Neu im Kino/Filmkritik: Kreative Titelwahl: „Fast & Furious 10“

Mai 17, 2023

Das ist jetzt der Anfang vom Ende des „Fast & Furious“-Franchise. Also teilweise. Denn der jetzt startende zehnte „Fast & Furious“-Film ist nicht mehr, wie ursprünglich angekündigt, der erste Teil eines aus zwei Filmen bestehenden Finales, sondern der erste Film eines aus drei Teilen bestehenden Finales. Wobei die Macher natürlich, wie wir es von einigen anderen Filmreihen kennen, jeden Film in zwei Teile aufsplitten können. Und natürlich können die Macher einige Spin-offs produzieren. Figuren für ein gutes Dutzend solcher Actionfilme sind in der „Fast & Furious“-Welt vorhanden. Nur Vin Diesel wäre dann als Dominic ‚Dom‘ Toretto höchstens in einer Nebenrolle dabei. Jetzt spielt er nämlich die Hauptrolle.

In „Fast & Furious 10“ kämpfen Dom und seine Familie gegen Dante. Er will sie und alles, was ihnen wichtig ist, vernichten. Dante agiert, von Jason Mamoa lustvoll mit einem Hang zur größenwahnsinnigen Geste gespielt, übertriebener als ein Operettenbösewicht auf Speed und er ist der Sohn von Hernan Reyes.

Der südamerikanische Drogenhändler Reyes war in „Fast & Furious Five“ (Fast Five, 2011) der Bösewicht. In dem Film gelang den Machern die „Fast & Furious“-Mischung am überzeugensten. Der Actionfilm war stilprägend für die weiteren „Fast & Furious“-Filme. Damals sah, wie wir jetzt am Filmanfang erfahren, Dante, wie Dom und ihre Gang Reyes bestehlen, indem sie den Safe mit seinem gesamten Vermögen klauen und ihn am helllichten Tag mit zwei Autos durch Rio de Janeiro ziehen und dabei von Reyes‘ schießwütigen Schergen gejagt werden. Am Ende der wilden Hatz ist Dantes Vater tot. Jetzt will Dante, der damals für seinen Vater arbeitete und selbstverständlich dessen verbrecherischen Geschäfte kannte, sich an den Mördern seines Vaters rächen. Er will ihr Leben zerstören. Er will Doms Freunde und Familie töten. Und dann Dom töten.

Das erste Mal treffen Dante, Dom und Doms große, sehr große, mit jedem Film weiter gewachsene, alle in ihren Bund aufnehmende und sich gegenseitig helfende Familie in Rom aufeinander. Dante hat sie mit einem falschen Auftrag der Agency (so eine Art supergeheime CIA ohne Budgetprobleme) nach Rom gelockt. Er möchte einen großen Teil von Doms Familie töten, mitten in der Stadt eine Bombe zünden und die Verantwortung für den Anschlag Dom in die Schuhe schieben.

Nach einer wilden Hatz durch Rom kann Dom das Schlimmste verhindern. Er befördert die riesige Bombe, die Dante in einem Laster versteckte und die anschließend durch Rom rollte, dabei Autos und Außengastronomie zerstörte, ins Wasser. Dort explodiert sie. Sie zerstört etliche Häuser, aber weniger, als von Dante geplant. Trotzdem und als ob Rom die einzige Großstadt ohne Videokameras wäre, werden Dom und seine Familie danach als Terroristen über mehrere Kontinente gejagt.

Schnell trennen sich ihre Wege und noch schneller bewegt sich die Filmgeschichte, garniert mit vielen Actionszenen, über mehrere Kontinente. Wie dabei jemand von A nach B kommt, wie ein Plan funktioniert und warum jemand plötzlich an einem Ort ist, wird eigentlich nie erklärt. Denn vor allem waren die Macher damit beschäftigt, möglichst viele Szenen mit den aus den vorherigen Filmen bekannten Figuren, wozu Doms Frau Letty (Michelle Rodriguez), seine Schwester Mia (Jordana Brewster), sein Bruder Jakob (John Cena), Roman (Tyrese Gibson), Tej (Chris ‚Ludacris‘ Bridges), Ramsey (Nathalie Emmanuel), Han (Sung Kang), Little Nobody (Scott Eastwood), Quennie (Helen Mirren),

Shaw (Jason Statham) und Cipher (Charlize Theron) gehören, in die simple Rachegeschichte einzubauen. Auch wenn einige Figuren im Film dann nur in einer Szene oder nur sehr kurz auftauchen. Es gibt auch einige Flashbacks und viele Anspielungen auf die vorherigen Filme. Das war in den vorherigen Filmen anders.

