Neu im Kino/Filmkritik: „Eddington“ – die USA, wie Ari Aster sie sieht

November 21, 2025

Eddington ist ein Kaff in New Mexico. Im Frühjahr 2020 kandidiert Ted Garcia (Pedro Pascal) wieder als Bürgermeister. Er will in der menschenleeren Gegend ein Rechenzentrums für künstliche Intelligenz ansiedeln. Dieses Jahr hat er einen Spontan-Gegenkandidaten: den Ortssheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix). Der Wahlkampf, der in dem 2345-Seelen-Dorf aufgezogen wird, kopiert schamlos und sinnfrei die aus Metropolen bekannten Bilder und Methoden. Gleichzeitig eskaliert er vor der damaligen Corona-Politik, die zum Tragen von Masken und dem Halten von bestimmten Abständen zwingt. Das entbehrt in einer menschenleeren Stadt nicht einer gewissen Komik. Dazu kommen Meldungen über den Tod von George Floyd und die Reaktionen darauf. Schließlich wird auch in Eddington von Jugendlichen gegen Polizeigewalt demonstriert. Und schon ist Eddington das Zentrum der Welt, in dem Paranoia und Verschwörungstheorien, vor allem Online-Verschwörungstheorien, aufeinandertreffen und sinnfrei nachgestellt werden.

Mittels vieler auf Handys gezeigter Nachrichtenschnipsel und verschwörungstheoretischer Statements eröffnet Aster einen weiteren Zugang zur großen Politik.

Eddington“ könnte der Film zur Stunde sein. Es könnte der Film sein, der die US-amerikanische Gesellschaft schonungslos seziert, ihr den satirischen Spiegel vorhält und dabei gleichermaßen nach allen Seiten austeilt.

Aster scheint dagegen, jedenfalls legen das seine Statements im Presseheft nahe, eher so in Richtung filmisches Äquivalent zum ‚großen amerikanischen Roman‘ gedacht zu haben.

Eddington“ soll soll ein Gesellschaftsporträt sein, „ohne jemandem explizit den schwarzen Peter zuzuschieben“. Aster will „eine Art amerikanisches Genre-Epos mit aktualisierten Archetypen erschaffen“, das „für alle diese Charaktere Sympathie aufbringt“.

Das klingt nach einer todsterbenslangweiligen Soziologie-Stunde, in der der Professor liebevoll die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen aufschlüsselt. Danach kann man schlauer sein, aber ein guter Spielfilm entsteht so nicht.

Aster hat auch eine These zur aktuellen US-amerikanischen Gesellschaft. Danach ist die ursprüngliche Idee der Demokratie verschwunden. Die Menschen werden immer machtloser, Big-Tech-Konzerne immer mächtiger. Diese Konzerne erfinden Strohmänner und imaginäre Feinde. Sie lenken von den wahren Problemen und Machtstrukturen ab. Stattdessen hetzen sie die Menschen aufeinander.

Diese These, siehe den vor einigen Tagen gestarteten SF-Actionfilm „The Running Man“ und ungefähr jede Dystopie, kann eine gute Grundlage für einen guten Film sein. „Eddington“ ist nicht dieser Film. Statt einer scharfen und zugespitzen Analyse der Gesellschaft gibt es eine Satire mit unscharfen Cartoon-Figuren und einer politischen Analyse, die noch nicht einmal das Niveau eines Tweets erreicht. Plakativ wird einfach ausgestellt, was gerade auf dem Smartphone in den Schlagzeilen aufpoppte.

Eddington“ ist eine zähe, ausufernde und ausfransende Möchtegernsatire, die mit 150 Minuten mindestens dreißig bis fünfzig Minuten zu lang ist. Es ist ein Wust absurder, abstruser und vollkommen belangloser, meist viel zu lang geradener Episoden, in denen nervig-unsympathische Dummköpfe sich und uns nerven. Dazwischen schneidet Aster Nachrichtenschnipsel und Bespaßungen von Verschwörungstheoretikern aus dem Internet und er lässt Sheriff Cross in seinem Polizeiwagen in Echtzeit im Schritttempo durch das Dorf fahren.

Eddington (Eddington, USA 2025)

Regie: Ari Aster

Drehbuch: Ari Aster

mit Joaquin Phoenix, Deirdre O’Connell, Emma Stone, Micheal Ward, Pedro Pascal, Cameron Mann, Matt Gomez Hidaka, Luke Grimes, Austin Butler

Länge: 150 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Eddington“

Metacritic über „Eddinggon“

Rotten Tomatoes über „Eddington“

Wikipedia über „Eddington“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ari Asters „Hereditary – Das Vermächtnis“ (Hereditary, USA 2018)

Meine Besprechung von Ari Asters „Midsommar“ (Midsommar, USA 2019)

Meine Besprechung von Ari Asters „Beau is afraid“ (Beau is afraid, USA 2023)


Neu im Kino/Filmkritik: „Was ist Liebe wert – Materialists“ kennen die Antwort; – vielleicht

August 21, 2025

Lucy (Dakota Johnson) weiß alles über die Liebe. Die Mittdreißigerin ist ein Matchmaker. Sie hilft in New York Menschen, einen Partner zu finden. In den vergangenen Jahren hat sie schon neun Ehen vermittelt. In der noblen Heiratsvermittlungagentur ist sie damit die erfolgreichste Vermittlerin. Die Grundlage für perfekte Paare sind dabei die Zahlen – vor allem die Zahlen, die auf der Gehaltsabrechnung und dem Bankkonto stehen – und die Wünsche der Kunden. Sie sagen, wie alt der gewünschte Partner sein soll, wie er sein soll undsoweiter. Heiratsvermittlung ist für Lucy und die Firma ein Geschäft.

Deshalb weiß Lucy auch, dass sie und Harry (Pedro Pascal) nicht zueinander passen. Er ist im Szene-Jargon ein Einhorn. Er ist zu gut, um wahr zu sein. Bei ihm stimmt alles. Er ist vermögend, gebildet, höflich und sieht verdammt gut aus. Er könnte jede Frau haben. Aber er will Lucy, die ihr Glück nicht fassen kann, haben. Denn er ist aufgrund der Zahlen viel zu gut für sie.

Bei ihrer ersten großen Liebe stimmt dagegen – jedenfalls wenn sie auf die nackten Daten blickt – nichts. John (Chris Evans) ist ein ums Überleben kämpfender Schauspieler, der bei einer Catering-Firma als Bedienung arbeitet. Bei einem dieser Jobs begegnet er Lucy, die gerade mit Harry redet, und stellt ihr ungefragt ihr Lieblinsgetränk hin – und sie findet ihn wieder sehr sympathisch. Aber, wie gesagt, nach den Daten ist er eine Katastrophe. Er lebt immer noch in seiner Studenten-WG, fährt immer noch sein schrottreifes Auto, hat immer noch kein Geld auf dem Bankkonto und immer noch keinen Plan für sein weiteres Leben.

Zugegeben, das liest sich wie der Anfang der nächsten RomCom mit schönen Menschen in schöner Umgebung, vorhersehbaren Konflikten und ebenso vorhersehbarem Ende. Die Besetzung mit Dakota Johnson, die sich zwischen Pedro Pascal und Chris Evans entscheiden muss, und der Handlungsort, das saubere New York der vermögenden Menschen ohne drängende finanzielle Probleme, sprechen dafür.

Aber Celine Songs zweiter Spielfilm, nach „Past Lives – In einem anderen Leben“, ist eine RomCom ohne den zu lauten Lachanfällen reizenden komödiantischen Teil und auch ohne die Taschentuch-Kitsch-Romantik. Jedenfalls am Anfang. Denn bei Lucy geht es bei den von ihr angestifteten Ehen nicht um Liebe, sondern nur ums Geschäft. Sie bedient die Wünsche ihrer Kunden, die teilweise in kurzen Interview-Szenen ohne Umschweife geäußert werden. Sie suchen Menschen, die aus der gleichen Klasse kommen und ein ungefähr gleich hohes Einkommen haben. Aus seiner Sicht soll die Frau jünger, gerne deutlich jünger sein. Aus ihrer Sicht kann der Traummann auch etwas älter sein. Es geht immer um heterosexuelle Beziehungen. Die Kundschaft ist überwiegend weiß. Gemischtrassige Ehen sind für sie kein Thema. Dass die USA eine zutiefst rassistische Gesellschaft ist, zeigt sich auch in diesen Interviews. Es handelt sich um eine gesellschaftliches Milieu, das auch das Ensemble einer in Manhattan spielenden Komödie von Woody Allen sein könnte.

In „Was ist Liebe wert – Materialists“ schildert Song Lucys Leben und das Leben ihre Kunden distanziert, mit feiner Ironie und die großen Konfliktlinien in der US-Gesellschaft ignorierend. In den die Dreiecksgeschichte aufbrechenden Interview-Szenen deutet sie den Rassismus nur zwischen den Zeilen an. Das von allen angestrebte konservative Familienbild wird nicht weiter thematisiert.

Im Vordergrund spielt sich Lucys Suche nach ihrem Traumman auf der oberflächlichen Ebene von Aussehen und Vermögen ab. In dieser nur auf den Schein bedachten Welt ist Harry ein Traummann und John ein Loser. Am Ende gewinnt natürlich, den Regeln des Liebesfilms folgend, die wahre Liebe über dem schönen Schein.

Song erzählt ihre Bestandsaufnahme der Suche nach dem Traummann im 21. Jahrhundert im Kapitalismus mit milder Ironie langsam und kühl distanziert. Auch die Schauspieler agieren durchgehend so, als habe ihre Spielanweisung in dem Satz „kein Schauspiel erforderlich, sympathische Ausstrahlung genügt“ bestanden. „Was ist Liebe wert – Materialists“ ist eine romantische Anti-RomCom; – falls es so etwas überhaupt geben kann.

Was ist Liebe wert – Materialists (Materialists, USA 2025)

Regie: Celine Song

Drehbuch: Celine Song

mit Dakota Johnson, Pedro Pascal, Chris Evans

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Was ist Liebe wert – Materialists“

Metacritic über „Was ist Liebe wert – Materialists“

Rotten Tomatoes über „Was ist Liebe wert – Materialists“

Wikipedia über „Was ist Liebe wert – Materialists“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Celine Songs „Past Lives – In einem anderen Leben“ (Past Lives, USA 2023)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Fantastic Four: First Steps“ im MCU

Juli 24, 2025

Sechziger Jahre auf Erde 828 (die sich in einigen Teilen von unserer Erde unterscheidet): die Fantastic Four beschützen die Menschen vor bösen Wesen. Sie sind eine All-American-Familie, die als erste einen Flug in den Weltraum unternahmen. Dort wurden ihre Körper kosmischer Strahlung ausgesetzt. Ihre Moleküle veränderten sich. Seitdem verfügen sie über individuelle Superkräfte.

