Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods, Mark Heyman (nach einer Geschichte von Scott Beck und Bryan Woods)
LV: Stephen King: The Boogeyman, 1973 (Kurzgeschichte, Cavalier 1973) (Das Schreckgespenst) (später erschienen in dem Sammelband „Nightshift“, 1978 [Nachtschicht])
Nach dem Suizid eines Patienten richtet sich im Schrank des Kinderzimmers des Hauses von Dr. Harper der titelgebende „Boogeyman“ ein und ängstigt Harpers beiden Töchter. Harpers älteste Tochter will ihre kleine Schwester beschützen.
TV-Premiere. „The Boogeyman“ besteht aus vertrauten Elementen, die in der vertrauten Reihenfolge mit weitgehend vertrauten Schreckmomente (es geht doch nichts über plötzliche laute Geräusche und plötzlich auftauchende monströse Monsterfinger) präsentiert werden.
(übersetzt von Barbara Heidkamp, Harro Christensen, Michael Kubiak, Karin Balfer, Ulrike A. Pollay, Sabine Kuhn, Ingrid Herrmann, Wolfgang Hohlbein, Bernd Seligmann und Stefan Sturm)
Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods, Mark Heyman (nach einer Geschichte von Scott Beck und Bryan Woods)
LV: Stephen King: The Boogeyman, 1973 (Kurzgeschichte, Cavalier 1973) (Das Schreckgespenst) (später erschienen in dem Sammelband „Nightshift“, 1978 [Nachtschicht])
Nach dem Suizid eines Patienten richtet sich im Schrank des Kinderzimmers des Hauses von Dr. Harper der titelgebende „Boogeyman“ ein und ängstigt Harpers beiden Töchter. Harpers älteste Tochter will ihre kleine Schwester beschützen.
TV-Premiere. „The Boogeyman“ besteht aus vertrauten Elementen, die in der vertrauten Reihenfolge mit weitgehend vertrauten Schreckmomente (es geht doch nichts über plötzliche laute Geräusche und plötzlich auftauchende monströse Monsterfinger) präsentiert werden.
(übersetzt von Barbara Heidkamp, Harro Christensen, Michael Kubiak, Karin Balfer, Ulrike A. Pollay, Sabine Kuhn, Ingrid Herrmann, Wolfgang Hohlbein, Bernd Seligmann und Stefan Sturm)
Stur wie ein Maultier macht Clint Eastwood einfach weiter. Schon seit Jahren stellt sich bei jedem neuen Eastwood-Film die Frage, ob es sein letzter Film ist. Und ein Jahr später läuft sein nächster Film im Kino. Nur Warner Bros, die Firma, mit der er seit Jahrzehnten zusammenarbeit und für die er ein Garant für gute Einnahmen ist, verhielt sich in den USA schäbig. Anstatt seinen neuesten Film „Juror #2“, wie gewohnt, regulär in die Kinos zu bringen, verbuddelte sie ihn in ihrem Streamingdienst Max und gab ihm einen Pseudo-Mini-Kinostart. So als ob die Namen „Clint Eastwood“ und „Nicholas Hoult“ nicht zugkräftig wären.
In Deutschland läuft der Gerichtsfilm, wie auch in anderen Ländern, regulär im Kino.
„Juror # 2“ ist Eastwoods 42. Film als Regisseur und es ist wieder ein gelungener Film. Es ist ein im positiven Sinn altmodischer Film, bei dem die Schauspieler und die Story im Mittelpunkt stehen. Die Bilder sind unauffällig und präzise komponiert. Auch wenn ein großer Teil des Films im Gericht spielt, gelingten Eastwood und seinem Kameramann Yves Bélanger (u. a. die Eastwood-Filme „The Mule“ und „Der Fall Richard Jewell“) Bilder, in denen man immer das gesamte Bild, also auch die Schauspieler, die gerade nichts sagen, im Auge behalten sollte. Den Schnitt übernahm, wie seit 1976 bei Eastwood-Filmen gewohnt, Joel Cox.
Die Story entwickelt sich von ihrer bestechend einfachen Prämisse auf weitgehend vertrauten Pfaden hin zu einem durchaus überraschendem Ende. Bis dahin stellt der Gerichtsfilm einige zum Nachdenken anregende Fragen. Die erste ist natürlich: Was würde ich tun?
Im Mittelpunkt der in der US-Provinz spielenden Geschichte steht der für ein regionales Lifestyle-Magazin schreibende Journalist Justin Kemp (Nicholas Hoult). Er ist ein trockener Alkoholiker, Mitglied bei den Anonymen Alkoholikern und glücklich verheiratet. Seine Frau ist schwanger. Gemeinsam freuen sie sich auf ihr gemeinsames Leben zu dritt. Er hat ein glückliches Leben verdient. Das Amt als Geschworener nimmt er an, weil es seine Pflicht als Bürger ist.
Als die Anklage den Geschworenen den Fall präsentiert, klappt ihm die Kinnlade runter. James Michael Sythe ist angeklagt, nach einem Streit in einer Bar seine Freundin ermordet zu haben. Sythe ist gewalttätig, cholerisch und vorbestraft. Ihm ist die Tat zuzutrauen und, nun, wenn er diese Tat nicht begangen hat, dann hat er bestimmt eine andere schlimme Tat begangen.
Kemp klappt die Kinnlade runter, weil er in der verregneten Oktobernacht ebenfalls in der Bar war und auf dem Heimweg über etwas fuhr. Er hielt an, sah nichts und fuhr nach Hause. Jetzt fragt er sich, ob er damals nicht ein Tier, das in den Wald weglief, sondern Kendall Carter überfuhr. Er fragt sich, was er tun soll, was er tun kann und ob er überhaupt etwas tun soll. Immerhin ist er nur einer der zwölf Geschworenen und es ist, so die Anklage, ein klarer Fall.