Nach den auch bei Fans der Serie umstrittenen Exzessen in den vorherigen Filmen markiert „Fast & Furious 10“ wieder ein ‚zurück zu den Wurzeln‘. Die Action ist zwar durchgehend übertrieben, aber mit mindestens zwei zugedrückten Augen, nicht vollkommen unmöglich. Jedenfalls meistens. Von diesem realistischeren Ansatz profitiert vor allem die große Actionszene am Filmanfang in Rom. Sie weckt den Wunsch, sich wieder die Luc-Besson-Produktionen „The Transporter“ oder „Taxi“ anzusehen. Es ist auch die beste Auto-Actionszene des Films. Die Story ist letztendlich eine einfache, vollkommen aus dem Ruder laufende Rachegeschichte.

Der ursprüngliche Regisseur Justin Lin, der für die aktuelle Ausrichtung der Serie entscheidend mitverantwortlich ist, stieg kurz nach dem Start der Dreharbeiten entnervt aus. Der Grund war, so heißt es, vor allem das Verhalten von Vin Diesel.

The Transporter“-Regisseur Louis Leterrier übernahm danach kurzfristig die Regie und er führt den Film souverän zu einem Ende, das kein wirkliches Ende ist, weil „Fast & Furious 10“ nur der Auftakt für ein großes Finale ist. Deshalb endet der Actionfilm in Spanien mitten in der Geschichte mit einer eher enttäuschenden Actionszene, die Erinnerungen an die Action am Ende vom sechsten „Fast & Furious“-Film weckt. Bis zum Abspann, der eine für den nächsten Film wichtige Mid-Credit-Szene hat, liefert Leterrier genau den „Fast & Furious“-Film, den die Fans sich wünschen. Und das ist, wenn man auf diese Art Popcorn-Kino steht, gut so.

Wie es weitergeht, erfahren wir 2025. Inzwischen wurde Louis Leterrier wieder als Regisseur verpflichtet. Und, wenn sie ihre Pläne nicht ändern, gibt es ein, zwei Jahre später das große Finale. Schließlich könnten Dom und seine Familie noch eine Ehrenrunde und danach eine Abschiedsrunde drehen.

Spätestens dann ist Doms Junge alt genug, um das Steuer zu übernehmen.

Fast & Furious 10 (Fast X, USA 2023)

Regie: Louis Leterrier

Drehbuch: Justin Lin, Dan Mazeau (basierend auf Figuren von Gary Scott Thompson)

mit Vin Diesel, Jason Momoa, Michelle Rodriguez, Charlize Theron, Tyrese Gibson, Chris „Ludacris“ Bridges, Nathalie Emmanuel, Jordana Brewster, Sung Kang, John Cena, Jason Statham, Brie Larson, Alan Ritchson, Scott Eastwood, Daniela Melchior, Helen Mirren, Rita Moreno

Länge: 141 Minuten (also Kurzstrecke)

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Fast & Furious 10“

Metacritic über „Fast & Furious 10“

Rotten Tomatoes über „Fast & Furious 10“

Wikipedia über „Fast & Furious 10“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Justin Lins „Fast & Furious Five“ (Fast Five, USA 2011)

Meine Besprechung von Justin Lins „Fast & Furios 6“ (Furios Six; Fast & Furious Six, USA 2013)

Meine Besprechung von James Wans „Fast & Furious 7“ (Furious 7, USA 2015)

Meine Besprechung von F. Gary Grays „Fast & Furious 8“ (The Fate of the Furious, USA 2017)

Meine Besprechung von David Leitchs „Fast & Furious: Hobbs & Shaw“ (Fast & Furious presents: Hobbs & Shaw, USA 2019)

Meine Besprechung von Justin Lins Fast & Furious 9″ (F9: The Fast Saga, USA 2021) 

Meine Besprechung von Louis Letteriers „Die Unfassbaren – Now you see me“ (Now you see me, USA 2013) und der DVD

Meine Besprechung von Louis Leterriers „Der Spion und sein Bruder“ (The Brothers Grimsby, USA 2016)

TV-Hinweis

Am Donnerstag, den 18. Mai, zeigt ZDFneo um 20.15 Uhr „Fast & Furious – Neues Modell, Originalteile“ (USA 2009), um 22.00 Uhr „The Fast and the Furios“ (USA 2001) (damit begann alles) und um 23.35 Uhr „2 Fast 2 Furious“ (USA 2003) (damit wurde der Weg Richtung Direct-to-Video/DVD eingeschlagen).


