TV-Tipp für den 24. Oktober: Ein Abend mit John le Carré: Dame, König, As, Spion/Der Spion, der aus der Kälte kam

Oktober 24, 2016

Arte, 20.15

Dame, König, As, Spion (Tinker, Tailor, Soldier, Spy, Großbritannien/Frankreich/Deutschland 2011)

Regie: Tomas Alfredson

Drehbuch: Bridget O’Connor, Peter Straughan

LV: John le Carré: Tinker, Tailer, Soldier, Spy, 1974 (Dame, König, As, Spion)

Wer ist der Maulwurf im britischen Geheimdienst? George Smiley sucht den für die Sowjetunion arbeitenden Verräter.

Grandiose Verfilmung des verschachelten Agententhrillers von John le Carré.

mit Gary Oldman, Colin Firth, Tom Hardy, John Hurt, Toby Jones, Mark Strong, Benedict Cumberbatch, Ciarán Hinds, David Dencik, Simon McBurney, Kathy Burke, Stephen Graham, Svetlana Khodchenkova, John le Carré (Komparse bei der MI6-Silvesterfeier; also genau aufpassen)

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Dame, König, As, Spion“

Rotten Tomatoes über „Dame, König, As, Spion“

Wikipedia über die Verfilmung „Dame, König, As, Spion“ (deutsch, englisch)

Arte, 22.15

Der Spion, der aus der Kälte kam (GB 1965, Regie: Martin Ritt)

Drehbuch: Paul Dehn, Guy Trosper

LV: John le Carré: The spy who came in from the cold, 1963 (Der Spion, der aus der Kälte kam)

Der britische Geheimdienstler Leamas wechselt zum Schein die Seiten – und gerät in Teufels Küche.

Realistischer, kritischer, kalter Agententhriller über die Suche nach Doppelagenten und Überläufern. Mit le Carrés Buch (ein Welterfolg) und der gelungenen Verfilmung wandelte sich das heroische Bild des Spions zu eines sehr gewöhnlichem. Denn überall sind Spione „eine schmutzige Prozession von hohlen Narren und Verrätern. Ja, auch von Schwulen, Sadisten und Trinkern, von Leuten, die Räuber und Gendarm spielen, im ihrem erbärmlichen Leben etwas Reiz zu geben.“ (John le Carré: Der Spion, der aus der Kälte kam).

Mit Richard Burton, Oskar Werner, Claire Bloom, Peter van Eyck, Rupert Davies, Sam Wanamaker, Cyril Cusack, Bernard Lee

Hinweise

Arte über John le Carré

Rotten Tomaites über „Der Spion, der aus der Kälte kam“

Wikipedia über „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (deutsch, englisch)

Homepage von John le Carré

Meine Besprechung von John le Carrés „Geheime Melodie“ (The Mission Song, 2006)

Meine Besprechung von John le Carrés “Marionetten (A most wanted man, 2008)

Meine Besprechung von John le Carrés “Verräter wie wir” (Our kind of traitor, 2010)

Meine Besprechung von John le Carrés “Empfindliche Wahrheit” (A delicate truth, 2013)

Meine Besprechung der John-le-Carré-Verfilmung “Bube, Dame, König, Spion” (Tinker, Tailor, Soldier, Spy, Großbritannien/Frankreich/Deutschland 2011)

Meine Besprechung der John-le-Carré-Verfilmung “A most wanted man” (A most wanted man, Deutschland/Großbritannien 2014) und der DVD

Meine Besprechung der John-le-Carré-Verfilmung „Verräter wie wir“ (Our Kind of Traitor, Großbritannien 2016)

John le Carré in der Kriminalakte

Meine Besprechung der ersten beiden Episoden von Susanne Biers „The Night Manager“ (The Night Manager, Großbritannien/USA 2016) und der gesamten Miniserie

Bonushinweis

le Carre - Der Taubentunnel - 4

Am 9. September erschien „Der Taubentunnel“, die Memoiren von John le Carré, der am 19. Oktober seinen 85. Geburtstag feierte.

Über „Die Memoiren eines Jahrhundertautors“ schreibt der Verlag:

„Was macht das Leben eines Schriftstellers aus? Mit dem Welterfolg „Der Spion, der aus der Kält kam“ gab es für John le Carré keinen Weg zurück. Er kündigte seine Stelle im diplomatischen Dienst, reiste zu Recherchezwecken um den halben Erdball – Afrika, Russland, Israel, USA, Deutschland –, traf die Mächtigen aus Politik- und Zeitgeschehen und ihre heimlichen Handlanger. John le Carré ist bis heute ein exzellenter und unabhängiger Beobachter, mit untrüglichem Gespür für Macht und Verrat. Aber auch für die komischen Seiten des weltpolitischen Spiels.

