mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Kenneth Branagh, Benny Safdie, Dylan Arnold, Gustaf Skarsgård, David Krumholtz, Matthew Modine, David Dastmalchian, Tom Conti, Casey Affleck, Rami Malek, Jason Clarke, Alden Ehrenreich, Dane DeHaan, Gary Oldman, James Remar, James D’Arcy, Matthias Schweighöfer
Der in den USA studierende Pelle lädt seine Mitstudierenden ein, an dem nur alle neunzig Jahre stattfindendem Mittsommerfest seiner Gemeinde teilzunehmen. Sie begeben sich in die schwedische Einöde und erleben dort freundliche Eingeborene, drogengeschwängerten Freigeist und mittelalterliche Mystik. Dass es sich dabei um ein Opferritual handelt, ignorieren sie.
Extrem langsam, in wunderschönen Bildern erzählter Mix aus Folk Horror und Ingmar Bergman. Das ist, in der richtigen Stimmung genossen, ein beeindruckender Horrorfilm der anderen Art. In der falschen Stimmung ist dann sogar das Beobachten trocknender Farben spannender.
Es geht doch. Nachdem ungefähr alle Marvel-Filme seit dem Ende der Infinity-Saga und dem Riesenerfolg von „Avengers: Endgame“ mehr oder weniger große Enttäuschungen waren und auch jetzt, weit in der sogenannten Multiverse-Saga, immer noch kein Zusammenhang zwischen den einzelnen Filmen erkennbar ist, wird mit „Thunderbolts*“, dem 36. MCU-Film und dem sechsten und finalen Film der fünften Phase, ein kurzweiliger und insgesamt sehr gelungener Superheldenfilm präsentiert.
Wie Marvel-Fans wissen, fassen die Macher im Marvel Cinematic Universe (MCU) ihre Filme zusammen in mehrere Filme umfassende Phasen und diese wiederum in einer mehrere Phasen umfassenden Saga zusammen. Damit wird zwischen den Filmen ein Zusammenhang und eine mehrere Filme umfassende Kontinuität hergestellt; auch weil die Helden eines Filmes mehr oder weniger umfassende Gastauftritte in anderen Filmen haben und Ensemblemitglieder mehr oder weniger oft in anderen Filmen mitspielen. Das führte zu einer gelungenen Balance zwischen Einzelfilmen, einer größeren Welt, in der alles spielt, und sich über mehrere Filme entwickelnden Plots. Es war eine Balance zwischen ’neu‘ und ‚vertraut‘.
In der Multiverse-Saga wurde diese Balance in die Tonne getreten. Neue Helden wurden in Einzelfilmen pompös eingeführt und anschließend links liegen gelassen. Ein Zusammenhang zwischen den Filmen ist nicht mehr erkennbar.
Inzwischen vermute ich, dass das Label Multiverse-Saga nicht für einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen den Filmen steht, sondern dass die propagierte Existenz verschiedener Universen einfach dazu dient, voneinander vollkommen unabhängige Geschichten zu erzählen, die in verschiedenen Welten spielen. So wie die in in Berlin spielenden „Tatorte“, außer dem Handlungsort, nichts mit „Ein starkes Team“ zu tun haben.
Und so hat „Thunderbolts“ nur sehr, sehr lose etwas mit den vorherigen Filmen und Streamingserien, die zum vollen Verständnis der Filme auch angesehen werden sollten, zu tun. Die Geschichte von Yelena Belova, der Schwester der verstorbenen „Black Widow“ Natasha Romanoff (erster Film der vierten Phase, Auftakt der Multiverse-Saga, aber eigentlich ein Nachschlag zur Infinity-Saga), wird weiter erzählt und in einem Satz wird erwähnt, dass der vorherige Präsident zum Red Hulk wurde (was wir in „Captain America: Brave New World“ erleiden mussten).
Yelena Belova (Florence Pugh) arbeitet jetzt für die CIA-Direktorin Valentina Allegra de Fontaine (Julia Louis-Dreyfus). Davor war sie leitendes Mitglied eines Unternehmens in schief gelaufene Superhelden-Experimente involviert. Jetzt, mit einem Kongressausschuss im Nacken, will sie die Beweise für diese Experimente vernichten.
Dafür schickt sie, unabhängig voneinander, vier ihrer Auftragskiller zu einem einsam in der Wüste gelegenem Labor. Als die vier Killer in dem unterirdischen Labor aufeinander treffen und Taskmaster (Olga Kurylenko) von einem von ihnen getötet wird, erkennen sie, dass sie von de Fontaine beauftragt wurden, sich gegenseitig zu töten. In dem Labor treffen Yelena, ‚Captain America‘ John Walker (Wyatt Russell) und ‚Ghost‘ Ava Starr (Hannah John-Kamen) außerdem auf einen jungen, offensichtlich desorientierten Mann, der sich Bob (Lewis Pullman) nennt.
Gemeinsam beschließen sie gegen de Fontaine zu kämpfen. Und weil die verbrecherische CIA-Chefin über das gesamte Militär und Spezialeinheiten verfügen kann, sind sie froh über die Hilfe von ‚Red Guardian‘ Alexei Shostakov (David Harbour) und ‚Winter Soldier‘ Bucky Barnes (Sebastian Stan). Was sie in dem Moment noch nicht wissen, ist, dass sie in New York gegen eine noch größere Gefahr, die die Welt vernichten kann, kämpfen müssen.
