Neu im Kino/Filmkritik: „Saw X“ – same old, same old

November 29, 2023

Der Jigsaw-Killer ist zurück. Und wieder wird er von Tobin Bell in der Rolle seines Lebens gespielt. Weil er allerdings in der Filmserie schon vor langem gestorben ist, spielt der zehnte „Saw“-Film, profan „Saw X“ betitelt, zwischen dem ersten und dem zweiten „Saw“-Film.

John Kramer, der als Jigsaw Menschen tötet, hat Krebs im Endstadium und er hat sich mit seinem baldigen Tod abgefunden. Da hört er von einer experimentellen Behandlung in Mexiko, die in den USA nicht angewandt wird und die supererfolgreich sein soll. Anstatt dass bei ihm jetzt alle Alarmglocken über diesen Betrug losgehen, lässt er sich auf die teure Behandlung ein. Nur um nach der Operation und nachdem er sie bezahlt hat, zu erfahren, dass Doktor Cecilia Pederson ihn betrogen hat und mit seinem Geld verschwunden ist. Kramer beginnt sie und alle, die in den Betrug verwickelt sind, zu jagen und stellt deren Moral in von ihm ersonnenen Fallen auf die Probe.

Denn Jigsaw mordet nicht einfach so. Er will für seine Opfer ein Lehrer sein und sie zu besseren Menschen machen. Sagt er. In Wirklichkeit ist sein Gerede von Moral nur eine krude pseudophilosophische Ummäntelung für seine Taten. Er ist ein Sadist, der sich an den Leiden, Selbstverstümmelungen und dem Tod seiner Opfer ergötzt.

Bei seinem ersten Auftritt, 2004 in dem harten von James Wan inszeniertem und Leigh Whannell geschriebenem Horrorthriller „Saw“, war diese Mischung aus perversen Aufgaben für die Opfer und pseudophilospischen Erklärungen neu. Für Wan und Whannell war das der Beginn einer erfolgreichen Karriere in Hollywood. Sie erfanden auch das „Insidiuos“-Horrorfranchise. Wan inszenierte außerdem „Furious 7“ und die beiden „Aquaman“-Spielfilme (der zweite startet demnächst).

Jigsaw war nach dem Film einer der ikonischen Killer. Und das ganz ohne Maske.

Angesichts des Erfolgs an der Kinokasse folgten schnell weitere Filme, die bei uns nicht alle im Kino liefen und von der Kritik mehr oder weniger verrissen wurden.

Nachdem der vorherige „Saw“-Film „Saw: Spiral“ (Spiral: From the Book of Saw, USA 2021) an der Kinokasse deutlich weniger als erwartet einspielte (vierzig Millionen US-Dollar bei einem Budget von zwanzig Millionen US-Dollar), ist „Saw X“ ein gewisses back to the roots. Inszeniert wurde der Film von Kevin Greutert. Er war für den Schnitt bei den ersten fünf „Saw“-Filmen und dem achten „Saw“-Film „Jigsaw“ verantwortlich. Außerdem inszenierte er „Saw VI“ und „Saw VII“. Tobin Bell ist wieder dabei und zwar als Hauptdarsteller.

Für die langjährigen „Saw“-Fans gibt es etliche ausführlich gezeigte Morde. Denn die Fallen von Jigsaw sind so konstruiert, dass die Opfer einen möglichst schmerzhaften Tod erleiden.

Und es gibt eine Story, die zwar löchriger als Schweizer Käse ist, aber immerhin noch gut genug ist, um über Logiklöcher, unplausible Momente und Kramers verquere Moral nachzudenken. „Saw X“ reiht nicht nur etliche, detailliert gezeigte Folterungen aneinander, sondern es gibt eine Geschichte, die die Folterungen halbwegs sinnvoll zusammenhält, und wir erfahren einiges über John Kramer.

