
Heute sagt man wohl: ein Buch über den Erfinder von „Justified“. Obwohl die TV-Serie bei uns kein großer Erfolg war. Vor zwanzig Jahren hätte man gesagt: ein Buch über den Autor von „Schnappt Shorty“, „Jackie Brown“ und „Out of Sight“. Vor dreißig, vierzig Jahren war Elmore Leonard dagegen vor allem ein unter Krimifans angesehener Krimiautor.
Leonard (11. Oktober 1925 – 20. August 2013) begann seine Schriftstellerkarriere in den frühen fünfziger Jahren als Autor von Westernkurzgeschichten. Später schrieb er mehrere Western-Romane und ab 1969 vor allem Kriminalromane. Insgesamt schrieb er 44 Romane. Seine Erzählungen erschienen in mehreren Sammelbänden. Auch wenn einige seiner Figuren in mehreren Romanen auftauchen, handelt es sich mehr um eine Namensgleichheit als um eine Serie oder eine direkte Fortsetzung des ersten Romans. Die wenigen Ausnahmen bestätigen diese Regel.
Frank Göhre und Alf Mayer haben jetzt ein Buch über Elmore Leonard geschrieben. Frank Göhre ist Krimi-Autor, der in seinen Noirs die Geschichte von Hamburg und, vor allem, dem Stadtteil St. Pauli erzählt. Seine St.-Pauli-Trilogie „Der Schrei des Schmetterlings“, „Der Tod des Samurai“ und „Der Tanz des Skorpions“ (zuletzt bei Pendragon als „Die Kiez-Trilogie“ veröffentlicht) ist einer der unbestrittenen Höhepunkte des deutschen Kriminalromans. Wegen der Verfilmung von Sönke Wortmann dürfte sein Episodenkrimi „St. Pauli Nacht“ sein bekanntestes Werk sein. Er schrieb auch einige Drehbücher, unter anderem für die den Schimanski-Tatort „Einzelhaft“ und den Stoever-Tatort „Finale am Rothenbaum“ und er war an einer Friedrich-Glauser-Werkausgabe beteiligt.
Alf Mayer ist freier Journalist. Er war Redakteur der Zeitschrift „medium“, Direktor der Filmbewertungsstelle (FBW) und Textchef bei Manufactum. Seit 1984 schreibt er im Frankfurter Kulturmagazin „Strandgut“ die Krimi-Kolumne „Blutige Ernte“. Im „CulturMag“ betreut er das „CrimeMag“.
Zusammen schrieben sie schon das Sachbuch „Cops in the City – Ed McBain und das 87. Polizeirevier: Ein Report“ (2016).
Mit „King of Cool – Die Elmore-Leonard-Story“ nehmen sie sich einen weiteren Großen der US-Literatur vor. In den USA sind seine Bücher gut erhältlich. In Deutschland wurde er munter von Verlag zu Verlag weitergereicht. Einige seiner Bücher, vor allem die Western, wurden überhaupt nicht ins Deutsche übersetzt. Inzwischen sind die deutschen Ausgaben seiner Bücher vor allem antiquarisch erhältlich. Immerhin werden sie nicht zu Mondpreisen angeboten.
Damit ist auch klar, dass das Elmore-Leonard-Buch „King of Cool“ von Frank Göhre und Alf Mayer ein Werk von Fans für Fans ist.
Es ist, so die Herren Göhre und Mayer im Vorwort, „ein Mix aus Interviewäußerungen, Textpassagen, Nacherzählungen, Schlaglichtern, Bekenntnissen, Anekdoten, dazu Songs und Stimmen von außen, all das seinem Werk entlang aufgefächert, arrangiert wie eine große und vergnügliche Jamsession. Ein Leseabenteuer. Ein Lebensroman. Die Elmore-Leonard-Story.“
Bei ihrer Jamsession orientieren sie sich rudimentär an Leonards Biographie, setzen immer wieder Schwerpunkte bei bestimmten Werken, wobei die bekannten Verfilmungen und seine Arbeit in Hollywood einen großen Teil einnehmen. Quentin Tarantino nimmt selbstverständlich einen Ehrenplatz ein. Der obsessive Elmore-Leonard-Fan, der schon in seinem Debütfilm „Reservoir Dogs“ auf dem Leonard-Trip war, machte mit seiner grandiosen Leonard-Verfilmung „Jackie Brown“ (basierend auf dem Roman „Rum Punch“) Leonard Mitte der neunziger Jahre allgemein bekannt. Da geraten Barry Sonnenfelds „Schnappt Shorty“ (Get Shorty) und Steven Soderberghs „Out of sight“, beide nach Drehbüchern von Scott Frank, dem es ebenfalls gelang, Leonards Prosa auf die Leinwand zu übertragen, etwas aus dem Blickfeld.
