Beginne eine Geschichte immer möglichst nahe am Höhepunkt und erzähle die Geschichte chronologisch. Das sind zwei gängige und gute Tipps aus Schreibratgebern. An einen Ratschlag hält sich „Conjuring 4: Das letzte Kapitel“. An den anderen nicht. Und das ist durchaus ein Problem.
1986 gehen – ich folge der Filmgeschichte – die Geisterjäger Ed und Lorraine Warren (wieder gespielt von Patrick Wilson und Vera Farmiga) in das Haus der Smurls in West Pittston, Pennsylvania. In dem Duplex leben drei Generationen auf engstem Raum zusammen. Seit der Konfirmation ihrer Tochter Heather werden sie von übernatürlichen Erscheinungen heimgesucht.
In dem Jahr waren die Ed und Lorraine Warren eigentlich schon im Ruhestand. Aber nach dem Tod von Pater Gordon und nachdem ihre Tochter Judy von etwas in dem Haus angezogen wurde, übernehmen die Warrens den Fall. Ihr Freund Pater Gordon wurde möglicherweise irgendwie von einem Dämon, der auch in dem Smurl-Haus lebt, getötet. Judy, die die übersinnliche Begabung ihrer Mutter geerbt hat, spürt irgendeine Verbindung zu dem Haus.
Dieser für die Warrens weitgehend normale Fall soll, wie der Filmtitel andeutet, das Ende der „Conjuring“-Filmreihe sein. Jedenfalls der Hauptreihe mit Farmiga und Wilson, aber nicht der ähnlich lukrativen anderen Filmreihen und potentiellen Filmreihen aus dem „Conjuring“-Universum. Denn Judy (Mia Tomlinson) und ihr Freund und zukünftiger Ehemann Tony Spera (Ben Hardy), die hier eindeutig Nebenfiguren sind, die dem Publikum vorgestellt werden, können weitere Fälle übernehmen. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt und es können noch etliche weitere Fälle der real existierenden Warrens als Inspiration für Filme genommen werden.
Ed und Lorraine Warren waren in den USA bekannte Geisterjäger. Ed lebte von 1926 bis 2006, Lorraine von 1927 bis 2019. Aktiv waren sie ab 1952. Ihre Tätigkeit erstreckte sich dabei nicht nur auf das Jagen von Dämonen und Geistern, sondern auch auf die Vermarktung ihrer Erlebnisse in Büchern, Filmen und Vorträgen. Kritiker hielten ihre Erklärungen für die seltsamen Ereignisse weitgehend für Unfug.
Beginnen tut „Conjuring 4: Das letzte Kapitel“ allerding nicht 1986, sondern 1964. Während die hochschwangere Lorraine Warren gerade mehr über einen Dämon und einen Spiegel herausfinden will, setzen die Wehen ein. Wenig später wird ihre Tochter Judy in einem Krankenaus geboren.
Von dieser Geburt an erzählt Michael Chaves seinen Film chronologisch und zwischen den Ereignissen in der Smurl-Familie und den Warrens wechselnd. Während es bei den Smurls zunehmend dämonische Erscheinungen gibt, halten die Warrens Vorträge über ihre Arbeit, treffen sich mit Freunden, essen gemeinsam zu Abend und begutachten Tony, den neuen Freund ihrer Tochter. Auch die aus zwei Solo-Filmen bekannte besessene Puppe Annabelle ist, ohne irgendetwas zur Filmgeschichte beizutragen, mehrmals im Bild.
Diese Ouvertüre vor dem Betreten des Hauses und der anschließenden Dämonenaustreibung dauert gut neunzig Minuten (bzw. ungefähr 2/3 des Film). Sie ist nur erträglich, weil klar ist, dass es sich um vorbereitende Szenen für die irgendwann stattfindende Dämonenaustreibung handelt.