Insgesamt gehört „Saw X“ zu den besseren Filmen der Serie. Etliche Stimmen halten ihn sogar für die bislang beste Fortsetzung des ersten Films. Ein guter Film oder ein Film, den man sich unbedingt ansehen muss, ist es nicht. Außer man ist ein Fan der Serie oder liebt harte Horrorfilme.

Nachdem „Saw X“ bei einem Budget von dreizehn Millionen Dollar bereits jetzt über hundert Millionen Dollar eingespielt hat, ist ein elfter „Saw“-Film bereits beschlossen. Es wird nicht der letzte sein.

Saw X (Saw X, USA 2023)

Regie: Kevin Greutert

Drehbuch: Pete Goldfinger, Josh Stolberg

mit Tobin Bell, Shawnee Smith, Synnøve Macody Lund, Steven Brand, Renata Vaca, Michael Beach, Paulette Hernández, Octavia Hinojosa, Joshua Okamoto

Länge: 119 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Saw X“

Metacritic über „Saw X“

Rotten Tomatoes über „Saw X“

Wikipedia über „Saw X“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Kevin Greuterts „Visions“ (Visions, USA 2015)

Meine Besprechung von Darren Lynn Bousmans „Saw: Spiral“ (Spiral: From the Book of Saw, USA 2021)


TV-Tipp für den 25. Januar: Internal Affairs – Trau ihm, er ist ein Cop

Januar 24, 2023

ZDFneo, 23.15

Internal Affairs – Trau ihm, er ist ein Cop (Internal Affairs, USA 1990)

Regie: Mike Figgis

Drehbuch: Henry Bean

Ist der allseits beliebte, hilfsbereite Polizist Dennis Peck (Richard Gere) korrupt? Der interne Ermittler Raymond Avilla (Andy Garcia) will es herausfinden.

Hübsch düsterer, in Los Angeles spielender Cop-Thriller von Mike Figgis („Stormy Monday“, „Leaving Las Vegas“) mit Richard Gere, besetzt gegen sein Image, als bad guy.

„Es gibt keine sauberen Polizisten mehr in diesem ungemein spannenden und dichten Polizeifilm, (…) der (…) vor allem durch seine atmosphärisch stimmige und dicht an den Figuren bleibenden Inszenierung besticht.“ (Fischer Film Almanach 1991)

mit Richard Gere, Andy Garcia, Nancy Travis, Laurie Metcalf, Richard Bradford, William Baldwin, Annabella Sciorra, Michael Beach, Xander Berkeley, Elijah Wood

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Internal Affairs“

Wikipedia über „Internal Affairs“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Mike Figgis‘ „Ronnie Wood – Somebody up there likes me“ (Somebody up there likes me, Großbritannien 2019)


TV-Tipp für den 18. September: Beale Street

September 17, 2021

3sat, 22.50

Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)

Regie: Barry Jenkins

Drehbuch: Barry Jenkins

LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)

Harlem in den frühen Siebzigern: der 21-jährige Fonny sitzt im Gefängnis. Er soll ene Puerto Ricanerin vergewaltigt haben. Seine Freundin Tish ist von seiner Unschuld überzeugt.

TV-Premiere. Überaus gelungenes, in Rückblenden erzähltes Drama über ein Liebespaar und einen nur wegen seiner Hautfarbe inhaftierten Mann. Damit ist „Beale Street“, von „Moonlight“-Regisseur Barry Jenkins nach dem Roman von James Baldwin inszeniert, auch eine Anklage gegen den Rassismus in den USA.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco, Pedro Pascal

Die lesenswerte Vorlage und ein klassisches Essay von James Baldwin

James Baldwin: Beale Street Blues

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)

dtv, 2019

224 Seiten

12,90 Euro

Oritinalausgabe

If Beale Street could talk

Dial Press, New York, 1974

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)

dtv, 2019

128 Seiten

18 Euro

Originalausgabe

The Fire next Time

Dial Press, New York, 1963

Hinweise

Moviepilot über „Beale Street“

Metacritic über „Beale Street“

Rotten Tomatoes über „Beale Street“

Wikipedia über „Beale Street“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Moonlight“ (Moonlight, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Beale Street“ (If Beale Street could talk, USA 2018) und der DVD


