Seit zwanzig Jahren wartet Penelope (Juliette Binoche) auf die Rückkehr ihres Mannes Odysseus. Er machte sich damals auf eine heute noch, wenigstens bei dem Bildungsbürgetum, bekannte kriegerische Reise. Inzwischen ist sein Reich heruntergekommen. Das Land ist verödet. Dutzende Freier, mehr Gewalt suchende Halbstarke als künftige edle Anführer, lungern vor Penelopes Haus herum. Sie hoffen, dass sie einen von ihnen als ihren Gemahl und und künftigen König wählt. Odysseus‘ Reich verharrt zwischen betäubendem Stillstand und langsamem Untergang.
Eines Tages kehrt Odysseus (Ralph Fiennes) zurück. Aber anstatt sofort zu Penelope zu eilen, beobachtet der von zahllosen Kämpfen gezeichnete müde alte Mann, der nicht mehr töten will, das ihm fremde Treiben auf der Insel.
Uberto Pasolinis „Rückkehr nach Ithaka“ ist top besetzt und farbenprächtig unter südlicher Sonne inszeniert. Aber seine Noir-Interpretation eines Teils der in einer Welt ohne Götter und mythische Wesen spielenden deprimierenden Zustandsbeschreibung ist auch ein etwas monothematisch geratener Sandalenfilm.
Rückkehr nach Ithaka(The Return, Italien/Griechenland/Großbritannien/Frankreich 2024)
Regie: Uberto Pasolini
Drehbuch: John Collee, Edward Bond, Uberto Pasolini
mit Ralph Fiennes, Juliette Binoche, Charlie Plummer, Marwan Kenzari, Claudio Santamaria, Angela Molina
Nein, die Überschrift ist kein Spoiler, sondern die Prämisse des Films: in einer dystopischen USA müssen jedes Jahr fünfzig, zufällig ausgeloste Jungen ihren Bundesstaat bei einem Marsch vertreten. Der Marsch endet, wenn nur noch einer lebt.
Stephen King schrieb die Geschichte bereits 1966/67. Damals war er Freshman an der Universität. Er veröffentlichte sie 1979 als Richard Bachman. Francis Lawrence, der Regisseur von vier (von fünf) „Die Tribute von Panem“-Filmen verfilmte den düsteren Roman über ein gnadenloses Auswahlverfahren als überraschend düsteren Film und ohne offensichtliche Aktualisierungen. Es ist unklar, wann der Film spielt. Nichts weißt auf die Gegenwart oder die nahe Zukunft hin. Alles sieht so aus, wie es schon zur Entstehungszeit des Romans aussah. Über die Gesellschaft, die den alljährlichen Todesmarsch gutheißt, erfahren wir auch nichts.
Vertreten wird das Regime durch den Major (Mark Hamill). Er erfand den Todesmarsch. Jetzt hält er gegenüber den Jungen während des Marsches immer wieder kernig-salbungsvolle Reden, die direkt aus dem Redenplatitütdenbuch für Offiziere stammen könnten und mit denen junge Männer in den Tod geschickt werden. King und Lawrence legen sich allerdings nicht auf eine Interpretation fest. Sie konzentrieren sich auf die den Wettbewerb, der letztendlich nur fünfzig Tote kennt.
Die Geschichte ist, ausgehend von der Prämisse und der anfänglichen Vorstellung der Todeskandidaten, absolut vorhersehbar. Überraschend ist nicht, wer überlebt (und einen Akt sinnlosen Widerstands leistet), sondern höchstens wer wann einen sinnlosen, aber den Regeln gehorchenden Tod stirbt. Die Regeln sind denkbar einfach: wer zu langsam geht, wird verwarnt. Wer dreimal verwarnt wurde, scheidet aus.
Trotzdem ist der erste Tod ein Schock. Als einer der Teilnehmer zu langsam geht, erhält er schnell hintereinander drei Verwarnungen und wird von einem gesichtslosen Soldaten, entsprechend den Regeln, erschossen. Ab dem Moment ist klar, dass Francis Lawrence nichts beschönigen oder heroisieren wird. Wer zu langsam geht, wird erschossen. Warum er zu langsam geht, ist egal. Die Notdurft wird während des Gehens verrichtet. Wunden, Krämpfe und Blasen werden ignoriert. Geschlafen wird bestenfalls im Gehen.
