Neu im Kino/Filmkritik: Paradies gesucht, „Eden“ gefunden

April 3, 2025

1932 machen sich der 42-jährige Weltkriegsveteran und Staatsangestellte Heinz Wittmer (Daniel Brühl) mit seiner schwangeren jüngeren Ehefrau Margret (Sydney Sweeney) und seinem Sohn Harry auf den Weg zur im Galápaos-Archipel liegenden Insel Floreana.

Dort leben seit 1929 als erste Bewohne der Insel der Berliner Arzt und Schmalspurphilosoph Dr. Friedrich Ritter (Jude Law) und seine an Multiple Sklerose erkrankte Lebensgefährtin Dore Strauch (Vanessa Kirby). Sie sind Aussteiger, die mit der Welt nichts zu tun haben wollen. Er schreibt auch an einem philosophischen Manifest. In Deutschland wurde Ritter durch seine Briefe als Aussteiger bekannt. Sein Leben abseits der Zivilisation auf einer Südseeinsel wurde zeittypisch verklärt.

Ritter und Strauch lehnen die ihre Idylle störenden Neuankömmlinge schon vor der ersten Begegnung ab. Sie weisen ihnen ein unfruchtbares Stück Land an einer Höhle zu und hoffen, dass die naiven Städter schnell aufgeben und in einigen Wochen das nächste oder übernächste regelmäßig vorbeifahrende Schiff besteigen werden. Aber die Wittmers meistern die Herausforderungen.

Als wenige Monate später die Baronin Eloise Wehrborn de Wagner-Bosquet (Ana de Armas) mit ihrer Entourage auftaucht, verbünden sie sich – mehr oder weniger – gegen die Neuankömmlinge. Der Plan der Baronin, auf der Insel ein Luxushotel zu errichten, ist dann der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Zwischen März und November 1934 führen die Intrigen und Feindschaften zwischen ihnen zu einer Kette niemals vollständig geklärter Ereignisse, die mit dem Tod von drei Menschen und dem spurlosen Verschwinden von drei weiteren Menschen enden.

In seinem neuen Film „Eden“ erzählt Ron Howard diese wahre Geschichte, die in den frühen dreißiger Jahren für Schlagzeilen sorgte und seitdem mehrmals in Büchern und Filmen behandelt wurde. Es ist eine faszinierende Geschichte von Aussteigertum, Idealismus und wie deren Träume an der schnöden Realität, Dummheit und Egoismus scheitern. Ritters Utopie endet mit drei Toten und drei spurlos Verschwundenen. Die Überlebenden, die teils auf der Insel blieben, erzählten anschließend verschiedene Versionen der damaligen Ereignisse.

Ron Howard, der anfangs den Eindruck erweckt, eine möglichst nah an den historischen Fakten entlang erzählte Geschichte zu erzählen, erzählt letztendlich die damaligen Ereignisse aus der Sicht von Margret Wittmer. Sie überlebte die anderen Floreana-Aussteiger um mehrere Jahrzehnte und starb mit 95 Jahren am 21. März 2000.

Das ist jetzt nicht wirklich ein Problem des Dramas. Eher schon, dass es sich bis zum Ende nicht auf eine Erzählperspektive und Erzählhaltung festlegen will. So mäandert der Film zwischen Genres und Stilen, immer wieder mit den Frauen als treibende Kräfte, zu seinem mörderischen Ende.

Eden (Eden, USA 2025)

Regie: Ron Howard

Drehbuch: Noah Pink, Ron Howard

mit Jude Law, Daniel Brühl, Ana de Armas, Sydney Sweeney, Vanessa Kirby, Felix Kammerer, Jonathan Tittel, Toby Wallace, Paul Gleeson

Länge: 129 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Eden“

Metacritic über „Eden“

Rotten Tomatoes über „Eden“

Wikipedia über „Eden“ (deutsch, englisch) und die wahre Geschichte (jaja, Spoiler)

