TV-Tipp für den 21. September: Out of Time – Sein Gegner ist die Zeit

September 21, 2015

https://www.youtube.com/watch?v=n-3y8ZbHRMM

Kabel Eins, 22.45

Out of Time – Sein Gegner ist die Zeit (USA 2003, Regie: Carl Franklin)

Drehbuch: David Collard

Matt Whitlock schiebt als Polizeichef von Banyan Key eine ruhige Kugel in dem Sunshine State Florida. Seine verheiratete Geliebte Ann verzuckert seinen Alltag. Als sie unheilbar an Krebs erkrankt und ihn als Begünstigten in ihre Lebensversicherung einsetzt, will er ihr helfen. Er gibt ihr die seinem Polizeisafe gebunkerte halbe Million Dollar Drogengeld. Wenige Stunden später sind sie und ihr Mann tot. Sie wurden ermordet und anschließend verbrannt. Whitlocks Ex Alex leitet die Ermittlungen. Alle Beweise deuten auf den unbekannten Geliebten als Mörder. Matt Whitlock muss daher das Komplott aufdecken, bevor er als Mörder verhaftet wird.

Für Genre-Junkies ist der wunderschön entspannte Florida-Noir-Thriller „Out of Time – Sein Gegner ist die Zeit“ ein Festschmaus.

Collard schrieb ein wendungsreiches, kunstvoll die Balance zwischen Tradition und Innovation haltendes, Drehbuch. Franklin setzte es punktgenau um. Das Ensemble, angeführt von dem immer guten Denzel Washington, spielte genussvoll auf. Gerade die vielen Nebendarsteller, wie der Pathologe (als Sidekick des Helden ist er natürlich sehr wichtig), die Untergebenen von Alex und Matt, die DEA-Agenten, der Hotelchef und die ältere Zeugin, hatten prächtige Auftritte. Die Stuntmen durften vor allem bei einem Kampf auf Leben und Tod an einem Balkongitter im siebten Stock eines Hotels ihr Können zeigen. Die Aufnahmen Florida, besonders der Sonnenuntergängen, sind traumhaft und die Musik von Graeme Revell gibt allem einen entspannt-südamerikanischen Touch.

Mit Denzel Washington, Eva Mendes, Sanaa Lathan, Dean Cain, John Billingsley

Wiederholung: Dienstag, 22. September, 03.05 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Homepage zum Film

Film-Zeit über „Out of Time“

Rotten Tomatoes über”Out of Time”

Wikipedia über „Out of Time“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 20. September: Inspektor Lavardin oder Die Gerechtigkeit

September 20, 2015

Arte, 20.15
Inspektor Lavardin oder Die Gerechtigkeit (Frankreich/Schweiz 1986, Regie: Claude Chabrol)
Drehbuch: Claude Chabrol, Dominique Roulet
In der Bretagne wird die nackte Leiche eines Schriftstellers gefunden. Inspektor Lavardin soll den Fall aufklären.
Nach dem Erfolg des ersten Lavardin-Filmes „Hühnchen in Essig“ entschloß sich Chabrol einen zweiten Film mit Lavardin zu drehen. Dominique Roulet, der die Vorlage zu dem ersten Film schrieb, arbeitete am Drehbuch mit und schrieb die Dialoge.
Chabrol zum Film: „Während Hühnchen in Essig die Adaption eines Romans war, ist Inspektor Lavardin ein freieres Spiel der Fantasie um diesen Helden herum. Ich habe meine eigene Welt und meine Ticks wiedergefunden, Voyeurismus und Heuchelei – das eine ist die Kehrseite des anderen – in den kleinen Provinzstädten, das ist eine kleine Welt, die mir gehört: mit der homosexuellen lustigen Witwe oder dem verlogenen katholischen Schriftsteller, die sehr wohl meine Geschöpfe sind.“ Und Inspektor Lavardin sorgt mit seinem eigenwilligen Gerechtigkeitssinn für eine Lösung.
Ein galliges Vergnügen
Mit Jean Poiret, Jean-Claude Brialy, Bernadette Lafont, Jean-Luc Bideau, Jacques Dacqmine
Wiederholung: Montag, 21. September, 14.00 Uhr

