Wer sich vor dem Kinobesuch die Synopse durchliest, ist wahrscheinlich gewarnt. Trotzdem sage ich es nochmal ganz deutlich: wer sich den Film nur wegen Bill Murray ansehen will, sollte es wahrscheinlich bleiben lassen. Er spielt – überzeugend – einen New Yorker Schriftsteller und er ist auch wichtig für die Filmgeschichte. Ohne seine Rolle gäbe es den Film nicht. Aber sein Auftritt beschränkt sich auf wenige Minuten am Filmanfang und in einigen Rückblenden. Eigentlich ist seine Aufgabe mit seinem Tod erfüllt. Das geschieht wenige Minuten nach dem Filmanfang.
Danach muss ein neuer Besitzer für seine riesige Dogge Apollo gefunden werden. In seinem letzten Willen schrieb Walter, dass Iris (Naomi Watts) Apollo bekommen solle. Sie war seine beste Freundin, er ihr Mentor und er hat sie schon vor längerem mit einer editierten Herausgabe seiner Briefe beauftragt.
Iris lebt in einer kleinen mietpreisgebundenen Wohnung mitten in New York. Trotzdem kann sie Walters letzten Wunsch nicht ablehnen. Sie nimmt Apollo für einige Tage – so glaubt sie – in ihre Obhut. Das riesige, todtraurig in die Welt blickende Vieh besetzt sofort ihr Bett und ihre für sie beiden viel zu kleine Wohnung.
In ihr müssen Apollo und Iris mit ihrer Trauer und ihren Gefühlen über Walters Suizid zurechtkommen.
Das Regieduo Scott McGehee und David Siegel („The Deep End – Trügerische Stille“) inszenierte einen einfühlig-warmherziger Feelgood-Film, der auf dem mit dem National Book Award ausgezeichneten Bestseller „Der Freund“ von Sigrid Nunez basiert. Pedro Almodóvar neuester Film, das leise Sterbehilfedrama „The Room next Door“, basiert ebenfalls auf einem Roman von Nunez.
Getragen wird „Loyal Friend“ von den guten Schauspielern und dem wirklich großen Hund, der schnell die Herzen der Menschen erobert, die er trifft.
Wenn es da nicht das Problem mit der Klausel im Mietvertrag gäbe, die Haustiere verbietet.
Loyal Friend(The Friend, USA 2024)
Regie: Scott McGehee, David Siegel
Drehbuch: Scott McGehee, David Siegel
LV: Sigrid Nunez: The Friend, 2018 (Der Freund)
mit Naomi Watts, Bill Murray, Sarah Pidgeon, Carla Gugino, Constance Wu, Noma Dumezweni, Ann Dowd, Tom McCarthy (Regisseur)
Zum ersten Mal wurde die Geschichte vor acht Jahren in dem spanischen Thriller „Anrufer unbekannt“ (El Desconocido, 2015) erzählt. Ein deutsches und ein südkoreanisches Remake folgten. Und jetzt gibt es ein weiteres Remake. Wieder spielt die Geschichte, wie vor fünf Jahren in „Steig. Nicht. Aus!“ in Berlin. Wieder jagt ein unbekannter Bösewicht Menschen mit Autobomben in die Luft. Sein jüngstes Opfer ist Matt Turner (Liam Neeson). Als der Investmentbanker seine beiden Kinder zur Schule fährt, wird er angerufen. Der Anrufer sagt ihm, dass sich eine Bombe in seinem Auto befindet und sie explodieren werde, wenn er sich nicht an seine Anweisungen hält.
Und los geht die bombige Fahrt durch Berlin; – also ein Film-Berlin, das mit dem echten Berlin nichts zu tun hat. Regisseur Nimród Antal viel im Regierungsviertel und fügte die Locations so zusammen, dass das Bild einer sauberen, modernen, westlichen Großstadt entsteht. Aber niemand, der die Drehorte erkennt, wird länger als eine halbe Minute versuchen, die Locations zu einer real gefahrenen Strecke zusammenzufügen. Ich gab auf, nachdem Turner sein morgendliches Boxtraining mit Blick auf den Tiergarten beendete und sich in sein Auto setzte.
