Drehbuch: Gareth Edwards, Chris Weitz (nach einer Geschichte von Gareth Edwards)
In der Zukunft zerstört eine Künstliche Intelligenz Los Angeles. Seitdem ist KI im Westen verboten und wird bekämpft. In Asien wird dagegen weitergeforscht und eine wirklich intelligente KI erschaffen.
US-Agent Joshua Taylor, der die Gegend von einem früheren Einsatz kennt, wird als Teil einer Kampfeinheit nach New Asia geschickt. Er soll die KI finden.
TV-Premiere. Wuchtiger Science-Fiction-Kriegsfilm mit überzeugenden Spezialeffekten und kleinen Schwächen in der Story. Trotzdem einer der besten SF-Filme des Jahres 2023.
Und wieder verarbeitet Martin Scorsese eine wahre Geschichte zu einem Spielfilm. Bei „GoodFellas“, „Casino“, „Gangs of New York“ (seinem ersten Film mit Leonardo DiCaprio) und „The Wolf of Wall Street“ führte das zu inzwischen allgemein als Klassiker anerkannten Filmen. In seinem neuesten Film, dem 206-minütigem Epos „Killers of the Flower Moon“, geht es um die Serie von Morden an den in Oklahoma lebenden Osage. Zwischen 1918 und 1931, wobei der Höhepunkt zwischen 1921 und 1926 war, wurden in der menschenleeren Gegend über sechzig, nach neueren Forschungen sogar über hundert, Osage ermordet.
Durch den Fund von Ölquellen waren die Osage unglaublich reich geworden. Am Filmanfang werden wir belehrt, dass sie damals zu den reichsten Menschen auf der Erde gehörten. Soviel Geld zieht natürlich viele Glücksritter und Verbrecher an. Legal, illegal, halblegal, scheißegal, solange das Geld in den Taschen weißer Männer landet. Einer von ihnen ist William ‚King‘ Hale (Robert De Niro). Der Viehzüchter inszeniert sich als gütiger Patriarch und Freund der Osage. Hintenrum lässt er sie, vor allem Osage-Frauen, töten. Es gibt nämlich ein Gesetz, nach dem der Ehemann der Toten ihr Vermögen erbt. Und das sind in diesem Fall beträchtliche Einnahmen aus dem Ölgeschäft.
Deshalb fordert er seinen Neffen Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio) auf, eine Osage-Frau zu heiraten. In Mollie Kyle (Lily Gladstone) findet der etwas dumme Kriegsinvalide Burkhart sogar eine ansehnliche, kluge und liebenswerte Frau. Um an ihr Vermögen zu kommen, auch wenn ihn ab und an das schlechte Gewissen plagt, muss er sie vergiften.
Zur gleichen Zeit bringen die Weißen munter Osage-Männer und -Frauen um. Einmal versuchen die Indianer in Washington Gehör zu finden. Und einige Bundesagenten suchen die Täter. Für J. Edgar Hoover und das damals noch junge FBI war die Aufklärung der Mordserie ihr erster großer Fall.
Das klingt doch nach einer Geschichte, die perfekt zu Martin Scorsese passt. Die Kritiken nach der Premiere in Cannes waren überschwänglich. Ich kann sie mir nur als eine Mischung aus Festivalbesoffenheit, Freude über das Aushalten des Films ohne mehrmalige Toilettengänge (er dauert 206 Minuten, es gibt keine Pause) und die Freude, darüber, dass ihr großes Idol Martin Scorsese weiterhin Filme inszeniert. Teure Filme. So soll „Killers of the Flower Moon“ zweihundert Millionen US-Dollar gekostet haben.
