Neu im Kino/Filmkritik: „Scream VI“: neue Stadt, altes Spiel

März 9, 2023

Fünf Filme und über ein Viertel Jahrhundert lang mordete der Ghostface-Killer sich durch das Städtchen Woodsboro. Die Opfer waren im besten Teenager-Alter. Ein großes Messer die Tatwaffe. Zur Tarnung trug der Killer einen schwarzen Umhang und eine Maske, die von Edvard Munchs ikonischen „Der Schrei“-Gemälden inspiriert war. Die Maske wird dem Killer am Ende des Films abgezogen. In dem Moment wird seine Identität und auch sein Motiv enthüllt. Bis dann im nächsten Film ein neuer Ghostface-Killer munter zusticht. Zuletzt, elf Jahre nach dem vierten Film, war das so 2022 in „Scream“. Nach dem Tod von Wes Craven, der die ersten vier „Scream“-Filme inszenierte, wurde der fünfte „Scream“-Film von Matt Bettinelli-Olpin und Tyler Gillett inszeniert. Sie inszenierten auch den neuesten „Scream“-Film. Das Drehbuch ist wieder von Guy Busick und James Vanderbild.

Der sechste „Scream“-Film mit dem innovativen Titel „Scream VI“ spielt nicht mehr in Woodsboro, sondern in New York. Bereits in den ersten Filmminuten bringt der maskierte Killer eine Frau um. Danach nimmt er seine Maske ab und zeigt sein Gesicht. Es ist Jason, ein Filmstudent mit einer Begeisterung für Horrorfilme. Wenige Minuten später ist er tot. Der echte Ghostface-Killer, also der für diesen Film echte Ghostface-Killer, ersticht Jason in seiner Wohnung. Denn dieser Ghostface-Killer will noch einige alte Rechnungen aus Woodsboro begleichen. Jason und sein ebenfalls toter Kumpel, den er in Jasons Kühlschrank versteckte, hätten ihn daran gehindert.

Ebenfalls in New York sind, und das ist der Grund für seine aktuelle Mordserie, Sam Carpenter (Melissa Barrera), ihre jüngere Halbschwester Tara (Jenny Ortega) und die Zwillinge Mindy (Jasmin Savoy Brown) und Chad Meeks-Martin (Mason Gooding). Sie waren alle in „Scream“ (2022) dabei. Sam ist nach den ersten Meldungen über das Auftauchen des Ghostface-Killers in New York überzeugt, dass er sie und ungefähr alle, die mit ihnen befreundet, verwandt und verschwägert sind, töten will.

Selbstverständlich ist auch die aus allen „Scream“-Filmen bekannte Reporterin Gale Weathers-Riley (Courteney Cox) dabei. Sie wittert, mal wieder, eine große Story und ein sich daran anschließendes Buch.

Der Wechsel von der Kleinstadt in die Großstadt könnte zu größeren Änderungen in der Filmserie führen. Aber letztendlich erzählen die Macher die aus fünf Filmen vertraute Geschichte noch einmal. New York und die Besonderheiten einer Millionenmetropole gegenüber einer Kleinstadt oder einer in der Provinz liegenden Studentenstadt werden nicht weiter beachtet. Die einzige nennenswerte Ausnahme bildet eine längere, spannende Szene in der U-Bahn. Sie ist brechend voll. Weil Halloween ist, tragen viele Passagiere die Masken von ikonischen Horrorfilmfiguren. Unsere Helden, die die U-Bahn benutzen, sehen sich unzähligen Menschen mit Ghostface-Killer-Masken gegenüber und mindestens einer davon könnte der echte Killer sein.

Davon abgesehen könnte der Rest des Horrorfilms, ohne dass im Drehbuch eine Zeile geändert werden müsste, in irgendeiner Universitätsstadt in der Provinz spielen.

Alle Figuren verhalten sich durchgehend, vor allem in Gefahr und höchster Not, idiotisch. So schlagen die künftigen Opfer den Killer, wenn er sie angreift, immer wieder. Einmal mit einer Bratpfanne. Er fällt nach dem Schlag um. Aber anstatt ihn dann mit mindestens einem weiteren Schlag endgültig kampfunfähig zu machen oder ihm die Maske vom Gesicht abzustreifen (was für eine spätere Identifizierung hilfreich wäre), laufen sie weg, werden von ihm verfolgt, schlagen ihn wieder zu Boden und laufen wieder weg, bis er sie mit seinem Messer tötet. Das ist mehr Slapstick als Horror.

