Neu im Kino/Filmkritik: „Caligula – The Ultimate Cut“ des Skandalfilm

November 6, 2024

Gedreht wurde „Caligula“ 1976. Als Tinto Brass‘ Werk, der nicht als Regisseur genannt werden wollte, 1979 in die Kinos kam, waren die damaligen Kritiken vernichtend: „gesellschaftsfähig gemachter harter Porno mit Weltstar-Beteiligung und einem immensen Aufwand an Menschen, Maschinen, Kostümen und Dekorationsmaterial (…) eine unablässige voyeuristische Abfolge von Sex, Sadismus, Masochismus und Inzest in kulinarisch ausgebreiteten Prunkbildern.“ (Fischer Film Almanach 1981)

Der Skandalfilm, der in jedem Land unterschiedlich gekürzt wurde, wurde ein Kassenhit und seitdem so etwas wie ein Kultfilm.

Jetzt kommt das legendäre Werk wieder in die Kinos. In einer so noch nicht gesehenen Fassung. Denn hinter dem Titel „Caligula – The Ultimate Cut“ verbirgt sich keiner dieser Extended-Cuts, in die der Regisseur noch einige Szenen, die er vorher herausgeschnitten hat, eingefügt wurden. Es handelt sich auch nicht um einen Cut, in den einfach verschollen geglaubte, in einem Archiv entdeckte Aufnahmen wieder eingefügt wurden. Es handelt sich um einen vollkommen neuen Cut.

Den Anfang nahm diese Version 2016, als im Lager des Erotikmagazins „Penthouse“, das den Film damals produzierte und dem die Aufnahmen gehören, das archivierte und danach vergessene Originalmaterial wiederentdeckt wurde. Autor und Archivar Thomas Negovan erhielt den Auftrag, aus diesen bis jetzt weitgehend unbekannten Aufnahmen, dem ursprünglichen Drehbuch, das von Gore Vidal geschrieben wurde, und den Aufnahmen, bei denen das Drehbuch stark verändert wurde, eine Fassung des Films zu erstellen, die wohl den ursprünglichen Absichten relativ nahe kommt. Und die nichts mehr mit den bislang bekannten Fassungen zu tun hat.

Für den „Ultimate Cut“ wurden alle Bilder und Tonaufnahmen restauriert. Über neunzig Stunden Originalnegative wurden in 4k gescannt. Für den Cut wurden andere Darstellungen und Kamerawinkel ausgewählt. Die während der Dreharbeiten teilweise unvollständigen Kulissen wurden mittels VFX-Technik vervollständigt.

Damals, 1976, versanken die 24-wöchigen Dreharbeiten in einem einzigen Chaos aus unterschiedlichen Vorstellungen über den endgültigen Film und explodierenden Kosten. Männliche Komparsen wurden anhand ihrer Penisgröße engagiert. Bei Sexszenen demonstrierte Tinto Brass präzise unter persönlichem Einsatz, wie er sich die Szene vorstellte. Es gab Unfälle. Die Crew wurde nicht oder unpünktlich bezahlt. Während des Schnitts wurde Regisseur Tinto Brass gefeuert. Produzent und „Penthouse“-Gründer Bob Guccione erstellte eine Fassung, in der er willkürlich explizite pornographischie Szenen einfügte. Je nach Land und den dortigen Empfindllichkeiten wurden dann verschiedene weitere Fassungen erstellt. Der Film wurde als Hardcore-Porno mit Stars beworben. Unter anderem spielen Malcolm McDowell, Helen Mirren, John Gielgud und Peter O’Toole mit. Von der 1979 veröffentlichten Fassung distanzierten sie sich teilweise sehr deutlich. Der Film wurde, weil jeder den Skandal-Porno sehen wollte, ein Kassenerfolg.

Seitdem gab es auf Video, DVD und Blu-ray weitere Fassungen und weitere Zensurbemühungen. In all den Jahren behauptete niemand, dass es sich bei „Caligula“ um einen guten oder im traditionellen Sinn sehenswerten Film handelt.

Das kann auch jetzt von Thomas Negovans Fassung nicht behauptet werden. Auch wenn es sich wahrscheinlich um die erzählerisch kohärenteste Fassung handelt, ist „Caligula – The Ultimate Cut“ immer noch ein schlechter Film. So etwas wie eine Geschichte und schauspielerische Leistungen sind jetzt rudimentär erkennbar. Die Story – es handelt sich um ein Biopic über den römischen Kaiser Caligula und seine Zeit als Herrscher – wird in drei ungefähr einstündigen Akten mit atemberaubend schlechten, ziellosen Texten in meistens viel zu langen Szenen erzählt. Gewalt und pornographische Szenen gibt es immer noch. Aber es gibt nur noch wenige pornographische Szenen. Oder sie sind kürzer als in früheren Fassungen. Auch die Hauptdarsteller sind, während sie sich lange unterhalten, oft nur spärlich bekleidet. Inszeniert wurde die Geschichte wie ein abgefilmtes Theaterstück mit statischer Kamera, die auch die im Hintergrund nackt oder fast nackt herumstehenden und sitzenden Statisten ausführlich, auch beim selbstversunkenem Onanieren, zeigt.