Viele der Mitglieder der Thunderbolts sind aus früheren MCU-Filmen als mehr oder weniger wichtige Nebenfiguren mehr oder weniger bekannt. Dieses Wissen erhöht sicher das Vergnügen an ihren Auftritten in „Thunderbolts*“. Alle anderen erhalten die nötigen Informationen schnell durch ihre Taten und ihre Unterhaltungen. Denn diese Gruppe, die irgendwo zwischen den edlen „Avengers“ und der eindeutig derangierten, aus Verbrechern bestehenden „Suicide Squad“ angesiedelt ist, ist eine ziemlich okaye Gruppe einsamer Menschen, die mit Teilen ihrer Vergangenheit hadern und eigentlich nur gemocht werden wollen.
Das, also Einsamkeit, die Angst vor Zurückweisung und die Suche nach Gemeinschaft, ist dann auch das in jeder Figur und jeder Szene konsequent durchgezogene Thema des Films. Sie machen als Individuum und als Gruppe während des Films eine Entwicklung durch. Die beiden Bösewichter des Films haben für ihre Schandtaten jeweils ein eindeutig nachvollziehbares Motiv und sie bleiben, im Gegensatz zu vielen früheren MCU-Bösewichtern, auch über den Abspann hinaus im Gedächtnis. Entsprechend nachvollziehbar ist die Filmgeschichte, die eine gelungene Balance zwischen intimen Szenen und großen Actionszenen findet. Das Finale gestaltet sich dann – zum Glück – anders als gewohnt. Dazu gehört auch, dass hier gezeigt wird, wie die Superhelden Menschen vor dem sicheren Tod retten. In früheren MCU-Filmen wurden ja regelmäßig Millionstädte zerstört, aber nie gezeigt, dass dabei jedes Mal als vernachlässigbarer Kollateralschaden tausende Menschen starben.
„Thunderbolts*“ ist nicht nur der beste MCU-Film seit langer Zeit, sondern auch ein guter Film, der sehr gut für sich allein steht.
Es gibt zwei Abspannszenen, die ich beide nicht so toll fand. Die eine ist ein missglückter Gag. Die andere…so etwas wie eine Vorschau auf möglicherweise kommende Ereignisse.
Thunderbolts* (Thunderbolts*, USA 2025)
Regie: Jake Schreier
Drehbuch: Eric Pearson, Joanna Calo (nach einer Geschichte von Eric Pearson)
mit Florence Pugh, David Harbour, Sebastian Stan, Hannah John-Kamen, Olga Kurylenko, Wyatt Russell, Lewis Pullman, Julia Louis-Dreyfus, Geraldine Viswanathan
The Commuter (The Commuter, USA/Großbritannien 2017)
Regie: Jaume Collet-Serra
Drehbuch: Byron Willinger, Philip de Blasi
Auf der Heimfahrt wird der gerade entlassene Versicherungsvertreter, Ex-Cop und Berufspendler Michael MacCauley von einer schönen, ihm unbekannten Frau angesprochen. Sie bietet ihm eine Menge Geld, wenn er im Zug eine Person aufspürt. Nachdem MacCauley eine Anzahlung eingesteckt hat, bemerkt er, dass er in eine Falle getappt ist. Denn wenn er jetzt nicht seinen Teil des Deals erfüllt, sterben Menschen.
Die vierte Zusammenarbeit von Jaume Collet-Serra und Liam Neeson (nach „Unknown Identity“, „Non-Stop“ und „Run all Night“) bietet gewohnt gut abgehangenes Thriller-Entertainment mit einer ordentlichen Portion Action, einer vertrauten Geschichte, die mit etlichen überraschenden Twists hochenergetisch präsentiert wird und einem beachtlichen, spielfreudigem Ensemble.
mit Liam Neeson, Vera Farmiga, Patrick Wilson, Sam Neill, Elizabeth McGovern, Jonathan Banks, Florence Pugh, Andy Nyman, Killian Scott, Shazad Latif, Roland Moller, Kobna Holdbrook-Smith, Colin McFarlane
Paul Atreides, wieder gespielt von Timothée Chalamet, ist zurück. Und jetzt wird es etwas kompliziert. Denn „Dune: Part 2“ erzählt die Geschichte des ersten Teils weiter. Dabei umfasst der zweite Teil die zweite Hälfte von Frank Herberts Science-Fiction-Roman „Der Wüstenplanet“. Der 1965 im Original erschienene Roman ist ein SF-Klassiker, der seitdem immer erhältlich war. In unzähligen Romanen wurde seitdem die Geschichte des Wüstenplaneten weiter erzählt. Herberts Roman wurde zweimal verfilmt. Einmal in einer damals gefloppten, inzwischen legendären Verfilmung von David Lynch. Einmal als wohl okaye Mini-TV-Serie. Und jetzt von Denis Villeneuve, der sich um eine möglichst große Werktreue bemüht. Deshalb machte er aus den 800 Seiten des Romans auch keinen Zwei-Stunden-Film, sondern erzählt die Geschichte in zwei überlangen Filmen. Der erste Film ist 156 Minuten. Der zweite 166 Minuten. Zusammen sind das über fünf Stunden in denen er bildgewaltig und in epischer Breite und Zähigkeit die Geschichte von Paul Atreides erzählt. Er ist der Sohn von Herzog Leto Atreides und kraft seiner Geburt der künftige Herrscher des Hauses Atreides. Seine Familie hat vom Imperator als überaus wertvolles Lehen den Wüstenplaneten Arrakis erhalten. Auf dem Planeten gibt es den für die Raumfahrt wichtigen Treibstoff, der gleichzeitig eine bewusstseinserweiternde Droge ist.