Meine Besprechung von Ron Howards „Rush – Alles für den Sieg“ (Rush, USA/Großbritannien/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Ron Howards „Im Herzen der See“ (In the Heart of the Sea, USA 2015)

Meine Besprechung von Ron Howards „Inferno“ (Inferno, USA 2016)

Meine Besprechung von Ron Howards „Solo: A Star Wars Story“ (Solo: A Star Wars Story, USA 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: Angst und Schrecken und eine Schwangerschaft im Nonnenkloster: „Immaculate“

April 4, 2024

Sydney Sweeney probiert sich weiter in verschiedenen Rollen aus. Kommerziell erfolgreich in der RomCom „Wo die Lüge hinfällt“. Künstlerisch erfolgreich in dem auf einem Verhörprotokoll basierendem Quasi-Theaterstück „Reality“. Vermurkst, aber in einer Schuluniform und mit Brille so unauffällig, dass es vielleicht niemand mitbekommen hat, in dem Superheldinnenfilm „Madame Web“ Und jetzt knietief als schwangere Nonne in einem Horrorfilm, der für Genrefans erfreulich solide und anspielungsreiche Genrekost mit einigen klugen Entscheidungen ist.

Sweeney war auch die treibende Kraft hinter dem Projekt. Sie kaufte das Drehbuch, sprach den Regisseur, mit dem sie bereits zusammengearbeitet hat, an und sie gehört zu den Produzenten. Sie spielt Schwester Cecilia. Die US-Amerikanerin ist die neue Nonne in einem einsam in der italienischen Provinz gelegenem Nonnenkloster, in dem anscheinend seit dem Mittelalter wenig verändert wurde. Auch die vereinzelt vorhandenen Smartphones verliehen der Geschichte keinen wesentlich moderneren Anstrich. In der ersten Hälfte kreiert Regisseur Michael Mohan eine nett unheimliche Atmosphäre mit Vorahnungen, Blicken und fensterstürzenden Nonnen.

Als Schwester Cecilia erfährt, dass sie schwanger ist, ist sie erstaunt. Die anderen sind erfreut über die unbefleckte Empfängnis. Denn Schwester Cecilia ist noch Jungfrau. Weil auch Jesus Christus von einer Jungfrau geboren wurde, wissen die Oberen des Klosters, dass sie sich demnächst über die Geburt des neuen Heilands freuen dürfen.

Horrorfilmfans, die nach einem halben Dutzend Horrorfilme auch eine gestandene katholische Bildung haben, dürften in dem Moment ahnen, dass es mit Schwester Cecilias Schwangerschaft noch wahrhaft teuflische Probleme gegen wird. Und so ist.

Immaculate“ hat bei weitem nicht die Qualität jüngerer, breit abgefeierter Arthaus-Horrorfilme. Aber er ist viel besser als fast alles, was von Blumhouse und ähnlichen Firmen in die Kinos kommt und bei dem sich die Macher gerade genug angestrengen, um das Mini-Budget wieder einzuspielen und gleich eine Fortsetzung in Auftrag geben zu können. „Immaculate“ ist ein Einzelfilm und einer dieser Brot-und-Butter-Filme, die bei denen die Macher unprätentiös gute Arbeit abliefern wollen und die in jeder Beziehung besser als erwartet sind.

Kenner des Genres dürfen sich über klug gewählte Zitate und inszenatorische Entscheidungen freuen. Das gilt vor allem für die letzten Minuten des Films, die nichts für schwache Nerven sind. Gerade weil die entscheidenden Dinge nicht zu sehen sind. Bis dahin gibt es, klug in die Geschichte eingeflochtene Anspielungen auf die Geschichte des Genres. Wer denkt bei einem einsam gelegenem Kloster nicht sofort an einige Dinge? Wer denkt bei einer Jungfrauengeburt, bei der das Kind der Auserwählte sein soll, nicht sofort an „Rosemaries Baby“? Wer freut sich nicht, immerhin spielt die Geschichte in Italien, über die blutroten Anspielungen an den Giallo? Wer will nicht herausfinden, welche Schrecknisse in den unterirdischen Gängen des Klosters verborgen sind?

