Le Mans 66: Gegen jede Chance (Ford v Ferrari, USA 2019)
Regie: James Mangold
Drehbuch: Jez Butterworth, John-Henry Butterworth, Jason Keller
In den frühen sechziger Jahren hatte Ferrari mit seinen Siegen bei Autorennen ein cooles Image. Der langweilige Familienkutschenhersteller Ford wollte von diesem Image profitieren. Aber Ferrari wehrte sich erfolgreich gegen die Firmenübernahme. Also engagierte Henry Ford II den Ex-Rennfahrer Carroll Shelby (Matt Damon). Er sollte in kürzester Zeit einen Ford-Rennwagen entwickeln, der bei dem prestigeträchtigen 24-Stunden-Rennen von Le Mans Ferrari schlägt. Shelby engagiert dafür Ken Miles (Christian Bale), einen nicht teamfähigen, genialen Tüflter, Autonarr und Rennfahrer. Gemeinsam könnte ihnen das Unmögliche gelingen.
Tolles, auf einer wahren Geschichte beruhendes Rennfahrerdrama und ein zukünftiger Klassiker.
James Mangolds neuer Film, der neue Indiana-Jones-Film, in dem Harrison Ford wieder die Peitsche schwingt, läuft am 29. Juni in den deutschen Kinos an. Die Kritiken aus Cannes sind gemischt.
mit Matt Damon, Christian Bale, Jon Bernthal, Caitrano Balfe, Tracy Letts, Josh Lucas, Noah Jupe, Remo Girone, Ray McKinnon, JJ Field, Jack McMullen
Le Mans 66: Gegen jede Chance (Ford v Ferrari, USA 2019)
Regie: James Mangold
Drehbuch: Jez Butterworth, John-Henry Butterworth, Jason Keller
In den frühen sechziger Jahren hatte Ferrari mit seinen Siegen bei Autorennen ein cooles Image. Der langweilige Familienkutschenhersteller Ford wollte von diesem Image profitieren. Aber Ferrari wehrte sich erfolgreich gegen die Firmenübernahme. Also engagierte Henry Ford II den Ex-Rennfahrer Carroll Shelby (Matt Damon). Er sollte in kürzester Zeit einen Ford-Rennwagen entwickeln, der bei dem prestigeträchtigen 24-Stunden-Rennen von Le Mans Ferrari schlägt. Shelby engagiert dafür Ken Miles (Christian Bale), einen nicht teamfähigen, genialen Tüflter, Autonarr und Rennfahrer. Gemeinsam könnte ihnen das Unmögliche gelingen.
TV-Premiere. Tolles, auf einer wahren Geschichte beruhendes Rennfahrerdrama und ein zukünftiger Klassiker.
Elvis & Nixon (Elvis & Nixon, USA/Deutschland 2016)
Regie: Liza Johnson
Drehbuch: Joey Sagal, Hanala Sagal
Am 21. Dezember 1970 treffen sich im Oval Office US-Präsident Richard Nixon und Sänger Elvis Presley. Von dem Treffen gibt es ein Bild, aber keinen Tonmitschnitt. In der wunderschönen Komödie/Charakterstudie „Elvis & Nixon“ erfahren wir jetzt, wie es zu dem Treffen kam (keine leichte Angelegehnheit für die Kofferträger der beiden prominenten Männer) und was damals im Weißen Haus geschah. Denn Elvis war von der Hippie(un)kultur genervt und er wollte als Undercover-FBI-Agent gegen die Langhaarigen, die Kommunisten und Drogen kämpfen.
TV-Premiere eines rundum gelungenen Films mit viel Zeitkolorit über eine kleine, unbedeutende Anekdote der Weltgeschichte zu einer unmöglichen Uhrzeit.
Für sechs Oscars ist „Little Women“ nominiert. Unter anderem in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes adaptiertes Drehbuch“. Zugegeben: das sind wichtige Kategorien. Aber sie ignorieren Greta Gerwigs Leistung als Regisseurin. Denn wie es ihr gelingt, ihr Ensemble so unverkrampft natürlich zusammen spielen zu lassen und wie sie aus einem historischen Stoff einen in jeder Sekunde zeitgenössischen Stoff macht, ist phantastisch. Ihr Film spielt zwischen 1861 und 1868, aber er versprüht nie den Muff eines Kostümdramas. Sie ergeht sich auch nicht in trendigen Modernismen. Sie lässt die Zeit und das Leben der titelgebenden vier kleinen Frauen vor unseren Augen wieder auferstehen. Gerade wenn die Schwestern, die mit ihrer Mutter in einer kleinen Hütte zusammen leben, in einem Raum zusammen sind, sich unterhalten, amüsieren und leiden, fühlt man sich wie ein heimlicher Beobachter.
Die Filmgeschichte selbst ist, wie Louisa May Alcotts 1868 und 1869 in zwei Bänden als „Little Women“ und „Good Wives“ erschienene Romanvorlage, eine Ansammlung von Beobachtungen, Erzählungen und Ereignissen aus dem Leben der March-Schwestern Jo (Saoirse Ronan), Meg (Emma Watson), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen) an der Schwelle zum Erwachsenwerden in Neuengland. Es geht um ihren Alltag. Es geht um die Träume, die sie als Jugendliche haben und wie sie sie als Erwachsene umsetzen wollen. Es geht um ihre Beziehung zu dem deutlich vermögenderen und in einem Anwesen lebenden Nachbarn, ihre Freundschaften, die zu Liebschaften werden können (Wer ist nicht in Timothée Chalamet verliebt?) und einen fast tödlichen Unfall auf dem Eis. Damals gab es noch richtige Winter, in denen Seen zufroren, Schnee meterhoch lag und es an den Fenstern von kalten Zimmern Eisblumen gab.