Caligula – The Ultimate Cut“ ist als Skandal-Kuriosum der Kinogeschichte eher von historischem Interesse. Als Vorbereitung für den am 14. November startenden „Gladiator II“ ist er von großem Interesse. „Caligula“ zeigt, was in „Gladiator II“ noch nicht einmal im Ansatz gezeigt wird.

Thomas Negovan zu seiner Fassung:

Es ist wie ein Zeitportal, dass dir die Chance gibt, drei Stunden zu sehen, die du noch nie zuvor gesehen hast. Denn kein einziges Bild wurde jemals gezeigt. Manchmal nutzen wir ähnliche Kamerawinkel oder denselben Winkel aus einem anderen Take. Zum Großteil ist es jedoch ein komplett neuer Film. Was man vorher aus der Nähe gesehen hat, befindet sich nun vielleicht weit weg. Was 1980 eine Minute lang war, ist jetzt vielleicht sieben Minuten lang. (…) Da wir uns auf die Schauspieler konzentriert haben, gibt die neue Fassung ihnen ihre Würde zurück.

(…) ich tat einfach so als wäre es 1976. Als wäre ich ein Zeitreisender, der mit allen gesprochen und alle getroffen hat und Bob davon abhalten konnte, Tinto zu feuern, um pornografische Szenen zu drehen.

(…) Als der Cutter die besten Aufnahmen raussuchte, sagte ich zu ihm: „Gehen wir alles durch und jeder sucht sich die Aufnahmen raus, die er gerne darin sehen möchte. Falls wir Teile aus der 1980er-Version brauchen, scannen wir einfach die 35mm-Filme ab.“ Irgendwann hatten wir rund 85% fertiggestellt und wir mussten bisher zu keinem Zeitpunkt auf Material aus dem Original zurückgreifen. Meist gab es Takes, die einfach viel besser waren. Irgendwann wurde ich nervös: „Es wäre schon echt cool, wenn wir gar kein Material von 1980 benutzen würden…“ Dann standen wir bei 90%, dann bei 95%, ich verbiss mich regelrecht in meinen Schreibtisch und dachte: „Was ist hier los?“ Es wurde so viel Material gedreht, wir haben so vieles hinzugefügt, was im Original nicht zu sehen war, dass es einfach funktionierte. Wir mussten nie auf das alte Material zurückgreifen. Auch hatten wir die Negative von damals nicht. 96 Stunden wurden gedreht, und wir hatten 93 Stunden aterial. Ein Dutzend Szenen wurde erweitert und ich glaube, wir haben sieben Szenen, die es in keiner anderen Fassung gibt. Es sind Szenen, die mir sehr wichtig waren, wie das Herunterschlagen und Wiederaufsetzen der Statuenköpfe. Es war also keine Absicht, doch am Ende ergab es sich so.“

Caligula – The Ultimate Cut (Caligula – The Ultimate Cut, USA 2023)

Regie („Dreharbeiten“): Tinto Brass

Drehbuch („Originaldrehbuch von“): Gore Vidal

Rekonstruktion: Thomas Negovan

mit Malcolm McDowell, Helen Mirren, John Gielgud, Peter O’Toole, Teresa Ann Savoy, John Steiner, Paolo Bonacelli, Osidire Pevarello, Adrianna Asti, Bruno Brive

Länge: 178 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Caligula“

Metacritic über „Caligula – The Ultimate Cut“

Rotten Tomatoes über „Caligula – The Ultimate Cut“

Wikipedia über „Caligula – The Ultimate Cut“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 22. Januar: Lawrence von Arabien

Januar 21, 2023

3sat, 20.15

Lawrence von Arabien (Lawrence of Arabia, Großbritannien 1962)

Regie: David Lean

Drehbuch: Robert Bolt, Michael Wilson (ursprünglich ungenannt, 1978 von der WGA wieder hergestellt)

Klassiker. Monumentalfilm über den britischen Offizier T. E. Lawrence, der während des Ersten Weltkriegs die arabischen Stämme im Kampf gegen die Türkei eint und anführt.

kein Geschichtsbild, vielmehr eine höchst subjektive Zusammenfassung der historischen Ereignisse“ (Lexikon des internationalen Films)

Dem Erfolg bei der Kritik und an der Kasse tat das keinen Abbruch. – Und ich sollte mir das dreieinhalbstündige Werk, das höchstens alle Jubeljahre im Kino läuft, mal wieder ansehen.

