Ich könnte auch die TV-Premieren „The Batman“ (Pro 7, 20.15 Uhr; der neueste, überlange Batman-Film) oder „King Richard“ (Sat.1, 20.15 Uhr; Biopic über die Tennisspielerinnen Serena und Venus Williams und ihren Vater Richard Williams) zum Tagestipp auswählen. Oder „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ (RTL II, 20.15 Uhr) oder ich wähle einen Film, der zuletzt 2010 der Tagestipp war
LV: Alistair McLean: Where Eagles Dare, 1967 (Agenten sterben einsam)
Winter 1944: Einige alliierte Soldaten sollen einen von den Nazis in einer unzugänglichen Alpenfestung festgehaltenen US-General befreien. Ein Himmelfahrtskommando.
Wendungsreiches, etwas langatmiges Spionageabenteuer mit dem Krieg als Abenteuerspielplatz für echte Männer.
„Es geht um Krieg, Helden, Verrat und Gegenverrat…Es ist weniger eine Handlung als vielmehr ein Vorwand für ziemlich viel Gewalt und meist bedeutungslose Action“ (Richard Schickel: Clint Eastwood – Eine Biographie)
mit Richard Burton, Clint Eastwood, Mary Ure, Patrick Wymark, Michael Hordern, Donald Houston, Peter Barkworth, William Squire, Robert Beatty, Ingrid Pitt, Neil McCarthy, Anton Diffring
Chan Lok-kwan flüchtet nach Kowloon Walled City und hat dort sofort Ärger mit den lokalen rivalsierenden Gangsterbanden. Er will einen neuen Pass haben, sich aus Schwierigkeiten heraushalten und hat eine gestohlene Tasche mit Drogen.
Kowloon Walled City war ein 2,7 Hektar großer Stadtteil von Hongkong. 1987 lebten dort 33.000 Menschen. Oder umgerechnet 1,3 Millionen Menschen pro Quadratkilometer. Es war der Ort mit der höchsten Bevölkerungsdichte der Welt. Und ein Zufluchtsort für chinesische Flüchtlinge. 1987 wurde mit einer mehrere Jahre andauernden Räumung des Ortes begonnen. 1993 und 1994 folgte der Abriss und ein Jahr später wurde ein Garten errichtet.
Soi Cheang führt in seinem neuesten Actionfilm „City of Darkness“ in die Vergangenheit Hongkongs in die achtziger Jahre, als Kowloon Walled City noch stand, und in die Vergangenheit des Hongkong-Actionkinos, das von Regisseuren wie John Woo und Ringo Lam geprägt wurde. Die Vorlage ist der Comic „City of Darkness“ von Yuyi.
Die sich daraus entwickelnde Geschichte besteht aus langen, sehr langen Kämpfen in einer Stadt, die wie die improvisierte Kulisse für den nächsten „Blade Runner“-Film aussieht. Das sieht ziemlich gut aus. Aber so richtig begeistern tut es nicht. Dafür wird die effektbewusst erzählte Geschichte mit Verrat und Doppelverrat schnell zu konfus und die Figuren bleiben zu blass. Die Action fasziniert dann nur noch als artistische Leistungen, bei denen es egal ist, wer gewinnt, weil man in diesem Moment schon vergessen hat, wer warum gegen wen kämpft. Die Stadt wird zu einem Abenteuerspielplatz.
In Hongkong steht „City of Darkness“ der Liste der umsatzträchtigsten einheimischen Filme auf dem zweiten Platz. Er wurde außerdem für die Oscars als bester internationaler Film eingereicht.
City of Darkness (九龙城寨之围城, China/Hongkonk 2024)
Regie: Soi Cheang
Drehbuch: Kin-Yee Au, Tai-Lee Chan, Li Jun, Kwan-Sin Shum
LV: Yi Yu: City of Darkness
mit Louis Koo, Sammo Hung, Raymond Lam, Richie Ren, Philip Ng, Terrance Lau, Tony Wu, German Cheung
Länge: 125 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
Englischer Titel: Twilight of the Warriors: Walled In
Serpico ist ein junger, idealistischer Polizist, der auch gegen die Korruption im System vorgehen will. Seine Kollegen und Vorgesetzten findet das nicht gut.
Grandioser, auf Tatsachen beruhender, vor Ort gedrehter, pessimistischer Cop-Thriller mit Al Pacino
„Die Karriere von Frank Serpico…erlaubt Lumet einen breiten, aber detaillierten Angriff auf die in der Stadt ausgebreitete Korruption und die frustrierenden Mechanismen der Bürokratie bei ihrer Selbstverteidigung, während die emotionalen Kräfte seines Films, dieses Mal, denen des Helden treffend angepasst sind.“ (Richard Combs in Monthly Film Bulletin)
mit Al Pacino, Tony Roberts, John Randolph, Cornelia Sharpe, M. Emmet Walsh, Judd Hirsch, F. Murray Abraham
Caddo Lake ist ein Bayou an der Grenze von Texas und Louisiana.
„Caddo Lake“ ist auch der Name eines dort spielenden Horrorfilms, der jetzt im Kino anläuft. Produziert wurde der Film von „The sixth Sense“ M. Night Shyamalan. Sein Name weckt Erwartungen, die das von Celine Held und Logan George geschriebene und inszenierte Werk nur teilweise einlöst.