Die Fantastic Four sind ‚Mr. Fantastic‘ Reed Richards (Pedro Pascal), seine Frau ‚Die Unsichtbare‘ Sue Storm (Vanessa Kirby) (also sie kann sich unsichtbar machen), ihr Bruder ‚Die menschliche Fackel‘ Johnny Storm (Joseph Quinn) und ihr Freund ‚Das Ding‘ Ben Grimm (Ebon Moss-Bachrach). In ihrer Zentrale leben sie zusammen, forschen und treffen sich zum gemeinsamen Abendessen. Sie genießen ihre Berühmtheit, freuen sich auf die Geburt eines Babys und klönen in ihrer Vierer-WG munter vor sich hin. Es ist ein perfektes Leben bis aus dem Weltall der ‚Silver Surfer‘ Shalla-Bal (Julia Garner) – eine silberne Frau auf einem silbernem Surfbrett (Comicleser kennen sie eher als Mann) – auftaucht und sie darüber informiert, dass der Weltraumgott Galactus (Ralph Ineson) demnächst die Erde verspeisen werde. Die Fantastic Four wollen das verhindern – und das ist dann auch so ziemlich die Story von „The Fantastic Four: First Steps“, dem 37. Film aus dem Marvel Cinematic Universe (MCU) und dem ersten richtigen, spielfilmlangen Auftritt dieser Heldentruppe im MCU. Matt Shakmans Film ist der Auftakt der sogenannten „Phase 6“, die auch den Abschluss der hoffnungslos verkorksten „ Multiverse Saga“ bildet. Diese wird nächstes Jahr im Juli mit „Spider-Man: Brand New Day“ und im Dezember mit „Avengers: Doomsday“ fortgesetzt. Dann sind die Fantastic Four auch wieder dabei wenn das Universum vor dem Untergang gerettet wird.

First Steps“ ist ein überwältigend durchschnittlicher Film. Er ist zu gut für einen Verriss, aber auch viel zu schlecht für eine euphorische Kritik.

Auf der Plus-Seite steht eindeutig die liebevolle Neu-Erschaffung der sechziger Jahre durch die Linse damaliger Filme, Serien und Science-Fiction-Geschichten, in denen munter Zukunftsvisionen eines immer automatischeren Hauses, hilfsbereiten Robotern, fliegenden Autos und Kurztrips ins Weltall ersonnen wurden. Während die USA und die Sowjetunion sich in der Realität gerade einen Wettlauf um die Eroberung des Weltalls lieferten, fantasierten Autoren sich als utopische Begleitmelodie Besuche fremder Welten und Treffen mit Wesen von anderen Planeten zusammen.

Die von Josh Friedman, Eric Pearson, Jeff Kaplan und Ian Springer ersonnene Geschichte erschöpft sich zuerst in banalen Kabbeleien am Esstisch, die sich nicht wahnsinnig von ähnlich gelagerten TV-Serien unterscheiden und einer sehr gradlinig auf die finale Schlacht mit dem austauschbaren ‚Bösewicht der Woche‘ hinauslaufende Geschichte. Sie hat weniger Wendepunkte als eine Folge einer altmodischen Science-Fiction-Serie. Immerhin sind die Effekte besser und die Kämpfe länger. Viel länger.

Das alles versprüht ein wohliges Retro-Gefühl. Es weckt Erinnerungen an einfachere Zeiten, als der Weltraum noch das unbekannte Ziel der Träume war und ein gut gezielter Kinnhaken jedes Problem löste. Die Guten waren gut. Die Bösen böse. Zwischentöne gab es nicht und die als Vorbild dienende christlich-weiße Kernfamilie war noch intakt.

Aber die damaligen Storymodelle und die damals herrschende Weltanschauung sind veraltet. Vor allem wenn sie den Geist damaliger Comics (ihren ersten Auftritt hatten die Fantastic Four im November 1961) und TV-Serien ohne Brüche, ironische Doppelkodierungen oder Weiterentwicklungen einfach wiederbelebt wird. Shakmans „The Fantastic Four: First Steps“ wirkt durchgehend wie ein in den frühen sechziger Jahre entstandener Film, bei dem nur die Spezialeffekte und die Schauspieler verraten, dass der letztendlich museale Film erst heute gedreht wurde.

Nach „Cut Bank: Kleine Morde unter Nachbarn“ (2014) ist „The Fantastic Four: First Steps“ der zweite Spielfilm von Matt Shakman. Seit 2002 inszenierte er teils mehrere Episoden für TV- und Streamingserien, wie „Dr. House“, „Psych“, „Fargo“, „It’s always sunny in Philadelphia“, „Game of Thrones“, „The Boys“ und „WandaVision“.

P. S.: Wie gewohnt gibt es im und nach dem Abspann jeweils eine Szene. Die erste ist ein in Fankreisen schon lange bekannter Hinweis auf kommende Ereignisse, die zweite ein Gag.

The Fantastic Four: First Steps (The Fantastic Four: First Steps, USA 2025)

Regie: Matt Shakman

Drehbuch: Josh Friedman, Eric Pearson, Jeff Kaplan, Ian Springer (nach einer Geschichte von Eric Pearson, Jeff Kaplan, Ian Springer und Kat Wood)

LV: Figuren von Stan Lee und Jack Kirby

mit Pedro Pascal, Vanessa Kirby, Joseph Quinn, Ebon Moss-Bachrach, Ralph Ineson, Julia Garner, Paul Walter Hauser, Natasha Lyonne, Sarah Niles, Mark Gatiss

Länge: 115 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Fantastic Four: First Steps“

Metacritic über „The Fantastic Four: First Steps“

Rotten Tomatoes über „The Fantastic Four: First Steps“

Wikipedia über „The Fantastic Four: First Steps“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Gladiator II“ – Kloppen und Sterben im Kolosseum

November 13, 2024

Dieses Mal gibt es Haie und Seeschlachten im Kolosseum, das vorher natürlich geflutet wurde. Als große Attraktion für das Publikum gab es während des Römischen Imperiums solche nachgestellten Seeschlachten. Die Haie entspringen der Fantasie der Macher von „Gladiator II“, der auf den ersten Blick überflüssigen Fortsetzung von „Gladiator“. Denn „Gladiator“ ist ein Monumentalfilm mit einem perfektem Ende. Da muss es keine Fortsetzung geben.

Russell Crowe ist wieder dabei. In Rückblenden aus dem ersten „Gladiator“-Film. Connie Nielsen ist ebenfalls wieder dabei. In echt. Sie spielt wieder die Kaisertochter Lucilla. Nach den damaligen Ereignissen, die mit dem Tod von Maximus Decimus Meridius (Crowe) und Commodus (Joaquin Phoenix) endeten, schickte sie ihren Sohn Lucius in die Fremde und brach jeden Kontakt zu ihm ab.

Jetzt, knapp zwanzig Jahre später, im Jahr 200 A. D., lebt Lucius Verus (Paul Mescal) in Nordafrika in Numidien. Er ist ein begnadeter Kämpfer und glücklich verheirateter Bauer. Er und seine Frau, ebenfalls eine begnadete Kämpferin und Bogenschützin, kämpfen mit hren Landsleute gegen das römische Heer, das ihre Heimat Numidien zu einer römischen Provinz machen will. Bei einer für beide Seiten verlustreichen Schlacht gegen die von General Marcus Acacius (Pedro Pascal) angeführten römischen Truppen stirbt sie. Lucius wird gefangen genommen und nach Rom verschifft. Dort trifft er den mit Gladiatorenkämpfen Geld verdienenden Geschäftsmann Macrinus (Denzel Washington), der am Hof aufsteigen will, und er muss im Kolosseum um sein Überleben kämpfen. Denn er will sich an General Marcus, der mit Lucilla verheiratet ist, rächen. Das Publikum verliebt sich schnell in den tapferen Gladiator. Gleichzeitig gerät er, ein wenig und vor allem als Spielball, in die Machtkämpfe zwischen den verschiedenen um die Herrschaft in Rom kämpfenden Männern und Fraktionen.

Gladiator II“, der jetzt, 25 Jahre nach „Gladiator“, im Kino anläuft, erzählt eigentlich die aus dem an der Kinokasse, bei Preisverleihungen, unter anderem den Oscar als bester Film des Jahres, und der Kritik enorm erfolgreichen Monumentalfilm bekannte Geschichte noch einmal. Einige neue Namen und eher minimal veränderte Handlungselemente ändern daran nichts. „Gladiator II“ ist einfach nochmal „Gladiator“. Nur nicht so gut.

Während in „Gladiator“ der Konflikt zwischen Maximus und Commodus im Mittelpunkt steht, ist das in „Gladiator II“ nicht so klar. „Gladiator“ erzählt eine Rachegeschichte, eine Geschichte von Verrat und gegensätzlichen Vorstellungen über die Zukunft des römischen Imperiums. Verkörpert wird dieser Konflikt durch die beiden Hauptfiguren, die mal Freunde waren und zu Feinden wurden, nachdem Commodus seinen Vater ermordet, um an die Macht zu gelangen. Als Maximus ihm danach nicht helfen will, sondern sich gegen ihn stellt, lässt er dessen Familie ermorden und gibt den Befehl, Maximus zu ermorden. Maximus überlebt und begibt sich nach Rom, um dort Commodus zu ermorden. Das ist eine einfache Geschichte, die gradlinig mit Schauwerten präsentiert wird.

In „Gladiator II“ sind schon die Motive der beiden Gegner schwächer. General Marcus Acacius ist ein Feldherr, der einfach eine Schlacht gewinnen will. Der Tod von Lucius‘ Frau ist dabei einer der vielen Tote, die es in einer Schlacht gibt. Ein persönliches Motiv ist nicht erkennbar. Auch später, in Rom, hat Marcus kein Interesse daran, Lucius zu töten. Unnötig verklompliziert wird die Beziehung zwischen Marcus und Lucius, weil Marcus mit Lucius‘ Mutter Lucilla verheiratet ist.

Der mit den beiden Hauptfiguren verknüpfte Kampf um das künftige Schicksal des römischen Imperiums, also von wem es wie regiert werden soll, entfällt ebenfalls. Beide Hauptpersonen interessieren sich nicht dafür. Der eine will seine Frau rächen. Der andere will eigentlich in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Für Politik und Macht interessieren sie sich nicht.

Macrinus (Denzel Washington) interessiert sich dafür. Er ist eine Mischung aus Unternehmer und politischem Profiteur. Er will in die Herrschaftsriege aufsteigen. Eine besondere Mission oder eine Vorstellung, was sich unter seiner Herrschaft ändern soll, hat er nicht. Er ist einfach nur ein Profiteur, der die Macht um ihrer selbst will.