Aber die vorherigen Lehnsherrn, das Haus der Harkonnen, wollen wieder die Macht über den Planeten zurück erlagen und ihn weiter rücksichtslos ausbeuten. Sie sind die skrupellosen Bösewichter der Geschichte. Um an ihr Ziel zu gelangen, ermorden sie Leto Atreides. Bevor sie Paul Atreides ermorden können, flüchtet er in die Wüste zu dem Wüstenvolk der Fremen.
In diesem Moment beginnt der zweite Teil, der erzählt, wie Atreides zum Anführer der Fremen wird und sie gegen das Haus der Harkonnen in den Kampf führt. Atreides wird von den Fremen schnell als der in alten Schriften prophezeite Messias gesehen wird. Er nimmt den Kampf um die Herrschaft über den Planeten auf.
Viel mehr Story hat „Dune: Part 2“ nicht. Und alles was ich an dem Roman („eine arg dröge Lektüre“) und dem ersten Teil („eine viel zu ehrfurchtsvolle Bebilderung der ersten Hälfte des Romans“) kritisierte, trifft auch auf den zweiten Teil zu. So erzählt „Der Wüstenplanet“ eine typische White-Savior-Geschichte, in der der Retter kraft seines Blutes und der göttlichen Prophezeiung als künftiger Herrscher vorherbestimmt ist. Die in der Zukunft spielende Gesellschaft ist eine mittelalterliche Ständegesellschaft, in der Planeten Lehnsbesitz sind. Die Parallelen zwischen dem in den Sechzigern geschriebenem Roman, den damaligen Ansichten und Konflikten sind offensichtlich und müssen hier nicht weiter ausgeführt werden. Das habe ich bereits zum Start des ersten Teils in meiner Buch- und Filmbesprechung getan.
Dazu kommen im zweiten Teil, in dem Villeneuve die zweite Hälfte des Romans bebildert, weitere Probleme. So ist die Geschichte eine zufällige Ansammlung von Szenen. Wie Atreides zum Führer der Fremen aufsteigt, ist nebulös. Anstatt die einzelnen Schritte zu zeigen, überspringt Villeneuve diese. Irgendwann reitet Atreides auf einem Sandwurm und ist danach der von alptraumhaften Visionen geplagte Anführer. Bei den Kämpfen wird nie erklärt, wie sehr ein Sieg die Fremen in ihrem Kampf gegen die Ausbeuter ihrem Ziel näherbringt. Es ist einfach nur eine plötzlich endende Actionszene ohne jeden Kontext, die mühelos mit einem späteren Kampf zwischen den tapferen Fremen und den gesichtslosen Harkonnen-Söldnern getauscht werden könnte. Es würde nicht auffallen. Dazwischen gibt es Szenen von Männern, die in die Wüste starren und auf Sandwürmer warten. Es gibt religiös gefärbten Mythenbrei. Es gibt Szenen, in denen die Schauspieler salbungsvolle Sätze in enervierender Langsamkeit von sich geben. Am Ende wird in den gut drei Stunden, die „Dune: Part 2“ dauert, wahrscheinlich weniger als in einem halben Film von Woody Allen gesprochen. Dafür darf Javier Bardem als tapferer Fremen-Krieger Stilgar in jedem zweiten Satz sagen, dass Atreides der Messias ist. Zunächst glauben seine Kampfgefährten ihm nicht und auch Atreides möchte noch nicht die Rolle des Messias annehmen. Weitere Stars, wie Josh Brolin, Austin Butler, Florence Pugh, Dave Bautista, Christopher Walken, Léa Seydoux, Stellan Skarsgård und Charlotte Rampling, haben teils nur kurze Auftritte. Darüber legt Hans Zimmer einen Ambient-Soundteppich, der vor allem aus bedeutungsschwangerem Brummen besteht, das in diesem Fall die Grenze zur Parodie schon lange überschritten hat.
Immerhin sehen die in der Wüste aufgenommenen Bilder gut aus, einige computergenierte Spezialeffekte sind gelungen und es immer erfreulich, einige Schauspieler im Kino zu sehen. Auch wenn sie in dem Film, außer ihrer Anwesenheit, nicht viel zu tun haben.
Das ändert nichts daran, dass Welt des Wüstenplaneten immer noch keine Welt für mich ist.
In aktuellen Interviews sagte Villeneuve, dass er das Drehbuch für einen dritten „Dune“-Film bereits fast fertig geschrieben habe. Der Film, basierend auf dem zweiten „Dune“-Roman „Der Herr des Wüstenplaneten“ (Dune Messiah, 1969), würde zwölf Jahre nach den in „Der Wüstenplanet“ geschilderten Ereignissen spielen. Wann „Dune Messiah“ verfilmt wird, ist unklar. Aber es dürfte keine zwölf Jahre dauern.