Im Mittelpunkt des Films stehen Ellie (Eliza Scanlen) und Paris (Dylan O’Brien). Sie sucht ihre im Bayou spurlos verschwundene achtjährige Schwester Anna. Er fühlt sich schuldig am Tod seiner vor Jahren bei einem Unfall im See ertrunkenen Mutter. Beide entdecken, unabhängig voneinander, in der Sumpflandschaft ein Portal durch das sie, scheinbar zufällig, in die Vergangenheit und die Zukunft gelangen können. Was das Portal mit Annas Verschwinden zu tun hat und wie die Geschichten von Ellie und Paris miteinander zusammenhängen, kristallisiert sich erst im Finale halbwegs heraus.
Davor punktet der langsam erzählte Film mit viel authentischer Bayou-Atmosphäre. Die Ausstattung lässt sich, außer man gehört zu den Menschen, die jedes US-amerikanische Auto kennen, zeitlich nicht genau zuordnen. Jeder Gegenstand wirkt, als sei er schon seit mindestens zehn Jahren im Gebrauch. Entsprechend schwierig ist das Zuordnen der einzelnen Episoden zu einer bestimmten Zeit zwischen den fünfziger Jahren und der Gegenwart. Im Bayou ist das noch schwieriger. Bäume und Wasserwege sehen heute wie damals aus. Die Kleider der Einheimischen sind funktional und unmodisch. Handys werden kaum benutzt, weil der gesamte Bayou wahrscheinlich ein einziges Funkloch ist.
Zur gelungenen Atmosphäre tragen auch die Schauspieler mit ihren nicht nach Hollywood aussehenden Gesichtern bei. Das sieht in weiten Teilen wie ein mit Laienschauspielern vor Ort gedrehtes Sozialdrama aus.
Weniger überzeugend gerät dann die Geschichte, die eigentlich nur eine auf Spielfilänge aufgeblasene „Twilight Zone“-Episode ist. Dass Celine Held und Logan George die Geschichte von Ellie und Paris parallel erzählen und sie beide durch das Portal in verschiedene Zeiten gelangen, hilft nicht. Es sind einfach zwei nicht miteinander verbundene Geschichten.
Das Portal selbst bleibt nur ein Gimmick. Held und George interessieren sich nicht für die damit verbundenen Fragen und Probleme, die zum festen Bestandteil jeder Zeitreisegeschichte gehören. Denn in dem Moment, in dem die Menschen durch das Portal gehen und den Bayou verlassen, beginnen die Probleme.
„Caddo Lake“ ist ein arg langsam, primär auf Atmosphäre setzender Horrorfilm, der das Potential seiner Idee nie ausschöpft.
Zwiespältig.
Caddo Lake(Caddo Lake, USA 2024)
Regie: Celine Held, Logan George
Drehbuch: Celine Held, Logan George
mit Dylan O’Brien, Eliza Scanlen, Diana Hopper, Caroline Falk, Sam Hennings, Eric Lange, Lauren Ambrose
Drehbuch: Budd Schulberg, Robert Siodmak (ungenannt) (nach einer Originalgeschichte von Budd Schulberg; angeregt durch „New York Sun“-Artikel von Malcolm Johnson)
New York: Gewerkschaftsboss Johnny Friendly (Lee J. Cobb) ist im Hafen der große Zampano. Nichts geht gegen ihn. Jeder, der ihm gefährlich werden könnte, stirbt bei einem Unfall. Als Terry Malloy (Marlon Brando), ein erfolgloser Ex-Boxer mit beschränkter Intelligenz, in einen solchen Mord verwickelt wird, muss er sich entscheiden.
Klassiker, gedreht an Originalschauplätzen und nach ausführlichen Recherchen.
„‚On the Waterfront‘ ist eine unerschrockene Verurteilung des labor rackeering, der Entartung gewerkschaftlicher Organisationen zu Mafia-ähnlichen Gruppierungen, und eine Anklage von Einzelpersonen, die zum Zwecke ihres eigenen Profits die Massen der ungebildeten und unartikulierten Arbeiter, in diesem Fall die Dockarbeiter von New York, manipulieren.“ (Tony Thomas: Marlon Brando und seine Filme)
„Die Faust im Nacken“ war 1955 der große Abräumer bei den Oscars: Bester Film, Beste Haupdarsteller (Marlon Brando), Beste Hauptdarstellerin (Eva Marie Saint), Beste Regie (Elia Kazan), Bestes Drehbuch (Budd Schulberg), Beste Kamera (SW) (Boris Kaufman), Bestes Szenenbild (SW) (Richard Day) und Bester Schnitt (Gene Milford). Nominiert als Bester Nebendarsteller waren Lee J. Cobb, Karl Malden und Rod Steiger und Leonard Bernstein war für seine Musik nominiert. Golden Globes und Baftas gab es auch.
mit Marlon Brando, Karl Malden, Lee J. Cobb, Eva Marie Saint, Rod Steiger, Pat Henning, Leif Erickson
Auf dem Papier kann Jacques Audiards neuer Film nicht funktionieren. Im Kino funktioniert diese Mischung aus Musical, Gangsterfilm, Drama über eine Geschlechtsumwandlung, realistischem Sozialdrama und soapige Geschichte einer Wohltäterin mit dunkler Vergangenheit dann überraschend gut.
Alles beginnt damit, dass der gefürchtete mexikanische Kartellboss Manitas del Monte aus dem Verbrecherleben aussteigen möchte. Lebendig. Dafür engagiert er die junge Anwältin Rita Mora Castro (Zoe Saldaña). Sie ist hochintelligent und als kleine Zuträgerin in einer großen Kanzlei sträflich unterfordert. Die dankbare Kundschaft der Kanzlei besteht vor allem aus Schwerverbrechern und Drogenbossen.