Hinweise

Wikipedia über „Inspektor Lavardin oder Die Gerechtigkeit“ (englisch, französisch) und Claude Chabrol (deutsch, englisch, französisch)

Mein Nachruf auf Claude Chabrol

Claude Chabrol in der Kriminalakte


TV-Tipp für den 19. September: Ghost Dog – Der Weg des Samurai

September 19, 2015

EinsFestival, 22.00

Ghost Dog – Der Weg des Samurai (USA 1999, Regie: Jim Jarmusch)

Drehbuch: Jim Jarmusch

Poetisch-meditativer, mit Hip-Hop-Klängen unterlegter Gangsterfilm über einen nach dem Kodex der Samurai lebendem Killer, der auf die Abschussliste seiner Auftraggeber gerät. Jarmusch ist dabei gänzlich desinteressiert an der Story, aber sehr interessiert an dem Spiel mit Stimmungen, Symbolen, Zeichen und Motiven.

„Durch ‘Ghost Dog’ hindurch blicken wir wie durch ein Vergrößerungsglas in die Filmgeschichte. (…) Mit ‘Ghost Dog’ variiert Jarmusch einmal mehr sein Lieblingsthema, die Differenz der Kulturen und die wunderbaren, auch komischen Momente, die durch den Zusammenstoß verschiedener Mentalitäten entstehen können. Besonders bizarr sieht seine filmische Synthese von HipHop und italienischer Vorstadt-Mafia aus.“ (Nils Meyer in Rolf Aurich/Stefan Reinecke, Hrsg.: Jim Jarmusch, 2001 – ein empfehlenswertes Buch)

mit Forest Whitaker, John Tormey, Cliff Gorman, Henry Silva, Isaach de Bankolé, Gary Farmer, The RZA (Cameo; er schrieb auch die Musik)

Wiederholung: Sonntag, 20. September, 02.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über “Ghost Dog”

Wikipedia über „Ghost Dog“ (deutsch, englisch)

Senses of Cinema: Marco Lanzagorta über „Ghost Dog“ (September 2002)

Wikipedia über Jim Jarmusch (deutsch, englisch)

The Jim Jarmusch Resource Page

Senses of Cinema über Jim Jarmusch

Jim Jarmusch in der Kriminalakte

Meine Besprechung von Jim Jarmuschs “Only Lovers left alive” (Only Lovers left alive, Deutschland/Großbritannien/Frankreich/Zypern/USA 2013)

 