Wenn sie den Killer nicht schlagen, fahren sie im Auto durch die halbe Stadt zu einer Person, die wahrscheinlich gerade von dem Ghostface-Killer aufgeschlitzt wird. Die Polizei, die schneller an dem Ort wäre, rufen sie nicht an. Das war schon in der Prä-Smartphone-Zeit idiotisch und ist jetzt noch idiotischer.

Oder sie fahren auf der Flucht vor dem Ghostface-Killer mit der U-Bahn durch die halbe Stadt, anstatt sich ein Taxi zu rufen oder ein Auto zu mieten.

Oder jemand versucht, andere zu warnen, dass der Ghostface-Killer in deren Wohnung ist. Er tut es so schlecht, dass der Misserfolg vorhersehbar ist. Immerhin kann er danach seine Leiter als Rettungsleiter benutzen.

Das führt dazu, dass der Ghostface-Killer mühelos viele, sehr viele Menschen töten kann. Laut Presseheft ist „Scream VI“, der blutigste und brutalste Film der Reihe.

Bekannt wurde „Scream“ durch sein offenes Thematisieren der Regeln des Slasher-Horrorfilms, die dann teils angewandt, teils lustvoll unterwandert wurden. Denn Mitte der neunziger Jahre hatten alle Teenager genug Slasher-Film gesehen, um zu wissen, was passiert und was dagegen getan werden kann. Sie wussten auch, wer von ihnen definitiv nicht das Ende des Films erleben wird.

Diese Meta-Ebene gibt es im neuesten Film des Franchises eigentlich nur bei einem besserwisserischen Vortrag von Mindy, die die Regeln von Sequels, Prequels, Requels und Franchises erklärt, wer wieder auftauchen könnte aus früheren Filmen (wie die am Ende von „Scream 4“ ziemlich tote Kirby Reed [Hayden Panettiere], die damals die Messerstiche doch überlebte und jetzt als mopsfidele FBI-Agentin mitspielt), wer sterben könnte (jeder), wer der Täter sein könnte (ebenfalls jeder; unerheblich ob lebendig oder tot) und welche Regeln gelten (die bekannten; oder auch nicht). – Das war 1996 bei dem ersten „Scream“-Film, inszeniert von Wes Craven, der große Witz: die von dem Killer bedrohten Teenager räsonierten über die Regeln des Slasher-Horrorfilms und wussten daher, wer sterben wird, wer der Täter sein könnte und wie sie sich verhalten müssen. Der Witz wurde in den nächsten „Scream“-Filmen immer etwas variiert. So gibt es in den „Scream“-Filmen die auf den Taten des Ghostface-Killers basierenden „Stab“-Filme und aktuelle Entwicklungen im Genre und Diskurse darüber werden selbstironisch aufgegriffen. Aber letztendlich bleibt es der gleiche, sich in der Wiederholung abnutzende Film-im-Film-Witz.

Scream VI“ erzählt nun ziemlich lustlos und jederzeit vorhersehbar die bekannte Geschichte noch einmal. Denn auch in der Großstadt gelten die Regeln der Kleinstadt. Die Dialoge sind oft erschreckend banal und nichts, aber auch absolut nichts überrascht. Das gilt sogar für die Enthüllung der Identität des Killers und seines Motivs. Der gesamte Horrorfilm wirkt wie das lieblose Recycling von bereits mehrmals recyceltem Material, das vor allem aus kommerziellen Erwägungen betrieben wird. Deshalb wird es selbstverständlich einen siebten „Scream“-Film geben.

Scream VI (Scream VI, USA 2023)

Regie: Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett

Drehbuch: James Vanderbilt, Guy Busick (basierend auf von Kevin Williamson erfundenen Figuren)

mit Melissa Barrera, Jenna Ortega, Mason Gooding, Jasmin Savoy Brown, Hayden Panettiere, Courteney Cox, Jack Champion, Henry Czerny, Liana Liberato, Dermot Mulroney, Devyn Nekoda, Tony Revolori, Josh Segarra, Samara Weaving

Länge: 123 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Scream VI“

Metacritic über „Scream VI“

Rotten Tomatoes über „Scream VI“

Wikipedia über „Scream VI“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Matt Bettinelli-Olpin/Tyler Gilletts „Devil’s Due -Teufelsbrut“ (Devil’s Due, USA 2014)

