Neu im Kino/Filmkritik: „France“ de Meurs, Ich-Ich-Ich-Journalistin

Juni 9, 2022

France de Meurs (Léa Seydoux) hat bei einem Privatsender eine erfolgreiche TV-Talksendung. Gleichzeitig macht sie in Kriegsgebieten Vor-Ort-Reportagen. Sie ist der Liebling der Nation. Für Autogramme und Selfies warten ihre Fans stundenlang devot vor dem Gebäude des Senders. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn. Beide sind für sie Statussymbole.

Bruno Dumont zeichnet France de Meurs Leben in der Medienblase in kurzen, mehr komödiantisch als satirisch überspitzten Szenen. Denn für eine Satire bräuchte es ein eindeutiges Ziel, eine Haltung und eine intellektuelle Durchdringung des Themas. Eine Geschichte wäre auch hilfreich. In „France“ entsteht der Humor aus einem vollkommen pubertärem Verhalten von France de Meurs und ihrer Produzentin während einer Pressekonferenz von Präsident Emmanuel Macron. Oder aus ihrem Verhalten während ihrer zahlreichen Reportagen. Als sie Flüchtlinge über das Mittelmeer begleitet, verbringt sie nur wenige Minuten im Boot der Flüchtlinge. Als sie durch Kriegsgebiete stolpert, hat sie keine Ahnung von dem Geschehen. Die Reportagen macht sie auch nicht, weil sie sich für die Konflikte im Kriegsgebiet interessiert, sondern weil sie eine gute Quote bringen. In ihrer Heimat ist sie dann die vom Leben abgehobene Society-Dame, die vor allem auf ihr perfektes Make-up achtet.

Dumont erzählt das in einer Abfolge unverbundener Szenen, in denen keine Entwicklung erkennbar ist. So hat keine ihrer Kriegsreportagen eine Auswirkung auf ihr Leben und Denken. Als während einer Sendung ihre Mikrophone durch einen dummen Zufall eingeschaltet bleiben und alle ihre defätistischen Kommentare hören, ist das schon zwei Minuten später vergessen. Als ihr Mann und ihr Sohn bei einem Autounfall sterben, hat auch das keine Auswirkung auf ihr Leben. Sie waren vorher unwichtig und sind danach nicht wichtiger.

Schnell begreift man, dass „France“ keine Mediensatire, sondern das Porträt einer quotenversessene Celebrity-Reporterin ist, die innerlich leer ist, sich fremd in ihrem Leben fühlt, keinerlei Interessen hat und höchstens über das Gefühl des Selbstmitleids verfügt; falls sie überhaupt intelligent genug ist, um Gefühle zu haben. Das hat man allerdings schon nach wenigen Minuten verstanden. Die dann folgenden gut zwei Stunden wird einem diese Erkenntnis immer wieder ohne nennenswerte Variation präsentiert. Entsprechend länglich fühlt sich diese Zustandsbeschreibung einer dummen, eitlen, zu keiner Selbstreflektion fähigen und damit schichtweg uninteressanten Person an. Sie ist einfach nur ein großes egozentrisches Nichts.

France (France, Frankreich/Deutschland/Italien/Belgien, 2021)

Regie: Bruno Dumont

Drehbuch: Bruno Dumont

mit Léa Seydoux, Juliane Köhler, Benjamin Biolay, Blanche Gardin

Länge: 130 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Filmportal über „France“

Moviepilot über „France“

AlloCiné über „France“

Metacritic über „France“

Rotten Tomatoes über „France“

Wikipedia über „France“ (deutsch, englisch, französisch)


TV-Tipp für den 7. Mai: Der Untergang

Mai 6, 2020

Kabel 1, 20.15

Der Untergang (Deutschland 2004)

Regie: Oliver Hirschbiegel

Drehbuch: Bernd Eichinger

LV: Joachim Fest: Der Untergang – Hitler und das Ende des Dritten Reiches, 2002

LV: Traudl Junge, Melissa Müller: Bis zur letzten Stunde – Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben, 2002

Was geschah in den letzten Kriegstagen in Berlin im Führerbunker? Nach 150 Minuten wissen wir es.