Rita organisiert, fürstlich bezahlt und ohne das Wissen ihrer Vorgesetzten, del Montes Ausstieg aus dem Gangsterleben. Sie ordnet Finanzen und organisiert für seine Familie ein neues Leben in der Schweiz.
Außerdem organisiert sie noch die Erfüllung eines speziellen Wunsches von del Monte. Er will sein Geschlecht ändern und so endlich die Person werden, die er schon immer sein wollte. Außerdem: wer würde vermuten, dass sich hinter dem Gesicht einer attraktiven Frau ein brutaler, allseits gefürchteter, hässlicher Macho-Gangster verbirgt? Als zusätzliche Sicherheit für seine Familie und für sich inszeniert er seinen Tod.
Nach der Geschlechtsumwandlung ist Manitas del Monte Emilia Pérez (Karla Sofía Gascón). Aber die Vergangenheit lässt sie nicht los. Sie will wieder Kontakt zu ihren Kindern und ihrer Frau Jessi (Selena Gomez) haben. Rita organisiert das.
Außerdem kehrt Emilia wieder an ihren alten Wirkungsort zurück (was ich für sehr unglaubwürdig halte) und beginnt sich als Wohltäterin für ihre Gemeinschaft einzusetzen. Das halte ich für noch unglaubwürdiger; also nicht, dass sie ihr Geld für Wohltaten ausgibt und für ihre früheren Taten büßen möchte, sondern dass sie ihr Geld für Wohltaten an dem Ort ausgibt, an dem es von alten Bekannten wimmelt und an jeder Ecke mindestens eine Person ist, die del Monte umbringen möchte.
Die Story von „Emilia Pérez“ ist reinster Pulp. Gesang und Tanz sind, auch wenn der Film dann nicht oder nur verschämt als Musical beworben wird, im Moment sehr beliebt bei Regisseuren. Aber Audiard nimmt nicht den Weg in Richtung Fantasie, sondern in Richtung Edel-Telenovela.
Seine Premiere hatte „Emilia Pérez“ im Hauptwettbewerb des 77. Filmfestivals von Cannes. Dort erhielt er unter anderem den Preis der Jury und den für die beste Schauspielerin, der in diesem Fall an Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, Adriana Paz und Zoe Saldaña ging. Danach lief er erfolgreich auf mehreren Festivals. Aktuell ist er für mehrere Europäische Filmpreise noniniert, unter anderem als bester Film, beste Regie und beste Darstellerin. Und er ist Frankreichs Einreichung bei den Oscars als bester internationaler Film.
Emilia Pérez (Emilia Pérez, Frankreich 2024)
Regie: Jacques Audiard
Drehbuch: Jacques Audiard
LV (frei nach): Boris Razon: Ecoute, 2018
mit Zoe Saldaña, Karla Sofía Gascón, Selena Gomez, Adriana Paz, Mark Ivanir, Édgar Ramírez
2016 brach in dem sehenswertem Film „Vaiana“ die polynesische Häuptlingstochter Vaiana (im Original Moana) von ihrer Insel Motunui auf, um hinter dem Horizont Nahrung für ihr Volk, das am Verhungern ist, zu finden.
Der Animationsfilm war für Disney ein riesiger Erfolg. Weltweit spielte er fast 700 Millionen US-Dollar ein.
In „Vaiana 2“ muss sie aufbrechen, um einen alten Fluch zu beenden, der sie daran hindert andere Völker zu treffen. Mit einigen Vertrauten, die teils aus dem vorherigen Film bekannt sind, macht sie sich auf den Weg. Ein am Himmel stehender Schweif zeigt ihr den Weg. Auf ihrer Reise trifft sie auch den aus dem ersten Film bekannten Halbgott Maui wieder.
Auf den ersten, zweiten und dritten Blick wiederholt „Vaiana 2“ die Geschichte des erstens Films wieder. Nur ist dieses Mal der Grund für Vaianas Reise weniger überzeugend. Er ist abstrakter, diffuser und weniger drängend. Beim ersten Mal ging es ganz konkret um das Überleben ihres Stammes. Dieses Mal um den Wunsch, andere Menschen zu treffen, und um einen ominösen und sehr alten Fluch, der sie daran hindert. Entsprechend ergebnislos verlaufen ihre Besuche auf anderen Inseln. Das könnte ewig so weitergehen.
Eines Tages sagt ihr eine göttliche Stimme, dass bald ein Signal am Himmel auftauchen werde, dem sie folgen solle. Es werde sie zu dem Ort führen, an dem sie den Fluch, der auf ihrem Volk laste, brechen könne.
Bis dieser Wegweiser am Ende des ersten Filmdrittels aus dem Nichts auftaucht und Vaianas zweite große Reise beginnt, zeigen die Regisseure David Derrick Jr., Jason Hand und Dana Ledoux Miller ausführlich das paradiesische Inselleben und die polynesische Kultur. Die Reise führt sie dann ohne große Umwege schnell an den Ort, an dem Vaiana den Fluch brechen kann.
„Vaiana 2“ ist kein schlechter Film. Er ist weitgehend unterhaltsam, immer wieder auf eine einfache Art witzig, er hat fünf neue Songs, eine durchaus sympathische Botschaft und eine liebenswert taffe Heldin. Es ist aber auch kein Film, der nötig gewesen wäre. Denn „Vaiana 2“ füllt die Erfolgsformel des ersten Films ohne erkennbare größere Ambitionen wieder aus. Das Ergebnis ist passable, überraschungsfreie und letztendlich überflüssige Disney-Unterhaltung. „Vaiana 2“ gibt es nur wegen des großen finanziellen Erfolgs von „Vaiana“. Ein anderer Grund ist nicht erkennbar. Denn „Vaiana“ erzählte eine in sich abgeschlossene Geschichte. Wie bei „E. T. – Der Außerirdische“ oder „Titanic“ ist eine Fortsetzung überflüssig.
Das hindert die Macher nicht daran, im Abspann in der Mid-Credit-Scene deutlich einen dritten Film anzuteasern.
Und gibt es noch die bereits für Sommer 2026 angekündigte Realverfilmung in der Dwayne Johnson dann Halbgott Maui nicht nur spricht, sondern auch spielt.
Vaiana 2 (Moana 2, USA 2024)
Regie: David Derrick Jr., Jason Hand, Dana Ledoux Miller
Drehbuch: Jared Bush, Dana Ledoux Miller (nach einer Geschichte von Jared Bush, Dana Ledoux Miller und Bek Smith)
mit (im Original den Stimmen von) Auliʻi Cravalho, Dwayne Johnson, Hualālai Chung, Rose Matafeo, David Fane, Awhimai Fraser, Khaleesi Lambert-Tsuda, Temuera Morrison, Nicole Scherzinger, Rachel House, Gerald Ramsey, Alan Tudyk
(in der deutschen Fassung den Stimmen von) Lina Larissa Strahl, David Mayonga
The Danish Girl (The Danish Girl, Großbritannien/Deutschland/USA 2015)
Regie: Tom Hooper
Drehbuch: Lucinda Coxon
LV: David Ebershoff: The Danish Girl, 2000 (Das dänische Mädchen)
Einar Wegener (Eddie Redmayne) ist in Kopenhagen in den zwanziger Jahren ein erfolgreicher Landschaftsmaler. Nachdem er für seine Frau Gerda Wegener (Alicia Vikander) für ein Gemälde in Frauenkleidern Modell steht, entdeckt er seine Liebe zu Frauenkleidern. Er verkleidet sich als Frau und besucht als Lili Elbe auch öffentliche Veranstaltungen. 1930/31 unterzieht sie sich als einer der ersten Menschen einer geschlechtsangleichenden Operation.
„The Danish Girl“ erzählt eine wahre Geschichte, die immer wie eine aus populären Schlagworten zusammengestellte erfundene Geschichte wirkt. Hooper konzentriert sich in seinem Film auf die Beziehung zwischen Einar/Lili Elbe und Gerda. Gut gespieltes und gut inszeniertes Drama, das nichts wirklich falsch macht, aber auch nicht wirklich begeistert oder, Gott bewahre!, verunsichert.
Ed Edwards soll einen kürzlich verkauften Cadillac zurückholen. Der Käufer Frank Craig ist mit den Raten in Verzug. Als Ed den Auftrag ausführen will, trifft er auf Franks jüngere, überaus gutaussehende und mit dem Zustand ihrer Ehe sehr unzufriedene Ehefrau. Mit ihrem Mann führt sie ein Autokino und einen daneben liegenden Tierfriedhof. Ihr Mann ist meistens als Lexikonverkäufer unterwegs; was anscheinend nur eine Umschreibung für „längere Sauftouren und rumhuren mit anderen Frauen“ ist.
Ed ist Korea-Kriegsveteran, als Verkäufer von gebrauchten, meistens schrottreifen Autos bei Smiling Dave angestellt und, obwohl er noch lange keine dreißig Jahre alt ist, unzufrieden mit seinem Leben. Er denkt sich, dass ein Leben mit Nancy als Besitzer des Autokinos und Tierfriedhofs eine gute Sache sei. Doch das ist eine Tagträumerei, bis Nancy ihm vorschlägt, ihren gewalttätigen und trunksüchtigen Mann umzubringen und außerdem die Versicherungspolice einzustreichen. Ed ist nach einer kurzen Bedenkpause einverstanden. Ihr Plan ist, jedenfalls auf dem Papier, todsicher.
Nicht nur Noir-Fans dürften den Grundplot von Joe R. Lansdales auf Deutsch neuem Roman „More better Deals – Tödliche Geschäfte“ kennen. Denn selbstverständlich gibt es nach Franks Tod für das Liebespaar weitere Probleme, die zu weiteren Morden, Sex und Lügen führen. Genauso selbstverständlich ist nichts dagegen zu sagen, wenn eine vertraute Geschichte noch einmal, mit kleinen Variationen, gut erzählt wird. Und genau das tut Joe R. Lansdale. Er erzählt die Geschichte mit Ed als Ich-Erzähler zügig, schnörkellos und mit dem für ihn typischen trockenem Humor auf wenigen Seiten und mit kleinen, überraschenden Variationen. So ist Ed, Kind einer Beziehung zwischen einer Weißen und einem Schwarzen, ein hellhäutiger Schwarzer, der in seiner Geburtsurkunde seine Rassenzugehörigkeit in Weiß änderte. Das war damals – die Geschichte spielt in Texas in den frühen sechziger Jahren – die einzige Möglichkeit, bessere Jobs zu bekommen und in der Gesellschaft aufzusteigen. Er hat eine trunksüchtige Mutter und eine jüngere neunzehnjährige Schwester, die intelligent genug für ein College ist. Als Schwarze hat sie allerdings keine Chance, angenommen zu werden.
Lesenswert; – wie alle Geschichten von Joe R. Lansdale.
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Joe R. Lansdale: More better Deals – Tödliche Geschäfte
Chantal Akerman erzählt, minutiös nachgezeichnet, drei fast ereignislose Tage aus dem Leben der Gelegenheitsprostituierten, Mutter und Witwe Jeann Dielman (Delphine Seyring).