Beim Gehen unterhalten sich die Teilnehmer über ihr Leben und ihre Wünsche. In diesen Momenten werden sie zu Individuen. Sie kommen sich auch näher – und wissen, dass dies nur eine Freundschaft für wenige Stunden ist.
Die Landschaft durch die sie dabei marschieren ist das US-amerikanische Hinterland mit Feldern so weit das Auge reicht. Am Straßenrand stehen manchmal abrissreife Bretterbuden und ausgeschlachtete Schrottautos. Es ist ein menschenleerer Landstrich, der den Abstieg hinter sich hat. Auch das Wetter passt sich der allgemeinen Trostlosigkeit an.
Hoffnungsloser war schon seit Ewigkeiten kein Hollywood-Mainstreamfilm mehr. „The long walk – Todesmarsch“ hat keine tröstliche Botschaft, keinen Ausweg und auch keine glänzende Oberfläche, die einen über die nihilistische Botschaft hinwegsehen lassen könnte. War in den „Die Tribute von Panem“-Dystopien der tödliche Wettbewerb noch ein vor großer Kulisse inszeniertes Spektakel, ist in „The long Walk“ der Tod nicht mehr als eine Blutlache auf einer einsamen Landstraße.
Francis Lawrence zeigt in seinem neuesten, strikt chronologisch gedrehtem Drama nur fünfzig junge Männer, die durch eine langweilige Landschaft marschieren und sterben. Das ist nicht schön oder heroisch, aber absolut sehenswert.
The long Walk – Todesmarsch(The long Walk, USA 2025)
Regie: Francis Lawrence
Drehbuch: JT Mollner
LV: Richard Bachman (Pseudonym von Stephen King): The long Walk, 1979 (Todesmarsch)
mit Cooper Hoffman, David Jonsson, Garrett Wareing, Tut Nvuot, Charlie Plummer, Ben Wang, Roman Griffin Davis, Jordan Gonzalez, Joshua Odjick, Josh Hamilton, Judy Greer, Mark Hamill
Die meisten Kritiken sind nicht sonderlich freundlich, aber ich fand „Moonfall“, den neuen Film von Roland Emmerich, überraschend gelungen. Natürlich ist es kein Meisterwerk, kein Filmkunstwerk und er wird zum Jahresende auch in keinen Jahresbestenlisten auftauchen. Die Dialoge und die Tricks sind oft schlecht. Die Story ist vollkommen gaga. Es geht darum, dass der Mond seine Umlaufbahn verlässt und auf die Erde stürzt.
Als erstes entdeckt das Dr. K. C. Houseman (John Bradley; natürlich nur ein selbsternannter Doktor und der typische dickliche Nerd). Die NASA ignoriert diese durchgeknallte, offensichtlich verrückte Witzfigur zunächst. Aber dann kann auch sie die nahende Kollision nicht mehr leugnen. Als der Chef der Weltraumbehörde das erkennt, übergibt er sofort seiner Stellvertreterin Jocinda ‚Jo‘ Fowler (Halle Berry) den Job und haut ab. Jetzt soll sie die unaufhaltsame Katastrophe verhindern oder sie gegenüber der Presse verteidigen.
Inzwischen konnte Houseman den Ex-Austronauten Brian Harper (Patrick Wilson) von seinen Berechnungen überzeugen. Ihnen gelingt es Harpers ehemalige Kollegin Fowler zu überzeugen und sie entwerfen einen Plan. Mit einem alten Space-Shuttle könnten sie zum Mond fliegen und ihn mit der Hilfe einer neuen und ultrageheimen EMP-Waffe in seine alte Umlaufbahn zurückbefördern. Damit das funktioniert, ist ein Low-Key-Technikansatz nötig.
Buchstäblich in letzter Sekunde machen sich Fowler, Harper und Houseman auf den Weg zum Mond – und in das Innere des Mondes.