Seine Gegner sind die Kaisergeschwister Caracalla und Geta. Sie sind verwöhnte, psychotische, leicht beeinflussbare reiche Kinder. Besonders angsteinflößend sind sie nicht. Wie sie, nachdem am Ende von „Gladiator“ die Zeichen für eine bessere Zukunft gesetzt waren, an die Macht kamen, wird nicht erklärt und bleibt rätselhaft. Denn nichts qualifiziert sie für das Amt, das sie auch nicht ausfüllen möchten. Fred Hechinger und Joseph Quinn sorgen im ihrem Overacting eher für einen schrägen Camp-Humor in dem ernsten Film.

In diesen Momenten erzählt „Gladiator II“, neben der Rachegeschichte, auch eine Polit-Intrige, ohne sich für den politischen noch für den intriganten Teil zu interessieren. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Mechanismen der Macht würde vom Spektakel im Kolosseum ablenken. Aber vielleicht erzählt Scott das ja in epischer Breite in der schon jetzt angedeuteten möglichen und deutlich längeren Fassung des zweieinhalbstündigen Films.

In der Langfassung wird dann vielleicht auch erkennbar, ob Scott möchte, dass die Filmgeschichte als Metapher für die aktuelle Situation in den USA gelesen werden soll und wie sie gelesen werden soll. Im Moment kann sie nämlich mühelos in jede politische Richtung interpretiert werden. „Gladiator II“ ist kein Monumentalfilm mit einer politischen Agenda oder einem klar gekennzeichnetem Konflikt verschiedener Vorstellungen von Gesellschaft und dem richtigen Leben. Das war früher, als es in Monumentalfilmen um den Kampf gegen das Christentum oder um Sklavenaufstände ging, anders. In „Gladiator II“ geht es um nichts.

Weitere Probleme von „Gladiator II“ sind schon in den ersten Minuten offensichltich. Der Monumentalfilm beginnt mit einer epischen, CGI-gesättigten Schlacht, bei der brennende Kugeln und Pfeile locker Festungsmauern und Rüstungen durchschlagen und Schiffe schwuppdiwupp zum Sinken bringen. Während der Schlacht fällt Lucius ins Wasser und taucht erst lange nach dem Ende der Schlacht wieder auf. Eigentlich müsste er ertrunken sein. Realismus und Wahrscheinlichkeit werden schon in diesen Minuten zugunsten vermeitlicher Schauwerte geopfert.

Etwas später muss Lucius in der Kampfarena gegen Fantasy-Monsterpaviane auf Speed kämpfen. In diesem Moment qualifiziert „Gladiator II“ sich endgültig zum todernsten Fantasy-Film mit teilweise erstaunlich schlechten und unglaubwürdigen CGI-Effekten.

Als Spektakel erreicht der Sandalenfilm mühsam seine Ziellinie. Als ernstzunehmender Film hat er sich schon in den ersten Filmminuten Richtung Trash und freudlos-züchtiger Anything-can-go-Fantasy verabschiedet. Bei Ridley Scotts neuem Film ist nur beeindruckend, wie wenig beeindruckend der Film ist. Dabei war schon „Gladiator“ nicht wirklich gut, aber immerhin über die gesamte Laufzeit unterhaltsam.

Gladiator II (Gladiator II, USA 2024)

Regie: Ridley Scott

Drehbuch: David Scarpa (nach einer Geschichte von Peter Craig und David Scarpa, nach Charakteren von David Franzoni)

mit Paul Mescal, Pedro Pascal, Joseph Quinn, Fred Hechinger, Lior Raz, Derek Jacobi, Connie Nielsen, Denzel Washington

Länge: 148 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Gladiator II“

Metacritic über „Gladiator II“

Rotten Tomatoes über „Gladiator II“

Wikipedia über „Gladiator II“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Thelma & Louise“ (Thelma & Louise, USA 1991)

Meine Besprechung von Ridley Scotts “Prometheus” (Prometheus, USA 2012)

Meine Besprechung von Ridley Scotts “Exodus – Götter und Könige (Exodus – Gods and Kings, USA 2014)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“ (The Martian, USA 2015)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Alien: Covenant“ (Alien: Covenant, USA 2017)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Alles Geld der Welt“ (All the Money in the World, USA 2017)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „The Last Duel“ (The Last Duel, USA 2021)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „House of Gucci“ (House of Gucci, USA 2021)

Meine Besprechung von Ridley Scotts „Napoleon“ (Napoleon, USA 2023)


TV-Tipp für den 27. September: Kingsman: The Golden Circle

September 26, 2024

Pro 7, 20.15

Kingsman: The Golden Circle (Kingsman: The Golden Circle, USA 2017)

Regie: Matthew Vaughn

Drehbuch: Jane Goldman, Matthew Vaughn

LV: Mark Millar/Dave Gibbons: The Secret Service, 2012/2013 (Secret Service) (naja, eigentlich „Inspiration“)

Nachdem Bösewichter die Zentrale der Kingsman zerstörten, müssen die distinguierten britischen Agenten Eggsy und Merlin sich mit ihrer US-amerikanischen Partnerorganisation, den Statesman, deren Zentrale in Kentucky einer Whiskey-Destillerie ist, zusammentun.

Witzge, mit hundertvierzig Minuten zu lang geratene Agentenkomödie, mit einer chaotischen Story und viel Action, die um 20.15 Uhr wahrscheinlich in einer gekürzten Version gezeigt wird.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Taron Egerton, Julianne Moore, Colin Firth, Mark Strong, Channing Tatum, Halle Berry, Jeff Bridges, Pedro Pascal, Edward Holcroft, Elton John, Hanna Alström, Tom Benedict Knight, Michael Gambon, Sophie Cookson, Björn Granath, Lena Endre, Poppy Delevingne, Bruce Greenwood, Emily Watson

Wiederholung: Samstag, 28. September, 01.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Moviepilot über „Kingsman: The Golden Circle“

Metacritic über „Kingsman: The Golden Circle“

Rotten Tomatoes über „Kingsman: The Golden Circle“

Wikipedia über „Kingsman: The Golden Circle“ (deutsch, englisch)

zu Matthew Vaughn

Meine Besprechung von Matthew Vaughns Mark-Millar-Verfilmung „Kingsman: The Secret Service“ (Kingsman: The Secret Service, USA/Großbritannien 2015)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns „Kingsman: The Golden Circle“ (Kingsman: The Golden Circle, USA 2017)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns „The King’s Man – The Beginning“ (The King’s Man, USA/Großbritannien 2021)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns „Argylle“ (Argylle, USA 2024)

zu Mark Millar

Homepage von Mark Millar

Meine Besprechung von Mark Millar/J. G. Jones‘ „Wanted (Mark Millar Collection 1)“ (Wanted # 1 – 6, Dezember 2003 – Februar 2005)

Meine Besprechung von Mark Millar/Steve McNivens „Nemesis“ (Nemesis, 2010/2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/Grant Morrisons “Vampirella: Heiliger Krieg (Master Series 1)”

Meine Besprechung von Mark Millar/Steve McNivens „Wolverine: Old Man Logan“ (Old Man Logan, 2008/2009)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 1)“ (Kick-Ass 2 – Issue 1 – 4, Dezember 2010 – November 2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 2)“ (Kick-Ass 2 – Issue 5 – 7, Januar – Mai 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Hit-Girl – Kick-Ass 2: Die Vorgeschichte“ (Hit-Girl, Issue 1 – 5, August 2012 – April 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yus „Superior – Band 2“ (Superior, Issue 5 – 7, Dezember 2011 – März 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/Dave Gibbons‘ „Secret Service“ (Secret Service # 1- 6, Juni 2012 – April 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 1“ (Kick-Ass 3, # 1 – 5, Juli 2013 – Januar 2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 2“ (Kick-Ass 3 – # 6 – 7, April – August 2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yu/Nacho Vigalondos (Co-Autor/Drehbuch) „Super Croocks – Band 1: Der Coup“ (Super Crooks # 1 – 4, 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/Dave Johnson/Kilian Plunketts „Genosse Superman (Mark Millar Collection 4)“ (Superman: Red Son # 1 – 3, 2003)

Meine Besprechung von Mark Millar/Rafael Albuquerque/Dave McCaigs „Huck – Held wider Willen“ (Huck # 1 – 6, November 2015 – April 2016)

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Mein Besprechung von Mark Millar/Wilfredo Torres‘ „Jupiter’s Circle“ (Jupiter’s Circle # 1 – 6, 2015; Jupiter’s Circle 2 # 1 – 6, 2015/2016)

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Andere Autoren in Millarworld

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Meine Besprechung von Rob Williams/Simon Frasers „Kingsman: Jagd auf Red Diamond“ (Kingsman: The Red Diamond # 1 – 6, September 2017 – Februar 2018)


Neu im Kino/Filmkritik: 50 % Coen: der lesbische Road-Trip „Drive-Away Dolls“

März 7, 2024

Über Jahrzehnte drehten die Coen-Brüder gemeinsam Filme. Viele Klassiker und wenige, sehr wenige Flops. Dann nahmen (nehmen?) sie eine Auszeit voneinander und drehten mit ihren Frauen einen Spielfilm. Joel Coen inszenierte mit seiner Ehefrau Frances McDormand die Shakespeare-Verfilmung „Macbeth“. Ein künstlerischer Erfolg. Ethan Coen schrieb mit seiner Ehefrau Tricia Cooke, die bei etlichen Coen-Filmen am Schnitt beteiligt war, die Komödie „Drive-Away Dolls“, die – auf den ersten Blick – an die Coen-Frühwerke „Blood Simple“ und „Arizona Junior“ anknüpft.

In der von ihm inszenierten Komödie machen sich Ende 1999 die Mittzwanzigerinnen Jamie (Margaret Qualley) und Marian (Geraldine Viswanathan) von Philadelphia aus auf den Weg nach Tallahassee, Florida. Jamie ist der unbekümmert lebenslustige und sehr sexpositive Teil des Duos. Für sie wird die improvisierte Fahrt mit jedem Umweg und jeder Pause, die der Beginn zu einem großartigen Abenteuer sein kann, besser.

Marian ist das Gegenteil. Sie ist eine intellektuelle Leseratte, die während der Fahrt eine sehr dicke Ausgabe Henry James‘ „The Europeans“ liest. Ständig blickt sie so genervt und miesepetrig in die Welt, dass sie jeden potentiellen Verehrer sofort abschreckt. Und selbstverständlich ist für sie der Weg nicht das Ziel, sondern nur eine nervige Verzögerung.