Das sperrige 200-minütige Slow-Cinema-Sozialdrama hatte seine Premiere auf der Berlinale und verschwand danach aus dem öffentlichen Bewusstsein. Lobpreisungen von Regisseuren, wie Sofia Coppola, Kelly Reichardt, Céline Sciamma, Todd Haynes und Gus Van Sant änderten daran nichts.
Erst in den vergangenen Jahren änderte sich das. Im Dezember 2022 landete „Jeanne Dielman“ in der alle zehn Jahre von der Filmzeitschrift „Sight & Sound“ unter Filmkritikern durchgeführten Umfrage nach den hundert besten Filmen aller Zeiten auf dem ersten Platz. In der gleichzeitig unter Regisseuren durchgeführten Umfrage landete der Film auf dem vierten Platz.
Heute Abend, naja eigentlich Nacht, kann dieses extrem selten gezeigte Slow-Cinema-Drama genossen werden. Und danach kann darüber gestritten werden, ob das wirklich der beste Film aller Zeiten ist.
mit Delphine Seyrig, Jan Decorte, Henri Storck, Jacques Doniol-Valcroze, Yves Bical
Hinweise
Arte über den Film (online bis 23. Februar 2025 – dort gibt es aktuell auch weitere Filme von Chantal Akerman)
Chantal Akerman (1950 – 2015) über ihren Film damals und heute (naja, genaugenommen 2009)
Eva Kuhn (damals Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie und Kunstwissenschaft der Universität Lüneburg, heute Vertretungsprofessur für die Kunstgeschichte der Moderne an der Humboldt Universität, Berlin) analysiert 2019 im Deutschen Filmmuseum den Film
LV: Dennis Lehane: Animal Rescue, 2009 (erschienen in Dennis Lehane, Hrsg.: Boston Noir, Kurzgeschichte)
Bob ist etwas langsam und arbeitet als allseits beliebter Barkeeper in der Bar von seinem Vetter Marv, die von der Mafia auch als Ablageort für Bargeld benutzt wird. Als einige Gangster die Bar überfallen und das Geld stehlen, beginnen die Mafia und die Polizei die Diebe zu suchen. Zur gleichen Zeit lernt Bob Nadia kennen.
Langsam erzählter, in Brooklyn spielender Gangsterfilm, der sich mit seiner hochkarätigen Besetzung förmlich in der Atmosphäre suhlt.
mit James Gandolfini, Tom Hardy, Noomi Rapace, Matthias Schoenaerts, John Ortiz, Elizabeth Rodriguez, Michael Aronov, Morgan Spector, Michael Esper, Ross Bickell, James Frecheville, Tobias Segal, Patricia Squire, Ann Dowd
Verbotene Spiele (Jeux interdits, Frankreich 1951)
Regie: René Clément
Drehbuch: Jean Aurenche, Pierre Bost, René Clément
LV: Francis Boyer: Les Jeux Inconnus, 1947
Während des 2. Weltkriegs beginnen die fünfjährige Paulette, eine Kriegswaise, und der etwas ältere Michel mit seltsamen Beerdigungsritualen, in denen sie den Krieg nachspielen.
„‚Vergessene Spiele‘ gilt als René Cléments Meisterwerk und als einer der besten Filme über die Auswirkungen des Krieges überhaupt.“ (TV Spielfilm: Das große Filmlexikon)
„Ein erschütternder Film, der in der Stilisierung und Idealisierung einer ‚heilen‘ Kinderwelt schonungslos die Grausamkeit und Gedankenlosigkeit des alltäglichen Lebens aufzeigt. Zugleich beklagt er eindringlich den Verlust der Unschuld durch den Krieg und denunziert vehement pseudoreligiöses Verhalten.“ (Lexikon des internationalen Films)
Die Kairo-Verschwörung(Boy from Heaven, Schweden/Frankreich/Finnland 2022)
Regie: Tarik Saleh
Drehbuch: Tarik Saleh
Kaum ist der Fischersohn Adam in Kairo an der renommierten Al-Azhar-Universität ankommen, stirbt der Großiman, das geistige Oberhaupt der Universität und des sunnitischen Islams. Ein skrupellos geführter Machtkampf um die Nachfolge entbrennt. Adam gerät zwischen die Fronten.
TV-Premiere. Während wir im Kino gerade erfahren, wie ein Papst gewählt wird, erfahren wir im Fernsehen, wie ein Großiman gewählt wird. Und das ist ein ziemlicher Kuddelmuddel zwischen religiösen und weltlichen Interessen. Tarik Saleh verbindet diese Intrigen mit einer Coming-of-Age-Geschichte. Sehenswerter Thriller.
Alex Beer erhält im Rahmen der 31. Reinickendorfer Kriminacht den Reinickendorfer Krimipreis „Krimifuchs“ für ihre Felix-Blom-Krimireihe, die aktuell aus „Der Häftling aus Moabit“ und „Der Schatten von Berlin“ besteht. Die Hauptpersonen der 1878 und 1879 spielenden unterhaltsamen Kriminalromane sind Felix Blom, ein ehemaliger Einbrecher, und Mathilde Voss, eine ehemalige Prostituierte. Jetzt arbeiten sie gemeinsam als Privatdetektive. In ihrem ersten Fall suchen sie einen Mörder, der seine Taten mit einer an das Opfer geschickten Karte ankündigt: „Binnen dreißig Stunden musst Du eine Leiche sein.“ Auch Blom erhält so eine Karte.
