Neu im Kino/Filmkritik: Steve McQueens dritter Streich: „12 Years a Slave“

Januar 16, 2014

 

Aktueller Stand: fast hundert gewonnene Filmpreise, unter anderem den Golden Globe als bester Film des Jahres, 142 Nominierungen und es dürften bis zur Oscar-Nacht noch einige Preise hinzukommen. Dieser beeindruckende Preisregen, der auch mit der Inflation von Filmpreisen in den vergangenen Jahren zusammenhängt, sagt vor allem eines: „12 Years a Slave“ ist ein guter Film; was niemand, der Steve McQueens beiden vorherigen Filme „Hunger“ und „Shame“ gesehen hat, bezweifelt. Es ist auch sein zugänglichster Film, der am nächsten an den bekannten Hollywood-Erzählkonventionen ist.

McQueen erzählt nach einem Drehbuch von John Ridley („U-Turn“, „Three Kings“, mehrere Romane, vor allem in Richtung Noir) die wahre Geschichte von Solomon Northup, der 1841 gesellschaftlich anerkannt und glücklich verheiratet mit zwei Kindern in Saratoga, New York, lebt. Als er einen gut bezahlten Job als Geiger in Washington, DC, annimmt, beginnt seine Leidensgeschichte. Denn er wird betäubt, gefangen genommen und in die Südstaaten nach Louisiana verschifft. Jetzt ist er ein Sklave, dem niemand glaubt, dass er in New York ein freier Mann war.

In den kommenden zwölf Jahren arbeitet er auf verschiedenen Plantagen unter Besitzern, die ihn verschieden schlecht behandeln, ihm aber immer seiner Würde berauben, ihn nicht als Menschen, sondern als Sache, über die sie nach Belieben verfügen können, betrachten.

John Ridley sagt dazu: „Wenn man heute über die Sklaverei spricht, geht man landläufig davon aus, dass Schwarze in den Baumwollfeldern unter besseren oder unter schlechteren Bedingungen schufteten. Fertig! Aber das ganze System war viel komplexer. Es zielte auf eine totale Entmenschlichung ab. Den Weißen gegenüber wurde behauptet, dass Schwarze dazu geboren waren, Sklaven zu sein. Sie wurden als minderwertige Rasse dargestellt, der von Geburt an überhaupt keine Rechte zustanden. Davon wollten Steve und ich erzählen – und gleichzeitig zeigen, welches Unrecht Solomon zugefügt wurde.“

Auf den Plantagen kann McQueen, der „12 Years a Slave“ strikt chronologisch und aus der Perspektive von Northup erzählt, eine kleine Starparade abfeiern. Denn die Sklavenhalter werden von Benedict Cumberbatch und Michael Fassbender gespielt. Paul Dano spielt einen gemeinen Vorarbeiter und Brad Pitt einen aus Kanada kommenden Zimmermann.

Getragen wird der Film allerdings von Chiwetel Ejiofor, für den die Rolle der Durchbruch sein könnte. Denn als Solomon Northup ist er von der ersten bis zur letzten Minute das Zentrum der Geschichte.

Im Gegensatz zu „Django Unchained“ oder „Lincoln“, die sich zuletzt mit der Sklaverei beschäftigten, ist Steve McQueens Film kein poppiger Rache-Western mit Hang zum plakativen Spaghetti-Western-Humor oder ein wortlastig-gediegenes Hinterzimmer- und Parlamentskammerspiel, sondern die nüchtern erzählte Geschichte eines Mannes, der vom freien Mann zum Sklaven wird und der sich nur durch eine glückliche Begegnung aus seinem Martyrium befreien kann. Dabei zeigt McQueen, der schon in „Hunger“ und „Shame“ kompromisslos seine künstlerische Vision verfolgte und auch dort nie vor unangenehmen Bildern zurückschreckte, die er aber, ohne das Leiden seiner Protagonisten kunstgewerblich zu ästhetisieren, wie wunderschöne Visionen des Leidens inszenierte und die deshalb durchaus in einer Ausstellung einen adäquaten Platz finden könnten. In beiden Filmen verlangte er dabei seinem Hauptdarsteller Michael Fassbender auch körperlich einiges ab. In seinem neuen Film, der das System Sklaverei nüchtern analysiert, nimmt Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor diesen Platz ein. Besonders unangenehm sind dabei die Auspeitschungen, die, teils in paradiesischer Landschaft, in langen, ungeschnittenen Szenen als Marter gezeigt werden. Oder als Northup, mit einem Strick um seinen Hals, eine Ewigkeit auf seinen Zehen tänzeln muss, bis darüber entschieden ist, ob er gehängt wird oder nicht. Im Hintergrund geht dabei das normale Plantagenleben weiter.