TV-Tipp für den 1. August: Internal Affairs – Trau ihm, er ist ein Cop

Juli 31, 2020

ZDFneo, 22.00

Internal Affairs – Trau ihm, er ist ein Cop (Internal Affairs, USA 1990)

Regie: Mike Figgis

Drehbuch: Henry Bean

Ist der allseits beliebte, hilfsbereite Polizist Dennis Peck (Richard Gere) korrupt? Der interne Ermittler Raymond Avilla (Andy Garcia) will es herausfinden.

Hübsch düsterer, in Los Angeles spielender Cop-Thriller von Mike Figgis („Stormy Monday“, „Leaving Las Vegas“) mit Richard Gere, besetzt gegen sein Image, als bad guy.

Es gibt keine sauberen Polizisten mehr in diesem ungemein spannenden und dichten Polizeifilm, (…) der (…) vor allem durch seine atmosphärisch stimmige und dicht an den Figuren bleibenden Inszenierung besticht.“ (Fischer Film Almanach 1991)

mit Richard Gere, Andy Garcia, Nancy Travis, Laurie Metcalf, Richard Bradford, William Baldwin, Annabella Sciorra, Michael Beach, Xander Berkeley, Elijah Wood

Wiederholung: Sonntag, 2. August, 01.15 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Internal Affairs“

Wikipedia über „Internal Affairs“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Mike Figgis‘ „Ronnie Wood – Somebody up there likes me“ (Somebody up there likes me, Großbritannien 2019)


DVD-Kritik: Kann die „Beale Street“ im Puschenkino überzeugen?

September 2, 2019

Zum Filmstart schrieb ich ziemlich begeistert:

Bei der diesjährigen „Oscar“-Preisverleihung erhielt Regine King den Oscar als beste Nebendarstellerin. Ansonsten wurde Barry Jenkins‘ berührendes Drama mit insgesamt nur drei Nominierungen sträflich ignoriert. Nicht einmal eine Nominierung als bester Film war drin. Und diese Nominierung, – eigentlich auch den Preis -, hätte „If Beale Street could talk“ (bei uns zu „Beale Street“ gekürzt) auch verdient.

Jenkins erzählt die in den frühen siebziger Jahren in Harlem spielende Geschichte von Tish Rivers. Die Neunzehnjährige ist verliebt in Fonny Hunt, den sie schon seit einer Ewigkeit kennt. Vor kurzem verlobten sie sich und demnächst wollen sie auch heiraten.

Eines Tages wird er verhaftet. Er soll eine Puerto-Ricanerin vergewaltigt haben. Er beteuert seine Unschuld. Trotzdem wandert er, ohne Prozess, ins Gefängnis. Nur Tish, ihre Familie und Fonnys Familie glauben an seine Unschuld. Während sie versuchen, ihn aus der Haft zu befreien, erfährt Tish, dass sie von Fonny schwanger ist.

Für ihre in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie ist das nur ein weiteres Problem.

Das ist einer der schönen und lebenswahren Momente in Jenkins‘ James-Baldwin-Verfilmung. Konflikte werden im Kreis der Familie gelöst. Tishs Familie hält, auch wenn sie sich mal lautstark zankt, zusammen. Sie ist, auch wenn das jetzt konservativ und pathetisch klingt, eine Wertegemeinschaft. Die Gegner sind ein weißer Polizist und das von ihm verkörperte System, das Schwarze konsequent benachteiligt.