Die Story ist weitgehend bekannt und taugt eigentlich für einen spannenden Thriller. Nur dass hier, im Gegensatz zu „Steig. Nicht. Aus!“ alles schlechter erzählt wird. Spannungsmomente werden konsequent verschenkt. Anstatt Suspense gibt es Langeweile. Das gilt für etwaige Konflikte in Turners Auto zwischen ihm und seinen Kindern. Das gilt für seine Verhandlungen mit dem Erpresser und mit der Polizei. Die glaubt, dass er seine Kinder entführt hat und für die Bombenanschläge verantwortlich ist. Nur eine Polizistin glaubt ihm. Die Figuren sind austauschbar. Und deren Ableben ist uns egal. Das war in „Steig. Nicht. Aus!“ anders.
Während des Films wird uns der Erpresser als Genie, das immer alles bedacht hat und das die Fäden in der Hand hat, verkauft. Am Ende, wenn der Täter dann alles erklärt, müssen wir erkennen, dass sein unglaublich umständlicher Plan aus einer Abfolge von Hoffnungen über das Verhalten seiner Opfer und wilden Improvisationen besteht.
Die Lösung, also wer der Täter ist und warum er all die Menschen umbrachte, ist anders als in „Steig. Nicht. Aus!“. Leider. Denn das Motiv des Täters in „Steig. Nicht. Aus!“ knüpft an großstädtische Probleme an und thematisiert ein gesellschafltich wichtiges Thema. Darüber konnte nach dem Abspann noch diskutiert werden. Über das Motiv des Täters in „Retribution“ muss nicht weiter diskutiert werden.
Obwohl Nimród Antals Remake kürzer als Christian Alvarts Remake ist, fühlt sich die neueste Auflage von „Anrufer unbekannt“ (El Desconocido, 2015) eindeutig länger an.
Immerhin gibt es für das deutsche Publikum einen garantierten Lacher, über den ich jetzt nichts sagen kann, weil ich dann, egal wie ich es formulieren würde, den Täter verraten würde.
„Retribution“ ist der nächste Generic-Liam-Neeson-Thriller, den man sich irgendwann aus Langeweile ansehen kann.
Unbedingt ansehen sollte man sich Christian Alvarts viel gelungenere Version der Geschichte anzusehen. Sein „Steig. Nicht. Aus!“ ist, trotz kleiner Schwächen, ein spannender Berlin-Thriller.
Retribution (Retribution, Großbritannien 2023)
Regie: Nimród Antal
Drehbuch: Chris Salmanpour (basierend auf „El Desconocido“ von Alberto Marini)
mit Liam Neeson, Noma Dumezweni, Lilly Aspell, Jack Champion, Arian Moayed, Embeth Davidtz, Matthew Modine, Emily Kusche
Lange vor dem Filmstart erscholl im Internet der Klagechor über die Besetzung von Arielle. Denn Disney besetzte im Realfilmremake ihres gleichnamigen Trickfilms von 1989 die Rolle der Meerjungfrau mit einer Schwarzen. Zugegeben, eine hellhäutige Schwarze, aber nichtsdestotrotz eine Schwarze und für einige Fans der 1989er Version von „Arielle, die Meerjungfrau“ (The little Mermaid) war das zu viel.
Dabei ist es doch vollkommen egal, welche Hautfarbe oder auch Geschlecht eine Meerjungfrau hat. Wir wissen es nicht. Ihre Haut könnte auch Gelb, Grün, Braun oder Silbern sein. Sie könnte weiblich, männlich, bi-, trans- oder asexuell sein; – wobei in der Literaturwissenschaft die Theorie verfochten wird, dass in dem Märchen „Die kleine Meerjungfrau“, der Vorlage für diese beiden Disney-Filme, Hans Christian Andersen seine Homosexualität und seine zum Scheitern verurteilte Liebe zu Edvard Collins verarbeitete. Uups.
Die Hautfarbe der Hauptdarstellerin sagt auch nichts über die Qualität eines Films aus. Regie, Drehbuch und, immerhin ist „Arielle, die Meerjungfrau“ ein Musical, die Musik sind wichtiger.