Spannend ist das allerdings nicht. Eine stärkere Identifikation mit den einzelnen Figuren will sich nicht einstellen. Die Smurl-Familie bliebt eine austauschbare Großfamilie ohne besondere Eigenschaften. Ed und Lorraine Warren sind natürlich die Hauptfiguren, aber die meiste Zeit sind sie nicht im Film und wenn doch, dann bei alltäglichen Arbeiten wie dem Haushalt (sie) und dem Abchecken des neuen Freundes ihrer Tochter beim Tischtennis, dem Reparieren des Motorrads und dem Erzählen von Geschichten (er) beschäftigt. Mit ihrer Arbeit als Geisterjäger hat das nichts zu tun. Vera Farmiga und Patrick Wilson spielen diese Szenen aus dem Leben einer glücklichen Vorstadtfamilie als habe man sie aufgrund bestehender Verträge dazu genötigt, diese banalen Szenen zu spielen. Keine dieser Szenen ist wirklich schlecht, aber jede in diesen Szenen präsentierte Information hätte man bei der Geisterjagd im Smurl-Haus wirkungsvoller präsentieren können.
Die Entscheidung der Drehbuchautoren Ian Goldberg, Richard Naing und David Leslie Johnson-McGoldrick und von Regisseur Michael Chaves (der davor „Lloronas Fluch“, „Conjuring 3: Im Bann des Teufels“ und „The Nun II“ inszenierte) die Geschichte chronologisch zu erzählen macht aus „Conjuring 4: Das letzte Kapitel“ einen behäbigen Film. Es dauert einfach viel zu lange, bis die Geschichte wirklich beginnt. Das ist der Moment, dem Ed und Lorraine Warren das Smurl-Haus betreten und mit ihrer Arbeit beginnen.
Der potentiell spannende Fall wird dann in einem halbstündigem Budenzauber erledigt, der fast alles hat, was das Herz des Geisterhaus-Horrorfilmfans begehrt. Auf Suspense und potentiell interessante Hintergründe über die in dem Haus, uh, lebenden Dämonen wird verzichtet. Ihr schreckliches Aussehen und die entsetzten Reaktionen der Menschen müssen genügen.
So ändert auch „Conjuring 4: Das letzte Kapitel“ nichts an der Tatsache, dass die ersten beiden „Conjuring“-Filme, beide inszeniert von James Wan, die besten Filme der Serie und des gesamten Conjuring-Universum sind und dass Michael Chaves ein bestenfalls mittelmäßiger Horrorfilmregisseur ist. Wenn man keinen traditionellen Geisterhaushorrorfilm erwartet, in dem ein Haus und die Jagd nach dem unerwünschten Hausgast im Mittelpunkt stehen, ist „Conjuring 4: Das letzte Kapitel“ der okaye, aber letztendlich enttäuschende Abschluss der „Conjuring“-Serie. Er ist mehr Familien- als Horrorfilm und mehr Judys Film als der Film ihrer Eltern.
Deshalb kann dieser schwache Abschluss der Serie mit den Erlebnissen von Ed und Lorraine Warren auch der Start der Erlebnisse ihrer Tochter als Dämonenjägerin sein.
Conjuring 4: Das letzte Kapitel (The Conjuring: Last Rites, USA/Großbritannien 2025)
Regie: Michael Chaves
Drehbuch: Ian Goldberg, Richard Naing, David Leslie Johnson-McGoldrick (nach einer Geschichte von David Leslie Johnson-McGoldrick und James Wan, basierend auf von Chad Hayes und Carey W. Hayes erfundenen Figuren)
mit Vera Farmiga, Patrick Wilson, Mia Tomlinson, Ben Hardy, Steve Coulter, Rebecca Calder, Elliot Cowan, Kila Lord Cassidy, Beau Gadsdon, John Brotherton, Shannon Kook, Molly Cartwright, Tilly Walker, Peter Wight, Kate Fahy
Conjuring – Die Heimsuchung (The Conjuring, USA 2013)
Regie: James Wan
Drehbuch: Chad Hayes, Carey W. Hayes
Bevor am Donnerstag „Conjuring 4: Das letzte Kapitel“ mit den real existierenden Geisterjägern Lorraine und Ed Warren startet, gibt es die Gelegenheit, sich die beiden ersten, besten und erfolgreichsten „Conjuring“-Filme anzusehen (innerhalb des „Conjuring“-Franchise war nur „The Nun“ an der Kinokasse erfolgreicher).
