Neu im Kino/Filmkritik: Ist Corinna Harfouch „Das Mädchen mit den goldenen Händen“?

Februar 18, 2022

Während der Feier zu ihrem sechzigsten Geburtstag erfährt Gudrun, dass der Bürgermeister das Kinderheim, in dem sie aufwuchs, an einen Investor verkaufen will. Sie will das verhindern.

Bis dahin haben wir Gudrun als eine sehr bestimmende Person kennen gelernt. Die seit fast dreißig Jahren mit Werner verheiratete Lehrerin sagt immer allen, was sie zu tun haben und sie läßt nur ihre eigene Meinung gelten. Das bekommt auch ihre Tochter zu spüren. Lara lebt in Berlin und kommt für die Geburtstagsfeier zurück in das in der ostdeutschen Provinz liegende Dorf. Sie soll eine Geburtstagsrede halten. Aber noch bevor sie sie ihrer Mutter vor der Feier vortragen kann, beginnt Gudrun, ganz die resolute Macherin, die sie ihr ganzes Leben war, schnell die Rede aufzuschreiben, die ihre Tochter halten soll und wie sie auf die einzelnen Sätze reagieren wird. So eine Mutter ist Gudrun.

Im folgenden erzählt die Schauspielerin Katharina Marie Schubert in ihrem Spielfilmdebüt von Gudruns Versuchen, den Verkauf zu verhindern. Sie sind nicht strategisch durchdacht, sondern kindisch emotional. Währenddessen entdeckt Lara in der elterlichen Wohnung in einem Koffer ein ihrer Mutter gewidmetes Frauenporträt. Sie fragt sich, ob dieser Peter ihr leiblicher Vater ist. Neugierig geworden besucht sie in Berlin eine alte Bekannte ihrer Mutter, die sie bislang nicht kannte, und den ihr ebenfalls unbekannten Zeichner des Porträts ihrer Mutter.

Und wir fragen uns, warum Gudrun so heftig auf den geplanten Verkauf des Kinderheims reagiert. Sie verfolgt stur ein Ziel und ist dabei unfähig und unwillig, Kompromisse einzugehen oder über Alternativen nachzudenken. Aber warum sie den Verkauf der Ruine verhindern will, wird nie wirklich nachvollziehbar erklärt. Am Ende des Films kennen wir den Grund für ihr Verhalten nicht genauer als am Anfang, als Gudrun äußerst emotional auf die Nachricht von dem geplanten Verkauf reagiert. In dem Moment können wir uns denken können, dass das Kinderheim für sie wichtig war. Aber wir wissen nicht warum. Selbstverständlich, und das erklärt ihr Verhalten zu einem großen Teil, geht es in „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ nicht nur um Gudruns Geschichte, sondern auch um die Frage, wie wir mit der Vergangenheit als Individuum und Gesellschaft umgehen. Insofern steht das Kinderheim auch für die gesamte Geschichte der DDR und alle Figuren müssen sich im Film mit ihrer DDR-Vergangenheit auseinandersetzen.

Hier füllt Corinna Harfouch, die Gudrun spielt, mit ihrer schauspielerischen Wucht Lücken des Drehbuchs aus. Wir spüren ihre Schmerzen, Bedürfnisse und Leiden. Wir erkennen ihre Unfähigkeit, im Umgang mit ihr nahe stehenden Menschen Emotionen zuzulassen. Auch wenn wir den Grund dafür mehr ahnen als wissen. Auch die anderen Schauspieler – Peter René Lüdecke als ihr Mann, Birte Schnöink als ihre Tochter und Jörg Schüttauf als Bürgermeister – verleihen in wenigen Momenten ihren Figuren eine Tiefe, die die jahrelange Vertrautheit, die verdrängten Konflikte, Zuneigungen und Ablehnungen glaubhaft machen. Sie alle kennen sich seit ihrer Kindheit und erlebten teilweise drei verschiedene politische Systeme. Denn Schuberts Geschichte spielt wenige Monate vor der Jahrtausendwende.