Der Kriminalfilm „Juror #2“ ist überaus gelungenes Schauspielerkino mit vielen bekannten und guten Schauspielern in teils kleinen, aber eindrücklichen Rollen. Neben Hoult spielen Toni Collette, J. K. Simmons, Kiefer Sutherland, Chris Messina und Zoey Deutch mit. Die von Jonathan Abrams geschriebene Geschichte entwickelt sich stringent und mit einigen überraschenden Wendungen bis zum letzten Bild.
Clint Eastwood braucht keine zwei Stunden, um diese Geschichte in all ihren Facetten zu erzählen. „Juror #2“ ist kein auf den ersten Blick erkennbares, alle Preise abräumendes Meisterwerk, aber es ist ein seiner Geschichte und den Schauspielern vertrauender Film, den man sich unbedingt im Kino ansehen sollte.
Nach dem etwas enttäuschenden und aus der Zeit gefallenen „Cry Macho“ wäre „Juror #2“, wenn es denn wirklich Eastwoods letzter Film ist, ein überaus würdiger Abschied.
Juror #2 (Juror #2, USA 2024)
Regie: Clint Eastwood
Drehbuch: Jonathan Abrams
mit Nicholas Hoult, Toni Collette, Zoey Deutch, Kiefer Sutherland, Gabriel Basso, Francesca Eastwood, Leslie Bibb, Chris Messina, J. K. Simmons, Amy Aquino
Für alle, die sich eben den Trailer angesehen haben und von dem dauerpräsenten „Wind of Change“ genervt waren. Der Scorpions-Song ertönt im Film nur einmal. Er wird von den ISS-Astronauten bei einer Kennenlern-Feier gesungen. Und da passt er sogar gut in die Filmgeschichte.
Die ist von Nick Shafir. 2020 stand sein Drehbuch auf der Black List, Hollywoods Liste der besten unverfilmten Drehbücher. Gabriela Cowperthwaite verfilmte es 2021. Umfangreiche, über ein Jahr dauernde Nachbearbeitungen folgten. Die Premiere war am 12. Juni 2023 auf dem Tribeca Film Festival. Und jetzt läuft der Weltraumthriller in unseren Kinos.
Der Thriller spielt ausschließlich auf der real existierenden Internationalen Raumstation ISS, die ab 1998 von der US-amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA, der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, der europäischen Raumfahrtagentur ESA und weiteren Raumfahrtagenturen betrieben wird. Seit 2000 arbeiten auf ihr dauerhaft, mal mehr, mal weniger Astronauten verschiedener Länder.
Im Film „I. S. S.“ sind es sechs Astronauten: drei aus den USA, drei aus Russland. Komplettiert wird die Besatzung am Filmanfang durch die US-amerikanische Wissenschaftlerin Dr. Kira Foster. Kurz nachdem sie sich als sechstes Stationsmitglied eingerichtet hat und es eine kleine die Freundschaft, die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt feiernde Kennenlern-Feier gibt, bricht auf der Erde ein Krieg aus. Während sie, Gordon Barrett, Christian Campbell, Weronika Vetrov, Nicholai Pulov und Alexey Pulov noch versuchen herauszufinden, was auf der Erde geschah, erhalten sie auf vertraulichen Kanälen von ihren jeweiligen Regierungen den Befehl, die Kontrolle über die Station zu übernehmen. Wie sie den Befehl ausführen, ist egal.
Und schon beginnen die drei amerikanischen und die drei russischen Wissenschaftler sich zu belauern. Ohne nennenswert zu Zögern und kaum behindert von freundschaftlichen und amourösen Banden versuchen sie sich umzubringen und so den Befehl auszuführen.
Dass die Astronauten mit einem Fingerschnipsen von nerdigen Wissenschaftlern zu eiskalten Killern werden, die teils elaborierte Mordpläne entwickeln, mag nicht besonders realistisch sein, kann aber für einen spannenden Thriller sorgen.
In diesem Fall gelingt das nicht wirklich. Dafür ist die Geschichte einfach in jeder Beziehung zu unglaubwürdig und zu konfus erzählt. Nerven tun in dem B-Picture die ständig leicht betrunken schwankende Kamera und die ebenso schwankenden Schauspieler, die so zeigen sollen, dass sie schwerelos durch die Station schweben.
I.S.S.(I.S.S., USA 2023)
Regie: Gabriela Cowperthwaite
Drehbuch: Nick Shafir
mit Ariana DeBose, Chris Messina, John Gallagher Jr., Masha Mashkova, Costa Ronin, Pilou Asbæk
In den vergangenen Jahrzehnten hat Stephen King, neben seinen Romanen, über zweihundert Kurzgeschichten und Kurzromane geschrieben, die sich alle für eine Verfilmung eignen. Trotztdem ist „Nachtschicht“, seine erste Sammlung von Kurzgeschichten, für Kino- und TV-Verfilmungen immer noch eine äußerst beliebte Sammlung von Kurzgeschichten. Sie wurden erstmals zwischen 1970 und 1978 in verschiedenen Magazinen veröffentlicht. In den USA erschien der Sammelband 1978. In Deutschland sechs Jahre später.
„Children of the Corn“, „Trucks“ (verfilmt von Stephen King als „Maximum Overdrive“ [Rhea M. – Es begann ohne Warnung]), „The Lawnmover Man“ (obwohl King erfolgreich gegen die Verwendung seines Namens klagte, weil der Film sich zu sehr von der Kurzgeschichte entfernte), „Graveyard Shift“ und „The Mangler“ (verfilmt von Tobe Hooper) basieren auf Geschichten aus dem Sammelband. Und jetzt „The Boogeyman“ (Das Schreckgespenst). Die Geschichte wurde bereits zweimal verfilmt. Beide Male als Kurzfilm. Und jetzt erstmals als Spielfilm.
