnt. Zach lernt das im Wald lebende Mädchen Ewa (Emilia Schüle) kennen. Er verliebt sich in die Wilde.
Dann verschwindet Zachs Tagebuch (Leser des Romans kennen den Dieb) und ein Klassenkamerad, mit dem er schon in den vergangenen Tage handgreifliche Auseinandersetzungen hatte, wird ermordet im Wald aufgefunden. Aber hat er ihn auch ermordet?
Das größte Problem von Gsponers von-Horváth-Verfilmung ist die Erzählweise. Anstatt die Geschichte, wie im Roman, einfach chronologisch vom Anfang bis zum Ende zu erzählen, gibt es zahlreiche Rückblenden, die einem zum Verständnis notwendige Informationen erst sehr spät geben und das Geschehen aus einer anderen Perspektive schildern. Das erschwert das Hineinfinden in die Geschichte und die Identifikation mit den Figuren. Das zeigt sich schon in den ersten Minuten. Der Film beginnt mit der Ankunft im Zeltlager und es wirkt, als ob sich die Jugendlichen nicht kennen. Dabei sind sie Klassenkameraden, die mit ihrem Klassenlehrer zu dem Camp gefahren sind und vor der Fahrt schon einen unliebsamen (vulgo nicht leistungsfähigen) Schüler aussortiert haben. Das setzt sich später fort, wenn wir erst später erfahren, wer das Tagebuch geklaut hat und ob der oder die Mordverdächtigen die Tat begangen haben.
Ein anderes Problem ist die zu sparsam gezeichnete dystopische Gesellschaft. Entsprechend diffus bleibt die Gesellschaftskritik.
Am Ende ist „Jugend ohne Gott“ ein weiterer gescheiterter Versuch eines deutschen Science-Fiction-Films, der nicht an seinem Budget, sondern an seinem Drehbuch und seiner Inszenierung scheitert. Jedenfalls in der Form, die im Kino läuft.
Jugend ohne Gott (Deutschland 2017)
Regie: Alain Gsponer
Drehbuch: Alex Buresch, Matthias Pacht
LV: Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott, 1937
mit Jannis Niewöhner, Fahri Yardim, Emilia Schüle, Alicia von Rittberg, Jannik Schümann, Anna Maria Mühe, Rainer Bock, Katharina Müller Elmau, Iris Berben
Länge: 114 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Die Vorlage
Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott
Suhrkamp, 2017 (Movie Tie-In)
160 Seiten
5 Euro
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Erstausgabe
Exil-Verlag, Amsterdam, 1937
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Die aktuelle Suhrkamp-Ausgabe basiert auf „Gesammelte Werke. Kommentierte Werkausgabe in Einzelbänden – Band 4: Prosa und Werke 1918 – 1938“ (Suhrkamp, 1988)
Olympische Winterspiele 1988 in Calgary: Michael ‚Eddie‘ Edwards, genannt „Eddie the Eagle“ landet als Skispringer auf dem letzten Platz und freut sich wie Bolle. Denn er ist am Ziel seiner Träume. Er nimmt an den Olympischen Spielen teil. Er wird, die Älteren dürften sich noch daran erinnern, zum Publikumsliebling, weil er den Olympischen Geist verkörpert.
Der Weg dorthin war steinig und wird, mit etlichen erzählerischen Freiheiten, in Dexter Fletchers herzigem Feelgood-Movie „Eddie the Eagle“ nachgezeichnet. Denn so naiv und auch dumm, wie Eddie Edwards im Film gezeigt wird, ist er in Wirklichkeit nicht. Nach seiner Olympia-Teilnahme – weil die Regeln geändert wurden, blieb es seine einzige – machte der gar nicht so unsportliche Michael Edwards seine Schulabschlüsse, studierte und erhielt eine Zulassung als Anwalt. Das wird im Film, der sein Herz am richtigen Fleck hat, nicht erwähnt. Vieles in dem Film ist auch einfach erfunden. Eddie Edwards, dem der Film gefällt, meint, etwa fünf Prozent entsprächen der Wahrheit.