Barry Jenkins schrieb das Drehbuch für „Beale Street“ vor sechs Jahren während eines längeren Europa-Aufenthalts. Im Sommer 2013 schrieb er in Brüssel „Moonlight“ und danach in Berlin „Beale Street“, der als Gegenentwurf zu „Moonlight“ gesehen werden kann. Immerhin erzählt der eine Film von einer nicht funktionierenden, der andere von einer funktionierenden Familie. Um nur einen Punkt zu nennen. Die Verhandlungen mit Baldwins Nachlassverwaltern dauerten dann einige Zeit, bis alle Fragen für die erste US-amerikanische Kinoverfilmung geklärt waren. Währenddessen drehte er „Moonlight“. Der Film war sein Durchbruch. Er erhielt den Drehbuchoscar und der Film erhielt, in einer denkwürdigen Zeremonie, den Oscar als bester Film des Jahres. Neben vielen anderen Preisen.

Entsprechend hoch waren die Erwartungen an seinen nächsten Film. Er erfüllt sie mit einer zu Herzen gehenden Liebesgeschichte, die leicht ein Nicholas-Sparks-Kitschfeuerwerk hätte werden können.

Baldwins Roman „Beale Street Blues“ wurde bereits einmal verfilmt. Von Robert Guédiguian als 1998 als „À la place du coeur“ (Die Farbe des Herzens). Diese erste Verfilmung verlegte die Geschichte nach Marseille und auch wenn Beale Street überall sein kann, ist sie in New York, genauer in Harlem.

Jenkins erzählt, wie in „Moonlight“, eine universelle Geschichte, die gerade wegen ihrem genauen Blick auf seine Charaktere, ihr Umfeld und ihren Alltag ganz genau an einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verortet ist. Niemand wird Tishs Wohnung für das Zimmer einer heute in Harlem lebenden jungen Frau halten. Gerade dadurch kann Jenkins eine allgemeingültige Geschichte erzählen.

Sie ist auch heute, angesichts der Black-Live-Matters-Proteste, genauso relevant wie damals, als Baldwin die Geschichte von Tish und Fonny erzählte. Nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Beim wiederholten Ansehen fällt wieder auf, wie elegant Barry Jenkins zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her schneidet, wie langsam er die Geschichte erzählt, wie kunstvoll jedes Bild komponiert ist und wie traurig die Musik ist. Damit wird schon in den ersten Minuten jede Hoffnung auf ein konventionelles Hollywood-Happy-End zerstört. Jenkins sehenswerte Baldwin-Verfilmung ist allerdings auch keine frenetische Anklage gegen das US-Justizsystem (obwohl die Geschichte von Fonny und Tish genug Gründe dafür liefert), sondern eine todtraurig-melancholische Liebesgeschichte über zwei junge Menschen, von denen der eine verurteilt werden soll, weil er ein Afroamerikaner ist.

Nicholas Britell war für seine Filmmusik für einen Oscar nominiert. Er komponierte auch die ebenfalls Oscar-nominierte Musik für „Moonlight“.

James Laxton war auch bei „Moonlight“ Kameramann.

Das Bonusmaterial befindet sich mit dem noch nicht einmal fünfminütigem, belanglosen Minifeaturette „Behind the Scenes“ noch unter der Wahrnehmungsschwelle.

Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)

Regie: Barry Jenkins

Drehbuch: Barry Jenkins

LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)

mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco, Pedro Pascal

DVD

DCM/Universum Film

Bild: 2.00:1

Ton: Deutsch, Englisch

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Behind the Scenes, Wendecover

Länge: 114 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die lesenswerte Vorlage und ein klassisches Essay von James Baldwin

James Baldwin: Beale Street Blues

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)

dtv, 2019

224 Seiten

12,90 Euro

Oritinalausgabe

If Beale Street could talk

Dial Press, New York, 1974

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)

dtv, 2019

128 Seiten

18 Euro

Originalausgabe

The Fire next Time

Dial Press, New York, 1963

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Beale Street“

Metacritic über „Beale Street“

Rotten Tomatoes über „Beale Street“

Wikipedia über „Beale Street“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Moonlight“ (Moonlight, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Beale Street“ (If Beale Street could talk, USA 2018)