Leonards sich über mehrere Jahrzehnte erstreckende Erfahrungen mit Hollywood, beginnend 1957 mit dem Western „Um Kopf und Kragen“ (The Tall T, basierend auf der Kurzgeschichte „The Captives“), liefern auch einige interessante und immer wieder amüsante Einblicke in den Maschinenraum der Traumfabrik. Zum Beispiel über Abel Ferraras Leonard-Verfilmung „Hexenkessel Miami“ (Cat Chaser).
Bei all den Verfilmungen und den Hollywood-Anekdoten und Lobpreisungen geraden Elmore Leonards Romane, vor allem die nicht verfilmten, etwas zu sehr in den Hintergrund. Trotzdem werden einige Romane wie „Cuba Libre“ (Cuba Libre) und seine in Detroit spielenden Romane, wie „Dies ist ein Überfall“/“Beute“ (Ryan’s Rules, später Swag) und „Nr. 89 – unbekannt“ (Unknown Man No. 89), ausführlicher vorgestellt.
Das weckt, wegen der Zitate aus den Krimis, bei langjährigen Leonard-Fans den Wunsch, mal wieder in seinen Büchern herumzublättern (was regelmäßig zu einer längeren Lektüre führt) und sich die wenigen guten Verfilmungen wieder anzusehen. Das sind, neben den schon erwähnten Leonard-Verfilmungen, eigentlich nur noch die auch in „King of Cool“ ausführlicher vorgestellten Western „Zähle bis drei und bete“ (3:10 to Yuma), „Man nannte ihn Hombre“ (Hombre), der Quasi-Western „Das Gesetz bin ich“ (Mr. Majestyk) und „52 Pick-Up“.
Ich schreibe „vorgestellt“ weil Frank Göhre und Alf Mayer Elmore Leonards Werk nicht kritisch würdigen. Bei den Filmen folgen sie dem allgemeinen Konsens und Elmore Leonards Meinung.
Auch wenn viele Anekdoten bekannt sind, gibt es für alte Leonard-Fans doch noch einige neue Informationen. Das sind jetzt nicht unbedingt die Informationen zu seinen Agenten, denen er immer lange die Treue hielt, seinem Einkommen, seinen Häusern und seinen Ehen, sondern die zu seinem Alkoholismus. In jungen Jahren soff er. Die Männer, mit denen er Geschäfte machte, ebenso. Irgendwann besuchte er ein Treffen der Anonymen Alkoholiker. „Da musste ich nur dasitzen und zuhören, und ich wusste, dass ich ein Alkoholiker war“, so Leonard. Am 24. Januar 1977 um 9.30 Uhr nahm er seinen letzten Drink. Einen Scotch mit Ginger Ale. In dem 1984 veröffentlichten Sammelband „The Courage to Change. Personal Conversations about Alcoholism“ erzählte er davon. Göhre und Mayer zitieren ausführlich aus diesem, bislang (soweit ich weiß) nicht übersetzten Text.
Und sie unterhielten sich mit Gregg Sutter. Er lernte Leonard 1979 kennen, schrieb 1980 für das Magazin „Monthly Detroit“ ein Porträt über Leonard und im Januar 1981 fragte Leonard ihn, ob er für ihn recherchieren möge. Seitdem arbeitete Sutter für Leonard und Leonard machte daraus niemals ein Geheimnis. In „King of Cool“ erzählt Sutter über seine Arbeit für Leonard und wie Leonard arbeitete.