Dune: Part 2(Dune: Part 2, USA 2024)
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Denis Villeneuve, Jon Spaihts
LV: Frank Herbert: Dune, 1965 (Dune – Der Wüstenplanet)
mit Timothée Chalamet, Zendaya, Rebecca Ferguson, Josh Brolin, Austin Butler, Florence Pugh, Dave Bautista, Christopher Walken, Léa Seydoux, Souheila Yacoub, Stellan Skarsgård, Charlotte Rampling, Javier Bardem
Länge: 166 Minuten
FSK: ab 12 Jahre
–
Die Vorlage (mit dem aktuellen Cover)
Frank Herbert: Dune – Der Wüstenplanet
(übersetzt von Jakob Schmidt)
Heyne, 2024 (die Filmausgabe)
800 Seiten
12,99 Euro
–
Vor dem Filmstart erschien der Roman bereits in mehreren Übersetzungen und Ausgaben.
Ein verfilmter Wikipedia-Artikel – ein gern benutzter Vorwurf gegen Biopics die das Leben der porträtierten Person chronologisch, detailversessen und langweilig abhandeln – ist Christopher Nolans „Oppenheimer“ nicht. Ein guter Film ist das dreistündige Werk auch nicht.
Er erzählt, weitgehend chronologisch und mit vielen Stars (dazu später mehr) einige wichtige Momente aus dem Leben von J. Robert Oppenheimer, dem „Vater der Atombombe“. Cillian Murphy spielt ihn als hageren Kettenraucher. Es geht um seine Jahre als Leiter des Manhattan-Projekts während des Zweiten Weltkriegs. In Los Alamos, New Mexico, leitete er die Forschungen und Entwicklung der Atombombe. Es geht um die Sicherheitsanhörung, in der 1954 über seine Sicherheitsfreigabe, die ihm die Arbeit an geheimen Rüstungsprojekten ermöglicht, verhandelt wurde. Auch seine Zeit als Student und aufstrebender Wissenschaftler werden kurz beleuchtet. Nolan springt dabei, ohne die Zuschauer zu überfordern, in der Chronologie, zwischen Farbe und Schwarz-Weiß und zwischen Oppenheimers Berufs- und Privatleben hin und her. Auf Jahreszahlen und Ortsangaben verzichtet er, aber Oppenheimers Frisur gibt jederzeit deutliche Hinweise auf die Zeit.
Bis auf wenige Momente, in denen Nolan in Oppenheimers Kopf eintaucht, ist das Biopic ein normales Biopic mit sprechenden Männern und noch mehr sprechenden Männern, die anscheinend auf ihren Stühlen festgewachsen sind, und einigen prächtigen Landschaftsaufnahmen von New Mexico mit reitenden Menschen und fotogenen Sonnenauf- und -untergängen. Irgendwann sind die Forscher im Manhattan-Projekt, die wir eigentlich nie bei der Arbeit sehen, soweit, dass sie den Trinity-Test durchführen können. Diese erste Explosion einer Atombombe wurde schon vorher eifrig beworben. Nolan verzichtete auf computergenerierte Bilder. Also musste es eine echte Explosion geben, die im Film, nun, ziemlich wie eine normale Explosion aussieht. Nur, insgesamt, auch durch die Inszenierung, etwas imposanter.
Um die Bilder und die Kameraarbeit wurde vorher ebenfalls ein großes Bohei gemacht. Nolan und sein Kameramann Hoyte van Hoytema (u. a. die Nolan-Filme „Interstellar“, „Dunkirk“ und „Tenet“) drehten mit Großformatkameras und immer mit einer IMAX-Auswertung im Blick. Für die Schwarz-Weiß-Szenen entwickelte Kodak spezielles Filmmaterial. Das sind technische Aspekte, die mit der Qualität des Films letztendlich nichts zu haben.
Bei den Figuren wollte Nolan keine Filmfiguren erfinden, die aus mehreren realen Personen zusammengefügt sind. Dieser Verzicht auf Composite Characters führt dazu, dass er viele, sehr viele Schauspieler für teils nur sehr kurze Auftritte von ein, zwei Szenen engagieren musste. Er besetzte diese teils immer noch sehr bekannten Menschen, wie Niels Bohr und Werner Heisenberg, mit bekannten Schauspielern, die auch in sehr kurzen Auftritten von oft nur ein, zwei Szenen einen bleibenden Eindruck hinterlassen können. Und niemand würde Matt Damon mit Robert Downey Jr. (schwer erkennbar als Lewis Strauss) mit Kenneth Branagh mit Casey Affleck oder mit Matthias Schweighöfer (der in der Originalfassung etwas deutsch reden darf) verwechseln. Das erleichtert etwas die Orientierung im Wust der Kurzauftritte und auch das spätere Gespräch darüber.
Ein großer Teil des Films, mindestens ein Drittel, wahrscheinlich sogar viel mehr Filmzeit, beschäftigt sich mit zwei Anhörungen, die in den Fünfzigern stattfanden. Die eine ist die Sicherheitsanhörung von J. Robert Oppenheimer. In ihr wird 1954 über die Bestätigung seiner Sicherheitsgarantie verhandelt. Es ist, in einem anonymen, winzigem Besprechungszimmer, ein Schauprozess der übelsten Sorte. Ohne Publikum und ohne die Möglichkeit, sich zu verteidigen. Die andere Anhörung ist 1959 die von Lewis Strauss vor dem US-Senat. Er soll als Handelsminister bestätigt werden. In diesem Teil des Films geht es dann tief in die Hinterzimmer von Washington und die US-amerikanische Paranoia vor dem Kommunismus, die damals zum McCarthyismus führte. In langen Befragungen wird sich auf Details aus Oppenheimers Vergangenheit konzentriert, die ihn als einen Kommunisten überführen sollen. Wann er mal für eine gute Sache Geld spendete oder mit wem er sich irgendwann vor Jahren mal traf.