In seinen Memoiren blickt er zurück auf sein Leben und sein Schreiben.“

John le Carré: Der Taubentunnel

(aus dem Englischen von Peter Torberg)

Ullstein, 2016

384 Seiten

22,00 Euro


Neu im Kino/Filmkritik: „Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft“ zwischen Lektor Max Perkins und Autor Thomas Wolfe

August 11, 2016

Lektoren. Wer kennt schon ihre Namen? Zwar wird niemand bestreiten, dass sie wichtig sind, aber am Ende steht der Name des Autors groß auf dem Buchumschlag und der des Lektors wird oft noch nicht einmal im Impressum (das ist der Teil, den ihr nicht lest) erwähnt. Inzwischen werden sie öfter in den Danksagungen des Autors erwähnt, aber auch die werden nicht gelesen. Widmungen werden wegen ihrer prominenten Platzierung schon öfter gelesen und Thomas Wolfe widmete seinen zweiten Roman „Von Zeit und Strom“ (Of Time and the River, 1935) seinem Lektor Max Perkins.

Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft“ von Theaterregisseur Michael Grandage in seinem Filmdebüt, nach einem Drehbuch von John Logan („Aviator“, „James Bond: Skyfall“, „James Bond: Spectre“), der sich schon vor fast zwanzig Jahren die Rechte an A. Scott Bergs Max-Perkins-Biographie sicherte und die treibende Kraft bei diesem Film war, erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen Perkins und Wolfe.

1929 treffen sie sich zum ersten Mal. Perkins ist bei dem renommierten Buchverlag Charles Scribner’s Sons der Lektor von F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway, die er beide gegen Widerstände in das Verlagsprogramm hob. Wolfe ist ein Autor, der bislang Absagen sammelte, weil sein Manuskript unglaublich lang und sein Stil ungewöhnlich ist. Aber Perkins ist begeistert. Das Manuskript muss halt noch überarbeitet und auf eine verträgliche Länge gekürzt werden. Also um ein knappes Drittel auf immerhin noch achthundert Manuskriptseiten,

Es gelingt ihnen. Noch im gleichen Jahr wird der Roman „Schau heimwärts, Engel“ (Look Homeward Angel) veröffentlicht und ein Bestseller.

Kurz darauf schickt Wolfe seinen neuen Roman an Perkins. Es ist ein fünftausendseitiges handgeschriebenes Opus, das in mehreren Holzkisten angeliefert wird. Und der Kampf um jedes Wort beginnt zwischen Wolfe und Perkins.

Von Zeit und Strom“ wird 1935 veröffentlicht. Danach wechselt er den Verlag.

1938 stirbt der 1900 geborene Thomas Wolfe und damit endet der Film, der einen Einblick in die Beziehung von Lektor und Autor bietet, die auch viel von der zwischen einem Arzt zu seinem Patienten hat.

Auf dem Papier klingt das, auch weil F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway kurz auftreten, nach einer spannenden Geschichte. Dummerweise ist sie es nicht. Denn wenn Perkins und Wolfe um jedes Wort und jeden Absatz ringen, ist das für uns Zuschauer nicht allzu spannend. Allein schon, weil wir nicht wissen, warum der Absatz, außer dem offensichtlichem Grund dass das Manuskript zu lang ist, gekürzt werden muss.

Dieser Konflikt, der für einen Literaturwissenschaftler beim Textvergleich hochinteressant ist, ist im Kino als emotionales Erlebnis dröge. Für die beteiligten Personen geht es aus der Zuschauerperspektive bei diesem Konflikt um nichts Wichtiges. Denn für Perkins geht es einfach nur um die Publikation eines weiteren Romans. Wenn er nicht „Von Zeit und Strom“ veröffentlicht, dann veröffentlicht er eben ein anderes Buch.

Für Wolfe ist die Situation ähnlich: Wenn er seinen zweiten Roman nicht bei Scribner’s veröffentlicht, dann halt eben bei einem anderen Verlag.

Für einen Film ist diese Abwesenheit eines Konflikts, der von den Charakteren wichtige Entscheidungen verlangt, die ihr weiteres Leben beeinflussen, fast immer ein großes Problem. Ein Roman und vor allem ein Sachbuch kann dagegen prächtig funktionieren.

Dabei hat „Genius“ gute Schauspieler – Colin Firth als Max Perkins (grandios, wenn er am Filmanfang während einer Zugfahrt Wolfes Manuskript liest und wir in seinem Gesicht seine sehr subtile Reaktion auf den Text lesen), Jude Law als exaltiert-egomanisch-egozentrischer Thomas Wolfe, Nicole Kidman als seine deutlich ältere Freundin und Geldgeberin Aline Bernstein, Laura Linney als Perkins Frau Louise, Guy Pearce als F. Scott Fitzgerald (drei Szenen), Dominic West als Ernest Hemingway (eine Szene) -, eine gute Ausstattung, gute Kameraarbeit und eine sich bewusst am klassischen Hollywoodkino orientierende Inszenierung. Das ist gut gemacht, aber in seiner Illustration der Arbeitsbeziehung zwischen Perkins und Wolfe auch biederes Ausstattungs- und Schauspielerkino.

Am Ende des Films wissen wir zwar einiges über Thomas Wolfe, aber wir können nicht sagen, um was es in seinen Büchern geht und warum er einer der Großen der US-Literatur ist. Immerhin wissen wir, dass er wahnsinnig dicke Bücher schrieb, die vorher noch länger waren.

