In einer nahen dystopischen Zukunft ist Paris in drei Zonen unterteilt, die die Habenichtse von den Vermögenden trennt. Die Verbrechensbekämpfung wird von der Künstlichen Intelligenz ALMA gesteuert. Als ALMAs Schöpfer ermordet wird und der Täter in die Zone 3 flüchtet, müssen die Zone-2-Elitepolizistin Salia (Adèle Exarchopoulos) und der desillusionierte Zone-3-Polizist Zem (Gilles Lellouche), der in seinem Viertel jeden kennt, zusammenarbeiten. Schnell stoßen die beiden Ermittler auf ein die Gesellschaft bedrohendes Komplott.
„Zone 3“ von Cédric Jimenez ist ein hoch budgetierter französischer Science-Fiction-Thriller, der gekonnt und kurzweilig bekannte Dystopie-Muster im Rahmen einer Actiongeschichte nach Frankreich überträgt.
Zone 3 (Chien 51, Frankreich 2025)
Regie: Cédric Jimenez
Drehbuch: Olivier Demangel, Cédric Jimenez
LV: Laurent Gaudé: Chien 51, 2022 (Hund 51)
mit Gilles Lellouche, Adèle Exarchopoulos, Louis Garrel, Romain Duris, Valeria Bruni Tedeschi, Artus, Stéphane Bak
1930 arbeitet Antoine de Saint-Exupéry (Louis Garrel), der später den Kinderbuchklassiker „Der kleine Prinz“ schreibt, in Argentien als Pilot für den französischen Luftpostdienst. Seine und die Mission seiner Kollegen ist die pünktliche Zustellung der Post. Dabei zählt jede Minute. Die Dunkelheit ist, mangels der heute vorhandenen Technik, der Feind. Das Wetter ebenso und über die Anden können sie nicht fliegen, weil sie zu hoch für ihre Flugzeuge sind. Trotzdem versuchen Saint-Exupéry und sein bester Freund Henri Guillaumet (Vincent Cassel) es. Nach einer Idee von Saint-Exupéry, wie eine Andenüberquerung möglich sein könnte, versucht Guillaumet die Überquerung. Während des Flugs verschwindet er spurlos.
Saint-Exupéry sucht ihn. Er hat eine ungefähre Vorstellung von der von Guillaumet gewählten Flugroute und er weiß, dass Guillaumet einige Notlandeplätze hatte.
Gut, wer „Der kleine Prinz“ gelesen hat und sich ein wenig über die Hintergründe informierte, kann einige Verbindungen zwischen dem Buch und den von Pablo Agüero in „Saint-Exupéry – Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen“ geschilderten Ereignissen ziehen. Diese Verbindungen sind allerdings sehr lose, fast schon willkürlich. Denn letztendlich schildert Agüero nur, wie ein Mann seinen in den Bergen verschollenen Freund sucht. Das ist eine klassische Abenteuergeschichte, die Agüero auch klassisch erzählt. Es gibt die tapferen Piloten, die Kollegen, die ängstlich wartende Frau des Verschollenen (Diane Kruger), während Saint-Exupérys Suche Begegnungen mit anderen Menschen und Tieren und natürlich einige schöne Landschaftsaufnahmen. Es gibt auch immer wieder so offensichtlich schlechte Trickaufnahmen, dass es nach Absicht aussieht. Denn das geht heute auch ohne ein Multi-Millionen-Dollar-Hollywood-Budget besser.
Und so ist „Saint-Exupéry“ kein irgendwie geartetes Biopic, sondern eine unterhaltsame, warmherzige, die Freundschaft zwischen Männern beschwörende Abenteuergeschichte, die in einigen Jahren im Nachmittagsprogramm (wenn es das dann noch gibt) gerne öfter angesehen werden kann.
Saint-Exupéry – Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen(Saint-Ex, Frankreich 2024)
Jetzt fechten sie wieder für den König und, angesichts der vielen Verfilmungen von Alexandre Dumas‘ Roman kann man sich fragen, ob die Welt wirklich einen weiteren „Die drei Musketiere“-Film benötigt. Die bekanntesten und immer noch beliebtesten Verfilmungen sind George Sidneys „Die drei Musketiere“ (USA 1948) und Richard Lesters Zweiteiler „Die drei Musketiere“ (Panama 1974) und „Die vier Musketiere – Die Rache der Milady“ (Panama 1975). Außerdem gibt es unzählige weitere Verfilmungen der bekannten Vorlage, die inzwischen vergessen sind.