In einem gemieteten Dodge Aries machen sich die beiden Lesben auf den Weg nach Florida. Dummerweise hat ihnen der Autovermieter den falschen Dodge gegeben. Denn im Kofferraum des Mietwagens ist ein Koffer, für den sich einige Gangster interessieren. Der Chef der Gangster, der nur „The Chief“ heißt, beauftragt zwei seiner Männer mit der Wiederbeschaffung des Koffers. Arliss und Flint sind, bei allen Unterschieden, brutal und kreuzdämlich; – wie eigentlich alle Männer in diesem Film.

Drive-Away Dolls“ knüpft, wie gesagt, stilistisch an die schwarzhumorigen, sich einen Dreck um Tabus und Anstand kümmernden Frühwerke der Coen-Brüder an. Nur dass dieses Mal nicht ein Mann und eine Frau oder zwei Männer, sondern zwei Frauen sich auf einen Roadtrip begeben und sie Lesben sind. Es gibt also eine ordentliche Portion gleichgeschlechtlichen Sex und entsprechende Witze darüber. Ohne diesen Geschlechterwechsel könnte die Komödie genausogut in den achtziger Jahren (plus/minus ein Jahrzehnt) entstanden sein. Es ist eine Liebeerklärung an diese Filme, diese Regiesseure und auch ältere Noirs und Pulp-Geschichten, die schon in diesen „Pulp Fiction“-Filmen zitiert wurden.

Die Idee für diesen lesbischen Road-Trip hatten Tricia Cooke und Ethan Coen bereits vor ungefähr zwanzig Jahren. Die Geschichte sollte auch einmal von einer Regisseurin verfilmt werden. Der Plan zerschlug sich. Während der Coronavirus-Pandemie nahmen sie sich das zur Seite gelegte Projekt noch einmal vor, schrieben das finale Drehbuch und verfilmten es als eine ziemlich enttäuschende Komödie. Dies beginnt schon mit der Story, die eine Verfolgungsjagd schildert, bei der die potentiellen Opfer nicht wissen, dass sie gejagt werden. Über einen großen Teil der Strecke wissen sie auch nicht, dass in ihrem Kofferraum mehr als ein Ersatzreifen ist. Entsprechend unbekümmert springen Jamie und Marian von einem Bett in das nächste, während die Gangster ihnen mordend folgen. Die Gags wiederholen damalige Gags über dumme Gangster, die wegen ihrer hirnlosen Brutalität so furchterregend und gleichzeitig furchterregend lustig sind. Dass die beiden Heldinnen Lesben sind, ist gut für einige Gags, aber nicht abendfüllend. Die meisten Gags sind nicht so wahnsinnig witzig, eher platt und es geht viel zu oft um „Sex“ und viel zu selten um andere Dinge.

Das Ergebnis ist eine Groteske mit angezogener Handbremse (man will ja nicht die Gefühle von irgendwelchen Minderheiten oder sensiblen Twenty-Somethings verletzten), viel Leerlauf und dem Gefühl, dass auf dem Road-Trip viel zu viele Gelegenheiten für gute Witze grundlos verschenkt werden. Da werden die 84 Minuten zu einer Geduldsprobe.

Drive-Away Dolls (Drive-Away Dolls, USA 2024)

Regie: Ethan Coen

Drehbuch: Ethan Coen, Tricia Cooke

mit Margaret Qualley, Geraldine Viswanathan, Joey Slotnick, CJ Wilson, Colman Domingo, Beanie Feldstein, Bill Camp, Annie Gonzalez, Pedro Pascal, Matt Damon, Miley Cyrus

Länge: 84 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Drive-Away Dolls“

Metacritic über „Drive-Away Dolls“

Rotten Tomatoes über „Drive-Away Dolls“

Wikipedia über „Drive-Away Dolls“ (deutsch, englisch) und die Coen-Brüder (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Bill Green/Ben Peskoe/Will Russell/Scott Shuffitts „Ich bin ein Lebowski, du bist ein Lebowski – Die ganze Welt des Big Lebowski“ (I’m a Lebowski, you’re a Lebowski, 2007)

Meine Besprechung des Coen-Films „Blood Simple – Director’s Cut“ (Blood Simple, USA 1984/2000)

Meine Besprechung von Michael Hoffmans “Gambit – Der Masterplan” (Gambit, USA 2012 – nach einem Drehbuch von Joel und Ethan Coen)

Meine Besprechung des Coen-Films “Inside Llewyn Davis” (Inside Llewyn Davis, USA/Frankreich  2013)

Meine Besprechung des Coen-Films „Hail, Caesar!“ (Hail, Caesar!, USA/Großbritannien 2016)

Meine Besprechung von Joel Coens „Macbeth“ (The Tragedy of Macbeth, USA 2021)

Die Coen-Brüder in der Kriminalakte

 

Auch schön


Neu im Kino/Filmkritik: The unbearable weight of „Massive Talent“ des Nic(k) Cage

Juni 16, 2022

CIA-Agentin Vivian ist begeistert und sprachlos. Auf dem Provinzflughafen in Mallorca läuft ihr großes Idol Nicolas Cage an ihr vorbei. Er ist auf dem Weg zu Javier ‚Javi‘ Gutierrez, einem Millardär und Über-Nicolas-Cage-Fan, der jetzt unglaublich viel Geld ausgibt, damit sein Idol einige Tage mit verbringt. Als Stargast seiner Geburtstagsparty.

Javi ist – und das erklärt die Anwesenheit des amerikanischen Geheimdienstes – auch ein internationaler Waffenhändler der besonders sprupellosen Sorte.

Und dieser Nicolas Cage wird von Nicolas Cage gespielt, der im Film allerdings immer wieder zu Nick und nicht Nic abgekürzt wird. Das soll als Hinweis darauf genügen, dass der Film-Cage nichts mit dem realen Cage zu tun hat. Aber, und gerade das macht „Massive Talent“ (so der sinnfrei gekürzte deutsche Titel von „The unbearable weight of massive talent“) zu etwas besonderem und einem großen Spaß für Cage-Fan, der Film quillt vor Anspielungen auf die Filmographie (eine Zusammenstellung gibt es auf der IMDb) und die öffentliche Wahrnahme von Cage. Er begann als Charakterdarsteller, war damals schon etwas extremer als seine Kollegen, wurde zum Actionstar mit „The Rock“ und „Con Air“ und zuletzt zum Direct-to-Video-Schauspieler. Aufgrund von finanziellen und Steuerproblemen nahm Cage seit über zehn Jahren unzählige Rollen an, um seine Schulden zu bezahlen. Die Filme waren nicht unbedingt gut, aber – und das hatte ich in Gesprächen immer wieder gesagt – bei jedem dieser Filme entdeckte ich einen Grund, warum Cage zugesagt hatte (und es war nicht das Geld) und er engagierte sich immer schauspielerisch in dem Film. Einige nennen es ständiges Overacting, das manchmal wahnsinnig nervt. Aber er schlurfte nie mit einem Wo-ist-der-Gehaltsscheck-Blick durch das Bild.

So gibt es neben den unumstrittenen Cage-Klassikern der achtziger und neunziger Jahre auch zahlreiche neue Filme, auf die Tom Gormican in seinem Film anspielen kann.

Vom Plot her ist „Massive Talent“ eine Actionkomödie, in der ein Mann plötzlich Dinge tun muss, für die er nicht ausgebildet ist. Er gerät in zahlreiche Situationen, aus denen er sich herauslavieren muss. Es gibt, wenn Gangster und Geheimagenten aufeinandertreffen, ordentlich Action. Und selbstverständlich Humor.

Das erinnert an die eskapistischen Agentenfilme aus den sechziger Jahren, als im Fahrwasser der erfolgreichen James-Bond-Filme, unter südlicher Sonne in Operettenrepubliken Agenten und Nicht-so-richtige-Agenten („Ihr Auftritt, Al Mundy“), gefährliche Abenteuer erlebten. Das war (und ist) bunt, eskapistisch, fantastisch und, in seiner Grundstimmung, absolut fröhlich und lebensbejahend. Schließlich verfolgen wir die Abenteuer von großen Jungs, die sich lustvoll in kindische Abenteuer stürzen und ihren Spaß haben.

In diesem Rahmen wird der Film dann, sicher auch dank Nicolas Cage und Pedro Pascal (der den Millardär und Waffenhändler spielt), zu einer erstaunlich tiefgründigen Betrachtung über Freundschaft und das Leben. Diese Momente tragen dazu bei, dass die Metakomödie deutlich ruhiger und besser ist, als der klamaukige Trailer verspricht.

Massive Talent (The Unbearable Weight of Massive Talent, USA 2022)

Regie: Tom Gormican

Drehbuch: Tom Gormican, Kevin Etten

mit Nicolas Cage, Pedro Pascal, Ike Barinholtz, Neil Patrick Harris, Tiffany Haddish, Alessandra Mastronardi, Jacob Scipio, Lily Sheen, Sharon Horgan, David Gordon Green, Demi Moore

Länge: 108 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Massive Talent“

Metacritic über „Massive Talent“

Rotten Tomatoes über „Massive Talent“

Wikipedia über „Massive Talent“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 18. September: Beale Street

September 17, 2021

3sat, 22.50

Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)

Regie: Barry Jenkins

Drehbuch: Barry Jenkins

LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)

Harlem in den frühen Siebzigern: der 21-jährige Fonny sitzt im Gefängnis. Er soll ene Puerto Ricanerin vergewaltigt haben. Seine Freundin Tish ist von seiner Unschuld überzeugt.

TV-Premiere. Überaus gelungenes, in Rückblenden erzähltes Drama über ein Liebespaar und einen nur wegen seiner Hautfarbe inhaftierten Mann. Damit ist „Beale Street“, von „Moonlight“-Regisseur Barry Jenkins nach dem Roman von James Baldwin inszeniert, auch eine Anklage gegen den Rassismus in den USA.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco, Pedro Pascal

Die lesenswerte Vorlage und ein klassisches Essay von James Baldwin

James Baldwin: Beale Street Blues

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)

dtv, 2019

224 Seiten

12,90 Euro

Oritinalausgabe

If Beale Street could talk

Dial Press, New York, 1974

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)

dtv, 2019

128 Seiten

18 Euro

Originalausgabe

The Fire next Time

Dial Press, New York, 1963

Hinweise

Moviepilot über „Beale Street“

Metacritic über „Beale Street“

Rotten Tomatoes über „Beale Street“

Wikipedia über „Beale Street“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Moonlight“ (Moonlight, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Beale Street“ (If Beale Street could talk, USA 2018) und der DVD


TV-Tipp für den 22. September: Kingsman: The Golden Circle

September 21, 2019

Pro 7, 20.15

Kingsman: The Golden Circle (Kingsman: The Golden Circle, USA 2017)

Regie: Matthew Vaughn

Drehbuch: Jane Goldman, Matthew Vaughn

LV: Mark Millar/Dave Gibbons: The Secret Service, 2012/2013 (Secret Service) (naja, eigentlich „Inspiration“)

Nachdem Bösewichter die Zentrale der Kingsman zerstörten, müssen die distinguierten britischen Agenten Eggsy und Merlin sich mit ihrer US-amerikanischen Partnerorganisation, den Statesman, deren Zentrale in Kentucky einer Whiskey-Destillerie ist, zusammentun.