Meine Besprechung von Matt Bettinelli-Olpin/Tyler Gilletts „Ready or Not – Auf die Plätze fertig tot“ (Ready or Not, USA 2019)

Meine Besprechung von Matt Bettinelli-Olpin/Tyler Gilletts „Scream“ (Scream, USA 2022)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Best of Me – Mein Weg zu dir“ und weg von der Filmkunst

Januar 8, 2015

Natürlich erwartet niemand von einer Nicholas-Sparks-Verfilmung hohe Filmkunst. Immerhin liefen in den vergangenen Jahren acht Sparks-Verfilmungen erfolgreich im Kino unter dem Etikett „Schmonzette“ und auch in der neuesten Sparks-Verfilmung „The Best of Me – Mein Weg zu dir“ geht es um Liebe.
Nach zwanzig Jahren, nach dem Tod von Onkel Tuck, treffen sich Amanda (Michelle Monaghan) und Dawson (James Marsden) wieder in dessen Haus, in dem sie viel Zeit verbrachten. Sie erinnern sich nach den zwei Jahrzehnten, in denen sie getrennte Leben führten, an ihre Vergangenheit und Michael Hoffman illustriert die Erinnerungen von Dawson, einem linkischen jungen Mann, der ein begeisterter Automechaniker ist und in einer White-Trash-Familie lebt, und Amanda, einer Schönheit aus besserem Haus, die sich natürlich sofort in den Jüngling verliebt. Nachdem Dawson aus dem Haus seiner Familie flüchtet, wird er von Tuck, einem Witwer und Besitzer einer Autowerkstatt, aufgenommen. In Tucks Haus verleben Dawson und Amanda (jaja, Romeo und Julia) glückliche Tage, bis es zu Ereignissen kommt, die zu der jahrelangen Trennung führten und die erst gegen Filmende aufgelöst werden.
In den viel zu langen Rückblenden werden die Liebenden von Luke Bracey und Liana Leberato gespielt, die beide höchstens eine entfernte Ähnlichkeit mit Marsden und Monaghan haben. Dass das besser geht, hat die Krimiserie „Cold Case“, in der die Aussagen der von den Polizisten befragten Personen immer mit Rückblenden illustriert wurden, in denen ein jüngeres Alter Ego des Befragten agierte, sieben Jahre lang bewiesen.
Michael Hoffman (zuletzt die unwitzige Komödie „Gambit – Der Masterplan“) erzählt diese Südstaaten-Schnulze mit schönen Bildern, viel Kitsch und Schmonzettentunke. Wenn nicht Onkel Tuck (gespielt von Gerald McRaney, ein Bruder des Privatdetektivduos „Simon & Simon“) einige knorrige Auftritte hätte, wäre „The Best of Me“ ein vollkommen ungenießbares Kitschfest, das sogar die Die-hard-Fans von James Marsden und Michelle Monaghan enttäuschen würde. Denn beide haben eigentlich nur Nebenrollen und die Rückkehr des verlorenen Sohns, der sich prompt wieder in die Angelegenheiten seiner Verbrecherfamilie einmischt, überzeugt noch nicht einmals gutwillige Geister.
Was hätte Lasse Hallström, der ja auch zwei Sparks-Romane verfilmt hat, aus dieser Geschichte gemacht? In jedem Fall einen besseren Film. Ein Film mit mehr Gefühl und weniger Kitsch.

The Best of Me - Plakat

The Best of Me – Mein Weg zu dir (The Best of Me, USA 2014)
Regie: Michael Hoffman
Drehbuch: J. Mills Goodloe, Will Fitters
LV: Nicholas Sparks: The Best of Me, 2011 (Mein Weg zu dir)
mit Michelle Monaghan, James Marsden, Luke Bracey, Liana Liberato, Gerald McRaney, Sebastian Arcelus, Robby Rasmussen, Sean Bridgers, Jo Tenney
Länge: 118 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „The Best of Me“
Moviepilot über „The Best of Me“
Metacritic über „The Best of Me“
Rotten Tomatoes über „The Best of Me“
Wikipedia über „The Best of Me“ (deutsch, englisch)

Homepage von Nicholas Sparks

Meine Besprechung von Michael Hoffmans “Gambit – Der Masterplan” (Gambit, USA 2012 – nach einem Drehbuch von Joel und Ethan Coen)


TV-Tipp für den 7. November: Blindes Vertrauen

November 7, 2014

ZDFneo, 20.15

Blindes Vertrauen (USA 2010, Regie: David Schwimmer)

Drehbuch: Andy Bellin, Robert Festinger

Im Netz gerät die 14-jährige Annie an einen Pädophilen, der sie auch zum Sex verführt. Ihre liberal-liebevollen Eltern versuchen mit der Tat umzugehen.

