Neu im Kino/Filmkritik: Über Kevin Costners „Horizon – Eine amerikanische Saga“, Teil 1 von 4

August 22, 2024

Dass Kevin Costner ein großer Western-Fan ist, ist schon bei ein Blick in seine Filmographie offensichtlich. Erinnert sei nur an „Der mit dem Wolf tanzt“, „Open Range“, „Silverado“, „Wyatt Earp“, die Western-Miniserie „Hatfield & McCoys“ und die TV-Serie „Yellowstone“. Die von ihm inszenierten Western „Der mit dem Wolf tanzt“ und „Open Range“ wurden von der Kritik gelobt und werden von Western-Fans geschätzt wegen ihrer historischen Detailgenauigkeit. „Der mit dem Wolf tanzt“ war auch ein weltweiter Publikumshit.

Dass Kevin Costner kein ökonomisch knapper, sondern ein epischer, sich Zeit nehmender Erzähler ist, verrät schon ein Blick auf die Länge seiner Filme. „Open Range“ ist mit 139 Minuten sein kürzester Film.

Und wenn er jetzt mit „Horizon“ die Geschichte des Wilden Westens in vier jeweils dreistündigen Spielfilmen erzählen will, die innerhalb weniger Monate im Kino anlaufen sollen, dann sind die Erwartungen selbstverständlich ziemlich hoch. Und sie werden größtenteils enttäuscht.

Der während dem Bürgerkrieg spielende Auftaktfilm von „Horizon – Eine amerikanische Saga“ dauert drei Stunden. Es werden viele Figuren und Handlungsstränge eingeführt, die im zweiten, dritten und vierten Film weitererzählt werden und die irgendwie irgendwann zusammenkommen. Wahrscheinlich in dem titelgebenden Ort Horizon. Falls einzelne Figuren nicht vorher auf ihrem Weg nach Horizon sterben oder sie vom Weg abkommen. Im ersten Teil irren sie alle noch durch den Wilden Westen und Horizon ist für sie noch nicht einmal am Horizont sichtbar.

Im ersten „Horizon“-Film spielt nur ein kleiner Teil des Film in dem titelgebenden Ort. In der ersten Stunde wird er, nachdem einige Siedler sich dort ansiedelten, während einer Feier der Siedler von einer Horde Indianer überfallen und niedergebrannt. Diese Schlacht bildet den Actionhöhepunkt des Films. Den Überfall überleben nur wenige. Zu ihnen gehören Frances Kittredge (Sienna Miller) und ihre Tochter Elizabeth (Georgia MacPhail). Sie gehen zu dem nahe gelegenem Militärstützpunkt Camp Gallant und verschwinden für einen großen Teil der weiteren Films aus dem Film. Am Ende deutet sich eine Beziehung zwischen Frances und First Lt. Trent Gephart (Sam Worthington) an.

In den anderen Plots geht es um einen Wagentreck, der sich langsam durch den Wilden Westen bewegt und die Konflikte, die es zwischen den Siedlern gibt. Ein anderer Plot dreht sich um den einzelgängerischen Revolverhelden Hayes Ellison (Kevin Costner, der nach einer Stunde seinen ersten Auftritt hat). Er rettet die Prostituierte Marigold (Abbey Lee) vor den mordlüsternen Sykes-Brüdern. Anschließend flüchten Hayes und Ellen vor den weiteren Mitgliedern der Sykes-Familie mit unbekanntem Ziel durch die fotogene Landschaft.

Und, allerdings erst nach dem Überfall auf Horizon, erzählt Costner in einem weiteren Handlungsstrang von den Apachen und ihren internen Streitigkeiten über den Umgang mit den weißen Menschen, die ihr Land ungefragt besetzen. Bis zu diesem Punkt sind sie hinterhältig und bestialisch Kinder, Frauen, einen Geistlichen und harmlose Siedler ermorden.

Das sind alles altbekannte Westernplots, die mit einigen weiteren Plots, in einem Western-Best-of in episch gedehnten Szenen aneinandergereiht werden. Denn ein Kevin Costner hat immer Zeit. Und die einzelnen Szenen funktionieren als einzelne Szenen auch gut. Nur ergeben sie keinen Film. Sie sind bestenfalls der Auftakt, der neugierig auf die nächsten Teile machen soll.