TV-Premiere. Witzge, mit hundertvierzig Minuten zu lang geratene Agentenkomödie, mit einer chaotischen Story und viel Action, die um 20.15 Uhr wahrscheinlich in einer gekürzten Version gezeigt wird.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Taron Egerton, Julianne Moore, Colin Firth, Mark Strong, Channing Tatum, Halle Berry, Jeff Bridges, Pedro Pascal, Edward Holcroft, Elton John, Hanna Alström, Tom Benedict Knight, Michael Gambon, Sophie Cookson, Björn Granath, Lena Endre, Poppy Delevingne, Bruce Greenwood, Emily Watson

Wiederholung: Montag, 23. September, 01.15 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Kingsman: The Golden Circle“

Metacritic über „Kingsman: The Golden Circle“

Rotten Tomatoes über „Kingsman: The Golden Circle“

Wikipedia über „Kingsman: The Golden Circle“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns Mark-Millar-Verfilmung „Kingsman: The Secret Service“ (Kingsman: The Secret Service, USA/Großbritannien 2015)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns „Kingsman: The Golden Circle“ (Kingsman: The Golden Circle, USA 2017)

Homepage von Mark Millar

Meine Besprechung von Mark Millar/J. G. Jones‘ „Wanted (Mark Millar Collection 1)“ (Wanted # 1 – 6, Dezember 2003 – Februar 2005)

Meine Besprechung von Mark Millar/Steve McNivens „Nemesis“ (Nemesis, 2010/2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/Grant Morrisons “Vampirella: Heiliger Krieg (Master Series 1)”

Meine Besprechung von Mark Millar/Steve McNivens „Wolverine: Old Man Logan“ (Old Man Logan, 2008/2009)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 1)“ (Kick-Ass 2 – Issue 1 – 4, Dezember 2010 – November 2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 2)“ (Kick-Ass 2 – Issue 5 – 7, Januar – Mai 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Hit-Girl – Kick-Ass 2: Die Vorgeschichte“ (Hit-Girl, Issue 1 – 5, August 2012 – April 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yus „Superior – Band 2“ (Superior, Issue 5 – 7, Dezember 2011 – März 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/Dave Gibbons‘ „Secret Service“ (Secret Service # 1- 6, Juni 2012 – April 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 1“ (Kick-Ass 3, # 1 – 5, Juli 2013 – Januar 2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 2“ (Kick-Ass 3 – # 6 – 7, April – August 2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yu/Nacho Vigalondos (Co-Autor/Drehbuch) „Super Croocks – Band 1: Der Coup“ (Super Crooks # 1 – 4, 2012)

Meine Besprechung von Jeff Wadlows Mark-Millar-Verfilmung „Kick-Ass 2“ (Kick-Ass 2, USA 2013)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns Mark-Millar-Verfilmung „Kingsman: The Secret Service“ (Kingsman: The Secret Service, USA/Großbritannien 2015)

Meine Besprechung von Mark Millar/Dave Johnson/Kilian Plunketts „Genosse Superman (Mark Millar Collection 4)“ (Superman: Red Son # 1 – 3, 2003)

Meine Besprechung von Mark Millar/Rafael Albuquerque/Dave McCaigs „Huck – Held wider Willen“ (Huck # 1 – 6, November 2015 – April 2016)

Meine Besprechung von Mark Millar/Stuart Immonens „Empress“ (Empress # 1 – 7, Juni 2016 – Januar 2017)

Meine Besprechung von Mark Millar/Greg Capullos „Reborn“ (Reborn # 1 – 6, Oktober 2016 – Juni 2017)

Meine Besprechung von Mark Millar/Olivier Coipels „The Magic Order“ (The Magic Order # 1 – 6, 2018/2019)

Mein Besprechung von Mark Millar/Wilfredo Torres‘ „Jupiter’s Circle“ (Jupiter’s Circle # 1 – 6, 2015; Jupiter’s Circle 2 # 1 – 6, 2015/2016)

Meine Besprechung von Mark Millar/Ricardo Lopez Ortiz‘ „Hit-Girl in Kolumbien“ (Hit-Girl (2018) # 1 – 4, 2018)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita Jr. „Kick-Ass: Frauenpower“ (Kick-Ass (2018) # 1 – 6, 2018)


DVD-Kritik: Kann die „Beale Street“ im Puschenkino überzeugen?

September 2, 2019

Zum Filmstart schrieb ich ziemlich begeistert:

Bei der diesjährigen „Oscar“-Preisverleihung erhielt Regine King den Oscar als beste Nebendarstellerin. Ansonsten wurde Barry Jenkins‘ berührendes Drama mit insgesamt nur drei Nominierungen sträflich ignoriert. Nicht einmal eine Nominierung als bester Film war drin. Und diese Nominierung, – eigentlich auch den Preis -, hätte „If Beale Street could talk“ (bei uns zu „Beale Street“ gekürzt) auch verdient.

Jenkins erzählt die in den frühen siebziger Jahren in Harlem spielende Geschichte von Tish Rivers. Die Neunzehnjährige ist verliebt in Fonny Hunt, den sie schon seit einer Ewigkeit kennt. Vor kurzem verlobten sie sich und demnächst wollen sie auch heiraten.

Eines Tages wird er verhaftet. Er soll eine Puerto-Ricanerin vergewaltigt haben. Er beteuert seine Unschuld. Trotzdem wandert er, ohne Prozess, ins Gefängnis. Nur Tish, ihre Familie und Fonnys Familie glauben an seine Unschuld. Während sie versuchen, ihn aus der Haft zu befreien, erfährt Tish, dass sie von Fonny schwanger ist.

Für ihre in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie ist das nur ein weiteres Problem.

Das ist einer der schönen und lebenswahren Momente in Jenkins‘ James-Baldwin-Verfilmung. Konflikte werden im Kreis der Familie gelöst. Tishs Familie hält, auch wenn sie sich mal lautstark zankt, zusammen. Sie ist, auch wenn das jetzt konservativ und pathetisch klingt, eine Wertegemeinschaft. Die Gegner sind ein weißer Polizist und das von ihm verkörperte System, das Schwarze konsequent benachteiligt.

Barry Jenkins schrieb das Drehbuch für „Beale Street“ vor sechs Jahren während eines längeren Europa-Aufenthalts. Im Sommer 2013 schrieb er in Brüssel „Moonlight“ und danach in Berlin „Beale Street“, der als Gegenentwurf zu „Moonlight“ gesehen werden kann. Immerhin erzählt der eine Film von einer nicht funktionierenden, der andere von einer funktionierenden Familie. Um nur einen Punkt zu nennen. Die Verhandlungen mit Baldwins Nachlassverwaltern dauerten dann einige Zeit, bis alle Fragen für die erste US-amerikanische Kinoverfilmung geklärt waren. Währenddessen drehte er „Moonlight“. Der Film war sein Durchbruch. Er erhielt den Drehbuchoscar und der Film erhielt, in einer denkwürdigen Zeremonie, den Oscar als bester Film des Jahres. Neben vielen anderen Preisen.

Entsprechend hoch waren die Erwartungen an seinen nächsten Film. Er erfüllt sie mit einer zu Herzen gehenden Liebesgeschichte, die leicht ein Nicholas-Sparks-Kitschfeuerwerk hätte werden können.

Baldwins Roman „Beale Street Blues“ wurde bereits einmal verfilmt. Von Robert Guédiguian als 1998 als „À la place du coeur“ (Die Farbe des Herzens). Diese erste Verfilmung verlegte die Geschichte nach Marseille und auch wenn Beale Street überall sein kann, ist sie in New York, genauer in Harlem.

Jenkins erzählt, wie in „Moonlight“, eine universelle Geschichte, die gerade wegen ihrem genauen Blick auf seine Charaktere, ihr Umfeld und ihren Alltag ganz genau an einem bestimmten Ort und einer bestimmten Zeit verortet ist. Niemand wird Tishs Wohnung für das Zimmer einer heute in Harlem lebenden jungen Frau halten. Gerade dadurch kann Jenkins eine allgemeingültige Geschichte erzählen.

Sie ist auch heute, angesichts der Black-Live-Matters-Proteste, genauso relevant wie damals, als Baldwin die Geschichte von Tish und Fonny erzählte. Nicht nur in den USA, sondern weltweit.

Beim wiederholten Ansehen fällt wieder auf, wie elegant Barry Jenkins zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her schneidet, wie langsam er die Geschichte erzählt, wie kunstvoll jedes Bild komponiert ist und wie traurig die Musik ist. Damit wird schon in den ersten Minuten jede Hoffnung auf ein konventionelles Hollywood-Happy-End zerstört. Jenkins sehenswerte Baldwin-Verfilmung ist allerdings auch keine frenetische Anklage gegen das US-Justizsystem (obwohl die Geschichte von Fonny und Tish genug Gründe dafür liefert), sondern eine todtraurig-melancholische Liebesgeschichte über zwei junge Menschen, von denen der eine verurteilt werden soll, weil er ein Afroamerikaner ist.

Nicholas Britell war für seine Filmmusik für einen Oscar nominiert. Er komponierte auch die ebenfalls Oscar-nominierte Musik für „Moonlight“.

James Laxton war auch bei „Moonlight“ Kameramann.

Das Bonusmaterial befindet sich mit dem noch nicht einmal fünfminütigem, belanglosen Minifeaturette „Behind the Scenes“ noch unter der Wahrnehmungsschwelle.