Ein Gespräch mit Barry Jenkins zum Film

Barry Jenkins (Regie, Drehbuch), Stephan James (Fonny) und Kiki Layne (Tish) sprechen über den Film

 


Neu im Kino/Filmkritik: Black History Tage: Die James-Baldwin-Verfilmung If „Beale Street“ could talk

März 11, 2019

Bei der diesjährigen „Oscar“-Preisverleihung erhielt Regine King den Oscar als beste Nebendarstellerin. Ansonsten wurde Barry Jenkins‘ berührendes Drama mit insgesamt nur drei Nominierungen sträflich ignoriert. Nicht einmal eine Nominierung als bester Film war drin. Und diese Nominierung, – eigentlich auch den Preis -, hätte „If Beale Street could talk“ (bei uns zu „Beale Street“ gekürzt) auch verdient.

Jenkins erzählt die in den frühen siebziger Jahren in Harlem spielende Geschichte von Tish Rivers. Die Neunzehnjährige ist verliebt in Fonny Hunt, den sie schon seit einer Ewigkeit kennt. Vor kurzem verlobten sie sich und demnächst wollen sie auch heiraten.

Eines Tages wird er verhaftet. Er soll eine Puerto-Ricanerin vergewaltigt haben. Er beteuert seine Unschuld. Trotzdem wandert er, ohne Prozess, ins Gefängnis. Nur Tish, ihre Familie und Fonnys Familie glauben an seine Unschuld. Während sie versuchen, ihn aus der Haft zu befreien, erfährt Tish, dass sie von Fonny schwanger ist.

Für ihre in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie ist das nur ein weiteres Problem.

Das ist einer der schönen und lebenswahren Momente in Jenkins‘ James-Baldwin-Verfilmung. Konflikte werden im Kreis der Familie gelöst. Tishs Familie hält, auch wenn sie sich mal lautstark zankt, zusammen. Sie ist, auch wenn das jetzt konservativ und pathetisch klingt, eine Wertegemeinschaft. Die Gegner sind ein weißer Polizist und das von ihm verkörperte System, das Schwarze konsequent benachteiligt.

Barry Jenkins schrieb das Drehbuch für „Beale Street“ vor sechs Jahren während eines längeren Europa-Aufenthalts. Im Sommer 2013 schrieb er in Brüssel „Moonlight“ und danach in Berlin „Beale Street“, der als Gegenentwurf zu „Moonlight“ gesehen werden kann. Immerhin erzählt der eine Film von einer nicht funktionierenden, der andere von einer funktionierenden Familie. Um nur einen Punkt zu nennen. Die Verhandlungen mit Baldwins Nachlassverwaltern dauerten dann einige Zeit, bis alle Fragen für die erste US-amerikanische Kinoverfilmung geklärt waren. Währenddessen drehte er „Moonlight“. Der Film war sein Durchbruch. Er erhielt den Drehbuchoscar und der Film erhielt, in einer denkwürdigen Zeremonie, den Oscar als bester Film des Jahres. Neben vielen anderen Preisen.

Entsprechend hoch waren die Erwartungen an seinen nächsten Film. Er erfüllt sie mit einer zu Herzen gehenden Liebesgeschichte, die leicht ein Nicholas-Sparks-Kitschfeuerwerk hätte werden können.

Baldwins Roman „Beale Street Blues“ wurde bereits einmal verfilmt. Von Robert Guédiguian als 1998 als „À la place du coeur“ (Die Farbe des Herzens). Diese erste Verfilmung verlegte die Geschichte nach Marseille und auch wenn Beale Street überall sein kann, ist sie in New York, genauer in Harlem.

Jenkins erzählt, wie in „Moonlight“, eine universelle Geschichte, die gerade wegen ihrem genauen Blick auf seine Charaktere, ihr Umfeld und ihren Alltag ganz genau an einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verortet ist. Niemand wird Tishs Wohnung für das Zimmer einer heute in Harlem lebenden jungen Frau halten. Gerade dadurch kann Jenkins eine allgemeingültige Geschichte erzählen.