Gerwig bearbeitete Alcotts umfangreiche, schon mehrmals verfilmte Vorlage frei. Sie erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen (1861 und 1868), zwischen denen sie flüssig und assoziativ wechselt. 1868 hat Jo, die schon immer eine Schriftstellerin werden wollte, ihre Erinnerungen an ihre Jugend aufgeschrieben und bietet sie einem Verleger an. Der wäre bereit, das Buch mit einigen kleinen Veränderungen zu drucken.
Durch diesen doppelt gebrochenen Blick zurück in die Jugend der March-Schwestern wird auch der Blick auf die damals gültigen gesellschaftlichen Konventionen und die Rolle der Frau geschärft. Denn egal welche Wünsche Jo, Meg, Amy und Beth haben und egal welche Ideen für ihr Leben sie in ihrer kleinen, herrschaftsfreien Kommune entwerfen, die Gesellschaft sieht keine davon als eine realistische Möglichkeit vor. Da ist letztendlich nur eine aus wirtschaftlichen Erwägungen erfolgte Heirat, in der sie von ihrem Mann abhängig ist, vorgesehen. Denn bei einer Heirat geht ihr Vermögen in das des Mannes über. Kein Wunder, dass die auf ihre Unabhängigkeit bedachte Jo nichts von einer Heirat hält.
Letztendlich ist „Little Women“, auch durch seine Struktur, eine austauschbare Ansammlung von Episoden. Daher erinnert man sich nach dem Film nicht an seine Geschichte, sondern an die Stimmung und das Zusammenspiel der Schauspielerinnen. Gerwigs zweiter Spielfiilm ist wie ein Abend mit guten Freunden. Auch wenn man am Ende nicht mehr genau sagen kann, worüber gesprochen wurde und warum die Zeit so schnell verging, weiß man, dass es gute Gespräche in guter Stimmung waren.
Little Women (Little Women, USA 2019)
Regie: Greta Gerwig
Drehbuch: Greta Gerwig
LV: Louisa May Alcott: Little Women, 1868/1869 (ursprünglich veröffentlicht in zwei Teilen als „Little Women“ und „Good Wives“) (Kleine Frauen)
mit Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Timothée Chalamet, Laura Dern, Meryl Streep, Tracy Letts, Bob Odenkirk, James Norton, Louis Garrel, Chris Cooper
Mitte der sechziger Jahren war Ferrari cool und gewann reihenweise Autorennen. Ford war, nun, das Gegenteil. Und auch wenn ein amerikanischer Junge nicht das Geld hatte, sich einen Ferrari-Sportwagen zu kaufen, investierte er sein Geld definitiv nicht in einen Ford, der damals das Synonym für ‚langweilige Familienkutsche‘ war. Um das zu ändern, beauftragt der Autokonzern Ford den Ex-Rennfahrer und Auto-Designer Carroll Shelby innerhalb kürzester Zeit einen Rennwagen zu entwickeln, der in Le Mans beim legendären 24-Stunden-Rennen Ferrari besiegen kann und soll. Das Rennen stellt allein schon aufgrund seiner Dauer höchste Ansprüche an Fahrer und Fahrzeuge.
Shelby nimmt den unmöglichen Auftrag an. Helfen soll ihm Ken Miles, ein Autoschrauber und Testfahrer, bei dem Genie und Wahnsinn dicht beieinander liegen. Denn so brillant Miles als Fahrer und Tüftler ist, so unverträglich ist er gegenüber fast allen Menschen und er ist absolut nicht teamfähig. Aber Shelby verspricht ihm, dass er am 24-Stunden-Rennen teilnehmen wird. Auch wenn dieses Versprechen nicht leicht einzuhalten ist.
Sie machen sich an die Arbeit, die damals vor allem aus einer Folge von Versuchen und Irrtümern mit verschiedenen munter ausgetauschten und ausgebauten Fahrzeugteilen besteht. Im Zweifelsfall wird auf jedes Gramm Gewicht verzichtet und die heutigen Sicherheitsbestimmungen waren damals noch nicht einmal angedacht.
1966 schickt Ford dann seine Fahrzeuge und Fahrer ins 24-Stunden-Rennen. Miles ist einer der Fahrer. Shelby der Leiter des Rennteams.
James Mangold, der zuletzt mit „Logan“ begeisterte, erzählt in seinem neuen Film „Le Mans 66: Gegen jede Chance“ die Geschichte von dem Duell zwischen Ford und Ferrari nach. Im Mittelpunkt des Dramas stehen die miteinander befreundeten Rennfahrern Shelby und Miles, gespielt von Matt Damon und Christian Bale, die auch gegen Widerstände im Ford-Konzern auf das Ziel hinarbeiteten, den unbesiegbaren Ferrari-Rennstahl zu besiegen. Sie sind damit in doppelter Weise Underdogs. Mangold erzählt ihre Geschichte von Ende der fünfziger Jahre, als Shelby aufgrund eines schweren Herzleidens seine Karriere als Rennfahrer aufgeben muss, bis hin zu dem Autorennen 1966 in Le Mans, das im letzten Filmdrittel über fast vierzig Minuten gezeigt wird.