Über Max Perkins, seine Familie und seine Arbeit erfahren wir mehr. Auch F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway treten kurz auf. Aber dass er, so Berg in seiner mit dem National Book Award ausgezeichneten Perkins-Biographie, der erste Lektor war, der kreativ in die Texte eingriff und schon während der Manuskripterstellung als Lektor mit dem Autor zusammen arbeitete, erfahren wir nicht in dem Film. Wir sehen es. Wir sehen auch, dass er sich intensiv um seine Autoren kümmerte. An einigen Beispielen, ohne zu wissen, ob er das nur manchmal oder immer machte. Perkins war für seine Autoren, so Biograph Berg, „Freund, Eheberater, Psychiater und Geldverleiher. Das galt nicht nur für Fitzgerald, Hemingway und Wolfe, sondern für hundert andere seiner Schützlinge auch.“ Das relativiert dann die in dem Film gezeigte Beziehung zwischen Perkins und Wolfe noch mehr.

Diese nur auf Englisch erhältliche Biographie könnte als ein umfassender Einblick in das US-amerikanische Verlagsgewerbe in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wirklich eine sehr lesenswerte Lektüre sein.

Der Film streift nur die Oberfläche.

GEN.PL_A3_RZ.indd

Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft (Genius, USA/Großbritannien 2016)

Regie: Michael Grandage

Drehbuch: John Logan

LV: A. Scott Berg: Max Perkins: Editor of Genius, 1978

mit Colin Firth, Jude Law, Nicole Kidman, Laura Linney, Guy Pearce, Dominic West, Yanessa Kirby, Corey Johnson, Harry Attwell

Länge: 105 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Genius“

Metacritic über „Genius“

Rotten Tomatoes über „Genius“

Wikipedia über „Genius“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood über „Genius“


Neu im Kino/Filmkritik: Colin Firth trifft Nicole Kidman, „Die Liebe seines Lebens“

Juni 28, 2015

Natürlich ist ein Film mit Colin Firth und Nicole Kidman nicht ganz schlecht und natürlich ist die Lebensgeschichte von Eric Lomax (1919 – 2012), die mit den beiden Stars verfilmt wurde, durchaus beeindruckend. In England, nachdem Lomax vor zwanzig Jahren seine Autobiographie veröffentlichte und zu einer Berühmtheit wurde, ist sie auch allgemein bekannt. Lomax war im Zweiten Weltkrieg in Asien Kriegsgefangener und, nachdem er seine Frau kennen lernte, begann er sich Jahrzehnte später seinen Kriegserlebnissen zu stellen. Und dennoch wirkt „Die Liebe seines Lebens“, was auch ein einigen Freiheiten liegt, die die Macher sich im dritten Akt nahmen, wie ein psychologisch nicht stimmig ausgedachtes Gedankenkonstrukt.
Das beginnt schon mit der ersten Begegnung des späteren Paares. Während einer Bahnfahrt lernt Patti (Nicole Kidman als das schönste Mauerblümchen Englands, über deren Vergangenheit wir absolut nichts erfahren) 1980 Eric Lomax (Colin Firth) kennen. Er ist ein sympathischer Zausel, der die Fahrpläne in- und auswendig kennt, weshalb er ihr gleich einige Tipps für Zugverbindungen und Sehenswürdigkeiten geben kann. Sie verlieben sich, sie heiraten und Patti entdeckt, dass Eric doch keine so gute Partie ist. Er hat einen Ordnungsfimmel. Sie darf bei ihm wohnen, aber sie darf – was ihr vorher überhaupt nicht aufgefallen ist – nichts verändern. Er hat, weil er seine Rechnungen nicht bezahlt, finanzielle Probleme und er hat – auch das bemerkt sie erst in der Hochzeitsnacht – Alpträume, über die er nicht reden will.
Nur langsam erfährt Patti, dass ihr Mann immer noch von einen Kriegserlebnissen verfolgt wird. Er (in den Rückblenden von Jeremy Irvine gespielt) geriet 1942 mit seinen Kameraden nach dem Fall von Singapur in japanische Kriegsgefangenschaft. Dank eines mathematischen Verständnisses findet er anhand weniger Zeichen, die alle etwas mit Zügen zu tun haben, heraus, wohin sie mit dem Zug befördert werden. Sie sollen in Thailand durch unwegsames Dschungelände eine Eisenbahnstrecke bauen. Als Gefangene sind sie billiges Arbeitsmaterial. Wenn sie nicht während des Baus sterben, sterben sie durch die Folter. Lomax wird, nachdem ein von ihm im Geheimen gebautes Radio entdeckt wird, von dem japanischen Offizier und Übersetzer Takashi Nagase gefoltert.
Als Patti herasfindet, dass Nagase immer noch lebt und in Thailand in einem Museum über den Eisenbahnbau arbeitet, macht Lomax sich auf den Weg.
Die erste Begegnung zwischen Lomax und seinem damaligem Folterer gehört dann zu den unglaubwürdigsten Szenen des ganzen Films. Denn der introvertierte Lomax wird innerhalb einer Sekunde zu einem foltergeneigtem Racheengel, der Takashi Nagase töten will. Auch wenn Firth diese Szene im schönstens „Kingsman“-Stil spielt, passt sie einfach nicht zu seinem Charakter.
Jonathan Tepliztkys „Die Liebe seines Lebens“ will mit seiner Rückblendenstrutkur, gleichzeitig ein Kriegsdrama über tapfere Engländer in der Gefangenschaft im Dschungel und ein psychologischer Liebesfilm über ein mittelaltes Paar, bei dem der Ehemann seelische Probleme hat, sein. Aber keine Geschichte packt wirklich.
Dabei hätte man die Probleme wahrscheinlich mit einigen zusätzlichen Szenen und erklärenden Sätzen beheben können.
Ein anderes Problem ist der irreführende deutsche Titel von „The Railway Man“. Denn es geht weniger um die Beziehung von Eric Lomax zu seiner Frau, sondern um seine Kriegserlebnisse (die Rückblenden machen ungefähr die Hälfte des Films aus) und wie er sie verarbeitet.