Über die Qualität eines Films sagt das Budget nichts aus. Eher schon über das Geschäftsmodell von Streamingdiensten. „Killers of the Flower Moon“ ist eine Apple-Produktion. Sie gaben Scorsese viel Geld und ließen ihn dann machen. Danach können sie den Film auf ihrer Plattform ablegen und mit dem Namen des Regisseurs werben. Das poliert ihren Ruf als Förderer der Kinokunst auf. Gleichzeitig bringt ihnen das einige neue Abonnenten. Ob sie sich den Film ansehen, ist egal. Ob der Film gut ist, ist auch egal. Außerdem ist er schneller vergessen, als die älteren Filme der bekannten Regisseure, die sich auf dieses Geschäftsmodell einließen. Oder wer erinnert sich noch an die von den Coen-Brüdern, David Fincher, Sofia Coppola und Noah Baumbach für Streamingdienste gedrehte Filme? Wenn sie im Kino gezeigt und auf DVD/Blu-ray veröffentlicht wurden, wurde immerhin etwas mehr über sie gesprochen. Aber zwei Wochen später sind sie weitgehend vergessen. Auch Scorseses vorheriger Film, die Netflix-Produktion „The Irishman“ ist inzwischen vergessen.
Und damit wären wir bei „Killers of the Flower Moon“, einem Film der ähnlich misslungen wie „The Irishman“ ist. Der Film ist zu lang, zu unfokussiert und zu langsam, teils mit sich in Endlosschleifen wiederholenden Dialogen, erzählt. Zum Glück verzichtet Scorsese dieses Mal auf das in „The Irishman“ irritierende De-Aging.
Das Hauptproblem bei „Killers of the Flower Moon“ ist das von Eric Roth und Martin Scorsese geschriebene Drehbuch. Sie verzichten auf ein Voice-Over; – dabei ist Martin Scorsese ein Meister des Voice-Overs und ein gutes Voice-Over kann einer epischen Geschichte in jeder Beziehung den nötigen Fokus verleihen. Hier breiten Scorsese und Roth in epischer Bräsigkeit über dreieinhalb Stunden eine Geschichte aus, bei der nie klar ist, wer der Protagonist ist. Also mit welcher Figur wir uns identifizieren sollen. Am ehesten bietet sich der von Leonardo DiCaprio mit vorgestrecktem Kinn, nach unten gezogenen Mundwinkeln und starrem Blick als gutmütig-tumben Trottel gespielten Ernest Burkhart an. Er treibt passiv durch die Geschichte und verhält sich mal so, mal so, aber nie konsistent. Entsprechend unbeeindruckt verfolgt man sein Schicksal. William ‚King‘ Hale (De Niro) ist da eine wesentlich stimmigere Figur, die allerdings blasser als nötig bleibt. Alle anderen Figuren sind in dem an allen Ecken und Enden in jeder Beziehung ausfransendem Ensemblestück Nebenfiguren ohne besondere Eigenschaften. Das gilt auch für Burkharts Frau Mollie (Lily Gladstone), die als eine viel zu intelligente Frau eingeführt wird, um sich dann willenlos von ihrem Mann vergiften zu lassen.
Die teils arg elliptisch erzählte Story plätschert ähnlich unentschlossen zwischen verschiedenen Plots und Ereignissen vor sich hin. Natürlich gibt es immer wieder gute Szenen, aber eigentlich alles, was in den ersten Minuten etabliert wird, ist später höchstens ein Hintergrundrauschen. Öltürme (zur Erinnerung: die Osage wurden durch Öl reich und jeder will ein Stück von diesem Ölkuchen abhaben) sehen wir am Anfang. Dann nie wieder. Die Osage verschwinden schnell, abgesehen von den Osage-Frauen, aus der Filmgeschichte. Erst gegen Ende treten sie wieder auf, ohne einen entscheidenden Einfluss auf die Handlung zu haben. Während der Gerichtsverhandlung am Filmende dürfen sie dann als Publikum stumm die Verhandlung verfolgen.
Am Ende, wenn die Übeltäter angeklagt werden, ist unklar, wen oder was Scorsese für die Morde verantwortlich macht. Das ist die alte Frage, ob das Individuum für seine Taten oder die Gesellschaft, genauer die Strukturen einer Gesellschaft und die Umstände, unter denen der Täter lebt, für die Taten des Einzelnen verantwortlich sind. Also ob es sich bei den Morden an den Osage um die Taten von einem bösen Patriarchen und einiger gieriger und dummer Männer oder um gesellschaftliche Strukturen handelt. Strukturen, die zu diesen Morden führten und die von der herrschenden Klasse letztendllich auch gewollt waren. Diese These wird im Film nicht weiterverfolgt.