Keine „Verschwörung“. Mikael Blomkvist und Lisbeth Salander sind zurück

September 18, 2015

Lagercrantz - Verschwörung - 2

Dass ich nicht der große Stieg-Larsson-Fan bin, dürfte bekannt sein (siehe hier, hier und hier).
Dass ich keine Probleme habe, wenn andere Autoren neue Romane mit bekannten Figuren schreiben, stört mich auch nicht.
Und David Lagercrantz wurde von den Erben des am 9. November 2004 verstorbenen Stieg Larsson, seinem Vater und seinem Bruder, beauftragt, einen weiteren Roman mit den bekannten Charakteren und der von Larsson etablierten Welt zu schreiben. Immerhin haben die drei „Millennium“-Romane von Larsson, die erst nach seinem Tod erschienen, sich weltweit millionenfach verkauft. Sie wurden erfolgreich verfilmt. Der erste Band sogar zweimal. Es gibt Comics, die von der renommierten Krimi-Autorin Denise Mina geschrieben wurden. Larssons Freundin Eva Gabrielson, die nicht mit ihm verheiratet war, inzwischen eine Biographie über ihre Jahre mit Stieg Larsson schrieb und weil es kein Testament gab, ncht zu seinen Erben gehört, behauptete, das Manuskript eines vierten Romans von Stieg Larsson auf einem Computer zu haben und sie es auch fertig schreiben und veröffentlichen wolle. Bis jetzt ist das nicht geschehen.
Und es gab, selbstverständlich, einige Stieg-Larsson-Parodien.
Angesichts der immer noch vorhandenen Nachfrage nach den Romane von Stieg Larsson war es nur eine Frage der Zeit, bis, wie auch bei anderen verstorbenen Autoren (ad hoc Sir Arthur Conan Doyle, Agatha Christie, Ian Fleming), die Erben einen anderen Autor beauftragen, einen weiteren Roman zu schreiben. Sie beauftragten David Lagercrantz mit der Aufgabe. Und sie wollen, dass die Einnahmen aus diesem Roman in eine Stiftung für linke Projkete fließen.
Lagercrantz erledigt seine Aufgabe auch ganz zufriedenstellend. Immerhin war auch Stieg Larsson kein großartiger Stilist. Dafür füllte er viele Seiten mit teils unerheblichen Details und vollkommen überflüssigen Subplots. Das war schon in seinem ersten Roman „Verblendung“ so. In „Vergebung“ erzählte er dann auf gut achthundertfünfzig Seiten eine Geschichte, die ein erzählökonomischerer Autor als zweiseitigen Epilog von „Verdammnis“ erledigt hätte. Bei den Verfilmungen wurde dann beherzt und problemlos viel erzählerisches Fett weggeschnitten.
Das wird bei „Verschwörung“ etwas schwieriger sein. Der nur sechshundertseitige Roman spielt, auch wenn kein markantes politisches, kulturelles oder gesellschaftliches Ereignis und kein Jahr genannt wird (es wird zwar auf Seite 317, als einziges konkretes Datum, „Mittwoch, der 22. November“ genannt, aber diese Kombination gibt es in diesem Jahrzehnt nur 2017), ungefähr ein Jahrzehnt nach Larssons Romanen. Also ungefähr jetzt. In der Gegenwart des Jahres 2015. In der Nach-Snowden-Zeit, obwohl er sich liest, als sei er in der Prä-Snowden-Zeit geschrieben worden.
Enthüllungsjournalist Mikael Blomkvist erfährt, dass Frans Balder, der führende Forscher auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, zurück in Stockholm ist und er verfolgt wird. Blomkvist hat zwar keine Ahnung von Künstlicher Intelligenz, aber anscheinend interessiert sich auch die beziehungsgestörte Hackerin Lisbeth Salander, die er seit Ewigkeiten nicht gesehen hat, für Balder.
Als Blomkvist Balder besucht, der von zwei Polizisten wegen einer geheimnisvollen, aber sehr ernst zu nehmenden Todesdrohung (die die NSA aufgeschnappt hat) bewacht wird, wird gerade, mitten in der Nacht, ein Anschlag auf den Wissenschaftler verübt. Balder stirbt. Sein autistischer Sohn mit zwei Inselbegabungen (Zahlen, vor allem Primzahlen, und fotorealistische Zeichnungen) überlebt. Der achtjährige August könnte sie zum Mörder führen.