Dank des guten Drehbuchs, der guten Schauspieler und der zurückhaltenden Regie zeigt „Trust – Die Spur führt ins Netz“ eindrucksvoll und nachhaltig, was ein Missbrauch für die Betroffenen bedeutet, wie hilflos sie sind und man hört die „Es war Liebe“-Bekundungen von älteren Männern mit Minderjährigen mit anderen Ohren.

Ein zum Nachdenken anregendes Drama.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Clive Owen, Catherine Keener, Liana Liberato, Jason Clarke, Noah Emmerich, Viola Davis

auch bekannt als „Trust – Die Spur führt ins Netz“ (DVD-Titel)

Wiederholung: Samstag, 8. November, 00.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise
Wikipedia über „Trust“ (deutsch, englisch)
Rotten Tomatoes über „Trust“
Collider Interview mit David Schwimmer über „Trust“ (30. März 2011)

BBC: Interview mit David Schwimmer über “Trust” (8. Juli 2011)

Meine Besprechung von „Trust – Die Spur führt ins Netz“ (Trust 2010)


Neu im Kino/Filmkritik: „Wenn ich bleibe“, wenn ich sterbe – wen kümmert’s?

September 18, 2014

Beginnen wir mit der Musik. Nicht, dass sie furchtbar schlecht ist. Sie ist nur furchtbar unpassend. Denn „Wenn ich bleibe“ spielt ungefähr heute. Die Protagonistin Mia Hall ist ein Teenager zwischen erster Liebe und Schulabschluss. Sie wurde also so um 1997 herum geboren.
Ihre Eltern sind in den Vierzigern. Sie wurden also in den Siebzigern geboren. Ihr Vater war als Jugendlicher und Jungerwachsener – das muss dann in den frühen Neunzigern gewesen sein – ein Rockmusiker und ihre Mutter war schon damals seine Geliebte. Nach der Geburt von Mia und ihrem jüngeren Bruder, also so um die Jahrtausendwende, änderten sie ihren Lebensstil radikal. Jetzt sind sie liebende Eltern mit bürgerlichen Berufen.
Mia ist eine begnadete Cellistin, die sich für die Julliard School beworben hat. Klassik ist also ihre Musik. Ihr Freund Adam ist dagegen Sänger einer in der Schule angesagten Rockband.
Nun: was sind die wahrscheinlichen musikalischen Referenzpunkte der Rockfraktion? Nirvana? Pearl Jam? Soundgarden? Alice in Chains? Die halbe Grunge-Bewegung? R. E. M.? Der damalige College-Rock? Punkrock vielleicht? Green Day? Social Distortion? Helmet? Metallica? Wobei die letztgenannten vielleicht zu wenig Mainstream für einen Hollywood-Film sind. Vielleicht auch Neil Young, der damals eine gloriose Rückkehr feierte?
Alles falsch. Es sind Alice Cooper und Iggy Pop. Von Cooper wird 1972er Hit „School’s Out“ zitiert und von Iggy Pop hält Mias Vater nur seine Werke vor 1977 für satisfaktionsfähig. Er meint also seine ersten „The Stooges“-Aufnahmen (wobei das ja eine Band war) und die ersten beiden Pop-Platten „The Idiot“ und „Lust for Life“. Sein 1993er-Album „American Caesar“, seine gloriose Rückkehr zur alten Form, zählt nicht.
Diese für das Alter der Charaktere falschen Referenzen bei Bands und Musikern gibt es zwar auch in anderen Filmen (so scheinen in Filmen heute Vierzigjährige ihre musikalische Sozialisation in den Siebzigern mit der Muttermilch gehabt zu haben, was sie mindestens zehn bis zwanzig Jahre älter macht), aber bei einem Film, in dem Musik für alle Charaktere ihr Lebensinhalt sein soll, sind diese falschen Referenzen noch ärgerlicher. Allerdings ist diese Schlampigkeit, die sich durch den gesamten Film zieht, auch nachvollziehbar. Denn letztendlich ist für keinen Charakter Musik wirklich wichtig. Niemand drückt hier, im Gegensatz zu „Can a Song save your Life?“, irgendetwas durch die Musik aus und sie ist auch nicht der Lebensinhalt von Mia, ihren Eltern und ihrem Freund. Sie ist ein austauschbar-beliebiges Lifestyle-Element.