Die Liebe seines Lebens - Plakat

Die Liebe seines Lebens (The Railway Man, Australien/Großbritannien 2013)
Regie: Jonathan Teplitzky
Drehbuch: Andy Paterson, Frank Cottrell Boyce
LV: Eric Lomax: The Railway Man, 1995
mit Colin Firth, Nicole Kidman, Jeremy Irvine, Stellan Skarsgård, Hiroyuki Sanada, Sam Reid, Tanroh Ishida
Länge: 108 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Die Liebe seines Lebens“
Moviepilot über „Die Liebe seines Lebens“
Metacritic über „Die Liebe seines Lebens“
Rotten Tomatoes über „Die Liebe seines Lebens“
Wikipedia über „Die Liebe seines Lebens“ (deutsch, englisch)

History vs. Hollywood über „Die Liebe seines Lebens“


Neu im Kino/Filmkritik: „Kingsman: The Secret Service“ spielt James Bond

März 12, 2015

Sie halten die Daniel-Craig-James-Bond-Filme für zu psychologisch? Sie lieben die alten James-Bond-Filme? Vor allem die mit Sean Connery? Und Sie sind keiner der James-Bond-Fans, die nur die von Eon produzierten Bond-Filme goutieren? Dann ist „Kingsman: The Secret Service“ definitiv einen Blick wert.
Am Anfang stand, während des Drehs von „Kick-Ass“, ein Gespräch zwischen Comicautor Mark Millar und Regisseur Matthew Vaughn, in dem sie sich fragten, warum die Macher des James-Bond-Films „Casino Royale“ in dem Film nicht die Ausbildung von James Bond, der damals erstmals von Daniel Craig gespielt wurde, gezeigt haben. Denn so eine Geheimagentenausbildung liefert Stoff für viele Anekdoten. Und sie erinnerten sich an die Geschichte zum ersten James-Bond-Film „James Bond 007 jagt Dr. No“/„Dr. No“, in der Regisseur Terence Young Sean Connery die richtige Kleidung und die richtigen Manieren für einen Geheimdienst ihrer Majestät beibrachte.
Ausgehend von diesem Gespräch entwickelten Autor Mark Millar („Kick-Ass“), Regisseur Matthew Vaughn (die Verfilmung von „Kick-Ass“) und Zeichner Dave Gibbons („Watchmen“) die Geschichte für den Comic „Secret Service“. Schon damals hatten sie eine Verfilmung im Hinterkopf, die jetzt von Matthew Vaughn auch realisiert wurde und die, trotz einiger Änderungen, dem Geist des Comics treu bleibt.
Im Film, und das ist die schönste und stilvollste Idee, wurde der Geheimdienst ihrer Majestät (der im Comic der Arbeitgeber unseres Helden wird) zum noblen Herrenschneider in der Savile Row. Diese Herrenschneider gründeten schon vor Jahrhunderten einen an König Arthurs Tafelrunde angelehnten Geheimbund und Geheimdienst, der von keiner Regierung Befehle entgegennimmt. Sie sind nur dem allgemeinen Wohl der Menschheit verpflichtet. Sie arbeiten im Verborgenen. Niemand weiß von ihnen. Und dank ihres Berufs haben sie Zugang zu allen Hinterzimmern der Mächtigen.
Als bei einem Einsatz einer der Kingsmen stirbt, wird ein Nachfolger gesucht. Jedes Mitglied der illustren Runde darf einen Kandidaten vorschlagen, der dann einem harten Auswahlprozess unterzogen wird. Harry Hart (Colin Firth), Codename Galahad, schlägt Gary ‚Eggsy‘ Price (Taran Egerton) vor.
Vor siebzehn Jahren starb Eggsys Vater bei einem Einsatz. Er rettete so Hart und sein Team. Seitdem steht er moralisch in der Schuld der Price-Familie. Und er glaubt, dass der Kleinverbrecher ohne Schulabschluss das Potential für einen echten Kingsman hat.
Währenddessen muss Hart auch gegen Richmond Valentine kämpfen. Valentine ist im Comic ein noch jugendlicher Milliardär, der mit Handys reich wurde. Er ist die größenwahnsinnige Ausgabe von Mark Zuckerberg. Im Film wird der Bösewicht von Samuel L. Jackson (mit einer gruseligen, immer irritierenden Synchronstimme) gespielt. Er ist ein ebenfalls durch technische Innovationen reich gewordener Milliardär mit eher nerviger HipHop-Attitüde. Denn auch wenn nicht mehr jeder HipHopper ein Zwanzigjähriger ist, ist Jackson zu alt für so ein pubertäres Gehabe.
Das verstrahlt-geniale Vorhaben von Valentine änderte sich nicht: er will etwas gegen die Überbevölkerung tun. Er will den Planeten retten, indem er fast die gesamte Menschheit durch ein Signal, das sich über seine Mobiltelefone verbreitet, vernichtet. Nur einige Auserwählte dürfe in seinem in den Bergen gelegenem Hauptquartier überleben.
Und nur unser James-Bond-Nachfolger Eggsy kann das verhindern.
„Kingsman: The Secret Service“ ist von der ersten bis zur letzten Sekunde eine James-Bond-Pastiche mit einem ordentlichen „Kick-Ass“-Vibe. Deshalb ist Matthew Vaughns Film auch deutlich brutaler als einer der klassischen Bond-Filme. Aber er ist auch enorm stilvoll. Immerhin müssen die Herrenausstatter für die gesellschaftliche Oberschicht selbst auch gut gekleidet sein und die richtigen Accessoires haben, teils mit verstecktem Q-Zubehör. Und natürlich ist ein Colin Firth (The King’s Speech, A single man) als James Bond ein Besetzungscoup. Da ist Michael Caine als Chef der Kingsmen (vulgo M) nur folgerichtig. Immerhin spielte Caine in den Sechzigern in drei Len-Deighton-Verfilmungen den Geheimagenten Harry Palmer, der einmal auch gegen „Das Milliarden Dollar Gehirn“ kämpfen musste.
Wenn Kenneth Branaghs „Cinderella“ der Film für achtjährige Mädchen, die gerne Prinzessin wären, ist, dann ist „Kingsman: The Secret Service“ der Film für pubertierende Jungs, die niemals einen Anzug anziehen würden, weil Anzüge uncool sind, und die sich niemals rasieren, weil Bartwuchs in dem Alter kein Problem ist. Ratet mal, zu welcher Gruppe ich gehöre?