Zur gleichen Zeit hat Lisbeth Salander sich schon in den Computer der NSA eingehackt und wichtige Dokumente gestohlen, weshalb die NSA den unbekannten Hacker jagt.
Durch einige Umstände, die uns hier nicht genauer interessieren müssen, rettet Salander das Leben von August und versteckt sich mit ihm in einer einsamen Hütte.
Und viel mehr von der Handlung zu verraten, würde das gesamte Buch spoilern, weil die Geschichte von „Verschwörung“ sich über viele hundert Seiten in ominösen Andeutungen ergeht. Geheimdienste, ein Konzern, der mit Geheimdiensten und Gangstern zusammenarbeitet, Forschungen im Bereich Künstlicher Intelligenz, die weltweite Überwachung, die Polizei und Salanders Familie haben alle irgendwie damit zu tun. Sowieso tauchen viele alte Bekannte aus den vorherigen Büchern auf, weshalb sich „Verschwörung“ auch wie ein „Schön, dass wir uns wiedersehen“-Familientreffen liest. Es gibt viele Andeutungen auf den nächsten Roman, der, wie „Verschwörung“, in einem Paralleluniversum spielt, das wir so ähnlich auch großen Comic-Epen kennen, in denen alle wichtigen Figuren miteinander verwandt und verschwägert sind und sie einen epischen Familienzwist austragen.
Das unterscheidet Lagercrantz dann eindeutig von Larsson. In seinen Romanen war die Realität der Hintergrund, vor dem er seine immer wieder überraschend umständlich und dadurch oft sehr spannungsarme Geschichte entfaltete. Er benutzte die Romane, um über seine Themen zu schreiben und weil es ihm wichtig war, schrieb er Seiten darüber. Er lenkte damit die Aufmerksamkeit des Lesers auf Themen, die in der Gesellschaft damals nicht oder nur wenig beachtet wurden. Und Salanders selbstverständlicher Einsatz von Computern, dem Internet und modernen Überwachungstechniken war vor zehn Jahren in einem Kriminalroman noch neu. Damit hatten seine Romane und wie er Stimmungen und Entwicklungen aufgriff, schon etwas prophetisches.
Bei Lagercrantz ist es genau umgekehrt. Er schafft es, einen Roman über die NSA zu schreiben, ohne auch nur einmal Edward Snowden zu erwähnen. Bei ihm wird die gesamte Diskussion über globale Überwachung, die uns seit dem Sommer 2013 begleitet, vollkommen ignoriert. Sogar als Lisbeth sich in den NSA-Computer einhackt, was bei dem zuständigen Beamten zu einer durchaus gerechtfertigten Panikattacke führt, wird Snoden und das durch ihn veränderte Selbst- und Fremdbild des Geheimdienstes nicht erwähnt. Es ist, als habe es nie einen Whistleblower gegeben und die NSA und der schwedische Geheimdienst besteht in „Verschwörung“ eigentlich nur aus netten Menschen, die sich aus altruistischen Motiven um unser Wohlergehen und unsere Privatsphäre sorgen.
Für einen Polit-Thriller, und „Verschwörung“ will irgendwo in diesem Genre mitschwimmen, ist dieses vollständige Ignorieren der Realität der Todesstoß, der die gesamte Geschichte zu einem unglaubwürdigem Gedankenkonstrukt degradiert.
Das gesagt, dürfte „Verschwörung“, auch wenn Womanizer Mikael Blomkvist weniger Kaffee trinkt (dafür ist sein Bierkonsum gestiegen) und sein Sexualleben nicht mehr existent ist (was allerdings auch daran liegt, dass er in den fünf Tagen, in denen die Romangeschichte spielt, kaum zum Schlafen kommt, er den Tod eines jungen Kollegen seelisch verarbeiten muss, seine heißgeliebte Zeitschrift „Millennium“ wieder einmal kurz vor dem Konkurs steht und er von Kollegen als twitterfreies Relikt aus dem letzten Jahrhundert angegriffen wird), den Stieg-Larsson-Fans im Modus „neuer Autor, alte Teile“ gefallen.