Nolan inszeniert diesen Reigen sprechender Köpfe, über die wir oft nichts wissen, als eine endlose Abfolge starrer Kameraeinstellungen, die mehr an einen durchschnittlichen TV-Gerichtsfilm als an einen großen Kinofilm erinnert. Wobei sogar jede Gerichtsszene in „Law & Order“ dynamischer inszeniert ist.
Er verzichtet auch auf eine Voice-Over-Kommentar, der Informationen, Hintergründe und Zusammenhänge vermitteln und Lücken der Erzählung ausfüllen könnte. Das muss dann der Wikipedia-Artikel erledigen.
Ärgerlich ist bei einem Film wie „Oppenheimer“, bei dem die Dialoge wichtig sind, Nolans Marotte, die Dialoge bis zur Unverständlichkeit in den restlichen Sound zu mischen. Da wären, wie bei seinem vorherigen Film „Tenet“, Untertitel hilfreich gewesen.
Alles das könnte verziehen werden, wenn Nolan sein Material im Griff hätte. Aber er reiht nur Episoden und Details aus Oppenheimers Leben aneinander. Am Anfang assoziativ und immer wieder in Oppenheimers Kopf, später weitgehend chronologisch und objektiv. Nolan lässt beim Erzählen von Oppeneimer Leben große Lücken. Die größte ist die zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den Jahren danach, in der Oppenheimer die Entwicklung der Wasserstoffbombe ablehnte. Er zerstritt sich darüber mit Lewis Strauss, dem damaligen Vorsitzenden der Atomenergiebehörde (Atomic Energy Commission, AEC). Strauss diffamierte ihn als möglichen sowjetischen Spion. Das führte zu der von Nolan in epischer Breite gezeigten Sicherheitsanhörung. Interessanter wäre es gewesen, wenn Nolan eben die Geschichte des Konflikts zwischen Oppenheimer und Strauss gezeigt hätte. Er zeigt nur einen kleinen, für sich genommen und ohne Hintergrundwissen kaum verständlichen Ausschnitt.
Die Frauen in Oppenheimers Leben bleiben schmückendes Beiwerk. Sein familiärer Hintergrund, Kindheit und Jugend werden ignoriert. Das wäre kein Problem, wenn Nolan aus Oppenheimers Leben einen wichtigen Abschnitt oder eine wichtige Entwicklung vollständig und nachvollziehbar erzählt hätte. So finden die wichtigsten Entwicklungen immer zwischen den Bildern statt.
„Oppenheimer“ ist Christopher Nolans schwächster Film. Nolans Drei-Stunden-Epos wirkt wie eine lieblos auf Spielfilmlänge zusammengeschnittene durchschnittliche TV-Serie.
Oppenheimer(Oppenheimer, USA 2023)
Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Christopher Nolan
LV: Kai Bird/Martin J. Sherwin: American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer, 2005 (J. Robert Oppenheimer – Die Biographie)
mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Josh Hartnett, Kenneth Branagh, Benny Safdie, Dylan Arnold, Gustaf Skarsgård, David Krumholtz, Matthew Modine, David Dastmalchian, Tom Conti, Casey Affleck, Rami Malek, Jason Clarke, Alden Ehrenreich, Dane DeHaan, Gary Oldman, James Remar, James D’Arcy, Matthias Schweighöfer (da könnte man ein Trinkspiel machen)
Länge: 181 Minuten
FSK: ab 12 Jahre (in den USA gab’s wegen nackter Tatsachen ein R-Rating. Die sind halt arg prüde.)
Der in den USA studierende Pelle lädt seine Mitstudierenden ein, an dem nur alle neunzig Jahre stattfindendem Mittsommerfest seiner Gemeinde teilzunehmen. Sie begeben sich in die schwedische Einöde und erleben dort freundliche Eingeborene, drogengeschwängerten Freigeist und mittelalterliche Mystik. Dass es sich dabei um ein Opferritual handelt, ignorieren sie.
Extrem langsam, in wunderschönen Bildern erzählter Mix aus Folk Horror und Ingmar Bergman. Das ist, in der richtigen Stimmung genossen, ein beeindruckender Horrorfilm der anderen Art. In der falschen Stimmung ist dann sogar das Beobachten trocknender Farben spannender.
Servus TV zeigt anscheinend die 150-minütige Kinofassung. Auf DVD/Blu-ray erschien eine ebenfalls vom Regisseur abgesegnete dreistündige Fassung des Films.
Der in den USA studierende Pelle lädt seine Mitstudierenden ein, an dem nur alle neunzig Jahre stattfindendem Mittsommerfest seiner Gemeinde teilzunehmen. Sie begeben sich in die schwedische Einöde und erleben dort freundliche Eingeborene, drogengeschwängerten Freigeist und mittelalterliche Mystik. Dass es sich dabei um ein Opferritual handelt, ignorieren sie.
TV-Premiere. Extrem langsam, in wunderschönen Bildern erzählter Mix aus Folk Horror und Ingmar Bergman. Das ist, in der richtigen Stimmung genossen, ein beeindruckender Horrorfilm der anderen Art. In der falschen Stimmung ist dann sogar das Beobachten trocknender Farben spannender.