Diese Geschichte erzählt Mangold, wie in einer großen Reportage, souverän zwischen Einzelschicksalen, zwischen Detail- und Hintergrundinformationen, zwischen der Arbeit von Shelby und Miles in der Werkstatt und auf dem Testgelände und der großen Firmenpolitik in den Chefetagen von Ford wechselnd. Dabei hat er, auch wenn er sich auf Details konzentriert, immer das große Ganze im Blick. Ausstattung und Schauspieler überzeugen ebenso.
„Le Mans 66“ ist klassisches Erzählkino, das trotz seiner epischen Laufzeit von zweieinhalb Stunden immer spannend bleibt und auch Nicht-Rennsportfans von der ersten bis zur letzten Minute begeistert.
Damit gehört Mangolds Film schon jetzt, neben „Grand Prix“ (1966) und „Rush“ (2013), zu den wenigen gelungenen Filmen über die Rennsportszene. Erwähnen könnte man noch die deutlich unbekannteren Filme „Le Mans“ (1971) und „Weekend eines Champions“ (1971). „Le Mans“ war von Hauptdarsteller Steve McQueen ursprünglich als Dokumentarfilm geplant. „Weekend eines Champions“ ist ein fast unbekannter Dokumentarfilm von Roman Polanski, der 1971 Rennfahrer Jackie Stewart beim Großen Preis von Monaco begleitet.
Le Mans 66: Gegen jede Chance (Ford v Ferrari, USA 2019)
Regie: James Mangold
Drehbuch: Jez Butterworth, John-Henry Butterworth, Jason Keller
mit Matt Damon, Christian Bale, Jon Bernthal, Caitrano Balfe, Tracy Letts, Josh Lucas, Noah Jupe, Remo Girone, Ray McKinnon, JJ Field, Jack McMullen
Länge: 153 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
Hinweis: Der US-Titel ist „Ford v Ferrari“, der UK-Titel ist „Le Mans ’66“.
Anybody who talks about California hedonism has never spent a Christmas in Sacramento.
Joan Didion
Greta Gerwig ist nicht Lady Bird. Sie inszenierte den Film nur nach ihrem Drehbuch und, um jetzt gleich die offensichtliche Frage zu beantworten, obwohl der Film 2002 in Sacramento spielt, ist er nicht autobiographisch. Jedenfalls nicht im strengen Sinn. „Lady Bird“ erzählt eine erfundene Geschichte über eine junge Frau, die, wie Gerwig, in Sacramento lebt, auf eine katholische Mädchenschule geht und nach New York will.
Lady Bird ist Christine McPherson, gespielt von Saoirse Ronan und, nun, sie ist Lady Bird. Ein Teenager im letzten Highschooljahr. Ausgesetzt all den Gefühlsstürmen und Unsicherheiten, die man in diesem Alter hat. Vor allem wenn man aus einer armen Familie kommt und sich als Outcast fühlt. Ihre Mutter verdient als Krankenschwester das Geld für die Familie. Sie will ihrer Tochter die Flausen austreiben und eine realistische Perspektive auf ihr künftiges Leben vermitteln. Sie haben einfach nicht das Geld, um ihrer Tochter das teure Studium in New York zu bezahlen. Ihr gebildeter, arbeitsloser Vater sieht das wesentlich entspannter und verständnisvoller. Und ihr Bruder ist gar nicht ihr Bruder, sondern adoptiert und konkurriert mit ihrem Vater um die gleichen IT-Stellen.
An der Schule kämpft sie sich durch, hängt mit ihrer Freundin ab, wäre gerne bei dem coolen Jungs und Mädchen und natürlich geht es um den ersten Sex.
So gesagt unterscheidet sich „Lady Bird“ nicht von unzähligen anderen Highschool-Komödien. Sie erzählen Episoden aus dem Leben Jugendlicher in einer bestimmten Periode ihres Lebens. Meistens sind die Filme Ensemblefilme. Das ermöglicht es dem Regisseur, viele verschiedene Geschichten, Episoden und auch Perspektiven über das Erwachsenwerden einzubringen. Meistens ist es auch ein rein männlicher Blick, genau gesagt: der Blick des weißen Mannes.
Fast immer enden diese Filme mit einem von Außen bestimmten Ereignis, wie der Abschlussfeier oder dem Tag nach der letzten Nacht in dem geliebt/gehassten, vertrauten Geburtsort, der dann „Dazed and Confused“ in eine fremde Welt verlassen wird. Und, auch wenn wir die US-amerikanischen Schulen nur aus den Filmen kennen, sind die Filme immer wie ein Blättern in einem Bildband oder dem Karton mit den Jugendfotos, die Erinnerungen wecken.
Greta Gerwig erzählt ihren Film dagegen aus der weiblichen Perspektive und das eröffnet dem Genre neue Perspektiven. Sie hat einen sehr wahrhaftigen und authentischen Blick auf ihre Charaktere, die fast durchgängig Frauen sind. Auch die Lehrer sind, immerhin besucht Lady Bird eine katholische Mädchenschule, weiblich. Und wann hat man zuletzt eine Nonne als Lehrerin und als durchaus positive Respektsperson in einem Film gesehen? Die Männer, vor allem die jungen Männer, müssen sich da als Objekt der Begierde mit Nebenrollen begnügen.
Keine Nebenrolle haben dagegen, – auch hier unterscheidet „Lady Bird“ sich von anderen Highschool-Komödien -, die Eltern von Lady Bird. Vor allem ihre Beziehung zu ihrer Mutter, mit der sie eine wahre Hassliebe verbindet, nimmt viel Leinwandzeit in Anspruch.