Horizon – Eine amerikanische Saga“ ist aber nur ein Western-Mash-Up, ein Best-of, bei dem auch nach drei Stunden kein Hauptplot, keine Hauptfigur und kein zentraler Konflikt erkennbar ist. Das ist auch in einem Ensemblefilm oder einer TV-Serie wichtig. Es ist auch keine Figur und keine Geschichte dabei, von der ich unbedingt wissen möchte, wie sie weitergeht. Das alles sollte aber nach drei Stunden etabliert sein. In einer TV-Serie gelingt das nach neunzig oder weniger Minuten.

Weil „Horizon“ das nicht gelingt, endet der Film in einer minutenlange Montage mit Bildern aus dem nächsten Teil. Wie bei einer TV-Serie sollen diese Bilder neugierig auf die nächste Episode machen.

Von der Art der Präsentation seiner einzelnen Geschichten ist „Horizon“ ein revisionistischer revisionistischer Western. Costners neuer Film ist keine Rückbesinnung zum klassischen Hollywood-Western mit dem Wissen der seitdem in Filmen, Büchern und gesellschaftlichen Diskussionen stattgefundenen Entwicklungen. Dabei trug Costner mit seinem Regiedebüt „Der mit dem Wolf tanzt“ und wie er die Native Americans zeigte, zu dieser Neubetrachtung der US-amerikanischen Geschichte bei. Mit „Horizon“ hätte er den klassischen Hollywood-Western neu betrachten können. Stattdessen versucht er alle Entwicklungen, die es seit den fünfziger Jahren gab, zu ignorieren. Er will wieder so naiv wie damals erzählen und die alten Legenden wieder vollumfänglich bestätigen. Aber die Zeit ist vorbei. Wir sind weiter.

Aus diesem ‚zurück in die Vergangenheit‘-Gedanken ergibt sich auch das gewählte Bildformat. Gedreht wurde im US-Breitwandformat (1,85:1), das wie ein heutiges TV-Bild aussieht und dem Film von der ersten Minute wie einen TV-Western wirken lässt. Quentin Tarantino ging in seinem grandiosen Schneewestern „The hateful 8“ den entgegengesetzten Weg. Das Bild konnte nicht breit genug sein.

Der Auftakt von Costners lange gehegtem und jetzt mit eigenem Geld finanziertem Traumprojekt enttäuscht. Als Einzelfilm funktioniert „Horizon“ nicht, weil er kein Ende, sondern nur eine Menge Anfänge hat, Als Auftakt von einem Epos, das die Menschen in einigen Monaten wieder in die Kinos treibt, funktioniert der Film auch nicht. Keine Geschichte macht wirklich neugierig auf die nächste Episode der Saga. Von keiner Figur will man unbedingt erfahren, was ihr zustoßen wird.

Der zweite „Horizon“-Film läuft am 7. November 2024 in Deutschland an.

Horizon – Eine amerikanische Saga (Horizon – An American Saga Chapter 1, USA 2024)

Regie: Kevin Costner

Drehbuch: Jon Baird, Kevin Costner

mit Sienna Miller, Sam Worthington, Danny Huston, Michael Rooker, Kevin Costner, Jena Malone, Michael Angarano, Abbey Lee, Jamie Campbell Bower, Jon Beavers, Owen Crow Shoe, Tatanka Means, Liluye, Luke Wilson, Ella Hunt, Tom Payne, Will Patton, Isabelle Fuhrman, Hayes Costner, Georgia MacPhail

Länge: 181 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Horizon – Eine amerikanische Saga“

Metacritic über „Horizon – Eine amerikanische Saga“

Rotten Tomatoes über „Horizon – Eine amerikanische Saga“

Wikipedia über „Horizon – Eine amerikanische Saga“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Old“ – ein Tag am Strand