Beale Street (If Beale Street could talk, USA 2018)

Regie: Barry Jenkins

Drehbuch: Barry Jenkins

LV: James Baldwin: If Beale Street could talk, 1974 (Beale Street Blues)

mit KiKi Layne, Stephan James, Regina King, Colman Domingo, Teyonah Parris, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Ebony Obsidian, Dominique Thorne, Diego Luna, Finn Wittrock, Ed Skrein, Brian Tyree Henry, Dave Franco, Pedro Pascal

DVD

DCM/Universum Film

Bild: 2.00:1

Ton: Deutsch, Englisch

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Behind the Scenes, Wendecover

Länge: 114 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die lesenswerte Vorlage und ein klassisches Essay von James Baldwin

James Baldwin: Beale Street Blues

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Nachwort von Daniel Schreiber)

dtv, 2019

224 Seiten

12,90 Euro

Oritinalausgabe

If Beale Street could talk

Dial Press, New York, 1974

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer – The Fire next Time

(neu übersetzt von Miriam Mandelkow, mit einem Vorwort von Jana Pareigis und einer Nachbemerkung von Miriam Mandelkow zur Übersetzung)

dtv, 2019

128 Seiten

18 Euro

Originalausgabe

The Fire next Time

Dial Press, New York, 1963

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Beale Street“

Metacritic über „Beale Street“

Rotten Tomatoes über „Beale Street“

Wikipedia über „Beale Street“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Moonlight“ (Moonlight, USA 2016) und der DVD

Meine Besprechung von Barry Jenkins‘ „Beale Street“ (If Beale Street could talk, USA 2018)

Ein Gespräch mit Barry Jenkins zum Film

Barry Jenkins (Regie, Drehbuch), Stephan James (Fonny) und Kiki Layne (Tish) sprechen über den Film

 


Neu im Kino/Filmkritik: Kreative Titel, neuer Versuch: „The Equalizer 2“

August 17, 2018

Die Idee mit der Zeitungsannonce, in der er Hilfesuchenden Hilfe anbietet, hat Robert McCall wohl schnell aufgegeben. Er bekommt auch so in Boston genug zu tun. Zum Beispiel wenn er als Lyft-Fahrer eine Kundin mitnimmt, die von einigen reichen Schnöseln schlecht behandelt wurde, und er anschließend den Jungs eine Lektion erteilt. Oder wenn in dem Mietshaus, in dem er wohnt, eine Wand mit Graffitis beschmiert wird und er einem anderen Mieter, einem künstlerisch begabtem Jungen, der am Scheideweg zwischen Verbrecher und Künstler steht, bei der Entscheidungsfindung hilft. Oder wenn er einem Holocaust-Überlebenden der immer noch nach seiner wahrscheinlich schon lange verstorbener Schwester sucht, hilft, indem er eine alte Freundin um einen Gefallen bittet. Er versucht ein guter Mensch zu sein und nicht aufzufallen. Für seine früheren Kollegen ist er tot.

Als ungefähr in der Filmmitte seine beim Geheimdienst arbeitende Freundin Susan Plummer (Melissa Leo) ermordet wird, will McCall herausfinden, wer dafür verantwortlich ist. Weil ihr Tod mit der Ermordung zweier Geheimagenten in Brüssel zusammenhängt, ist klar, wohin die Spur führt: in McCalls alte Welt. Denn er war, was Kenner des ersten „The Equalizer“-Films und der legendären TV-Serie „The Equalizer“ wissen, vorher ein Geheimagent. Während dieser Arbeit verübte er Verbrechen, die sein Gewissen immer noch belasten. Nach dem Ende seiner Agentenkarriere zog er sich deshalb zurück und versucht jetzt Menschen zu helfen. So will er, als sei Gott ein penibler Buchhalter, seine Schuld abzutragen. Der deutsche TV-Serientitel „Der Equalizer – Der Schutzengel von New York“ (gedreht in den Achtzigern, als Manhattan wahrlich einen Schutzengel benötigte) brachte das gut auf den Punkt. Im ersten „The Equalizer“-Film übernahm Denzel Washington die Rolle des Schutzengels und Antoine Fuqua inszenierte den ruhigen Thriller, in dem McCall eine Teenager-Prostituierte vor der Russenmafia rettet.

Vier Jahre später spielt Washington wieder McCall und Fuqua inszeniert wieder den Film. Für beide ist es in ihrer Karriere die erste Fortsetzung und in Interviews schloss Fuqua einen dritten Film nicht aus. Richard Wenk schrieb wieder das Drehbuch. Damit ist an wichtigen Positionen für eine hohe Kontinuität gesorgt und die Ankündigung, dass wir dieses Mal mehr über McCalls Vergangenheit erfahren, macht neugierig.

Aber viel Neues erfahren wir dann doch nicht und gerade die Suche nach Plummers Mörder wird von Fuqua als wenig überraschendes Tätersuchspiel in der altbekannten Rätselkrimitradition erzählt. Schon damals war das Motiv denkbar uninteressant. In „The Equalizer 2“ ist es nicht anders. Denn als Motiv für die Morde gibt es letztendlich nur ein „Es war ein Auftrag“. Dabei sparte die TV-Serie nicht mit politischen Anspielungen und politischen Geschichten, in denen östliche und westliche Geheimdienste involviert waren. In seinen früheren Filmen sprach Fuqua immer wieder politische Themen an. Hier verzichtet er im Hauptplot vollkommen darauf. Dafür darf McCall in den ausführlich geschilderten Nebenplots als Schutzengel und gute Seele des Viertels agieren, der die Welt zu einem besseren Ort machen will. Mit Worten und, wenn diese nicht helfen, Taten.

Das Ende ist dann durchaus spektakulär. In einem wegen eines Hurrikans menschenleerem Küstendorf treffen McCall und Plummers Mörder aufeinander und McCall schaltet sie der Reihe nach aus; – wobei sie ihm mehr oder weniger unfreiwillig helfen oder in seine Fallen tappen. Dabei sind sie ihm ebenbürtige Killer. In diesen Minuten demonstriert Fuqua, wieder einmal und wie zuletzt in „Die glorreichen Sieben“, sein Faible für Action.

The Equalizer 2“ ist ein ruhiger Thriller, der sich viel Zeit (eigentlich schon zu viel Zeit) für die vorhersehbaren Nebengeschichten nimmt, dabei den Hauptplot sträflich vernachlässigt und immer wieder zu pathetisch wird. Denn McCall ist der Gute Mensch des Arbeiterviertels.

The Equalizer 2 (The Equalizer 2, USA 2018)

Regie: Antoine Fuqua

Drehbuch: Richard Wenk (basierend auf der von Michael Sloan und Richard Lindheim erfundenen TV-Serie)

mit Denzel Washington, Pedro Pascal, Ashton Sanders, Orson Bean, Bill Pullman, Melissa Leo, Jonathan Scarfe, Sakina Jaffrey, Kazy Tauginas, Garrett A. Golden

Länge: 121 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Equalizer 2“

Metacritic über „The Equalizer 2“

Rotten Tomatoes über „The Equalizer 2“

Wikipedia über „The Equalizer 2“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Training Day” (Training Day, USA 2001)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Gesetz der Straße – Brooklyn’s Finest” (Brooklyn’s Finest, USA 2009)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Olympus has fallen – Die Welt in Gefahr” (Olympus has fallen, USA 2013)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “The Equalizer” (The Equalizer, USA 2014)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas “Southpaw” (Southpaw, USA 2015)

Meine Besprechung von Antoine Fuquas „Die glorreichen Sieben“ (The Magnificent Seven, USA 2016)

Meine Besprechung von „The Equalizer – Der Schutzengel von New York: Staffel 1“ (The Equalizer, USA 1985/1986)

 


Neu im Kino/Filmkritik: „Kingsman: The Golden Circle“ und die Statesman

September 22, 2017

Der erste „Kingsman“-Film „The Secret Service“ war der etwas andere James-Bond-Film, der alles hatte, was alte James-Bond-Fans von einem James-Bond-Film erwarten. Und noch etwas mehr.

Der zweite „Kingsman“-Film „The Golden Circle“ schreibt die Geschichte der Kingsman und von Eggsy (Taron Egerton), der jetzt den Codenamen ‚Galahad‘ hat, fort. Allerdings weniger im Modus eines James-Bond-Films, sondern mehr „eigenständig“ als vergnügliche, mit über hundertvierzig Minuten auch zu lang geratene Nummernrevue mit viel Action. Denn die Story, ein Mix aus Agenten- und Kriminalgeschichte mit einer größenwahnsinnigen Schurkin, ist überall und nirgends.

Es beginnt mit einem Mordanschlag auf Eggsy (Taron Egerton), der uns gleich eine große Actionszene auf den nächtlichen Straßen Londons mit zahlreichen Kollateralschäden beschert, die auch gut in einen James-Bond-Film gepasst hätte. Wenn die Inszenierung der Action nicht zu sehr auf den Kollegen Computer bauen würde.

Dann werden alle Kingsman gleichzeitig bei mehreren explosiven Anschlägen ermordet. Nur Eggsy und Merlin (Mark Strong) überleben. In einem Notfallsafe finden sie einen Hinweis, der sie in die USA nach Kentucky in eine gigantische Whiskey-Destillerie zu ihrer Bruderorganisation ‚Statesman‘ führt und in deren Venen Americana fließt. Die dortigen Agenten Tequila (Channing Tatum, der wegen seines Drogenkonsums schnell tiefgekühlt gelagert wird), sein Kollege Whiskey (Pedro Pascal, „Game of Thrones“, „Narcos“), Ginger Ale (Halle Berry) und ihr Chef Champagne (Jeff Bridges) helfen ihnen gegen den Golden Circle, der für die Anschläge auf die Kingsman verantwortlich ist, vorzugehen.

Der Golden Circle ist eine global aktive Drogenschmuggelorganisation, deren Chefin Poppy (Julianne Moore) nach höheren Weihen strebt. Dafür vergiftet sie jetzt alle ihre Kunden. Das Gegengift gibt es, wenn ihre Forderung nach einer vollständigen Freigabe von Drogen (Hey, klingt vernünftig!) erfüllt wird. Der Präsident der USA (Bruce Greenwood) denkt nicht daran und die Kingsman und die Statesman, vor allem Eggsy und Whiskey, beginnen, quer über den Globus reisend, Poppy und ihr Versteck zu suchen. Das liegt in Südostasien im Dschungel und sieht wie eine US-amerikanische Fünfziger-Jahre-Kleinstadt aus. Mit Diner, Kino und Konzertsaal, mit Elton John als Hauspianisten.

Bis dahin vergeht allerdings viel Filmzeit. Durchaus vergnüglich, aber auch deutlich mehr an einzelnen Episoden, Gags, teils gelungen, teils idiotisch (wie die Roboterhunde), teils geschmacklos, und Subplots zwischen Therapie für ‚Galahad‘ Harry Hart (Colin Firth) und Liebesknatsch zwischen Eggsy und seiner Freundin Prinzessin Tilde (Hanna Alström) interessiert, als am vorantreiben der erschreckend sinnfreien Haupthandlung.