So werden die Episoden aus Lady Birds chaotischem (Gefühls)Leben mehr als in anderen Highschool-Komödien zu einer Geschichte. Gerwig zeichnet eine Entwicklung nach, die erst in New York endet. Jedenfalls in diesem Film. Wer will kann nämlich in „Frances Ha“ (wo Gerwig Co-Autorin war und die Hauptrolle spielte), ohne große Anstrengungen, eine Art Weiterzählung von „Lady Bird“ sehen.
Am Ende von „Lady Bird“ erscheint Sacramento gar nicht so schlimm, wie Joan Didion, eine andere bekannte gebürtige Sacramentoerin (Ist das ein Wort?), behauptet. Jedenfalls nicht schlimmer als irgendein x-beliebiges Provinzkaff.
Lady Bird (Lady Bird, USA 2017)
Regie: Greta Gerwig
Drehbuch: Greta Gerwig
mit Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Lucas Hedges, Timothée Chalamet, Beanie Feldstein, Stephen McKinley Henderson, Lois Smith, Odeya Rush, Jordan Rodrigues, Marielle Scott
Der Undercover-Polizeithriller „Imperium“ ist der neueste Versuch von Daniel Radcliffe, nach dem Ende von Harry Potter, als ernsthafter und interessanter Schauspieler bekannt zu werden. Er will, im Gegensatz zu Mark Hamill, der immer nur Luke Skywalker ist (seine vielen Sprecher-Rollen zählen weltweit nicht), nicht auf ewig Harry Potter bleiben. Also wählt er oft bewusst schräge Rollen und Filme, die ihm wichtig sind.
In „Imperium“ spielt er den jungen, intelligenten und ambitionierten FBI-Agenten Nate Foster. Die Ranghöhere Angela Zamparo (Toni Collette) sucht ihn für einen Undercover-Einsatz aus. Nachdem in der Nähe von Washington, D. C. bei einem Unfall Cäsium verschwand, glaubt sie, dass Rechtsextremisten einen Anschlag mit einer schmutzigen Bombe vorbereiten und der beängstigend gut informierte Internet-Moderator Dallas Wolf (Tracy Letts) der Kopf der Terroristen ist. Foster soll sein Vertrauen erlangen. Dafür muss er zuerst das Vertrauen von anderen Rechtsextremisten erlangen. Diese bilden einen oft erschreckend normalen Querschnitt durch die Gesellschaft.
„Imperium“ ist das gelungene Spielfilmdebüt von Daniel Ragussis. Er inszenierte vorher auch den hochgelobten und mit mehreren Preisen ausgezeichneten Kurzfilm „Haber“ mit Christian Berkel als Fritz Haber. Die Inspiration für „Imperium“ war dabei die Arbeit des Ex-FBI-Agenten Michael German, der lange Zeit, auch undercover, im rechten Milieu ermittelte und darüber das Sachbuch „Thinking Like a Terrorist: Insights of a Former FBI Undercover Agent“ schrieb. Ragussis las es, kontaktierte German und gemeinsam entwickelten sie die Filmgeschichte, die ein realistisches und ungeschöntes Porträt der rechtsextremen Szene vermittelt.
In seinem Film, dessen straff erzählte Geschichte weitgehend den aus zahlreichen Thrillern über Undercover-Einsätze bekannten Erzählmustern folgt, hat Ragussis auch einige moralische Ambivalenzen und Überraschungen eingebaut, die gelungen einige Themen aus „Airlington Road“ aufnehmen. So gibt es neben den normal-dumpfen, entsprechend bedrohlichen Neo-Nazis, denen man schon vor dem ersten Bier jede Schweinerei zutraut, auch die bürgerlichen Nazis. Der Radiomoderator Dallas Wolf und der nette, gebildete Vorstadtdaddy Gerry Conway (Sam Trammell, „True Blood“), der alle Nazi-Gruppen zu regelmäßigen Barbecue-Nachmittagen (ohne Alkohol) einlädt, sind in ihrer Normalität und Biederkeit die schlimmsten Charaktere des Films. Sie könnten überall unsere Nachbarn sein.
Nach dem Sieg von Donald Trump ist „Imperium“ auch ein Blick auf die US-amerikanische Nazi- und ultrakonservative Bewegung („Alt-Right“ klingt doch ziemlich verharmlosend), die sich jetzt als Sieger sieht. Ohne eine einzige Bombe gezündet zu haben.
Als Bonus gibt es ein insgesamt siebzehnminütiges Featurettes von der Aufführung beim Zurich Film Festival mit Impressionen vom Grünen Teppich und Kurzinterviews mit Daniel Ragussis und Daniel Radcliffe (die wegen des Fragestellers kaum zu Wort kommen) und einem gut zehnminütigem Interview mit Daniel Radcliffe zum Film.
Imperium (Imperium, USA 2016)
Regie: Daniel Ragussis
Drehbuch: Daniel Ragussis (nach einer Geschichte von Michael German)
mit Daniel Radcliffe, Toni Collette, Tracy Letts, Sam Trammell, Nestor Carbonell, Chris Sullivan, Seth Numrich, Pawel Szajda, Devin Druid, Burn Gorman, Adam Meier
–
DVD
Ascot Elite
Bild: 2.38:2 (16:9)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: „Imperium“ auf dem Zurich Film Festival 2016: Exklusives Interview und Impressionen, Deutscher und Originaltrailer, Wendecover
Wann schläft Michael Shannon eigentlich? Am 22. Dezember kommt der Arthouse-Thriller „Nocturnal Animals“ mit ihm in einer Nebenrolle in die Kinos. Vor einigen Monaten lieferte er ein „Midnight Special“ und diese Woche laufen zwei Filme mit ihm als Hauptdarsteller an. In „Elvis & Nixon“ spielt er Elvis Presley. In „Salt and Fire“, dem neuen Werner-Herzog-Film, spielt er den Entführer Matt Riley.