In „Conjuring – Die Heimsuchung“ kämpfen die Warrens 1971 gegen einen Geist, der die neuen Bewohner eines Hauses auf Rhode Island terrorisiert.
James Wans Film ist ein feiner Old-School-Grusler, der eine vertraute Geschichte gut erzählt.
mit Vera Farmiga, Patrick Wilson, Ron Livingston, Lili Taylor, Joey King, Shanley Caswell, Hayley McFarland, Mackenzie Foy, Kyla Deaver, Sterling Jerins
Einmal schnell – mit der selbstgewählten Option über einige Filme, je nach Zeit, mehr zu schreiben: die Filme, die heute starten. Auf der einen Seite der Skala ein Blockbuster für die große Leinwand („Godzilla vs. Kong“). Auf der anderen Seite der diesjährige Oscar-Gewinner („Nomadland“). Dazwischen ein deutscher Science-Fiction-Film („Ich bin dein Mensch“), Dramen und Action. Denn „Nobody“ verlässt den Raum.
„Godzilla vs. Kong“ ist ein Spektakel, das für die große Leinwand gemacht ist. Die Story wurde schon vor dem Schreiben des Drehbuchs weggeworfen zugunsten einiger, teils vollkommen abstruser Szenen, die Schauspieler sind noch nicht einmal unterfordert von den anderthalb verlangten Gesichtsausdrücken, aber wenn dann King Kong und Godzilla sich kloppen und dabei Hongkong zerstören, die Boxen im Kino mit großem Wumms dröhnen, dann, ja, dann bleibt nur die Erkenntnis: KINO IST ZURÜCK! ENDLICH.
Ich gebe zu, dass ich den Film im Zoopalast in Berlins größtem Kinosaal sah, Monster auf einer Monsterleinwand überwältigend sind und es einer der ersten Filme war, die ich nach der monatelangen Pause im Kino sehen konnte. Das alles förderte meine Begeisterung.
Davon abgesehen ist „Godzilla vs. Kong“ ein dummer Sommer-Blockbuster, der genau das sein will und dessen Existenzberechtigung im Titel steht. Godzilla, King Kong und, – ähem, das wäre jetzt ein Spoiler.
Godzilla vs. Kong (Godzilla vs. Kong, USA 2021)
Regie: Adam Wingard
Drehbuch: Eric Pearson, Max Borenstein (nach einer Geschichte von Terry Rossio, Michael Dougherty und Zach Shields)
mit Alexander Skarsgård, Millie Bobby Brown, Rebecca Hall, Brian Tyree Henry, Kyle Chandler, Shun Oguri, Eiza González, Julian Dennison, Demián Bichir
„Nomadland“ ist das Gegenteil. Ein kleines Indie-Drama mit einer gewohnt fantastischen Frances McDormand, die hier die Nomadin Fern spielt.
Nach dem Verlust von Mann, Job und Haus entschloss Fern sich 2011 (also während der Nachwirkungen der Finanzkrise), ihre Sachen zu packen. Seitdem lebt sie in ihrem Wohnwagen, fährt von schlechtbezahltem Job zu schlechbezahltem Job und genießt, wie viele andere Menschen, die Freiheiten des Nomadenlebens.
Chloé Zhao („The Rider“) zeigt quasi-dokumentarisch das Leben dieser Nomaden und ihrer Gemeinschaft. Wieder drehte sie mit Laien, die sich selbst spielen. Und wieder ist da kein falscher Ton zu spüren.
