Inside Llewyn Davis (Inside Llewyn Davis, USA/Frankreich 2013)
Regie: Ethan Coen, Joel Coen
Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen
TV-Premiere eines Coen-Films zu einer vollkommen unmöglichen Uhrzeit. Da hofft man doch auf baldige Wiederholungen des Meisterwerks über den erfolglosen Folkmusiker Llewyn Davis und die New Yorker Folkmusikszene der frühen Sechziger. Kurz bevor ein Mann in Greenwich Village auftauchte, der vor wenigen Tagen den Literaturnobelpreis erhielt.
„Midnight Special“ – ein Titel wie ein Joe-R.-Lansdale-Roman oder für eine Anthologie im Geist von „The Twilight Zone“ oder für einen herrlich abgeranzten Südstaaten-Blues voller Sex und Gewalt.
Nun, das ist Jeff Nichols‘ neuer Film nicht. Auch wenn er in den Südstaaten spielt. Zwei schwerbewaffnete Männer fahren mit einem Kind durch Texas, das gewohnt fotogen mit Sonnenauf- und -untergängen in Szene gesetzt wird. Sie werden verfolgt. Von einer Sekte und von der Polizei, die sie sogar über eine öffentliche Fahndung im Fernsehen im Fernsehen sucht. Die beiden Männer wollen den Jungen zu einem Ort bringen, an dem es in wenigen Tagen zu einem wichtigen Ereignis kommen soll. Sie glauben, dass es der Tag des Jüngsten Gerichts ist und der Junge irgendetwas damit zu tun hat.
Aus dieser Ausgangssituation entfaltet Nichols („Take Shelter“, „Mud“) über lange Zeit eine beträchtliche Spannung. Denn nur langsam enthüllen sich für den Zuschauer die Hintergründe und damit auch die Handlungsmotive der verschiedenen Figuren. Der Junge ist ein Medium, das Signale und Botschaften empfängt, und der übernatürliche Fähigkeiten hat, die auch schon einmal ein halbes Haus zerstören können. Oder mehr. Das ist so sehr Stephen-King-Land, dass es erstaunt, dass „Midnight Special“ nicht auf einer seiner Geschichten basiert, sondern eine Originalgeschichte von Nichols ist. Eine andere, ebenso offensichtliche, Inspiration ist natürlich Steven Spielbergs freundlicher Alien-Begegnungs-Science-Fiction-Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art“.
Begleitet wird der Junge Alton (Jaeden Lieberher) von seinem Vater Roy (Michael Shannon), der ihn aus der Sekte entführte, und Lucas (Joel Edgerton), einem Schulfreund von Roy, der inzwischen ein State Trooper mit besonderen Fähigkeiten ist. Er hilft ihnen, weil er gesehen hat, wozu Alton fähig ist. Dafür übertritt er auch einige Gesetze und schießt auf Polizisten.
Verfolgt werden die drei von zwei Handlangern der Sekte, die den Jungen zurückbringen sollen, weil er für ihre Gemeinde wichtig ist. Er ist, nun, ihr Heiland. Ihr Jesus-Kind.
Und dann gibt es noch den gesamten Staatsapparat, der Roy, Lucas und Alton, der die meiste Zeit unbeeindruckt „Superman“-Comics liest, einträchtig und ohne irgendein Kompetenzgerangel verfolgt. Die Polizei, das FBI, das helfende Militär und die NSA setzen alles ein, was sie haben. Die wichtigste Person der Verfolger ist der sehr nerdige und schusselige NSA-Analyst Sevier (Adam Driver), der herausfinden will, wie es Alton gelang, an die geheimen, nur über verschlüsselte Leitungen gesendete Informationen zu kommen. Oh, diese Informationen, Koordinaten meist, bildeten den Grundstock der Sekten-Gottesdienste; was ihnen, bis sie vom FBI gestört werden, einen besonderen Touch verleiht.
Das klingt ziemlich krude. Ist es auch. Aber die Geschichte wird von Nichols mit viel Sinn für Atmosphäre und einem Hang zum Siebziger-Jahre-Kino (was uns mit dem Anblick vieler Charakterköpfe und älterer Schauspieler belohnt) konsequent entschleunigt erzählt bis hin zu einem ziemlich hirnrissigen „A world beyond“-Finale. Dabei leben solche Geschichten, in denen sich mehrere Gruppen, mehr oder weniger unabhängig voneinander, auf den Weg zu einem bestimmten Ort, an dem sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ein besonderes Ereignis erwarten, ohne zu wissen was sie dort erwartet, von ihrer Auflösung. Also ob die Enthüllung des vorher immer wieder beschworenen Mysteriums so gut ist, wie die davor erzeugten Erwartungen. In „Midnight Special“ werden sie enttäuscht.
Weil Nichols seine Geschichte so unglaublich langsam erzählt und sie sich absolut gradlinig auf ihr Finale hin entwickelt, bleibt schon beim Ansehen des Films viel Zeit, sich mehr oder weniger wichtige Fragen zu stellen, die alle dazu führen, dass die Geschichte insgesamt immer unglaubwürdiger wird.
Letztendlich ist „Midnight Special“ eine große Enttäuschung. Da helfen auch nicht die engagiert spielenden Schauspieler, die Bilder, die über weite Strecken des Films vorhandene latente Spannung, die lässig eingestreuten Witze (vor allem Adam Driver hat die besten Dialogzeilen und Sam Shepard überzeugt in seinem kurzen Auftritt als Sektenführer) und die Anspielungen auf andere Werke.
Stephen King und Joe R. Lansdale hätten aus der Grundidee von „Midnight Special“ ein echtes Midnight Special für die nächste Mitternachtsvorstellung gemacht. Bei Jeff Nichols endet der Ausflug ins Hinterland, in religiösen Wahn, Paranoia und kaputte Familien im strahlenden Sonnenlicht in einer deplatzierten, nichts sinnvoll erklärenden Special-Effects-Orgie.
https://www.youtube.com/watch?v=VC18mrZJYao
Zehn Jahre Warten sind vorbei. Wobei nach „Die Rache der Sith“ (dem Abschluss der Vorgeschichte zur originalen „Krieg der Sterne“-Trilogie) eigentlich kein Filmfan und auch kein Science-Fiction-Filmfan wirklich auf einen weiteren „Star Wars“-Film wartete. Denn „Die dunkle Bedrohung“ (1999), „Angriff der Klonkrieger“ (2002) und „Die Rache der Sith“ (2005) waren, obwohl oder weil von „Star Wars“-Erfinder George Lucas inszeniert, auf erzählerischer Ebene einfach zu schlecht, um zu überzeugen. Die Dialoge waren gruselig. Die in anderen Filmen guten Schauspieler agierten hölzern. Dafür waren die Tricks gut. Seitdem konnten die zahlreichen „Star Wars“-Fans sich am ganzen Merchandising, an Bücher, Comics, TV-Serien und den Filmen in verschiedenen DVD/Blu-ray-Ausgaben austoben.