In ihrem zweiten Fall sollen sie herausfinden, warum ein Grabräuber den sich auf dem St.-Hedwig-Friedhof in der Krypta befindenden Sarg des Archäologie-Professors Eduard Rohland öffnete. Zur gleichen Zeit sucht Kommissar Heinrich Schlesinger, frisch aus dem sonnigen Afrika ins kalte Berlin gekommen, den Mörder eines bestialisch ermordeten Kleinganoven. Und wir Leser wissen von Anfang an, dass beide Fälle miteinander zusammenhängen und Verbrecherkönig Arthur Lugowski ebenfalls in die Sache verwickelt ist.
Die Preisverleiher begründen ihre Wahl so: „Der Preis würdigt die gelungene Verbindung von exzellenter historischer Recherche, vielschichtigen Charakteren und einem fesselnden, unterhaltsamen Plot. Mit ihrem unkonventionellen Ermittlerduo – dem charmanten Ex-Kriminellen Felix Blom und der selbstbewussten Mathilde Voss, einer ehemaligen Prostituierten – schafft Alex Beer eine spannende und zugleich humorvolle Dynamik. Ihre detaillierte und authentische Darstellung des Berlins der 1870er-Jahre macht die Krimireihe zu einer perfekten Mischung aus Spannung, Zeitgeschichte und literarischem Anspruch.“
Zu den früheren „Krimifuchs“-Preisträgern gehören Johannes Groschupf, Zoë Beck, Elisabeth Herrmann, Rainer Wittkamp, Sascha Arango, Oliver Bottini, Fred Breinersdorfer, Thea Dorn, Felix Huby, Pieke Biermann und Horst Bosetzky.
Die Preisverleihung ist am Samstag, den 23. November, um 19.00 Uhr im Ernst-Reuter Saal (Eichenborndamm 215, 13437 Berlin) während der 31. Reinickendorfer Kriminacht. Literaturkritiker Elmar Krekeler hält die Laudatio. Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) überreicht den Preis. Alex Beer wird aus den beiden Felix-Blom-Büchern und ihrem neuesten August-Emmerich-Roman „Die weiße Stunde“ lesen. Ihre Kollegen Jakob Nolte, Marc Raabe und Andreas Winkelmann und das „Premier Swingtett“ stehen ebenfalls auf der Bühne.
Weil am Donnerstag, den 28. November, im Kino „Vaiana 2“ anläuft
Vox, 20.15
Vaiana – Das Paradies hat einen Haken (Moana, USA 2016)
Regie: Ron Clements, John Musker, Don Hall (Ko-Regie), Chris Williams (Ko-Regie)
Drehbuch: Jared Bush (nach einer Geschichte von Ron Clements, John Musker, Chris Williams, Don Hall, Pamela Ribon, Aaron Kandell und Jordan Kandell)
Weil die für die Bewohner einer Südpazifikinsel die lebensnotwendigen Fischschwärme ausbleiben und die Ernten verdorren, sticht die Häuptlingstochter Vaiana auf eigene Faust in See. Sie will das Rätsel lösen und das überleben ihres Volkes sichern.
Für Kinder ist der Disney-Film „Vaiana“ ein bunter Abenteuerfilm, der alles hat, was das Herz begehrt: eine taffe, optimistische Heldin, ein ihr helfenden Halbgott, Tiere, Abenteuer, flotte Sprüche und sieben Originalsongs, von denen zwei in verschiedenen Fassungen präsentiert werden.
Wieder einmal wollen Aliens die Erde besetzen, vernichten oder irgendetwas mit ihr machen, was der Menschheit nicht gefällt. Aber dieses Mal ist es anders. Denn die Aliens sind bereits unter uns. Sie haben Körper von Menschen übernommen und sie benehmen sich fast normal menschlich. Und sie haben in Nordfrankreich ein kleines verschlafenes Küstendorf an der Côte d’Opale als zentralen Schauplatz für ihren Kampf um das künftige Schicksal des Universums gewählt.
Hier, in der Provinz, wo jeder jeden kennt, wurde Margat geboren. Das unschuldig aussehende Kind wird alle anderen Rassen vernichten und der künftige böse Herrscher des Universums sein. Beschützt wird er von den dunklen Streitkräfte des finsteren Beelzebub, den Nullen. Die Einsen sind die Streitkräfte der guten Königin. Sie kämpfen gegen die zukünftige Herrschaft des Antichristen. Sie wollen eine positive Zukunft für die Menschen, die Erde und das Universum.
Die Story klingt nach einer fast schon beliebigen Weltraumoper. Aber genau das ist Bruno Dumonts neuer Film „Das Imperium“ nicht. Er ist das Gegenteil von Luc Bessons „Das fünfte Element“; – also ein SF-Film ohne Ausstattungsorgien (obwohl die Raumschiffe der Guten und Bösen prächtig aussehen), Weltraumschlachten (obwohl es am Ende eine epische Schlacht mit vielen Raumschiffen gibt), Humor (obwohl das Verhalten der Außerirdischen schon komisch ist), kreischbunten Auftritten, Spezialeffekte und schnelle Szenenwechsel. Bei Dumont wird dann mal minutenlang nicht geschnitten und viel geschwiegen. Oft passiert nichts oder es passiert etwas vollkommenen rätselhaftes.
„Das Imperium“ kann auch als von Quentin Dupieux („Rubber“, „Wrong“, „Die Wache“) inszenierter Science-Fiction-Film beschrieben werden. Nur dass Dumont zwei Stunden braucht, während Dupieux in seinen Filmen seine absurden Geschichten in deutlich unter neunzig Minuten erzählt. Diese Länge macht „Das Imperium“ in jedem Fall zu einem zu lang geratenem Scherz.