Die Drehbuchautoren Scott Beck, Bryan Woods und Mark Heymen und Regisseur Rob Savage nahmen Kings Geschichte als Sprungbrett für ihre Geschichte. Eigentlich übernehmen sie nur die Ausgangslage. Nämlich die Situation, in der ein Mann gegenüber einem Psychiater sagt, er habe seine drei Kinder getötet und er könne nicht zur Polizei gehen, weil sie ihm nicht glauben werde. Und er hat Angst vor geschlossenen Schränken, weil sich in ihnen das Schreckgespenst befinden könnte. Dieses Gespenst ist dabei anscheinend nicht an einen Ort, sondern an eine Person gebunden.
Kings Kurzgeschichte „Das Schreckgespenst“ besteht nur aus dem ersten Gespräch zwischen dem Therapeuten Dr. Harper und seinem neuen Patienten Billings. Die Geschichte endet nach sechzehn Seiten mit einer fiesen Schlusspointe. King liefert schon davor eine Erklärung für den Geist, die heute ‚toxische Männlichkeit‘ genannt wird. Aber schon damals, in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren wurde das konservative Familienmodell und konservative Vorstellungen von Männlichkeit angegriffen. Und damit auch die Stellung und Rolle von Billings als Herr im Haus.
Rob Savage verlegte die letztendlich zeitlose Geschichte von dem Schreckgespenst im Schrank in die Gegenwart, erweiterte sie und veränderte das Thema. Bei ihm geht es um Trauer. Denn Dr. Harper hat erst vor kurzem seine Frau verloren. Er und seine beiden Töchter versuchen noch, den Verlust zu verarbeiten.
Lester Billings hat nur noch eine kleine Nebenrolle. Er bringt sich in den ersten Minuten des Films in Will Harpers Haus während ihrer ersten Begegnung um. Danach beginnt der titelgebende „Boogeyman“ Harpers Kinder, die zehnjährige Sawyer und, später, ihre sechzehnjährige Schwester Sadie zu ängstigen. Sadie will ihre kleine Schwester beschützen. Sie begibt sich auf die Suche nach den Ursprüngen des Boogeymans.
Die sich aus dieser Prämisse entwickelnde Geschichte folgt dann bis zum Finale dem sattsam bekannten Muster dieser Gespentergeschichten. Nur dass Savage seine Geschichte sehr langsam in eher dunklen Räumen erzählt.
„The Boogeyman“ besteht aus vertrauten Elementen, die in der vertrauten Reihenfolge mit weitgehend vertrauten Schreckmomente (es geht doch nichts über plötzliche laute Geräusche und plötzlich auftauchende monströse Monsterfinger) präsentiert werden.
Das ist kompetent gemacht, nie überraschend und, wegen des langsamen Erzähltempos, auch länglich. Es ist der Stoff eines Kurzfilms, der auf Spielfilmlänge gedehnt wird.
P. S.: ’nie überraschend‘ stimmt nicht so ganz. Denn am Ende gibt es eine kleine, sehr kleine, fast übersehbare Überraschung.
The Boogeyman (The Boogeyman, USA 2023)
Regie: Rob Savage
Drehbuch: Scott Beck, Bryan Woods, Mark Heyman (nach einer Geschichte von Scott Beck und Bryan Woods)
LV: Stephen King: The Boogeyman, 1973 (Kurzgeschichte, Cavalier 1973) (Das Schreckgespenst) (später erschienen in dem Sammelband „Nightshift“, 1978 [Nachtschicht])
mit Sophie Thatcher, Chris Messina, Vivien Lyra Blair, Marin Ireland, Madison Hu, LisaGay Hamilton, David Dastmalchian
Länge: 99 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
–
Die Vorlage
Wer hätte das vor über vierzig Jahren gedacht? Nämlich dass ein Buch, und dazu noch eine Kurzgeschichtensammlung (die als notorisch unverkäuflich eingeschätzt werden), seit seiner Erstaufflage im Original und in der Übersetzung nie ‚out of print‘ war? Im Fall von „Nachtschicht“ ist Stephen King genau das gelungen. Außerdem inspiriert diese Sammlung von zwanzig spannenden Kurzgeschichten immer noch Filmemacher. 2020 gab es eine neue, anscheinend grottenschlechte Verfilmung von „Children of the Corn“, jetzt eine von „The Boogeyman“ und dazwischen verschiedene Ein-Dollar-Verfilmungen. Das ist eine von Stephen King jungen Filmemachern gewährte Option: sie dürfen für einen eher symbolischen Dollar eine seiner Kurzgeschichten verfilmen. Es gibt nur eine Bedingung: sie dürfen ihren Film danach nur in einem sehr begrenzten, nicht-kommerziellem Rahmen aufführen. Und Stephen King sieht sich das Werk an.
Stephen Kings erste Sammlung von Kurzgeschichten enthält:
Briefe aus Jerusalem (Jerusalem’s Lot, 1978)
Spätschicht (Graveyard Shift, 1970)
Nächtliche Brandung (Night Surf, 1974)
Ich bin das Tor (I Am the Doorway, 1971)
Der Wäschemangler (The Mangler, 1972)
Das Schreckgespenst (The Boogeyman, 1973)
Graue Masse (Gray Matter, 1973)
Schlachtfeld (Battleground, 1972)
Lastwagen (Trucks, 1973)
Manchmal kommen sie wieder (Sometimes They Come Back, 1974)
Erdbeerfrühling (Strawberry Spring, 1975)
Der Mauervorsprung (The Ledge, 1976)
Der Rasenmähermann (The Lawnmower Man, 1975)
Quitters, Inc. (Quitters, Inc. 1978)
Ich weiß, was du brauchst (I Know What You Need, 1976)
Kinder des Mais (Children of the Corn, 1977)
Die letzte Sprosse (The Last Rung on the Ladder, 1978)
Der Mann, der Blumen liebte (The Man Who Loved Flowers, 1977)
Einen auf den Weg (One for the road, 1978)
Die Frau im Zimmer (The Woman in the Room 1978)
–
Stephen King: Nachtschicht
(übersetzt von Barbara Heidkamp, Harro Christensen, Michael Kubiak, Karin Balfer, Ulrike A. Pollay, Sabine Kuhn, Ingrid Herrmann, Wolfgang Hohlbein, Bernd Seligmann und Stefan Sturm)
Hätte mir vor wenigen Tagen jemand gesagt, dass ich mich für einen Film über einen Turnschuh und einen Werbevertrag interessieren könnte, hätte ich gesagt „Quatsch. Es gibt nichts, was mich weniger interessiert.“.