Vor drei Jahren verkaufte George Lucas Lucasfilm und damit „Star Wars“ an Disney. Was ja keine schlechte Entscheidung ist. Die Disney-Filme sind ja durchgehend gelungen und „Star Wars“ ist alles andere als ein düsteres, hochphilosophisches Science-Fiction-Drama. Es ist eine Space-Opera, in der Grautöne auf der Leinwand nur als Farbton existieren.
Schnell wurden Pläne für weitere „Star Wars“-Filme verkündet. In den kommenden Jahren soll es etliche Filme aus dem „Star Wars“-Kosmos geben und die „Krieg der Sterne“-Filmsaga soll, immerhin hat George Lucas schon immer behauptet, dass er ein ganz großes Epos aus neun Spielfilmen plane, in seinem Geist fortgeführt werden. J. J. Abrams, der „Star Trek“ wiederbelebte und mit „Super 8“ seine „E. T.“-Version drehte, wurde zum Regisseur mit klarer Mission ernannt: „Star Wars“ für ein neues Publikum erschließen und die alten Fans befriedigen. Es gab, was in Hollywood nicht ungewöhnlich ist, viele Ideen und Drehbuchversionen, die sich radikal unterscheiden. Am Ende war Lawrence Kasdan, der unter anderem die Drehbücher für „Das Imperium schlägt zurück“ und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ schrieb, wieder an Bord. Ebenso die Stars der originalen Trilogie: Harrison Ford, Carrie Fisher, Mark Hamill undsoweiter, auch wenn sie dank ihrer Masken von anderen Menschen gespielt werden könnten. Es gab Bilder und Trailer, die zeigten, dass die Menschen einer weit, weit entfernten Galaxis ihren Schrott ebenfalls in der Landschaft liegen lassen. Die Fans waren entzückt. Der Hype wurde, mal wieder, kräftig angeheizt und jetzt ist das beworbene Produkt, der siebte „Krieg der Sterne“-Film „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ (manchmal auch „Star Wars VII“), der Beginn der dritten und (vielleicht) finalen Trilogie, in den Kinos. Natürlich in 3D (was nicht unbedingt nötig wäre, aber gut aussieht) und auch in einer IMAX-Version.
Um die Geschichte wurde ein großes Geheimnis gemacht, was auch daran liegt, dass sie zwar gut unterhält, aber im Wesentlichen nur eine kleine Episode aus dem Kampf zwischen den Guten (den Rebellen, die sich jetzt Resistance nennen) und den Bösen (die jetzt nicht mehr Imperium, sondern Erste Ordnung [First Order] heißen) erzählt.
Kampfpilot Poe Dameron (Oscar Isaac) soll einen Hinweis beschaffen, der die Rebellen zu dem seit Ewigkeiten spurlos verschwundenen Luke Skywalker (Mark Hamill) führen soll. Diese Mission wird durch das Auftauchen von Darth-Vader-Nachfolger Kylo Ren (Adam Driver) verhindert. Poe versteckt den Hinweis, der sich einer Art USB-Stick befindet, in seinem Roboter. Der kugelförmige BB-8-Droid kann entkommen. Poe wird von den Stormtroopern gefangen genommen. Weil Stromtrooper Finn (John Boyega) bei dem Einsatz, der ältere Zuschauer an Bilder aus dem Vietnam-Krieg erinnert, sein Gewissen entdeckt, flüchtet er mit Poe aus dem Erste-Ordnung-Raumschiff. Sie werden von anderen Raumschiffen verfolgt und legen auf dem nächstbesten Planeten eine Bruchlandung hin.
Inzwischen hat die taffe Rey (Daisy Ridler), die als Schrottsammlerin auf Jakku lebt, BB-8 gefunden. Kurz darauf treffen Rey und Finn aufeinander und, während eines Luftangriffs der Ersten Ordnung, können sie in dem gerade in der Wüste herumstehendem Millenium Falke flüchten und von Jakku flüchten.
Rey, Finn und BB-8 verstecken sich in einem größeren Raumschiff. Dort – Zufälle gibt es – treffen sie auf Han Solo (Harrison Ford) und seinen haarigen Gefährten Chewbacca (Peter Mayhew). Gemeinsam und nach einer weiteren Action-Szene (ja, es gibt viel Action, wenn die Macht erwacht) machen sie sich auf den Weg zu den von Leia Organa (Carrie Fisher) geführten Rebellen. Denn Poes Mission muss beendet werden.
Natürlich ist dieser Weg gefährlich, weshalb es weiterhin viele Kämpfe und wenige Dialoge gibt. Am Ende, auch das ist keine große Überraschung, gibt es wieder eine große Schlacht, in der Lichtschwerter gekreuzt werden und ein Todesstern der Bösewichter zerstört wird. Mein Eindruck war (ich habe den 1977er „Krieg der Sterne“ schon sehr lange nicht mehr gesehen), dass J. J. Abrams sich deutlich von der Schlussschlacht um den damaligen, viel kleineren Todesstern inspirieren ließ.