Bei den diesjährigen Oscars wurde ihre Charakterstudie „Nomadland“ als bester Film, für die beste Regie und die beste Hauptrolle ausgezeichnet. Golden Globes gab es als bester Film und für die beste Regie. Um nur die bekanntesten Preise zu nennen. Insgesamt erhielt der Film, laut IMDB, über 230 Preise.
Zhaos karge Charakterstudie ist großes großartiges Kino mit Bildern, die für die große Leinwand komponiert sind. In diesem Fall (und, Ich verspreche!, in den folgenden Zeilen werde ich nicht mehr erwähnen, wo ich die Filme gesehen habe) musste ich den Film am Computer sehen und ich dachte die ganze Zeit nur „ich will den Film im Kino sehen“.
Nomadland (Nomadland, USA 2020)
Regie: Chloé Zhao
Drehbuch: Chloé Zhao
LV: Jessica Bruder: Nomadland: Surviving America in the Twenty-First Century, 2017 (Nomaden der Arbeit, Sachbuch)
mit Frances McDormand, David Strathairn, Linda May, Swankie, Bob Wells
„Percy“ erzählt nah an den Fakten und angenehm altmodisch die Geschichte von Percy Schmeiser. Der Kanadier ist ein Farmer der alten Schule, der die besten Samen der vorherigen Ernte aufbewahrt und nächstes Jahr wieder aussät. Genau so haben Bauern seit Jahrhunderten gearbeitet. Bis Konzerne Firmen wie Monsanto genmanipulierte Saatgut anboten. Diese sind resistent gegen bestimmte Unkrautvernichtungsmittel, was für die Bauern natürlich eine Arbeitserleichterung ist. Für Monsanto sind sie ein großes Geschäft. Denn sie haben Patente dafür erworben und die Bauern müssen jedes Jahr bei ihnen neue Samen kaufen. Ein Monokulturen förderndes Riesengeschäft, das von Umwelt- und Dritte-Welt-Bewegungen seit Jahrzehnten kritisiert wird.
Percy hatte damit nichts zu tun, bis Monsanto 1997 auf seinen Feldern Spuren von ihren Samen nachwies und ihn verklagte. Im Gegensatz zu anderen Farmern zog Percy Schmeiser vor Gericht.
Clark Johnson erzählt in seinem Justizdrama „Percy“ jetzt die Geschichte von Percy Schmeiser und seinem Kampf gegen Monsanto nach. Das tut er, indem er sich auf das Drehbuch und die Schauspieler – Christopher Walken als Percy Schmeiser, Zach Braff als sein Anwalt, Christina Ricci als Aktivistin – verlässt. Eine kluge Entscheidung.
Percy (Percy, Kanada 2020)
Regie: Clark Johnson
Drehbuch: Garfield Lindsay Miller, Hilary Pryor
mit Christopher Walken, Christina Ricci, Zach Braff, Luke Kirby, Roberta Maxwell, Adam Beach, Martin Donovan
Auch „Der Spion“ beeindruckt nicht durch Spektakel (das hatten wir schon in „Godzilla vs. Kong“), sondern mit seinen Schauspielern. Die Geschichte basiert ebenfalls auf Tatsachen. Jedenfalls soweit man das weiß, wenn es um Geheimagenten und ihre Arbeit geht.
Der britische Geheimdienst MI6 und der amerikanische Geheimdienst CIA engagieren im November 1960 den harmlosen, leicht schmierigen Geschäftsmann Greville Wynne (Benedict Cumberbatch), der immer wieder mit Ostblockstaaten Geschäfte macht. Er soll den Kontakt zu dem hochrangigen Sowjetoffizier Oleg Penkowski (Merab Ninidze) herstellen. Penkowski möchte nämlich den Westmächten geheime Informationen zuspielen.