David Lagercrantz: Verschwörung
(übersetzt von Ursel Allenstein)
Heyne, 2015
608 Seiten
22,99 Euro

Originaltitel
Det some ine dödar oss
Norstedts, Stockholm, 2015

Hinweise

Meine Besprechung von Stieg Larssons „Verblendung“ (Buch und Film)

Meine Besprechung von Stieg Larssons „Verdammnis“ (Buch und Film)

Meine Besprechung von Stieg Larssons „Vergebung“ (Buch und Film)

Homepage von Stieg Larsson

Heyne über Stieg Larsson

Krimi-Couch über Stieg Larsson

Wikiepedia über Stieg Larsson (deutsch, englisch)

Stieg Larsson in der Kriminalakte

Meine Besprechung der Stieg-Larsson-Parodie „Verarschung“ (The Girl with the Sturgeon Tattoo, 2011) von Lars Arffssen

Meine Besprechung von Dan Burstein/Arne de Keijzer/John-Henri Holmbergs “Die Welt der Lisbeth Salander” (The Tattooed Girl, 2011)

Meine Besprechung von David Finchers Stieg-Larsson-Verfilmung “Verblendung” (The Girl with the Dragon Tattoo, USA 2011)

Meine Besprechung von Denise Mina (Autor)/Leonardo Manco/Andrea Mutti (Zeichner) „Stieg Larsson – Millennium: Verblendung – Band 1“ (The Girl with the Dragoon Tattoo – Book One, 2012 )

Meine Besprechung von Denise Mina/Leanardo Manco/Andrea Muttis “Stieg Larsson- Millennium: Verblendung – Band 2″ (The Girl with the Dragoon Tattoo – Book Two, 2013)

 Meine Besprechung von Denise Mina/Leonardo Manco/Andrea Mutti/Antonio Fusos “Stieg Larsson – Millennium: Verdammnis – Band 1” (The Girl who played with Fire – Book One, 2014)


TV-Tipp für den 18. September: Zähl bis drei und bete

September 18, 2015

Servus TV, 22.15
Zähl bis drei und bete (USA 1957, Regie: Delmer Daves)
Drehbuch: Halsted Welles
LV: Elmore Leonard: Three-Ten to Yuma, 1953 (Die Kurzgeschichte erschien zuerst in Dime Western, später in den Sammlungen „The Tonto Woman and other Western stories“ und „Complete Western stories“)
Der arme Rancher Dan Evans (Van Heflin) will den gesuchten Gangster Ben Wade (Glenn Ford) für eine Belohnung, die er dringend zum Überleben braucht, in Yuma abliefern. Aber Wades Bande will verhindern, dass Evans und sein Gefangener den Zug nach Yuma erreichen.
Ein viel zu selten; – naja, fast nie und schon seit Ewigkeiten nicht mehr gezeigter Western-Klassiker, der 2007 von James Mangold mit Russell Crowe und Christian Bale durchaus gelungen, aber viel pompöser noch einmal verfilmt wurde. Delmer Daves braucht für sein Moralstück letztendlich nur zwei Männer und ein Hotelzimmer.
„Delmer Daves‘ bester Film degradiert in seiner Analyse einer Held-Schurken-Partnerschaft und eines heroischen Einzelgangs Fred Zinnemanns ‚High Noon‘ zu einer Angelegenheit von geradezu lachhafter, welt- und westernfremder Simplizität.“ (Joe Hembus: Das Western-Lexikon)
mit Glenn Ford, Van Heflin, Felicia Farr, Leora Dana, Henry Jones, Richard Jaeckel
Wiederholung: Samstag, 19. September, 00.55 Uhr (Taggenau!)
Hinweise
Rotten Tomatoes über „Zähl bis drei und bete“
TCM über „Zähl bis drei und bete“
Wikipedia über „Zähl bis drei und bete“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Delmer Daves‘ „Der letzte Wagen“ (The last wagon, USA 1956) (der könnte auch mal wieder im TV laufen)

Homepage von Elmore Leonard

Meine Besprechung von Elmore Leoanrds “Raylan” (Raylan, 2012)

Meine Besprechung von Elmore Leonards “Raylan” (2012)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Dschibuti“ (Djibouti, 2010)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Djibouti“ (2010)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Road Dogs“ (Road Dogs, 2009)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Up in Honey’s Room“ (2007)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Gangsterbraut“ (The hot Kid, 2005)

Meine Besprechung von Elmore Leonards „Callgirls“ (Mr. Paradise, 2004)

Mein Porträt „Man nennt ihn Dutch – Elmore Leonard zum Achtzigsten“ erschien im „Krimijahrbuch 2006“

Meine Besprechung der Elmore-Leonard-Verfilmung „Sie nannten ihn Stick“ (Stick, USA 1983)

Meine Besprechung der Elmore-Leonard-Verfilmung „Killshot“ (Killshot, USA 2008)

Meine Meldung von Elmore Leonards Tod

Elmore Leonard in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „Everest“, wir Touris kommen!