Sowieso stellt sich Abrams mit seinem Film hundertprozentig, bewusst und freudig in der Tradition der vorherigen „Krieg der Sterne“-Filme. Deshalb ist seine Revitalisierungsmission vor allem ein zurück zu den Ursprüngen, also zu der in „Krieg der Sterne“ (1977), „Das Imperium schlägt zurück“ (1980) und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ (1983) etablierten Welt, den Charakteren, dem Humor und auch dem Zeitgeist. Abrams erzählt in „Das Erwachen der Macht“, das dreißig Jahre nach „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ spielt, die Geschichte von Han Solo, Leia Organa, Luke Skywalker und ihren Freunden bruchlos weiter. Dabei sind sie, obwohl Harrison Ford eine überraschend große Rolle hat, nur Nebenfiguren, deren Auftritte oft kaum über größere Cameos hinauskommen. Im Mittelpunkt steht, immerhin ist der Film ein Blockbuster, der sich an ein junges Publikum richtet, Rey (Daisy Ridley), die als taffes Mädchen schnell den Respekt von Han Solo erwirbt. Auch ihr in sie verliebter Begleiter Finn (John Boyega) hat eine größere Rolle.
Die Geschichte, die die Autoren Lawrence Kaskan, J. J. Abrams und Michael Arndt erfanden, ist dann, zwischen all den Reminiszenzen an die originale Trilogie, ähnlich der Geschichte in „Planet der Affen: Revolution“ (2014), eigentlich eine auf Spielfilmlänge gestreckte TV-Serienepisode; naja, von der Länge her ist „Das Erwachen der Macht“ eine Doppel- und eine Einzelfolge. Diese Geschichte bewegt sich, dank des reichlich vorhandenen Humors und der Auftritte der altbekannten Charaktere (die mal mehr, mal weniger pompös inszeniert sind und das Herz des Fans streicheln), zügig von einer gut inszenierten Action-Szene zur nächsten. Die Special-Effects überzeugen. Die Schauspieler ebenso und entsprechend glaubwürdig sind die Charaktere. Die Dialoge sind, nachdem sie in den zwischen 1999 und 2005 entstandenen Filmen gruselig waren, wieder schmerzfrei anhörbar. Die Dialogwitze sind gut und auf den philosphischen Überbau, der uns in früheren Filmen von den Jedis arg verschwurbelt erklärt wurde, wird nicht weiter eingegangen. Inzwischen weiß jeder, was die „Macht“ ist. Sie ist, auch für die Charaktere, ein Teil ihres Lebens und wenn sie sie haben, sind sie nicht erstaunt darüber.
Es gibt viele neue Wesen und die Stormtrooper, diese maskierten Soldaten in ihrer weißen Plastikmontur, werden menschlicher; was auch für einige Lacher sorgt. Dafür hat Kylo Ren die merkwürdige Angewohnheit, während seiner Wutanfälle nicht seine Soldaten und Offiziere zu töten, sondern mit dem Lichtschwert die Einrichtung zu zerstören.
Insgesamt gefällt „Das Erwachen der Macht“ als poppiges Science-Fiction-Abenteuer und als würdige, aber auch nicht besonders eigenständige Fortsetzung von, nun, „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“. Es ist sozusagen „Die Rückkehr der Jedi-Ritter – Dreißig Jahre später“. P. S.: Ob, wie ich hier vermutete, Rey und Kylo Ren Geschwister sind, wird in „Das Erwachen der Macht“ nicht endgültig geklärt. Das muss dann wohl Luke Skywalker im nächsten „Star Wars“-Film machen, der am 26. Mai 2017 in Deutschland starten soll.
Star Wars: Das Erwachen der Macht (Star Wars: The Force awakens, USA 2015)
Regie: J.J. Abrams
Drehbuch: Lawrence Kasdan, J.J. Abrams, Michael Arndt
LV: Charaktere von George Lucas
mit Daisy Ridley, Adam Driver, John Boyega, Oscar Isaac, Andy Serkis, Domhnall Gleeson, Max von Sydow, Carrie Fisher, Harrison Ford, Mark Hamill, Kenny Baker, Anthony Daniels, Peter Mayhew, Gwendoline Christie, Lupita Nyong’o
Länge: 135 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
Inzwischen haben ihre Freunde Kinder. Aber Josh Srebnick (Ben Stiller) und seine Frau Cornelia (Naomi Watts), Produzentin und Tochter eines erfolgreichen Dokumentarfilmers, fühlen sich noch nicht so alt. Sie sind ja in Brooklyn lebende Künstler. Er arbeitet seit zehn Jahren an seinem neuen Dokumentarfilm, einem mehrstündigem Opus über den linken Intellektuellen Ira Mandelstam, das zu komplex ist, um es in einem Halbsatz zu erklären. In jedem Fall soll der Film umfassend aufklären und die unverfälschte Wirklichkeit und Wahrheit zeigen. Wie in den Filmen der von ihm bewunderten Dokumentarfilmer Frederick Wiseman, die Maysles-Brüder und D. A. Pennebaker wird es in seinem Film keine Manipulation der Wirklichkeit geben.
Nebenbei unterrichtet er an einer Universität. Dort trifft er Jamie (Adam Driver), einen jungen Studenten, der ihn für seinen vorherigen Film bewundert. Josh genießt die für ihn ungewohnte Aufmerksamkeit und er ist auch fasziniert von Jamies jugendlicher Unbekümmertheit. Sie treffen sich öfter. Er nimmt auch seine anfangs skeptische Frau Cornelia mit zu den Treffen mit Jamie und seiner Freundin Darby (Amanda Seyfried). Die beiden Mittvierziger fühlen sich, angesteckt durch die Lebensfreude und das improvisierte Leben von Jamie und Darby, wieder jünger. Sie brechen aus ihrem schon seit Jahren in festen Bahnen verlaufendem Alltagsleben aus.
Noah Baumbach, der mit Ben Stiller bereits „Greenberg“ inszenierte, wollte mit seinem neuesten Film, nach „Frances Ha“, eine erwachsene Komödie drehen. Ein Film, wie er vor dreißig Jahren von Mike Nichols, Sydney Pollack oder Woody Allen inszeniert wurde. Und das gelang ihm. Auch wenn es mit einer Hip-Hop-Tanzeinlage von Naomi Watts und einer Teilnahme der Screbnicks bei einem Ayahuasca-Ritual, nebst Einnahme der sehr wirksamen Schamanendroge, arg in Richtung Slapstick und sichere Lacher geht, herrscht in „Gefühlt Mitte Zwanzig“ ein stiller und lebensweiser Humor, der anhand seiner vier Protagonisten auch zeigt, wie sich in den vergangenen Jahrzehnten Einstellungen veränderten. Immerhin gehören Josh und Cornelia noch zu der Generation, die ohne Internet aufwuchs, während Jamie und Darby mit ihm aufwuchsen.