Kingsman - Plakat

Kingsman: The Secret Service (Kingsman: The Secret Service, USA/Großbritannien 2015)
Regie: Matthew Vaughn
Drehbuch: Jane Goldman, Matthew Vaughn
LV: Mark Millar/Dave Gibbons: Secret Service, 2012/2013 (Secret Service)
mit Colin Firth, Samuel L. Jackson, Mark Strong, Taron Egerton, Michael Caine, Sofia Boutella
Länge: 129 Minuten
FSK: ab 16 Jahre

Die Vorlage (meine Besprechung)

Millar - Secret Service - 2

Mark Millar/Dave Gibbons: Secret Service
(übersetzt von Claudia Fliege)
Panini, 2013
172 Seiten
19,95 Euro

Originalausgabe
Secret Service # 1- 6
Millarworld, Juni 2012 – April 2013

Hinweise
Britische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Kingsman“
Moviepilot über „Kingsman“
Metacritic über „Kingsman“
Rotten Tomatoes über „Kingsman“
Wikipedia über „Kingsman“ (deutsch, englisch)

Homepage von Mark Millar

Meine Besprechung von Mark Millar/Steve McNivens „Nemesis“ (Nemesis, 2010/2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/Grant Morrisons “Vampirella: Heiliger Krieg (Master Series 1)”

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 1)“ (Kick-Ass 2 – Issue 1 – 4, Dezember 2010 – November 2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 2)“ (Kick-Ass 2 – Issue 5 – 7, Januar – Mai 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Hit-Girl – Kick-Ass 2: Die Vorgeschichte“ (Hit-Girl, Issue 1 – 5, August 2012 – April 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yus „Superior – Band 2“ (Superior, Issue 5 – 7, Dezember 2011 – März 2012)

Meine Besprechung von Jeff Wadlows Mark-Millar-Verfilmung “Kick-Ass 2″ (Kick-Ass 2, USA 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/Dave Gibbons‘ „Secret Service“ (Secret Service # 1- 6, 2012/2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 1“ (Kick-Ass 3, # 1 – 5, 2013/2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 2“ (Kick-Ass 3 – # 6 – 7, 2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yu/Nacho Vigalondos (Co-Autor/Drehbuch) „Super Croocks – Band 1: Der Coup“ (Super Crooks # 1 – 4, 2012)

Wikipedia über Dave Gibbons (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Alan Moore/Dave Gibbons’ “Watchmen” (Watchmen, 1986/1987)

Meine Besprechung von Frank Miller/Dave Gibbons’ “Martha Washington – Ein amerikanischer Traum (Band 1)” (Give me liberty, 1990)