Spätestens in diesem Moment lässt Emmerich alle Vernunft fahren. Und ich könnte problemlos einen Totalverriss schreiben. Und ihn mühelos mit all den Filmen garnieren, die Emmerich zitiert. Inclusive seiner eigenen Filme, aber dieses Mal ohne die Zerstörung des Weißen Hauses. Dafür befördert er ein New Yorker Wahrzeichen in die Horizontale.
Emmerich erzählt seine hanebüchene, aber auch wahnsinnig unterhaltsame Geschichte flott in zwei Stunden. Die kollektiven Plünderungen, die es nach der Nachricht von der nahenden Katastrophe gibt, werden in einem kurzen Newssegment abgehandelt; so nach der „Ihr wisst ja was passiert, daher muss ich es nicht länger ausführen“-Methode. Die Zerstörung der Welt erfolgt ebenfalls schnell, weil der Mond sich schnell der Erde nähert. Die Helden sind eine muntere Truppe. Und damit meine ich nicht nur unsere drei Mondreisenden, sondern auch deren Familien, die derweil auf der Erde um ihr Überleben kämpfen.
„Moonfall“ ist Big-Budget-Blockbuster-Katastrophenkino, der auf ein möglichst großes globales Publikum zielt. Das erklärt dann auch einige Entscheidungen zur Geschichte, den Handlungsorten und der Besetzung. Deshalb setzt sich die Besetzung meist aus den größten Stars der Zielmärkte zusammen und, weil China inzwischen für Hollywood ein wichtiger Markt ist, ist inzwischen auch immer etwas für den chinesischen Markt dabei. Es sind auch immer einige Altstars dabei, die das ältere Publikum ansprechen sollen. Das ist eine von ökonomischen Gesichtspunkten diktierte Diversität, die es schon immer in Katastrophenfilmen gab.
Auch Emmerich folgt diesen Regeln. Trotzdem setzt er eigene Akzente und teilweise unterläuft er die Regeln und Sehgewohnheiten fast schon subversiv.
Es sind diese kleinen Details, die Emmerich von anderen Big-Budget-Regisseuren, wie Michael Bay, unterscheidet. So erhält Jocinda Fowler (Halle Berry) in dem Moment das Kommando, als ihr Chef (ein nicht ganz so alter weißer Mann) bemerkt, dass sich gerade eine Katastrophe anbahnt, für die er definitv nicht die Verantwortung übernehmen will. So ist Brian Harpers Ex-Frau inzwischen mit Tom Lopez (Michael Peña) verheiratet. Der Latino ist ein erfolgreicher mittelständischer Geschäftsmann und liebevoller Vater. Er ist auf den ersten und zweiten Blick ein Vorzeigebürger, der samstags sicher den Rasen vor dem Haus mäht. Die Chinesen, die bei der Mondmission mithelfen, werden nur erwähnt, aber nicht prominent ins Bild gebracht. Die Bösewichter, also die Plünderer und bewaffneten Räuber, sind durchgängig Weiße. Das Militär, das mit Atombomben den Mond gerne in seine Umlaufbahn zurückschicken würde und dafür etwaige Kollateralschäden auf der Erde in Kauf nimmt, wird an die Seitenlinie verbannt. Und das Ende, das hier nicht verraten werden soll, ist anders als erwartet.
Viele Besetzungsentscheidungen können natürlich mit dem seit Jahren erkennbaren Trend zu mehr Diversität im Blockbusterkino erklärt werden. Disney und Marvel tun es und veröffentlichen jedes Mal lange Statements darüber. Allerdings besetzte Emmerich, der als Einwanderer in die USA einen anderen Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft als ein gebürtiger US-Amerikaner hat, schon immer so. Das bekannteste Beispiel für diese Art der Rollenbesetzung ist in „Indepence Day“ die Besetzung des Retters der Welt mit dem damaligen TV-Serienschauspieler Will Smith. Damals war das eine Rolle, die exclusiv für einen weißen Schauspieler reserviert war. Emmerich zeichnet in den Haupt- und Nebenrollen oft auch einige Klischeecharaktere anders, als man es aus anderen Blockbustern kennt. So ist der Protagonist in „The Day after Tomorrow“ ein Schüler, der in New York an einer Wissensolympiade teilnimmt und sich vor den Folgen des Klimawandels in der Bibliothek versteckt, mit einer Bibliothekarin, einem Obdachlosen und einem Büchernarr. Also den Nerds, die man so in jeder öffentlichen Bibliothek antrifft und die in einem normalen Katastrophenfilme als erste sterben.
