The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben (The Imitation Game, USA/Großbritannien 2014)
Regie: Morten Tyldum
Drehbuch: Graham Moore
LV: Andrew Hodges: Alan Turing: The Enigma, 1983 (Alan Turing – Enigma)
Hübsch verschachteltes Biopic, getarnt als gediegenes Thrillerdrama, über den genialen Mathematiker Alan Turing, der den Enigma-Code der Nazis entschlüsselte,
Der neue James-Bond-Film „Spectre“ ist der halbherzige Versuch, einen klassischen James-Bond-Film zu inszenieren.
Das klingt jetzt vielleicht etwas negativ und natürlich ist die Zeit des Kalten-Kriegs-James-Bonds schon lange vorbei und die Serie muss sich, wie die Geheimdienste neuen technischen Entwicklungen (wozu vor allem die ständige Überwachung gehört) und geopolitischen Herausforderungen, anpassen. Wobei James Bond bei den geopolitischen Herausforderungen immer angenehm abgehoben war. Gut, früher gab es den russischen Geheimdienst SMERSCH und natürlich SPECTRE, eine Zusammenballung von bösen Terroristen, deren Agenda „Weltherrschaft“ war. Da waren dann der Nordirlandkonflikt, der Linksterrorismus der siebziger Jahre, die Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt (vulgo „den Kolonien“) und, seit den Achtzigern, der religiöse Terrorismus und die immer größere Rolle Chinas in der Weltpolitik vernachlässigbares Störfeuer. Immer waren die James-Bond-Filme in erster Linie Eskapismus und Kleine-Jungs-Fantasien. Ich meine, welcher Zwölfjährige will nicht gerne Frauen im Dutzend verführen, mit einem unbegrenzten Spesenkonto um die Welt jetten, Alkohol ohne Kopfschmerzen trinken (andere Drogen spielen im Bond-Universum keine Rolle), die neuesten Spielzeuge ausprobieren und, ohne dass die Eltern (vulgo M) meckern, zerdeppern. Zum Finale jedes ordentlichen Bond-Films gehört natürlich, dass die pompöse Zentrale des Bösewichts lustvoll zerstört wird.
Und dann kam Daniel Craig als James Bond. In seinem ersten Einsatz „Casino Royale (2006) wurden vieler dieser Bondismen über Bord geworfen. Kritik und Publikum waren begeistert. In „Skyfall“ (2012) erfuhren wir dann alles, was wir niemals über Bonds Herkunft wissen wollten. Der Film war an der Kinokasse wahnsinnig erfolgreich und „Spectre“ schließt an die vorherigen Craig-Bonds an, weshalb er jetzt anderen Ballast mit sich herumschleppt. Die vorherigen Filme sollen als Ouvertüre für „Spectre“ angesehen werden.
Es ist daher auch wieder ein persönlicher Fall. Denn Bond kennt Franz Oberhauser (Christoph Waltz), den Bösewicht des Films, aus Kindertagen. Er war für zwei Jahre in den Alpen sein Freund, während Franz‘ Vater den beiden Jungs all die Dinge beibrachte, die man in den Alpen zwischen Bergsteigen und Skifahren zum Überleben braucht. Das hat auf der einen Seite gerade anekdotischen Wert, weil es für die Handlung, abgesehen von einigen spitzen Bemerkungen Oberhausers unerheblich ist. Andererseits sollen wir glauben, dass Oberhauser das alles – die Anschläge, Spectre und den ganzen Rest – nur macht, um sich an James Bond zu rächen, weil dieser ihm irgendwie, vor allem gefühlt, seinen Vater nahm. Das ist, auch wenn diese Konstruktion in anderen Geschichten (wie den Blomkvist/Salander-Romanen oder etlichen Superheldencomics) benutzt wird, mal wieder, arg bescheuert.
Da waren die alten Bond-Gegner, wie Ernst Stavro Blofeld, der legendäre Kopf von Spectre, gegen dessen Gehilfen James Bond (damals gespielt von Sean Connery) in den ersten Bond-Filmen kämpfte, von einem ganz anderen Kaliber. Seinen ersten richtigen Auftritt hatte Blofeld in „Feuerball“, wo er seine weiße Katze streichelte und hochrangige Spectre-Mitglieder, die bei ihrer Arbeit versagten, töten ließ. In „Man lebt nur zweimal“, „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ und „Diamantenfieber“ kämpfte Bond dann dreimal direkt gegen ihn und seine Schergen. Blofeld war, wie die anderen legendären Bond-Bösewichter, einfach nur Böse. Auf psychologische Feinheiten und seit Kindertagen gepflegte Konflikte mit dem Helden wurde verzichtet.