Dafür erfahren wir, wie er schon als Kind in seinem Geburtsort Cheltenham begeistert alle Sportdisziplinen ausprobiert. Meist erfolglos, aber mit unbändigem Optimismus, bis er schließlich beim Skispringen landet. Weil seit Jahrzehnten kein Brite in dieser Disziplin teilnahm, gibt es keine Konkurrenten und auch der damals gültige britische Rekord ist zu schaffen.
In den Alpen beginnt er mit dem Training, wird von der Restaurantbesitzerin Petra (Iris Berben) aufgenommen, überzeugt den ehemaligen Skispringer Bronson Peary (Hugh Jackman) ihn zu trainieren und stellt bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften in Oberstdorf einen neuen britischen Rekord auf, obwohl er bei dem Wettbewerb mit gesprungenen 73,5 Metern der schlechteste Teilnehmer war.
Während er von persönlichem Bestwert zu Bestwert fliegt, versucht das britische Olympiakomitee durch Änderungen der Regeln die Teilnahme des durchgeknallten Außenseiters aus der Arbeiterklasse zu verhindern. Die olympische Idee des Dabeiseins ist alles und die Vision vom Treffen von Sportamateuren aus der ganzen Welt in einem friedlichen Wettkampf stehen zwar auf dem Papier, aber die Olympischen Spiele sind schon lange ein großes Geschäft. Ein Paradiesvogel wie Eddie stört da nur den Ablauf und gefährdet das seriöse Image der britischen Olympia-Teilnehmer.
Taron Egerton, der zuletzt in „Kingsman: The Secret Service“ quasi eine andere britische Ikone verkörperte, hat für die Rolle zugenommen, sein Kinn konsequent nach vorne geschoben (wegen Eddies markantem Unterbiss) und sich ein dickes Kassengestell (aufgrund seiner Weitsichtigkeit musste Eddie immer eine Brille tragen) aufgesetzt und schlüpfte so, auch körperlich, in die Rolle des optimistischen Naivlings, der sich durch ein „Nein“ nicht von seinen Zielen abbringen lässt.
Dexter Fletcher („Wild Bill“, „Make my Heart fly“) inszenierte das Feelgood-Movie mit spürbarer Sympathie für seine Charaktere in einem Tempo, das trotz der vorhersehbaren Geschichte (auch wenn man die wahre Geschichte nicht kennt), keine Langeweile aufkommen lässt. Es ist ein Film, der genau weiß, was er will und dabei alles richtig macht.
Die Initialzündung für den Film war ein Fernsehabend von „Kingsman“-Regisseur Matthew Vaughn, der „Eddie the Eagle“ produzierte. Er sah „Cool Runnings“ und wollte genau so einen Film machen, den er auch seinen Kindern zeigen könnte. „Cool Runnings“ erzählt die Geschichte des jamaikanischen Bob-Teams, die ebenfalls bei den Winterspielen in Calgary dabei waren und ebenfalls keine Medaillen gewannen, aber den olympischen Geist verkörperten. Der Film geht ebenfalls sehr freizügig mit den Fakten um. Aber im Gegensatz zu Eddie the Eagle wurden die Bobfahrer erst durch den Film bekannt.
Eddie the Eagle – Alles ist möglich (Eddie the Eagle, Großbritannien/USA/Deutschland 2016)
Regie: Dexter Fletcher
Drehbuch: Sean Macaulay, Simon Kelton
mit Taron Egerton, Hugh Jackman, Iris Berben, Tim McInnerny, Keith Allen, Mark Benton, Jo Hartley, Christopher Walken
Tatort: Das Glockenbachgeheimnis (D 1999, R.: Martin Enlen)
Drehbuch: Friedrich Ani
Wer ermordete Hauserbe Martens? Und was ist das Geheimnis des Glockenbaches?
Guter Münchner „Tatort“ mit den Kommissaren Batic (Miroslav Nemec), Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Menzinger (Michael Fitz). Iris Berben spielt eine dubiose Caféhaus-Besitzerin.