Auch die Geschichte, die auf Gayle Formans 2009er Young-Adult-Roman „If I stay“ basiert, ist letztendlich nur eine 08/15-Schmonzette. Auf den ersten Blick dreht die für ein weibliches und sehr junges Publikum erzählte Geschichte sich um die Frage, ob Mia nach einem Autounfall weiterleben will. Während sie im Krankenhaus im Koma liegt, erinnert sie sich an ihr bisheriges Leben. Gleichzeitig wandelt ihr Geist durch das Krankenhaus. Türen sind ein Problem, durch Wände kann sie auch nicht gehen, aber dank irgendeiner Magie läuft niemals irgendwer in sie hinein. Jedenfalls erfährt sie auf den kalten Fluren des Krankenhauses, dass ihre Eltern und ihr Bruder bei dem Autounfall gestorben sind oder im Lauf der Nacht sterben. Sie erfährt auch, was ihre Großeltern und ihre Freunde denken und fühlen. Jedenfalls solange sie es aussprechen.
Das erinnert entfernt an Frank Capras Weihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön?“ mit James Stewart, der sich in dem Film umbringen möchte, weil er sein Leben für vollkommen verpfuscht hält, aber von einem Engel gezeigt bekommt, wie trist das Leben in der Stadt ohne ihn wäre.
Das ist ein Film, der genau das hat, was „Wenn ich bleibe“ fehlt: Drama. Einen echten Konflikt. In „Wenn ich bleibe“ haben wir dagegen nur einen auf spielfilmlänge aufgeplusterten Scheinkonflikt und eine gut zweistündige, erschreckend konfliktfreie Schmonzette über ein junges Mädchen, das in einer Eliteschule aufgenommen werden könnte (ob sie es geschafft hat, wird am Filmende verraten), liebevolle Eltern, die sofort von ihrem Freund begeistert sind, und liebevollen Großeltern und einen bis über beide Ohren in sie verliebten Freund hat, der sie während ihres ersten Dates natürlich in ein Klassikkonzert entführt. Kurz: sie hat das perfekte Leben, das aus dramaturgischer Sicht genauso langweilig ist, wie es klingt.
Die im Titel „Wenn ich bleibe“ angedeutete Frage wird dagegen nicht weiter thematisiert. Es geht nur um Mias Vergangenheit, die fortgeschrieben in die Zukunft, entsprechend rosig aussieht. Halt ohne ihre Eltern und ihren Bruder, aber mit ihren Großeltern, ihrem Freund und einer möglichen Karriere als Musikerin – und das klingt doch gar nicht so schlecht.
Entsprechend spannungsfrei plätschert die kitschige Heile-Welt-Klischeeparade auf ihr vorhersehbares Ende zu. Auch die Zeitsprünge machen „Wenn ich bleibe“ nicht interessanter. Sie gaukeln nur in den ersten Minuten eine nicht vorhandene Komplexität vor.
„Wenn ich bleibe“ ist höchstens für schmachtende Teenager interessant, die sich in den jugendlichen Rocksänger der soften Sorte (Jamie Blackley) verguckt haben. Aber auch Teenager haben gute Filme verdient.
Fans von Hauptdarstellerin Chloë Grace Moretz, die sie als Hit-Girl lieben, sollten dagegen einen großen Bogen um den Film machen. Denn wir sollen glauben, dass Hit-Girl sich fragt, ob sie am Leben bleiben will. No Way! Aber ab dem 9. Oktober überzeugt sie in „The Equalizer“ als Prostituierte.

Wenn ich bleibe - Plakat

Wenn ich bleibe (If I stay, USA 2014)
Regie: R. J. Cutler
Drehbuch: Shauna Cross
LV: Gayle Forman: If I stay, 2009 (Wenn ich bleibe)
mit Chloë Grace Moretz, Mireille Enos, Jamie Blackley, Joshua Leonard, Liana Liberato, Stacy Keach, Gabrielle Rose, Jakob Davies, Ali Milner, Aisha Hinds
Länge: 107 Minuten
FSK: ab 6 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Wenn ich bleibe“
Moviepilot über „Wenn ich bleibe“
Metacritic über „Wenn ich bleibe“
Rotten Tomatoes über „Wenn ich bleibe“
Wikipedia über „Wenn ich bleibe“


%d Bloggern gefällt das: