Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)(Birdman, USA 2014)
Regie: Alejandro G. Iñárritu
Drehbuch: Alejandro G. Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris Jr., Armando Bo
Fesselnde Chronologie der letzten Stunde vor der Premiere von Riggan Thomsons erster Broadway-Inszenierung. Riggan war früher als Superheld „Birdman“ bekannt und diese Filmrolle hat Spuren bei ihm hinterlassen.
TV-Premiere, seltsamerweise erst knapp sechs Jahre nach dem Kinostart und dummerweise mit Werbepausen. Denn Alejandro G. Iñárritu inszenierte „Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ so, dass der Eindruck entsteht, das Drama sei ohne einen Schnitt gedreht worden.
mit Michael Keaton, Zach Galifianakis, Edward Norton, Andrea Riseborough, Amy Ryan, Emma Stone, Naomi Watts, Lindsay Duncan, Merritt Wever, Jeremy Shamos, Bill Camp, Damian Young
LV: Walter Kirn: Up in the Air, 2001 (Mr. Bingham sammelt Meilen)
Ryan Bingham reist durch die USA und entlässt, im Auftrag verschiedener Firmen, deren Angestellte. Bindungen hat der Single keine. Sein Ziel als Vielflieger ist es die magische Zehn-Millionen-Frequent-Flyer-Meilen-Grenze zu durchbrechen. Dafür sammelt er wie besessen Bonusmeilen. Als er eine jüngere Kollegin ausbilden soll und er eine andere Vielfliegerin kennen lernt, gerät sein sorgloes Leben aus dem Takt.
Jason Reitmans feinfühliges, perfekt komponiertes und austariertes Porträt eines Arschlochs ist auch ein Gesellschaftskommentar. Außerdem übernahm George Clooney die Hauptrolle.
mit George Clooney, Vera Farmiga, Anna Kendrick, Jason Bateman, Amy Morton, Melanie Lynskey, J. K. Simmons, Sam Elliott, Danny McBride, Zach Galifianakis
LV: Walter Kirn: Up in the Air, 2001 (Mr. Bingham sammelt Meilen)
Ryan Bingham reist durch die USA und entlässt, im Auftrag verschiedener Firmen, deren Angestellte. Bindungen hat der Single keine. Sein Ziel als Vielflieger ist es die magische Zehn-Millionen-Frequent-Flyer-Meilen-Grenze zu durchbrechen. Dafür sammelt er wie besessen Bonusmeilen. Als er eine jüngere Kollegin ausbilden soll und er eine andere Vielfliegerin kennen lernt, gerät sein sorgloes Leben aus dem Takt.
Jason Reitmans feinfühliges, perfekt komponiertes und austariertes Porträt eines Arschlochs ist auch ein Gesellschaftskommentar. Außerdem übernahm George Clooney die Hauptrolle.
mit George Clooney, Vera Farmiga, Anna Kendrick, Jason Bateman, Amy Morton, Melanie Lynskey, J. K. Simmons, Sam Elliott, Danny McBride, Zach Galifianakis
Heute ist es, außer man hat sich mal mit Volkswirtschaft und Spekulationsblasen beschäftigt, unvorstellbar, dass Tulpenzwiebeln ein begehrtes Gut, ein Spekulationsobjekt mit unglaublichen Gewinnaussichten sind. Aber in den Niederlande kam es zwischen 1634 und 1637 zu einer Tulpenmanie, die noch heute in ökonomischen Lehrbüchern besprochen wird. Die Preise stiegen in kurzer Zeit ins Unermessliche. Auch weil schon damals an der Börse alles das gemacht wurde, was vor zehn Jahren zur Banken- und Finanzkrise führte.
Insofern ist „Tulpenfieber“, das während der Tulpenmanie in Amsterdam spielt, auch ein Lehrstück über das Funktionieren von Börsen und Spekulation. Im Film mehr als in Deborah Moggachs Roman.
Im Zentrum der von ihr erfundenen Geschichte steht die Mittzwanzigerin Sophia (Alicia Vikander). Sie ist mit dem deutlich älteren Gewürzhändler Cornelis Sandvoort (Christoph Waltz) verheiratet. Als er von ihnen ein Porträt malen lässt, verliebt sie sich in den Maler Jan van Loos (Dane DeHaan).
Im Haushalt der Sandvoorts ist auch das Dienstmädchen Maria (Holliday Grainger). Sie ist in den Fischhändler Willem (Jack O’Connell) verliebt. Als er glaubt, dass Maria ihn betrügt, begibt er sich auf große Seefahrt. Im Film wird er schanghait, im Buch ist es sein eigener Entschluss. Für die Handlung ist das Detail unerheblich. Tom Stoppard und Deborah Moggach veränderten in ihrem Drehbuch noch einige weitere Details. Wichtig ist vor allem, die Hinzuerfindung einer Äbtissin (Judi Dench), die Sophia erzog und die in ihrem Klostergarten Tulpenzwiebeln züchtet. Und Dr. Sorgh (Tom Hollander) hat im Film als Doktor eine größere Präsenz als im Film. Er hilft bei der Geburt und bei der Durchführung des verwegenen Plans von Sophia, Maria und Jan. Denn Maria will sich von Cornelis trennen, aber er würde niemals einer Scheidung zustimmen und er will unbedingt ein Kind haben. Und Maria will kein uneheliches Kind von dem Mann haben, der spurlos verschwunden ist.
Aber das sind kleinere Änderungen, die die Hauptgeschichte kaum beeinflussen. Wichtiger ist, obwohl Buch und Film zwischen verschiedenen Handlungssträngen und Erzählperspektiven wechseln, der Wechsel der Ich-Erzählerin. Im Roman ist es Sophia, die ja auch die Hauptperson der Geschichte ist. Im Film ist es die Dienstmagd Maria, die eine unglückliche Position zwischen direkt Beteiligte und unbeteiligte Beobachterin hat. Dadurch vergrößert sich die Distanz zwischen dem Geschehen auf der Leinwand und der emotionalen Involvierung des Zuschauers. Immer dann, wenn man ungehemmt mit Sophia mitfühlen möchte, unterbricht die Erzählerin den Handlungsfluss, die vieles nicht weiß, was wir als Zuschauer sehen. Gleichzeitig sinkt die Sympathie gegenüber Sophia. Sie ist zwar mit einem alten Mann verheiratet (laut Roman ist er 61 Jahre alt) und es war keine Liebesheirat; wobei die Idee einer Liebesheirat erst in der Romantik populär wurde. Aber Cornelis ist kein schlechter Mensch. Der Witwer ist vielleicht etwas unbeholfen und eitel, aber er hat seine erste Frau und seine beiden Kinder verloren. Von Maria will er nur einen Erben haben. Dafür erfüllt er ihr jeden Wunsch und ein Leben im Wohlstand. Denn Maria wuchs mittellos in einem Kloster auf. Diesen Menschen betrügt Maria dann und sie will ihm noch mehr Leid zufügen. Sie ist damit der Bösewicht des Films. Allerdings wird das im Film nicht thematisiert. Stattdessen sollen wir für sie Sympathie empfinden, weil sie verliebt ist und Liebe alles rechtfertigt. Das ist, wie in dem Science-Fiction-Film „Passengers“, eine problematische Ausgangslage, die im Film nie thematisiert wird.
Dazu kommt, dass Justin Chadwick („Mandela: Der lange Weg zur Freiheit“) nie die richtige Balance zwischen Liebes-, Krimi- und Finanzdrama findet und damit die Möglichkeiten verschenkt, die die Geschichte hätte. Aber diese Unentschlossenheit ist schon im Drehbuch angelegt, das sich nicht zwischen Liebes- und Finanzdrama entscheiden will und eine problematische Haltung zur Protagonistin Sophia hat.
Fans von historischen Liebesschmonzetten werden dagegen gut bedient. Die Schauspieler sind gut. Die Kulisse gefällt (auch wenn nur in Großbritannien gedreht wurde). Danny Elfman schrieb die Musik. Sie müssen nur akzeptieren, dass die Geschichte nicht das typische Schmonzettenende hat.
Ich glaube, bei „Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“ kann ich es kurz machen.
Obwohl – als ich das das letzte Mal sagte, hatte ich danach eine Seite geschrieben und hatte noch lange nicht alles gesagt.
Aber wer die vergangenen Monate nicht nur mit dem Ansehen von Marvel-Trailern verbrachte, hat von „Birdman“ gehört. Seit einigen Wochen sammelt die Komödie verdient einen Preis nach dem nächsten ein. Denn Alejandro González Iñárritu gelingt ein wunderschön schwereloser Film, der ernst und witzig und philosophisch ist und einen Einblick in das Film- und Theatergeschäft liefert, der gerade durch die hochkarätige Besetzung an Würze gewinnt.
Dabei ist der Hauptplot denkbar einfach: Riggan Thomson, ein alternder Hollywood-Star, will mit einem ambitionertem Broadway-Theaterstück, das auf Raymond Carvers Kurzgeschichte „What we talk about, when we talk about love“ basiert, seine darbende Karriere wieder auf die richtige Spur setzen. Iñárritus zweistündige Tour de Force ist eine Chronik der letzten Tage und Stunden vor der Aufführung, wenn die Emotionen hochkochen und die Zweifel groß sind.
Riggan war in Hollywood ein Star, als er vor Jahrzehnten Birdman spielte. Birdman ist ein erfundener Superheld. Noch heute wird Riggan für diese kindische Rolle von seinen Fans verehrt. Und Birdman ist Riggans Alter Ego, das ihm immer wieder, ungefragt, die Leviten liest und die Regieambitionen von Riggan am St. James Theater für ausgemachten Blödsinn hält.
Batman ist dagegen im filmischen Kosmos ein höchst realer Superheld und Riggan-Darsteller Michael Keaton war 1989 und 1992 in den beiden „Batman“-Filmen von Tim Burton als Batman-Darsteller ganz oben in Hollywood. Seitdem konnte er an diese Erfolge nicht mehr anknüpfen. Zuletzt trat er in prägnanten Nebenrollen auf, die den Film bereichterten, aber in der Werbung nicht groß angekündigt wurden und wegen Keaton ging niemand in „RoboCop“ oder „Need for Speed“. Da kann man schon darüber nachdenken, wieviel die Filmrolle mit dem echten Michael Keaton zu tun hat.
Als Hauptdarsteller hat Riggan den als extrem schwierig geltenden Mike Shiner engagiert, der es sich anscheinend zur Lebensaufgabe gemacht hat, als Diva das gesamte Universum um sich herum kreisen zu lassen und dem Regisseur und den Geldgebern mindestens einen Nervenzusammenbruch zu bescheren. Nicht pro Produktion, sondern an jedem Tag. Aber beim Publikum ist er beliebt. Er kann eine Produktion zum Erfolg machen. Beim Publikum und bei der Kritik.
Gespielt wird Mike von Edward Norton, der unbestritten einer der besten Schauspieler seiner Generation ist und der in Hollywood als extrem schwierig gilt. Einige seiner Streitereien mit Produzenten und Regisseuren sind allgemein bekannt. Ich sage nur „American History X“ und „Der unglaubliche Hulk“.
Die anderen Schauspieler, obgleich prominent, sind nicht so sehr auf ein bestimmtes Image und Rolle festgelegt.
Und dann, wenn man es nicht weiß, fällt es einem erst ziemlich spät auf: Alejandro Iñárritu erzählt den Film ohne einen sichtbaren Schnitt. Wenn eine längere Zeitspanne vergeht, gibt es Zeitrafferaufnahmen vom Himmel, aber ansonsten bewegt sich die Kamera scheinbar schwerelos durch den Raum, ohne dass jemals ein Found-Footage-Gefühl entsteht oder die Wackelkamera nervt. Emmanuel Lubezki, unter anderem die Alfonso-Cuarón-Filme „Gravity“ und „Children of Men“ (wo er schon extrem lange, ungeschnittene Action-Szenen drehte) und die Terrence-Malick-Filme „To the Wonder“, „Tree of Life“ und „The new World“, gebührt hier die Ehre, etwas scheinbar unmögliches möglich gemacht zu haben.
Nachdem ich jetzt schon das Drehbuch, die Schauspieler, die Kamera und die Regie abgefeiert habe, muss ich auch etwas zur Musik sagen, die zu den besten Filmmusiken der vergangenen zwölf Monate gehört. Normalerweise soll die Filmmusik ja nur die Handlung unterstützen und sie nicht stören. Die Musik ist von Antonio Sanchez, einem Mitglied verschiedener Gruppen von Jazzgitarrist Pat Metheny. Er spielte am Schlagzeug eine Filmmusik ein, die banal gesagt wie eine Mischung aus der Übungsstunde eines Jazz-Drummers und freien Improvisationen klingt. Sie drängt sich immer wieder in der Vordergrund; vor allem wenn im Kopf von Riggan mal wieder alles drunter und drüber geht. In diesen Momenten verdeutlich das entfesselte, atonale Free-Jazz-Drumming akustisch, was Riggan fühlt: Chaos mit einer darunterliegenden Ordnung. Und, weil Sanchez seine Improvisationen bereits vor dem Dreh einspielte, verwandte Iñárritu sie beim Dreh, um den Schauspielern den Rhythmus der Szene zu verdeutlichen.
Sanchez‘ Soundtrack ist inzwischen für zehn Filmpreise nominiert (unter anderem den Golden Globe) und zehn Preise hat er schon erhalten.
„Birdman“ ist für neun Oscars nominiert (bester Film, bester Hauptdarsteller, bester Nebendarsteller, beste Nebendarstellerin, beste Regie, bestes Drehbuch, beste Kamera, bester Ton und bester Tonschnitt). Für 149 weitere Preise ist er momentan nominiert und bis jetzt erhielt die wundervoll kurzweilige, vor kindlicher Entdeckerfreue und Experimentierfreude sprudelnde Komödie schon 129 Preise.