Denn im Gegensatz zu seinen anderen Filmen scheint Scorsese hier die Verantwortung bei den Tätern zu sehen. Vor allem bei ‚King‘ Hale, der einfach nur ein böser Mensch war und der die anderen Männer zu den Morden anstiftete. Zum Glück kam dann irgendwann das FBI und überführte ihn.
In dem Moment ist schon sehr viel Filmzeit vergangen. Entsprechend schnell werden die Ermittlungen von Tom White (Jesse Plemons) und seinen Männern als Pflichtprogramm vor der Gerichtsverhandlung abgehandelt.
„Killers of the Flower Moon“ gehört zu Martin Scorseses schlechteren Filmen. Dabei hätte aus der Geschichte mit einem Voice-Over, das die Geschichte der Morde an den Osage aus einer Perspektive erzählt, und, damit einhergehend, herzhaft um eine halbe Stunde oder, besser noch, eine Stunde gekürzt, ein guter Film werden können.
Killers of the Flower Moon (Killers of the Flower Moon, USA 2023
Regie: Martin Scorsese
Drehbuch: Eric Roth, Martin Scorsese
LV: David Grann: Killers of the Flower Moon: The Osage Murders and the Birth of the FBI, 2017 (Das Verbrechen)
mit Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Jesse Plemons, Lily Gladstone, Tantoo Cardinal, John Lithgow, Brendan Fraser, Cara Jade Myers, JaNae Collins, Jillian Dion, William Belleau, Louis Cancelmi, Tatanka Means, Michael Abbot Jr., Pat Healy, Scott Shepard, Jason Isbell, Sturgill Simpson
Länge: 206 Minuten
FSK: ab 12 Jahre (und wenn die Eltern dabei sind, ist der Film ab 6 Jahre erlaubt)
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Am Ende des Jahres könnte Gareth Edwards‘ „The Creator“ wirklich der beste Science-Fiction-Film des Jahres sein. Das liegt dann weniger an den unbestrittenen Qualitäten des Actionfilms, sondern an der sehr schwachen Konkurrenz, die vor allem aus weitgehend überflüssigen Superheldenfilmen besteht.
Während sich die Superheldenfilmen gerade in Multiversen und nicht mehr nachvollziehbaren „Phasen“ verirren, ist sein Film ein Einzelfilm. „The Creator“ ist und will kein Auftakt einer „Trilogie“ sein. Edwards‘ Actionfilm basiert, wie die Filme von Christopher Nolan, auf einem Originaldrehbuch. Es gibt keine Superhelden. Eine Fortsetzung ist nicht geplant. Sie wäre nach dem Ende auch nur schwer möglich.
In „The Creator“ gibt es nur Soldaten, die in einem Kampf zwischen Künstlicher Intelligenz und Menschheit (jedenfalls eines Teils der Menschheit) verwickelt sind.
In der Zukunft ist, nachdem Künstliche Intelligenz in Los Angeles eine Atombombe zündete, die Welt in zwei Machtsphären geteilt. Der ‚Westen‘ bannte KI-Anwendungen. In ‚Asien‘ bzw. dem ‚Osten‘ wurde dagegen weiter geforscht. Dort hat es jetzt auch den Durchbruch zu einer wirklich intelligenten KI gegeben. Der MacGuffin des Films ist eine Superwaffe, die die Welt vernichten und den Krieg zwischen Menschen und KI beenden kann.
Joshua Taylor (John David Washington), der vor fünf Jahren in ‚Asien‘ bei einem Undercover-Einsatz, der schiefging, seine Frau Maya (Gemma Chan) verlor, soll jetzt wieder nach ‚Asien‘ fliegen und mit einem von Colonel Jean Howell (Allison Janney) angeführtem Special-Forces-Kommando die KI finden und vernichten. Joshua, der seit Mayas Tod nicht mehr Soldat ist, wird mit dem Hinweis geködert, dass Maya noch am Leben sei.