Davon abgesehen prallen auch verschiedene Lebensstile und Anschauungen aufeinander, die es schon ewig gibt. Josh ist der Zauderer und Perfektionist mit einem hehren Kodex. Jamie der jugendlich-optimistische Macher, der allerdings auch alles seiner Karriere unterordnet, was zu Problemen mit seiner Frau Darby führt, die nicht nur sein Anhängsel sein will.
Etwas störend und letztendlich vollkommen überflüssig ist dagegen ein von Noah Baumbach breit eingeführter Krimi-Plot (Jamie nimmt Josh auch heimlich mit kleinen Kameras auf und es wird angedeutet, dass er Josh aus rein egoistischen Motiven angesprochen hat). Am Ende wird dieser Plot lässig beiseite gewischt. Auch weil er in seine Düsternis nicht zum restlichen Film passt, stört er eher die restliche Geschichte. Denn schon bei den Dreharbeiten für Jamies Dokumentarfilm, bei dem ihm Josh hilft, wird deutlich, dass Jamie nicht dem puristischen Ansatz von Josh folgt, sondern dass er die Wirklichkeit mindestens in Details manipuliert, wenn er so zu besseren Ergebnissen im Sinne einer dramatischen, spielfilmtauglichen Dramaturgie kommt.
Wenig Zeit, daher „Kurz & Knapp“ (auch eine Form von KuK) über die Neustarts im Kino am heutigen Donnerstag:
„I Origins“ ist einer der Filme, von denen ich viel erwartete und dann umso enttäuschter war. Denn die Prämisse, dass jede Iris einzigartig ist und ein Molekularbiologe, der in diesem Forschungsgebiet über die Evolution des Auges bahnbrechendes leistet, entdeckt, dass diese Arbeitshypothese falsch ist und damit seine gesamte Forschung und seine Überzeugungen in Frage stellen würde, verspricht einen philosophischen Science-Fiction-Film.
Aber dann geht es auch um eine Liebesgeschichte, die ungefähr in der Filmmitte ein abruptes Ende findet und später doch wieder wichtig ist. Es geht um Forschungsfragen. Es geht um die Frage nach der Einzigartigkeit des Menschen und um Wiedergeburt, was die Einzigartigkeit der Iris, aber auch etwas viel unangenehmeres beweisen würde. Es gibt auch ein seltsames Forschungsprogramm, das nicht näher erklärt wird, aber für die Fans von Paranoia-Thrillern gedacht ist. Für die gibt es auch eine Szene nach dem Abspann.
Letztendlich begnügt Mike Cahill sich in „I Origins“ mit dem Aufwerfen von Fragen und mehreren überraschenden bis abstrusen Wendungen, die nur verwirren ohne auch nur im Ansatz zu erklären, worum es den Machern ging.
„I Origins“ ist ein frustierender Film. Mit und ohne Seelenwanderung. Und dass Cahill im Presseheft sagt, dass für ihn „I Origins“ nur der Anfang seiner Erforschung des Bereiches zwischen Fakten und Glauben sei und er den Stoff in weiteren Filmen oder einer TV-Serie fortspinnen will, hilft nicht, weil wir dann den Film nicht als eigenständiges, in sich abgeschlossenes Werk, sondern nur als den Auftakt von etwas Größerem ansehen sollen.
Was wäre, wenn dein Kind bei der Geburt vertauscht worden wäre? Und was würdest du tun? Das muss sich Ryota Nonomiya fragen, als er erfährt, dass genau das vor sechs Jahren geschehen ist. Der distanzierte, statusbewusste Architekt, der in finanzieller Hinsicht alles für seinen Sohn tut, aber wegen der vielen Arbeit ihn fast nie sieht, hat jetzt eine Erklärung für die Defizite und den mangelnden Ehrgeiz seines Sohnes. Aber ist Blut wirklich dicker als Erziehung? Soll er seinen falschen Sohn gegen seinen echten Sohn tauschen, der bei einer zwar liebevollen, aber armen und furchtbar ambitionslosen Familie lebt? Oder soll er dafür kämpfen, das Sorgerecht für beide Kinder zu bekommen?
Hirokazu Kore-eda erhielt für seinen Film „Like Father, like Son“ in Cannes den Preis der Jury und das ist verständlich. Ruhig und aus Ryotas Perspektive erzählt er von diesem Dilemma. Dabei bleiben die Sympathien für den egoistischen Ryota, der das Kind vor allem als Statussymbol braucht, überschaubar. Aber die angesprochenen Fragen sind unversell und Hirokazu Kore-eda behandelt sie auch angemessen komplex in einer scheinbar einfachen Geschichte über zwei Familien und ihre Kinder in einer Gesellschaft, in der – wenn so ein Fehler entdeckt wird – die Kinder getauscht werden und ein Adoptionen selten sind.
Ein sehenswerter Film.
Nelly hat schwer verletzt und verunstaltet den Zweiten Weltkrieg und Auschwitz überlebt. Ihre Freundin Lene bietet ihr ein neues Leben in Israel mit einem neuen Gesicht an. Aber Nelly will wieder ihr altes Gesicht zurückhaben. Sie will in Deutschland bleiben und sie will wieder ihren Ehemann Johnny treffen. Er ist ihre große Liebe, der sie verraten hatte.
Johnny arbeitet jetzt in Berlin in der Bar „Phoenix“. Als er Nelly trifft, erkennt er sie nicht. Aber er bemerkt eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen der unbekannten Schönheit und seiner toten Frau. Jedenfalls glaubt Johnny, dass Nelly tot ist. Er will die Fremde zu Nellys Ebenbild verändern, um so an Nelly Familienvermögen zu gelangen. Nelly spielt mit.
Cineasten werden in „Phoenix“ sofort eine Variante von Alfred Hitchcocks „Vertigo“ erkennen. Sowieso hat jedes Bild, jeder Satz, jede Geste und jede Szene mindestens eine weitere Bedeutung, was beim Ansehen und Entschlüsseln Spaß macht. Wobei, wie üblich bei Christian Petzold, der Film auch einfach als spannende Geschichte funktioniert. Jedenfalls bis Nelly auf Johnnys Angebot eingeht. Dann fällt die vorher vorhandene Spannung wie ein Soufflé in sich zusammen und die restlichen Minuten, wenn Nelly die Gestik von Nelly einstudiert und sie bei ihren Verwandten, die den Krieg überlebten, vorgestellt wird, haben dann etwa die Spannung von Malen-nach-Zahlen.
