Neu im Kino/Filmkritik: „Jackie: Die First Lady“ und die Tage nach dem Tod ihres Mannes John F. Kennedy

Januar 30, 2017

Jacqueline ‚Jackie‘ Kennedy (Natalie Portman) lädt kurz nach dem Tod ihres Gemahls einen Journalisten (Billy Crudup) auf ihr Anwesen in Hyannisport, Massachusetts, ein. Die 34-jährige Witwe will ihm für eine Reportage ihre Sicht des Attentats auf John F. Kennedy am 22. November 1963 in Dallas, Texas, und der Ereignisse bis zu seiner Beerdigung erzählen. Sie sagt dem Journalisten auch, dass sie vor einer Veröffentlichung den Bericht durchlesen und entsprechend ihren Wünschen korrigieren will. Sie will also eine Hofberichterstattung. Aber weil wir im Kino die unzensierte Version sehen, kann aus der Ausgangslage ein ungeschönter Einblick in die chaotischen Tage nach dem Attentat werden, die sich vor allem hinter verschlossenen Türen abspielten.

In seinem vorherigen Film „Neruda“ (ab 23. Februar in unseren Kinos) benutze Pablo Larrain eine ähnlich Konstruktion, indem er seine Geschichte auf mehreren Ebenen und verschiedenen Perspektiven erzählt. Allerdings mit einem ungleich befriedigenderem Ergebnis als in seinem fragmentarischen, bewusst immer wieder Erzählerwartungen und -konventionen brechendem US-Debüt „Jackie: Die First Lady“.

Dabei hätte man aus der Prämisse viel machen können: die auf wenige Tage und ein Ereignis kondensierte Geschichte einer Frau, die mit dem Tod ihres Mannes zurecht kommen muss und die Geschichte einer Frau, die versucht, das Erbe ihres Mannes zu bewahren. Dafür muss sie zuerst erklären, was sein Vermächtnis sein wird. Natürlich gegen Widerstände. Je mehr, desto besser.

In „Jackie“ wird allerdings genau diese Geschichte nicht erzählt. Schon die Konstruktion mit ihrer Erzählung gegenüber dem Reporter, der einfach nur ihre Worte niederschreibt und der daneben nur als schulbubenhafter Stichwortgeber fungiert, muss Jackie Kennedy (später Onassis, aber das ist ein anderer Film) gegen keine Widerstände kämpfen.

Das gleiche gilt für ihre Erzählung der Tage nach dem Tod ihres Mannes. Alle sind furchtbar besorgt. Alle versuchen, ihr zu helfen. Einige Staatsgeschäfte gehen weiter, weil sie weitergehen müssen. Wie, kurz nach dem Attentat, im Präsidentenflugzeug, die Vereidigung von Lyndon B. Johnson (John Carroll Lynch) als Kennedys Nachfolger. Johnson zieht sich dann, mit zerknautschem Gesicht zurück, während Jackie die Trauerfeierlichkeiten ihres Mannes organisiert. Dabei wird sie von einer Entourage umlagert, die sie von der Öffentlichkeit abschirmt und ihr jeden Wunsch erfüllt. Ohne Widerworte. Sie sind letztendlich Dienstboten und Butler, die, wie in einem Nobelhotel, dem Gast jeden auch noch so absurden Wunsch erfüllen und sich auch durch Stimmungsschwankungen (und Jackie hat viele, sehr viele Stimmungsschwankungen) und Meinungsänderungen (dito) nicht irritieren lassen, sondern mit einem nonchalanten „Kein Problem, Madam.“ quittieren. Auch Johnson und Kennedys Familie lassen sie gewähren, wenn sie das Weiße Haus zum neuen Camelot verklärt.

Drama oder Interesse an den Zielen von Jackie Kennedy entsteht so nicht.

Und so erschöpft sich das Interesse an „Jackie“ schnell an einem Studium der Kleider (sie war für ihren Stil bekannt), der Innenausstattung und der bekannten Schauspieler. So ist der am 25. Januar 2017 verstorbene John Hurt als Priester und Vertrauter von Jackie Kennedy in einem seiner letzten Leinwandauftritte zu sehen.

Natalie Portman, die für ihre Interpretation von Jackie Kennedy viel Lob, Preise und Nominierungen (zuletzt für den Oscar) erhielt, überzeugt mich dagegen absolut nicht. Viel zu sprunghaft und erratisch ist ihr Verhalten zwischen verwöhnter Prinzessin auf der Erbse, von Trauer geschüttelter Witwe und eiskalter Nachlassverwalterin des Erbes ihres Mannes, wie sie es gerne hätte. Das scheint dann nicht eine, sondern drei vollkommen verschiedene Personen zu sein. Insofern ist Portmans Jackie Kennedy eine bewusst auf Distanz angelegte Interpretation der realen Person, die sich in den essayistisch-fragmentarischen Stil des Films einfügt.