„King of Cool“ ist vor allem ein Buch für Elmore-Leonard-Fans, die bei den zahlreichen Zitaten aus Leonards Romanen kundig mit dem Kopf nicken und sich an den ganzen Roman erinnern. Für sie ist der essayistische Stil kein Problem. Immer wieder ignorieren sie die Chronologie. Sie setzten willkürlich Schwerpunkte (Warum schreiben sie so viel über „Cuba Libre“, so wenig über seine in den dreißiger Jahren spielenden Geschichten mit U.S. Marshal Carl Webster und nichts über die Religionssatire „Blutsmale“ [Touch], die unbestritten sein ungewöhnlichster Roman ist?). Und, wenn sie schon einmal eine Romangeschichte zusammenfassen, geschieht dies sehr kryptisch. Sie kennen ja die Romane und Filme. Ein Neueinsteiger dürfte da seine Probleme haben.
Aber ich kann mich auch irren und jemand kommt über eine Elmore-Leonard-Verfilmung, die er im Fernsehen sieht, zu diesem biographischen Essay und dann zu den Romanen des Grand Master der Mystery Writers of America.
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Frank Göhre/Alf Mayer: King of Cool – Die Elmore-Leonard-Story
Culturbooks, 2019
240 Seiten
15 Euro
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Hinweise
Culturbooks über das Buch
Wikipedia über Elmore Leonard (deutsch, englisch)
Homepage von Elmore Leonard
Meine Besprechung von Elmore Leoanrds “Raylan” (Raylan, 2012)
Meine Besprechung von Elmore Leonards “Raylan” (2012)
Meine Besprechung von Elmore Leonards „Dschibuti“ (Djibouti, 2010)
Meine Besprechung von Elmore Leonards „Djibouti“ (2010)
Meine Besprechung von Elmore Leonards „Road Dogs“ (Road Dogs, 2009)
Meine Besprechung von Elmore Leonards „Up in Honey’s Room“ (2007)
Meine Besprechung von Elmore Leonards „Gangsterbraut“ (The hot Kid, 2005)
Meine Besprechung von Elmore Leonards „Callgirls“ (Mr. Paradise, 2004)
Mein Porträt „Man nennt ihn Dutch – Elmore Leonard zum Achtzigsten“ erschien im „Krimijahrbuch 2006“
Meine Besprechung der Elmore-Leonard-Verfilmung „Sie nannten ihn Stick“ (Stick, USA 1983)
Meine Besprechung der Elmore-Leonard-Verfilmung „Killshot“ (Killshot, USA 2008)
Elmore Leonard in der Kriminalakte
Lexikon der deutschen Krimiautoren über Frank Göhre
Homepage von Frank Göhre
Meine Besprechung von Frank Göhres „Der letzte Freier“ (2006)
Meine Besprechung von Frank Göhres „Zappas letzter Hit“ (2006)
Meine Besprechung von Frank Göhres „St. Pauli Nacht“ (2007, überarbeitete Neuausgabe)
Meine Besprechung von Frank Göhres „MO – Der Lebensroman des Friedrich Glauser“ (2008)
Meine Besprechung von Frank Göhres „An einem heißen Sommertag“ (2008)
Meine Besprechung von Frank Göhres „Abwärts“ (2009, Neuausgabe)
Meine Besprechung von Frank Göhres „Seelenlandschaften – Annäherungen, Rückblicke“ (2009)
Meine Besprechung von Frank Göhres „Der Auserwählte“ (2010)
Meine Besprechung von Frank Göhres “Die Kiez-Trilogie” (2011)
Meine Besprechung von Frank Göhres „I and I – Stories und Reportagen“ (2012)
Meine Besprechung von Frank Göhres “Geile Meile” (2013)
Meine Besprechung von Frank Göhres „Gut leben – früh sterben: Stories von unterwegs“ (2014)
Meine Besprechung von Frank Göhres „Du fährst nach Hamburg, ich schwör’s dir – Ein Heimatfilm“ (2014)
Meine Besprechung von Frank Göhres „Die Härte, der Reichtum und die Weite – Ein Heimatfilm, Teil II“ (2014)
Frank Göhre in der Kriminalakte
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