Die Action ist zwar furios im derzeit gängigen, aus Superheldenfilmen bekannten Standard gefilmt, aber sie berührt oft nicht. Denn zu oft ist zu offensichtlich, dass die Szenen nur dank dem großflächigen CGI-Einsatz so aussehen, wie sie aussehen. Dabei haben zuletzt „John Wick: Kapitel 2“, „Atomic Blonde“ und „Baby Driver“ gezeigt, wie mitreisend handgemachte Action ist. Auch der erste „Kingsman“-Film „The Secret Service“ hatte da mit Harry Harts Kampf in einem Pub und einer Kirche Standards gesetzt, die in diesem Film nicht überboten werden. Die Pubszene wird in „The Golden Circle“ zitiert, aber am Ende ist ein Lasso nur ein kläglicher Ersatz für einen Regenschirm.

So ist „Kingsman: The Golden Circle“ ein deutlich zu lang geratener Nachschlag zum ersten „Kingsman“-Film, dem genau der Witz, Stil, erzählerische Stringenz und Überraschungseffekt des ersten Teils fehlt.

Kingsman: The Golden Circle (Kingsman: The Golden Circle, USA 2017)

Regie: Matthew Vaughn

Drehbuch: Jane Goldman, Matthew Vaughn

LV: Mark Millar/Dave Gibbons: The Secret Service, 2012/2013 (Secret Service) (naja, eigentlich „Inspiration“)

mit Taron Egerton, Julianne Moore, Colin Firth, Mark Strong, Channing Tatum, Halle Berry, Jeff Bridges, Pedro Pascal, Edward Holcroft, Elton John, Hanna Alström, Tom Benedict Knight, Michael Gambon, Sophie Cookson, Björn Granath, Lena Endre, Poppy Delevingne, Bruce Greenwood, Emily Watson

Länge: 141 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Kingsman: The Golden Circle“

Metacritic über „Kingsman: The Golden Circle“

Rotten Tomatoes über „Kingsman: The Golden Circle“

Wikipedia über „Kingsman: The Golden Circle“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns Mark-Millar-Verfilmung „Kingsman: The Secret Service“ (Kingsman: The Secret Service, USA/Großbritannien 2015)

Bonushinweis

Pünktlich zum Filmstart (obwohl der Comic nichts mit dem Film zu tun hat) erschien bei Panini als vierter Band der „Mark Millar Collection“. „Genosse Superman“ ist Mark Millars Interpretation der Geschichte von Superman. Nur dass der Sohn Kryptons in den Fünfzigern nicht in den USA, sondern einige Kilometer weiter, in der Sowjetunion landete und der, – man beachte das Zeichen auf Supermans Brust -, für andere Werte kämpft.

Genosse Superman“ war für den Eisner Award nominiert.

Mark Millar/Dave Johnson/Kilian Plunket: Genosse Superman (Mark Millar Collection Band 4)

(übersetzt von Christian Heiss)

Panini, 2017

172 Seiten

24,99 Euro

Originalausgabe

Superman: Red Son # 1 – 3

DC Comics, 2003

Hinweise

Homepage von Mark Millar

Meine Besprechung von Mark Millar/J. G. Jones‘ „Wanted (Mark Millar Collection 1)“ (Wanted # 1 – 6, Dezember 2003 – Februar 2005)

Meine Besprechung von Mark Millar/Steve McNivens „Nemesis“ (Nemesis, 2010/2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/Grant Morrisons “Vampirella: Heiliger Krieg (Master Series 1)”

Meine Besprechung von Mark Millar/Steve McNivens „Wolverine: Old Man Logan“ (Old Man Logan, 2008/2009)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 1)“ (Kick-Ass 2 – Issue 1 – 4, Dezember 2010 – November 2011)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Kick-Ass 2 (Band 2)“ (Kick-Ass 2 – Issue 5 – 7, Januar – Mai 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita, Jr. „Hit-Girl – Kick-Ass 2: Die Vorgeschichte“ (Hit-Girl, Issue 1 – 5, August 2012 – April 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yus „Superior – Band 2“ (Superior, Issue 5 – 7, Dezember 2011 – März 2012)

Meine Besprechung von Mark Millar/Dave Gibbons‘ „Secret Service“ (Secret Service # 1- 6, Juni 2012 – April 2013)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 1“ (Kick-Ass 3, # 1 – 5, Juli 2013 – Januar 2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/John Romita jr. „Kick-Ass 3 – Band 2“ (Kick-Ass 3 – # 6 – 7, April – August 2014)

Meine Besprechung von Mark Millar/Leinil Yu/Nacho Vigalondos (Co-Autor/Drehbuch) „Super Croocks – Band 1: Der Coup“ (Super Crooks # 1 – 4, 2012)

Meine Besprechung von Jeff Wadlows Mark-Millar-Verfilmung „Kick-Ass 2“ (Kick-Ass 2, USA 2013)

Meine Besprechung von Matthew Vaughns Mark-Millar-Verfilmung „Kingsman: The Secret Service“ (Kingsman: The Secret Service, USA/Großbritannien 2015)


Neu im Kino/Filmkritik: „The Great Wall“, die Chinesische Mauer, Matt Damon, der Namenlose Orden und viele, sehr viele, viel zu viele Tao Teis

Januar 13, 2017

China im 12. Jahrhundert: Der Söldner William Garin (Matt Damon) und sein Freund Pero Tovar (Pedro Pascal) suchen das legendäre, in Europa damals noch unbekannte Schießpulver. Sie entdecken die Chinesische Mauer und den Namenlosen Orden (das ist doch einmal ein Name!), der sich auf einen großen Kampf vorbereitet. Alle sechzig Jahre greifen die Tao Tei aus den Jadebergen an. Die Bestien töten acht Tage lang Menschen, um sie für ihre Gier zu bestrafen.

Der nächste Angriff steht unmittelbar bevor und nach dieser kurzen Einführung folgt „The Great Wall“ den bekannten Mustern von Angriffen der Fremden/Invasoren/Monster/Indianer (soviel zu einer möglichen politischen Lesart des Films) und der Verteidigung der Festung bzw. hier, des Landes. In diesem Fall mit vielen einfallsreich und überraschend eingesetzten Waffen und todesmutigen Kriegern. Historisch faktengetreu ist diese amerikanisch-chinesische Produktion nicht. Sie spielt in einer Fantasy-Welt, in der es Monster gibt, die wie Filmmonster aussehen und wie eine wildgewordene Amseisenhorde angreifen.

Die Idee für den Film und der Hauptdarsteller kamen aus Hollywood, Regie, eigentlich alle anderen Schauspieler und die vielen, vielen bunt gekleideten Soldatendarsteller aus China. Die CGI-Macher arbeiteten, wie man aus dem sehr langen Abspann erfährt, rund um den Globus und sie hatten viel zu tun. Daran änderten auch die vielen Statisten nichts, die als Soldaten treppauf, treppab laufen und Pfeile, Speere, Öl und andere Dinge gegen die Tao Teis schleudern.

Die Regie übernahm Zhang Yimou, der vor fünfzehn Jahren „Hero“ inszenierte, und der für seinen ersten englischsprachigen Film anscheinend alles verlernte. „Hero“ ist ein hoch budgetiertes Prestigeprodukt, das damals Publikum und Kritik überzeugte. Zhang Yimous erster Martial-Arts-Film beeindruckt mit moralischen Ambivalenzen, tollen Kampfszenen und leinwandfüllenden Bildern, die man sich oft auch als Poster vorstellen kann.

In „The Great Wall“ gibt es dagegen nur die Eindeutigkeiten einer banalen Geschichte mit Dialogen zum Vergessen und Charakteren ohne jegliche Tiefe. Das gilt auch für Matt Damon, der hier in einer Mischung aus Langeweile und Desorientierung in die Kamera blickt, während auch auf seinen Schultern der Anspruch des Films ruht, gleichzeitig das westliche und das chinesische Publikum zu begeistern.

Auch optisch ist „The Great Wall“ eine große Enttäuschung. In „Hero“ bleiben, auch nachdem man die Geschichte vergessen hat, die Bilder und einzelne Sequenzen im Gedächtnis. Auch für „The Great Wall“ wurde ein gigantischer Aufwand betrieben. Offiziell kostete der Film 150 Millionen Dollar, was ihn zum bislang teuersten chinesischen Film macht. Armeen von Statisten wurden engagiert und 13140 Kostüme für sie geschneidert. Sie wurden durch CGI-Soldaten ergänzt. Es wurde unter anderem in Huangdao, am Ufer des Gelben Meeres, und im Zhangye-Danxia-Geopark gedreht. Es wurde ein 152 Meter langes, zwölf Meter hohes Mauer-Set aufgebaut; als Teil eines der größten Green-Screen-Sets im Außenbereich, die es bislang für einen Spielfilm gab.

Aber anstatt diesen Aufwand bildgewaltig auf der Leinwand zu präsentieren, geht in „The Great Wall“ alles in einem hektischem IMAX-3D-Schnittgewitter unter, das von einem gleichbleibend lautem, von „Game of Thrones“-Komponist Ramin Djawadi geschriebenem Soundtrack aus der bombastischen Hans-Zimmer-Schule begleitet wird, die aus allen IMAX-Boxen dröhnt.

The Great Wall“ ist ein durch und durch durchschnittliches Werk bei dem alle Beteiligten gerade so Dienst-nach-Vorschrift leisten. Da beeindruckt nichts; – was angesichts der Beteiligten dann wiederum beeindruckend ist.

In einigen Jahren wird der Abenteuerfilm sicher regelmäßig an Sonntagnachmittagen im Fernsehen laufen und zwölfjährigen Jungs, die sich über die nicht vorhandene Liebesgeschichte freuen werden, gefallen.

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The Great Wall (The Great Wall, China/USA 2017)

Regie: Zhang Yimou

Drehbuch: Carlo Bernard, Doug Miro, Tony Gilroy (nach einer Geschichte von Max Brooks, Edward Zwick und Marshall Herskovitz)

mit Matt Damon, Pedro Pascal, Tian Jing, Willem Dafoe, Andy Lau, Numan Acar, Johnny Cicco

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Great Wall“

Metacritic über „The Great Wall“

Rotten Tomatoes über „The Great Wall“

Wikipedia über „The Great Wall“ (deutsch, englisch)


Buch- und DVD-Kritik: Über „Narcos“ und „Narconomics“

November 9, 2016

https://www.youtube.com/watch?v=U7elNhHwgBU

Die letzte Meldung zum Drogenkrieg: Jeremy Douglas, der Asien-Pazifik-Vertreter der UN-Drogenbehörde UNODC sagte Ende Oktober: „Der Anti-Drogen-Krieg des vergangenen halben Jahrhunderts hat keine Resultate gebracht. Zahlen machen deutlich, dass die Lage schlimmer denn je ist.“

Wer wissen möchte, warum er scheiterte, findet unter anderem in der Serie „Narcos“ und dem Sachbuch „Narconomics“ Erklärungen.