Er entführt Prof. Dr. Laura Sommerfeld (Veronika Ferres). Sie ist die Leiterin einer wissenschaftlichen Delegation. Im Auftrag der Vereinten Nationen sollen sie in Bolivien herausfinden, was und wer eine große Umweltkatastrophe auslöste, durch die sich der Salzsee Diablo Blanco unerbittlich ausdehnt. Sie glaubt, dass ein global agierender Konzern dafür verantwortlich ist. Riley ist der CEO dieser Firma.
Nachdem Werner Herzogs letzter Film „Königin der Wüste“ mit Nicole Kidman als Gertrude Bell nur 08/15-Hollywood-Schnulzenkino war, ist „Salt and Fire“ wieder ein richtiger Herzog-Film, der uns in eine fremde Landschaft entführt. Denn die zweite Hälfte des Films spielt auf dem Salzsee Diablo Blanco. Dort wird Sommerfeld mit zwei blinden, einheimischen Kindern auf einer kleinen Felseninsel ausgesetzt. Sie haben Lebensmittel für eine Woche. Sie können sich nicht miteinander verständigen. Und Sommerfeld hat keine Ahnung, warum sie zu der kleinen Felseninsel im Salzsee gebracht wurde.
Das ist, gedreht wurde in der riesigen Salzlandschaft der Salar de Uyuni in Bolivien, der visuell beeindruckendere Teil des betont eigenwilligen, aber letztendlich auch idiotischen Films. Denn Riley und seine Helfer führen die Entführung von Sommerfeld und ihrem Team professionell durch und auch in dem abgelegenem Haus, in dem sie gefangen gehalten werden, verhalten sie sich sehr vernünftig. Die Situation und auch die Machtspiele zwischen Geisel und Geiselnehmer schildert Herzog spannend. Auch die Gespräche zwischen Sommerfeld und Riley, der Philosophen zitiert, Weisheiten von sich gibt und an seiner Existenz und seinem Leben zweifelt, sind spannend, weil Riley die Erwartungen, die man an den Chef eines umweltzerstörenden Konzerns hat, unterläuft und er eher wie ein umweltschützender Philosoph wirkt.
Aber dann kommt die seltsame zweite Hälfte, in der man sich fragt, was Riley erreichen will. Denn der Ökoterrorist setzt die Person mitten in der Salzwüste aus, die schon aufgrund ihres Auftrages verpflichtet ist, sein Anliegen zu unterstützen. Und wenn er sie nicht wieder aus dieser Lage befreit, wird seine potentielle Verbündete sterben.
So hat „Salt and Fire“ zwar durchgehend den Herzog-Touch, aber der letztendlich interessant gescheiterte Film zerfällt in zwei Teile und hat, wenn man traditionelle Beurteilungsmaßstäbe anlegt, eine unglaubwürdige Geschichte. Herzog selbst nennt „Salt and Fire“ allerdings einen „Tagtraum, der den Regeln des Kinos nicht folgt“. Das verdeutlicht er schon in den ersten Minuten, wenn das Forscherteam entführt und dabei höflich wie Staatsgäste behandelt wird. Es ist ein gesittetes Theater, bei dem sich dann auch die Überraschung, wenn einer der Entführer, der zunächst im Rollstuhl saß, plötzlich steht, in Grenzen hält. Er ist nicht behindert; er hat nur manchmal keine Lust, alleine zu gehen. Und Herzog hat dieses Mal keine Lust, eine konventionelle Kinogeschichte zu erzählen.
„Salt and Fire“ folgt eher einer Traumlogik und dem absurden Theater. Mit einprägsamen Bildern aus Bolivien, die man sich in einer Mischung aus Staunen und ungläubigem Kopfschütteln ansieht.
Unglaubwürdig, aber wahr (mehr oder weniger) ist die Geschichte von „Elvis & Nixon“. Am 21. Dezember 1970 traf sich US-Präsident Richard Nixon im Oval Office mit Elvis Presley. Von dem Treffen gibt es ein Bild, aber keinen Tonmitschnitt. Denn Nixon begann seine paranoide Alles-aufnehmen-Politik erst im Februar 1971.
Liza Johnson erzählt jetzt, schön pointiert, mit viel Zeitkolorit und liebevoll die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Politik und Pop, zwischen den ähnlich gestressten Helfern des Präsidenten und des Rockstars ausspielend, wie es zu dem Treffen kam. Denn Elvis Presley war von der Jugendkultur, der Gegenkultur, den Hippies und ihrem Drogenkonsum angeekelt. Er will etwas dagegen tun und möchte Nixon vorschlagen, dass er als Bundesagent für das Land arbeitet und undercover die kommunistische Gegenkultur und ihre Drogenringe infiltrieren möchte.
Nixon, hübsch grantig von Kevin Spacey gespielt, möchte sich allerdings nicht mit dem Entertainer treffen. Aber seine Tochter hätte gerne ein Autogramm.