Juli 30, 2021

Ich fand M. Night Shyamalans neuen Film „Old“ gelungen. Bevor ich das genauer erkläre, sollte ich vielleicht verraten, was „Old“ nicht ist. Wer „Old“ mit den Erwartungen des traditionellen Hollywood-Erzählkinos und den Hollywood-Plotmodellen ansieht, wird wenig mit dem Horrorfilm anfangen können. Er hat keinen eindeutigen Protagonisten. Wer nach Unplausibilitäten sucht, wird viele finden. Die Erklärung ist, nun, logisch betrachtet ziemlich fantastisch oder, je nachdem, wie kritisch man darüber nachdenkt, einfach bescheuert. Aber immerhin liefert Shyamalan einen nachvollziehbaren Grund für die Leiden seiner Figuren. In der Vorlage, dem Comic „Sandburg“ von Pierre Oscar Lévy und Frederik Peeters, wird zugunsten eines Warten auf den Tod darauf verzichtet. Ansonsten hält Shyamalan sich in seiner Interpretation erstaunlich nah an den Plot der Vorlage.

Und wer in einen Shyamalan-Film nur wegen des Twists hineingeht, wird auch enttäuscht werden. Denn diesen Twist gibt es nicht. Es ist, soviel kann verraten werden, eher eine B-Picture-Auflösung oder die Enttarnung des Mörders am Ende eines Rätselkrimis. Es ist also keine Auflösung, die, wie in „The sixth Sense“, alles vorher gesehene in einem vollkommen anderen Licht erscheinen lässt. Und, im Gegensatz zu seinen vorherigen Filmen, gibt es dieses Mal auch keine Superhelden oder vermeintlichen Superhelden. In „Old“ gibt es nur ganz normale Menschen ohne irgendwelche fantastischen Eigenschaften.

In „Old“ geht es um ein Thema, das im Rahmen einer albtraumhaften Situation durchgespielt wird.

Während des Urlaubs in einem malerisch abgelegen gelegenem Luxusressort empfiehlt der Hotelmanager den Eheleuten Guy und Prisca Capa und ihren beiden Kindern, dem sechsjährigen Trent und der elfjährigen Maddox, den Besuch einer kleinen, versteckten Bucht.

Dorthin begleitet werden sie von einer anderen Familie, die aus einem Arzt (mit, wie wir später erfahren, psychischen Problemen), seiner Mutter, seiner deutlich jüngeren, auf ihr Aussehen bedachten Frau und ihrer sechsjährigen Tochter.

In der Bucht treffen sie auf MID SEIZED SEDAN. Der Rapper wartet auf seine Freundin. Sie ist in der Nacht hinausgeschwommen. Ihre Leiche wird im Lauf des Tages angespült.

Etwas später stößt ein weiteres Paar zu ihnen. Es sind ein patenter Krankenpfleger und seine Frau, eine Psychologin, die auch Epileptikerin ist.

Zugegeben, für eine versteckte Bucht sind das viele Menschen. Sie sind auch nicht zufällig in die Bucht gekommen. Fast alle haben Krankheiten. Und am Strand altern sie rasend schnell. Jede halbe Stunde altern sie um ein Jahr. In zehn Stunden altern sie also um zwanzig Jahre. In zwanzig Stunden um vierzig Jahre. Diese Veränderung fällt zuerst an den Kindern auf. Ihr Körper verändert sich. Ihre Badekleider passen nicht mehr.

Weil sie nicht sterben wollen, versuchen sie den Strand zu verlassen, bevor sie in wenigen Stunden sterben werden.

Allerdings schlagen ihre ersten Fluchtversuche fehl. So können sie durch die Felsschlucht, durch die sie zum Strand gelangten, nicht zurückgehen. Sie können die die Bucht umgebende imposante Felswand nicht hinaufklettern. Sie können nicht in das Meer hinausschwimmen.

Und sie finden keine Erklärung für ihr plötzliches Altern.