Und dann gibt es noch Bertrand Taverniers „D’Artagnans Tochter“ (Frankreich 1994), die im Film von Sophie Marceau als muntere Kämpferin gespielt wird. Die Mantel-und-Degen-Komödie hat zwar nichts mehr mit dem Roman von Dumas zu tun, aber sie ist äußerst kurzweilig, viel zu unbekannt und der Grund, warum Martin Bourboulon das Angebot einer Neuverfilmung von Dumas‘ Roman akzeptierte. Sein Vater war einer der Produzenten von Taverniers Film und er durfte als Jugendlicher das Set besuchen.
Jetzt konnte Martin Bourboulon seinen eigenen Mantel-und-Degen-Film drehen.
Die Story hat er nicht grundlegend verändert. Wieder geht es um D’Artagnan (François Civil), einen vor Selbstvertrauen strotzendem Burschen aus der Gascogne, der in Paris ein Mitglied der legendären Musketiere werden möchte. Doch zuerst muss er sich mit drei Männern herumschlagen, denen er in den übervollen Gassen der Hauptstadt innerhalb weniger Minuten auf die Füße trat und die ihn nacheinander zum Duell herausforderten. Es sind, was D’Artagnan nicht weiß, die Musketiere Athos (Vincent Cassel), Porthos (Pio Marmaï) und Aramis (Romain Duris).
Noch bevor sie in einem Waldstück mit dem ersten Duell beginnen können, werden sie von Kardinal Richelieus Männern gestört – und Regisseur Martin Bourboulon nutzt die Gelegenheit für eine große, ungeschnittene, nicht enden wollende Actionszene. Bis zum Abspann folgende weitere sparsam geschnittene Kampfszenen.
Nach diesem wilden Kampf hat D’Artagnan sich den Respekt der drei Musketiere verdient. Sie nehmen ihn in ihre elitäre Gruppe auf.
Schnell werden sie in einen Komplott gegen den König, den sie beschützen sollen, verwickelt. 1627 ist die politische Situation unübersichtlich. Frankreich und England bekriegen sich. Evangelen und Katholen ebenso. Es wird munter hinter dem Rücken des Königs intrigiert. Treibende Kräfte sind dabei Kardinal Richelieu (Éric Ruf) und die geheimnisvolle Milady de Winter (Eva Green).
Martin Bourboulon, zuletzt „Eiffel in Love“, verzichtet in seiner Interpretation der klassischen Geschichte auf Modernismen, Ironisierungen und Aktualisierungen, die andere Regisseure bei ihren Verfilmungen historischer Stoffe vornehmen. Zum Bespiel indem die Musik aus Rocksongs besteht. Teilweise werden diese Songs, neu arrangiert, vor Publikum auf höfischen Gesellschaften gespielt. Oder indem moderne Gegenstände, die es damals noch lange nicht gab, im Bild auftauchen. Bourboulon verzichtet darauf. Er inszenierte einen bewusst altmodischen Mantel- und Degenfilm, der so auch schon für fünfzig Jahren hätte entstehen können. Und er nimmt sich viel Zeit. Wie einige ältere Versionen der Geschichte erzählt er sie in zwei Teilen. Der zweite Teil „Die drei Musketiere – Milady“ soll am 14. Dezember 2023 in Deutschland starten.
Eben diese Entscheidung führt zu einigen Längen. Die Geschichte wird jetzt in ungefähr vier Stunden erzählt. Dabei hätten sie sie auch als einen konzentriert in, sagen wir mal 150 Minuten erzählten Abenteuerfilm erzählen können. Jetzt ziehen sich einige Duelle gefühlt endlos hin. Milady de Winter geht auf einem Maskenball ebenfalls gefühlt endlos durch die Feiernden. Das Leben am Hof des Königs hätte nicht so ausführlich geschildert werden müssen. Und natürlich ist dieser erste Teil (mit seiner Abspannszene) vor allem die Vorbereitung des zweiten Teils, in dem die tapferen drei Musketieren (die eigentlich vier Musketiere sind) gegen die böse Milady de Winter kämpfen. Im ersten Teil hat sie nur eine Nebenrolle.
Doch das sind eher kleinere Einwände gegen einen unterhaltsamen, traditionsbewussten, starbesetzten Abenteuerfilm.