Nach dem fabelhaftem Trailer war ich dann gespannt auf den Film über Nike und Michael Jordan. „Air – Der große Wurf“ ist auch der neue Spielfilm von Ben Affleck. Der Schauspieler hat als Regisseur mit „Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel“ (2007), „The Town – Stadt ohne Gnade“ (2010), „Argo“ (2012) und „Live by Night“ (2016) eine makellose Filmographie. Da hätte mich sein neuer Film, das gebe ich unumwunden zu, in jedem Fall interessiert.
Sein Drama „Air – Der große Wurf“ erfüllt die Erwartungen, die der Trailer und sein Name wecken. Er erzählt die Vorgeschichte zu dem Vertrag zwischen Nike und Michael Jordan, aus der Sicht von dem Mann, der bei Nike den Vertrag einfädelte.
Nike befindet sich 1984 in einer finanziell unbefriedigenden Situation. Das Geschäft mit der Verpflichtung von Sportlern, bei Wettkämpfen und Spielen ihre Schuhe zu tragen und so Schuhe zu verkaufen, läuft schlecht. Trotzdem will Nike in der kommenden Saison wieder Sponsoring-Verträge mit mehreren Sportlern abschließen. Das Risiko wird gestreut. Aber Spitzensportler und Stars können so nicht eingekauft werden. Nike bedient sich an der Resterampe.
Da schlägt Sonny Vaccaro (Matt Damon), der Basketballexperte von Nike, einen neuen Ansatz vor: das gesamte Budget wird für einen Sportler ausgegeben. Michael Jordan, der damals am Anfang seiner Karriere stand, soll das sein. Vaccaro denkt, dass Jordan ein riesiges Potential hat.
Es gibt nur zwei Probleme: zuerst muss Vaccaro seine Vorgesetzten von seiner Idee überzeugen. Die sind davon nicht begeistert. Denn wenn Vaccaro sich irrt, wird das ein kostspieliger, die Firma gefährdender Irrtum sein.
Und Michael Jordan muss überzeugt werden. Sein Agent bereitet gerade Vertragsverhandlungen mit Adidas und Puma vor. Beide Firmen würden Jordan eine Summe zahlen, die über dem bei Nike verfügbarem Budget liegt. Außerdemn hat Jordan bereits öffentlich gesagt, er werde niemals bei Nike unterschreiben.
Affleck orientiert sich in seinem neuen Film an an neueren, auf wahren Ereignissen beruhenden Hollywood-Filmen, wie „The Big Short“, „Vice – Der zweite Mann“ und „Bombshell – Das Ende des Schweigens“. Im Gegensatz zu diesen Filmen, die über gesellschaftliche Missstände aufklären, geht es in „Air – Der große Wurf“ letztendlich um nichts. Denn ein Sponsoring-Vertrag zwischen einem Sportler und einer Firma, von dem beide profitieren, ist kein Skandal und nichts, was verändert werden muss. Denn Jordan schloss einen für sich sehr vorteilhaften Vertrag ab, der sich fundamental von den Verträgen unterschied, die andere Sportler vor ihm abschlossen.
Affleck erzählt diese Vertragsverhandlungen äußerst kurzweilig und satirisch zugespitzt aus der Sicht von Sonny Vaccaro und Nike. Michael Jordan, den in den USA jedes Kind kennt, tritt im Film nicht auf. Seine Mutter Deloris Jordan (Viola Davis), das Oberhaupt der Familie Jordan, führt die Verhandlungen. Das Erzähltempo ist hoch. Die Dialoge pointiert. Die hochkarätigen Schauspieler – neben Matt Damon und Viola Davis sind Ben Affleck, Jason Bateman, Chris Tucker und Chris Messina dabei – sind spielfreudig. Das Zeitkolorit ist stimmig. Alles sieht wie ein Dokumentarfilm aus den achtziger Jahren aus. Es gibt Bilder aus Nachrichtensendungen und Ausschnitte aus Videoclips, die nostalgische Gefühle wecken. Der Soundtrack besteht aus den damaligen Hits.
Da macht dann ein vollkommen kritiklos präsentiertes Stück Firmengeschichte über einen Sportler, einen Schuh und wie die profitable Partnerschaft zwischen Nike und Jordan begann, Spaß.
„Air – Der große Wurf“ ist ein kurzweiliger Werbefilm für Nike und eine Zeitreise in eine Zeit, als Telefone nur Telefone waren.
Air – Der große Wurf(Air, USA 2023)
Regie: Ben Affleck
Drehbuch: Alex Convery
mit Matt Damon, Ben Affleck, Jason Bateman, Chris Tucker, Viola Davis, Chris Messina, Marlon Wayans, Matthew Maher, Julius Tennon
2017 stand das Drehbuch für „Call Jane“ auf der Blacklist. Das ist eine Liste der besten Drehbücher, die in Hollywood zirkulieren, aber noch nicht verfilmt sind.
Jetzt kommt die Verfilmung des Buchs in die Kinos. Und nach einem im Juni 2022 erfolgtem Urteil des Supreme Courts ist die in den späten sechziger Jahren spielende Geschichte wieder brennend aktuell.