Buch- und Filmkritik: Über Lee Childs „Reacher“, die Serie, die Vorlage „Größenwahn“ und Jack Reachers neuestes Abenteuer „Der Spezialist“

Februar 4, 2022

Ich wurde in Eno’s Diner verhaftet. Um zwölf Uhr. Ich aß gerade Rühreier und trank Kaffee. Kein Mittagessen, ein spätes Frühstück. Ich war durchnässt und müde nach einem langen Marsch im strömenden Regen. Die ganze Strecke vom Highway bis zum Stadtrand.“

So beginnt Lee Childs erster Jack-Reacher-Roman „Größenwahn“. Es war auch sein Romandebüt und, obwohl er von Anfang an auf den Bestsellererfolg hoffte, hätte er sich diesen Erfolg nicht vorstellen können. Seit 1997 veröffentlichte er jedes Jahr einen Jack-Reacher-Roman. 2010 sogar zwei. Bei uns erschien zuletzt „Der Spezialist“, sein 23. Reacher-Roman (dazu später mehr). In England erschien bereits „Blue Moon“, der letzte von ihm allein geschriebene Reacher-Roman.

Seitdem schreibt er zusammen mit seinem Bruder Andrew Grant, der ebenfalls Thriller schreibt, unter dem Pseudonym Andrew Child weitere Reacher-Romane. Langfristig soll Andrew Grant die Serie allein weiterschreiben. – Ach ja: Lee Child ist ein Pseudonym von James Dover Grant.

Größenwahn“ wurde jetzt eine Amazon-Prime-Serie (auch dazu später mehr). Der Blanvalet-Verlag, in dem die Reacher-Romane erscheinen, spendierte dem Roman deswegen ein neues Cover.

In „Größenwahn“ besucht Jack Reacher in Georgia die Kleinstadt Margrave. Dort starb vor Ewigkeiten der von ihm bewunderte Blues-Musiker Blind Blake und Reacher will sich jetzt den Ort einmal ansehen.

Jack Reacher ist ein ehemaliger Militärpolizist. Er ist 1,96 Meter groß, muskulös, superschlau, T-Shirt-Träger und Kaffee-Trinker. Sein ganzes bisheriges Leben verbrachte er im Militär. Geboren wurde er 1960 in Westberlin. Danach wurden seine Eltern von Stützpunkt zu Stützpunkt versetzt. Er wurde Soldat, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und ist jetzt, mit 36 Jahren, zum ersten Mal ohne Verpflichtungen. Seit einem halben Jahr erkundet er das Land, das er im Ausland verteidigte und das er noch nicht kennt.

In Margrave wird ihm vorgeworfen, einen Mann ermordet zu haben. Allerdings hat er ein überzeugendes Alibi. Kurz darauf gesteht der Banker Paul Hubble den Mord. Der ist zwar auch nicht der Täter, aber das interessiert Reacher nicht weiter. Er will, sobald die Polizei sein Alibi überprüft hat, weiterziehen.

Aber dann wird der erste Tote identifiziert und für Reacher wird die Angelegenheit persönlich. Es ist sein zwei Jahre älterer Bruder Joe. Reacher hat ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Inzwischen arbeitet Joe im Finanzministerium. Dort beschäftigt er sich mit der Verfolgung von Geldfälschern.

Reacher will jetzt die Mörder seines Bruders finden und töten. Zusammen mit den örtlichen Polizisten Finlay, dem Chef des Ermittlungsbüros, und Elizabeth Roscoe, ermittelt er in Margrave, schlägt währenddessen einige Männer zusammen und bringt etliche Männer um.

Trotzdem ist dieses Rachemotiv für die Geschichte unerheblich. Es ist letztendlich nur der aus einem Schreibratgeber übernommene Grund, Reacher daran zu hindern, Margrave zu verlassen. Denn im Gegensatz zu den späteren Reacher-Romanen zögert Reacher hier viel länger, bis er sich einmischt und die Bösewichter verfolgt.