Old“ ist, im Rahmen einer absurden Situation, eine in einen Tag und eine Nacht gedrängte Meditation über das Altern und das Vergehen der Zeit. Weil das Ende, nämlich der Tod, unverrückbar feststeht, ist es keine Frage ob, sondern nur wann die verschiedenen Figuren sterben. Dieses Setting führt natürlich dazu, dass man sich mit keiner der Figuren und ihrer Probleme übermäßig identifizieren möchte. Schließlich könnte sie schon zwei Minuten später tot sein. Außedem sind sie alle erschreckend normal und ohne irgendwelche besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten. Wir könnten jedem von ihnen im nächsten Café begegnen.

So werden allerdings das Thema und das kafkaeske der Situation, in der sie sich befinden, umso deutlicher.

Schon in den ersten Minuten, wenn wir zum ersten Mal der Famiie Capa begegnen, führt Shyamalan unauffällig das Thema ein und weist auf künftige Ereignisse hin. So sprechen sie auf ihrer Fahrt zum Hotel über die Dinge, die auf jeder Fahrt angesprochen werden (Wann sind wir da? – Genieß die Landschaft. Guck nicht auf das Telefon. – Ihr habt gesagt, dass wir in fünf Minuten da sind. Jetzt sind wir immer noch nicht da. – Warum vergeht die Zeit so langsam?). Diese alltäglichen Sätze sind gleichzeitig deutliche Hinweise auf die kommenden Ereignisse. Denn in der Bucht wünschen sie sich, dass die Zeit langsamer vergeht, dass sie mehr Zeit hätten und sie fragen sich, was der Sinn ihres Lebens sein könnte.

Shyamalan erzählt diese Horrorogeschichte aus der „Twilight Zone“ voller Suspense und immer wieder elliptisch. Er zeigt die Ereignisse vor einem Ereignisse und die Folgen. Manchmal durch einen Zeitsprung. Manchmal durch einen langsamen Kameraschwenk weg und wieder hin zu dem Ereignis. Manchmal bewegt sich die Kamera auch einfach weg, weil sie irgendwo am Strand etwas interessanteres gesehen hat. Manchmal vergeht mit dem Schwenk viel, manchmal keine Zeit.

Oft zeigt er auch zuerst die Reaktion und dann, auf was die Figuren gerade so erstaunt oder entsetzt reagieren. Ohne jetzt etwas von der Geschichte zu verraten ist so ein Moment, wenn der der Krankenpfleger Jarin und seine Frau Patricia das Alter von Maddox und Trent schätzen. Die beiden Kinder behaupten erheblich jünger zu sein, als sie geschätzt werden. Erst am Ende des längeren Gespräch wird gezeigt, dass Maddox und Trent innerhalb weniger Minuten um Jahre alterten. Oder wenn Prisca ihrer beiden Kinder sucht und entsetzt feststellen muss, dass Maddox und Trent nicht mehr Kinder, sondern Teenager oder junge Erwachsene sind.

Old“ ist eine Mediation über das Leben und die Vergeblichkeit, seinem Tod auszuweichen, der schneller als erwartet kommen kann. Shyamalan erzählt dies im Gewand eines Horror-B-Pictures, das die Horrorfilm-Konventionen mit seinen Geisterbahn-Effekten ignoriert. Ein großer Spaß.

Old (Old, USA 2021)

Regie: M. Night Shyamalan

Drehbuch: M. Night Shyamalan

LV: Pierre Oscar Lévy, Frederick Peeters: Chateau de sable, 2010 (Sandburg)

mit Gael García Bernal, Vicky Krieps, Rufus Sewell, Alex Wolff, Thomasin McKenzie, Abbey Lee, Nikki Amuka-Bird, Ken Leung, Eliza Scanlen, Aaron Pierre, Embeth Davidtz, Emun Elliott, Alexa Swinton, Gustaf Hammarsten, Kathleen Chalfant, Nolan River, Luca Faustino Rodriguez, Mikaya Fisher, Kailen Jude, M. Night Shyamalan

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Die Vorlage

(ein gutes Geschenk für den Aufenthalt in den Alpen; – obwohl, wer sagt, dass es da nicht ein ähnliches Tal gibt?)