3sat zeigt die 150-minütige Kinofassung. Auf DVD/Blu-ray erschien eine ebenfalls vom Regisseur abgesegnete dreistündige Fassung des Films.
The Commuter (The Commuter, USA/Großbritannien 2017)
Regie: Jaume Collet-Serra
Drehbuch: Byron Willinger, Philip de Blasi
Auf der Heimfahrt wird der gerade entlassene Versicherungsvertreter, Ex-Cop und Berufspendler Michael MacCauley von einer schönen, ihm unbekannten Frau angesprochen. Sie bietet ihm eine Menge Geld, wenn er im Zug eine Person aufspürt. Nachdem MacCauley eine Anzahlung eingesteckt hat, bemerkt er, dass er in eine Falle getappt ist. Denn wenn er jetzt nicht seinen Teil des Deals erfüllt, sterben Menschen.
TV-Premiere. Die vierte Zusammenarbeit von Jaume Collet-Serra und Liam Neeson (nach „Unknown Identity“, „Non-Stop“ und „Run all Night“) bietet gewohnt gut abgehangenes Thriller-Entertainment mit einer ordentlichen Portion Action, einer vertrauten Geschichte, die mit etlichen überraschenden Twists hochenergetisch präsentiert wird und einem beachtlichen, spielfreudigem Ensemble.
mit Liam Neeson, Vera Farmiga, Patrick Wilson, Sam Neill, Elizabeth McGovern, Jonathan Banks, Florence Pugh, Andy Nyman, Killian Scott, Shazad Latif, Roland Moller, Kobna Holdbrook-Smith, Colin McFarlane
Für sechs Oscars ist „Little Women“ nominiert. Unter anderem in den Kategorien „Bester Film“ und „Bestes adaptiertes Drehbuch“. Zugegeben: das sind wichtige Kategorien. Aber sie ignorieren Greta Gerwigs Leistung als Regisseurin. Denn wie es ihr gelingt, ihr Ensemble so unverkrampft natürlich zusammen spielen zu lassen und wie sie aus einem historischen Stoff einen in jeder Sekunde zeitgenössischen Stoff macht, ist phantastisch. Ihr Film spielt zwischen 1861 und 1868, aber er versprüht nie den Muff eines Kostümdramas. Sie ergeht sich auch nicht in trendigen Modernismen. Sie lässt die Zeit und das Leben der titelgebenden vier kleinen Frauen vor unseren Augen wieder auferstehen. Gerade wenn die Schwestern, die mit ihrer Mutter in einer kleinen Hütte zusammen leben, in einem Raum zusammen sind, sich unterhalten, amüsieren und leiden, fühlt man sich wie ein heimlicher Beobachter.
Die Filmgeschichte selbst ist, wie Louisa May Alcotts 1868 und 1869 in zwei Bänden als „Little Women“ und „Good Wives“ erschienene Romanvorlage, eine Ansammlung von Beobachtungen, Erzählungen und Ereignissen aus dem Leben der March-Schwestern Jo (Saoirse Ronan), Meg (Emma Watson), Amy (Florence Pugh) und Beth (Eliza Scanlen) an der Schwelle zum Erwachsenwerden in Neuengland. Es geht um ihren Alltag. Es geht um die Träume, die sie als Jugendliche haben und wie sie sie als Erwachsene umsetzen wollen. Es geht um ihre Beziehung zu dem deutlich vermögenderen und in einem Anwesen lebenden Nachbarn, ihre Freundschaften, die zu Liebschaften werden können (Wer ist nicht in Timothée Chalamet verliebt?) und einen fast tödlichen Unfall auf dem Eis. Damals gab es noch richtige Winter, in denen Seen zufroren, Schnee meterhoch lag und es an den Fenstern von kalten Zimmern Eisblumen gab.
Gerwig bearbeitete Alcotts umfangreiche, schon mehrmals verfilmte Vorlage frei. Sie erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen (1861 und 1868), zwischen denen sie flüssig und assoziativ wechselt. 1868 hat Jo, die schon immer eine Schriftstellerin werden wollte, ihre Erinnerungen an ihre Jugend aufgeschrieben und bietet sie einem Verleger an. Der wäre bereit, das Buch mit einigen kleinen Veränderungen zu drucken.
Durch diesen doppelt gebrochenen Blick zurück in die Jugend der March-Schwestern wird auch der Blick auf die damals gültigen gesellschaftlichen Konventionen und die Rolle der Frau geschärft. Denn egal welche Wünsche Jo, Meg, Amy und Beth haben und egal welche Ideen für ihr Leben sie in ihrer kleinen, herrschaftsfreien Kommune entwerfen, die Gesellschaft sieht keine davon als eine realistische Möglichkeit vor. Da ist letztendlich nur eine aus wirtschaftlichen Erwägungen erfolgte Heirat, in der sie von ihrem Mann abhängig ist, vorgesehen. Denn bei einer Heirat geht ihr Vermögen in das des Mannes über. Kein Wunder, dass die auf ihre Unabhängigkeit bedachte Jo nichts von einer Heirat hält.