Ob man jetzt „Das Imperium“ für einen äußerst langweiligen Langweiler und Anwärter für die nächste SchleFaZ-Runde oder für einen skurrill-absurden, zu lang geratenen Spaß hält, hängt von der Stimmung des Zuschauers und seinem Humor ab. Denn wer mit abseitigem Humor nichts anfangen kann, wird verzweifelt nach wenigen Minuten den Saal verlassen.
Mit absurd schlecht spielenden Schauspielern und hölzernen Sätzen, die einem Provinztheaterensemble kollektiv die Schamesröte ins Gesicht treiben würden, inszeniert Dumont seine Version vom „Krieg der Sterne“, die gleichzeitig alle Konventionen einer Space Opera erfüllt, unterläuft und persifliert. Das Ergebnis ist eine sehr französische und sehr surreale Version vom „Krieg der Sterne“ zwischen Trainings-Schwerkämpfen im Garten, Sex auf der Wiese, pathetischen Reden, überkandidelten Auftritten der Herrscher in den Raumschiffen und eingestreuten Weisheiten, die das Pathos von „Dune“ und ähnlichen Werken einem gnadenlosen Realitätstest unterziehen.
Das Imperium(L’Empire, Frankreich/Italien/Deutschland/Belgien/Portugal 2024)
Regie: Bruno Dumont
Drehbuch: Bruno Dumont
mit Brandon Vlieghe, Anamaria Vartolomei, Lyna Khoudri, Camille Cottin, Fabrice Luchini, Julien Manier, Bernard Pruvost, Philippe Jore
Die Entführung der U-Bahn Pelham 123 (The Taking of Pelham 123, USA 2009)
Regie: Tony Scott
Drehbuch: Brian Helgeland
LV: John Godey: The Taking of Pelham One Two Three, 1973 (Abfahrt Pelham 1 Uhr 23)
In New York nehmen Gangster die Passagiere einer U-Bahn als Geisel. Sie fordern binnen einer Stunde 10 Millionen Dollar Lösegeld. Ein Fahrdienstleiter beginnt mit den Verhandlungen.
Für das Update des 1973er Thriller-Klassikers „Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123“ von Joseph Sargent, nach einem Drehbuch von Peter Stone, mit Walter Matthau, Robert Shaw und Martin Balsam musste Brian Helgeland nicht viel tun. Denn Romanautor John Godey hat sich eine ebenso einfach, wie spektakuläre Story ausgedacht. Da musste Brian Helgeland nur der Story folgen und aus den vielen im Buch auftretenden Charakteren (die so auch ein Bild der US-amerikanischen Gesellschaft in den frühen Siebzigern entstehen lassen) die für einen Film wichtigen auswählen. Tony Scott bebilderte dann das ganze mit einer für seine Verhältnisse angenehm zurückhaltenden Regie.
Aber während die 1973er-Version immer noch thrillt, bedient Scott einfach nur ziemlich glatt und damit auch vorhersehbar-langweilig die Spannungsmachinerie. Es ist nicht wirklich Falsches in „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“, aber auch nichts, was zum wiederholten Ansehen reizt.
mit Denzel Washington, John Travolta, Luis Guzmán, John Turturro, James Gandolfini
Den Namen des Papstes kennt jeder. Aber wie ein neuer Papst gewählt wird, ist nur in groben Zügen bekannt. Nach dem Tod des Oberhauptes der katholischen Kirche versammeln sich die Unter-Achtzigjährigen Kardinäle in Rom im Vatikan. Auf dem Petersplatz versammeln sich Gläubige und die live berichtenden Medien. Aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle steigt in unregelmäßigen Abständen Rauch auf. Ist der Rauch schwarz, wurde kein neuer Papst gewählt. Ist er weiß, wurde ein neuer Papst gewählt, der sich kurz danach der Welt präsentiert.
Anhand einer fiktiven Papstwahl erzählt Robert Harris in seinem 2016 erschienenem Thriller „Konklave“ wie so eine Papstwahl abläuft. Edward Berger („Im Westen nichts Neues“) verfilmte jetzt den Roman nach einem Drehbuch von Peter Straughan („Dame, König, As, Spion“) und mit Starbesetzung. Wichtige Kardinäle werden von Ralph Fiennes, Stanley Tucci und John Lithgow gespielt. Isabella Rossellini spielt Schwester Agnes, die als Leiterin der Casa Santa Marta, zusammen mit ihren Nonnen, für die Unterbringung und Verköstigung der Männer zuständig ist.
Berger schildert detailliert die Abläufe im Vatikan, der während der Wahl vollständig von der Welt abgeschlossen ist. Niemand darf das Gebäude betreten oder verlassen. Briefe, Telefonate und, inzwischen, Computer mit Internetzugang, sind verboten. Nichts soll die Wahl beeinflussen.
Vor diesem Hintergrund entfaltet sich dann das Drama der Papstwahl. Verschiedene Fraktionen und Ansichten über den künftigen Kurs der Kirche stehen sich gegenüber. Es gibt Vertreter der progressiven Richtung, die die katholische Kirche stärker an die Gegenwart anpassen wollen. Es gibt konservative und ultrakonservative Kardinäle, die die Kirche am liebsten wieder zurück ins Mittelalter führen möchten. Jede Fraktion hat ihren Favoriten. Ein aus Afrika kommender Kardinal forciert einen aus Afrika kommenden Papst, weil es bislang noch keinen afrikanischen Papst gab. Es werden, wie in der weltlichen Politik oder einem Verein, Koalitionen geschmiedet und es wird versucht, einzelne Kardinäle zu beeinflussen.
