Für den Mord an seiner Schwester Delia saß Louis in Ohio fünf Jahre im Gefängnis. Seitdem lebt er freiwillig in einem Pflegeheim. Besuche erhält er keine. Das ist dem nach einem Unfall psychisch und auch physisch behindertem Louis ganz recht. Er lebt in seiner Welt. Er braucht Ruhe und geordnete Abläufe.
Als Stacker ihn besucht, verändert sich alles. Stacker war in der Kleinstadt, in der Louis mit Delia lebte, einer von Delias Freunden. Stacker weiß, dass Delias Mörder noch nicht bestraft wurde. Bevor er Louis mehr verraten kann, rastet Louis aus. Sie werden getrennt.
Kurz darauf macht Louis sich auf den Weg in seine alte Heimatstadt. Er will Delias Mörder finden.
„Delia’s gone“ ist ein okayer Country-Noir. „Born to be Blue“-Regisseur Robert Budreau erzählt in seinem neuem Film eine ziemlich einfache Kriminalgeschichte mit einem ungewöhnlichem Helden; überzeugend gespielt von Stephan James („Beale Street“). Dieser ist nach einem Unfall auf dem Niveau eines Kindes stehen geblieben. Er stolpert, oft tollpatschig, durch die Welt. Er überblickt nie die Folgen seiner Handlungen. Deshalb kann ein harmloses Gespräch schnell handgreiflich werden und der Gespächspartner am Ende tot sein.
Die Lösung ist, immerhin muss Louis in der Lage sein, Delias Mörder zu finden, wenig überraschend, aber glaubwürdig. Und einige Szenen bringen die Geschichte nicht voran, verschaffen aber Marisa Tomei (zuletzt May Parker in den „Spider-Man“-Filmen) und Paul Walter Hauser („Richard Jewell“) zusätzliche Screentime als ungleiches Polizistenpaar. Sie spielen die zwei Provinzpolizisten, die Louis jagen und sich dabei kabbeln. Denn Tomei erteilt Hauser gerne Befehle.
Delia’s gone(Delia’s gone, USA/Kanada 2022)
Regie: Robert Budreau
Drehbuch: Robert Budreau (nach der Kurzgeschichte „Caged Bird Sing“ von Michael Hamblin)
mit Stephan James, Paul Walter Hauser, Travis Fimmel, Marisa Tomei, Genelle Williams
Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)
Regie: Barry Jenkins
Drehbuch: Barry Jenkins
LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)
Harlem in den frühen Siebzigern: der 21-jährige Fonny sitzt im Gefängnis. Er soll ene Puerto Ricanerin vergewaltigt haben. Seine Freundin Tish ist von seiner Unschuld überzeugt.
TV-Premiere. Überaus gelungenes, in Rückblenden erzähltes Drama über ein Liebespaar und einen nur wegen seiner Hautfarbe inhaftierten Mann. Damit ist „Beale Street“, von „Moonlight“-Regisseur Barry Jenkins nach dem Roman von James Baldwin inszeniert, auch eine Anklage gegen den Rassismus in den USA.
mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco, Pedro Pascal
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Die lesenswerte Vorlage und ein klassisches Essay von James Baldwin
James Baldwin: Beale Street Blues
(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)
dtv, 2019
224 Seiten
12,90 Euro
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Oritinalausgabe
If Beale Street could talk
Dial Press, New York, 1974
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James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time
(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)
Als einige Streifenpolizisten an die Tür des Mosto’s klopfen, sind Michael (Stephen James) und Ray (Taylor Kitsch) gerade dabei, die im Keller versteckten Drogen zu klauen. Die Polizisten wollen mit dem Restaurantbesitzer über eine Feier reden. Als dieser nicht öffnet, betreten sie das Lokal durch den Hintereingang und stolpern in den sich im Gang befindenden Raub.
Schnell entwickelt sich im Lokal und auf der Straße davor ein Schusswechsel, bei dem acht Polizisten sterben. Die beiden Räuber Ray und Michael können unverletzt und mit einigen Taschen Kokain entkommen. Auf ihrer Flucht fragen sie sich, warum ihr Tippgeber ihnen die falsche Menge an Drogen – dreißig statt dreihundert Kilo – angab und wie sie aus Manhattan flüchten können. Denn alle ehrlichen und unehrlichen Gesetzeshüter von New York und alle Möchtegerngesetzeshüter werden sie jagen.