Von diesem kleinen Punkt abgesehen steckt Lee Child in „Größenwahn“ bereits den Rahmen ab, in dem die Figur Reacher und die Geschichten sich seitdem bewegen. Es sind Western-Topoi, die in die Gegenwart übertragen werden. Jack Reacher ist der archetypische mythologische Held. Er ist die moderne Ausgabe von ‚mein großer Freund Shane‘. Die Plots folgen, vor allem wenn sie im Hinterland spielen, Western-Geschichten. So gibt es in „Größenwahn“, der immer wieder an einen klassischen Western erinnert, einen bösen Landbesitzer, der die Stadt beherrscht, und einen Durchreisenden, der für Recht und Ordnung sorgt – und anschließend weiterzieht. Je nach den Erfordernissen der Geschichte erzählt Child sie mal in der ersten, mal in der dritten Person. In einigen Reacher-Romanen taucht er in die Militärvergangenheit seines Helden ein und manchmal lässt er ihn in einer Großstadt in Schwierigkeiten geraten.

Außerdem sind alle Reacher-Romane Einzelabenteuer, die unabhängig voneinander gelesen werden können. Er besucht immer wieder verschiedene Orte und es gibt keine von Roman zu Roman wachsende Schar von Freunden und Gehilfen. Auch seine Familie spielt keine Rolle in Reachers Leben. In „Der Spezialist“ erwähnt er im Gespräch zwar seinen Bruder, aber er sagt nie, dass er vor über zwanzig Jahren ermordet wurde oder dass er tot ist. Reacher ist einfach der Wanderer, der für Gerechtigkeit sorgt, keine Bindungen hat, keine Bindungen eingehen will und mit seinem rastlosen Leben rundum zufrieden ist.

In „Der Spezialist“ besucht Reacher in New Hampshire Laconia. Es ist der Ort, den sein Vater Stan Reacher mit siebzehn Jahren verließ und den er seitdem nie wieder besuchte. Das führte auch dazu, dass Reacher seine Großeltern oder andere Verwandte nicht kennt. In Laconia stößt er dann gleich auf ein Problem. Ein Stan Reacher oder eine Familie Reacher wohnte niemals in dem Ort. Erst als Reacher den Suchradius auf die umlegenden Orte, wobei Häuser mit Postanschrift treffender ist, erweitert, entdeckt er den Ort, in dem die Reachers damals lebten.

In dem Moment hat Reacher schon eine Frau gegen einen Vergewaltiger verteidigt und, gleichzeitig, eine in Laconia einflussreiche Unternehmerfamilie verärgert. Der Patriarch will sich dafür an Reacher rächen. Mit der Aufgabe beauftragt er einige Schläger.

In dem Moment weiß Reacher noch nicht, dass ein Mark Reacher (anderer Zweig der Familie) im Wald ein Motel betreibt. Dort gastiert ein junges Pärchen, das aus Kanada kommend auf der Durchreise ist und Probleme mit ihrem Auto hat. Während die beiden Mittzwanziger noch auf den Mechaniker warten, ahnen wir bereits, dass sie das Motel niemals wieder verlassen werden. Immmerhin erinnert das Motel sofort an das „Psycho“-Motel und „Der Spezialist“ ist ein Thriller. Was Mark und seine Freunde mit Patty Sundstrom und Shorty Fleck vorhaben, verrät Lee Child erst ziemlich spät; genaugenommen am Ende des dritten Viertel des Romans. Trotzdem können wir uns denken, welches Spiel mit ihnen gespielt werden soll und wie Reacher als nicht eingeladener Teilnehmer den geplanten Spielablauf durcheinanderbringt.

Der Spezialist“ ist ein durchwachsener Thriller. Einerseits entwickelt die Geschichte sich ziemlich überraschungsfrei und sie ist so kontruiert, dass Reacher im letzten Viertel des Romans zufällig in Marks Spiel stolpert. Bis dahin hat er keine Ahnung davon. Andererseits wechselt Child spannungssteigernd zwischen den beiden Erzählsträngen, auf jeder Seite passiert etwas und die Lesezeit vergeht flott. Letztendlich ist „Der Spezialist“ ein guter Thriller, aber er gehört nicht zu den besten Reacher-Thrillern, – von denen bereits zwei zu Spielfilmen wurden.