Damit kämen wir zu den Problemen des Horrorfilms. Die prächtigen Räume in dem Kloster sind kaum erkennbar. Wie in vielen neuen Filmen versumpfen die Bilder zu einem diffus-dunklen Brei, der wenig bis nichts mit der Farbenpracht klassischer Horrorfilme zu tun hat. So sind die Farben, vor allem wenn es blutig wird, viel zu blass. Und, obwohl „Immaculate“ ein Slow-Burn-Horrorfilm ist, dessen Schrecken sich aus der Geschichte und der Atmosphäre des einsam gelegenen Klosters und der Quasi-Gefangenschaft Cecilias in der Gemeinschaft der Nonnen ergeben, verlässt Mohan sich viel zu oft auf vollkommen unnötige Jumpscares.

Natürlich ist „Immaculate“ kein künftiger Klassiker. Aber es ist ein gut gemachtes, im Detail immer wieder überraschendes Genrewerk, das genau im richtigen Moment aufhört. Und es ist ein weiterer Film, der Sweeneys Vielseitigkeit zeigt.

Immaculate (Immaculate, USA/Italien 2024)

Regie: Michael Mohan

Drehbuch: Andrew Lobel

mit Sydney Sweeney, Simona Tabasco, Álvaro Morte, Benedetta Porcaroli, Giampero Hudica, Giorgio Colangeli, Dora Romano

Länge: 89 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Immaculate“

Metacritic über „Immaculate“

Rotten Tomatoes über „Immaculate“

Wikipedia über „Immaculate“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Superheldin „Madame Web“ hat jetzt ihren Girl-Power-Film

Februar 14, 2024

Heute endet der kleine Lauf von neuen Filmen mit Sydney Sweeney. Nach der launigen RomCom „Wo die Lüge hinfällt“ und dem auf Fakten basierendem Drama „Reality“ spielt sie jetzt in einem Superheldenfilm mit. „Madame Web“ heißt das Werk. Es ist der neueste Film im Sony’s Spider-Man Universe und sie spielt Julia Cornwall. Eine Schülerin irgendwo im Teenageralter. Nach den beiden eben erwähnten Filmen, in denen sie, ihrem Alter entsprechend, Mitt-/Endzwanziger spielte, wird hier vom Zuschauer schon eine ordentliche Portion suspension of disbelief verlangt. Da helfen auch die betont unattraktive Schuluniform und die riesige Bücherwurm-Brille nur bedingt. Aber sie hat nur eine Nebenrolle.

Im Zentrum steht Cassandra ‚Cassie‘ Webb (Dakota Johnson), die titelgebende Madame Web. Am Filmanfang ist sie eine dreißigjährige Rettungssanitäterin, die 2003 mit Blaulicht durch Manhattan rast und Menschen rettet. Bei einem Einsatz stürzt sie in einem verunglückten Wagen in den Fluss und kann erst nach drei Minuten aus dem Wasser gerettet werden. Entgegen jeder Wahrscheinlichkeit überlebt sie, ist kurz darauf wieder mopsfidel und kann in die Zukunft sehen.

Der Bösewicht Ezekiel Sims (Tahar Rahim) kann ebenfalls in die Zukunft sehen. Er ermordete, weil er an eine seltene Spinnenart gelangen wollte, 1973 in Peru im Amazonas Cassies hochschwangere Mutter. Die eingeborenen, plötzlich aus den Bäumen kommenden Spinnenmenschen versuchen die Mutter und ihr noch ungeborenes Kind zu retten. Sie können allerdings nur Cassie retten.

Heute, also 2003, hat der in New York lebende Ezekiel einen wiederkehrenden Alptraum. Er sieht, wie er irgendwann in der Zukunft von drei maskierten Frauen getötet wird. Er will sie töten, bevor sie ihn töten. Dafür muss er sie zuerst finden. Benutzen tut er die damals moderne Überwachungstechnik, auf die er mit gestohlener NSA-Software zugreifen kann.