Das sind, wie gesagt, alles Details, über die Emmerich in Interviews und im Pressematerial nicht weiter spricht und die nichts daran ändern, dass „Moonfall“ lautes Katastrophenkino ist, das Wahrscheinlichkeit, Logik, Mathematik und Physik achselzuckend ignoriert zugunsten des Versprechens, einfach zwei Stunden Spaß zu haben.
P. S.: Im Film gibt es kein „Bad Moon Rising“. Dafür wird über „Africa“ diskutiert.
Moonfall(Moonfall, USA/Kanada/China 2022)
Regie: Roland Emmerich
Drehbuch: Roland Emmerich, Harald Kloser, Spenser Cohen
mit Halle Berry, Patrick Wilson, John Bradley, Charlie Plummer, Kelly Yu, Carolian Bartczak, Eme Ikwuakor, Michale Peña, Donald Sutherland
Irgendwann während des Films fragte ich mich, was eigentlich aus der Getty-Familie und ihrem Vermögen wurde. Dabei war J. Paul Getty (15. Dezember 1892 – 6. Juni 1976) einmal der reichste lebende Amerikaner und wahrscheinlich auch der reichste Mensch auf der Erde. Er war ein Öl-Tycoon und Geizkragen vor dem Herrn. Die Entführung seines sechzehnjährigen Enkels Paul Getty (bzw. genaugenommen John Paul Getty III) am 10. Juli 1973 in Rom ging um die Welt. Es war in einer Zeit als Entführungen zum Geschäft von Terrorgruppen und Verbrecherbanden gehörten, eine der wenigen Geiselnahmen, über die noch Jahre danach gesprochen wurde.
Die Gründe dafür sind offensichtlich: das Opfer, seine Familie und der Verlauf der Geiselnahme. Denn J. Paul Getty weigerte sich, das geforderte Lösegeld von 17 Millionen Dollar zu zahlen. Zuerst weil er vermutete, dass sein Enkel gar nicht entführt wurde, später weil dann alle seine Enkel entführt würden und er dafür bezahlen müsste. Nach zähen Verhandlungen, begleited von einer großen Medienöffentlichkeit, und der Zahlung eines wesentlich geringeren Lösegelds von etwa drei Millionen Dollar kam Paul Getty am 15. Dezember 1973 frei. Davor – und das ist die schlimmste Szene des Films – wurde ihm sein rechtes Ohr abgeschnitten.
In seinem neuen Film „Alles Geld der Welt“ konzentriert Ridley Scott sich, nach einem Drehbuch von David Scarpa („Die letzte Festung“, „Der Tag, an dem die Erde stillstand“), auf diese Geiselnahme ohne sie erzählerisch in den Griff zu bekommen. Weil er sich nie entscheiden kann, aus welcher Perspektive er seine Geschichte erzählen möchte, verheddert er sich schnell zwischen seinen verschiedenen Erzählsträngen. Er mäandert zwischen den Geschichten von J. Paul Getty, Paul Getty, Gail Harris, Fletcher Chace, Cinquata und der normalen Polizeiarbeit hin und her, ohne dass sich ein Hauptplot herausschält, an dem sich alle anderen Plots als Nebengeschichten orientieren könnten. Es ist auch nie klar, was Scott erzählen will. Soll „Alles Geld der Welt“ eine Meditation über Geld und Reichtum, ein Entführungsthriller, eine Familiengeschichte oder die Geschichte einer Person sein? Denn jede Person und jeder Erzählstrang könnte fast mühelos fast vollständig aus dem Film herausgeschnitten werden, ohne dass man beim restlichen Film viel verändern müsste.