Die drei Musketiere – D’Artagnan (Les trois mousquetaires: D’Artagnan, Deutschland/Frankreich 2023)
Regie: Martin Bourboulon
Drehbuch: Matthieu Delaporte, Alexandre de La Patellière
LV: Alexandre Dumas: Les trois mousquetaires, 1843/44 (Die drei Musketiere)
mit François Civil, Vincent Cassel, Romain Duris, Pio Marmaï, Eva Green, Louis Garrel, Vicky Krieps, Lyna Khoudri, Jacob Fortune-Lloyd, Eric Ruf, Marc Barbé, Patrick Mille
Die Träumer (The Dreamers, Großbritannien/Italien/Frankreich 2002)
Regie: Bernardo Bertolucci
Drehbuch: Gilbert Adair
LV: Gilbert Adair: The holy innocents – A Romance, 1988 (später überarbeitet zu „The Dreamers“ und dann auf Deutsch als „Träumer“ erschienen)
Paris, Frühling 1968: Die Cinémathèque Francaise wird geschlossen. Drei Studenten, Matthew und die Zwillinge Isabelle und Theo, ziehen sich in die riesige Wohnung der Zwillinge zurück und spielen anfangs Filme nach. Später wird es immer mehr zu einem Spiel sexueller Obsessionen.
Bertoluccis Liebeserklärung an das Kino und sein bester Film seit langem. Adair meinte, so sein Agent in einem Gespräch, Bertolucci habe in dem Film das gesagt, was er in seinem Roman habe sagen wollen. Ein schöneres Kompliment hat wahrscheinlich noch kein Regisseur gehört.
Mit Michael Pitt, Eva Green, Louis Garrel, Anna Chancellor, Robin Renucci, Jean-Pierre Kalfon, Jean-Pierre Léaud
Einen Film will Woody Allen noch drehen. Das sagte der 86-jährige im Juni in einem Gespräch mit Alec Baldwin. Die Dreharbeiten für diesen Film beginnen im Herbst in Paris. Ob er danach noch weitere Filme drehe, wisse er nicht. Das Umfeld für seine Filme habe sich zu sehr verändert. Früher liefen sie überall. Jetzt würden sie wenige Wochen nach dem Kinostart auf einem Streamingportal gezeigt. So hatte sein bislang letzter Film am 18. September 2020 beim Filmfestival San Sebastián seine Premiere. In den USA wurde er Anfang des Jahres nur in wenigen Kinos gezeigt. Auch in Deutschland läuft er erst jetzt in einer überschaubaren Zahl von Kinos an. Dabei ist sein 49. Film gar nicht sein schlechtester. Es ist eine Komödie, die sich nahtlos in sein durchwachsenes, oft enttäuschendes Spätwerk einfügt.
Dieses Mal geht es um Mort Rifkin (Wallace Shawn). Der snobistische Filmkritiker und Universitätslehrer begleitet seine Frau Sue (Gina Gershon) nach Spanien zum Filmfestival in San Sebastián. Sie macht dort die Pressebetreuung für Philippe (Louis Garrel). Er ist ein junger, gut aussehender, charismatischer Regisseur, der gerade im Minutentakt Preise erhält. Rifkin hält nichts von Philippes Filmen. Er schlendert durch San Sebastián. Er fragt sich, ob Sue ihn mit Philippe betrügt. Er hat Schmerzen in der Brust. Er besucht Dr. Jo Rojas (Elena Anaya) und ist, weil er aufgrund des Namens einen Mann erwartet hat, ganz erstaunt, dass Rojas eine gut aussehende, unglücklich verheiratete Ärztin ist, mit der er sich gleich sehr gut versteht. In New York wohnten sie im gleichen Viertel. Sie haben den gleichen Kunstgeschmack. Er verliebt sich in sie – und erfindet schnell neue Beschwerden um sie wieder zu besuchen.
Vor, während und nach den Dreharbeiten wurde vor allem über Woody Allens Privatleben gesprochen. Es ging, wieder einmal, um inzwischen jahrzehntealte Missbrauchsvorwürfe von seiner Ex-Frau Mia Farrow. Diese Geschichte führte auch dazu, dass sich im Rahmen der #MeToo-Debatte etliche Schauspieler und sein Produktionspartner Amazon Studio von Allen distanzierten. Die Auswertung von seinen letzten beiden Filmen, „A rainy day in New York“ und „Rifkin’s Festival“, litt auch darunter. Und dann kam die Corona-Pandemie, die zu monatelangen Kinoschließungen führte. Insofern können wir uns freuen, dass Woody Allens immer noch neuester Film in die Kinos kommt. Auch wenn es nur ein kleiner Start ist. Hier in Berlin läuft der Film in drei Kinos.
Dabei ist der Film gar nicht so schlecht. Er hält ziemlich genau das Niveau seiner vorherigen Filme. Nichts ist neu. Vieles ist sehr vertraut. Einiges fast schon lieblos und schlampig inszeniert. Die Idee, Mort Rifkins Träume mit nachgespielten SW-Szenen aus seinen Lieblingsfilmen zu illustrieren, erfreut das Herz des Cineasten.