2012 und 2016 spielte Tom Cruise in „Jack Reacher“ und „Jack Reacher: Kein Weg zurück“ sehr überzeugend Jack Reacher. Die Fans der Romane meckerten allerdings von Anfang an über Cruises Körpergröße. Cruise ist 1,7 Meter. Reacher ist in den Büchern 1,96 Meter und damit ein Riese. Aus Sicht der Fans kann Reacher daher auch nur von einem Riesen gespielt werden; was natürlich Unfug ist. Trotzdem wurde der immer wieder lautstark vorgetragene Wunsch der Fans erhört. Für die Amazon-Prime-Serie „Reacher“, die seit dem 4. Februar 2022 online ist, wurde Alan Ritchson engagiert. Er ist 1,88 Meter groß und er hat viele, also wirklich viele Muskeln. Viel mehr spricht nicht für ihn als Jack Reacher.

Das war meine Meinung vor dem Ansehen der Serie und ist meine Meinung nach dem Ansehen der Serie.

Ironischerweise versuchen die Regisseure in der Streamingserie immer wieder, Reacher kleiner erscheinen zu lassen. Selten überragt Ritchson die anderen Schauspieler um ein, zwei Köpfe. Seine Gegner in den zahlreichen Faustkämpfen sind alle groß und muskulös. Das macht die Kämpfe auf den ersten Blick etwas weniger ungleich. Trotzdem werden hier immer wieder renitente Kleinstadtjugendliche oder Häftlinge von einem Mann zusammengeschlagen, der so groß ist, dass allein schon seine Körpergröße jede Schlägerei verhindern sollte.

Die erste, aus acht, jeweils um die fünfzig Minuten langen Episoden bestehende Staffel basiert auf dem ersten Reacher-Roman „Größenwahn“. Für die Streamingserie wurde die Handlung aus den Neunzigern in die Gegenwart verlegt. Es wird mit Smartphones telefoniert. Und Reacher, der eigentlich ein begnadeter Schweiger und Denker ist, muss viel reden.

Ansonsten folgt Showrunner Nick Santora mit wechselnden Episodenautoren und Regisseuren sehr genau, fast schon sklavisch dem Roman. Zu den größeren Änderungen gehören, dass in der Serie, im Gegensatz zum Roman, der eine Ich-Erzählung ist, auch Ereignisse gezeigt werden, bei denen Reacher nicht dabei ist. Im Buch erfährt er später davon. Es gibt mehrere Rückblenden in Reachers Vergangenheit und Jugend, die es so im Roman nicht gibt. Und Frances Neagley, die im Buch überhaupt nicht auftaucht, hat eine wichtige Rolle. Sie arbeitete mit Reacher während seiner Militärzeit zusammen und hilft ihm jetzt wieder. Wahrscheinlich wird sie in künftigen Staffeln als wiederkehrende Figur immer wieder dabei sein.

Die gut vierhundert Minuten der absolut okayen, niemals irgendwie außergewöhnlichen Streamingserie vergehen flott. Schließlich gibt es in jeder Folge einige neue Ermittlungserfolge, Schlägereien und Tote. Teils verüben die Bösewichter die Morde. Teils verübt Reacher sie. Ebenfalls ohne erkennbare Skrupel. Und das explosive Finale ist mit seinen zahlreichen Kampfszenen ziemlich lang geraten. Gleichzeitig ist immer deutlich, dass die Serie als in sich abgeschlossene Geschichte für den kleinen Bildschirm geschrieben und inszeniert wurde.

Reacher blickte ihnen nach, bis sie verschwunden waren. Dann marschierte er in diesselbe Richtung los. Die Sonne schien ihm in die Augen. Er erreichte die von Norden nach Süden führende Nebenstraße, suchte sich eine gute Stelle auf dem Bankett und reckte einen Daumen in die Höhe.“

(die letzten Zeilen von „Der Spezialist“)

Lee Child: Der Spezialist

(übersetzt von Wulf Bergner)

Blanvalet, 2021

448 Seiten

22 Euro

Originalausgabe

Past Tense (Reacher 23)

Bantam Press, London 2018

Lee Child: Größenwahn

(übersetzt von Marie Rahn)

Blanvalet, 2022 (Filmausgabe)