Das ist alles sehr gelungen in oft langen Szenen inszeniert. Aber das Drehbuch schwächelt mit der Zeit. So nimmt Laras Leben in Berlin und ihr Stochern in der Vergangenheit ihrer Mutter einen zu großen Raum ein. Gudruns Motiv bleibt, wie gesagt, rätselhaft. Und das Ende ist eines der unschönen Deus-ex-machina-Enden.

Das Mädchen mit den goldenen Händen (Deutschland 2021)

Regie: Katharina Marie Schubert

Drehbuch: Katharina Marie Schubert

mit Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Peter René Lüdicke, Jörg Schüttauf, Gabriela Maria Schmeide, Imogen Kogge, Stephan Bissmeier, Ulrike Krumbiegel

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“

Moviepilot über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“

 


TV-Tipp für den 7. Mai: Der Untergang

Mai 6, 2020

Kabel 1, 20.15

Der Untergang (Deutschland 2004)

Regie: Oliver Hirschbiegel

Drehbuch: Bernd Eichinger

LV: Joachim Fest: Der Untergang – Hitler und das Ende des Dritten Reiches, 2002

LV: Traudl Junge, Melissa Müller: Bis zur letzten Stunde – Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben, 2002

Was geschah in den letzten Kriegstagen in Berlin im Führerbunker? Nach 150 Minuten wissen wir es.

Der Untergang“ ist gediegen erzähltes, starbesetztes Unterhaltungskino im Hollywoodstil. Historisch akkurat und ohne eine erkennbare Haltung zum Sujet. Deshalb reiht sich eine Episode an die nächste Episode, aber eine Geschichte wird, abseits der strikt chronologischen Anordnung des Materials, nicht erkennbar.

mit Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler, Heino Ferch, Christian Berkel, Matthias Habich, Thomas Kretschmann, Michael Mendl, André Hennicke, Ulrich Noethen, Birgit Minichmayr, Rolf Kanies, Justus von Dohnányi, Dieter Mann, Christian Redl, Götz Otto, Alexander Held, Bettina Redlich, Heinrich Schmieder, Anna Thalbach, Ulrike Krumbiegel, Jürgen Tonkel, Devid Striesow

Wiederholung: Freitag, 8. Mai, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Filmportal über „Der Untergang“

Rotten Tomatoes über „Der Untergang“

Wikipedia über „Der Untergang“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Five Minutes of Heaven“ (Five Minutes of Heaven, GB 2009)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Diana“ (Diana, USA/GB 2013)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Elser“ (Deutschland 2015)  (mit Interviews mit Oliver Hirschbiegel über den Film) (und der DVD)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Der gleiche Himmel“ (Deutschland 2017)


TV-Tipp für den 24. November: Nachtschicht: Ich habe Angst

November 23, 2016

ZDFneo, 20.15

Nachtschicht: Ich habe Angst (Deutschland 2008, Regie: Lars Becker)

Drehbuch: Lars Becker

Auch in ihrer fünften Nacht gibt es für den Hamburger Kriminaldauerdienst viel zu tun. Bei einer Razzia entwischt ihnen der Kopf der Fälscherbande. Eine Lehrerin meldet sich anonym beim KDD und zeigt eine Kindesmisshandlung an. Ein Mann wird erstochen.

Zufälle über Zufälle – aber von Lars Becker schlüssig, pointiert und gewohnt unterhaltsam als Porträt einer Nacht zusammengefügt.