Joy Griffin (Elizabeth Banks) ist eine typische Vorstadt-Hausfrau, wie wir sie aus US-Filmen und US-TV-Familienserien, die in den Fünfzigern und Sechzigern spielen, kennen. Ihr Mann ist ein in der Kanzlei beliebter Anwalt, dem eine große Karriere prophezeit wird. Sie erledigt den Haushalt. Sie kocht für ihren Mann und ihre langsam erwachsen werdende Tochter jeden Tag ein großes Abendessen. Sie scheint restlos glücklich zu sein. Alles scheint perfekt zu sein.
Als Joy im August 1968 wieder schwanger wird, sagt ihr Arzt ihr, dass sie die Schwangerschaft wegen einer Erkrankung ihres Herzmuskels wahrscheinlich nicht überleben werde. Durch eine Abtreibung könnte ihr Tod verhindert werden. Aber damals war in den USA eine Abtreibung verboten. Ein männlich besetztes Gremium könnte über eine Ausnahme entscheiden. Sie lehnen ab. Auch andere Möglichkeiten schlagen aus verschiedenen Gründen fehl.
Da entdeckt Joy einen Zettel, der über die Arbeit der Janes informiert. Das ist ihr erster Kontakt zu dieser Frauengruppe. Sie sind – was wir im Film langsam erfahren – eine in den USA bekannte, in mehreren Spiel- und Dokumentarfilmen porträtierte Gruppe. 1968 fanden sie als Untergrund-Selbsthilfegruppe zusammen. Sie vermittelten Abtreibungen. Zunächst wurden die Abtreibungen von Ärzten durchgeführt. Später von Mitgliedern der Gruppe. Im Gegensatz zu irgendwelchen Kurpfuschern, die Frauen bei von ihnen vorgenommenen Abtreibungen schwer verletzten und töteten, geschah das bei den Janes nicht. 1973 legalisierte der Supreme Court mit dem Urteil Roe v. Wade die Abtreibung. Das Jane Kollektiv löste sich auf. Ihre Dienste wurden nicht mehr benötigt. Ärzte und Kliniken konnten es seitdem legal tun.
All das weiß Joy nicht, als sie dort anruft und die Abtreibung vornehmen lässt. Danach könnte die Angelegenheit für sie vorbei sein. Aber Virginia (Sigourney Weaver), die Leiterin der Gruppe, ruft sie kurz darauf an. Sie müsse ihnen helfen und eine Frau zu einer Abtreibung fahren. Joy tut es und engagiert sich danach immer stärker in der Gruppe.
„Call Jane“ ist ein erstaunlich langweiliger Film über ein wichtiges, hochgradig umstrittenes Thema und über das Jane Kollektiv.
Die Drehbuchautorinnen Hayley Schore udnd Roshan Sethi und Regisseurin Phyllis Nagy (Drehbuch für die tolle Patricia-Highsmith-Verfilmung „Carol“) erzählen eine Geschichte, die sich großzügig bei den Fakten bedient. Letztendlich wird eine erfundene Geschichte erzählt. Der historische Hintergrund bleibt diffus. Die Bedrohungen der Janes durch die Mafia und die Polizei sind nicht existent. Es wirkt, als böten sie eine vor dem Gesetz verbotene, aber allgemein akzeptierte und willkommene Dienstleistung an. Auch in der Gruppe gibt es keine nennenswerten Konflikte. Das gleiche gilt für Joys Familie. Über lange Zeit tolerieren ihr Mann und ihre Tochter klaglos, dass Joy neben dem Haushalt andere Dinge tut. Als sie erfahren, dass sie keinen Malkurs besucht, sondern ohne eine medizinische Ausbildung Abtreibungen vornimmt, haben sie nach einer kurzen Schocksekunde keine Probleme damit. Im Gegenteil.
Auch über Joys Motive, also warum sich eine konservative Vorstadthausfrau in einem feministischem Kollektiv engagiert, Straftaten begeht und so ihr gesamtes bisheriges Leben gefährdet, erfahren wir nichts. Sie tut es, weil es so im Drehbuch steht.
Diese durchgehende Abwesenheit von Konflikten führt dazu, dass die Geschichte über zwei Stunden vor sich hin plätschert und niemals auch nur im Ansatz ihr Potential ausschöpft.
Call Jane (Call Jane, USA 2022)
Regie: Phyllis Nagy
Drehbuch: Hayley Schore, Roshan Sethi
mit Elizabeth Banks, Sigourney Weaver, Chris Messina, Kate Mara, Wunmi Mosaku, Cory Michael Smith, Grace Edwards, Aida Turturro
Der Originaltitel des neuen Films aus dem DC Extended Universe ist mit „Birds of Prey (And the Fantabulous Emancipation of One Harley Quinn)“ etwas länger als der ähnlich umständliche deutsche Titel „Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn“. An der Kinokasse wird wahrscheinlich immer nach dem „Harley Quinn“-Film gefragt werden und so wurde er in erster Linie beworben.
Die „Birds of Prey“ sind im DC-Comicuniversum eine seit 1996 aus wechselnden Frauen bestehende Superheldentruppe. Sie kämpfen gegen das Böse. Das tun sie auch in diesem Film; – wobei sie im Film erst am Ende als Gruppe zusammen kommen. Nur so können sie lebendig aus einer brenzligen Situation herauskommen. Diese aus der Not geborene Ad-hoc-Kampfgemeinschaft nennt sich noch nicht Birds of Prey. Im Film haben die „Birds of Prey“-Mitglieder ‚Huntress‘ Helena Bertinelli (Mary Elizabeth Winstead), die Tochter eines Mafiapaten, die ihre Familie rächen will, ‚Black Canary‘ Dina Lance (Jurnee Smollett-Bell), eine Sängerin mit Superkräften, die sie nicht anwenden will, ‚Cass‘ Cassandra Cain (Ella Jay Basco), eine Taschendiebin, und Renee Montoya (Rosie Perez), ein gesetzestreuer Hardboiled-Detective des Gotham City Police Department, nur Nebenrollen.