Letztendlich ist „Little Women“, auch durch seine Struktur, eine austauschbare Ansammlung von Episoden. Daher erinnert man sich nach dem Film nicht an seine Geschichte, sondern an die Stimmung und das Zusammenspiel der Schauspielerinnen. Gerwigs zweiter Spielfiilm ist wie ein Abend mit guten Freunden. Auch wenn man am Ende nicht mehr genau sagen kann, worüber gesprochen wurde und warum die Zeit so schnell verging, weiß man, dass es gute Gespräche in guter Stimmung waren.
Little Women (Little Women, USA 2019)
Regie: Greta Gerwig
Drehbuch: Greta Gerwig
LV: Louisa May Alcott: Little Women, 1868/1869 (ursprünglich veröffentlicht in zwei Teilen als „Little Women“ und „Good Wives“) (Kleine Frauen)
mit Saoirse Ronan, Emma Watson, Florence Pugh, Eliza Scanlen, Timothée Chalamet, Laura Dern, Meryl Streep, Tracy Letts, Bob Odenkirk, James Norton, Louis Garrel, Chris Cooper
Letztes Jahr begeisterte Ari Aster mit seinem Debütfilm „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018), einem Horrorfilm, der sich nicht für das Teenie-Slasher-Kreisch-Publikum interessierte. Sein neuer Film „Midsommar“ ist wieder ein Horrorfilm, der sich wieder nicht an das eben erwähnte Publikum richtet und wieder etwas Sitzfleisch verlangt. Mit gut hundertfünfzig Minuten fällt „Midsommar“ ziemlich episch aus und, obwohl jetzt im Kino die vom Regisseur gewünschte Uncut-Kinofassung läuft, hat er schon einen längeren Director’s Cut angekündigt, der vielleicht einige der kleinen Lücken klärt, die entstehen wenn eine Figur plötzlich aus dem Film verschwindet oder ein Ereignis später nicht wieder aufgenommen wird. Diese 25 Minuten längere Fassung soll in Deutschland am 7. Februar 2020 als DVD und Blu-ray mit umfangreichem Bonusmaterial erscheinen.
Bis dahin gibt es die faszinierende Kinofassung, die in epischer Breite und beunruhigender Langsamkeit die Geschichte einiger US-Studierender erzählt, die einen Ausflug nach Schweden machen. Ihr Studienkollege Pelle hat sie zum so nur alle neunzig Jahre stattfinden Mittsommerfest seines Dorfes eingeladen. Christian und Mark wollen vor allem eine schöne Zeit verbringen. Josh will, wenn er dazu kommt, seine Abschlussarbeit über heidnische Kulte schreiben. Und Dani fährt wegen ihres Freundes Christian mit. Weil sie immer noch einen traumatisches Ereignis in ihrer Familie verarbeitet und entsprechend labil und anhänglich ist, ist keiner der Jungs von ihrer Anwesenheit begeistert. Aber nachdem Christian ihr von der Fahrt erzählte und sie seine pro-forma-Einladung akzeptierte, kann sie nicht mehr ausgeladen werden. .
In der Einöde werden sie und das britische Pärchen, das sie auf dem Weg zum Dorf aufgabelten, freundlich empfangen. Zuerst wird etwas geraucht. Danach wundern sie sich über die nicht untergehende Sonne und probieren auch andere lokale Rauschmittel aus, während sie die Gemeinschaft in ihrem an ein Ferienlager erinnerndes Hüttendorf in ihren altmodischen Kleidern bei den einzelnen Schritten des Rituals beobachten und auch daran teilnehmen. Die jungen Gäste genießen diese Mischung aus drogengeschwängertem Freigeist und mittelalterlichem Ritual. Dass es sich um ein Opferritual handelt, ignorieren die Studierenden. Dabei zeigen augenfällig platzierte Malereien ihnen schon früh den gesamten Ablauf des ausführlich gezeigten heidnischen Rituals.
Und Dani ist erfreut, dass nicht die Jungs, sondern sie im Mittelpunkt steht und vergöttert wird.
Ari Aster erzählt diese am helllichten Tag spielende Geschichte suggestiv, mit einprägsamen Bildern und Anordnungen von Menschen und Gegenständen, die an kunstvolle Zeichnungen erinnern. Weil die Geschichte in ihren groben Zügen absolut voraussehbar ist, kann und sollte man vor allem die Stimmung genießen. Es ist eine alptraumhafte Stimmung, die man als Folk Horror trifft Ingmar Bergman beschreiben kann. Und schon bei Bergman lag der wahre Horror in der Psyche und in den Beziehungen der Menschen zueinander.
Ich nahm mir auch die Zeit, mich zu fragen, wann und wie die Dorfbewohner die Zeit gefunden hatten, auf der Wiese immer wieder die Tische und Bänke so perfekt anzuordnen. Denn man sieht nie, wie sie die Tische auf den zentralen Festplatz tragen und später wegtragen.
Dafür sieht man sie bei ihren kultischen Handlungen, die ein munteres Mashup verschiedenster nordischer, englischer und deutscher Folklore-Traditionen, heidnischer Bräuche und US-amerikanischer Vorurteile über die alte Welt sind.
„Midsommar“ ist wie ein langsames Musikstück, das durch seine Atmosphäre in seinen Bann zieht. Dafür muss man in der richtigen Stimmung sein.