Angeführt wird die Jagd von Andre Davis (Chadwick Boseman), einem Polizisten mit lockerer Pistole. Er hat im Dienst schon mehrere Polizistenmörder erschossen. Als erstes befiehlt er, alle 21 von der Insel führenden Brücken zu sperren, alle Züge anzuhalten und die U-Bahn auf einen Kreisverkehr zu schicken, bis die beiden Polizistenmörder gefunden sind. Er macht Manhattan für eine Nacht zu dem Sperrgebiet, zu dem General William Devereaux (Bruce Willis) sie in „Ausnahmezustand“ (The Siege, 1998) für eine Terroristenjagd für mehrere Tage machte; – und schon damals verhinderte ein schwarzer Superman, gespielt von Denzel Washington, das Schlimmste.
In „21 Bridges“ ist ‚Black Panther‘ Chadwick Boseman der schwarze Superman. Bei all den Kämpfen mit Pistolen und Fäusten und Verfolgungsjagden zu Fuß und im Auto, selbstverständlich immer ohne schusssichere Weste, wird er nie verletzt und gerät auch nie außer Atem. Und sein Hemd sitzt am Ende der Nacht noch genauso akkurat wie am Anfang der Nacht. Er steht damit in der Tradition von „Shaft“, der, gespielt von Richard Roundtree, in den frühen Siebzigern, zur Musik von Isaac Hayes als cooler Action- und Frauenheld in New York aufräumte.
Diese Coolness geht Brian Kirks kompetent gemachtem, letztendlich mediokren Thriller „21 Bridges“ vollkommen ab. Sein Film ist ein jederzeit vorhersehbares Abarbeiten der bekannten Plot-Points. So ziemlich jede Wendung (Oh, korrupte Cops) und überraschende Enthüllung (Ach, er ist korrupt) ist absolut vorhersehbar und wird auch etwas lustlos präsentiert. So als habe man nicht die große Kinoleinwand, sondern den Slot für den „TV-Film der Woche“ im Blick gehabt. Mit einem höheren Budget, kompetenter gemacht und einer besseren Besetzung, als man es von einem TV-Film erwarten kann; – wobei die Streamingdienste diese Grenzen im Moment sehr verschieben.
So ist nichts wirklich schlecht in diesem Thriller. Aber nichts überzeugt in dieser Verfolgungsjagd durch Manhattan wirklich. Chadwick Boseman kämpft sich hier wenig charismatisch durch eine austauschbare Rolle in einem ebenso austauschbarem Film.
21 Bridges (21 Bridges, USA 2019)
Regie: Brian Kirk
Drehbuch: Adam Mervis, Matthew Michael Carnahan
mit Chadwick Boseman, Sienna Miller, J. K. Simmons, Stephan James, Taylor Kitsch, Keith David, Alexander Siddig, Louis Cancelmi, Victoria Cartagena
Bei der diesjährigen „Oscar“-Preisverleihung erhielt Regine King den Oscar als beste Nebendarstellerin. Ansonsten wurde Barry Jenkins‘ berührendes Drama mit insgesamt nur drei Nominierungen sträflich ignoriert. Nicht einmal eine Nominierung als bester Film war drin. Und diese Nominierung, – eigentlich auch den Preis -, hätte „If Beale Street could talk“ (bei uns zu „Beale Street“ gekürzt) auch verdient.
Jenkins erzählt die in den frühen siebziger Jahren in Harlem spielende Geschichte von Tish Rivers. Die Neunzehnjährige ist verliebt in Fonny Hunt, den sie schon seit einer Ewigkeit kennt. Vor kurzem verlobten sie sich und demnächst wollen sie auch heiraten.
Eines Tages wird er verhaftet. Er soll eine Puerto-Ricanerin vergewaltigt haben. Er beteuert seine Unschuld. Trotzdem wandert er, ohne Prozess, ins Gefängnis. Nur Tish, ihre Familie und Fonnys Familie glauben an seine Unschuld. Während sie versuchen, ihn aus der Haft zu befreien, erfährt Tish, dass sie von Fonny schwanger ist.
Für ihre in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie ist das nur ein weiteres Problem.
Das ist einer der schönen und lebenswahren Momente in Jenkins‘ James-Baldwin-Verfilmung. Konflikte werden im Kreis der Familie gelöst. Tishs Familie hält, auch wenn sie sich mal lautstark zankt, zusammen. Sie ist, auch wenn das jetzt konservativ und pathetisch klingt, eine Wertegemeinschaft. Die Gegner sind ein weißer Polizist und das von ihm verkörperte System, das Schwarze konsequent benachteiligt.