544 Seiten

11,00 Euro

Deutsche Erstausgabe

Heyne, 1998

anschließend bei Blanvalet mehrere Ausgaben

Originalausgabe

Killing Floor

Bantam Press, London 1997

Amazon-Prime-Video-Serie

 

Reacher (Reacher, USA 2022)

Regie: Norberto Barba, M.J. Bassett, Sam Hill, Omar Madha, Christine Moore, Lin Oeding, Stephen Surjik, Thomas Vincent

Drehbuch: Cait Duffy, Aadrita Mukerji, Scott Sullivan, Nick Santora

LV: Lee Child: Killing Floor, 1997 (Größenwahn)

mit Alan Ritchson, Malcolm Goodwin, Willa Fitzgerald, Hugh Thompson, Chris Webster, Bruce McGill, Maxwell Jenkins, Gavin White, Maria Sten, Kristin Kreuk, Marc Bendavid, Patrick Garrow, Lee Child (Cameo)

Länge: ~ 390 Minuten (8 Episoden)

FSK: ab 16 Jahre (Amazon-Freigabe ist ab 18 Jahre; in jedem Fall gibt es nackte Haut, Sex und Gewalt; wie in den Romanen)

Hinweise

Amazon über „Reacher“

Moviepilot über „Reacher“

Metacritic über „Reacher“

Rotten Tomatoes über „Reacher“

Wikipedia über „Reacher“ (Amazon-Prime-Serie), Jack Reacher (deutsch, englisch) und Lee Child (deutsch, englisch)

Homepage von Lee Child

Meine Besprechung von Lee Childs „Tödliche Absicht“ (Without fail, 2002)

Meine Besprechung von Lee Childs „Die Abschussliste“ (The Enemy, 2004)

Meine Besprechung von Lee Childs „Sniper“ (One Shot, 2005)

Meine Besprechung von Lee Childs “Outlaw” (Nothing to Loose, 2008)

Meine Besprechung von Lee Childs „Die Gejagten“ (Never go back, 2013)

Meine Besprechung von Lee Childs „Der Ermittler – Ein Jack-Reacher-Roman“ (Night School (21 Reacher), 2016)

Meine Besprechung von Lee Childs „Der Held“ (The Hero, 2019)

Meine Besprechung von Lee Childs (Herausgeber) „Killer Year – Stories to die for…from the hottest new crime writers“ (2008)

Meine Besprechung von Christopher McQuarries „Jack Reacher“ (Jack Reacher, USA 2012)

Meine Besprechung von Edward Zwicks „Jack Reacher: Kein Weg zurück“ (Jack Reacher: Never go back, USA 2016)

Kriminalakte über Lee Child und „Jack Reacher“


Neu im Kino/Filmkritik: „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“ – zweite Runde mit mutierten Schildkröten und Megan Fox

August 11, 2016

Als vor zwei Jahren die „Teenage Mutant Ninja Turtles“ in die Kinos kam, waren die Kritiker (auch ich) nicht entzückt über die Abenteuer einer Gruppe mutierter, in der Kanalisation von Manhattan lebender Schildkröten, die sich am liebsten von Pizza ernähren und ohne das Wissen der Öffentlichkeit Verbrecher bekämpfen. Das Einspielergebnis war nicht überragend, aber gut genug für eine Fortsetzung, die jetzt als „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“ bei uns anläuft und ziemlich nahtlos an den ersten Film anschließt. Ohne die elaborierte Hintergrundgeschichte des ersten Teils aufzuwärmen.

Am Ende des vorherigen Films konnten die Turtles den Superbösewicht Shredder verhaften.

Jetzt gelingt es Shredders Schergen, ihn (Brian Tee) zu befreien und, wie es sich für einen Bösewicht gehört, hat er auch gleich einen furchtbar fiesen Weltvernichtungsplan, den er mit Mad Scientist Baxter Stockman (Tyler Perry) und dem außerirdischen Commander Krang umsetzen will.

Die Turtles Leonardo (Pete Ploszek), Michelangelo (Noel Fisher), Raphael (Alan Ritchson) und Donatello (Jeremy Howard) wollen das verhindern. Dabei helfen ihnen die aus dem ersten Film bekannte Journalistin April O’Neil (Megan Fox), ihr ebenfalls aus dem ersten Film bekannter Kollege Vern Fenwick (Will Arnett) und, als Neuzugang, Casey Jones (Stephen Amell), ein Gefängniswärter mit höheren Ambitionen. Er ist extrem verärgert, weil Shredder aus seinem Gefangenentransport entwischte.