Michael Shannon spielt Presley und bleibt dabei letztendlich immer Michael Shannon. Das liegt allerdings auch an den unzähligen Elvis-Imitatoren und den unzähligen bekannten Bildern von Elvis in seinen verschiedenen Lebensphasen und seinen vielen Spielfilmen, die immer wieder im Nachmittagsprogramm laufen. Da fällt in jeder Sekunde auf, dass Elvis Presley und Michael Shannon, der Elvis auf dem schmalen Grad zwischen Mensch und Parodie spielt, verschieden aussehen.
Ein viel größeres Problem von „Elvis & Nixon“ ist allerdings die eingesetzte Musik. Es gibt kein einziges Elvis-Lied (wobei seine für die Popgeschichte wichtigen Songs in den Fünfzigern erschienen und er damals, nach seiner Hollywood-Karriere, vor allem in Las Vegas live spielte und belanglosen Breitwand-Pop ablieferte). Stattdessen werden Songs von Blood, Sweat & Tears, Creedence Clearwater Revival und Otis Redding gespielt. Es sind heute immer noch coole Songs, die Elvis in dem Film eine vermeintliche Hipness verleihen, die er damals nicht hatte. Für die Jugendkultur war er ein Teil des verhassten Establishments – und seine Wunsch, als Undercover-Agent den Drogensumpf der Gegenkultur trockenzulegen, bestätigt ihre Einschätzung. Auch wenn Elvis‘ selbstgewählte Mission nie mehr als eine spinnerte Idee eines von der Welt abgehobenen Stars war.
„Elvis & Nixon“ erzählt eine in jeder Beziehung unbedeutende Anekdote, die zu einem neunzigminütigem Spielfilm aufgeblasen wird und Elvis inszeniert, als sei er noch ein Teil des jugendlichen Aufbegehrens gegen die Gesellschaft.
Salt and Fire (Salt and Fire, Deutschland/USA/Frankreich/Mexiko 2016)
Regie: Werner Herzog
Drehbuch: Werner Herzog
LV: Tom Bissell: Aral (Kurzgeschichte, erschienen in „God Lives in St. Petersburg: Short Stories“, 2006)
mit Veronica Ferres, Michael Shannon, Gael Garcia Bernal, Lawrence Krauss, Volker Michalowski, Danner Ignacio Marquez Arancibia, Gabriel Marquez Arancibia
Nachdem seine letzten beiden Filme „Life during wartime“ (2009) und „Dark Horse“ (2011) bei uns überhaupt nicht gezeigt wurden und auch Todd Solondz‘ ältere Filme selten bis nie im Fernsehen laufen und auch auf DVD nicht wirklich erhältlich sind, dürfte „Wiener Dog“ für einige Zuschauer eine echte Entdeckung und für einige ältere Cineasten eine willkommene Wiederentdeckung des Regisseurs von „Willkommen im Tollhaus“ (1995) und „Happiness“ (1998) sein. Sie werden dann auch vielleicht bemerken, dass Dawn Wiener, die jetzt von Greta Gerwig gespielte Protagonistin der zweiten Geschichte von „Wiener Dog“, auch die Protagonistin von „Willkommen im Tollhaus“ war.
Dawn arbeitet jetzt in einer Tierklinik, wo sie ihr Herz an den Dackel, der eingeschläfert werden soll, verliert. Sie rettet ihn davor. Kurz darauf trifft sie in einem Supermarkt auf ihren ehemaligen Schulkameraden Brandon McCarthy (Kieran Culkin), der jetzt drogensüchtig ist und sie auf eine Reise nach Ohio einlädt. Dort gibt es Crystal Meth.
Dawn, die genug von ihrem tristen und eintönig-hoffnungslosem Leben hat, ist einverstanden. Auf ihrer Reise begegnen sie einer Mariachi-Band und Brandons Bruder, der Trisomie 21 hat, und glücklich mit einer ebenfalls behinderten Frau zusammen lebt. Dawn schenkt ihnen ihren Dackel, der danach noch zwei weitere Besitzer hat. Aber wie er zu dem Hochschullehrer Schmerz (Danny DeVito) und danach zu Nana (Ellen Burstyn) kommt, erfahren wir nicht. Es ist auch egal, weil der Dackel einfach nur ein fast beliebig austauschbares Bindeglied zwischen den vier unabhängigen Geschichten über in den Vorstädten lebende Menschen ist. Deren Leben, ihre Tristesse und ihre Lügen schildert Todd Solondz mit bitterbösem Humor, der unerbittlich jede Scheinheiligkeit und Selbsttäuschung für uns entlarvt bis die Suburbs mit ihren austauschbaren Häusern zu einer Vorhölle werden, in der es nur noch Stillstand gibt. Die porträtierten Charaktere haben sich in ihrem Leben schon lange eingerichtet.
So hat in der ersten Geschichte Dina (Julie Delpy) kein erkennbar schlechtes Gewissen, wenn sie ihren Sohn Remi (Keaton Nigel Cooke), der gerade eine Krebserkrankung überstanden hat, über den Dackel und seine Gefühle belügt. Denn Remis einziger Freund muss erzogen, sterilisiert und später, weil er einfach zu viel Arbeit verursacht, eingeschläfert werden. Aber Dina beruhigt ihren Sohn: „Es ist traurig, aber wahr. Wir sind der einzige Freund des Hundes.“
In der dritten Geschichte begegnet der Dackel in New York dem Filmprofessor Schmerz, der früher ein erfolgreicher Drehbuchautor war, seit Ewigkeiten kein Buch mehr verkauft hat, den Studenten seit Jahren die gleichen Ratschläge gibt und notorisch schlecht gelaunt ist, weil er kein Buch verkauft und unterrichten muss. Entsprechend unbeliebt ist er bei seinen Studenten und Kollegen.