Und weil „Arielle, die Meerjungfrau“ die neueste Disney-Realverfilmung ist, hat sie die gleichen Probleme, wie die vorherigen Disney-Realverfilmungen. Wieder einmal wurde ein alter, erfolgreicher und immer noch beliebter Trickfilm genommen und die Geschichte, mit all ihrem ideologischem Ballast, 1-zu-1 neu verfilmt. Nur dieses Mal mit Schauspielern und CGI-Tricks. Einige dieser Realverfilmungen, wie „Der König der Löwen“, sind letztendlich hundertfünfzigprozentige CGI-Filme. Deshalb ist die Rede von Realverfilmung etwas irreführend, aber etabliert. Auch in „Arielle, die Meerjungfrau“ sind die meisten Bilder am Computer entstanden und wahrscheinlich wurden nach dem Dreh alle Bilder umfangreich nachbearbeitet.
Die Meerjungfrau Arielle lebt mit ihren Schwestern in einem von ihrem Vater König Triton gutmütig regiertem Unterwasserreich. Im Gegensatz zu ihren Schwestern ist Arielle von den Menschen fasziniert. Bei einem ihrer Ausflüge entdeckt sie auf einem Segelschiff Prinz Eric. Sofort verliebt sie sich in den jungen Mann, der gut aussieht und ein echter Traumprinz ist. Aber ihre Liebe kann nicht erwidert werden. Sie leben in verschiedenen Welten und können in der anderen Welt nicht leben. Er kann unter Wasser nicht atmen. Sie kann sich mit ihrem Schwanz an Land nicht voran bewegen.
Da bietet die Meerhexe Ursula ihr eine Verwandlung an. Im Tausch für ihre wunderschöne Stimme bekommt sie Beine und kann die Welt der Menschen erkunden. Wenn sie innerhalb von drei Tagen geküsst wird, kann sie ein Mensch bleiben. Wenn nicht, wird sie bis in alle Ewigkeit eine von Ursulas Sklavinnen sein. Arielle willigt ein und kann danach die Insel betreten, auf der Eric lebt. Jetzt muss der Traumprinz sie nur noch wahrhaft lieben und küssen.
Für den Film wurden neben R&B-Sängerin Halle Bailey, die Arielle spielt, Jonah Hauer-King als Prinz Eric, Javier Bardem als König Triton und Melissa McCarthy als Meerhexe Ursula gecastet. Bardem ist blass wie noch nie. McCarthy ist bis zum Ende, wo sie endlich durchdrehen darf, vollkommen und sträflich unterfordert.
Die erstaunlich altmodisch klingende Musik ist wieder Alan Menken. Die bekannten Songs aus der Trickfilmversion, wie „Under the Sea“, „Kiss the Girl“, „Part of your World“ und „Poor unfortunate Souls“ werden wieder, teils mit aktualisierten Texten, gesungen. Für drei neue Songs und eine Reprise schrieb „Hamilton“ Lin-Manuel Miranda die Texte.
Die CGI-Effekte sind gelungen, aber auch ein großes Manko des Films. Während bei einem Zeichentrickfilm immer offensichtlich ist, dass das Gezeigte nicht real, sondern bestenfalls nur eine abstrakte Version der Realität ist, suggeriert eine Realverfilmung das Gegenteil. Tiere sehen wie Tiere aus. Sie bewegen sich wie die gezeigten Tiere. Und dann fällt auf, dass die Proportionen der Meereslebewesen immer etwas falsch sind; dass sprechende Krabben, Fische und Basstölpel als Sidekicks seltsam sind, dass die durchgehend wohlproportionierten Meerjungfrauen einerseits keinen Kontakt zur Menschheit haben, andererseits immer züchtig ein Bikini-Oberteil anhaben und, dieser Punkt nervte mich am meisten, dass die Haare der Meerjungfrauen und von König Triton im Wasser immer schweben und offensichtlich trocken sind, während sie sich an Land, auf der windumtosten Karibik-Insel, nicht mehr bewegen. Auch nicht bei einer wilden Fahrt in einer Kutsche.
Mit über 135 Minuten ist das Musical eindeutig zu lang geraten. Der gelungenere Trickfilm erzählt seine Geschichte in 85 Minuten.
Arielle, die Meerjungfrau (The little Mermaid, USA 2023)
Regie: Rob Marshall
Drehbuch: David Magee
LV: Hans Christian Andersen: Den lille Havfrue, 1837 (Die kleine Meerjungfrau)
mit Halle Bailey, Daveed Diggs, Jacob Tremblay, Awkwafina, Jonah Hauer-King, Art Malik, Noma Dumezweni, Javier Bardem, Melissa McCarthy