Im Mittelpunkt steht Harley Quinn. Sie ist die ziemliche durchgeknallte Freundin des ebenso durchgeknallten Superverbrechers Der Joker und damit eindeutig ein Bösewicht. Außerdem ist Harley Quinn die Erzählerin des Films. Sie wird, wie schon in „Suicide Squad“, von Margot Robbie gespielt. Damals kam sie beim Publikum gut an. Und weil Warner Bros. Pictures mit seinen Superheldenfilmen inzwischen den Weg des erfolgreichen Marvel Cinematic Universe (MCU) einschlägt, gibt es seit „Wonder Woman“ Einzelfilme, in denen einzelne Superhelden im Mittelpunkt stehen. Bei „Aquaman“ und „Shazam!“ funktionierte das gut. Die meisten Kritiken waren positiv, die Fans begeistert und die Buchhalter zählten erfreut die Einnahmen. Auch bei Todd Phillips‘ „Joker“, der nicht zum DC Extended Universe gehört, stimmte das Einspielergebnis. Inzwischen könnte das düstere Drama den Oscar als bester Film des Jahres erhalten. Warum also nicht sein Glück mit einem durchgeknallten, sexy Bösewicht versuchen?
Die Regie wurde Cathy Yan anvertraut. Nach ihren auf Sundance gelaufenen, in Deutschland nur auf einem Festival gezeigten Spielfilmdebüt „Dead Pigs“ ist „Birds of Prey“ ihr zweiter Spielfilm. Das Drehbuch ist von Christina Hodson. Sie schrieb zuletzt das Buch für den rundum erfreulichen und sehr kindgerechten ‚Transformers‘-Film „Bumblebee“. Rundum erfreulich und kindgerecht ist „Birds of Prey“ nicht. Die Story springt ziemlich konfus zwischen den verschiedenen Figuren, ihren von Quinn erzählten Hintergrundgeschichten, Gegenwart und Vergangenheit hin und her.
Harley Quinn wurde von ihrem Freund, dem Joker, verlassen. Jetzt muss sie in Gotham, das wie das vermüllte New York der siebziger und achtziger Jahre aussieht, allein über die Runden kommen. Gegenüber dem egomanischen Gangsterboss Roman Sionis (Ewan McGregor im Gary-Oldman-Neunziger-Jahre-“Leon, der Profi“-Modus) erklärt sie sich bereit, eine junge Taschendiebin, die ihm zufällig einen wertvollen Edelstein mit besonderen Eigenschaften geklaut hat, zu finden und zu ihm zu bringen. Nachdem Harley Quinn Cass geschnappt hat, bekommt sie allerdings leichte Gewissensbisse. Sie findet Cass beim Abhängen in ihrer Bude ganz sympathisch und wer will nicht eine Freundin haben? Deshalb will sie Cass vor Sionis und seinen Schergen beschützen.
Cathy Yan erzählt diese Geschichte als ein monotones Dauerfeuerwerk, in dem Gewalt und Sexismus (jede Frau, die ihren Bauchnabel zeigt, eignet sich für die nächste Playboy-Fotostrecke), soundtechnisch unterlegt mit einer Mischung aus einfallslosen HipHop-Rhythmen, den größten Hits der vergangenen Jahrzehnte (in seligem Gedenken an Quentin Tarantino und die Guardians of the Galaxy) und knackenden Knochen, in Zeitlupe zelebriert werden. Am liebsten zerbricht Quinn mit einem Baseball-Schläger Knochen. Die anderen Bösewichter stehen ihr nicht nach. Sie zerbrechen ebenfalls munter Knochen, schießen herum und ziehen Menschen mit einem Messer die Haut vom Gesicht. Der Endkampf ist eine riesige Schlägerei, die wie die artistische, todernste, zynisch Gewalt zelebrierende Variante einer Klopperei aus einem Bud-Spencer-Film wirkt. Damit das alles goutierbar bleibt, fließt kein Blut, etwaige Schmerzensschreie gehen im Soundtrack unter und die Folgen von Schlägen mit einem Baseballschläger auf einen Kopf werden nie gezeigt. Gewalt ohne Folgen eben. Erzählt von einer keine zwei Sekunden vorausplanenden Psychopathin, die Menschen verstümmeln für witzig hält.
Birds of Prey: The Emancipation of Harley Quinn (Birds of Prey (And the Fantabulous Emancipation of One Harley Quinn, USA 2020)
Regie: Cathy Yan
Drehbuch: Christina Hodson
mit Margot Robbie, Mary Elizabeth Winstead, Ewan McGregor, Jurnee Smollett-Bell, Rosie Perez, Ella Jay Basco, Bojana Novakovic, Chris Messina, Greice Santo
Joe Coughlin (Ben Affleck) ist kein gewöhnlicher Gangster. Nicht nur, weil er sich selbst als „Outlaw“ (im Buch öfter, im Film nur einmal) bezeichnet und sieht, sondern weil er ein intelligenter Bursche ist. Er ist der Sohn des stellvertretenden Polizeichefs von Boston, der nach seinen Erfahrungen als Soldat im Ersten Weltkrieg außerhalb der Gesellschaft leben möchte.
In Boston der zwanziger Jahre tut er das als kleiner Ganove, der zwischen die Fronten von Albert White (Robert Glenister), einem irischen Mobster, und Don Maso Pescatore (Remo Girone), einem italienischen Mafiosi, gerät. Coughlins Freundin Emma Gould (Sienna Miller) ist auch Whites Geliebte. Als sie – indirekt bei einem Autounfall– durch Whites Hand stirbt, will Coughlin sie rächen. Er geht einen Pakt mit Pescatore ein, der ihn nach Florida schickt. In Ybor, „the Harlem of Tampa“, übernimmt er den dortigen Rumschmuggel. Er organisiert ihn neu und, im Gegensatz zu den bisherigen Gepflogenheiten, mit den Kubanern als gleichberechtigte Partner. Und er verliebt sich in Graciela (Zoe Saldana), die mit ihrem Bruder den Alkoholhandel aus Kuba organisiert.