Nach dem grandiosen „Neruda“ ist „Jackie“ eine ziemliche Enttäuschung.

jackie-plakat

Jackie: Die First Lady (Jackie, USA 2016)

Regie: Pablo Larrain

Drehbuch: Noah Oppenheim

mit Natalie Portman, Peter Sarsgaard, Greta Gerwig, Billy Crudup, John Hurt, John Carroll Lynch, Beth Grant, Richard E. Grant, Max Casaella, Caspar Phillipson

Länge: 100 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Jackie“

Metacritic über „Jackie“

Rotten Tomatoes über „Jackie“

Wikipedia über „Jackie“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Pablo Larrains „El Club“ (El Club, Chile 2015)


TV-Tipp für den 5. November: Tod im kalten Morgenlicht

November 4, 2016

ZDFneo, 20.15

Tod im kalten Morgenlicht (Niederlande/Großbritannien 1996, Regie: Rudolf van den Berg)

Drehbuch: Doug Magee

LV: Friedrich Dürrenmatt: Das Versprechen – Requiem auf den Kriminalroman, 1957

Irgendwo in England: Kommissar Marek sucht einen Kindermörder. Um ihn zu schnappen, benutzt er ein Kind und ihre Mutter als Lockvögel.

Fast unbekanntes Remake von “Es geschah am hellichten Tag” (mit Heinz Rühmann), das trotzdem einen Blick wert ist: „Der Stoff ist derart differenziert, psychologisch fundiert und dramatisch, dass man bei den Aktualisierungen kaum etwas falsch machen kann. In Rudolf van den Bergs Variation geht es noch düsterer und bedrohlicher zu. (…) All diese Unterschiede betonen den naturalistischen Kern der eigenständigen Adaption, die dank der hervorragenden Kameraarbeit von Igor Luther, der mit kaltem Licht für Grauen sorgt, und der guten Besetzung so wirkungsvoll ist wie die anderen Versionen.“ (Fischer Film Almanach 1998)

mit Richard E. Grant, Lynsey Baxter, Simon Cadell, Perdita Weeks

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Tod im kalten Morgenlicht“

Wikipedia über „Tod im kalten Morgenlicht“

Meine Besprechung von Friedrich Dürrenmatts “Die Kriminalromane” (Sammelband)


TV-Tipp für den 3. Januar: Bram Stoker’s Dracula

Januar 3, 2016

https://www.youtube.com/watch?v=a_Y1-XEc59Y

RTL II, 22.30
Bram Stoker’s Dracula (USA 1992, Regie: Francis Ford Coppola)
Drehbuch: James V. Hart
LV: Bram Stoker: Dracula, 1897 (Dracula)
Francis Ford Coppolas Interpretation der bekannten Geschichte von Graf Dracula. Nicht schlecht und allein schon wegen der Besetzung einen Blick wert.
mit Gary Oldman, Winona Ryder, Anthony Hopkins, Keanu Reeves, Richard E. Grant, Cary Elwes, Bill Campbell, Sadie Frost, Tom Waits, Monica Bellucci
Hinweise
Rotten Tomatos über „Bram Stoker’s Dracula“
Wikipedia über „Bram Stoker’s Dracula“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas “Apocalypse Now” (Apocalypse Now, USA 1979 – die “Full Disclosure”-Blu-ray)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas „Twixt – Virginias Geheimnis“ (Twixt, USA 2011)

Francis Ford Coppola in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „Dom Hemingway“, Safeknacker, Angeber, Arschloch und Choleriker – und das sind seine guten Seiten