Barry Jenkins schrieb das Drehbuch für „Beale Street“ vor sechs Jahren während eines längeren Europa-Aufenthalts. Im Sommer 2013 schrieb er in Brüssel „Moonlight“ und danach in Berlin „Beale Street“, der als Gegenentwurf zu „Moonlight“ gesehen werden kann. Immerhin erzählt der eine Film von einer nicht funktionierenden, der andere von einer funktionierenden Familie. Um nur einen Punkt zu nennen. Die Verhandlungen mit Baldwins Nachlassverwaltern dauerten dann einige Zeit, bis alle Fragen für die erste US-amerikanische Kinoverfilmung geklärt waren. Währenddessen drehte er „Moonlight“. Der Film war sein Durchbruch. Er erhielt den Drehbuchoscar und der Film erhielt, in einer denkwürdigen Zeremonie, den Oscar als bester Film des Jahres. Neben vielen anderen Preisen.
Entsprechend hoch waren die Erwartungen an seinen nächsten Film. Er erfüllt sie mit einer zu Herzen gehenden Liebesgeschichte, die leicht ein Nicholas-Sparks-Kitschfeuerwerk hätte werden können.
Baldwins Roman „Beale Street Blues“ wurde bereits einmal verfilmt. Von Robert Guédiguian als 1998 als „À la place du coeur“ (Die Farbe des Herzens). Diese erste Verfilmung verlegte die Geschichte nach Marseille und auch wenn Beale Street überall sein kann, ist sie in New York, genauer in Harlem.
Jenkins erzählt, wie in „Moonlight“, eine universelle Geschichte, die gerade wegen ihrem genauen Blick auf seine Charaktere, ihr Umfeld und ihren Alltag ganz genau an einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verortet ist. Niemand wird Tishs Wohnung für das Zimmer einer heute in Harlem lebenden jungen Frau halten. Gerade dadurch kann Jenkins eine allgemeingültige Geschichte erzählen.
Sie ist auch heute, angesichts der Black-Live-Matters-Proteste, genauso relevant wie damals, als Baldwin die Geschichte von Tish und Fonny erzählte. Nicht nur in den USA, sondern weltweit.
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Beim wiederholten Ansehen fällt wieder auf, wie elegant Barry Jenkins zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her schneidet, wie langsam er die Geschichte erzählt, wie kunstvoll jedes Bild komponiert ist und wie traurig die Musik ist. Damit wird schon in den ersten Minuten jede Hoffnung auf ein konventionelles Hollywood-Happy-End zerstört. Jenkins sehenswerte Baldwin-Verfilmung ist allerdings auch keine frenetische Anklage gegen das US-Justizsystem (obwohl die Geschichte von Fonny und Tish genug Gründe dafür liefert), sondern eine todtraurig-melancholische Liebesgeschichte über zwei junge Menschen, von denen der eine verurteilt werden soll, weil er ein Afroamerikaner ist.
Nicholas Britell war für seine Filmmusik für einen Oscar nominiert. Er komponierte auch die ebenfalls Oscar-nominierte Musik für „Moonlight“.
James Laxton war auch bei „Moonlight“ Kameramann.
Das Bonusmaterial befindet sich mit dem noch nicht einmal fünfminütigem, belanglosen Minifeaturette „Behind the Scenes“ noch unter der Wahrnehmungsschwelle.
Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)
Regie: Barry Jenkins
Drehbuch: Barry Jenkins
LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)
mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco, Pedro Pascal
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DVD
DCM/Universum Film
Bild: 2.00:1
Ton: Deutsch, Englisch
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Behind the Scenes, Wendecover
Länge: 114 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
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Die lesenswerte Vorlage und ein klassisches Essay von James Baldwin
James Baldwin: Beale Street Blues
(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)
dtv, 2019
224 Seiten
12,90 Euro
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Oritinalausgabe
If Beale Street could talk
Dial Press, New York, 1974
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James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time
(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)
Bei der diesjährigen „Oscar“-Preisverleihung erhielt Regine King den Oscar als beste Nebendarstellerin. Ansonsten wurde Barry Jenkins‘ berührendes Drama mit insgesamt nur drei Nominierungen sträflich ignoriert. Nicht einmal eine Nominierung als bester Film war drin. Und diese Nominierung, – eigentlich auch den Preis -, hätte „If Beale Street could talk“ (bei uns zu „Beale Street“ gekürzt) auch verdient.
Jenkins erzählt die in den frühen siebziger Jahren in Harlem spielende Geschichte von Tish Rivers. Die Neunzehnjährige ist verliebt in Fonny Hunt, den sie schon seit einer Ewigkeit kennt. Vor kurzem verlobten sie sich und demnächst wollen sie auch heiraten.