Als Cassie in einer ihrer Visionen sieht, wie Spinnenmann Ezekiel in einer U-Bahn die Teenager Julia Cornwall (Sydney Sweeney), Mattie Franklin (Celeste O’Connor) und Anya Corazon (Isabela Merced), umbringt, will sie sie retten. Erschwert wird ihre Mission dadurch, dass Ezekiel über Spinnen-Superkräfte verfügt, Julia, Mattie und Anya sind in dem Moment (und während des gesamten Films) nur normale Teenager ohne irgendwelche Superkräfte. Sie verfügen noch nicht einmal über die Teenager-Superkraft, alle Erwachsenen unglaublich zu nerven. Sie sind sehr ruhig, folgsam, einsichtig und halten sich fast immer an Cassies Anweisungen. Und Cassie verfügt nur über die manchmal vorhandene Gabe, in die Zukunft sehen zu können. Das erlaubt der erfahrenen TV-Regisseurin SJ Clarkson in ihrem Spielfilmdebüt, eine Szene mehrmals mit kleinen Variationen zu zeigen.

Diese weitgehende Abwesenheit von irgendwelchen Superkräften erspart uns langwierige Trainings-Montagen, in denen der Superheld seine Kräfte kennen lernt, und macht aus dem angekündigten Superheldenfilm einen eher gewöhnlichen Thriller, in dem der Bösewicht einige Menschen umbringen will und die Heldin das verhindern will.

Für eine Superhelden-Origin-Story ist das schon ein ungewöhnlicher Ansatz. Am Endergebnis ändert das nichts: „Madame Web“ ist ein erstaunlich anspruchsloser Film, der eher an einen TV-Film, bei dem alle nur wegen des Geldes dabei waren, erinnert. Die Schauspieler sind zwar anwesend, aber niemand hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Die Dialoge sind zweckdienliche Erklärdialoge, die dann für die Story unwichtig sind. Und die Filmstory wirkt immer so, als habe man nur Teile des Drehbuchs verfilmt. Da fehlen immer wieder Szenen, die die gezeigten Szenen wirkungsvoller machen würden. So sehen wir, zum Beispiel, nicht, wie Cassies Kollegen versuchen, sie aus dem Wasser zu retten. In dem einen Moment ist sie in dem in das Wasser fallendem Auto. Dann ist sie unter Wasser in einer Quasi-Traumsequenz und danach ist sie gerettet und reanimiert. In einer anderen Szene, ebenfalls vom Filmanfang, rast Cassie mit Blaulicht durch die Stadt. Aber warum sie sich so beeilt, wissen wir nicht. Denn wir wissen nichts über den Patienten, den sie befördert. Und ihr Kollege/Freund Ben Parker (Adam Scott; ja, wir können hier eine kleine Verbindung zu Spider-Man erahnen) agiert betont entspannt im hinteren Teil des Rettungswagen. Andere Szenen werden später nicht fortgeführt. Sie bleiben in der Luft hängen. Dafür benutzt Cassie, entgegen jeder Vernunft, während des gesamten Films ein von ihr geklautes und ramponiertes Taxi. Denn zu dem Zeitpunkt wird bereits nach ihr gefahndet und auch nach dem Taxi sollte gesucht werden. Die wenigen Actionszenen versumpfen im erwartbaren CGI-Overkill.

Und obwohl „Madame Web“ zum Sony’s Spider-Man Universe gehört, ist „Madame Web“ ein Einzelfilm ohne irgendwelche offensichtlichen Anspielungen oder Verbindungen zu den „Spider-Man“-Filmen. Diese waren wohl während der Produktion geplant, wurden aber vor dem Kinostart aus dem Film entfernt. Die wenigen jetzt noch vorhandenen Anspielungen auf Spider-Man, nämlich dass Ben Parker und die im Film hochschwangere Mary Parker (so heißt die Mutter von ‚Spider-Man‘ Peter Parker) mitspielen, sind dann so versteckt, dass unklar ist, ob es sich wirklich um eine Verbindung zum Spider-Man Universe oder nur um einen blöden Zufall handelt.