Pierre Oscar Lévy/Frederik Peeters: Sandburg

(aus dem Französischen von Marion Herbert)

Reprodukt, 2021

104 Seiten

18 Euro

Deutsche Erstausgabe

Reprodukt, 2013

Originalausgabe

Cháteau de sable

Atrabile, 2010

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Old“

Metacritic über „Old“

Rotten Tomatoes über „Old“

Wikipedia über „Old“ (deutsch, englisch) (Achtung: hier wird selbstverständlich das Ende verraten!)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „After Earth“ (After Earth, USA 2013)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Split“ (Split, USA 2017)

Meine Besprechung von M. Night Shyamalans „Glass“ (Glass, USA 2019)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik (und ein Hinweis): Über die Stephen-King-Verfilmung „Der dunkle Turm“

August 10, 2017

Jetzt, endlich, nachdem schon seit Jahren, darüber gesprochen wurde, wahrscheinlich alle wichtigen Menschen in Hollywood, außer Clint Eastwood, irgendwann, mehr oder weniger ernsthaft, mit einer Verfilmung assoziiert wurden, Stephen King vor zehn Jahren die Verfilmungsrechte verkaufte und der Film dann mit verschiedenen Machern assoziiert wurde, ist die Verfilmung von „Der dunkle Turm“, Kings epischer, über Jahrzehnte geschriebener Fantasy-Saga, fertig.

Eine TV-Serie, die in einer noch unklaren Verbindung zum Film steht, – wahrscheinlich wird die Origin-Geschichte von Roland erzählt -, und ein weiterer Spielfilm, der sich irgendwie auch auf die TV-Serie beziehen soll, sind geplant. Ob den derzeit noch sehr schwammigen offiziellen Ankündigungen Taten folgen, wird die Zukunft zeigen.

In den USA ist der Film letzte Woche angelaufen. Aktuell steht er, was vor allem an der schwachen Konkurrenz liegt, auf dem ersten Platz der Kinocharts. Von der Kritik wurde er mit einem Furor verrissen, den zuletzt „Die Mumie“ erleben durfte.

Dabei ist „Der dunkle Turm“ nicht so schlecht, wie die Kritiken befürchten lassen. Ein guter Film ist er auch nicht. Sondern nur ein zutiefst durchschnittlicher, weit unter seinem Potential bleibender Film, der sich etliche Freiheiten gegenüber Kings Fantasy-Saga nimmt. Der Film ist nämlich eine einführende Interpretation in die von King über inzwischen acht Romane entworfene Welt,

Der vierzehnjährige Jake Chambers (Tom Taylor) lebt in New York. Seine Mutter hat einen neuen Freund und er ist in psychiatrischer Behandlung, weil er den Verlust seines Vaters noch nicht überwunden hat und Alpträume hat. Er träumt von einem dunklen Turm, einem Mann in Schwarz, einem Revolverhelden und einer untergehenden Welt. Er zeichnet seine Träume auf. Als er auf den Straßen von Manhattan und in seiner Wohnung Gestalten aus seinen Träumen begegnet, glaubt er, endgültig wahnsinnig zu werden.

Durch ein Portal betritt er Mittwelt, eine archaische Steampunk-Westernlandschaft. Dort erhofft er sich Antworten auf seine Alpträume, die doch keine Alpträume, sondern Bilder einer ihm unbekannten Realität sind. Er trifft den Revolvermann Roland Deschain (Idris Elba), der den Mann in Schwarz (Matthew McConaughey) verfolgt. Walter O’Dim hat übernatürliche Kräfte und eine große Gefolgschaft. Er will den dunklen Turm, der im Zentrum vieler verschiedener Welten steht, zum Einsturz bringen und so gleichzeitig alle Welten vernichten.

Roland will das verhindern und die Zeichnungen von Jake können ihm den Weg zum Mann in Schwarz und zum dunklen Turm weisen.

Ein klarer Konflikt, gute Schauspieler, beeindruckende Locations (gedreht wurde in Südafrika und New York) und trotzdem kann „Der dunkle Turm“ nicht wirklich begeistern. Die Tricks und die Actionszenen sind zwar gut, aber nicht grandios. Kein Dialoge bleibt im Gedächtnis. Alles wirkt etwas lieblos hingeschludert und fahrig. Deshalb hat man immer das Gefühl, dass mit etwas mehr Zeit beim Dreh und einer ruhigeren und konzentrierteren Erzählweise beim Erzählen der Filmgeschichte ein deutlich besseres Ergebnis möglich gewesen wäre.