Beim Lesen der Handlung erkennen Allen-Fans sofort viele vertraute Elemente. Beim Ansehen dürften sie für fast jede Szene mindestens eine ähnliche Szene aus einem älteren Allen-Film nennen können. „Rifkin’s Festival“ ist, wieder einmal, eine Liebeskomödie, in der beide Ehepartner mit einem Seitensprung liebäugeln. Mort Rifkin ist natürlich eine weitere Version von Woody Allen, wie wir ihn spätestens seit dem „Stadtneurotiker“ kennen. Nur dass er dieses Mal nicht von Woody Allen, sondern von Wallace Shawn gespielt wird. Und Shawn spielt ihn äußerst bedächtig und erstaunlich uninteressiert an Pointen.
Seine Lieblingsfilme sind, wenig überraschend für einen älteren Filmkritiker, vor allem Klassiker des europäischen Kinos. Inszeniert wurden diese Filme von Regisseuren, die Allen selbst bewundert. Nämlich, – in der Klammer stehen die Filme, von denen Rifkin träumt -, Orson Welles (Citizen Kane, 1941), Jean-Luc Godard (Außer Atem, 1960), François Truffaut (Jules and Jim, 1962), Luis Buñuel (Der Würgeengel, 1962), Federico Fellini (8½, 1963), Claude Lelouch (Ein Mann und eine Frau, 1966) und, wenig verwunderlich nachdem Allen eine Bergman-Phase hatte, Ingmar Bergman (Das siebente Siegel, 1957; Wilde Erdbeeren, 1957; Persona; 1966).
„Rifkin’s Festival“ ist kein Film, mit dem Allen neue Fans gewinnen wird. Es ist auch keiner seiner besten Filme. Es handelt sich eher um den Besuch eines alten Freundes, der noch einmal seine bekannten Geschichten und Witze erzählt. Wegen der vielen filmischen Anspielungen hat es auch etwas von einem Alterswerk, das noch einmal bekannte Themen, Motive und Obsessionen bündelt. Nicht um sie irgendwie neu zu bewerten, sondern um sie einfach noch einmal anzusehen. Das ist, wie sein vorheriger Film „A rainy day in New York“, schon sympathisch anspruchslos. „Rifkin’s Festival“ ist der etwas fahrige Bericht von Rifkin gegenüber seinem Therapeuten, der am Filmanfang und -ende im Bild ist, über seine Woche im sonnigen San Sebastián.
Und natürlich kann man Rifkins Träume zum Anlass nehmen, sich die ihnen zugrunde liegenden Filme wieder anzusehen. Es gibt wahrlich schlechtere Beschäftigungen für ein langes Wochenende.
Rifkin’s Festival(Rifkin’s Festival, USA 2020)
Regie: Woody Allen
Drehbuch: Woody Allen
mit Wallace Shawn, Gina Gershon, Louis Garrel, Elena Anaya, Sergi López, Christoph Waltz, Tammy Blanchard, Steve Guttenberg, Richard Kind, Douglas McGrath
Eigentlich ist es noch nicht einmal eine Schnapsidee: In einem Café sagt der Schiffskapitän Jakob Störr (Gijs Naber) zu seinem Freund Kodor, er werde die nächste Frau heiraten, die das Lokal betrete.
Jakob ist ein schweigsamer Seemann, der den Beruf gefunden hat, der perfekt zu ihm passt. Er ist nicht verheiratet; auch weil er noch nie eine Ehefrau, zu der er nach seinen langen Seefahrten zurückkehren kann, vermisst hat. In der Gesellschaft von anderen Menschen ist er eher unbeholfen.
Bei der ersten Frau, die sich der Tür nähert, bereut er schon sein unbedacht abgegebenes Vesprechen. Denn es ist eine ältere, übergewichtige Frau. Sie betritt das Lokal dann doch nicht. Als erste Frau betritt Lizzy (Léa Seydoux) das Café. Sie ist jung, gutaussehend, charmant und gewitzt. Eine bessere Frau hätte, auf den ersten Blick, Jakob nicht finden können. Und, entgegen aller Erwartungen, nimmt sie, leicht amüsiert, den Heiratsantrag des ihr unbekannten Mannes an.
Es ist die sagenumwobene Liebe auf den ersten Blick, die in den folgenden Tagen und, nach der Heirat, Wochen vertieft wird.