Madame Web“ ist in seiner allumfassenden Anspruchslosigkeit, wenn man dies akzeptiert, ein durchaus sympathisch-harmloser, sich nicht weiter um Logik und Wahrscheinlichkeit kümmernder Film mit einer angenehm kurzen Laufzeit, der mehr Fernsehen als Kino ist. Als möglicher Start eines Franchises – wobei ich jetzt nicht sagen kann, welches Franchise mit welchen Figuren gestartet werden soll – hat der Film trotz seines niedrigen Budgets von 80 Millionen US-Dollar wohl höchst unklare Zukunftsaussichten.

Madame Web (Madame Web, USA 2024)

Regie: S. J. Clarkson (alternative Schreibweise SJ Clarkson)

Drehbuch: Matt Sazama, Burk Sharpless, Claire Parker, S. J. Clarkson

mit Dakota Johnson, Sydney Sweeney, Celeste O’Connor, Isabela Merced, Tahar Rahim, Adam Scott, Emma Roberts, Mike Epps, José María Yazpik, Zosia Mamet, Kerry Bishé

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

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Metacritic über „Madame Web“

Rotten Tomatoes über „Madame Web“

Wikipedia über „Madame Web“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Sydney Sweeney ist „Reality“ Winner

Februar 7, 2024

Reality“ erzählt eine wahre Geschichte, aber trotzdem: Spoilerwarnung. Also massive Spoilerwarnung, weil ich davon ausgehe, dass die Fakten bekannt sind.

Zwischen „Wo die Lüge hinfällt“ (seit 18. Januar im Kino) und „Madame Web“ (ab 14. Februar) im Kino) können wir Sydney Sweeney in einem vollkommen anderen Film erleben. „Wo die Lüge hinfällt“ ist eine RomCom, in dem sie primär ihren ansehnlichen Körper vor fotogener australischer Kulisse präsentieren muss. In „Madame Web“ wird sie (den Film konnte ich noch nicht sehen) dies in einem Superheldenfilm wohl vor allem vor Greenscreens tun. In dem neuesten Film aus Sony’s Spider-Man Universe spielt sie ‚Spider-Woman‘ Julia Cornwall.

Eine ganz andere Heldin spielt sie in „Reality“, einer hochgelobten HBO-Films-Produktion, die 2023 auf der Berlinale ihre Premiere hatte. Sydney Sweeney spielt, sehr überzeugend, die titelgebende Reality Winner als eine unscheinbare Frau.

Die 1991 geborene Reality Winner (die heißt wirklich so) diente von 2010 bis 2016 in der United States Air Force. Danach ging sie als Übersetzerin zur Pluribus International Corporation. Die Firma arbeitet für die National Security Agency (NSA). Bei dieser Arbeit stieß sie auf einen NSA-Report über einen Versuch russischer Hacker, die US-Präsidentenwahl von 2016 (die Donald Trump gewann) zu beeinflussen. Sie gab den Bericht an die Website „The Intercept“ weiter. Noch vor der Veröffentlichung des Berichts wurde sie vom FBI verhaftet und 2018 zu einer fünf Jahre und drei Monate umfassenden Haftstrafe verurteilt. Es ist die bislang längste Strafe für die nicht autorisierte Weitergabe von staatlichen Informationen an die Medien.