Die Teenage Mutant Ninja Turtles hatten, falls ihr es nicht wisst, ihren ersten Auftritt 1984 in einem Comic von Kevin Eastman und Peter Laird. Die Parodie auf Comics wie Daredevil oder The New Mutants (ein X-Men-Ableger) war enorm erfolgreich. Seitdem gab es mehrere Filme, TV-Serien, Videospiele, weitere Comics und Merchandise-Artikel, von Figuren bis zu Gummibärchen, die man an die Wand werfen konnte. In den USA sind die Turtles Kult. Bei uns nicht so.

2014 produzierte Michael Bay, der mit den Transformers schon ein anderes kindisches, aber kommerziell enorm erfolgreiches Franchise hat, die filmische Totalkatastrophe „Teenage Mutant Ninja Turtles“ mit Megan Fox als Reporterin, die behauptet, bei einem ihrer nächtlichen Streifzüge durch New York einen Haufen riesiger Schildkröten gesehen zu haben, die einige Verbrecher verkloppen.

Out of the Shadows“ ist da ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist ein besserer Film, aber noch lange kein guter oder in irgendeiner Beziehung sehenswerter und ansehenswerter Film.

Logik, egal in welcher Beziehung und Bedeutung, ist immer noch ein Fremdwort im Turtles-Kosmos. Aber immerhin ist der Plot dieses Mal einfacher und damit als episodenhafte Nummernrevue, inclusive einem Trip nach Südamerika, auch stringenter erzählt. Es geht halt nur noch um einen Bösewicht, der die Welt vernichten will und die Helden, die das verhindern wollen. Dabei haben sie ein wenig internen Knatsch. Denn die Turtles streiten sich etwas die Führung des Teams, den richtigen Weg der Verbrechensbekämpfung und das Ernten des öffentlichen Ruhms, was den Filmtitel „Out of the Shadows“ und hinein in das gleißende Licht der Öffentlichkeit erklärt. Diese Soap-Elemente bringen die Hauptgeschichte nicht voran und tiefschürender als eine Pfütze sind sie auch nicht. Der Humor ist, wieder, durchgehend nervig kindisch.

Die CGI-Effekte sind gut. Aber die Actionszenen sind, wieder einmal, ein einziges Chaos, bei dem es ohne Sinn und Verstand drunter und drüber geht.

Out of the Shadows“ ist „frei ab 12 Jahre“. Dummerweise ist er „geeignet bis höchstens 12 Jahre“.

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Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows (Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows, USA 2016)

Regie: Dave Green

Drehbuch: Josh Applebaum, André Nemec

mit Megan Fox, Will Arnett, Pete Ploszek, Noel Fisher, Alan Ritchson, Jeremy Howard, Stephen Amell, Brian Tee, Stephen Farrelly, Gary Anthony Williams, Laura Linney, Tyler Perry, Brittany Ishibashi, Jane Wu

Länge: 113 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“

Metacritic über „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“

Rotten Tomatoes über „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“

Wikipedia über „Teenage Mutant Ninja Turtles: Out of the Shadows“

Meine Besprechung von Jonathan Liebesmans „Teenage Mutant Ninja Turtles“ (Teenage Mutant Ninja Turtles, USA 2014)


Neu im Kino/Filmkritik: WammBammBumms, die „Teenage Mutant Ninja Turtles“ sind da