Erst später, wenn Jakob von seinen Reisen zurückkehrt, bemerkt er, dass Lizzy ein eigenes Leben hat und ihm nicht alles sagt über ihre Freunde und ihre abend- und nächtlichen Unternehmungen.
„Die Geschichte meiner Frau“ ist die Verfilmung von Milán Füsts bekanntestem Roman. Ildikó Enyedi, die 2017 für „Körper und Seele“ den Goldenen Bären erhielt, bearbeitete den Roman, „ein riesiger, ausschweifender innerer Monolog, ein Strom von Selbstanalyse und Reflektion“ (Enyedi) zu einer strikt chronologisch erzählten Geschichte, die konsequent aus Jakobs Sicht erzählt wird.
Deshalb wissen wir nicht, was Lizzy in Jakobs Abwesenheit treibt. Also ob sie ihn, wie er vermutet, betrügt oder, was sie behauptet, einfach nur eine lebenslustige Frau ist, die gerne mit verschiedenen Männern ausgeht. Eigentlich erfahren wir während des gesamten gut dreistündigen Films nichts über sie, was wir nicht bereits nach den ersten Minuten wissen.
Über ihn erfahren wir auch nicht mehr. Vor allem erfahren wir nicht, warum er Lizzy so abgöttisch liebt und unbedingt mit ihr zusammen bleiben will. Denn er glaubt, dass sie ihn betrügt. Er ist eifersüchtig. Aber er will sich auch nicht aus den Fängen dieser Femme Fatale befreien.
Und umgekehrt ist unverständlich, warum Lizzy unbedingt Jakobs Ehefrau bleiben möchte.
Die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts spielenden Szenen einer Ehe kranken an dieser zunehmend unglaubwürdigen Liebesgeschichte. Entgegen des Titels „Die Geschichte meiner Frau“ wird nicht die Geschichte von Jakobs Frau erzählt. Das Liebesdrama erzählt höchstens die Geschichte seines Bildes seiner ihm unbekannten Frau, für deren Leben und Vergangenheit er sich niemals interessiert.
Außerdem ist der Film mit gut drei Stunden viel zu lang für seine doch arg redundante und damit auch langweiligen Geschichte.
Die Geschichte meiner Frau(A Feleségem Története, Ungarn/Deutschland/Frankreich/Italien 2021)
Regie: Ildikó Enyedi
Drehbuch: Ildikó Enyedi
LV: Milán Füst: A feleségem története, 1942 (Die Geschichte meiner Frau)
mit Gijs Naber, Léa Seydoux, Louis Garrel, Luna Wedler, Josef Hader, Sergio Rubini, Jasmine Trinca, Ulrich Matthes, Udo Samel
Auch wer nichts über den Fall Dreyfus weiß, weiß, dass es sich um den wahrscheinlich größten Justizskandal in der Geschichte Frankreichs handelt. 1894 wird der junge jüdische Offizier Alfred Dreyfus als Spion verurteilt. Der Landesverräter soll sein restliches Leben am anderen Ende der Welt auf der Teufelsinsel verbringen. Einige Jahre später, nachdem Émile Zola seinen legendären Brief „J’accuse“ (Ich klage an) in der Zeitung „L’Aurore“ veröffentlichte und es zahlreiche weitere Aufrufe, Proteste und Gerichtsverhandlungen gegeben hatte, wird Dreyfus freigesprochen. Die Beweise gegen ihn waren fabriziert worden, weil er ein Jude war.
Die Geschichte von diesem in Frankreich immer noch bekanntem Skandal erzählen jetzt Roman Polanski und Robert Harris in „Intrige“. Die Idee, die Geschichte noch einmal zu erzählen, äußerte Polanski gegenüber Harris Anfang 2012 in Paris bei einem Mittagessen. Davor hatte Polanski mit dem Bestsellerautor, nach seinem gleichnamigem Roman, das Drehbuch für den Polit-Thriller „Der Ghostwriter“ geschrieben. Nach diesem Mittagessen begann Harris mit den Recherchen. 2013 veröffentlichte er seinen Roman „Intrige“, in dem er aus der Sicht von Oberstleutnant Marie-Georges Picquart die Geschichte des Dreyfus-Skandals nacherzählt. Picquart ist der Mann, der nach der Verurteilung und öffentlichen Degradierung von Dreyfus zum Chef der Statistik-Abteilung (vulgo dem Geheimdienst) befördert wird und bei seiner Arbeit auf Merkwürdigkeiten im Fall Dreyfus stößt. Die Beweise die gegen Dreyfus in nicht öffentlichen Verhandlungen präsentiert wurden, sind dünn. Teilweise sind es auch keine Beweise für seine Schuld und teilweise sind sie fabriziert. Picquart zweifelt immer mehr an der Schuld von Dreyfus. Dazu trägt auch bei, dass er Hinweise auf einen weiteren deutschen Spion stößt, der wahrscheinlich die Taten, die Dreyfus vorgeworfen werden, verübte. Nur: kann er das beweisen und werden seine Vorgesetzten und die Regierung auf ihn hören?