Tina Satters Spielfilm „Reality“, der auf ihrem Theaterstück „Is This a Room“ basiert, stellt, minimal gestrafft, das erste Gespräch zwischen Reality und dem FBI nach. Es fand am 3. Juni 2017 in Augusta, Georgia, statt. Im Zentrum stehen die Gespräche zwischen Reality und den beiden FBI-Agenten Justin C. Garrick (Josh Hamilton) und R. Wallace Taylor (Marchánt Davis). Andere Agenten waren ebenfalls anwesend, aber vor allem mit der Sicherung des Geländes und dem Durchsuchen des Hauses beschäftigt. Die Grundlage für den Film war die von den Agenten während der Maßnahme angefertigte Tonaufnahme. Dabei – und das war später auch ein Vorwurf gegenüber den FBI-Agenten – ist lange Zeit unklar, was ihr genau vorgeworfen wird und sie wird nicht über ihre Rechte aufgeklärt. Vor allem am Anfang verwickeln die FBI-Agenten sie, fast schon unbeholfen, in harmlos wirkende Gespräche. Es geht um ihren Hund, Alltägliches und ihre Arbeit. Garrick, der das Gespräch führt, fragt sie immer wieder höflich, ob sie ihm helfen könne und ob sie ahne, warum sie hier seien. In den Momenten dachte ich immer: ‚Sei still. Verlang einen Anwalt. Auch wenn du nichts getan hast.‘. Aber Reality redet weiter, belastet sich dabei und gesteht im letzten Drittel des Films, wenn ihr die Beweise gezeigt werden, sogar die Tat.

Reality“ ist äußerst reduziertes und gelungenes Schauspielerkino. Der gesamte Film spielt vor und in Realitys kleinem Reihenhaus. In dem Haus sind sie vor allem in einem nicht benutzten und darum leer stehendem Nebenzimmer. In diesen Momenten lenkt nichts von den unbekannten, aber guten Schauspielern, ihrem Spiel und ihren Worten ab. Auch wenn sich im ersten Filmdrittel die Gespräche darauf konzentrieren, ob es in ihrem Haus mögliche Überraschungen, wie Tiere, versteckte Waffen und andere Personen, gibt, und bis kurz vor Schluss unklar ist, was Reality vorgeworfen wird, ist die Begegnung zwischen der Polizei und einer von der polizeilichen Maßnahme betroffenen Person spannend, weil es selten so einen präzisen Einblick in die Arbeit der Polizei gibt und selten die manipulativen Verhörtechniken der Polizei so offen gelegt werden. Dabei stellt sich durchgehend die Frage, ob sie bei einer nicht-weißen Person auch so höflich und rücksichtsvoll wären oder ob nicht gleich ein SWAT-Team das Haus demoliert hätte.

Die Beschränkung auf dieses eine Verhör, das anhand des FBI-Wortprotokolls nachinszeniert wird, führt dazu, dass der gesamte gesellschaftliche und politische Kontext, sofern er nicht im Verhör angesprochen wird, ausgeblendet wird. Dazu gehört auch die Frage, ob Reality Winners Geheimnisverrat gerechtfertigt war, und ob dafür eine so hohe Haftstrafe angemessen war.

Reality (Reality, USA 2023)

Regie: Tina Satter

Drehbuch: Tina Satter, James Paul Dallas (basierend auf ihrem Theaterstück „Is This a Room“)

mit Sydney Sweeney, Josh Hamilton, Marchánt Davis, Benny Elledge, John Way

Länge: 83 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Moviepilot über „Reality“

Metacritic über „Reality“

Rotten Tomatoes über „Reality“

Wikipedia über „Reality“ (deutsch, englisch) und Reality Winner (deutsch, englisch)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Wo die Lüge hinfällt“ gibt es Liebe

Januar 19, 2024

Die erste Begegnung ist fantastisch. Der berühmte Funke springt sofort über zwischen Bea (Sydney Sweeney) und Ben (Glen Powell). Der Morgen danach ist ein Desaster. Zuerst schleicht Bea sich aus Bens Wohnung. Dann muss sie hören, wie Ben vor seinem besten Freund Pete (GaTa) über sie herzieht. Danach will Bea, die nur einen kleinen Teil des Gesprächs belauschte, nichts mehr von Ben wissen. Währenddessen fragt Ben sich, warum er nichts mehr von Bea hört.