Maurice Jarre schrieb die Musik.

mit Peter O’Toole, Alec Guinness, Anthony Quinn, Jack Hawkins, Omar Sharif, José Ferrer, Anthony Quayle, Claude Rains, Arthur Kennedy

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Lawrence von Arabien“

Wikipedia über „Lawrence von Arabien“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 20. Februar: Die Nacht der Generale

Februar 19, 2022

Arte, 20.15

Die Nacht der Generale (The Night of the Generals, Großbritannien/Frankreich 1967)

Regie: Anatole Litvak

Drehbuch: Joseph Kessel, Paul Dehn

LV: Hans Hellmut Kirst: Die Nacht der Generale, 1962

LV (ein Subplot aus): James Hadley Chase: The wary Transgressor, 1952 ( Der scharlachrote Mund)

Es beginnt 1942 in Warschau: Major Grau von der deutschen Abwehr soll einen sadistischen Prostituiertenmord aufklären. Seine drei Hauptverdächtigen sind Generäle der Wehrmacht.

Es endet 1965. Denn der Mörder hat wieder eine Prostituierte ermordet.

Starbesetztes und bei der Besetzung extrem selten, eigentlich fast nie gezeigtes und erstaunlich unbekanntes Thrillerdrama, das schon seit Ewigkeiten auf meiner Zu-sehen-Liste steht. Wahrscheinlich sagen die Unbekanntheit und die nicht vorhandenen lautstarken Fürsprecher für den Thriller mehr über seine Qualität aus als die durchwachsenen Kritiken. Aber, Hey!, bei der Besetzung kann ich wenigstens ein Trinkspiel machen.

Die Musik ist von Maurice Jarre. Kameramann war Henri Decaë.

mit Peter O’Toole, Omar Sharif, Tom Courtenay, Donald Pleasence, Joanna Pettet, Philippe Noiret, Charles Gray, Coral Browne, Christopher Plummer, Juliette Greco, Yves Brainville, Sacha Pitoeff, Charles Millot, Gordon Jackson

Wiederholung: Mittwoch, 23. Februar, 14.15 Uhr

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Die Nacht der Generale“

Wikipedia über „Die Nacht der Generale“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 18. April: Der letzte Kaiser

April 17, 2020

https://www.youtube.com/watch?v=4fuDMfqaNyU

One, 20.15

Der letzte Kaiser (The last Emperor, Großbritannien/Italien/Volksrepublik China 1987)

Regie: Bernardo Bertolucci

Drehbuch: Bernardo Bertolucci, Marc People (nach der Biographie von Pu Yi)

Monumentalepos über Pu Yi, der 1908 als Dreijähriger zum Herrscher über China wird, schon 1912, als China zur Republik wird, seinen Thron verliert, anschließend zum Spielball der Machthaber und der Politik wird und 1967 als Gärtner stirbt.

Bernardo Bertolucci durfte als erster europäischer Regisseur in der ‚Verbotenen Stadt‘ drehen. Seinen Film konnte er nach seinen eigenen Vorstellungen realisieren. Der Lohn waren, unter anderem, neun Oscars (u. a. Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch, Beste Kamera) und zahlreiche weitere Preise.

keine detailvernarrte Bebilderung der Autobiographie, sondern die durchkomponierte Umsetzung des Stoffes aus der Sicht eines Europäers, der bei aller Faszination von dem exotischen Ambiente seinen Stil beibehält. ‚Der letzte Kaiser‘ ist der erste wirkliche Monumentalfilm unserer Zeit, der nicht mit dem Makel von Pappkulissen und Holzschwertern behaftet ist. Bei allem Aufwand (…) verliert Bertolucci seine Hauptfigur nicht aus dem Blickfeld.“ (Fischer Film Almanach 1988)

Anschließend, um 22.50 Uhr, zeigt One die halbstündige Doku „Hollywood’s Best Film Directors: Bernardo Bertolucci“ (dabei hatte Bertolucci nie etwas mit Hollywood am Hut).