Für einen Kinofilm wirkt alles immer eine Nummer zu klein. So als habe man den neunzigminütigen Pilotfilm für eine TV-Serie inszeniert.

Die Geschichte hat zwar ein klares Ende und keinen irgendwie gearteten Cliffhanger zum nächsten Film, aber trotzdem wirkt „Der dunkle Turm“ immer wieder wie ein Set-up, wie eine erste Begegnung mit einer Welt, in der noch viele Geschichten spielen können.

Idris Elba und Matthew McConaughey spielen weit unter ihrem Niveau. In Nikolaj Arcels Film haben sie nie die Präsenz, die sie in anderen Filmen und TV-Serien (ich sage nur „Luther“ und „True Detective“) haben. Das ist vor allem bei Idris Elba bedauerlich. Schon wieder hat er eine Rolle in einem Hollywood-Big-Budget-Film (auch wenn bei „Der dunkle Turm“ das Budget mit sechzig Millionen Dollar erstaunlich gering ist), schon wieder wird er unter Wert verkauft und schon wieder ärgert man sich darüber, dass Hollywood nicht die richtigen Rollen für Elba findet.

Insofern ist „Der dunkle Turm“ weit ab von dem Desaster, das man nach den ersten Kritiken befürchten konnte. Es ist aber auch nie ein Film, der unbedingt auf die große Leinwand drängt und der an irgendeinem Punkt beeindruckt. Er ist einfach in jeder Beziehung gewöhnlich und vorhersehbar.

Der dunkle Turm (The dark Tower, USA 2017)

Regie: Nikolaj Arcel

Drehbuch: Akiva Goldsman, Jeff Pinkner, Anders Thomas Jensen, Nikolaj Arcel

LV: basierend auf den „Der dunkle Turm“-Romanen von Stephen King

mit Idris Elba, Matthew McConaughey, Tom Taylor, Katheryn Winnick, Nicholas Hamilton, Jackie Earle Haley, Abbey Lee, Dennis Haysbert, José Zúñiga

Länge: 95 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage

Der Mann in Schwarz floh durch die Wüste, und der Revolvermann folgte ihm.“

Mit diesen Worten beginnt „Der dunkle Turm: Schwarz“. Der Roman erschien ursprünglich zwischen 1978 und 1981 im „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ als fünfteiliger Fortsetzungsroman. Er bildet der Auftakt zu Stephen Kings langlebigster Serie, die Fantasy munter mit allen möglichen Genres verknüpft. Neben den acht Romanen, Kurzgeschichten, zahlreichen Querverweisen zu und von seinen anderen Büchern und einer Comicserie ist „Der dunkle Turm“ vor allem ein sich in alle Richtungen ausdehnendes Werk.

In „Schwarz“ verfolgt der Revolvermann Roland, mit etlichen Zeitsprüngen (oder Erinnerungen), den Mann in Schwarz durch eine an einen Italo-Western erinnernde Steampunk-Wüstenlandschaft. Er erzählt einem Grenzbewohner, wie er eine ganze Stadt auslöschte. Er trifft Jake Chambers, ein aus unserer Gegenwart kommender Junge, der sich nur an Bruchstücke seines früheren Lebens erinnert. Jake lebt allein in einem verlassenen Gasthaus. Roland nimmt ihn mit und nach einigen gefährlichen Begegnungen mit mehr übernatürlichen als natürlichen Wesen steht er dem Mann in Schwarz gegenüber. Und diese Begegnung verläuft anders als im Film. Das liegt auch daran, dass Roland im Roman noch nicht weiß, was der dunkle Turm ist und was der Mann in Schwarz will.