Ein halbes Jahr später treffen sie sich wieder. In Sydney soll die Hochzeit von Beas Schwester und Petes Schwester stattfinden. In den Monaten seit ihrer ersten Begegnung ist aus dem frühmorgendlichem Missverständnis abgrundtiefer Hass geworden. Ihre gegenseitige Abneigung ist so groß, dass sie die Hochzeitsfeierlichkeiten gefährden könnten. Deshalb und weil sie offensichtlich füreinander bestimmt sind, versuchen das Brautpaar, deren Eltern und Beas und Bens Freunde sie zusammenzubringen.

Das führt zu einigen peinlichen Situationen. Und etwas Spaß. Denn Bea und Ben haben die Absichten der anderen schnell durchschaut. Trotzdem spielen sie für die anderen ein heftig verliebtes, hemmungslos turtelndes Paar. Am Anfang ist das für sie der einfachste Weg, unbeschadet durch das Wochenende und die Anforderungen und Wünsche der anderen, wozu auch frühere Liebschaften von Bea und Ben gehören, zu kommen. Gleichzeitig ahnen alle anderen, dass Bea und Ben das Liebespaar nur spielen. Aber sie sind überzeugt, dass Bea und Ben ein Liebespaar werden. Denn was sich liebt das neckt sich.

Dieser von William Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ (Much Ado About Nothing) inspirierte Liebesreigen schöner Menschen ohne finanzielle Probleme findet vor sonniger Postkartenkulisse statt. Es gibt etwas Herzschmerz, etwas Comedy, gut aufgelegte Schauspieler und für US-amerikanische RomCom-Verhältnisse erstaunlich viel nackte Haut. In den notorisch prüden USA gab es für diese jugendgefährdenden Momente ein R-Rating. Bei uns ist der Liebesfilm ab 0 Jahre freigegeben. Und das ist eine überraschend niedrige, aber vollkommen okaye Freigabe.

Regisseur Will Gluck, der vorher die beiden „Peter Hase“-Filme inszenierte, inszenierte seinen neuen Film ziemlich straff entlang des von ihm und Ilana Wolpert geschriebenen Drehbuchs. Das verschont uns vor länglichen Improvisationen des Ensembles, die die Geschichte für nichts und wieder nichts verlangsamen.

In der mild selbstironischen RomCom „Wo die Lüge hinfällt“ vergeht die Zeit ziemlich schnell und angenehm. Das liegt vor allem an den beiden gut aussehenden, überaus sympathischen Hauptdarsteller, die prächtig miteinander harmonisieren. Die Konventionen des Genres werden erfüllt und es gibt ein, zwei kleine Neuerungen, wie dass hier zwei Frauen heiraten oder die Eltern Joints rauchen.

RomCom-Fans sollte „Wo die Lüge hinfällt“ gefallen. Und wer danach in Sydney Sweeney verknallt ist, kann sie in den kommenden Wochen in zwei gänzlich anderen Filmen bewundern.

Am 8. Februar startet das sehenswerte, auf einem wahren Fall basierende, minimalistische Drama „Reality“. Sidney Sweeney spielt überzeugend die titelgebende Whistleblowerin Reality Winner.

Eine Woche später, am 14. Februar, startet „Madame Web“, ein Marvel-Film und der vierte Film in Sony’s Spider-Man Universe. In dem Superheldenfilm spielt Sweeney Spider-Woman Julia Carpenter.

Wo die Lüge hinfällt (Anyone but You, USA 2023)

Regie: Will Gluck

Drehbuch: Will Gluck, Ilana Wolpert

mit Sydney Sweeney, Glen Powell, Alexandra Shipp, GaTa, Hadley Robinson, Michelle Hurd, Dermot Mulroney, Darren Barnet, Rachel Griffiths, Bryan Brown, Charlee Fraser, Joe Davidson

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Wo die Lüge hinfällt“

Metacritic über „Wo die Lüge hinfällt“

Rotten Tomatoes über „Wo die Lüge hinfällt“

Wikipedia über „Wo die Lüge hinfällt“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Will Glucks „Annie“ (Annie, 2014)