Nicht allen gefällt Coughlins Aufstieg und seine Zusammenarbeit mit den Kubanern (ich sage nur Rassismus). Oh, und White ist ebenfalls in Florida.
„Live by Night“ basiert auf einem gut sechshundertseitigem Epos von Dennis Lehane. Der sehr lesensverte, zwischen 1926 und 1935 spielende Gangsterroman erhielt den Edgar, einen der wichtigsten Krimipreise.
Ben Affleck, der, nach einem Kurzfilm, mit der grandiosen Dennis-Lehane-Verfilmung „Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel“ sein Spielfilmdebüt gab, schrieb dieses Mal das Drehbuch, führte Regie und übernahm auch gleich die Hauptrolle. In seinem Script folgt er dem Roman, abgesehen von den notwendigen Kürzungen, genau. Zu genau für meinen Geschmack.
Anstatt sich auf einen Teil von Coughlins Geschichte zu konzentrieren und eine Geschichte zu erzählen, kondensiert er den Roman auf eine eher ungeschickte Weise. Er behandelt Lehanes Roman nicht wie einen Unterhaltungsroman, der die Grundlage für einen packenden Film liefern soll, sondern ehrfurchtsvoll wie ein Stück hohe Literatur, bei dem nichts geändert werden darf. Dieser Ehrfurcht überträgt sich dann auf den gesamten Film, der dadurch oft lebloser als nötig ist.
Die Episoden aus dem Gangsterleben treten immer wieder in den Hintergrund zugunsten von Coughlins Beziehungen zu verschiedenen Frauen und wie sie sein Leben in negativer Hinsicht beeinflussen. Das ist dann, wie im Roman, eine interessante Verschiebung der vertrauten Perspektive. In einem Gangsterfilm, vor allem in einem während der Prohibition spielendem Gangsterfilm, sind Frauen nur Beiwerk, während die gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Gangsterbanden und der Polizei und auch innerhalb der Gangsterbande im Mittelpunkt stehen. Das fehlt dann in „Live by Night“ in einem erstaunlich großem Ausmaß. Hier ist der Schmuggel ein einträgliches Geschäft, bei dem alle gut verdienen und Konflikte lieber mit Geld und Arrangements als mit Gewalt erledigt werden. Obwohl Coughlin durchaus, wenn es nicht anders geht, Gewalt anwendet.
Dagegen muss sich Coughlin mit dem Ku Klux Klan (sie wollen einen Teil seines Geschäftes) und einer Christin (sie will sein Geschäft zerstören) auseinandersetzen. Coughlin versucht beide Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
„Live b Night“ ist dann ein Gangsterfilm, dem der Drive eines klassischen Gangsterfilms (in dem ein Junge aus der Gosse sich skrupellos den Weg an die Spitze frei schießt) fehlt, ein Liebesfilm, der sich nicht für die Liebesgeschichte(n) interessiert und ein Biopic, das primär Episoden aneinanderreiht, ohne einen klar erkennbaren erzählerischen Bogen zu schlagen. So verweilt Affleck mit seiner Geschichte viel zu lange in Boston, das nur das Vorspiel für Coughlins eigentlich Geschichte ist, die sich im sonnigen Florida abspielt. Dort arbeitet er zwar zielstrebig und in Pescatores Sinn, wie ein neuer Abteilungsleiter, der keine größeren Ambitionen hat. Er will nicht der neue Boss der gesamten Firma werden und er will sich anscheinend auch nicht mehr an White rächen. Auch weil White für ihn überhaupt keine Bedrohung mehr ist.
So plätschert der Gangsterfilm, der sich nicht wirklich entscheiden will, was der Hauptplot und was die Subplots sind, immer wieder vor sich hin, während er ein kleines Gesellschaftsbild von Ybor während der Prohibition zeichnet.
Affleck inszenierte das alles mit viel Liebe zum Detail und Gangsterfilmfans – wir wurden in den letzten Jahren ja auf eine ziemliche Diät gesetzt – dürfen sich über einen stilechten Gangsterfilm freuen. Jedenfalls wenn Affleck die Gangsterfilmszenen inszeniert. Aber oft interessieren ihn andere Dinge und der Film kann in seiner jetzigen Fassung, obwohl er bereits über zwei Stunden ist, nicht verleugnen, dass er besser noch länger wäre. Mindestens eine halbe Stunde. Oder besser sogar eine Miniserie im Fernsehen, die sich dann stärker den Konflikten zwischen den Verbrechern, den politischen und rassistischen Konflikten widmet, die alle schon in Lehanes Roman angesprochen werden und die heute immer noch aktuell sind.
Live by Night (Live by Night, USA 2016)
Regie: Ben Affleck
Drehbuch: Ben Affleck
LV: Dennis Lehane: Live by Night, 2012 (In der Nacht)
mit Ben Affleck, Elle Fanning, Remo Girone, Brendan Gleeson, Robert Glenister, Matthew Maher, Chris Messina, Sienna Miller, Zoe Saldana, Chris Cooper, Titus Welliver, Max Casella, Clark Gregg, Anthony Michael Hall
Am 2. Februar läuft die neueste Dennis-Lehane-Verfilmung „Live by Night“ an. Der Roman erschien bei uns als „In der Nacht“ und damals schrieb ich über ihn:
Ein neuer Roman von Dennis Lehane ist immer gut für einige spannende Lesestunden. Das gilt auch für „In der Nacht“, seinen in den Zwanzigern und Dreißigern spielenden Gangsterroman, der – verdient – 2013 den Edgar als bester Kriminalroman des Jahres erhielt.
So – das war der Teil für alle, die wirklich jeden SPOILER vermeiden wollen, aber wissen wollen, ob es ein gutes Buch ist.