Narcos“, eine von Carlo Bernard, Chris Brancato und Doug Miro erfundene Netflix-Serie, erzählt die Geschichte des USA-Südamerikanischen Drogenkrieges seit den frühen Siebzigern bis, nun, wir werden sehen. In der ersten Staffel (die zweite ist bereits veröffentlicht, eine dritte und vierte Staffel sind bestellt) geht es um Pablos Escobar (1. Dezember 1949 – 2. Dezember 1993) und seinen Aufstieg. Die erste Staffel endet im Juli 1992, als Escobar aus dem Gefängnis „La Catedral“ (das er in jeder Beziehung nach seinen eigenen Wünschen gestaltete) in den Dschungel flüchtet. Escobars Gegner ist der DEA-Agent Steve Murphy, der sich Ende der siebziger Jahre von Florida nach Kolumbien versetzen lässt und der in den ersten acht von zehn Episoden mit seiner Erzählerstimme die sich durchgehend nah an der Realität bewegenden, kongenial verdichteten Ereignisse kommentiert. Murphys Freund und Vertrauter ist sein Partner Javier Peña, der in der Serie schon länger im Land ist. In Wirklichkeit kam Peña erst 1989 ins DEA-Büro in Bogotá (und einige der Fotos, die er damals schoss, sind in James Mollisons Bildband „Escobar – Der Drogenbaron“ veröffentlicht).

In den letzten beiden Episoden verändert sich dann das Erzähltempo von einem Scorsese-haftem Epos hin zur langsamen Erzählweise des Serienfernsehens, in dem es, auch wenn es einen oder mehrere folgenübergreifende Handlungsstränge gibt, pro Folge immer einen klar umrissenen ‚Konflikt der Woche‘ gibt und die Geschichte sich manchmal im Schneckentempo voranbewegt. Dieser Bruch markiert auch den Punkt, in dem Macher bemerkten, dass sie mit „Narcos“ wirklich eine Serie haben, die sie über mehrere Staffeln weitererzählen können.

Die erste Staffel von „Narcos“ ist furioses Fernsehen, das immer wieder wie eine Bebilderung von Don Winslows Südamerika-Romanen „Tage der Toten“ und „Das Kartell“ wirkt. Immerhin behandeln die Serie und die Romane den gleichen Krieg aus der nord- und südamerikanischen Perspektive und sie stellen in ihrer Jahrzehnte umspannenden Chronik nüchtern das vollständige Scheitern des von Präsident Nixon groß angekündigten „war on drugs“ fest: der Drogenkonsum nahm zu, die Preise stagnierten, die Gewalt eskalierte.

Die ersten beiden Folgen wurden von José Padilha, dem Regisseur von „Tropa de Elite“ und „Robocop“, inszeniert. Er legte damit den Grundton und das Erzählprinzip, das er „’Goodfellas‘ mit Archivmaterial“ nennt, fest. Für ihn war, wie er im Bonusmaterial erzählt, nur Wagner Moura, mit dem er bereits mehrfach zusammenarbeitete, als Pablo Escobar vorstellbar. Und Moura, der für die Rolle spanisch lernte, überzeugt als Escobar restlos.

Daher ist es auch sehr lobenswert, dass auch in der deutschen Synchronisation das Prinzip der Zweisprachigkeit beibehalten wurde und die Charaktere in ihrer Muttersprache, also englisch (bzw. deutsch) oder spanisch, sprechen. Für Netflix war diese Zweisprachigkeit nie ein Problem und auch aus ökonomischer Perspektive sogar erwünscht. Denn der spanischsprechende Markt ist groß. Der Wechsel zwischen den verschiedenen Sprachen trägt auch zum Realismus der Serie bei.

Ein Problem der Serie ist allerdings, dass gerade bei den ersten acht Episoden die einzelnen Charaktere kaum ein Eigenleben entwickeln können, weil in einem atemlosen Reportage-Stil durch die Jahre gehetzt werden muss.

Ein anderes Problem ist, dass wirklich kein Charakter zur Identifikation einlädt. Letztendlich sind alle Arschlöcher, die, wenn es ihren Zielen dient, Gesetze brechen und Moral für eine Nebensache halten. Auch DEA-Agent Murphy macht da in der Serie eine Entwicklung durch. Sie ist am Ende der achten Episode, die den Kreis zur ersten Episode schließt, abgeschlossen.

Das Bonusmaterial ist mit drei Audiokommentaren, den Featurettes „The Colombian Connection“, „Establishing the Route“ und „The Language Barrier“ (insgesamt 45 Minuten) und knapp acht Minuten „Deleted Scenes“ durchaus umfangreich ausgefallen. Die informativen Featurettes konzentrieren sich auf die Serie und liefern Hintergründe zum Dreh vor Ort und der Zusammenarbeit mit Netflix. Allerdings wurde, aus was für idiotischen Gründen auch immer, durchgehend darauf verzichtet, die Namen und Funktionen der Interviewten einzublenden. So muss man sich während des Gesprächs zusammenreimen, wer spricht. Bei einigen findet man es nie heraus.

Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen“ von „Economist“-Journalist Tom Wainwright ist eine gute Ergänzung zu „Narcos“. Der ab 2010 jahrelang über Mittelamerika und die umliegenden Länder berichtende Journalist wagt eine aktuelle Bestandsaufnahme des Kampfes gegen die Drogen in Südamerika und den USA. Mit minimalen Ausflügen in andere Länder. In seinem Sachbuch zeichnet er den Weg der Drogen vom Anbau bis zum Verkauf an den Endkonsumenten nach. Dabei verbindet er Vor-Ort-Recherche mit umfassenderen Analysen und betrachtet das Drogengeschäft aus ökonomischer Perspektive. Also so, als wäre das Drogengeschäft ein ganz normales Geschäft, das sich von legalen Geschäften nur durch die beiden Buchstaben „i“ und „l“ unterscheidet. Mit dieser, zugegeben nicht besonders neuen Betrachtungsweise, die er auf die gesamte Lieferkette anwendet, führt er zu einer teilweise neuen Sicht des Drogengeschäftes und den damit zusammenhängenden Probleme, wie Kriminalität, zweifelhafte Produktqualität und den Kosten der Bekämpfung. Denn der gesamte, inzwischen seit Jahrzehnten geführte Kampf gegen die Drogen führte nicht zum Ziel. Im Gegenteil: es wird mehr konsumiert und der Straßenpreis (vulgo Endkundenpreis) für Drogen steigt nicht. Dagegen steigen, egal ob man sich nur auf die direkten oder auch die indirekten Kosten konzentriert, die Kosten der Bekämpfung.

Aus dem ökonomischen Blickwinkel wird auch deutlich, an welchen Punkten der Lieferkette man am besten eingreift: an der Grenze zur USA oder ziemlich direkt bei den Endkonsumenten. Dort ist das Produkt am teuersten. Der ökonomische Verlust für die Kartelle ist dort am höchsten.

Aus dem ökonomischen Blickwinkel wird auch deutlich, wie hoch die Kosten des erfolglosen Kampfes gegen die Drogen sind – und warum man die bisherige Politik ändern sollte. Folgerichtig fordert Wainwright ein Ende der Drogenprohibition, weil ein Verbot bei Drogen, wenn die Menschen sie konsumieren wollen, noch nie funktionierte. Das hatten die US-Amerikaner während der Alkoholprohibition schon erfahren müssen.

Eine überlegte Freigabe, Qualitätskontrolle, Besteuerung, vorausschauende Sozialpolitik, auch ein Umsteuern beim Umgang mit Inhaftierten (damit Gefängnisse nicht weiterhin Rekrutierungsorte für die Kartelle bleiben) und eine Produktion vor Ort würden vieles ändern. Der zunehmende Drogenhandel über das Internet hat schon jetzt, wie auch im normalen Handel, einiges geändert, weil die Vergleichsmöglichkeiten über die Qualität und den Preis des Produktes zunahmen. Außerdem war es noch nie wirklich sexy, aber abenteuerlich, sich in dunklen Gassen seinen Stoff zu besorgen.

Der Kollateralschaden einer solchen Politik wäre natürlich ein Ende Serien wie „Narcos“. Denn wer will schon normalen Kaufleuten bei ihrer stinklangweiligen Arbeit zusehen?

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Narcos – Die komplette erste Staffel (Narcos, USA 2015)

Regie: José Padilha, Guillermo Navarro, Andi Balz, Fernando Coimbra

Drehbuch: Chris Brancato, Carlo Bernard, Doug Miro, Dana Calvo, Dana Ledoux Miller, Andy Black, Zach Calig, Allison Abner, Nick Schenk

Erfinder: Carlo Bernard, Chris Brancato, Doug Miro

mit Wagner Moura (Pablo Escobar), Boyd Holbrook (Steve Murphy), Pedro Pascal (Javier Peña), Paulina Gaitan (Tata Escobar), Juan Murcia (Juan Pablo Escobar), Raúl Méndez (César Gaviria), Jorge Monterrosa (Trujillo), Paulina García (Hermilda Gaviria), Diego Cataño (La Quica), Julián Díaz (Blackie), Joanna Christie (Connie Murphy), Danielle Kennedy (Botschafterin Noonan), Luis Guzmán (José Rodríguez Gacha)

DVD

Polyband

Bild: 1,78:1 (16:9)

Ton: Deutsch, Englisch/Spanisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Making-of, Interviews mit Cast & Crew, Deleted Scenes, Audiokommentare

Länge: 500 Minuten (4 DVDs)

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Narcos“

Wikipedia über „Narcos“ (deutsch, englisch) und Pablo Escobar (deutsch, englisch)

Narconomics von Tom Wainwright

Tom Wainwright: Narconomics – Ein Drogenkartell erfolgreich führen

(übersetzt von Henning Dedekind)

Blessing, 2016

352 Seiten

19,99 Euro

Originalausgabe

How to run a Drug Cartel

PublicAffairs, Perseus Book Group, New York, 2016

Bonushinweis

Wer zwischen der Realität und „Narcos“ vergleichen will, sollte sich James Mollisons „Escobar – Der Drogenbaron“ beschaffen. In der reich bebilderten Biographie kann man in die damalige Zeit eintauchen.

Mollison - Escobar - Der Drogenbaron

James Mollison (mit Rainbow Nelson): Escobar – Der Drogenbaron

(übersetzt von Simone Salitter und Gunter Blank)

Heyne Hardcore, 2010

416 Seiten

16 Euro

Originalausgabe

The Memory of Pablo Escobar

Chris Boot Ltd., London 2007