Matthew Vaughn spricht über den Film


Neu im Kino/Filmkritik: Woody Allen sucht „Magic in the Moonlight“

Dezember 4, 2014

Allein schon das Licht an der Côte d’Azur rechtfertigt den Dreh in Südfrankreich und seit den seeligen Stummfilmtagen verzichtete wohl kein Hollywood-Regisseur auf die Gelegenheit, vor Ort zu drehen. Auch Woody Allen drehte seinen neuesten Film „Magic in the Moonlight“ wieder vor Ort und in der Geschichte knüpft er an seine früheren, in den zwanziger und dreißiger Jahren spielenden Filmen, wie „Im Bann des Jade-Skorpions“ (2000) und „Bullets over Broadway“ (1994) an. Auch „Scoop“ (2006), obwohl in der Gegenwart spielend, passt in diese Reihe von Retro-Kriminalkomödien mit einer Tendenz zum Übersinnlichen.
„Magic in the Moonlight“ beginnt in einem wundervollen Studio-Berlin (halt so, wie Hollywood sich damals die verruchte deutsche Hauptstadt vorstellte) während einer Zaubershow von Wei Ling So. Noch während das Publikum applaudiert, mosert der Zauberer hinter der Bühne an den Leistungen seiner Angestellten herum und er schminkt sich ab. Denn in Wirklichkeit ist er ein Engländer, Stanley Crawford (Colin Firth), der nie um eine spitze, zynische und sarkastische Bemerkung verlegen ist. Sein Freund Howard Burkan (Simon McBurney) bittet den von sich und seiner rationalen Weltsicht hundertzehnprozentig überzeugten Zauberer in einem verrauchten Kabarett, während im Hintergrund eine Sängerin wimmert, um Hilfe. Denn an der Riviera ist ein Medium aufgetaucht, das anscheinend wirklich über besondere Fähigkeiten verfügt. Crawford hält sie für eine Schwindlerin und er macht sich, als Stanley Taplinger, auf den Weg nach Südfrankreich. Dort trifft er diese Schwindlerin, die Wahrsagerin Sophie Baker (Emma Stone), die ihn auch gleich mit ihrem charmanten Wesen verzückt und Dinge über ihn weiß, die sie nicht wissen kann.
In „Magic in the Moonlight“ gibt es alles das, was wir an einem Woody-Allen-Film mögen: eine Parade bekannter Schauspieler in glänzender Spiellaune, Pointen im Dutzend, einen kleinen, angenehm altmodischen Krimiplot, etwas Romantik, Jazz und eine Liebeserklärung an Hollywoods große Zeit. Aber dieses Mal übertreibt Allen es mit seiner Liebeserklärung an das Hollywood-Kino der dreißiger Jahre etwas. Denn er übernahm auch die damaligen Plotkonstruktionen, die oft einfach eine Abfolge von Szenen waren, die man beliebig austauschen kann. Entsprechend oft und unmotiviert sind in „Magic in the Moonlight“ die Wendungen und manchmal hat man sogar den Eindruck, dass eine Filmspule vergessen oder vertauscht wurde.
Vor allem die Wandlungen von Stanley Crawford, die die Geschichte bestimmen, kommen viel zu plötzlich und zu oft, um glaubwürdig zu sein. So ist der Skeptiker, ungefähr in der Filmmitte, plötzlich von Sophies Visionen überzeugt, kurz darauf, aus einem ähnlich nichtigen Grund, plötzlich wieder vom Gegenteil und bis zum Filmende darf er seine Überzeugung öfter wechseln, als andere Menschen ihre Unterhosen wechseln. Dabei geht er hier nicht um einen kleinen Meinungswechsel, sondern um eine vollkommene Veränderungen seiner gesamten Weltsicht.
Einiges, wie das für die Filmgeschichte vielversprechende Gespräch einer wohlhabenden Hausherrin mit der Mutter des Mediums über die Vermögensanlage entsprechend den Wünschen des verstorbenen Gatten, wird später nicht mehr erwähnt.
In diesen Momenten wünschte ich mir, dass Woody Allen sich, wie bei „Match Point“ oder „Midnight in Paris“, mehr Mühe mit seinem Drehbuch gegeben hätte. In „Magic in the Moonlight“ belässt er es einfach beim durchaus charmanten, aber auch etwas lieblosen Präsentieren der bekannten Versatzstücke. So ist sein neuester Film ein Zwischenhappen, bei dem man, aufgrund der vielen unmotivierten Wendungen, zunehmend das Interesse an der Lösung, also ob das Paar ein Paar wird und ob Sophie eine Betrügerin ist, verliert.

Magic in the Moonlight - Plakat

Magic in the Moonlight (Magic in the Moonlight, USA 2014)
Regie: Woody Allen
Drehbuch: Woody Allen
mit Colin Firth, Emma Stone, Simon McBurney, Eileen Atkins, Jacki Weaver, Hamisch Linklater, Marcia Gay Harden, Ute Lemper, Erica Leerhsen, Jeremy Shamos
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 0 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Magic in the Moonlight“
Moviepilot über „Magic in the Moonlight“
Metacritic über „Magic in the Moonlight“
Rotten Tomatoes über „Magic in the Moonlight“
Wikipedia über „Magic in the Moonlight“

Homepage von Woody Allen

Deutsche Woody-Allen-Seite

Meine Besprechung von Robert B. Weides „Woody Allen: A Documentary“ (Woody Allen: A Documentary, USA 2012)

Meine Besprechung von Woody Allens “To Rome with Love” (To Rome with Love, USA/Italien 2012)

Meine Besprechung von Woody Allens “Blue Jasmine” (Blue Jasmine, USA 2013)

Meine Besprechung von John Turturros „Plötzlich Gigolo“ (Fading Gigolo, USA 2013 – mit Woody Allen)

Kriminalakte über Woody Allen


TV-Tipp für den 16. September: Dame, König, As, Spion

September 16, 2014

Pro7 Maxx, 20.15

Dame, König, As, Spion (Tinker, Tailor, Soldier, Spy, Großbritannien/Frankreich/Deutschland 2011)

Regie: Tomas Alfredson

Drehbuch: Bridget O’Connor, Peter Straughan

LV: John le Carré: Tinker, Tailer, Soldier, Spy, 1974 (Dame, König, As, Spion)

Wer ist der Maulwurf im britischen Geheimdienst? George Smiley sucht den für die Sowjetunion arbeitenden Verräter.