Mit Armin Rohde, Minh-Khai Phan-Thi, Ken Duken, Barbara Auer, Pierre Semmler, Ulrike Krumbiegel, Matthias Brandt

Wiederholung: Freitag, 25. November, 03.10 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

ZDF über „Nachtschicht“

Wikipedia über „Nachtschicht“

Lexikon der deutschen Krimi-Autoren über Lars Becker

Lars Becker in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 19. August: Mord am Meer

August 19, 2014

3sat, 20.15

Mord am Meer (Deutschland 2004, Regie: Matti Geschonneck)

Drehbuch: Thomas Kirchner

LV: Ulrich Woelk: Die letzte Vorstellung, 2002

Wer ermordete den Freund von Kommissar Glauberg? Und warum schickt das BKA eine Polizistin in die norddeutsche Provinz? Gemeinsam decken Glauberg und die hübsche BKAlerin RAF-, Stasi-, West- und Ost-Ängste auf.

Woelks Roman kam damals bei den Kritikern nicht gut an. Ganz im Gegensatz zu den Fernsehkritikern. Die mochten den Film des immer zuverlässigen Matti Geschonneck. Und beim Hamburger Filmfest 2004 erhielt „Mord am Meer“ den TV-Produzentenpreis.

„Mord am Meer“ ist ein insgesamt gelungener Film, der unter den Beschränkungen des 90-Minuten-TV-Formats (einige Minuten länger wäre besser gewesen), einem zuviel an verschiedenen angesprochenen Themen (hier wäre weniger mehr gewesen) und einer enttäuschenden Lösung leidet. Aber die schönen Berlin-Bilder und die guten Leistungen der Schauspieler, die teilweise nur eine Szene haben, trösten darüber hinweg.

Mit Heino Ferch, Nadja Uhl, Manfred Zapatka, Birge Schade, Ulrike Krumbiegel, Otto Mellies, Ellen Schwiers, Thomas Sarbacher, Markus Boysen

Wiederholung: Mittwoch, 20. August, 00.55 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Homepage von Ulrich Woelk

Wikipedia über Ulrich Woelk


TV-Tipp für den 3. November: Nachtschicht: Ich habe Angst

November 3, 2013

ZDFneo, 20.15

Nachtschicht: Ich habe Angst (D 2008, R.: Lars Becker)

Drehbuch: Lars Becker

Auch in ihrer fünften Nacht gibt es für den Hamburger Kriminaldauerdienst viel zu tun. Bei einer Razzia entwischt ihnen der Kopf der Fälscherbande. Eine Lehrerin meldet sich anonym beim KDD und zeigt eine Kindesmisshandlung an. Ein Mann wird erstochen.

Zufälle über Zufälle – aber von Lars Becker schlüssig, pointiert und gewohnt unterhaltsam als Porträt einer Nacht zusammengefügt.

Mit Armin Rohde, Minh-Khai Phan-Thi, Ken Duken, Barbara Auer, Pierre Semmler, Ulrike Krumbiegel, Matthias Brandt

Hinweise

ZDF über „Nachtschicht“

Wikipedia über „Nachtschicht“

Lexikon der deutschen Krimi-Autoren über Lars Becker

Lars Becker in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „GrossStadtKlein“ umschifft alle Konflikte

August 15, 2013

Beginnen wir mit dem Positiven: ich war während des gesamten Films amüsiert, weil die meisten Szenen in sich gelungen waren und die Schauspieler allesamt sympathisch sind.

Dummerweise ergibt das keinen Film, sondern eine Ansammlung von Szenen und, mit zunehmender Laufzeit, einem Gefühl von großer, fast schon unendlicher Leere. Denn in „GrossStadtKlein“ kämpfen Menschen bestenfalls mit Scheinkonflikten und ausgedachten Problemchen in einem ortlosen Nirgendwo. Dabei brauchen wir für eine kraftvolle Geschichte echte, nachvollziehbare, schwer lösbare Konflikte (also genau das, was wir in unserem normalen Leben nicht mögen) und wir brauchen einen Protagonisten, der ein für ihn schwer zu erreichendes Ziel unbedingt erreichen möchte und es auf dem Weg dorthin große Hindernisse, zahlreiche Konflikte und schwierige Entscheidungen gibt.