In der vierten Geschichte wird die Großmutter Nana (Ellen Burstyn) nur dann von ihrer Enkelin Zoe (Zosia Mamet) besucht, wenn sie Geld braucht. Zum Beispiel für ihren gerade aktuellen Freund Fantasy (Michael Shaw; auch dieser Name ist nicht zufällig ausgewählt), der sich schon als großer Künstler sieht und eine Ausstellung plant. Auch Nana hat vor Jahrzehnten Kunst studiert.
Die Geschichten sind eher Zustandsbeschreibungen und dank der präzisen Beobachtung, der punktgenauen Zuspitzung und dem jeden Satz und jedes Bild durchziehenden schwarzen Humor unglaublich unterhaltsam und witzig; ohne jeden Fremdschäm-Reflex und mit einer tiefschwarzen Weltsicht, in der es keinen Gott gibt, aber die Welt nicht gottlos ist. Denn Solondz liebt seine Charaktere und er zeigt die Welt, die er kennt. Der US-Gesellschaft hält er so einen Spiegel vor; für uns ist es sie ein Blick in eine vertraut-fremde Welt, gespickt mit vielen Anspielungen, Verweisen, Doppelungen und Spiegelungen, die man analysieren oder einfach nur genießen kann.
In den in jeder Beziehung sehr unterschiedlichen Geschichten und in der Struktur des Films. So gibt es, immerhin erzählt „Wiener Dog“ vier Geschichten, eine „Intermission“, die im Film mit Pausenschild und Pausenprogramm gefüllt wird. Dabei ist Solondz‘ Film mit knapp neunzig Minuten kürzer als die üblichen Hollywood-Blockbuster, die schon lange notorisch die Zwei-Stunden-Grenze überschreiten. Die Geschichte von Schmerz ist auch eine Lektion im Geschichtenerzählen, garniert mit Hollywood-Weisheiten, einem „What. If.“-Running-Gag und eine Abrechnung mit Hollywood, die dann doch wieder eben dieser Formel bis zum explosiven Ende folgt. Dagegen fallen dann Nanas Begegnungen mit ihren jüngeren Ichs als Flucht in surreale Fantasy-Gefilde schwach aus. Bis dahin hat Ellen Burstyn vielsagend geschwiegen und mit wenigen Sätzen ihre Nichte aus ihrer Komfortzone geholt. Genau wie Todd Solondz uns aus unserer Komfortzone holt.
Dieses Mal ohne Vergewaltigungen, Masturbationen, Kindesmissbrauch, Abtreibungen und andere Tabuthemen, mit denen man das Publikum schnell verstören kann. Vor allem, wenn man plötzlich Verständnis und Sympathie für diese Charaktere entwickelt. In dem sehr zugänglichem Tierfilm „Wiener Dog“ muss man diese Angst nicht haben. Trotzdem ist es kein Feelgood-Film.
„Ich liebe Hunde und hätte selber gerne einen. Das einzige Problem ist, dass ich nicht Gassi mit ihnen gehen will und sie nicht gerne füttere oder sie wasche oder wegen ihnen zu Hause bleiben will.“ (Todd Solondz)
Das Bonusmaterial ist mit zwei Trailern nicht existent. Wie bei Woody-Allen-DVDs..
Wiener Dog(Wiener Dog, USA 2016)
Regie: Todd Solondz
Drehbuch: Todd Solondz
mit Keaton Nigel Cooke, Tracy Letts, Julie Delpy, Greta Gerwig, Kieran Culkin, Danny DeVito, Ellen Burstyn, Zosia Mamet, Michael Shaw
–
DVD
Prokino
Bild: 1,85:1 (16:9 anamorph)
Ton: Deutsch, Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel Deutsch, Englisch (ausblendbar)
Bonusmaterial: Deutscher Kinotrailer, Original-Kinotrailer
Nachdem seine letzten beiden Filme „Life during wartime“ (2009) und „Dark Horse“ (2011) bei uns überhaupt nicht gezeigt wurden und auch Todd Solondz‘ ältere Filme selten bis nie im Fernsehen laufen und auch auf DVD nicht wirklich erhältlich sind, dürfte „Wiener Dog“ für einige Zuschauer eine echte Entdeckung und für einige ältere Cineasten eine willkommene Wiederentdeckung des Regisseurs von „Willkommen im Tollhaus“ (1995) und „Happiness“ (1998) sein. Sie werden dann auch vielleicht bemerken, dass Dawn Wiener, die jetzt von Greta Gerwig gespielte Protagonistin der zweiten Geschichte von „Wiener Dog“, auch die Protagonistin von „Willkommen im Tollhaus“ war.
Dawn arbeitet jetzt in einer Tierklinik, wo sie ihr Herz an den Dackel, der eingeschläfert werden soll, verliert. Sie rettet ihn davor. Kurz darauf trifft sie in einem Supermarkt auf ihren ehemaligen Schulkameraden Brandon McCarthy (Kieran Culkin), der jetzt drogensüchtig ist und sie auf eine Reise nach Ohio einlädt. Dort gibt es Crystal Meth.