Als Ensemblestück funktioniert „Alles Geld der Welt“ auch nicht. Ein gelungenes Ensemblestück hat ebenfalls einen zentralen Charakter und ein Thema, um das alle Plots und Szenen kreisen.
Scott beginnt seinen Film mit Paul Getty (Charlie Plummer). Er wird in Rom entführt und nach Kalabrien gebracht. Er ist sogar über eine große Strecke des Films der Voice-Over-Erzähler. Aber irgendwann in der Mitte des Films verstummt er.
Bis dahin hat er uns viel über den finanziellen Aufstieg seines Großvaters, die Beziehung seiner Eltern Gail Harris (Michelle Williams) und John Paul Getty II (Andrew Buchan) zu ihm und ihre desaströse Beziehung erzählt. Einiges davon ist später für die Filmgeschichte wichtig. Viele Informationen sind allerdings nur belanglose Hintergrundinformationen, die Christopher Plummer die Gelegenheit geben, an verschiedenen Orten jüngere Version von J. Paul Getty zu spielen.
1973 lebt J. Paul Getty schon seit Jahren auf seinem Landsitz Sutton Place. Dort besucht ihn Gail Harris. Sie, inzwischen geschieden, hat nicht das geforderte Lösegeld. Aber J. Paul Getty könnte das Lösegeld für seinen Lieblingsenkel mühelos bezahlen. Er lehnt ab und beauftragt seinen Sicherheitsberater, den ehemaligen CIA-Agenten Fletcher Chace (Mark Wahlberg), sich um die Entführung zu kümmern. Chace soll seinen Enkel möglichst billig, am besten ohne dass er einen Cent bezahlen muss, befreien.
Chace böte sich, wie man es von einer klassischen Privatdetektivgeschichte kennt, als Erzähler und Führer durch die seltsame Welt der Gettys zwischen unermesslichem Reichtum und emotionaler Kälte an. Aber über weite Strecken des Films lungert Chace einfach nur in dem Film herum, ohne etwas zur Handlung beizutragen. Er muss uns auch nicht die Geschichte von Gettys Vermögen erzählen. Das hat der entführte Paul Getty bereits erledigt.
Während Chace in und um Rom herum falsche Spuren verfolgt, freundet Paul Getty sich mit einem seiner Entführer an. Cinquanta (Romain Duris) versucht ihm dann auch zu helfen, während die anderen Entführer Paul Getty an höherrangige ‚Ndrangheta-Mitglieder verkaufen (Yep, Entführung war damals ein Geschäft). Die sehen Paul Getty nur als Investition, die bei Bedarf abgeschrieben werden kann.
Das alles plätschert, durchaus gut gespielt und immer wieder mit interessanten Szenen, über zwei Stunden vor sich hin, ohne dass jemals das Potential der Geschichte in irgendeine Richtung auch nur halbwegs ausgelotet wird. Denn dafür hätten Autor Scarpa und Regisseur Scott Entscheidungen treffen müssen.
„Alles Geld der Welt“ ist – und das muss spätestens am Ende der Besprechung erwähnt werden – der Film, der Monate nach den Dreharbeiten, sechs Wochen vor dem Kinostart im Dezember, während die Werbemaschne schon auf Hochtouren lief, einen Darsteller ersetzte. Eine Verschiebung des Starttermins kam in dem Moment nicht in Frage. Schließlich sollte „Alles Geld der Welt“ bei der gerade anlaufenden Preisverleihungssaison einige Preise erhalten und von dem Rummel um die Nominierungen und Verleihungen profitieren. Bis jetzt gab es neun Nominierungen. Fünf, davon eine Oscar-Nominierung, für Christopher Plummer. Zwei für Ridley Scott. Außerdem ist, und das ist der zweite wichtige Grund, der gegen eine Verschiebung des Starttermins sprach, für Ende März der Start der zehnteiligen FX-Serie „Trust“ von Danny Boyle angekündigt. Sie erzählt ebenfalls die Geschichte der Getty-Entführung.