„Phoenix“ ist Fritz Bauer, dem Initiator und Ankläger des Auschwitz-Prozesses, gewidmet. Harun Farocki, mit dem Petzold bei, ich glaube, jedem seiner Filme zusammenarbeitete, verstarb kurz vor der Premiere des Films.
Insgesamt ist „Phoenix“ ein sehenswerter Film. Aber Petzolds bester Film ist es nicht.
– Phoenix (Deutschland 2014)
Regie: Christian Petzold
Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki (Mitarbeit)
LV (nach Motiven): Hubert Monteilhet: Le retour des cendres, 1961 (Der Asche entstiegen)
mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Michael Maertens, Imogen Kogge, Kirsten Block
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
– Hinweise Homepage zum Film Film-Zeit über „Phoenix“ Moviepilot über „Phoenix“ Rotten Tomatoes über „Phoenix“
–
Nach dem Tod ihres Vaters müssen die Mitglieder der Familie Altman, auf Wunsch des Verstorbenen, eine siebentägige Totenwache nach jüdischer Tradition halten, was natürlich dazu führt, dass die gar nicht so gläubige Familie, die uns als dysfunktional vorgestellt wird, über alte und neue Probleme reden muss.
„Sieben verdammt lange Tage“ ist gut besetzt. Jason Bateman als gerade entlassener und getrennt lebender Radio-Producer (seine Frau schlief mit seinem Boss), der jetzt nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Tina Fey, Adam Driver und Corey Stoll als seine Geschwister. Jane Fonda (Die soll Jahrgang 1937 sein? Niemals.) als Mutter mit vergrößerter Brust und die ihre Kinder als Studienobjekte für ihre populären Erziehungsratgeber benutzte. In Nebenrollen sind unter anderem Rose Byrne als Batemans alte und neue Freundin und Timothy Olyphant als verblödeter, aber sehr verständnisvoller Nachbar und Ex-Freund von Tina Fey dabei.
Es ist auch gut inszeniert von Shawn Levy (Real Steel, Prakti.com). Jonathan Troppers Drehbuch schmeckt die dramatischen und die komödiantischen Teile in dieser in Richtung harmonieseliger RomCom gehenden Familienzusammenführung ordentlich ab.
Aber die Charaktere, die alle in einem luftleeren Raum abseits von all den normalen Alltagsproblemen lebten, interessierten mich niemals wirklich. Auch die Prämisse wirkte arg ausgedacht. Immerhin versteht die Familie sich gut und sie traf sich in den vergangenen Jahren sicher zum üblichen Thanksgiving-Dinner und dem gemeinsamen Weihnachts-/Silvesterurlaub. Immerhin leben sie doch in und um Long Island, New York, ziemlich nah beieinander.
„Sieben verdammt lange Tage“ ist kein schlechter, aber ein uninteressanter Film.
Für die beiden Pariser Teenager Léa und Adrien ist schon die Hinfahrt im Zug eine Tortur, die ihren Höhepunkt erreicht, als sie erfahren, dass das Gut ihres Großvaters ab von jeglicher Zivilisation mitten in der Einöde liegt und dass es dort keinen Handy-Empfang gibt (gut, das Problem wird später gelöst). Für ihren jüngeren, gehörlosen Bruder Théo ist die Zugfahrt wohl eher der Beginn eines großen Abenteuers. Und für ihren Großvater Paul (Jean Reno als grumpy old man) ist der Besuch auch eine höchst unwillkomme Unterbrechung seines geruhsamen Landlebens zwischen Olivenbäumen und funktionierendem Alkoholiker, der sich vor Ewigkeiten so heftig mit seiner Tochter zerstritt, dass er seine Enkelkinder noch nicht gesehen hat.
Dennoch verleben sie einen schönen „Sommer in der Provence“, in dem Léa sich in einen schönen Reiter und Pizzabäcker (mit Nebeneinkommen) verliebt, während ihr Bruder ein Auge auf die ebenfalls etwas ältere Dorfschönheit und Eisverkäuferin wirft. Sie treffen auch, via einer von Adrien gefakten Facebook-Einladung, die alten Freunde von Paul und seiner Frau Irène. Eine Bande echter Rocker. Jedenfalls im Sommer. In den anderen Jahreszeiten gehen sie bürgerlichen Berufen nach. Gemeinsam erinnern sie sich am Lagerfeuer an ihre Jugend, die so um 68 rum war, inclusive einem Besuch des legendären Woodstock-Festivals.
In der Realität hätten die Franzosen damals wohl eher das unbekanntere Isle-of-Wight-Festival besucht, aber diese kleine Ungenauigkeit ändert nichts daran, dass jetzt die 68er alt werden und damit auch neue Themen in das typisch französische „Die Familie verbringt einen Sommer auf dem Land“-Komödie gelangen.
Davon abgesehen ist Rose Boschs „Ein Sommer in der Provence“ die diesjährige Ausgabe dieses Genres, in dem die Familie einen Urlaub auf dem Land macht, die Teenager sich verlieben, die Generationen sich etwas streiten und versöhnen und es viele kleine Episoden für jeden Geschmack gibt. So ist „Ein Sommer in der Provence“ ein luftiger Ensemblefilm, der keinen Protagonisten und keine eindeutige Erzählperspektive hat. Diese Positionslosigkeit im Erzählerischen kann man dem Film vorwerfen, oder sich einfach von den Schönheiten der Landschaft verzaubern lassen.
Nachdem seine Freunde in einem Hotelzimmer ermordet wurden, geht Benjamin (Tom Schilling) zur Europol-Cybercrime-Polizistin Hanne Lindberg (Trine Dyrholm), um ihr alles über die von ihm mitgegründete und polizeilich europaweit gesuchte Hackergruppe CLAY (Clowns laughing @ You) zu erzählen. Gemeinsam machten er und seine Kumpels Max (Elyas M’Barek), Stephan (Wotan Wilke Möhring) und Paul (Antoine Monot, Jr.) etliche Anonymus-Aktionen, die meistens mit einem Einbruch oder mindestens einem Hausfriedensbruch und Benjamins überragenden Computerkenntnissen durchgeführt wurden, gerieten in Kontakt mit der Russian Cyber-Mafia und in den Fokus der Polizei, die sie unerbittlich als Großverbrecher verfolgte.