Rücksichtslos dringen sie in das Feindesland vor. Als sie die KI finden, sind sie überrascht. Es handelt sich nicht um einen großen stationären Computer, sondern um die sechsjährige Alphie (Madeleine Yuna Voyles). In dem Moment ist erst ein Viertel des zweistündigen Films um. Die Entdeckung der KI-Superwaffe markiert nicht das Ende des Films, sondern das Ende des ersten Akts. Danach beginnt ein etwas anderer Film. Etwas, weil „The Creator“ ein Science-Fiction-Kriegsfilm ist und er das bleibt. Die US-Militäreinheit, die bis dahin äußest rücksichtslos gegen die Einheimischen vorging, ändert ihr Vorgehen nicht. Sie verfolgen weiterhin stur ihren Auftrag. Hindernisse werden mit mehr oder weniger viel Gewalt eliminiert. Die sie bekämpfenden KI-Soldaten schießen ähnlich rücksichtslos zurück. Die zwischen den beiden Fronten stehenden Reisbauern beobachten weiterhin sprachlos das Geschehen.
Für Joshua ändert sich allerdings einiges. Er wird zum Vaterersatz für Alphie und er hofft, dass Alphie ihm bei der Suche nach Maya helfen kann. Gemeinsam reisen sie durch das Kriegsgebiet, das weniger wie ein zukünftiges, sondern viel mehr wie ein vergangenes Kriegsgebiet aussieht. Gedreht wurde an achtzig verschiedenen Orten in Thailand, Vietnam, Kambodscha, Nepal, Indonesien, Japan, Los Angeles und in London in den Pinewood Studios. Die Bilder, die Edwards und seine Kameramänner Greig Fraser (zuletzt „Dune“ und „The Batman“) und Oren Soffer finden, könnten aus einem Film über den Vietnamkrieg stammen. Nur dass dieses Mal neben den vietnamesischen Bauern halbwegs menschenähnlich aussehende Roboter stehen. Einige in der Landschaft und Städten herumstehende Gebäude erinnern an die aus „Blade Runner“ bekannten Gebäude. Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker ist eines der Werke, das Edwards als Einfluss für seinen neuesten Film nennt. Die anderen Werke, die Edwards nennt, sind Joseph Conrads „Heart of Darkness“ (Herz der Finsternis), Coppols Verfilmung „Apocalypse Now“, „Akira“, den experimentellen Dokumentarfilm „Baraka“ und für die Beziehung zwischen Joshua und Alphie, „Rain Man“, „The Hit“, „E. T. – Der Außerirdische“ und „Paper Moon“. Diese Vorbilder sind für cineastisch gebildete Menschen einfach zu erkennen. Deshalb haben sie auch immer das Gefühl, dass „The Creator“ in erster Linie bekannte Versatzstücke neu anordnet.
Die Geschichte ist ein Remake, eine Variation, von seinem vorherigen Film „Rogue One“. Nur dass dieses Mal die Rebellen nicht die Pläne für den Todesstern aus den Händen des Imperiums klauen müssen, sondern dass sie eine Künstliche Intelligenz, die sie alle vernichten könnte, finden müssen.
Die Zuschreibung wer die Guten und wer die Bösen sind, erfolgt im Drehbuch. Im Film wird das nicht erklärt. In „Star Wars“ sind die Rebellen die Guten, weil sie die Guten sind. In „The Creator“ ist es auf den ersten Blick etwas komplizierter. Anfangs sind die Fronten klar. Auf der einen Seite steht die böse Künstliche Intelligenz, die eine gesamte Millionenstadt ausradiert. Auf der anderen Seite stehen die guten Soldaten, die weiteres Unglück verhindern wollen. Wenn sich die Geschichte nach Asien verlagert und die Ikonographie des Vietnam-Kriegsfilms heraufbeschworen wird, ahnen wir schon, dass die Guten nicht unbedingt die Guten sind. Sie gehen rücksichtslos vor. Es ist eine Töten-und-Vernichten-Mission, bei der keine Gefangenen gemacht werden.