MI6 und CIA sind sich sicher, dass der KGB keinen Verdacht schöpfen wird, wenn Wynne sich mit Penkowski trifft. Womit sie nicht rechneten, ist, dass die beiden gegensätzlichen Männer sich befreunden. Als Penkowski aufzufliegen droht und der MI6 nichts für ihn unternehmen will, will Wynne seinen Freund retten.
„Der Spion“ ist unauffälliges Schauspielerkino mit viel frühsechzigerjahre Patina. Fans des Genres denken bei der Geschichte von Wynne, der über seine Erlebnisse als Spion zwei Bücher mit zweifelhaftem Wahrheitsgehalt schrieb, natürlich sofort an John le Carrés „Das Russland-Haus“ und die grandiose Verfilmung von Fred Schepisi mit Sean Connery.
Das ist nicht schlecht, aber auch nicht unbedingt ein Film, den man sich im Kino ansehen muss.
Der Spion (The Courier, Großbritannien 2020)
Regie: Dominic Cooke
Drehbuch: Tom O’Connor
mit Benedict Cumberbatch, Merab Ninidze, Rachel Brosnahan, Jessie Buckley, Angus Wright, James Schofield, Anton Lesser
Der neueste Film aus dem „Conjuring“-Universum ist, nach Spin-offs und Vorgeschichten, „Conjuring 3: Im Bann des Teufels“ und damit ein Film aus der Hauptreihe. Wieder wird ein wahrer Fall der Geisterjäger Ed und Lorraine Warren erzählt. Dieses Mal ist es der Brookfield Demon Murder Case.
Am 16. Februar 1981 ermordet der junge Arne Cheyenne Johnson seinen Freund bestialisch. Sein Verteidiger würde auf irgendeine Form von verminderter Zurechnungsfähigkeit plädieren. Aber die Warrens sind schon vor Ort und sie wissen, dass Johnson von einem besonders fiesem Dämonen besessen ist und genau darauf soll die Verteidigung aufbauen. Die nötigen Beweise wollen sie beschaffen.
Der neueste „Conjuring“-Film läuft für meinen Geschmack zu sehr in den Bahnen eines gewöhnlichen Justizkrimis ab, in dem die tapferen Ermittler während der Verhandlung die Beweise für die Unschuld des Angeklagten suchen und in letzter Sekunde finden. Da ist es wirklich einerlei, ob der Angeklagte unschuldig ist, nicht zurechnungsfähig (beispielsweise wegen Opioid-Gebrauch) oder gerade von einem Dämonen besessen war. Das ist eine Frage der Fakten und der Verteidigungsstrategie.
Weil „Conjuring 3“ ein Horrorfilm ist, interessiert sich Regisseur Michael Chaves weniger für rechtstechnische Details und Verteidigungsstrategien, sondern für Geister, Dämonen und Teufelsaustreibungen mit Hilfe der katholischen Kirche.
James Wan, der Regisseur der vorherigen „Conjuring“-Filme ist dieses Mal nur als Autor und Produzent involviert.
Conjuring 3: Im Bann des Teufels(The Conjuring: The Devil made me do it, USA 2021)
Regie: Michael Chaves
Drehbuch: David Leslie Johnson-McGoldrick (nach einer Geschichte von James Wan und David Leslie Johnson-McGoldrick)
mit Patrick Wilson, Vera Farmiga, Ruairi O’Connor, Sarah Catherine Hook, Julian Hilliard
Mit einer anderen Sorte von Nicht-Mensch muss Alma sich in „Ich bin dein Mensch“ auseinandersetzen.
Alma soll für drei Wochen einen menschenähnlichen Roboter testen und danach ein Gutachten schreiben. Es geht um die Frage, ob Ehen zwischen Mensch und Maschine erlaubt werden sollen. Dafür wird ihr Tom zugeteilt. Er wurde extra für sie konfiguriert, nachdem in umfangreichen Test Almas Wünsche und Sehnsüchte erforscht wurden. Der Android ist dann auch das Inbild eines Traummanns: gutaussehend, höflich, umsorgend, perfekt im Haushalt und allwissend. Nur seine Bewegungen, Mimik und, selten, Sprachrhythmus verraten, dass Tom kein Mensch ist.