Der ersetzte Schauspieler ist Kevin Spacy. Er spielte J. Paul Getty. Als Vorwürfe gegen ihn wegen fortgesetzter sexueller Belästigung öffentlich wurden, wurden die Dreharbeiten für die letzte Staffel der erfolgreichen Netflix-Serie „House of Cards“ gestoppt. Die Macher entschlossen sich, die Staffel ohne ihn zu beenden und schrieben neue Drehbücher.
Ridley Scott veranlasste für seinen Film einen teuren Nachdreh mit Christopher Plummer als J. Paul Getty. Plummer war auch seine ursprüngliche Wunschbesetzung. Mit ihm und Gail-Harris-Darstellerin Michelle Williams und Fletcher-Chace-Darsteller Mark Wahlberg wurden die Spacey-Szenen mit Plummer innerhalb weniger Tage neu gedreht und in den Film hineingeschnitten. Der Grund für diesen radikalen und nicht unumstrittenen Schritt war, dass Scott eine objektive Betrachtung des Films wollte. Es sollte nicht über Kevin Spacey, sondern über den Film geschrieben werden. Es sollte nicht zu einem Backlash kommen, der, befeuert durch Boykott-Aufrufe, den finanziellen Erfolg des Films gefährdet.
Boykott-Aufrufe gab es nicht, aber ein finanzieller Erfolg wurde „Alles Geld der Welt“ bis jetzt auch nicht.
Alles Geld der Welt (All the Money in the World, USA 2017)
Regie: Ridley Scott
Drehbuch: David Scarpa
LV: John Pearson: All the Money in the World; Painfully Rich, 1995 (Alles Geld der Welt)
mit Michelle Williams, Christopher Plummer, Mark Wahlberg, Charlie Plummer, Romain Duris, Andrew Buchan, Timothy Hutton, Stacy Martin, Giuseppe Bonifati, Charlie Shotwell
Länge: 133 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Buchhinweis
Pünktlich zum Kinostart erschien bei HarperCollins die deutsche Ausgabe von John Pearsons Biographie über Jean Paul Getty, der seinen erste Vornamen normalerweise auf „J.“ abkürzte, auf Deutsch. Die Entführung, die im Mittelpunkt des Films steht, macht mit vierzig Seiten nur einen kleinen Teil der umfangreichen Biographie über Jean Paul Getty und seine Familie, die vom Pech verfolgte ‚Getty-Dynastie‘, aus, die nach seinem Tod wenig bis nichts von seinem Vermögen erhielt. Sein gesamtes persönliches Vermögen ging, ohne irgendeine Bedingung, an das J. Paul Getty Museum in Malibu. Das von seinem persönlichem Vermögen sauber in einem Trust getrennte Vermögen ging dann, Jahre nach seinem Tod, an einige seiner Nachkommen.
Wenn man sich die Seiten über die Entführung durchliest, hätte man Gettys Entführung auch als Schwarze Komödie oder Satire über Unfähigkeit auf verschiedenen Ebenen verfilmen können. So war Chace „wahrscheinlich jedoch der schlechteste Botschafter, den der alte Mann sich hätte aussuchen können“. Er war „ein ziemlicher Verschwörungstheoretiker“, der kein Italienisch sprach und mit den Entführen spanisch reden wollte. Die postalische Zustellung des abgeschnittenen Ohrs dauerte drei Wochen. Und die Carabinieri hätten „den Fall nicht einmal dann (…) lösen können, wenn Paul von Donald Duck gefangen gehalten worden wäre“.
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John Pearson: Alles Geld der Welt
(übersetzt von Claudia Heuer)
HarperCollins, 2018
432 Seiten
14,99 Euro
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Ursprünglich erschien Pearsons Buch 1995 bei Macmillan als „All the Money in the World“. 2017 erschien bei William Collins unter dem Titel „Painfully Rich“ eine erweiterte Neuausgabe.
Für die deutsche Ausgabe wurde die aktuellste Ausgabe mit einer vierseitigen Nachschrift von John Pearson zur Neuausgabe zum Filmstart genommen.