Schwarz“ ist eine Sammlung von lose zusammenhängenden Impressionen und Episoden, die in einer prä-/postapokalyptischen Westernlandschaft spielen. Manche dieser Impressionen spielen in einer anderen Zeit. Oft ist der Zusammenhang zwischen diesen Episoden und der Hauptgeschichte nur erahnbar. Das liegt auch daran, dass sie für die aktuelle Geschichte bedeutungslos sind, und dass die Hauptgeschichte eine Ansammlung fast beliebig austauschbarer, folgenloser Begegnungen ist.

Schwarz“ ist ein wirklich schwer verständlicher, fast schon unverständlicher und damit unnötig konfuser Einstieg in die Welt des dunklen Turms.

Bei meiner grundsätzlichen Abneigung gegen Fantasy gehört der Roman zu den Büchern, mit denen ich absolut nichts anfangen kann.

Zum Kinostart veröffentlichte der Heyne-Verlag den ersten Band der „Der dunkle Turm“-Saga mit einem neuen Cover.

Stephen King: Der dunkle Turm: Schwarz

(Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe)

(übersetzt von Joachim Körber)

Heyne, 2017 (Filmausgabe)

352 Seiten

9,99 Euro

Originalausgabe der ursprünglichen Fassung

The Dark Tower: The Gunslinger

Donald M. Grant Publisher, Inc., 1982

2003 erstellte Stephen King eine überarbeitete und leicht erweiterte Fassung, in der er einige Details an die weiteren Ereignisse seiner „Der dunkle Turm“-Serie anpasste, die er damals mit „Savannah“ (Song of Savannah) und „Der Turm“ (The Dark Tower) abschloss. Für den Moment. Denn 2012 erschient mit „Wind“ (The Wind through the Keyhole) ein achter Roman, der zwischen den „Der dunkle Turm“-Romanen „Glas“ und „Wolfsmond“ spielt.

Die Neuausgabe folgt der 2003er-Ausgabe des Romans.

Bonushinweis

Vor wenigen Wochen erschien die Taschenbuchausgabe von „Basar der bösen Träume“, der sechsten Sammlung von Kurzgeschichten von Stephen King. Zusätzlich zur gebundenen Ausgabe enthält das Taschenbuch die neue Geschichte „Die Keksdose“ (knapp vierzig Seiten). Insgesamt enthält die Taschenbuchausgabe 21 Geschichten, die in den vergangenen Jahren bereits an verschiedenen Orten erschienen und für die Buchausgabe von King überarbeitet wurden.

Stephen King: Basar der bösen Träume

(übersetzt von vielen, sehr vielen,unglaublich vielen Übersetzern)

Heyne, 2017

816 Seiten

12,99 Euro

Deutsche Erstausgabe

Heyne, 2016

Originalausgabe

The Bazar of Bad Dreams

Scribner, New York, 2015

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Der dunkle Turm“

Metacritic über „Der dunkle Turm“

Rotten Tomatoes über „Der dunkle Turm“

Wikipedia über „Der dunkle Turm“ (Film: deutsch, englisch; Romanserie: deutsch, englisch) und Stephen King (deutsch, englisch)

Homepage von Stephen King

Mein Porträt zu Stephen Kings Geburtstag

Meine Besprechung von Stephen Kings/Richard Bachmans „Qual“ (Blaze, 2007)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Nachgelassene Dinge“ (The things they left behind) in Ed McBains „Die hohe Kunst des Mordens“ (Transgressions, 2005)

Meine Besprechung von Stephen Kings „Colorado Kid“ (The Colorado Kid, 2005)

Meine Besprechung von Joe Hill/Stephen King/Richard Mathesons „Road Rage“ (Road Rage, 2012)

Meine Besprechung der auf Stephen Kings Novelle “The Colorado Kid” basierenden TV-Serie “Haven”

Stephen King in der Kriminalakte, in seinem Trailer-Park und auf Europa-Tour

Meine Besprechung von Kimberly Peirces Stephen-King-Verfilmung “Carrie” (Carrie, USA 2013)

Meine Besprechung von Tod Williams‘ Stephen-King-Verfilmung „Puls“ (Cell, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Über Nicolas Winding Refns „The Neon Demon“

Juni 23, 2016

Schöne Menschen, schöne Bilder, schöne Musik, schön langweilig ist im Fall von „The Neon Demon“ das Ergebnis. In seinem neuen Film erzählt Nicolas Winding Refn von der jungen Jesse (Elle Fanning) die nach Los Angeles kommt. Die Sechzehnjährige (behauptet sie) aus Georgia will ein Model werden und gerät in eine albtraumhaft-surreale Welt.