April 17, 2014

Zu Dom Hemingway hält man am besten einen ordentlichen Sicherheitsabstand. Denn er ist ein wandelndes Katastrophengebiet und etwas aus der Zeit gefallen. Immerhin sitzt er, als wir ihn das erste Mal sehen, seit zwölf Jahren im Gefängnis.
Diese erste Begegnung mit ihm setzt dann auch den Ton für den restlichen Film: Jude Law, der Dom Hemingway ist, steht mit nackten Oberkörper da, blickt starr in die Kamera und hält einen mehrminütigen, ungeschnittenen Monolog an sein bestes Teil, während dieses, wie wir später sehen, gerade von einem Mithäftling liebkost wird.
Danach wird Dom Hemingway entlassen. Als erstes verprügelt er in aller Öffentlichkeit den letzten Freund seiner verstorbenen Frau, versucht in einer Nacht den gesamten Drogen- und Sexkonsum der vergangenen zwölf Jahre nachzuholen und begibt sich mit seinem schweigsamen Freund Dickie (Richard E. Grant) nach Frankreich zu Mr. Fontaine (Demian Bichir). Er will seinen Anteil aus dem Bruch, für den der Safeknacker verurteilt wurde. Plus Zuschlag für sein Schweigen.
Mit „Dom Hemingway“ inszenierte Richard Shepard, von dem auch die durchgeknallte Killer-Komödie „Mord und Margaritas“ und der unterschätzten Polit-Thriller „Hunting Party“ sind, eine schwarzhumorige Gaunerkomödie voller Geschmacklosigkeiten. Denn Dom Hemingway mit seine abrupten Stimmungswechseln ist vollkommen unfähig für ein normales Leben. Das ist anfangs in seiner Kompromisslosigkeit grandios. Aber Shepard lässt seine Charakterstudie mit zunehmender Laufzeit immer stärker in eine beliebige Abfolge von Episoden aus dem Leben von Dom Hemingway münden. Denn Dom lebt nur für den Augenblick. Er zieht keine Konsequenzen aus seinen Taten. Da helfen auch nicht die gelegentlichen Anfällen von überbordendem Selbstmitleid. Das wird besonders deutlich nach der Frankreich-Episode.
Dom will sein Geld haben, aber ob der aalglatte und gefährlich höfliche Mr. Fontaine es ihm wirklich geben wird, ist unklar. Der Konflikt darüber, auch weil Dom natürlich sofort mit Fontaines gut aussehender Freundin Sex haben will, würde bei anderen Regisseuren für einen abendfüllenden Film ausreichen. Bei Shepard ist es nur eine Episode und nachdem Fontaines Freundin mit dem gesamten Geld verschwindet, verbucht Dom den Verlust achselzuckend als Pech und kehrt mittellos nach London zurück, wo er sich wieder als Safeknacker versucht. Dabei kann er überhaupt nicht verstehen, dass andere Menschen ihm sein asoziales Verhalten vorhalten und seine Tochter keinen Kontakt zu ihm haben möchte.
Aber spätestens nach dem Frankreich-Ausflug erfahren wir nichts wesentlich Neues mehr über Dom Hemingway. Eigentlich hat schon der Eröffnungsmonolog, der mich wirklich neugierig auf den Charakter und seine Erlebnisse außerhalb der Gefängnismauern machte, alles wichtige über ihn verraten.
So ist „Dom Hemingway“ nach einer grandiosen Eröffnung nur eine zunehmend langweilige Nummernrevue und eine Jude-Law-Soloshow. Denn der großmäulige, egozentrische Hohlkopf Dom Hemingway degradiert alle zu Stichwortgebern in seiner Welt.

Dom Hemingway - Plakat

Dom Hemingway (Dom Hemingway, Großbritannien 2013)
Regie: Richard Shepard
Drehbuch: Richard Shepard
mit Jude Law, Richard E. Grant, Demian Bichir, Emilia Clarke, Kerry Condon, Jumayn Hunter, Madalina Ghenea, Nathan Stewart-Jarrett
Länge: 94 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Dom Hemingway“
Moviepilot über „Dom Hemingway“
Metacritic über „Dom Hemingway“
Rotten Tomatoes über „Dom Hemingway“
Wikipedia über „Dom Hemingway“ 

Die TIFF-Pressekonferenz 2013

DP/30 unterhält sich mit Filmemacher Richard Shepard

 

 


TV-Tipp für den 31. März: Bram Stoker’s Dracula

März 31, 2014

Arte, 21.00
Bram Stoker’s Dracula (USA 1992, Regie: Francis Ford Coppola)
Drehbuch: James V. Hart
LV: Bram Stoker: Dracula, 1897 (Dracula)
Francis Ford Coppolas Interpretation der bekannten Geschichte von Graf Dracula. Nicht schlecht und allein schon wegen der Besetzung einen Blick wert.
mit Gary Oldman, Winona Ryder, Anthony Hopkins, Keanu Reeves, Richard E. Grant, Cary Elwes, Bill Campbell, Sadie Frost, Tom Waits, Monica Bellucci
Wiederholung: Donnerstag, 3. April, 23.10 Uhr
Hinweise
Rotten Tomatos über „Bram Stoker’s Dracula“
Wikipedia über „Bram Stoker’s Dracula“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas “Apocalypse Now” (Apocalypse Now, USA 1979 – die “Full Disclosure”-Blu-ray)

Meine Besprechung von Francis Ford Coppolas „Twixt – Virginias Geheimnis“ (Twixt, USA 2011)

Francis Ford Coppola in der Kriminalakte