Grandiose Verfilmung des verschachelten Agententhrillers von John le Carré.

Und dann läuft die TV-Premiere auch noch zu einer normalen Uhrzeit, während das ZDF um 00.50 Uhr das ebenfalls grandiose Südstaatendrama „The Help“ arg lieblos versendet. Immerhin ist „The Help“ produziert von Disney, starbesetzt, Oscar-prämiert, mehrfach ausgezeichnet und war ein überraschender Kassenhit in den USA.

mit Gary Oldman, Colin Firth, Tom Hardy, John Hurt, Toby Jones, Mark Strong, Benedict Cumberbatch, Ciarán Hinds, David Dencik, Simon McBurney, Kathy Burke, Stephen Graham, Svetlana Khodchenkova, John le Carré (Komparse bei der MI6-Silvesterfeier; also genau aufpassen)

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Wikipedia über die Verfilmung „Dame, König, As, Spion“ (deutsch, englisch)

Film-Zeit über „Dame, König, As, Spion“

Rotten Tomatoes über „Dame, König, As, Spion“

Homepage von John le Carré

Meine Besprechung von John le Carrés „Geheime Melodie“ (The Mission Song, 2006)

Meine Besprechung von John le Carrés “Marionetten (A most wanted man, 2008)

Meine Besprechung von John le Carrés “Verräter wie wir” (Our kind of traitor, 2010)

Meine Besprechung von John le Carrés “Empfindliche Wahrheit” (A delicate truth, 2013)

Meine Besprechung der John-le-Carré-Verfilmung “Bube, Dame, König, Spion” (Tinker, Tailor, Soldier, Spy, Großbritannien/Frankreich/Deutschland 2011)

Meine Besprechung der John-le-Carré-Verfilmung „A most wanted man“ (A most wanted man, Deutschland/Großbritannien 2014)

John le Carré in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 29. Juli: Wahre Lügen

Juli 29, 2014

Tele 5, 20.15

Wahre Lügen (Kanada/Großbritannien 2005, Regie: Atom Egoyan)

Drehbuch: Atom Egoyan

LV: Rupert Holmes: Where the Truth Lies, 2003

1972 will eine junge, ehrgeizige Journalistin herausfinden, was 1957 in einem Hotelzimmer geschah. Damals wurde die Leiche einer Studentin in der Suite der erfolgreichen Entertainer Lanny Morris und Vince Collins gefunden. Die Todesursache wurde nie geklärt, aber die Freundschaft der beiden Entertainer zerbrach.

Eleganter Neo-Noir von Kritikerliebling Atom Egoyan.

„Die retrospektiv erzählte Mischung aus Film noir und 1950er-Jahre-Melodram ist als faszinierendes Spiel mit Chiffren und Symbolen konzipiert, das, inszenatorisch perfekt, auf höchst vergnügliche Weise den Widerspruch zwischen Schein und Sein demonstriert.“ (Lexikon des internationalen Films)

mit Kevin Bacon, Colin Firth, Alison Lohman, Rachel Blancard

Wiederholung: Freitag, 1. August, 00.20 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Wikipedia über „Wahre Lügen“ (deutsch, englisch)

Rotten Tomatoes über “Wahre Lügen”

Film-Zeit über „Wahre Lügen“

Homepage von Atom Egoyan

Deutsche Atom-Egoyan-Fanseite


TV-Tipp für den 28. März: Wahre Lügen

März 28, 2014

3sat, 22.35

Wahre Lügen (Can/GB 2005, R.: Atom Egoyan)

Drehbuch: Atom Egoyan

LV: Rupert Holmes: Where the Truth Lies, 2003

1972 will eine junge, ehrgeizige Journalistin herausfinden, was 1957 in einem Hotelzimmer geschah. Damals wurde die Leiche einer Studentin in der Suite der erfolgreichen Entertainer Lanny Morris und Vince Collins gefunden. Die Todesursache wurde nie geklärt, aber die Freundschaft der beiden Entertainer zerbrach.

Eleganter Neo-Noir von Kritikerliebling Atom Egoyan.