12 Years a Slave - Plakat - 4

12 Years a Slave (12 Years a Slave, USA 2013)

Regie: Steve McQueen

Drehbuch: John Ridley

LV: Solomon Northup: Twelve Years a Slave, 1853

mit Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Lupita Nyong’o, Benedict Cumberbatch, Brad Pitt, Paul Dano, Paul Giamatti, Sarah Paulson, Alfre Woodard

Länge: 135 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film (dito)

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „12 Years a Slave“

Moviepilot über „12 Years a Slave“

Metacritic über „12 Years a Slave“

Rotten Tomatoes über „12 Years a Slave“

Wikipedia über „12 Years a Slave“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Steve McQueens „Shame“ (Shame, Großbritannien 2011)

Und noch einige O-Töne:

Die TIFF-Pressekonferenz

Q&A beim New York Filmfestival

DP/30 spricht mit Steve McQueen und Kameramann Sean Bobbitt


TV-Tipp für den 17. Dezember: Barney’s Version

Dezember 17, 2013

 

ZDF, 00.20 (VPS 00.19)

Barney’s Version (Kanada/Italien 2010, R.: Richard J. Lewis)

Drehbuch: Michael Konyves

LV: Mordecai Richler: Barney’s Version, 1997 (Wie Barney es sieht)

Filmproduzent Barney Panofsky („Totally Unneccessary Productions“) erinnert sich an sein bewegtes Leben.

Klasse Film, top besetzt und zu einer unmöglichen Uhrzeit. Denn das ist die TV-Premiere der mit zahlreichen Preisen ausgezeichneten Komödie „Barney’s Version“.

mit Paul Giamatti, Dustin Hoffman, Rosamund Pike, Minnie Driver, Rachelle Lefevre, Scott Speedman, Bruce Greenwood, Jake Hoffman, Saul Rubinek, Paul Gross, David Cronenberg, Atom Egoyan, Ted Kotcheff, Denys Arcand, Richard J. Lewis (die fünf letztgenannten sind alles Regisseure und haben nur Cameos, zum Beispiel als Regisseur)

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Barney’s Version“

Metacritic über „Barney’s Version“

Rotten Tomatoes über „Barney’s Version“

Wikipedia über Mordecai Richler (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Richard J. Lewis‘ „Barney’s Version“ (Barney’s Vesion, Kanada/Italien 2010)


Neu im Kino/Filmkritik: Robin Wright besucht „The Congress“

September 13, 2013

 

Ari Folman, dessen „Waltz with Bashir“ vor fünf Jahren breit abgefeiert wurde, inclusive Golden Globe als bester ausländischer Film und dem Preis der Diretors Guild of America und der Writers Guild of America als bester Dokumentarfilm, hat jetzt Stanislaw Lems Roman „Der futurologische Kongress“ sehr frei als „The Congress“ verfilmt. Dabei habe ich kein Problem damit, dass Folman Lems Roman veränderte oder zwischen Real- und Animationsfilm wechselt. Das Problem ist, dass er anscheinend beim Wechsel in den Trickfilm vollkommen vergisst, was er im ersten Akt erzählte.

In dem ersten Teil, der eine grandiose Abrechnung mit Hollywood ist, muss sich die Schauspielerin Robin Wright (Robin Wright) entscheiden, ob sie weiterhin auf immer kleinere und schlechtere Rollen hofft oder an Miramount Studios für zwanzig Jahre ihr digitales Ebenbild für eine astronomisch hohe Summe verkauft und dafür ihre Karriere als Schauspielerin aufgibt.