Das klingt jetzt, nach Wikileaks und den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden, wie ein schlecht ausgedachter Scherz und genauso unglaubwürdig wirkt dann auch der gesamte Thriller „Who am I – Kein System ist sicher“ mit seinen eindimensionalen, sich unlogisch verhaltenden Charakteren, die wir immer durch Benjamins Augen sehen. Denn fast der gesamte Film besteht aus Benjamins Geständnis.
Für mich hörte sich Benjamins Geschichte allerdings von der ersten bis zur letzten Minute wie eine schlecht ausgedachte Kolportage aus Schlagzeilen und pubertärer Phantasie an, die eine erfahrene Polizistin niemals glauben würde. Das ist allerdings die Voraussetzung dafür, dass sie später Benjamin hilft und die doppelte Schlusspointe funktioniert. Wobei die erste Pointe Benjamins oft vollkommen unglaubwürdige Geschichte erklärt und die zweite ein netter Abschluss eines vermurksten Films über Hacker, Cybercrime, Lug und Trug ist.
Besser man sieht sich noch einmal „Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt“ an. Da gibt es auch atmosphärische Berlin-Bilder und einen glaubwürdigeren Einblick in das Hacker-Leben.
mit Greta Gerwig, Mickey Sumner, Michael Esper, Adam Driver, Michael Zegen, Charlotte d’Amboise, Crace Gummer, Justine Lupe, Patrick Heusinger, Christine Gerwig, Gordon Gerwig
Zwischen schneuzen und husten und nach einem Brüssel-Ausflug, bei dem ich, vor allem im Zug, viel weniger tun konnte, als ich tun wollte, gibt es jetzt einige Kurzkritiken zu den Neustarts der Woche:
„Sabotage“ heißt der neue Arnold-Schwarzenegger-Film. Er spielt John „Breacher“ Wharton, den Leiter eines Special Operations Team der Anti-Drogen-Behörde DEA. Mit seinem Team klaut er bei einem Einsatz gegen einen Drogenbaron zehn Millionen Dollar. Dummerweise ist das Geld, als sie es abholen wollen, verschwunden. Die Untersuchung der Internen Ermittler, die vermuten, dass Breachers Team Geld geklaut hat, überstehen sie, aber danach beginnt jemand sie der Reihe nach umzubringen.
David Ayer, der auch „Training Day“, „Dark Blue“, „Street Kings“ und „End of Watch“ machte, inszeniert Arnold Schwarzenegger. Das weckt Erwartungen, die der Film in keiner Sekunde erfüllt. Anstatt eines intelligenten Noir-Cop-Thrillers ist „Sabotage“ ist ein dumpfes Macho-Abenteuer (auch die einzige Frau in Breachers Team ist ein Vorzeigemacho), das seine wahre Heimat irgendwo im TV-Spätprogramm hat.
Denn der Gegner ist ohne Gesicht, die Konflikte im Team sind banal, ihre nie glaubwürdige Kameradie peinlich dick aufgetragen, die Handlung schleppt sich zäh wie erkaltete Lava vor sich hin. Nein, das alles hat man schon unzählige Male besser gesehen in unzähligen Cop-Thrillern, auch von Ayer, oder der grandiosen TV-Serie „The Shield“, die ähnliche Themen ungleich gelungener durchbuchstabiert. Dass der Film nicht, wie Ayers vorherige Filme, in Los Angeles, sondern in Atlanta, Georgia, spielt, erfährt man durch einige Wald- und Brückenbilder. Dabei lebten Ayers bisherige Filme gerade von seiner symbiotischen Beziehung zwischen Handlungsort und Filmgeschichte. „Sabotage“ könnte dagegen überall spielen.
Nein, von dem Team Ayer-Schwarzenegger hatte ich mehr erwartet. So ist „Sabotage“ der schlechteste Film von Arnold Schwarzenegger nach seiner politikverordneten Pause und ein Werk der verschenkten Möglichkeiten.
„Super-Hypochonder“ ist der neue Film der „Willkommen bei den Sch’tis“-Macher und während mir die Prämisse von „Willkommen bei den Sch’tis“ zu altmodisch und damit für einen zeitgenössischen Film zu weit hergeholt war, hat mir „Super-Hypochonder“ wesentlich besser gefallen. Dabei basiert auch diese Geschichte in der guten alten Komödien- und Klamauk-Tradition der fünfziger und sechziger Jahre: Romain Faubert ist der titelgebende Superhypochonder, dessen sozialen Kontakte sich hauptsächlich auf seine Treffen mit seinem Arzt Dr. Dimitri Zvenka beschränken. Der will jetzt seinen besten Patienten, der kerngesund ist, endlich loswerden. Die Idee mit einer Freundin schlägt fehl. Als er ihn mit zu einem Flüchtlingsschiff schleppt, auf dem er und andere Ärzte ehrenamtlich die Flüchtlinge medizinisch versorgen, geraten die Dinge außer Kontrolle. Faubert wird nach einem dummen Zufall für Anton Miroslav, den Anführer der Revolution in Tscherkistan gehalten – und Zvenkas revolutionsbegeisterte Schwester Anna verliebt sich sofort in den sympathischen Revolutionär, den sie, vor seinen Verfolgern, bei sich zu Hause versteckt.
Der Revolutionär versteckt sich währenddessen, schwer verletzt, in Fauberts Wohnung und ist von der gut ausgestatteten Hausapotheke begeistert. Natürlich fliegt der Schwindel auf. Dennoch wird Faubert nach Tscherkistan ausgeliefert.
Ein kurzweiliger Klamauk.
Und dann gibt es noch zwei Biopics.
In „Spuren“ wird die Geschichte der 27-jährigen Robyn Davidson erzählt, die 1977 mit vier Kamelen in neun Monaten die australische Wüste von Alice Springs bis zum Indischen Ozean durchquerte. Die Reportage über ihre Reise wurde zu einem Verkaufserfolg für das „National Geographic“-Magazin. Ihr kurz darauf geschriebenes Buch ein Bestseller.