Wobei die asiatischen KI-Soldaten ähnlich rücksichtslos vorgehen. Über die Gesellschaft im ‚Westen‘ und in ‚Asien‘ erfahren wir nichts. Wobei ‚Asien‘ mit seinen ständigen Kontrollen und der dauerpräsenten Polizei wie eine Diktatur aussieht.
Der Wandel von Joshua vom Kämpfer gegen die KI zum Kämpfer für die KI (das überrascht doch jetzt wirklich niemanden) erfolgt dann vor allem über das Aussehen der KI-Superwaffe. Sie sieht wie ein Kind aus. Warum das so ist, wird nicht erklärt. Aber echte Soldaten töten keine Kinder. Außerdem könnte das KI-Kind Alphie sein Kind sein. Denn als seine Frau vor fünf Jahren durch einen Angriff der westlichen Soldaten starb, war sie schwanger.
Aber einen rational nachvollziehbaren Grund, warum Joshua die Seiten wechselt und warum die KI besser ist, wird nicht geliefert. Es bleibt eine Behauptung in einer arg vorhersehbaren Geschichte, die niemals eine wirklich schlüssige Zukunft erfindet. Es sind gut aussehende Versatzstücke aus anderen Welten. Knapp gesagt ist „The Creator“ ein Verschnitt aus „Apocalypse Now“, „Blade Runner“ und „Rogue One“.
Die Action ist wuchtig inszeniert und die dreckigen Kriegsfilmbilder überzeugen. Wahrscheinlich gibt es kein einziges Bild im Film, das nicht am Computer nachbearbeitet wurde. Doch die Arbeit wurde kompetent durchgeführt. Hier sieht, im Gegensatz zu den schrottigen CGI-Effekten in „The Expendables 4“, alles echt aus.
The Creator(The Creator, USA 2023)
Regie: Gareth Edwards
Drehbuch: Gareth Edwards, Chris Weitz (nach einer Geschichte von Gareth Edwards)
mit John David Washington, Gemma Chan, Ken Watanabe, Sturgill Simpson, Madeleine Yuna Voyles, Allison Janney, Ralph Ineson
Es ist ihr erster gemeinsamer Abend: in einem Diner treffen sich Queen, eine junge Anwältin, und Slim, ein Supermarktkassierer. Sie unterhalten sich. Sie essen. Danach fährt Slim sie nach Hause. Auf dem Heimweg werden sie von einem Polizisten angehalten Die Situation eskaliert, weil sie Schwarz sind und weil in den USA in den Augen der Polizei Schwarze immer potentielle Schwerverbrecher sind. Auch wenn sie nichts getan haben. Deshalb protestieren Slim und Queen gegen das eindeutig der Situation nicht angemessene Verhalten des weißen Polizisten nur mild. Vor allem Queen kennt ihre Rechte und sie will die übergriffige Machtdemonstration des Polizisten nicht akzeptieren.
Am Ende der Kontrolle ist Queen angeschossen und Slim hat in Notwehr und im Affekt den Polizisten erschossen. Weil ihnen das niemand glauben würde, verlassen sie den Tatort.
Das ist der Beginn einer Flucht durch die USA. Sie beginnt im verschneiten Ohio und endet, sieben Tage später, im sonnigen Florida in den Keys. Damit folgt „Queen & Slim“ der vertrauten Dramaturgie eines Roadmovies in dem die Polizei ein Verbrecherpaar durch das Land verfolgt – und die Sympathien des Publikums eindeutig bei den mehr oder weniger unschuldig Verfolgten liegen.