Midsommar (Midsommar, USA 2019)
Regie: Ari Aster
Drehbuch: Ari Aster
mit Florence Pugh, Jack Reynor, William Jackson Harper, Will Poulter, Vilhelm Blomgren, Gunnel Fred, Ellora Torchia, Archie Madekwe
In diesem Fall sagt der Spruch „Wenn Ihnen ‚Unknown Identity‘, ‚Non-Stop‘ und ‚Run all Night‘ gefallen haben, wird ihnen ‚The Commuter‘ gefallen“ alles. Denn die vierte Zusammenarbeit von Regisseur Jaume Collet-Serra und Liam Neeson liefert, wieder einmal, gut abgehangenes Thriller-Entertainment mit einer ordentlichen Portion Action, einer vertrauten Geschichte, die mit etlichen überraschenden Twists hochenergetisch präsentiert wird und einem beachtlichen, spielfreudigem Ensemble. Neben Liam Neeson sind Vera Farmiga, Patrick Wilson, Sam Neill und Elizabeth McGovern in oft kleinen, aber wichtigen Rollen dabei.
Neeson spielt Michael MacCauley, einen glücklich verheirateten Ex-Polizisten, der seit zehn Jahren in Manhattan als Versicherungsmakler arbeitet und jeden Tag aus den Suburbs in die Millionenstadt pendelt. Diese Monotonie des täglichen Pendelns zeigt Jaume Collet-Serra in den ersten Minuten in einer schönen Montage, die auch als eigener Kurzfilm funktioniert. Am Ende ist klar: MacCauley ist ein ganz gewöhnlicher, unauffälliger Mann mit ganz gewöhnlichen Problemen.
Heute erlebt er allerdings einen echten Scheißtag. Weil er nicht genug Versicherungen verkauft, wird der Sechzigjährige fristlos entlassen. Damit sind auch all seine finanziellen Pläne in Richtung Haus und Uni-Ausbildung seines Sohnes obsolet.
Auf der Heimfahrt sitzt ihm im Pendlerzug eine Frau (Vera Farmiga), die er noch nie in diesem Zug gesehen hat, gegenüber. Denn, und das wissen alle Pendler, mit den Jahren kennt man, jedenfalls vom Sehen, all die anderen Passagiere, die tagtäglich mit einem die Strecke fahren. Sie fragt ihn, was er täte, wenn er für eine kleine Gefälligkeit, die nicht ungesetzlich sei, eine große Menge Geld bekäme. Zum Beispiel die 25.000 Dollar, die im Zug-WC versteckt seien und eine Anzahlung auf die 100.000 Dollar seien, die er am Ende bekäme. Dafür müsse er nur eine Person identifizieren, die ebenfalls im Zug sitzt und an einem bestimmten Bahnhof aussteigt.
Natürlich hält MacCauley Joannas hypothetische Frage zuerst für einen Scherz.
Natürlich sucht er auf der Zug-Toilette das Geld, findet es und steckt es ein. Dass er jetzt auch die andere Seite des Deals ausführen muss und dass Joanna und ihre Hintermänner darauf bestehen, zeigen sie ziemlich schnell. Gleich als Warnung töten sie einen Menschen. Und sie sind bereit, weitere Menschen, auch MacCauleys Familie, zu töten, um MacCauley an seine Seite des Deals zu erinnern. Ein Teil des Deals ist, dass MacCauley niemand über seine Situation und seine Aufgabe informieren darf.
Notgedrungen beginn der auf sich allein gestellte MacCauley in dem Zug die unbekannte Person zu suchen. Gleichzeitig will er herausfinden, warum sie für die Verschwörer so wichtig ist und welche Rolle er in der Verschwörung spielen soll.
Während sich einige Hintergründe der Verschwörung, jedenfalls für den Genrejunkie, ziemlich schnell herauskristallisieren, rätselt man bis zuletzt, wer die Person ist, die MacCauley identifizieren soll und warum sie so wichtig ist. Denn Collet-Serra besetzte den Zug durchgehend mit unbekannten Schauspielern, die sich durch ihr Verhalten mehr oder weniger verdächtig machen. Die bekannten Schauspieler übernehmen dagegen Rollen wie Ex-Kollege und Ehefrau von MacCauley.
„The Commuter“ ist ein spannender Verschwörungsthriller mit etwas Old-School-Action, einem zugzerstörendem Finale, viel Suspense von der ersten bis zur letzten Minute und mehr als einem Hauch Hitchcock. Dabei gewinnen die Macher der bekannten Geschichte genug neue Facetten und überraschende Wendungen ab, um bis zum Ende der Zugfahrt glänzend und äußerst kurzweilig zu unterhalten. Das hohe Erzähltempo, die engagiert aufspielenden Schauspielern und die druckvolle Regie, die in hundert Minuten eine ziemlich verwickelte Geschichte erzählt, tragen dazu bei. Dass sie, vor allem natürlich die große Verschwörung, wenn man genauer darüber nachdenkt, wenig plausibel ist, stört nicht in diesem Moralstück.
Und ich werde jetzt garantiert nicht auf die Zugtoilette stürmen, um nach dem Briefumschlag mit Geld zu suchen…
The Commuter (The Commuter, USA/Großbritannien 2017)
Regie: Jaume Collet-Serra
Drehbuch: Byron Willinger, Philip de Blasi
mit Liam Neeson, Vera Farmiga, Patrick Wilson, Sam Neill, Elizabeth McGovern, Jonathan Banks, Florence Pugh, Andy Nyman, Killian Scott, Shazad Latif, Roland Moller, Kobna Holdbrook-Smith, Colin McFarlane