Damals arbeitete James Bond auch, abgesehen von „Lizenz zum Töten“, immer im Auftrag ihrer Majestät. In „Spectre“ zieht Bond wieder einmal auf eigene Faust los. Immerhin wird er von seinem Vorgesetzten M (Ralph Fiennes), dessen Sekretärin Miss Moneypenny (Naomie Harris) und dem Tüftler Q (Ben Whishaw) unterstützt, die ihm gegen Max Denbigh, genannt C und der neue Chef von MI5 (Andrew Scott, bekannt als Moriarty aus „Sherlock“), helfen. Denbigh will nämlich die 00-Abteilung schließen, weil sie anachronistisch ist und deren Einsätze zu hohe Kolleteralschäden haben; was Bond natürlich nicht daran hindert, nach der Aktion in Mexico City, verstreut über den halben Globus weitere Gebäude zu zerstören. Denbigh will ein riesiges Überwachungssystem installieren und Terroristen mit Drohnen bekämpfen. Die Zustimmung der meisten Regierungen dafür hat er schon.
Diese Prämisse erinnert natürlich an den letzten, äußerst kurzweiligen „Mission: Impossible“-Film „Rogue Nation“. Nicht nur von der Story, sondern auch von den Handlungsorten. Und beide Male ist der Höhepunkt des Thrillers in London.
Die Story von „Spectre“ ist letztendlich eine ausgedehnte Schnitzeljagd, garniert mit grandiosen Actionszenen. Wobei die Pre-Titel-Sequenz, die in Mexico City während des Tages der Toten spielt, ein feines Kabinettstück ist, das mit einer langen Plansequenz beginnt und auch danach extrem selten geschnitten wird.
Die weiteren ausgedehnten Actionszenen können dieses Niveau nicht mehr halten. Das gilt für die Autoverfolgungsjagd durch Rom, einer Auto-Flugzeug-Verfolgungsjagd in den Alpen, den Besuch in Oberhausers Zentrale in der marokkanischen Wüste (die etwas an Blofelds Zentrale in einem Vulkankrater in „Man lebt nur zweimal“ erinnert), die erschreckend schnell zerstört wird, und dem Höhepunkt in London, bei dem dann zu Land, zu Wasser und in der Luft gekämpft wird, bis die Innenstadt von London umfassend renoviert werden muss. Sie sind gut, aber nicht so gut wie der schwer zu überbietende Auftakt.
Bis dahin haben gestandene Bond-Fans viele Anspielungen auf ältere Bond-Filme entdeckt.
Allerdings sind die Bondinen durchweg enttäuschend. Stephanie Sigman wird in Mexiko City in einem Hotelzimmer zurückgelassen. Monica Bellucci hat letztendlich einen Auftritt und Léa Seydoux ist – vor allem wenn man an „Blau ist eine warme Farbe“ denkt – die wohl unerotischste Bondine, die es jemals gab. Sie begleitet den suspendierten Geheimagenten um die halbe Welt ohne einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Natürlich hat „Spectre“ beträchtliche Schauwerte, die, wie immer bei Bond, auf der großen Leinwand ihren wahren Reiz entfalten, und die ausgedehnten, vor Ort inszenierten Actionszenen sind gewohnt gut. Hier sieht man, wofür die Macher das Geld ausgaben. Aber „Spectre“ leidet an seinem episodischen Drehbuch (weshalb man auch ohne Probleme eine halbe Stunde herausschneiden könnte; man müsste nur ein, zwei Sätze ändern), einem schwachen Bösewicht (Oberhauser hat zu wenige Szenen und Max Denbigh wurde leider nicht als der große Bösewicht des Films eingeführt) und einer blassen Bondine.
Ist „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ wirklich so gut? Das Biopic wurde für acht Oscars, unter anderem in den Kategorien bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch, bester Hauptdarsteller und beste Nebendarstellerin (wobei Keira Knightley in dem Film die einzige nennenswerte Frauenrolle hat und eigentlich die Hauptdarstellerin ist) nominiert. Insgesamt wurde, laut IMDB, der Film bis jetzt für über einhundert Preise nominiert und er erhielt schon 39 Preise. Diese immense Menge an Preisen und Nominierungen sagt inzwischen eigentlich mehr über die Inflation von Filmpreisen als über die Qualität des Films aus.
Dabei ist „The Imitation Game“ natürlich kein schlechter Film, sondern gutes, altmodisches Erzählkino, das zuerst mit seiner komplizierten, aber letztendlich sehr schlüssigen und sehr gelungenen Rückblendenstruktur irritiert.
1951 trifft ein Polizist, nachdem ein Einbruch gemeldet wurde, auf einen sehr seltsamen Mann in einer zugemüllten Wohnung. Der Polizist fragt sich, wer dieser Alan Turing (Benedict Cumberbatch) ist und was er ihm verschweigt. Dabei erfährt er schnell, dass Turings Arbeit während des Zweiten Weltkriegs streng geheim ist (was sie bis in die siebziger Jahre blieb) und höhere Stellen keine genaue Untersuchung des Einbruchs wünschen.
Turing (23. Juni 1912 – 7. Juni 1954) war ein herausragender Mathematiker, der heute als einer der einflussreichsten Theoretiker der frühen Computerentwicklung und Informatik gilt. Der unter Informatikern prestigeträchtige Turing Award trägt seinen Namen.