In ihrem neuen Film „Ich bin dein Mensch“ beschäftigt Maria Schrader („Vor der Morgenröte“) sich mit der Frage, was Androiden von Menschen unterscheidet, was Gefühle sind und damit auch und vor allem, was das Menschsein und die menschliche Gesellschaft ausmacht. Das erzählt sie mit Hilfe eines immer wieder überraschend humorvollen Drehbuchs, guten Schauspielern und einer eleganten Kamera und Bildgestaltung (Benedict Neuenfels).
„Ich bin dein Mensch“ ist ein feiner, auf der Berlinale abgefeierter, zum Nachdenken anregender Film und einer der besten deutschen Filme des Jahres.
Maren Eggert erhielt einen Silbernen Bären für ihre schauspielerische Leistung.
Ich bin dein Mensch (Deutschland 2021)
Regie: Maria Schrader
Drehbuch: Jan Schomburg, Maria Schrader
LV: Emma Braslavsky: Ich bin dein Mensch, 2019 (Kurzgeschichte, in „2029 – Geschichten von Morgen“)
mit Maren Eggert, Dan Stevens, Sandra Hüller, Hans Löw, Wolfgang Hübsch, Annika Meier, Falilou Seck, Jürgen Tarrach, Henriette Richter-Röhl, Monika Oschek
‚Wie der Vater, so der Sohn‘ ist ein dummer Spruch, der in diesem Fall zutrifft. Denn Brandon Cronenbergs „Possessor“ sieht wie ein Horrorfilm seines Vaters David Cronenberg aus den Siebzigern aus. Auch die Geschichte könnte von David Cronenberg stammen.
Eine geheimnisumwitterte Firma hat eine Technik entwickelt, mit der man in fremde Gehirne eindringen und diese Menschen dann zu bestimmten Handlungen bewegen kann. Die Firma bietet dabei vor allem eine Dienstleistung an: Mord. Und zwar Morde, die sonst nicht durchführbar wären. Jedenfalls nicht so.
Eine ihrer Agentinnen ist Vos. Sie hadert zunehmend mit den Folgen der Aufträge für ihre Psyche. Immer weniger kann sie zwischen ihrer Arbeit in fremden Köpfen und ihrem Privatleben mit ihrer Familie unterscheiden.
Brandon Cronenberg inszenierte seinen Horrorfilm „Possessor“ als Hommage an die frühen Bodyhorrorfilme von David Cronenberg. Die Farbgebung, die Erzählgeschwindigkeit, die Kamerabewegungen, der Ton, die Tricks (bei den Morden wird nach der Methode „zuviel rotes Blut kann es nicht geben“ vorgegangen), die minimalistischen, futuristisch aussehenden Sets und die von der Firma verwandten Technik erinnern alle an David Cronenbergs Frühwerk.
Allerdings fehlt in „Possessor“ die damalige Gesellschaftskritik und das Ende, das sich um eine Antwort auf die wichtigen im Film gestellten Fragen drückt, ist äußerst unbefriedigend.
„Possessor“ ist primär L’Art pour l’art, die einen, wegen dem was zu sehen ist und dem was nicht zu sehen ist, mit einem gewaltigen Gefühl des Unwohlseins über das Eindringen in fremde Körper zurücklässt.
Und gerade das macht diesen Horrorfilm sehenswert.