Der mit über sechshundert Seiten etwas zu umfangreich gewordene Roman erzählt die Geschichte nah, sehr nah, an den tatsächlichen Ereignissen entlang.
Schon während des Mittagessens planten Polanski und Harris eine Verfilmung. Der jetzt nach einem Drehbuch von Harris und Polanski entstandene Film folgt dem Roman und, mit einigen Straffungen und einer Konzentration auf Picquart, den historisch verbürgten Ereignissen.
Polanski erzählt Picquarts Geschichte arg gediegen. Sehr ruhig breitet er den sich für Picquart in seiner ganzen Dimension erst langsam erschließenden Skandal aus. Dabei dauert es einige Zeit, bis Picquart sich in seiner neuen Arbeit eingelebt hat und auf die ersten Spuren stößt, die ihn veranlassen, den eigentlich schon abgeschlossenen Fall Dreyfus wieder aufzurollen.
Am Ende wirkt Polanskis Polit-Thriller wie ein bebilderter Wikipedia-Artikel. Die Fakten stimmen. Die Empörung über die Verurteilung von Dreyfus und die anschließende Vertuschung durch die Regierung stellt sich dagegen im Film nicht so sehr ein wie im Roman, wo der damals allgegenwärtige Judenhass auf jeder Seite spürbar ist. Es ist ein Hass, der den gesamten Staatsapparat beherrscht. Für die Militärs, Geheimdienstler und Politiker ist Dreyfus aufgrund seiner Herkunft der ideale Täter. Er ist so ideal, dass sie später skrupellos den wahren Spion beschützen.
Damit ist „Intrige“ nicht nur eine historische Lehrstunde, sondern ein zeitlos aktueller Aufruf zur Zivilcourage und eine Anklage gegen den wieder zu alltäglich werdenden Antisemitismus.
Intrige (J’accuse, Frankreich/Italien 2019)
Regie: Roman Polanski
Drehbuch: Robert Harris, Roman Polanski
LV: Robert Harris: An Officer and a Spy, 2013 (Intrige)
mit Jean Dujardin, Louis Garrel, Emmanuelle Seigner, Grégory Gadebois, Hervé Pierre, Wladimir Yordanoff, Didier Sandre, Melvil Poupaud, Eric Ruf, Mathieu Amalric, Laurent Stocker, Vincent Perez, Michel Vuillermoz
Für sechs Oscars ist „Little Women“ nominiert. Unter anderem in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes adaptiertes Drehbuch“. Zugegeben: das sind wichtige Kategorien. Aber sie ignorieren Greta Gerwigs Leistung als Regisseurin. Denn wie es ihr gelingt, ihr Ensemble so unverkrampft natürlich zusammen spielen zu lassen und wie sie aus einem historischen Stoff einen in jeder Sekunde zeitgenössischen Stoff macht, ist phantastisch. Ihr Film spielt zwischen 1861 und 1868, aber er versprüht nie den Muff eines Kostümdramas. Sie ergeht sich auch nicht in trendigen Modernismen. Sie lässt die Zeit und das Leben der titelgebenden vier kleinen Frauen vor unseren Augen wieder auferstehen. Gerade wenn die Schwestern, die mit ihrer Mutter in einer kleinen Hütte zusammen leben, in einem Raum zusammen sind, sich unterhalten, amüsieren und leiden, fühlt man sich wie ein heimlicher Beobachter.
Die Filmgeschichte selbst ist, wie Louisa May Alcotts 1868 und 1869 in zwei Bänden als „Little Women“ und „Good Wives“ erschienene Romanvorlage, eine Ansammlung von Beobachtungen, Erzählungen und Ereignissen aus dem Leben der March-Schwestern Jo (Saoirse Ronan), Meg (Emma Watson), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen) an der Schwelle zum Erwachsenwerden in Neuengland. Es geht um ihren Alltag. Es geht um die Träume, die sie als Jugendliche haben und wie sie sie als Erwachsene umsetzen wollen. Es geht um ihre Beziehung zu dem deutlich vermögenderen und in einem Anwesen lebenden Nachbarn, ihre Freundschaften, die zu Liebschaften werden können (Wer ist nicht in Timothée Chalamet verliebt?) und einen fast tödlichen Unfall auf dem Eis. Damals gab es noch richtige Winter, in denen Seen zufroren, Schnee meterhoch lag und es an den Fenstern von kalten Zimmern Eisblumen gab.