September 17, 2015

Lange Jahre war der Mount Everest, der erst am 29. Mai 1953 von Sir Edmund Hillary und Tenzing Norgay erstmals bestiegen wurde, ein Berg für wenige, ausgezeichnete Bergsteiger. Bis dann, ab Ende der achtziger Jahre, kommerzielle Besteigungen organisiert wurden. Bei ihnen gelangten auch unerfahrene Bergsteiger auf den Gipfel. 1996 kam es zu einer Katastrophe, bei der innerhalb weniger Stunden acht Bergsteiger starben – und wenn ihr schon jetzt wissen wollt, was damals genau geschah und wer überlebte, kann es hier nachlesen. Einige werden auch Jon Krakauers Sachbuch-Bestseller „In eisige Höhen – Das Drama am Mount Everest“ (Into thin Air: A Personal Account of the Mt. Everest Disaster, 1997) gelesen haben. Krakauer war bei der Besteigung als Journalist dabei. Im Film wird er von Michael Kelly gespielt. Auch andere Überlebende schrieben Bücher darüber, die allerdings nicht so bekannt sind.
Aber auch wenn man die Geschichte kennt, wird man wohl gefesselt von Baltasar Kormákurs Bergsteiger-Drama „Everest“ (das man sich auch in 3D im IMAX ansehen kann) sein. Mit einer großen Besetzung – Jason Clarke, Josh Brolin, Jake Gyllenhaal, John Hawkes (eher ein Indie-Liebling) in den Hauptrollen, Sam Worthington und Emily Watson in wichtigen Nebenrollen, Keira Knightley und Robin Wright als zu Hause sitzende Bergsteigerfrauen – und einem Blick auf die fotogene Bergwelt (es wurde in Nepal und in den italienischen Alpen, im Val Senales und auf dem Senales-Gletscher, gedreht) erzählt Kormákur seinen Katastrophenfilm klassisch und chronologisch die Geschichte. Beginnend von der Ankunft der Bergsteiger in Kathmandu, über die Einführung des erfahrenen und sicherheitsbedachten „Adventure Consultans“-Bergsteigers Rob Hall (Jason Clarke) über die Gefahren des Berges, den ersten Erfahrungen der zahlenden Kunden (die alle ein kleines Vermögen für das Abenteuer ausgeben) am Berg und schließlich, zusammen mit der von Scott Fischer (Jake Gyllenhaal) geführten Gruppe seines Unternehmens „Mountain Madness“, am 10. Mai 1996 dem Aufstieg zum Gipfel. Insgesamt wollten an diesem Tag innerhalb weniger Stunden 34 Bergsteiger den Gipfel erreichen. Schon die letzte Etappe war, wegen des Wetters, problematisch. Der Abstieg, der in der zweiten Hälfte des Films geschildert wird, endet dann in der bekannten Katastrophe.
Baltasar Kormákur („The Deep“, „Contraband“, „2 Guns“) erfindet zwar den Bergsteigerfilm nicht neu, aber das wollte er auch nie. Er will nur, ohne Schuldzuweisungen und ohne eine eindeutige Position zu beziehen, die Geschichte einer angekündigten Katastrophe, die aus einer fatalen Mischung aus Gutwilligkeit, Überschätzung, Egoismus und Dummheit geschah, schildern. Denn nur weil ein Berg da ist, sollte nicht jeder auf ihn draufsteigen dürfen.
Das in „Everest“ geschilderte Unglück führte allerdings nicht zu einem Ende des Mount-Everest-Tourismus. Die Bergsteiger, die die Touren anboten, verbesserten ihre Gefahreneinschätzungen. So sagt Guy Cotter, Key Alpine Advisor des Films, der damals ebenfalls für „Adventure Consultans“ dabei war, seitdem Chef der Firma ist und von Sam Worthington gespielt wird: „Für uns als Große-Höhen-Bergführer-Bruderschaft waren die Ereignisse von 1996 sehr lehrreich. Wir haben uns anschließend viele Fragen gestellt, wie wir verhindern können, dass so etwas noch einmal passiert. Ich glaube, dass wir als Industrie, wenn man so will, davon erwachsen geworden sind. Rob [Hall] war definitiv auf seinem Höhepunkt, aber es war noch sehr früh in der Entwicklung des Bergführens in großen Höhen und manchmal überleben die Pioniere die Entdeckung der Parameter ihrer Umgebung nicht.“
Die Ausrüstung wurde besser und jetzt hinterlassen noch mehr Menschen ihren Müll auf dem Weg zum und auf dem Gipfel des höchsten Berges der Welt.
Zum Glück können wir das im gut klimatisierten Kinosaal tun. Denn, seien wir ehrlich, viel näher werden wir dem Mount Everest niemals kommen.