Sie ist auch heute, angesichts der Black-Live-Matters-Proteste, genauso relevant wie damals, als Baldwin die Geschichte von Tish und Fonny erzählte. Nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)

Regie: Barry Jenkins

Drehbuch: Barry Jenkins

LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)

mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco

Länge: 120 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Beale Street“

Metacritic über „Beale Street“

Rotten Tomatoes über „Beale Street“

Wikipedia über „Beale Street“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Moonlight“ (Moonlight, USA 2016) und der DVD

Ein Gespräch mit Barry Jenkins zum Film

Barry Jenkins (Regie, Drehbuch), Stephan James (Fonny) und Kiki Layne (Tish) sprechen über den Film

Nachtrag (21. März 2019)

Zum Filmstart von „Beale Street“ erschien bei dtv die Taschenbuchausgabe von James Baldwins Roman „Beale Street Blues“. Schon einige Tage früher erschien James Baldwins Essay „Nach der Flut das Feuer„. Ebenfalls in einer neuen Übersetzung. In dem Essay, das 1963 als „The Fire next Time“ erschien, schreibt er über die Rassenproblematik in den USA.

Im Taschen Verlag erschien jetzt „The Fire next Time“ mit zeitgenössischen Bildern von Steve Schapiro in der gebundenen Standardausgabe. Die kostet 40 Euro.

James Baldwin: Beale Street Blues

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)

dtv, 2019

224 Seiten

12,90 Euro

Oritinalausgabe

If Beale Street could talk

Dial Press, New York, 1974

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)

dtv, 2019

128 Seiten

18 Euro

Originalausgabe

The Fire next Time

Dial Press, New York, 1963

 

 

 

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Aquaman“ Arthur Curry sucht einen Dreizack

Dezember 20, 2018

Neben Marvel ist DC Comics das andere große Unternehmen, das mit seinen Superheldencomics seit Jahrzehnten unendlich viele Kinder zum Lesen verführte. Bei den Filmen hat Marvel seit Jahren die Nase vorn. Die Kritiken sind gut. Die Einspielergebnisse fantastisch. Die Fans begeistert. Bei DC Comics kann man sich dagegen nur so halbwegs über die Einspielergebnisse des DC Extended Universe freuen. „Man of Steel“ (2013), „Batman v Superman: Dawn of Justice“ (2016), „Suicide Squad“ (2016) und „Justice League“ (2017) waren mehr oder weniger missratene Geduldsproben. Nur „Wonder Woman“ (2017) überzeugte.

Aquaman“ ist wieder eine Geduldsprobe. Gut aussehend, mit viel Action und durchaus sympathischen Darstellern, aber mit einem konfusem Nichts an Story.

Arthur Curry (Jason Momoa), der titelgebende Aquaman, Sohn von Atlanna (Nicole Kidman), Königin von Atlantis, und dem Leuchtturmwächter Tom Curry (Temuera Morrison), kann mühelos im Wasser und auf der Erde leben. Als erster Sohn von Königin Atlanna könnte er den Thron von Atlantis für sich beanspruchen. Aber der Einzelgänger ist daran nicht interessiert. Viel lieber lebt er das Leben eines ungebundenen Drifters, der ab und an selbstlos einigen Menschen hilft.

Als er erfährt, dass sein machtgieriger Halbbruder Orm (Patrick Wilson) alle Ozean-Königreiche vereinigen und gegen die Landbewohner in den Krieg ziehen will, beschließt Arthur um den Thron zu kämpfen. Denn er möchte nicht, dass die Landbewohner getötet werden. Auch wenn sie seit Jahrzehnten die Ozeane verschmutzen. Orm benutzt diese Umweltsünden als Rechtfertigung für seinen Krieg gegen die Menschen.