Gerwig bearbeitete Alcotts umfangreiche, schon mehrmals verfilmte Vorlage frei. Sie erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen (1861 und 1868), zwischen denen sie flüssig und assoziativ wechselt. 1868 hat Jo, die schon immer eine Schriftstellerin werden wollte, ihre Erinnerungen an ihre Jugend aufgeschrieben und bietet sie einem Verleger an. Der wäre bereit, das Buch mit einigen kleinen Veränderungen zu drucken.
Durch diesen doppelt gebrochenen Blick zurück in die Jugend der March-Schwestern wird auch der Blick auf die damals gültigen gesellschaftlichen Konventionen und die Rolle der Frau geschärft. Denn egal welche Wünsche Jo, Meg, Amy und Beth haben und egal welche Ideen für ihr Leben sie in ihrer kleinen, herrschaftsfreien Kommune entwerfen, die Gesellschaft sieht keine davon als eine realistische Möglichkeit vor. Da ist letztendlich nur eine aus wirtschaftlichen Erwägungen erfolgte Heirat, in der sie von ihrem Mann abhängig ist, vorgesehen. Denn bei einer Heirat geht ihr Vermögen in das des Mannes über. Kein Wunder, dass die auf ihre Unabhängigkeit bedachte Jo nichts von einer Heirat hält.
Letztendlich ist „Little Women“, auch durch seine Struktur, eine austauschbare Ansammlung von Episoden. Daher erinnert man sich nach dem Film nicht an seine Geschichte, sondern an die Stimmung und das Zusammenspiel der Schauspielerinnen. Gerwigs zweiter Spielfiilm ist wie ein Abend mit guten Freunden. Auch wenn man am Ende nicht mehr genau sagen kann, worüber gesprochen wurde und warum die Zeit so schnell verging, weiß man, dass es gute Gespräche in guter Stimmung waren.
Little Women (Little Women, USA 2019)
Regie: Greta Gerwig
Drehbuch: Greta Gerwig
LV: Louisa May Alcott: Little Women, 1868/1869 (ursprünglich veröffentlicht in zwei Teilen als „Little Women“ und „Good Wives“) (Kleine Frauen)
mit Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Timothée Chalamet, Laura Dern, Meryl Streep, Tracy Letts, Bob Odenkirk, James Norton, Louis Garrel, Chris Cooper
Nach einem Skiunfall bilanziert Tony (Emmanuelle Bercot) in einer Reha-Klinik ihre jahrelange, äußerst stürmische Beziehung zu Georgio (Vincent Cassel).
TV-Premiere der feinfühligen Charakterstudie über eine extrem schwierige Beziehung.
Die Träumer (The Dreamers, Großbritannien/Italien/Frankreich 2002)
Regie: Bernardo Bertolucci
Drehbuch: Gilbert Adair
LV: Gilbert Adair: The holy innocents – A Romance, 1988 (später überarbeitet zu „The Dreamers“ und dann auf Deutsch als „Träumer“ erschienen)
Paris, Frühling 1968: Die Cinémathèque Francaise wird geschlossen. Drei Studenten, Matthew und die Zwillinge Isabelle und Theo, ziehen sich in die riesige Wohnung der Zwillinge zurück und spielen anfangs Filme nach. Später wird es immer mehr zu einem Spiel sexueller Obsessionen.
Bertoluccis Liebeserklärung an das Kino und sein bester Film seit langem. Adair meinte, so sein Agent in einem Gespräch, Bertolucci habe in dem Film das gesagt, was er in seinem Roman habe sagen wollen. Ein schöneres Kompliment hat wahrscheinlich noch kein Regisseur gehört.
Mit Michael Pitt, Eva Green, Louis Garrel, Anna Chancellor, Robin Renucci, Jean-Pierre Kalfon, Jean-Pierre Léaud
Die Träumer (Großbritannien/Italien/Frankreich 2002, Regie: Bernardo Bertolucci)
Drehbuch: Gilbert Adair
LV: Gilbert Adair: The holy innocents – A Romance, 1988 (später überarbeitet zu „The Dreamers“ und dann auf Deutsch als „Träumer“ erschienen)
Paris, Frühling 1968: Die Cinémathèque Francaise wird geschlossen. Drei Studenten, Matthew und die Zwillinge Isabelle und Theo, ziehen sich in die riesige Wohnung der Zwillinge zurück und spielen anfangs Filme nach. Später wird es immer mehr zu einem Spiel sexueller Obsessionen.