Kardinal Lawrence (Ralph Fiennes), der Dekan des Kardinalskollegiums, versucht als Wahlleiter einerseits das Verfahren ohne Unglücke durchzuführen und er versucht, als er neue Informationen über aussichtsreiche Kandidaten erhält, diese zu überprüfen. Ohne den Kontakt zur Außenwelt, wozu auch ein Telefonat gehört, ist das eine schwierige Aufgabe. Er muss auch überprüfen, ob Kardinal Benítez (Carlos Diehz) wirklich ein Kardinal ist. Denn bis jetzt hat noch niemand von dem aus Kabul kommendem Mann gehört. Er sagt, der gerade verstorbene Papst habe ihn vor kurzem ernannt und es vor seinen Glaubensbrüdern geheim gehalten. Benítez benimmt sich wie ein wahrer Gläubiger, der mit den zwischen den Kardinalen eingespielten Machtspielen nichts zu tun hat – und weil „Konklave“ ein Thriller ist, macht ihn seine offen nach Außen getragene Naivität besonders verdächtig. Jedenfalls für die Zuschauer.
Die Diskussionen innerhalb der katholischen Kirche über die Zukunft der Kirche werden im Film gestreift, aber nicht vertieft. Straughan und Berger konzentrieren sich auf die Wahlgänge und wie sich von Wahlgang zu Wahlgang Mehrheiten verschieben. Garniert wird das Machtspiel spannungssteigernd mit einer fulminant lauten Thrillermusik, die eine Spannung schafft, die die Bilder von alten Männern, die in historischen Gemäuern Zettel ausfüllen, nicht hergeben.
Konklave (Conclave, USA/Großbritannien 2024)
Regie: Edward Berger
Drehbuch: Peter Straughan
LV: Robert Harris: Conclave, 2016 (Konklave)
mit Ralph Fiennes, Stanley Tucci, John Lithgow, Isabella Rossellini, Carlos Diehz, Lucian Msamati, Brían F. O’Byrne, Merab Ninidze
Einige haben „Spiders“ unter dem Titel „Vermin“ vielleicht schon 2023 auf dem Fantasy Filmfest gesehen und sich seitdem gefragt, wann der gelungene Spinnenhorrorfilm denn endlich auf DVD erscheint. Jetzt läuft er erst einmal im Kino – und das ist gut so.
Der in der Wüste spielende Prolog, in dem wir erfahren, wo die Spinne, die Kaleb kauft, herkommt, hätte es nicht gebraucht. Denn Sébastien Vaničeks Debütfilm „Spiders – Ihr Biss ist der Tod“ ist einer dieser gradlinigen Horrorfilme, in denen die Marschrichtung schnell klar ist. Also: Kaleb kauft sich eine besonders prächtig aussehende Spinne. Er lebt mit seiner Schwester in der Banlieue von Paris in Noisy-le-Grand in einem von der Politik vernachlässigten Sozialsiedlungen. Seine sein Zimmer einnehmenden Terrarien sind wahre Stromfresser, die immer wieder für Stromausfälle sorgen. Bis Kaleb das neue Heim für seine neue Mitbewohnerin eingerichtet hat, bringt er sie in einen Schuhkarton unter.
Die Spinne bricht aus der verschlossenen Kiste aus, wächst rapide und zeugt noch schneller viele weitere Spinnen. Sie greifen Menschen an, töten sie und übernehmen atemberaubend schnell den Wohnblock.
Währenddessen riegelt die Polizei das Gebäude ab.
Kaleb, seine Freunde und die Bewohner des Hauses sind auf sich allein gestellt. Sie nehmen, mit den wenigen Mitteln, die sie haben und ihrem Verstand, den Kampf auf. Wohnung um Wohnung. Gang um Gang. Stockwerk um Stockwerk.
„Spiders“ ist ein netter kleiner Spinnenfilm, der die Genrekonventionen befolgt, einen ungewöhnlichen Schauplatz und damit verbunden einen ungewöhnlichen Cast hat. Bei Vaniček steht nicht eine stinknormale Mittelstandsfamilie, sondern ein munterer Haufen aus prekär zwischen Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe und Verbrechen lebenden Jugendlichen und Habenichtsen aus unterschiedlichen Ethnien im Mittelpunkt. Das verleiht „Spiders“, der im Original doppeldeutig „Vermines“ (Ungeziefer) heißt, eine sozialkritische Note, die Erinnerungen an George A. Romeros „Crazies“ weckt.
Die politische Kritik ist für Vaniček in „Spiders“ nur ein Subtext. Im Zentrum steht der Kampf der Hausbewohner ums Überleben.
Sam Raimi gefiel der Spinnenhorrorfilm so gut, dass er Vaniček, neben Francis Galluppi (The Last Stop in Yuma County), für einen weiteren „Tanz der Teufel“/“Evil Dead“-Film, engagierte. Wir sind gespannt.
Spiders – Ihr Biss ist der Tod(Vermines, Frankreich 2023)
Regie: Sébastien Vaniček
Drehbuch: Sébastien Vaniček, Florent Bernard (nach einer Idee von Sébastien Vaniček)
mit Théo Christine, Sofia Lesaffre, Jérôme Niel, Lisa Nyarko, Finnegan Oldfield, Marie-Philomène Nga, Ike Zacsongo-Joseph