Oktober 16, 2014

Als die Turtles 1990 zum ersten Mal die deutschen Kinos eroberten, begeisterten sie vor allem Kinder irgendwo zwischen Kindergarten und erster Klasse. Die waren auch begeistert von den Turtles-Gummibärchen, die sie an die nächste Wand werfen konnten, wo sie, bis sie gegessen wurden, kleben blieben.
Jetzt dürfte es ähnlich sein. Denn „Teenage Mutant Ninja Turtles“ ist vor allem kindisch auf eine uncharmant-nervtötende Weise. Außerdem beweist „Zorn der Titanen“-Regisseur Jonathan Liebesman in seinem neuesten Film, dass man für einen waschechten Michael-Bay-Film nicht unbedingt Michael Bay als Regisseur braucht. Produktion reicht auch. Denn „Teenage Mutant Ninja Turtles“ ist „Transformers“ mit mutierten Schildkröten. Sogar Megan Fox darf wieder mitspielen. Also mit einem möglichst intelligentem Gesichtsausdruck durch das Bild laufen, ihren Kollegenfreund Will Arnett becircen (wegen Fahrgelegenheit und Filmkamera) und sich von Whoopi Goldberg die Leviten lesen lassen. Die Story ist eine lieblose Aneinanderreihung von Szenen, die man kaum Story nennen kann und die die Origin-Story der mutierten Schildkröten „erzählt“.
Also: New York leidet unter einer Kriminalitätswelle für die Shredder und seine Leute verantwortlich sind. Der Unternehmer Eric Sacks (William Fichtner) erklärt sich bereit, die Polizei finanziell und mit seinen Produkten zu unterstützen. Gleichzeitig entdeckt die junge, ambitionierte TV-Reporterin April O’Neil (Megan Fox) bei einem ihrer nächtlichen Ausflüge eine Gruppe Maskierter, die einige Bösewichter verkloppen. Irgendwie sehen sie wie Schildkröten aus und sie hinterlassen rätselhafte Zeichen. Boulevard-Journalistin April weiß, dass sie gerade ihre große Story entdeckt hat.
Als sie ihrer cholerisch-scharfzüngige Chefredakteurin (Whoopi Goldberg) diese Gaga-Story über Krimininalitätsbekämpfer in Schildkrötenkostümen erzählt, wird sie von ihr vor versammelter Mannschaft abgebügelt. Natürlich sucht April weiter nach den Schildkröten, die sie auch schnell entdeckt: es sind mutierte Tiere, die seit Jahren zusammen mit ihrem Lehrer Master Splinter, einer mutierten Ratte,  in der Kanalisation überleben, nachdem das Forschungslabor, in dem sie gezüchtet wurden, abbrannte. Es war – Überraschung! – ein Labor, das von Sacks und Aprils Vater betrieben wurde und in dem April als Kind die Tiere pflegte, wofür die Turtles ihr noch heute dankbar sind. Bei dem Feuer starb Aprils Vater. Oh, und das Feuer wurde von Sacks gelegt. Denn, das ist jetzt aber keine Überraschung, Sacks ist der Bösewicht, der mit Shredder auch hinter der Verbrechenswelle steckt. Sein Angebot, der Polizei zu helfen, ist dabei nur der perfide Plan, um die Herrschaft über die Stadt zu erlangen.
Und den Rest könnt ihr euch jetzt wahrscheinlich denken. Jedenfalls rumpelt die Story lärmig in lieblos zusammengepappten Szenen zum finalen Showdown. Es gibt infantile Sprüche der vier titelgebenden „Teenage Mutant Ninja Turtles“. Es gibt hoffnungslos konfuse, schnell vergessene Action-Szenen und irgendwann zwischen zwei Bildern verschwindet dann auch die oberste Gehilfin des Bösewichts (Minae Noji). Früher hatten wichtige Bösewichter noch einen eindrucksvollen Abgang.
Sowieso wirkt „Teenage Mutant Ninja Turtles“ wie eine lieblose Aneinanderreihung von nicht erinnerungswürdigen Set Pieces, die ohne ein Drehbuch aneinandergereiht wurden. Liebesmans Werk markiert, neben Michael Bays „Transformers: Ära des Untergangs“, den absoluten Tiefpunkt des diesjährigen, weitgehend gelungenen Blockbuster-Sommers.

Teenage Mutant NinjaTurtles - Plakat

Teenage Mutant Ninja Turtles (Teenage Mutant Ninja Turtles, USA 2014)
Regie: Jonathan Liebesman
Drehbuch: Josh Applebaum, André Nemec, Evan Daugherty
LV: Charaktere von Kevin Eastman und Peter Laird
mit Megan Fox, Will Arnett, William Fichtner, Alan Ritchson, Noel Fisher, Pee Ploszek, Jeremy Howard, Abby Elliott, Minae Noji, Whoopi Goldberg, Tohoru Masamune
Länge: 102 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Teenage Mutant Ninja Turtles“
Moviepilot über „Teenage Mutant NinjaTurtles“
Metacritic über „Teenage Mutant Ninja Turtles“
Rotten Tomatoes über „Teenage Mutant Ninja Turtles“
Wikipedia über „Teenage Mutant Ninja Turtles“ (deutsch, englisch)


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