Bertoluccis Liebeserklärung an das Kino und sein bester Film seit langem. Adair meinte, so sein Agent in einem Gespräch, Bertolucci habe in dem Film das gesagt, was er in seinem Roman habe sagen wollen. Ein schöneres Kompliment hat wahrscheinlich noch kein Regisseur gehört.
Mit Michael Pitt, Eva Green, Louis Garrel, Anna Chancellor, Robin Renucci, Jean-Pierre Kalfon, Jean-Pierre Léaud
Tony (Emmanuelle Bercot) muss nach einem schweren Skiunfall in einer malerisch abgelegenen Reha-Klinik wieder Laufen lernen. Während dieser Heilungsprozess seine langsamen Fortschritte macht, erinnert sie sich an ihre ebenso stürmische, wie turbulente jahrelange Beziehung zu Georgio (Vincent Cassel). Die unfallbedingte Ruhepause verschafft ihr die Zeit, eine Bilanz ihres bisherigen Lebens zu ziehen und die sieht in dieser Beziehung nicht besonders gut aus.
Die gut situierte Anwältin lernte Georgio vor zehn Jahren in einer Bar kennen und war von dem extrovertierten Dandy und Frauenschwarm fasziniert. Vor allem, weil der Restaurantbesitzer sich auch für sie interessiert. Und dann überzeugt der notorisch ungebundene Lebemann und Nachtmensch nicht nur im Bett, sondern auch mit seinen Fähigkeiten als Hausmann in der Küche.
Dummerweise sind, wie Tony sich in der Reha bewusst wird, genau die Dinge, wegen denen sie sich in Georgio verliebte, auch die Dinge, die eben auch gegen eine harmonische Beziehung sprechen. Vor allem, wie sie es gerne hätte, eine langfristig bürgerliche, harmonische Beziehung mit Haus und Kind.
Maïwenn (zuletzt „Poliezei“) inszenierte ihre feinfühlige, niemand verurteilenden Charakterstudie immer nah an dem Liebespaar und ihrer ebenso turbulenten, wie auch von Anfang an problematischen Beziehung, in der jeder in dem Anderen etwas sieht, was er nicht hat und genau deshalb begehrt. Allerdings, und das merkt Tony im Lauf der Jahre und auch als Mutter des von Georgio sehnlich gewünschten Kindes, kann und will sich keiner von beiden wirklich verändern. Immer wieder verfallen sie in ihr altes Verhalten. Immer wieder begeht vor allem sie die gleichen Fehler, was dem Film, auch wegen der gewählten Struktur, etwas zirkuläres verschafft.
Schnell muss man sich als Zuschauer entscheiden, wie sehr man mit Tony mitgeht. Denn dass Georgio nicht der häusliche Traumprinz ist und auch niemals sein wird, ist schon bei ihrer ersten Begegnung offensichtlich. Auch wenn sie es anders sieht und nicht auf gutgemeinte Ratschläge hören will.
Mein Ein, mein Alles (Mon Roi, Frankreich 2015)
Regie: Maïwenn
Drehbuch: Maïwenn, Etienne Comar
mit Vincent Cassel, Emmanuelle Bercot, Louis Garrel, Isild Le Besco, Chrystèle Saint-Louis Augustin, Patrick Raynal
Die Träumer (Großbritannien/Italien/Frankreich 2002, Regie: Bernardo Bertolucci)
Drehbuch: Gilbert Adair
LV: Gilbert Adair: The holy innocents – A Romance, 1988 (später überarbeitet zu „The Dreamers“ und dann auf Deutsch als „Träumer“ erschienen)
Paris, Frühling 1968: Die Cinémathèque Francaise wird geschlossen. Drei Studenten, Matthew und die Zwillinge Isabelle und Theo, ziehen sich in die riesige Wohnung der Zwillinge zurück und spielen anfangs Filme nach. Später wird es immer mehr zu einem Spiel sexueller Obsessionen.
Bertoluccis Liebeserklärung an das Kino und sein bester Film seit langem. Adair meinte, so sein Agent in einem Gespräch, Bertolucci habe in dem Film das gesagt, was er in seinem Roman habe sagen wollen. Ein schöneres Kompliment hat wahrscheinlich noch kein Regisseur gehört.
Mit Michael Pitt, Eva Green, Louis Garrel, Anna Chancellor, Robin Renucci, Jean-Pierre Kalfon, Jean-Pierre Léaud