Ja, es ist ein gutes Buch.
Und ab jetzt werde ich, weil ich nicht vollkommen gekünstelt herumschwurbeln will (was dann auch wieder Spoiler durch die Hintertür wären), einiges von der Geschichte und Teile des Endes spoilern. Aber das Wissen um das Ende hat uns echten Gangsterkrimifans noch nie vom Genuss des Werkes – ich sage nur „Scarface“ – abgehalten.
Als Dennis Lehane 1994 mit seinem ersten Kenzie/Gennaro-Privatdetektivroman „Streng vertraulich“ (A Drink before the War) die Szene betrat, wurde er gleich zum Liebling der Krimifans. In Deutschland dauerte es fünf Jahre, bis seine Romane übersetzt wurden und man nahm dann keine Rücksicht auf die Reihenfolge, in der die durchaus miteinander zusammenhängenden Romane in den USA veröffentlicht wurden.
Nach fünf Kenzie/Gennaro-Geschichten konzentrierte Lehane sich ab 2001, bis auf „Moonlight Mile“ (Moonlight Mile, 2010), auf Einzelwerke, in denen er verschiedene Subgenres ausprobierte. Sehr erfolgreich. Am Bekanntesten sind, auch wegen der erfolgreichen Verfilmungen „Mystic River“ und „Shutter Island“ (wobei mir hier das Buch viel besser gefällt). Außerdem wurde der Kenzie/Gennaro-Roman „Gone, Baby, Gone“ verfilmt. Ebenfalls eine äußerst gelungene Verfilmung.
Wenn sein neuester Roman „In der Nacht“ verfilmt wird, dann wohl nur als Film mit Überlänge oder, was besser wäre, als Mini-TV-Serie. Denn Lehane erzählt auf gut sechshundert kurzweiligen Seiten die Geschichte von Joe Coughlin von 1926 bis 1935. Er gehört zur Familie Coughlin, die wir aus „Im Aufruhr jener Tage“ (The given Day, 2008) kennen. Der Roman spielte unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg in Boston und Joes älterer Bruder Danny stand im Mittelpunkt. Inzwischen ist Danny nicht mehr Polizist und hat Boston verlassen.
1926 ist der neunzehnjährige Joe Coughlin Laufbursche und kleiner Gangster in Boston. Nach einem Überfall beginnt er eine Beziehung mit Emma Gould, der Freundin des Gangsterbosses Albert White. Als ein Banküberfall grandios schiefgeht, wird er zu einer zweijährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Im Nachgang des Überfalls starb auch Emma bei einem Autounfall.
Im Gefängnis nimmt ihn der mit White verfeindete Gangsterboss Maso Pescatore unter seine Fittiche. Er schickt Coughlin, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wird, nach Ybor, Florida. Dort steigt Coughlin zum lokalen Gangsterboss auf, indem er den Schmuggel von Alkohol professionalisiert, enge Kontakte zu den dortigen ethnischen Minderheiten hat, sich in die Kubanerin Graciella verliebt, immer wieder, auch skrupellos, aber meistens langfristig planend, seine Interessen durchsetzt, und mit ihr in Kuba ein neues Heim aufbaut.
Lehane folgt dabei, mit eher kleinen, aber interessanten Variationen und etlichen breit geschilderten Episoden, wie den Überfall auf das Waffenlager eines Kriegsschiffes und natürlich etlichen Konflikten mit anderen Gangstern, dem Ku-Klux-Klan und der lokalen Oberschicht, den vertrauten Pfaden des klassischen Gangsterromans vom Aufstieg und Niedergang eines Gangster.
Die wichtigste Variation ist der Protagonist. Joe Coughlin ist ein aus einem guten Haus kommender, gebildeter junger Mann. Sein Vater ist der Stellvertretende Polizeichef von Boston. Damit ist er das Gegenteil des klassischen Gangsters, der ein großmäuliger Aufsteiger aus kleinen Verhältnissen ist, ein oft nicht besonders gebildeter Einwanderer ist, der letztendlich an sich selbst scheitert. Al Capone war das Vorbild für diesen Typ. Little Caesar und Scarface die literarischen und filmischen Verarbeitungen dieses Typs. Der Ire Coughlin schlägt da mehr nach den jüdischen Gangstern, wie Meyer Lansky, die das Gangstertum als eine Phase betrachteten, um an Geld zu kommen. Ihre popkulturelle Faszination und Strahlkraft ist deutlich geringer.
Die zweite Variation ist, dass in „In der Nacht“ die Phase des Niedergangs fehlt. Joe Coughlin kann sein Imperium konsolidieren. Er liegt am Ende nicht im Schmutz. Bei ihm blinkt kein „The World is yours“ im Hintergrund.
Und dennoch, wenn man sich Coughlin und seine Beziehungen zu seinen Frauen ansieht, ist das Ende düsterer als das der klassischen Gangsterkrimis.
Die Verfilmung wird in der Kriminalakte zum Kinostart besprochen.
Bis dahin: Viel Spaß bei der Lektüre.
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Dennis Lehane: In der Nacht
(übersetzt von Sky Nonhoff)
Diogenes, 2013
592 Seiten
10 Euro (Movie-Tie-In-Ausgabe)
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Originalausgabe
Live by Night
William Morrow, New York, 2012
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Die Verfilmung
ab 2. Februar 2017 in allen Kinos, die mal wieder einen zünftigen Gangsterfilm zeigen wollen
Live by Night (Live by Night, USA 2016)
Regie: Ben Affleck
Drehbuch: Ben Affleck
LV: Dennis Lehane: Live by Night, 2012 (In der Nacht)
mit Ben Affleck, Elle Fanning, Remo Girone, Brendan Gleeson, Robert Glenister, Matthew Maher, Chris Messina, Sienna Miller, Zoe Saldana, Chris Cooper, Titus Welliver, Max Casella, Clark Gregg, Anthony Michael Hall