Aber in „GrossStadtKlein“ gibt es nur nette Menschen und die heile Welt. In der Kleinstadt und in der Großstadt, die einerseits als gegensätzliche Lebenswelten dargestellt werden könnten, aber schon im Titel in einem Wortspiel zusammengefügt werden.

Unser Held Ole lebt im nordöstlichsten Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern und er ist glücklich. Keine Ahnung, was er macht; außer mit seinem Moped und seinen beiden Kumpels durch die Wälder an der Ostsee zu düsen und alles super zu finden. Er versteht sich prächtig mit seinen Eltern und den Großeltern, mit denen er zusammen wohnt. Das ist auch schon das einzig ungewöhnliche an dem Film: Der Dorfjunge will das Dorf nicht verlassen. Er will nicht in die Großstadt, keine Frau fürs Leben finden und, gut das hatten wir zuletzt öfters, nicht erwachsen werden.

Natürlich muss er dann doch in die gefährliche Großstadt. Es ist Berlin, könnte aber genausogut jede andere Großstadt oder größere Stadt sein; also alles, was mehr als eine Haupt- und eine Nebenstraße hat. Dort hat er ein von seinem todkranken Großvater organisiertes Praktikum bei einem Kalenderverlag bekommen. Seine Skizzen, Zeichnungen von rammelnden Wildtieren, die in einem Kalender erscheinen sollen, werden wohlwollend von dem Chef und seinem schwulen Sohn (also SCHWUL in der verklemmten bürgerlich-konservativen Variante. Nicht die lässig liebenswerte Almodovar-Variante) aufgenommen.

Ebenfalls freundlich wird Ole von seinem Cousin Rokko, bei dem er übernachten soll und den er seit Kindesbeinen nicht mehr gesehen hat, aufgenommen. Dabei soll Rokko eigentlich ziemlich böse sein; vor allem weil ihre Väter seit Ewigkeiten miteinander zerstritten sind und das dann natürlich auch für deren Kinder gelten muss. Aber er ist ziemlich nett, lässig und hat immer ein Lächeln im Gesicht. Nett und auch sehr unverklemmt ist Fritzi, die sich ohne Scham vor Ole anzieht. Für Rokko ist sie mehr die kleine Schwester und, weil er sie kennt, empfiehlt er Ole, sich nicht mit ihr einzulassen.

Selbstverständlich verliebt Ole sich sofort in sie. Und er stürzt sich in das Großstadtleben mit Hinterhofabrissbudentechnodisco (weil szenig und Berlin), etwas Gesetzesübertretung (Fritzi, ganz das schamlose Stadtluder, will ihn gleich am ersten Abend in einem Auto, das sie aufbricht, vögeln) und Berlin-Postkartenbildern, damit wir nie vergessen, dass der Film in Berlin spielt.

Aber dann stirbt Oles Opa und Fritzi, Rokko und sein Vater machen sich auf den Weg zur Trauerfeier – und wir erfahren mehr von dem so komplizierten Familienstreit, als wir jemals erfahren wollten. Letztendlich geht es einfach um zwei Dickköpfe, die nicht miteinander reden wollen.

GrossStadtKlein“ spielt, wie so viele deutsche Filme, in einer künstlichen Patchwork-Welt, in der nichts zusammenpasst, strotzt vor Stereotypen und Klischees (einmal dürft ihr raten, wo die Jungs zur Problembewältigung hingehen), er vermeidet Konflikte wie der Teufel das Weihwasser und ertränkt alles in biederer Harmonie. Das ist einfach langweilig und, wenn man überlegt, was man mit einem besseren Drehbuch hätte machen könne, auch ärgerlich.

GrossStadtKlein - Plakat

GrossStadtKlein (Deutschland 2013)

Regie: Tobias Wiemann

Drehbuch: Tobias Wiemann

mit Jacob Matschenz, Jytte-Merle Böhrnsen, Klaas Heufer-Umlauf, Kostja Ullman, Pit Bukowski, Tobias Moretti, Ulrike Krumbiegel

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „GrossStadtKlein“