Bevor Arthur die Königswürde zugestanden wird, muss er den verlorenen Dreizack von Atlan findet und sich so als legitimer Herrscher des Meeres erweisen. Weil niemand weiß, wo der Dreizack ist, muss Curry mit Mera (Amber Heard), der Prinzessin des Meereskönigreichs Xebel, um die halbe Welt reisen. Von einem Abenteuer zum nächsten.

Diese Story ist die Entschuldigung für eine Abfolge viel zu lang geratener Actionszenen, die auch in einem „Fast & Furious“-Film nicht auffielen (naja, bis auf die Unterwasser-Action), langweiligen Erklärdialogen und Szenen, die anscheinend aus einem anderen Film stammen. Oder wie will man sonst damit umgehen, dass zwischen zwei Actionszenen Aquaman und Mera auf Sizilien Zeit haben, gemütlich wie ein frisch verliebtes Paar über den Markt zu schlendern, während ein bekannter Song die Boxen des Kinos austestet? Immerhin wird nach dem Song die Harmonie von einer wilden Hatz über die Dächer des Dorfes abgelöst. Oder dass, als sie auf ihrer globalen Schnitzeljagd in der Wüste die nächste Spur zum Ziel suchen, er sich wie ein pubertierender Teenager, der keine Lust auf eine Wanderung hat, benimmt? Das sind Szenen, die von ihrer Tonalität in einen vollkommen anderen Film gehören und die auch einen vollkommen anderen Arthur Curry zeichnen. Das ist, als ob James Bond plötzlich Mr. Bean würde.

In dem Moment hat man schon lange alle Fragen von Logik, storyinterner Stimmigkeit und Plausibilität ad acta gelegt. Da können Meeresbewohner mal mühelos Luft atmen, mal nicht. Da wird die Reise zum nächsten Ziel zunächst mit einem alten Fischerboot tuckernd begonnen, bevor Aquaman und Mera den Rest des Weges superflott im Wasser zurücklegen und so im Sturm den sie attackierenden Seemonstern entkommen. Da gibt es in Atlantis einen eigentümlichen Mix aus High Tech und tiefster Urzeit. Da ist die Gesellschaft immer noch wie ein uraltes Königreich aufgebaut, das sich in den vergangenen Jahrhunderten nicht veränderte. Das ist der verstaubte Mythenquark, der vor Jahrzehnten in den Zimmern pubertierender Jungs abgeladen wurde.

Da hilft auch kein muskelbepackter Jason Momoa als breit grinsender Aquaman.

Am Ende des mit gut zweieinhalb Stunden viel zu lang geratenen Wasserfilms bleibt eine große Frage: Warum ist es so schwer, einen gescheiten Superheldenfilm zu drehen? Oder anders formuliert: Was macht Marvel so viel besser als DC bei seinen Filmen?

Aquaman (Aquaman, USA 2018)

Regie: James Wan

Drehbuch: David Leslie Johnson-McGoldrick, Will Beall (nach einer Geschichte von Geoff Johns, James Wan und Will Beall) (nach einem Charakter von Mort Weisinger und Paul Norris)

mit Jason Momoa, Amber Heard, Willem Dafoe, Patrick Wilson, Nicole Kidman, Dolph Lundgren, Yahya Abdul-Mateen II, Temuera Morrison, Michael Beach, Randall Park, Graham McTavish, Leigh Whannell

Länge: 144 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche WarnerBrosDC-Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Aquaman“

Metacritic über „Aquaman“

Rotten Tomatoes über „Aquaman“

Wikipedia über „Aquaman“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von James Wans „Insidious: Chapter 2“ (Insidious: Chapter 2, USA 2013)

Meine Besprechung von James Wans „The Conjuring“ (The Conjuring, USA 2013)

Meine Besprechung von James Wans „Fast & Furious 7″ (Furious 7, USA 2015)

Meine Besprechung von James Wans „The Conjuring 2″ (The Conjuring 2, USA 2016)