Eines Tages wird er verhaftet. Er soll eine Puerto-Ricanerin vergewaltigt haben. Er beteuert seine Unschuld. Trotzdem wandert er, ohne Prozess, ins Gefängnis. Nur Tish, ihre Familie und Fonnys Familie glauben an seine Unschuld. Während sie versuchen, ihn aus der Haft zu befreien, erfährt Tish, dass sie von Fonny schwanger ist.
Für ihre in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie ist das nur ein weiteres Problem.
Das ist einer der schönen und lebenswahren Momente in Jenkins‘ James-Baldwin-Verfilmung. Konflikte werden im Kreis der Familie gelöst. Tishs Familie hält, auch wenn sie sich mal lautstark zankt, zusammen. Sie ist, auch wenn das jetzt konservativ und pathetisch klingt, eine Wertegemeinschaft. Die Gegner sind ein weißer Polizist und das von ihm verkörperte System, das Schwarze konsequent benachteiligt.
Barry Jenkins schrieb das Drehbuch für „Beale Street“ vor sechs Jahren während eines längeren Europa-Aufenthalts. Im Sommer 2013 schrieb er in Brüssel „Moonlight“ und danach in Berlin „Beale Street“, der als Gegenentwurf zu „Moonlight“ gesehen werden kann. Immerhin erzählt der eine Film von einer nicht funktionierenden, der andere von einer funktionierenden Familie. Um nur einen Punkt zu nennen. Die Verhandlungen mit Baldwins Nachlassverwaltern dauerten dann einige Zeit, bis alle Fragen für die erste US-amerikanische Kinoverfilmung geklärt waren. Währenddessen drehte er „Moonlight“. Der Film war sein Durchbruch. Er erhielt den Drehbuchoscar und der Film erhielt, in einer denkwürdigen Zeremonie, den Oscar als bester Film des Jahres. Neben vielen anderen Preisen.
Entsprechend hoch waren die Erwartungen an seinen nächsten Film. Er erfüllt sie mit einer zu Herzen gehenden Liebesgeschichte, die leicht ein Nicholas-Sparks-Kitschfeuerwerk hätte werden können.
Baldwins Roman „Beale Street Blues“ wurde bereits einmal verfilmt. Von Robert Guédiguian als 1998 als „À la place du coeur“ (Die Farbe des Herzens). Diese erste Verfilmung verlegte die Geschichte nach Marseille und auch wenn Beale Street überall sein kann, ist sie in New York, genauer in Harlem.
Jenkins erzählt, wie in „Moonlight“, eine universelle Geschichte, die gerade wegen ihrem genauen Blick auf seine Charaktere, ihr Umfeld und ihren Alltag ganz genau an einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verortet ist. Niemand wird Tishs Wohnung für das Zimmer einer heute in Harlem lebenden jungen Frau halten. Gerade dadurch kann Jenkins eine allgemeingültige Geschichte erzählen.
Sie ist auch heute, angesichts der Black-Live-Matters-Proteste, genauso relevant wie damals, als Baldwin die Geschichte von Tish und Fonny erzählte. Nicht nur in den USA, sondern weltweit.
Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)
Regie: Barry Jenkins
Drehbuch: Barry Jenkins
LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)
mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco
Barry Jenkins (Regie, Drehbuch), Stephan James (Fonny) und Kiki Layne (Tish) sprechen über den Film
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Nachtrag (21. März 2019)
Zum Filmstart von „Beale Street“ erschien bei dtv die Taschenbuchausgabe von James Baldwins Roman „Beale Street Blues“. Schon einige Tage früher erschien James Baldwins Essay „Nach der Flut das Feuer„. Ebenfalls in einer neuen Übersetzung. In dem Essay, das 1963 als „The Fire next Time“ erschien, schreibt er über die Rassenproblematik in den USA.
Im Taschen Verlag erschien jetzt „The Fire next Time“ mit zeitgenössischen Bildern von Steve Schapiro in der gebundenen Standardausgabe. Die kostet 40 Euro.
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James Baldwin: Beale Street Blues
(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)
dtv, 2019
224 Seiten
12,90 Euro
–
Oritinalausgabe
If Beale Street could talk
Dial Press, New York, 1974
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James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time
(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)
Adolf Hitlers Propagandashow. Leni Riefenstahls legendärer, zweiteiliger Dokumentarfilm „Olympia“, von dem heute vor allem die ikonischen Bilder bekannt sind. Und Jesse Owens, der eine Goldmedaille nach der nächsten gewann, und dessen Leistungen, das habe ich irgendwo gelesen, heutige Läufer, wenn sie nicht ihre modernen Hosen und Schuhe hätten, immer noch alt aussehen lassen würden. Das ist natürlich ein Filmstoff und das achtzigjährige Jubiläum dieser Spiele ist da ein guter Anlass, die Geschichte mehr oder weniger umfassend für die große Leinwand zu erzählen.