Sie tut es und begibt sich zwanzig Jahre später auf einen Futurologischen Kongress, der nach der Einnahme einer Pille in einer Fantasiewelt spielt und plötzlich geht es drunter und drüber. Dass sie während des Kongresses, der anscheinend eine drogengeschwängerte Parallelwelt ist, ein weiteres Angebot von dem Miramount-Studiochef erhält, die Identitäten der Charaktere wechseln und irgendwelche Revolutionäre durch das Bild hüpfen, verwirrt und ist ungefähr so erhellend und stringent wie die polit-philosophische Diskussion mit dem Quartalsirren in der Eckkneipe, der einfach wild vor sich hin assoziiert.

Das Ende des Films, quasi der kurze Epilog, der dann wieder zwanzig Jahre nach dem Futurologischem Kongress spielt und, weil Robin Wright die bewusstseinsverändernden Pillen, die sie für den Besuch des Kongresses einnahm, absetzt, spielt dann wieder in der Realwelt und ist eine Standard-Dystopie, die mit den vorherigen Teilen, vor allem mit dem grandiosen ersten Teil, nichts zu tun hat.

Letztendlich wirkt „The Congress“ wie ein liebloser Zusammenschnitt von drei Filmen, in denen Robin Wright mitspielt.

Ein Desaster. Da helfen auch keine Drogen.

The Congress - Plakat

The Congress (The Congress, Deutschland/Irland/Polen/Frankreich/Belgien/Luxemburg 2013)

Regie: Ari Folman

Drehbuch: Ari Folman

LV: Stanislaw Lem: Kongres futurologiczny, 1971 (Der futurologische Kongress – Aus Ijon Tichys Erinnerungen)

mit Robin Wright, Harvey Keitel, Jon Hamm, Kodi Smit-McPhee, Danny Huston, Sami Gayle, Paul Giamatti

Länge: 122 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „The Congress“

Moviepilot über „The Congress“

Metacritic über „The Congress“

Rotten Tomatoes über „The Congress“

Wikipedia über Stanislaw Lem und „The Congress“

 


DVD-Kritik: Don Coscarelli kehrt mit „John dies at the End“ zurück

August 27, 2013

 

Zehn Jahre nach dem grandiosen „Bubba Ho-Tep“, in denen Regisseur Don Coscarelli nur einen TV-Film inszenierte, ist er mit „John dies at the End“ zurück und die Horrorkomödie ist eine geschmacksicher geschmacklose Angelegenheit, die sich deshalb natürlich primär an ein Horrorfilmpublikum richtet, das schon Coscarellis frühere Flme, wie „Das Böse“ und die drei Fortsetzungen, goutierte.

Dieses Mal geht es, mit viel Schwarzem Humor, um zwei College-Abbrecher, John und Dave, die außer ihrem TV- und Drogenkonsum wenig auf die Reihe bekommen und auch gar nicht mehr auf die Reihe bekommen wollen, denn bedröhnt vor der Glotze abhängen ist doch okay. Aber sie sind quasi auserwählt gegen eine die Menschheit bedrohende Droge zu kämpfen, die ihren Verstand angreift, an der Realität zweifeln lässt und zu irrationalen Taten animiert. Manchmal mit tödlichen Folgen. Der Straßenname dieser gefährlichen Droge ist „Sojasauce“.

Dass „John dies at the End“ (so ein richtiger Spoiler ist der Titel nicht) nicht bierernst genommen werden sollte, dürfte allein schon der Name der Droge verraten.