Der Untergang“ ist gediegen erzähltes, starbesetztes Unterhaltungskino im Hollywoodstil. Historisch akkurat und ohne eine erkennbare Haltung zum Sujet. Deshalb reiht sich eine Episode an die nächste Episode, aber eine Geschichte wird, abseits der strikt chronologischen Anordnung des Materials, nicht erkennbar.

mit Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler, Heino Ferch, Christian Berkel, Matthias Habich, Thomas Kretschmann, Michael Mendl, André Hennicke, Ulrich Noethen, Birgit Minichmayr, Rolf Kanies, Justus von Dohnányi, Dieter Mann, Christian Redl, Götz Otto, Alexander Held, Bettina Redlich, Heinrich Schmieder, Anna Thalbach, Ulrike Krumbiegel, Jürgen Tonkel, Devid Striesow

Wiederholung: Freitag, 8. Mai, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Filmportal über „Der Untergang“

Rotten Tomatoes über „Der Untergang“

Wikipedia über „Der Untergang“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Five Minutes of Heaven“ (Five Minutes of Heaven, GB 2009)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Diana“ (Diana, USA/GB 2013)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Elser“ (Deutschland 2015)  (mit Interviews mit Oliver Hirschbiegel über den Film) (und der DVD)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Der gleiche Himmel“ (Deutschland 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: „Safari – Match me if you can“ in der deutschen Komödie

August 30, 2018

Boah, war das – – –

Beginnen wir mit den Fakten:

Regie führte Rudi Gaul. Von ihm ist die Doku „Wader Wecker Vater Land“.

Das Drehbuch ist von Rudi Gaul und Friederike Klingholz. Frei nach Arthur Schnitzlers „Reigen“. Naja, Tote können sich nicht mehr wehren. Und der Film ist ein Reigen von Liebesgeschichten und sexuellen Begegnungen in der Großstadt.

Justus von Dohnányi, Sunnyi Melles, Elisa Schlott, Juliane Köhler, Friederike Kempter, Max Mauff, Sebastian Bezzel, Patrick Abozen und Janina Fautz spielen die beziehungssuchenden Großstädter. Wobei sie eher nicht nach der großen Liebe, sondern dem schnellen Sex suchen. Früher funktionierte das über Kleinanzeigen und „Fisch sucht Fahrrad“-Abende. Heute gibt es dafür die titelgebende App „Safari“, die Männlein und Weiblein nach ihren individuellen Vorlieben perfekt zusammenbringen soll. Dass ihre Selbstbeschreibung nicht immer der Realität entspricht: geschenkt. Und dass im Lauf des Films diese Lügen und Selbsttäuschungen aufgedeckt werden, gehört ebenfalls zum Genre. Aber es sollte dann schon etwas interessanter, überraschender und, immerhin will „Safari – Match me if you can“ (es geht doch nichts über einen guten deutschen Titel) eine Komödie, witziger sein.

Denn Gauls Ensemblekomödie ist das filmische Äquivalent zu einem dieser gottseidank der Vergangenheit angehörenden Abende, an denen die Privatsender in unzähligen Sketchshows einen unwitzigen Sketch nach dem nächsten präsentierten. Die Sketche waren fast ausschließlich Blindgänger. Die Sets hatten mit der Realität nichts zu tun und die Schauspieler hatten wahrscheinlich ihren Spaß. Ein größerer Zusammenhang zwischen den Witzen war auch nicht erkennbar.

Aber in einem Spielfilm nervt es, wenn nichts zusammenpasst. So gibt es in „Safari“ einen Tramfahrer, der für seine Sexabenteuer als Pilot auftritt. Er ist mit einer Psychologin, bzw. genaugenommen einer französischen Sex-Therapeutin, verheiratet. Und jetzt sollen wir glauben, dass dieses Ehepaar jemals zusammengefunden hat und dass der Tramfahrer ungestört und unentdeckt in seiner Heimatstadt München unzählige Sexabenteuer haben kann. Denn alle seine Sexabenteuer werden auf der titelgebenden und unglaublich beliebten „Safari“-App zum Besten gegeben. Die App-Nutzer haben Profilfotos von sich hochgeladen und sie bewerten sich gegenseitig nach ihrem, ähem, Geschlechtsverkehr. München ist zwar eine Großstadt, aber so groß ist die Landeshauptstadt von Bayern dann doch nicht.

Außerdem sind alle „Safari“-User auf der Suche nach der normalheterosexuellen Liebe unter weißen Deutschen. Als Alibiausländer darf ein sehr südländischer Kleinstadtgigolo Verführungstipps geben, die er – Überraschung! – nicht aus eigener Erfahrung hat.

Safari – Match me if you can“ ist ein unwitziges Desaster, bei dem ich mich fragte, wer sich so etwas ansehen soll. Denn die moderne Smartphone-Oberfläche verdeckt den Muff und die biedere Sexualmoral der fünfziger Jahre noch nicht einmal notdürftig.

Safari – Match me if you can (Deutschland 2018)

Regie: Rudi Gaul

Drehbuch: Rudi Gaul, Friederike Klingholz (frei nach Arthur Schnitzlers „Reigen“)

mit Justus von Dohnányi, Sunnyi Melles, Elisa Schlott, Juliane Köhler, Friederike Kempter, Max Mauf, Sebastian Bezzel, Patrick Abozen, Janina Fautz

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Safari – Match me if you can“

Moviepilot über „Safari – Match me if you can“

Wikipedia über „Safari – Match me if you can“