Mit John Lone, Joan Chen, Peter O’Toole, Richard Vuu, Tijger Tsou, Wu Tao, Ryuichi Sakamoto

Wiederholung: Montag, 20. April, 02.10 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Der letzte Kaiser“

Wikipedia über „Der letzte Kaiser“ (deutsch, englischI


TV-Tipp für den 5. Februar: Casino Royale

Februar 4, 2019

Nitro, 20.15

Casino Royale (Casino Royale, Großbritannien 1967)

Regie: Val Guest, Ken Hughes (als Kenneth Hughes), John Huston, Joseph McGrath, Robert Parrish

Drehbuch: Wolf Mankowitz, John Law, Michael Sayers, Woody Allen (ungenannt), Val Guest (ungenannt), Ben Hecht (ungenannt), Joseph Heller (ungenannt), Terry Southern (ungenannt), Billy Wilder (ungenannt), Peter Sellers (ungenannt)

LV: Ian Fleming: Casino Royale, 1953

Sir James Bond wird aus dem Ruhestand geholt, um die nach der Weltherrschaft strebende Gangsterorganisation SMERSH zu besiegen. Sir James Bond entwirft einen genialen Plan: er schickt mehrere James Bonds los.

Albert Broccoli und Harry Saltzman gelang es nicht, sich die Rechte an diesem Bond-Roman zu sichern. So konnte Charles K. Feldman diesen Bond produzieren. Weil Feldman nicht einfach nur Flemings Buch verfilmen wollte, entschloss er sich zu etwas vollkommen anderem.

Feldman: „Wir hatten die Idee von vielen Bonds, vielen Regisseuren, vielen Autoren und vielen Sets, so wie das auch bei [dem Kriegsfilm] ‚Der längste Tag’ geschah. Das war der einzige Weg, den Film zu realisieren. Ich hatte die Vision eines gigantischen Happenings mit Bonds, soweit das Auge reicht, mit ganzen Armeen von Girls, in wilder Pop-Art ausgemalt und von wilder Pop-Musik erfüllt.“

Letztendlich gab es bis zu fünfzehn verschiedene Drehbücher. Drei Wochen vor Drehbeginn gab es noch kein endgültiges Drehbuch, aber bereits ein veritables Chaos, das sich durch die gesamte Produktion zog. Die Drehbarbeiten zogen sich in die Länge, spontan wurden Gaststars engagiert, Drehbücher umgeschrieben und das Budget überzogen.

Das Ergebnis war niederschmetternd.

„Casino Royale ist ein Ian-Fleming-Titel, aber nur ein falsch nachgemachter Pseudo-Bond-Film…Casino Royale ist ein Alptraum.“ (Michael Scheingruber: Die James-Bond-Filme)

„Ich glaube, ich kann – mit der Hand in der Magengrube – ehrlich sagen, dass Casino Royale der schlechteste Film ist, den ich je genossen habe.“ (Donald Zec, Daily Mirror)

Und das zahlende Publikum ging lieber in die echten Bond-Filme.

Mit Peter Sellers, Ursula Andress, David Niven, Orson Welles, Joanna Pettet, Daliah Lavi, Woody Allen, Deborah Kerr, William Holden, Charles Boyer, John Huston, George Raft, Jean-Paul Belmondo, Jacqueline Bisset, Anjelica Huston (Hände von Agent Mimi; Debüt), Peter O’Toole (ungenannt), David Prowse (ungenannt, Debüt von „Darth Vader“)

Wiederholung: Donnerstag, 7. Februar, 23.55 Uhr

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Casino Royale“

Wikipedia über „Casino Royale“ (deutsch, englisch)

Homepage von Ian Fleming

Meine Besprechung von Ian Flemings ersten drei James-Bond-Romanen “Casino Royale”, “Leben und sterben lassen” und “Moonraker”

Meine Besprechung von John Gardners “James Bond – Kernschmelze” (James Bond – Licence Renewed, 1981; alter deutscher Titel “Countdown für die Ewigkeit”)

Meine Besprechung von John Gardners „James Bond – Der Mann von Barbarossa“ (James Bond – The Man from Barbarossa, 1991)

Meine Besprechung von Sebastian Faulks’ James-Bond-Roman „Der Tod ist nur der Anfang“ (Devil may care, 2008)

Meine Besprechung von Jeffery Deavers James-Bond-Roman “Carte Blanche” (Carte Blanche, 2011)

Meine Besprechung von William Boyds James-Bond-Roman “Solo” (Solo, 2013)

Meine Besprechung von Anthony Horowitz’ “James Bond: Trigger Mortis – Der Finger Gottes” (James Bond: Trigger Mortis, 2015)

Meine Besprechung der TV-Miniserie „Fleming – Der Mann, der Bond wurde“ (Fleming, Großbritannien 2014)

Meine Besprechung von Sam Mendes’ James-Bond-Films „Skyfall“ (Skyfall, GB/USA 2012)

Meine Besprechung von Sam Mendes’ James-Bond-Film “Spectre” (Spectre, USA/GB 2015)

James Bond in der Kriminalakte

Ian Fleming in der Kriminalakte