„Queen & Slim“ ist auch einer der aufregendsten Filme der letzten Monate. Melina Matsoukas überspielt mit ihrer starken Inszenierung die vielen Schwächen des Films locker. So ist „Queen & Slim“ mit über zwei Stunden zu lang geraten. Ein Roadmovie folgt immer einer episodenhaften Dramaturgie. Ab einem bestimmten Zeitpunkt reiht sich dann eine Begegnung an die nächste Begegnung mit Momenten, die zu einem Running Gag werden. Die beiden Flüchtlinge sind gesetzestreue Bürger, aber sie kennen anscheinend nur Menschen, die auf der falschen Seite des Gesetzes stehen oder gute Kontakte zu hilfsbereiten Verbrechern haben oder keine Probleme damit haben, ein landesweit gesuchtes Polizistenmörderpaar aufzunehmen und vor der Polizei zu verstecken, weil sie in ihrem Haus unzählige Verstecke haben. Außerdem werden Queen und Slim von allen Menschen, denen sie auf ihrer Flucht begegnen, sofort erkannt und es wird ihnen in mals stiller, mal begeisterter Solidarität geholfen. Das führt dann zu der ironischen Volte, dass der Film Schwarze in einem positiven Licht zeigen und den Rassismus in der US-Gesellschaft anklagen will, aber, bis auf ein weißes Ehepaar, alle Menschen, die Queen und Slim helfen, Schwarze sind und dass eigentlich alle Schwarze Verbrecher oder gute Bekannte von selbstlos helfenden Verbrechern sind.
Auf dieser Reise durch die USA stellt sich keine Thrillerspannung ein. Im Gegensatz zu ähnlichen Filmen, wie „Sugarland Express“ und „Thelma & Louise“, wechselt die Filmgeschichte nicht zwischen den Flüchtlingen und der sie verfolgenden Polizei. In „Queen & Slim“ bleibt die Geschichte bei Queen und Slim.
Deren Verhalten ist psychologisch kaum nachvollziehbar. Als gesetzestreue Bürger werden sie zu schnell zu Verbrechern auf der Flucht. Weil der Konflikt zwischen Queen, Slim und dem sie drangsalierendem Polizisten von mindestens einer Videokamera aufgezeichnet wurde, hätten sie in einem Prozess durchaus Chancen auf eine milde Strafe oder sogar einen Freispruch gehabt. Stattdessen flüchten sie und verlängern die Liste ihrer Straftaten. Auf ihrer ziellosen Flucht vor der Polizei verhalten sie sich fast wie Teenager, die zum ersten Mal ihre Heimatstadt verlassen und die große, weite Welt erkunden. Dabei befreien sie sich gleichzeitig von den bisher ihr Leben bestimmenden bürgerlichen Zwängen.
Dieses Gefühl von Freiheit vermittelt Regisseurin Melina Matsoukas in ihrem kraftvollen Spielfilmdebüt ausgezeichnet. Bis jetzt inszenierte sie vor allem Musikvideos für Beyoncé, Rihanna, Jennifer Lopez und Lady Gaga. Und das sieht man. Jedes Bild ist auf maximale Wirkung hin komponiert. Die Farben sind satt. Die Kamera scheint sich in jede Hautpore der beiden sympathischen Hauptdarsteller Daniel Kaluuya und Jodie Turner-Smith und der anderen Schauspieler verliebt zu haben. Hier wird eindeutig nach der Methode „mehr ist besser“ und „zu viel des Schönen ist wundervoll“ vorgegangen.
Damit wirkt „Queen & Slim“ wie die Pulp-Version eines Barry-Jenkins-Film („Moonlight“, „Beale Street“). Matsoukas‘ Roadmovie ist ein wilder Trip durch die USA und eine Bestandsaufnahme der US-Gesellschaft, die dann auch an „Easy Rider“ erinnert.
Queen & Slim (Queen & Slim, USA 2019)
Regie: Melina Matsoukas
Drehbuch: Lena Waithe (nach einer Geschichte von James Frey und Lena Waithe)
mit Daniel Kaluuya, Jodie Turner-Smith, Bokeem Woodbine, Chloë Sevigny, Flea, Sturgill Simpson, Indya Moore, Benito Martinez, Gayle King
Einerseits hat Jim Jarmusch noch keinen Zombiefilm und noch keine Komödie gedreht.