Dawn, die genug von ihrem tristen und eintönig-hoffnungslosem Leben hat, ist einverstanden. Auf ihrer Reise begegnen sie einer Mariachi-Band und Brandons Bruder, der Trisomie 21 hat, und glücklich mit einer ebenfalls behinderten Frau zusammen lebt. Dawn schenkt ihnen ihren Dackel, der danach noch zwei weitere Besitzer hat. Aber wie er zu dem Hochschullehrer Schmerz (Danny DeVito) und danach zu Nana (Ellen Burstyn) kommt, erfahren wir nicht. Es ist auch egal, weil der Dackel einfach nur ein fast beliebig austauschbares Bindeglied zwischen den vier unabhängigen Geschichten über in den Vorstädten lebende Menschen ist. Deren Leben, ihre Tristesse und ihre Lügen schildert Todd Solondz mit bitterbösem Humor, der unerbittlich jede Scheinheiligkeit und Selbsttäuschung für uns entlarvt bis die Suburbs mit ihren austauschbaren Häusern zu einer Vorhölle werden, in der es nur noch Stillstand gibt. Die porträtierten Charaktere haben sich in ihrem Leben schon lange eingerichtet.
So hat in der ersten Geschichte Dina (Julie Delpy) kein erkennbar schlechtes Gewissen, wenn sie ihren Sohn Remi (Keaton Nigel Cooke), der gerade eine Krebserkrankung überstanden hat, über den Dackel und seine Gefühle belügt. Denn Remis einziger Freund muss erzogen, sterilisiert und später, weil er einfach zu viel Arbeit verursacht, eingeschläfert werden. Aber Dina beruhigt ihren Sohn: „Es ist traurig, aber wahr. Wir sind der einzige Freund des Hundes.“
In der dritten Geschichte begegnet der Dackel in New York dem Filmprofessor Schmerz, der früher ein erfolgreicher Drehbuchautor war, seit Ewigkeiten kein Buch mehr verkauft hat, den Studenten seit Jahren die gleichen Ratschläge gibt und notorisch schlecht gelaunt ist, weil er kein Buch verkauft und unterrichten muss. Entsprechend unbeliebt ist er bei seinen Studenten und Kollegen.
In der vierten Geschichte wird die Großmutter Nana (Ellen Burstyn) nur dann von ihrer Enkelin Zoe (Zosia Mamet) besucht, wenn sie Geld braucht. Zum Beispiel für ihren gerade aktuellen Freund Fantasy (Michael Shaw; auch dieser Name ist nicht zufällig ausgewählt), der sich schon als großer Künstler sieht und eine Ausstellung plant. Auch Nana hat vor Jahrzehnten Kunst studiert.
Die Geschichten sind eher Zustandsbeschreibungen und dank der präzisen Beobachtung, der punktgenauen Zuspitzung und dem jeden Satz und jedes Bild durchziehenden schwarzen Humor unglaublich unterhaltsam und witzig; ohne jeden Fremdschäm-Reflex und mit einer tiefschwarzen Weltsicht, in der es keinen Gott gibt, aber die Welt nicht gottlos ist. Denn Solondz liebt seine Charaktere und er zeigt die Welt, die er kennt. Der US-Gesellschaft hält er so einen Spiegel vor; für uns ist es sie ein Blick in eine vertraut-fremde Welt, gespickt mit vielen Anspielungen, Verweisen, Doppelungen und Spiegelungen, die man analysieren oder einfach nur genießen kann.
In den in jeder Beziehung sehr unterschiedlichen Geschichten und in der Struktur des Films. So gibt es, immerhin erzählt „Wiener Dog“ vier Geschichten, eine „Intermission“, die im Film mit Pausenschild und Pausenprogramm gefüllt wird. Dabei ist Solondz‘ Film mit knapp neunzig Minuten kürzer als die üblichen Hollywood-Blockbuster, die schon lange notorisch die Zwei-Stunden-Grenze überschreiten. Die Geschichte von Schmerz ist auch eine Lektion im Geschichtenerzählen, garniert mit Hollywood-Weisheiten, einem „What. If.“-Running-Gag und eine Abrechnung mit Hollywood, die dann doch wieder eben dieser Formel bis zum explosiven Ende folgt. Dagegen fallen dann Nanas Begegnungen mit ihren jüngeren Ichs als Flucht in surreale Fantasy-Gefilde schwach aus. Bis dahin hat Ellen Burstyn vielsagend geschwiegen und mit wenigen Sätzen ihre Nichte aus ihrer Komfortzone geholt. Genau wie Todd Solondz uns aus unserer Komfortzone holt.
Dieses Mal ohne Vergewaltigungen, Masturbationen, Kindesmissbrauch, Abtreibungen und andere Tabuthemen, mit denen man das Publikum schnell verstören kann. Vor allem, wenn man plötzlich Verständnis und Sympathie für diese Charaktere entwickelt. In dem sehr zugänglichem Tierfilm „Wiener Dog“ muss man diese Angst nicht haben. Trotzdem ist es kein Feelgood-Film.
„Ich liebe Hunde und hätte selber gerne einen. Das einzige Problem ist, dass ich nicht Gassi mit ihnen gehen will und sie nicht gerne füttere oder sie wasche oder wegen ihnen zu Hause bleiben will.“ (Todd Solondz)
Wiener Dog (Wiener Dog, USA 2016)
Regie: Todd Solondz
Drehbuch: Todd Solondz
mit Keaton Nigel Cooke, Tracy Letts, Julie Delpy, Greta Gerwig, Kieran Culkin, Danny DeVito, Ellen Burstyn, Zosia Mamet, Michael Shaw