Everest - Plakat

Everest (3D) (Everest, USA/Großbritannien 2015)
Regie: Baltasar Kormákur
Drehbuch: William Nicholson, Simon Beaufoy
mit Jason Clarke, Josh Brolin, John Hawkes, Emily Watson, Jake Gyllenhaal, Martin Henderson, Michael Kelly, Keira Knightley, Sam Worthington, Ingvar E. Sigurdsson, Elizabeth Debicki, Thomas M. Wright, Naoko Mori, Robin Wright
Länge: 122 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Englische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Everest“
Moviepilot über „Everest“
Metacritic über „Everest“
Rotten Tomatoes über „Everest“
Wikipedia über „Everest“ (deutsch, englisch)
History vs. Hollywood über „Everest“

Meine Besprechung von Baltasar Kormákurs “Contraband” (Contraband, USA 2012)

Meine Besprechung von Baltasar Kormákurs „2 Guns“ (2 Guns, USA 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: „Ich und Kaminski“ und meine Künstlerbelagerung

September 17, 2015

Manuel Kaminski (Jesper Christensen) ist eine inzwischen fast vergessene Legende, die seit Jahren zurückgezogen in der Schweiz in einem Chalet lebt. Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) möchte über ihn eine große Reportage schreiben, die Kaminski aus dem Vergessen hinausreißt und die ihm, wenn der 85-jährige Künstler stirbt (was angesichts seines Alters demnächst sein müsste), von all seinen finanziellen Problemen erlöst. Immerhin könnte er dann ein Buch über seine Begegnung mit Kaminski, dem Schüler von Matisse, Freund von Picasso und Held der Pop-Art schreiben. Denn wirklich bekannt wurde Kaminski in den Sechzigern in New York im Umfeld der Pop-Art durch sein Gemälde „Painted by a blind man“, das irrtümlich zu dem Gerücht führte, Kaminski sei blind. Kaminski wurde zum Liebling der Szene und verkaufte seine Bilder zu utopischen Preisen. Als er wirklich (Wirklich?) erblindete, zog er sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Zöllner macht sich also auf den Weg in die Berge und die erste Hälfte von Wolfgang Beckers neuem Film „Ich und Kaminski“ ist als Satire auf den Kunstbetrieb auch äußerst gelungen. Zöllner, das „Ich“ des Titels, ist ein Aufschneider und Arschloch, das auch wirklich blind jeden Fettnapf trifft, und diese Diskrepanz zwischen der Realität und wie Zöllner sie und sich (als Genie) sieht, sorgt für einige Lacher. Auch die sich um Kaminski versammelte Gefolgschaft und Kaminskis seltsames Verhalten, bei dem unklar ist, ob er wirklich der tatterige, alte Blinde oder einfach nur ein grantiges Ekel ist, das alle manipuliert, sorgen für einige Lacher. Während Zöllners ungeniertes Herumschnüffeln in Kaminskis Privatleben und Haus eher peinlich berührt. So entdeckt er im Keller einige von Kaminskis Spätwerken, die er sofort klaut, um sie später zu Geld zu machen. Moralische Skrupel sind für Zöllner zwei Fremdworte. Aber das gilt auch für fast alle Menschen, denen Zöllner begegnet.
Als er bei seinem Herumschnüffeln von Kaminskis verflossener Liebe Therese erfährt und Kaminski sie unbedingt noch einmal sehen will, brechen die beiden ungleichen Gefährten auf. Das sich ab jetzt quer durch Europa entwickelnde Road-Movie ist dann ungleich schwächer. Es folgt einfach zu sehr den bekannten Pfaden von zwei unterschiedlichen Charakteren, die auf ihrem gemeinsamen Weg zueinander finden. Auch die Witze werden platter. Aber das ist, zugegeben, Meckern auf hohem Niveau.
Denn Wolfgang Becker (zuletzt „Good Bye, Lenin“) ist mit „Ich und Kaminski“ ein enorm kurzweiliger, verspielter, einfallsreicher und in jeder Beziehung schöner Film über unsympathische Menschen gelungen. Es ist ein erfrischend undeutscher, sehr sympathischer Film.