Das erste, was in einem Alptraum ignoriert wird, ist die Logik. Das nächste eine stringent aufgebaute Geschichte. Auch in „The Neon Demon“ reihen sich die Episoden beliebig aneinander, lose aufgehängt an Jesses Geschichte von ihrem ersten Shooting zum nächsten Shooting. Es ist eine Welt, in der sich alles um Schönheit dreht und die Verfallszeit von Schönheit enorm kurz ist, wie ihr einige etwas ältere Models verraten.

Die Episoden aus Jesses Leben könnten auch, wie Szenen in einer Kunstinstallation, in irgendeiner anderen Reihenfolge gesehen werden. Sie bleiben abstrakte Stimmungsbilder, die ständig Signale aussenden, die im Film nicht weiterverfolgt werden. Die Modewelt! Hollywood! Die dunkle Seite von Hollywood, die in zahlreichen Krimis porträtiert wurde. Es ist die Welt, die David Lynch in „Mulholland Drive“ und „Lost Highway“ oder David Cronenberg in „Maps to the Stars“ ungleich pointierter, gelungener, stringenter, mitreisender, vielschichtiger, ambivalenter, abstrakter und dennoch konkreter zeigen.

Bei Refn ist sie nur eine Welt von zusammenhanglosen Zeichen, Signalen für beliebige Interpretationen und Szenen, die mal mehr, mal weniger als Tableau angeordnet sind, die ihr Leben eher auf einer Doppelseite eines Modemagazins entfalten. Es ist eine tote Welt. Hinter der Oberfläche lauert hier einfach nur die von keinem tieferem Gedanken getrübte Leere. Denn die Erkenntnis, dass die Modewelt oberflächlich ist, ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Falls das überhaupt die Erkenntnis ist, die Refn uns mitgeben will.

Denn am Ende von „The Neon Deom“ bleibt nur das Gefühl, dass Refn einem etwas wirklich wichtiges mitteilen wollte. Aber er will seine Botschaft – sofern er überhaupt irgendeine hat – nicht mehr in eine Geschichte packen. So sagt er im Presseheft, er habe einen Film über die Schönheit machen wollen. Er habe einen Horrorfilm machen wollen, in dem alle wichtigen Horrorfilmelemente enthalten seien, aber nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge. Er habe sich gefragt, ob es möglich sei, einen Horrorfilm ohne den Horror zu machen.

Nun, letzteres ist ihm gelungen; wobei sich natürlich die Frage stellt, warum man einen Horrorfilm ohne Horror machen will oder man Horrorfilmelemente in der falschen Reihenfolge präsentieren will.

The Neon Demon“ ist als Symphonie von Bildern und Tönen, die man an sich vorbeiziehen lässt, nicht ohne Reiz. Wenn man sich nicht darauf einlassen will oder kann, wenn man versucht über das Werk nachzudenken, ist es prätentiöser, Wichtigkeit behauptender Quark, optisch gelungen präsentiert.

The Neon Demon - Plakat

The Neon Demon (The Neon Demon, USA/Frankreich/Dänemark 2016)

Regie: Nicolas Winding Refn

Drehbuch: Nicolas Winding Refn, Mary Laws, Polly Stenham (nach einer Geschichte von Nicolas Winding Refn)

mit Elle Fanning, Jena Malone, Bella Heathcote, Abbey Lee, Karl Glusman, Chrstina Hendricks, Keanu Reeves, Allessandro Nivola

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „The Neon Demon“

Metacritic über „The Neon Demon“

Rotten Tomatoes über „The Neon Demon“

Wikipedia über „The Neon Demon“

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Fear X“ (Fear X, USA 2003)

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Drive“ (Drive, USA 2011)

Meine Besprechung von Nicolas Winding Refns „Only God Forgives“ (Only God Forgives, Frankreich/Dänemark 2013)