Dass Don Coscarelli das drogeninduzierte Driften durch Raum und Zeit und das Verwischen der verschiedenen Welten und Wahrnehmungsebenen (so sind die Menschen nicht immer das, was sie zu sein scheinen) und die Rahmenhandlung in der Dave in einem Diner einem Journalisten seine Geschichte erzählt, als Entschuldigung nimmt, um – aus Sicht der klassischen Hollywood-Dramaturgie – ziemliches chaotisch mehr oder weniger gelungene Witze aneinanderreiht, ist nachvollziehbar. Aber gleichzeitig fehlt im so jeder erzählerische Stringenz, die den Film außerhalb des Hardcore-Fankreises von nicht jugendfreien Horrorkomödien und Trashperlen goutierbar machen würde.

Das ändert nichts daran, dass die handgemachten Tricks, wie das Monster aus gefrorenen Fleischstücken, in Zeiten von überbordenden CGI-Exzessen, Spaß machen und der Film in einem Midnight-Screening oder, mit einer ordentlichen Portion Alkohol und einigen guten Kumpels, auf der heimischen Couch ziemlich genial ist. Vor allem bei dem zweiten oder dritten Ansehen. Mit oder ohne Sojasauce.

John dies at the End - DVD-Cover

John dies at the End (John dies at the End, USA 2012)

Regie: Don Coscarelli

Drehbuch: Don Coscarelli

LV: David Wong: John dies at the End, 2001 (als Webserial; danach verschiedene Printausgaben mit mehr oder weniger vielen Ergänzungen)

mit Chase Williamson, Rob Mayes, Paul Giamatti, Clancy Brown, Glynn Turman, Doug Jones

DVD

Pandastorm

Bild: 1,78:1 (16:9)

Ton: Deutsch (DTS 5.1, DD 5.1), Englisch (DD 5.1)

Untertitel: Deutsch, Englisch

Bonusmaterial: Wendecover

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Der Film ist auch als Mediabook mit Bonusmaterial erhältlich.

John dies at the End - Mediabook

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Metacritic über „John dies at the End“

Rotten Tomatoes über „John dies at the End“

Wikipedia über „John dies at the End“

Movieline unterhält sich mit Don Coscarelli und Paul Giamatti über „John dies at the End“ (25. Januar 2013)

„Fanboy Planet“-Interview mit Don Coscarelli über „John dies at the End“

„Shock till you drop“-Interview mit Don Coscarelli über „John dies at the End“ (8. April 2013)

Homepage von David Wong

Diese Anti-Piraterie-Spots werden auch immer blutiger

 

 


TV-Tipp für den 2. Juni: Duplicity – Gemeinsame Geheimsache

Juni 2, 2013

RTL, 20.15 (Wiederholung um 00.00 Uhr)

 

Duplicity – Gemeinsame Geheimsache (USA 2009, R.: Tony Gilroy)

 

Drehbuch: Tony Gilroy

 

Nach Agententhriller (die “Bourne”-Serie) und Politthriller (“Michael Clayton”) ist er jetzt bei der romantischen Thriller-Komödie mit Screwball-Elementen angelangt: zwei Industriespione, die eine Liebe-Hass-Beziehung (ersteres persönlich, letzteres beruflich) pflegen, beschließen, ihre Bosse um einige Millionen zu erleichtern. Aber können sie sich trauen? Und können sie mit dem Geld entkommen?

 

Die Kritiken tendieren zu einem leichten „ich hätte mehr erwartet“, aber zwei Stunden gepflegte Unterhaltung sind garantiert. „Mit viel doppelbödigem Charme und herausragendem Ensemble macht Tony Gilroy aus der Agentenromanze einen wunderbaren Film.“ (Thomas Klein, tip 10/2009)

Danach war wieder „Bourne“ angesagt.

 

Mit Julia Roberts, Clive Owen, Tom Wilkinson, Paul Giamatti, Ulrich Thomsen (als Big Swiss Suit; – was einiges über die Größe der Rolle aussagt)

 

Hinweise

 

Deutsche Homepage zum Film

 

Amerikanische Homepage zum Film

 

Film-Zeit über „Duplicity“

 

Rotten Tomatoes über “Duplicity”

 

Wikipedia über “Duplicity” (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Tony Gilroys „Das Bourne-Vermächtnis“ (The Bourne Legacy, USA 2012)

Tony Gilroy in der Kriminalakte