Andererseits ist jeder Jim-Jarmusch-Film eine Komödie und auch ein Zombiefilm. Denn nie sind seine Charaktere hundertprozentig von dieser Welt. In „Only Lovers left alive“ waren alle Hauptfiguren sogar Vampire. Aber auch fast alle anderen von Jim Jarmusch erfundenen Figuren wandeln etwas untot durch diese Welt. Die Dramen „Broken Flowers“ und „Paterson“ können als die Ausnahmen in seinem Werk gelten. Hier entsprachen die von Bill Murray und Adam Driver gespielten Figuren noch am meisten normal-bürgerlichen Personen. Phlegmatisch und von erstaunlichem Langmut sind sie trotzdem.
Einen sehr speziellen, sehr trockenen Humor haben alle seine Filme. Auch „The Dead don’t die“.
Durch Polarfracking verschiebt sich die Erdachse. Die gewohnten Tag- und Nachtzeiten stimmen nicht mehr. In Centerville, einer beschaulichen 738-Seelen-Gemeinde, steigen die Toten aus ihren Gräbern. Als Chief Clifford Robertson (Bill Murray) und Officer Ronald Peterson (Adam Driver), die lakonisch lakonischen Dorfpolizisten, in einem Diner die ersten Leichen sehen, hat Peterson gleich einen Verdacht. Die Bedienungen wurde von einem Zombie ermordet. Robertson hält das sofort für plausibel.
„The Dead don’t die“ ist eine Nummernrevue, die mit dem richtigen Publikum ein grandioser Spaß ist. Denn Jim Jarmusch kennt seine Zombiefilme. Es gibt zahlreiche Anspielungen, vor allem natürlich auf das Werk von George A. Romero. Es werden auch alle vertrauten Genretopoi bedient. Aber halt anders, als gewohnt. Vor allem mit einem gnadenlosem Understatement. Nichts bringt unsere Helden aus der Ruhe.
Für seinen Film hat Jarmusch ein mehr als namhaftes Ensemble versammelt: Bill Murray, Adam Driver und Chloë Sevigny als Dorfpolizisten, Tilda Swinton als Bestatterin mit Samurai-Zusatzausbildung (in der deutschen Synchro mit einem Akzent, an den ich mich nie gewöhnen konnte), Tom Waits als Waldschrat (in der deutschen Synchro notgedrungen ohne seine markante Stimme), und Danny Glover, Steve Buscemi, Selena Gomez, Rosie Gomez, Caleb Landry Jones, Iggy Pop (auf der Suche nach Kaffee), Sara Driver, RZA und Carol Kane, um nur einige zu nennen, als Dorfbewohner und Gäste mit mehr oder weniger begrenzter Lebenszeit. Dieses Ensemble ist auch eine kleine Jarmusch-Familienfeier.
„The Dead don’t die“ ist nicht Jarmuschs bester Film. Es ist vor allem ein entspannter Feierabendspaß.
Damit ähnelt die phlegmatische Zombiekomödie am meisten seinem Film „Coffee and Cigarettes“. In dieser 2004 zu einem Spielfilm fasste er eine über mehrere Jahre entstandene Reihe von Kurzfilmen zusammen, in denen sich an einem Tisch mit Kaffee und Zigaretten über Gott und die Welt unterhalten wird. Mal tiefsinnig, mal banal, mal abgedreht.
The Dead don’t die(The Dead don’t die, USA 2019)
Regie: Jim Jarmusch
Drehbuch: Jim Jarmusch
mit Bill Murray, Adam Driver, Tom Waits, Chloë Sevigny, Steve Buscemi, Danny Glover, RZA, Rosie Perez, Carol Kane, Tilda Swinton, Sara Driver, Iggy Pop, Selena Gomez, Caleb Landry Jones, Larry Fessenden, Eszter Balint, Sturgill Simpson