Der Film selbst ist eine höchst zwiespältige Angelegenheit. Denn den Machern gelingt es nie, zu zeigen, warum Davidson die gefährliche Reise unternimmt. In den anderen Ein-Personen-Stücken, die in letzter Zeit im Kino liefen, wie „Buried“, „Gravity“ und „All is Lost“ war das klar: der Protagonist wollte überleben. Aber bei Davidson ist es unklar. Am Filmanfang sagt sie, fast schon schnippisch: „Warum nicht?“ Denn warum soll eine Frau nicht auch eine Reise unternehmen können, wenn ein Mann das kann? Ein guter Punkt, der allerdings nicht über einen ganzen Film trägt, sondern, als Gegenfrage, eine klassische Nicht-Antwort ist.
Außerdem scheint in „Spuren“ die einsame Wüste ein Ort des Lebens zu sein. Denn es gibt kaum eine Szene, in der Davidson allein ist. Immer wieder trifft die Frau, die die Einsamkeit sucht, Menschen. Aber auch aus diesem Konflikt schlägt der Film keine dramaturgischen Funken.
Immerhin gibt es einige schöne Landschaftsaufnahmen und Mia Wasikowska in der Hauptrolle.
In „Die Poetin“ ist dagegen die dramaturgische Klammer sehr deutlich: „The art of losing isn’t hard to master.“
Es ist die erste Zeile von Elizabeth Bishops Gedicht „The art of losing“ und der Film erzählt, wie sie das lernte: 1951 ist sie in einer Schaffenskrise. Als sie mit diesem Gedicht nicht weiterkommt, entschließt sie sich zu einer Reise. In Rio de Janeiro besucht sie ihre alte Studienfreundin Mary, die mit Lota de Macedo Soares liiert ist. Die burschikose Architektin kann zuerst nichts mit der sanften Dichterin und ihrem elitärem Künstlergehabe anfangen. Sie verlieben sich dann doch ineinander und der Film zeichnet ihre Beziehung, die am Anfang auch eine lesbische Dreiecksbeziehung ist, nach.
Lota de Macedo Soares (1910 – 1967) schuf später den zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Flamengo Park in Rio de Janeiro.
Elizabeth Bishop (1911 – 1979) erhielt 1956 den Pulitzer-Preis für ihrem Gedichtzyklus „North & South – A Cold Spring“. Weitere wichtige Literaturpreise folgten.
Konventionell, fast schon unterkühlt inszeniert, bietet das Biopic, das sich auf Bishops fünfzehnjährigen Aufenthalt in Brasilien konzentriert, einen gelungenen Einblick in das Leben von zwei Frauen – und wie Bishop „the art of losing“ erlernte.
mit Greta Gerwig, Mickey Sumner, Michael Esper, Adam Driver, Michael Zegen, Charlotte d’Amboise, Crace Gummer, Justine Lupe, Patrick Heusinger, Christine Gerwig, Gordon Gerwig
Joel und Ethan Coen setzen ihre filmische Geschichtsstunde fort. Nach, zuletzt, dem Wilden Westen („True Grit“) und der Vorstadt-Provinz in den Sechzigern („A Serious Man“) verschlägt es sie jetzt in die frühen sechziger Jahre nach Greenwich Village, New York, in die dortige Folkszene, die durch Bob Dylan weltweit bekannt wurde. Und Llewyn Davis, der Protagonist von „Inside Llewyn Davis“, erinnert natürlich sofort an Bob Dylan. Nur dass er unbekannt und chronisch erfolglos ist.
Aber der naheliegende Bob-Dylan-Vergleich führt auf die falsche Fährte. Denn die Coens inszenierten nicht die Geschichte des erfolglosen Bruders von Dylan, wie Woody Allen es 1999 in „Sweet and Lowdown“ tat, als Sean Penn Emmet Ray, den besten Jazzgitarristen nach Django Reinhardt spielte und eine vergnügliche Chronik der dreißiger Jahre entwarf. „Inside Llewyn Davis“ ist eine sehr detailgetreue Chronik der Greenwich-Village-Folkszene, bevor sie zum Geschäft wurde und bevor Bob Dylan dort 1961 eintraf. Seine ersten Konzerte gab er erst nach dem Ende des Films. Damals bemühten die Folksänger sich, die Originale möglichst genau nachzuspielen. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft, die den Kommerz verachtete und sich selbst genügte. Auch Llewyn Davis (Oscar Isaac) predigt die reine Lehre, ist chronisch pleite, schläft sich deswegen durch die Wohnungen seiner Freunde und Bekannten und ist trotzdem irgendwie zufrieden. Immerhin kann er die Musik spielen, die er liebt und er schlägt sich mehr schlecht als recht durch.
Am Filmanfang wird er im Winter 1961 nach einem Konzert in der Gasse hinter dem Gaslight Café von einem rauchendem Unbekannten, von dem wir nur die Silhouette erkennen, zusammengeschlagen und seine Odyssee, in der es für ihn immer schlimmer wird, beginnt. Zuerst entkommt die heißgeliebte Katze der Gorfeins, zwei schöngeistige Akademiker, bei denen er die Nacht auf der Couch verbrachte, aus deren Wohnung. Er findet sie zwar, muss sie aber den halben Film als unnützen Ballast mitnehmen. Sein Plattenproduzent schenkt ihm einen Karton mit seinen unverkäuflichen LPs. Mit Jim (Justin Timberlake) und Al (Adam Driver) kann er den Song „Please, Mr. Kennedy“ aufnehmen. Davis hält ihn zwar für einen kitschigen Polit-Song, aber das Publikum liebt ihn. Von dem Erfolg hat er allerdings nichts, weil er gleich nach der Aufnahme zugunsten eines festen Honorars auf eine Beteiligung an zukünftigen Tantiemen verzichtete. Seine Schwester und seine Freundin fordern ihn auf, sein Leben zu ändern. Also macht er sich auf den Weg nach Chicago zu dem einflussreichen Musikproduzenten Bud Grossman (F. Murray Abraham). Auf der Hinfahrt – er beteiligt sich an einer Fahrgemeinschaft – wird er von dem Autobesitzer Roland Turner (John Goodman) ohne Unterlass herabgesetzt. Denn für einen echten Jazzmusiker ist Folk keine Musik.