Dieses mathematische Talent, vulgo das abstrakte logische Denken, führte dazu, dass er, nachdem er behauptet, die unknackbare deutsche Codemaschine Enigma knacken zu können, vom britischen Geheimdienst eingestellt wird und in Bletchley Park mit anderen Männern Enigma knacken soll. Turing, ein teamunfähiger, von sich überzeugter Eigenbrötler, nähert sich dem Problem streng logisch und, wie inzwischen allgemein bekannt ist, kann er den Code knacken. Eine große Hilfe war ihm dabei die ebenfalls mathematisch extrem begabte Joan Clarke (Keira Knightley), der er auch einen Heiratsantrag machte.
Eigentlich stand ihm nach dem Krieg eine große wissenschaftliche Karriere offen. 1948 trat er eine Stelle an der Universität von Manchester an. Er entwickelte den Turing Test, der die Grundlage für die Definition von künstlicher Intelligenz wurde.
Aber dann wurde er 1952 wegen Homosexualität, was damals eine Straftat war, angeklagt. Um eine Haftstrafe zu vermeiden, unterzog er sich einer Hormontherapie, die auch sein seelisches Befinden störte und 1954 zu seinem Suizid durch Cyanid führte.
Erst am 10. September 2009 entschuldigte sich der britische Premierminister Gordon Brown im Namen der Regierung für die Verfolgung Turings aufgrund seiner Homosexualität. Am 24. Dezember 2013 sprach Königin Elisabeth II. ein „Royal Pardon“ (Königliche Begnadigung) aus.
Diese Daten sind das Grundgerüst für „The Imitation Game“, der vor allem die Entschlüsselung von Enigma und der Stimmung in Bletchley Park erzählt. Es ist eine Gruppe intelligenter Männer, die in der Heimat auf einem noblen Anwesen ihren Teil zum Sieg beitragen wollen, die nicht über ihre Arbeit reden dürfen und die einen Spion in den eigenen Reihen haben.
Morten Tyldum („Headhunters“) inszenierte diese Geschichte als traditionelles Schauspielerkino, bei dem die Story im Mittelpunkt steht und das Drehbuch ein schier endloses Spiegelkabinett zwischen Schein und Sein, Lüge und Wahrheit, entwirft: die genialen Wissenschaftler, die nicht über ihre Arbeit reden dürfen. Nicht während und auch nicht viele Jahre nach dem Krieg. Inzwischen sagen Historiker, dass die Entschlüsselung des Enigma-Codes den Krieg um zwei bis vier Jahre vekürzte. Alan Turing, der seine Beziehung zu Joan Clarke gegenüber seinen Kollegen und Vorgesetzten verschweigt. Joan Clarke, die als Sekretärin in Bletchley Park arbeitet (was historisch nicht ganz korrekt ist) und in ihrer Freizeit mit Turing versucht, den Code zu knacken, was ein Bruch der Geheimvereinbarungen ist. Ihre Scheinbeziehung, die eine Scheinehe hätte werden sollen. Ihre Lügen gegenüber Joan Clarkes den Konventionen verhafteten Eltern. Der Spion in Bletchley Park, der schon lange enttarnt ist. Und natürlich der Enigma-Code, der entschlüsselt ist, aber vom britischen Militär zunächst nicht benutzt wird.
Dabei sind viele dieser Geheimnisse überhaupt keine Geheimnisse, aber das Wissen wird strategisch eingesetzt.
So erscheint „The Imitation Game“, der über weite Strecken ein Spionagethriller ist, in jeder Szene wie ein Turing Test, bei dem die Charaktere versuchen herauszufinden, wer ihr Gegenüber ist – und natürlich Gefühle, also die Dinge, die Menschen von Computern unterscheidet, immer wieder das strikte logische Denken stören.
Inzwischen ist „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ vielleicht etwas überbewertet, aber in jedem Fall ist das Biopic ein guter und ein sehenswerter Film mit klugen Dialogen und grandiosen Schauspielern.
ZDF, 20.15/23.40 James Bond 007 – Skyfall(Skyfall, GB/USA 2012)
Regie: Sam Mendes
Drehbuch: Neal Purvis, Robert Wade, John Logan
LV: Charakter von Ian Fleming
James Bond jagt Raoul Silva, der zuerst die Datei mit den Identitäten von allen Geheimagenten, die undercover in Terroristennetzwerken arbeiten, entwendet und dann den gesamten britischen Geheimdienst ins Nirvana schicken will, weil M(ama) nicht nett zu ihm war.
Insgesamt ein sehr erfreulicher James-Bond-Film, in dem wir letztendlich mehr über Bond erfahren, als wir jemals wissen wollten – und den ich zum Kinostart ausführlich besprochen habe.
Mal sehen, was der nächste Bond-Film „Spectre“, der gerade gedreht wird, bringt. Die Besetzung überzeugt und Spectre steht eigentlich für schön altmodische Welteroberungspläne.
mit Daniel Craig, Judi Dench, Javier Bardem, Ralph Fiennes, Naomie Harris, Bérénce Marlohe, Ben Whishaw, Albert Finney, Rory Kinnear, Ola Rapace