Posessor (Possessor, Kanada/Großbritannien 2020)
Regie: Brandon Cronenberg
Drehbuch: Brandon Cronenberg
mit Andrea Riseborough, Christopher Abbott, Rossif Sutherland, Sean Bean, Jennifer Jason Leigh
Hutch Mansell (Bob Odenkirk) ist auf den ersten Blick ein ganz gewöhnlicher Mann, der ein ganz gewöhnliches Leben lebt mit einem langweiligen Job, Frau und Kindern. Er ist ein richtiger Nobody. Als zwei Einbrecher bei ihnen einbrechen, überwältigt er sie, als er die Chance hat, nicht. Stattdessen legt er den Golfschläger zur Seite und lässt sie mit der Beute ziehen. Seine Kinder halten ihn für ein Weichei. Dass der Revolver, den die Einbrecherin in der Hand hielt, nicht geladen war und er deshalb nicht zuschlug, sagt er ihnen nicht.
Als seine Tochter kurz darauf ihr heißgeliebtes Kitty-Cat-Armband vermisst, beginnt Hutch die Einbrecher zu suchen. Das ist der Auftakt für eine ungeahnte Gewaltorgie. Denn Hutch war nicht immer der harmlose Vorstadtdaddy.
„Nobody“ ist ein B-Picture-Actionkracher mit viel Gewalt, trockenem Humor und gut(gelaunt)en Schauspielern. Erfunden wurde die Geschichte von Derek Kolstadt (Drehbuch, Produktion) und David Leitch (Produktion), die auch in die „John Wick“-Filme involviert sind und die Geschichte von Hutch Mansell ähnelt der von John Wick. Denn der Unterschied zwischen einem Kinderarmband und einem Hund als Anlass für eine besinnunglose Gewaltorgie ist letztendlich minimal. Auch die Ausbildung von Hutch Mansell und John Wick ähnelt sich. Wobei Hutch Mansell früher für eine andere Institution als John Wick arbeitete und er am Ende mit der Hilfe von seinem Vater und einigen alten Freunden gegen die Bösewichter kämpft.
Das ist ein großer Spaß für kleine Jungs. Eine Fortsetzung ist nicht nötig. Obwohl Derek Kolstadt anscheinend schon an einer arbeitet und sie angesichts des bisherigen Einspiels unvermeindlich erscheint. Ein Crossover mit John Wick ist, weil die Filme von verschiedenen Studios produziert wurden, unwahrscheinlich und für mein Empfinden auch vollkommen unnötig.
Nobody(Nobody, USA 2021)
Regie: Ilya Naishuller
Drehbuch: Derek Kolstad
mit Bob Odenkirk, Connie Nielsen, RZA, Aleksey Serebryakov, Christopher Lloyd, Michael Ironside, Billy MacLellan, Gage Munroe
Unnötig beschreibt „Monster Hunter“ treffend. Dieses Mal schickt Paul W. S. Anderson seine Frau Milla Jovovich in die Wüste.
Jovovich spielt Captain Artemis. Zusammen mit ihrem Team geraten sie während eines gefährlichen Militäreinsatzes in der Wüste in einen Sandsturm, der sie in ein Paralleluniversum schleudert, in dem es noch mehr Sand und viele, riesige und sehr gefährliche Monster gibt.
„Monster Hunter“ ist, wie die ebenfalls von Anderson mit Jovovich inszenierten „Resident Evil“-Filme, eine Computerspielverfilmung. Und es ist keine gute Verfilmung; wobei ich, weil ich das Spiel nicht kenne, genaugenommen sagen müsste: kein guter Film. Die Dialoge wirken wie Restbestände aus einem Trailer eines militaristischen 80er-Jahre-B-Pictures. Die Story folgt der alten Computerspieldramaturgie von Herausforderung, Lösung suchen, Feind vernichten. Und weil Jovovich als Heldin all die Angriffe überlebt, ist auch klar, dass sie immer die richtige Lösung findet.
Ein Langweiler. Ach wie spaßig waren da die „Resident Evil“-Filme.
Auf den ersten Blick klingt die Story von „Conjuring – Die Heimsuchung“ nicht besonders aufregend: zwei Geisterjäger jagen in den siebziger Jahren in einem Haus einen Geist. Das gab es ja wirklich oft genug.