Stephen Hopkins, der nach einigen Kinofilmen wie „Judgment Night – Zum Töten verurteilt“, „Explosiv – Blown Away“ und „Lost in Space“ in den vergangenen Jahren vor allem für das Fernsehen arbeitete (u. a. mehrere „24“-Folgen, die Miniserie „Traffic“ und „The Life and Death of Peter Sellers“, der bei uns auch im Kino lief), wählte für seine Rückkehr ins Kino den ziemlich umfassenden Ich-muss-alles-erzählen-Blick.
So erfahren wir, wie der neunzehnjährige Jesse Owens (Stephan James) an der Ohio State University von Larry Snyder (Jason Sudeikis) trainiert wird, erste Erfolge bei Wettbewerben hat und sich für die Olympiade qualifiziert.
In diesem Moment berät das Olympische Komitee der USA, ob die USA sich an den Olympischen Spielen in Berlin beteiligen sollen. Immerhin wird Deutschland von dem Diktator Adolf Hitler regiert und der Umgang mit Minderheiten ist, ähem, problematisch. Avery Brundage (Jeremy Irons) soll sich daher als Gesandter des Komitees in Deutschland umsehen. Brundage glaubt, dass Sport und Politik strikt getrennt werden müssen. Die ersten Eindrücke aus Berlin begeistern den Bauunternehmer nicht. Aber nachdem Propagandaminister Joseph Goebbels (Barnaby Metschurat) auf seine Bedingungen nach optisch sauberen Spielen eingeht und er von Goebbels den Auftrag erhält, die deutsche Botschaft in Washington zu bauen, steht den sauberen Spielen nichts mehr im Weg.
In Berlin gibt es dann Konflikte zwischen den Sportlern, den Beginn der Freundschaft zwischen Jesse Owens und dem deutschen Läufer Carl ‚Luz‘ Long (David Kross), Ränkespiele im Hintergrund und missgünstige Richter im Stadion, die Jesse Owens‘ Siegesserie verhindern wollen. Trotzdem läuft er von Goldmedaille zu Goldmedaille.
Und „Triumphs des Willens“-Regisseurin Leni Riefenstahl (Carice van Houten) läuft burschikos Bilder für ihre Dokumentation „Olympia“ machend durch das Bild.
Das ist eine Menge Stoff für zwei Stunden Film und es spricht für das Drehbuch von Joe Shrapnel und Amanda Waterhouse und Regisseur Stephen Hopkins, dass wir bei all den Handlungssträngen und handelnden Personen niemals den Überblick verlieren und immer ihre Konflikte verstehen. Es entsteht auch niemals der Eindruck, dass durch die Geschichte gehetzt wird. Stattdessen hat jede Geschichte, jede Episode, den nötigen Raum.
Und trotzdem will sich keine richtige Begeisterung einstellen. Denn es ist auch alles immer eine Spur zu abgewogen, zu sehr auf Konsens und zu wenig auf Zuspitzung und irgendeine Form von Anklage erzählt. „Zeit für Legenden“ will alles verstehen, aber nichts verurteilen.
Wenn es am Ende eine Szene gibt, in der Jesse Owens als mehrfacher Olympiagewinner bei einer Feier zu seinen Ehren den Hintereingang benutzen muss und in einer Texttafel gesagt wird, dass Owens erst 1976 in das Weiße Haus zur Überreichung der Medal of Freedom eingeladen wurde, dann fällt auch auf, dass „Zeit für Legenden“ das Problem des Rassismus in den USA durchgehend ignorierte, weil der Rassismus der Nazis ja viel schlimmer war. In dem bei uns kaum bekanntem, grandiosen Biopic „42 – Die wahre Geschichte einer Sportlegende“ über Baseballer Jackie Robinson steht sie im Mittelpunkt.
„Zeit für Legenden“ ist gutes Erzählkino. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Zeit für Legenden (Race, Frankreich/Deutschland/Kanada 2016)
Regie: Stephen Hopkins
Drehbuch: Joe Shrapnel, Amanda Waterhouse
mit Stephan James, Jason Sudeikis, Jeremy Irons, William Hurt, Carice van Houten, Eli Goree, David Kross, Barnaby Metschurat, Tony Curran, Shanice Banton