Formal ist „Inside Llewyn Davis“ wie ein Folksong strukturiert. Es gibt die erste Strophe, in den nächsten Strophen wird alles immer schlimmer für den Protagonisten und am Ende wird die erste Strophe wiederholt. So ist auch Davis am Filmende wieder im Gaslight Café, singt seine Lieder und wird in der Gasse wieder von dem unbekannten Mann, der uns natürlich an den Teufel (bzw. den Mann, mit dem Bluesmusiker Robert Johnson seinen legendären Pakt schloss) erinnert, vermöbelt. Den Film können wir jetzt als Alptraum von Llewyn Davis sehen. Oder als einen selbstironischen Song von ihm über sein Leben. In jedem Fall ist er ein sehr genaues Porträt der Greenwich-Village-Folkszene in der Prä-Bob-Dylan-Ära und eine Liebeserklärung an die Folkmusik. Denn die Coens lassen die Schauspieler, die die Songs auch alle sangen, die Songs vollständig spielen und sie zeigen immer die gesamte Performance des Liedes.
Am Ende, bevor Llewyn Davis dem Mann in der Gasse begegnet, zeichnet sich dann unscharf im Bildhintergrund die Zukunft ab, wenn ein Folksänger sich näselnd über seine Gitarre beugt und lossingt.
Kurz gesagt: „Inside Llewyn Davis“ ist das neue Meisterwerk der Coen-Brüder und eine Liebeserklärung an die Folk-Music. Ein herzerwärmender Film, auch wenn Llewyn Davis für den kalten New Yorker Winter viel zu dünn gekleidet ist.
Inside Llewyn Davis (Inside Llewyn Davis, USA/Frankreich 2013)
Regie: Ethan Coen, Joel Coen
Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen
mit Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman, Garrett Hedlund, Justin Timberlake, Adam Driver, Max Casella, F. Murray Abraham
Frances – oder sollte ich Greta Gerwig sagen? Denn selten verschwimmt ein Schauspieler so mit ihrem Charakter (oder wir wünschen es uns), wie Greta Gerwig mit Frances in „Frances Ha“. Woody Allen fällt einem ein. Auch bei ihm ist ja unklar, wie sehr er er selbst oder der Charakter „Woody Allen“ ist.
Sie ist eine 27-jährige, in New York lebende Tänzerin, die gerne eine feste Anstellung in einer Tanzcompanie hätte und weiter mit ihrer besten Freundin Sophie (Stng-Tochter Mickey Sumner) zusammen wohnen würde. Und sie ist ein angenehm verpeilter Sonnenschein, der wenig Geld, aber viel Gottvertrauen und eine positive Weltsicht hat und nicht erwachsen werden möchte. Denn eigentlich ist ihr Leben und die vielen Umzüge, die dem Film auf den ersten Blick eine notdürftige Struktur verschaffen, okay. Sie ist zwar „undateable“, aber sie ist auch nicht wirklich auf der Suche nach dem Traummann. Gleich am Anfang verlässt sie ihren Freund, weil sie lieber weiter mit Sophie zusammen wohnt.
„Greenberg“-Regisseur Noah Baumbach, der auch die Drehbücher für die Wes-Anderson-Filme „Die Tiefseetaucher“ und „Der fantastische Mr. Fox“ mitschrieb, verfolgt Frances in seiner episodischen, in Schwarz-Weiß gedrehten New-York-Komödie ein gutes Jahr, das sie meistens in New York in verschiedenen Wohnungen verbringt, weil Sophie ihren Mann fürs Leben gefunden hat, ausgezogen ist und Frances sich die Wohnung nicht mehr leisten kann.
Sie besucht, in einer etwas kurz geratenen Episode, über die Weihnachtstage ihre Eltern, die von Gerwigs Eltern gespielt werden, in ihrem Geburtsort Sacramento. Und sie fliegt für ein Wochenende nach Paris, das hier nicht die Stadt der Liebe, sondern der Einsamkeit ist. Dieser Kurztrip ist etwas ziellos und auch dramaturgisch unnötig.
Es gibt eine kurze, viel zu plötzlich kommende Depri-Phase, die etwas außerhalb des restlichen Tons des Films steht und zu sehr außerhalb ihres Charakters ist, was sie am Ende eines Monologs auch selbst sagt.
Der Ausflug zu ihrer alten Universität in Poughkeepsie ist dagegen gelungen, auch um die Fäden für ihre Rückkehr nach New York zusammenzubinden, und das Ende in New York versöhnt.
Baumbachs Feelgood-Movie erinnert an die Nouvelle Vague, an Woody Allens Filme, vor allem natürlich an sein SW-Meisterwerk „Manhattan“ und die Filme von Charlie Chaplin, bei dem auch unklar war, wie sehr er der von ihm gespielte Tramp war und der wahrscheinlich ein besserer Tänzer als Frances war. Doch der Tonfall, die Stimmungswechsel, die Improvisationsfreude (wobei das alles schon in Baumbach und Gerwigs Drehbuch stehen soll) und die weitgehend unbekannten Schauspieler erinnern dagegen an die Nouvelle Vague, an Filme von Francois Truffaut, Eric Rohmer und Jean-Luc Godard, die keine Stars engagierte, sondern Filmstars machten.
Es gibt witzige Dialoge, passend eingesetzte Musik und ein Gefühl überschäumender Lebensfreude, auch wenn die Umstände nicht so rosig sind. Das alles fügt sich so locker zusammen, dass kaum auffällt, wie genau durchstrukturiert der Film ist und wie viel zusammenhängende, aufeinander aufbauende Geschichte sich in den einzelnen Episoden, die wie zufällig aneinandergereihte Beobachtungen wirken, verbirgt.
Aber eigentlich ist die Story egal, weil man einfach gerne mit Frances und ihren männlichen und weiblichen Freunden zusammen ist. Es ist wie ein Besuch in einer netten WG.
Frances Ha (Frances Ha, USA 2012)
Regie: Noah Baumbach
Drehbuch: Greta Gerwig, Noah Baumbach
mit Greta Gerwig, Mickey Sumner, Michael Esper, Adam Driver, Michael Zegen, Charlotte d’Amboise, Crace Gummer, Justine Lupe, Patrick Heusinger, Christine Gerwig, Gordon Gerwig