„Die retrospektiv erzählte Mischung aus Film noir und 1950er-Jahre-Melodram ist als faszinierendes Spiel mit Chiffren und Symbolen konzipiert, das, inszenatorisch perfekt, auf höchst vergnügliche Weise den Widerspruch zwischen Schein und Sein demonstriert.“ (Lexikon des internationalen Films)

mit Kevin Bacon, Colin Firth, Alison Lohman, Rachel Blancard

Hinweise

Wikipedia über „Wahre Lügen“ (deutsch, englisch)

Rotten Tomatoes über „Wahre Lügen“

Film-Zeit über „Wahre Lügen“

Homepage von Atom Egoyan

Deutsche Atom-Egoyan-Fanseite


Neu im Kino/Filmkritik: „Gambit – Der Masterplan“ funktioniert nicht

Juni 20, 2013

Harry Deane (Colin Firth), ein kleiner, biederer und in jeder Beziehung ziemlich gehemmter Kurator für den vermögenden Kunstmäzen Lord Lionel Shahbandar (Alan Rickman), hat genug. Er will sich von dem arroganten Medienmogul Shahbandar nicht länger demütigen und ausnutzen lassen. Daher ersinnt er einen perfekten Plan, der rabiat mit der Wirklichkeit kollidiert und die Gegensätze, vor allem zwischen britischem Snobismus und amerikanischer Haudrauf-Mentalität, verkörpert durch das Cowgirl PJ Puznowski (Cameron Diaz), aufeinanderprallen.

Gambit – Der Masterplan“ hätte eine witzige Gaunerkomödie werden können, wenn nicht irgendwo in der Entwicklung etwas vollkommen schiefgelaufen wäre. Und dabei sind die größten Probleme des Films nicht, dass er jahrelang in der Entwicklungshölle war, oder dass er ein Remake ist. Denn Joel und Ethan Coen, die das Drehbuch schrieben, übernahmen erstaunlich wenig vom Original „Das Mädchen aus der Cherry-Bar“ (Gambit, USA 1966). Ronald Neame inszenierte die eher unbekannte Komödie mit Michael Caine als Harry Deane, Shirley MacLaine als Nicole Chang und Herbert Lom als Scheich Shahbandar, der immer noch seiner vor Jahren verstorbenen Frau hinterhertrauert und eine wertvolle Büste hat, die Harry Deane klauen will. Damit Deane seinen Diebstahl durchziehen kann, soll Chang, die der Toten wie ein Zwilling ähnelt, Shahbandar ablenken. Aber der sehr weltliche Araber hat das Gaunerpärchen durchschaut.

Außer den Namen, dem Zusammenprall unterschiedlicher Mentalitäten und Bildungsniveaus (damals Prostituierte – Scheich, heute Cowgirl – Medienmogul), dem Tausch von Original und Fälschungen (wobei es in der Auflösung zwischen Original und Remake einige Unterschiede gibt) und der Idee, dass wir am Anfang, in einer Fantasie von Harry Deane sehen, wie der Coup ablaufen soll, und dann sehen, dass eigentlich nichts von seinem Plan funktioniert, haben die Coens herzlich wenig vom „Mädchen aus der Cherry-Bar“ übernommen.

Dafür haben sie ihre Version, wie schon ihre fast zeitgleich entstandene unlustige Screwball-Komödie „Ein (un)möglicher Härtefall“ (Intolerably Cruelty, USA 2003) und ihre ebenfalls unlustige „Ladykillers“-Version „Ladykillers“ (USA 2004), mit viel veraltetem Sechziger-Jahr-Humor angereichert. Es gibt einen hübsch animierten Vorspann, wie wir es aus den „Der rosarote Panther“-Filmen kennen. Es gibt snobistisches Hotelpersonal. Es gibt eine lange Sequenz, in der Harry Deane aus reiner Geldnot aus einem Nobelhotel eine wertvolle Vase stehlen will, dabei zum Fassadenkletterer wird, sich in verschiedene Hotelzimmer verirrt, den Verdacht amouröser Abenteuer provoziert und seine Hose verliert. Es gibt Klassengegensätze, wie wir sie aus Komödien der fünfziger und sechziger Jahre kennen, als die britischen Briten abschätzig auf die ungebildeten Amerikaner herab blickten. Es gibt Witze, die damals vielleicht witzig waren, aber heute ungefähr so zündend wie ein nasser Silvesterkracher sind.

Da kann die hochkarätige Besetzung nichts mehr retten. Colin Firth hat es dabei am Schlechtesten erwischt. Denn nachdem ich wusste, dass Michael Caine im Original (das ich damals noch nicht kannte) die Rolle gespielt hatte, fragte ich mich während des Films ständig, wie Michael Caine die Rolle gespielt hätte – und diese Fantasie gefiel mir besser als Colin Firth in einer witzlosen Komödie.

Nachdem ich jetzt auch das Original gesehen habe, weiß ich, dass Caine die Rolle besser spielte – und dass ein Remake von einer weitgehend unlustig-zähen Gaunerkomödie nicht unbedingt zu einem besseren Film führt.

Gambit – Der Masterplan“ ist eine unwitzige Retro-Komödie.

Gambit - Plakat

Gambit – Der Masterplan (Gambit, USA 2012)

Regie: Michael Hoffman

Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen

mit Colin Firth, Cameron Diaz, Alan Rickman, Tom Courtenay, Stanley Tucci, Cloris Leachman

Länge: 99 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Gambit – Der Masterplan“

Rotten Tomatoes über „Gambit – Der Masterplan“

Wikipedia über „Gambit – Der Masterplan“ (deutsch, englisch)