Aber am Startwochenende setzte sich der Film in den USA souverän auf den ersten Platz. In der zweiten Woche wurde „Conjuring – Die Heimsuchung“ zwar von „Wolverine – Weg des Kriegers“ vom ersten Platz verdrängt, aber mit einem Einspielergebnis von über 22 Millionen US-Dollar hielt er sich gut und mühelos auf dem zweiten Platz und und wenn man die Kosten mit dem Einspiel vergleicht, dann hat der 20 Millionen US-Dollar teure Gruselfilm in diesem Sommer schon jetzt viel besser als einige Blockbuster, wie „Pacific Rim“, „The Lone Ranger“ oder „White House Down“, die alle jeweils mindestens 150 Millionen US-Dollar gekostet haben, abgeschnitten.
Auf den zweiten Blick ist dieser Erfolg verständlich. Denn James Wan, der Regisseur von „Saw“, „Dead Silence“, „Death Sentence“ und „Insidious“, stürzte sich vorbehaltslos und vollständig in die siebziger Jahre, orientierte sich auch stilistisch am damaligen Filmstil, würzte die Geschichte mit einer ordentlichen Portion schwarzen Humor (der auch dadurch entsteht, dass wir uns freudig auf das Spiel mit unseren Erwartungen einlassen) und stellte die Geschichte, die er ohne postmodern-ironische Brechungen, überbordende Gewalt und Trickgewitter erzählt, in den Mittelpunkt. Dass sie auf Tatsachen basiert, wenn man an Geister und übernatürliche Erscheinungen glaubt, trägt zur Glaubwürdigkeit der Geschichte bei. Ed und Lorraine Warren, zwei in den USA bekannten Geisterjägern, die auch die mehrfach verfilmte Geschichte das Amityville-Hauses bekannt machten, erzählten die Geschichte des verfluchten Hauses und ihrer Reinigung. Lorraine Warren beriet die Filmemacher und sie ist mit dem Film auch zufrieden. Er entspräche den wahren Ereignissen.
Wenn nicht an den übersinnlichen Hokuspokus glaubt, bleibt immer noch ein zweistündiger Gruselfilm in der bekannten „Poltergeist“-Tradition übrig. Mit einer ordentlichen Portion „Der Exorzist“ (aber, trotz Exorzismus, nicht so katholisch), der konsequent alternative Erklärungen ausschließt und sich auf seine Geschichte und die guten Schauspieler verlassen kann..
Die Warrens (gespielt von Vera Farmiga und Patrick Wilson) werden 1971 von den Perrons, einer netten, grundanständigen All-American-Familie mit fünf Kindern gebeten, sich ihr gerade erworbenes, einsam gelegenes Haus auf Rhode Island anzusehen. Denn in dem Haus geschehen seltsame Dinge. Die Geisterjäger sehen sich um, entdecken Hinweise auf den bösen, die Perrons terrorisierenden Dämon und Lorraine Warren, die besonders empfänglich für übernatürliche Schwingungen ist, sieht, dass der hasserfüllte Geist einer früheren Bewohnerin Besitz von Carolyn Perron (Lili Taylor) ergreifen will.
Nach einigen anderen, kürzlich im Kino gelaufenen Gruselfilmen, wie „Intruders“ und „Mama“ mit ihren unbefriedigenden Auflösungen, beide mit einer ordentlichen und eher störenden Portion CGI, ist „Conjuring – Die Heimsuchung“ ein rundum gelungener Old-School-Geisterfilm mit einer stimmigen Auflösung – und davor einer stimmigen 70er-Jahre-Atmosphäre.
Conjuring – Die Heimsuchung (The Conjuring, USA 2013)
Regie: James Wan
Drehbuch: Chad Hayes, Carey W. Hayes
mit Vera Farmiga, Patrick Wilson, Ron Livingston, Lili Taylor, Joey King, Shanley Caswell, Hayley McFarland, Mackenzie Foy, Kyla Deaver, Sterling Jerins