Ich und Kaminiski - Plakat

Ich und Kaminski (Deutschland/Belgien 2015)
Regie: Wolfgang Becker
Drehbuch: Wolfgang Becker, Thomas Wendrich
LV: Daniel Kehlmann: Ich und Kaminski, 2003
mit Daniel Brühl, Jesper Christensen, Amira Casar, Denis Lavant, Jördis Triebel, Geraldine Chaplin, Jan Decleir, Joacques Herlin, Josef Hader, Peter Kurth, Milan Peschel, Patrick Bauchau
Länge: 123 Minuten
FSK: ab 6 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Filmportal über „Ich und Kaminski“
Film-Zeit über „Ich und Kaminski“
Moviepilot über „Ich und Kaminski“
Rotten Tomatoes über „Ich und Kaminski“ (derzeit noch keine Kritiken)
Wikipedia über „Ich und Kaminski“ (Roman) und Daniel Kehlmann
Perlentaucher über „Ich und Kaminski“
Homepage von Daniel Kehlmann

Meine Besprechung von Daniel Kehlmann/Detlev Bucks „Die Vermessung der Welt – Das Buch zum Film“ (2012)


Neu im Kino/Filmkritik: „Captive“ oder Die Geisel hat ein Buch

September 17, 2015

Es fällt mir schwer, bei „Captive“ nicht zynisch zu werden – und das zeigt schon die Größe des Desasters, die Diskrepanz zwischen gut gemeinter, aber hier peinlich penetranter Botschaft und banaler Umsetzung, an. Dabei basiert der Film auf einer wahren Geschichte, er ist professionell inszeniert, die Schauspieler sind auch gut und die Geschichte einer Geiselnahme bietet, dank eines klaren Konfliktes, immer eine ordentliche Grundspannung. Da kann man nicht viel falsch machen, wenn es nicht – erstens – die wahre Geschichte gäbe und sie nicht – zweitens – am Ende mit einer unerträglich kitschigen, christlichen Tünche zugekleistert würde, die beim Abspann ein ungeahnt peinliches Ausrufezeichen hinter die Botschaft setzen würden. Dann herzen sich bei einer Talkshow die wahre Geisel und der wahre Lebensratgeber-Autor und eine sehr gospelige Version von Bob Dylans „Pressing On“ (von seiner nicht besonders geschätzten LP „Saved“, in der er, zum Entsetzen seiner Fans, sein neu entdecktes Christentum musikalisch verarbeitete) ertönt, die bibeltreue Christen wohl begeistert mitsingen lässt. Die sind auch das Zielpublikum von „Captive“.
Denn dank des banalen christlichen Lebensratgeber-Bestsellers „The Purpose Driven Life“, geschrieben von dem evangelikalen Pfarrer Rick Warren, dessen im Film präsentierten Weisheiten zwischen „Gott hat dich lieb“, „Gott hat einen Weg für dich vorgesehen“ und „Gott hat dich sehr lieb“ schwanken, werden hier eine Junkie-Mutter (Kate Mara auf blass geschminkt) und ein flüchtiger, eiskalter Mehrfachmörder (David Oyelowo, der sich hier unter Wert verkauft) innerhalb einer Nacht zu besseren Menschen bekehrt. Das ist, auch wenn es sich so ähnlich in einer Nacht 2005 in Atlanta abspielte, in im Film psychologisch einfach unglaubwürdig erzählt und ohne irgendeine weitergehende Inspiration verfilmt.
Jerry Jameson ist ein altgedienter TV-Regisseur (unzählige Folgen für Serien wie
„Twen-Police“, „Cannon“, „Magnum“, „Dallas“, „Mord ist ihr Hobby“ und „Walker, Texas Ranger“), der auch einige Spielfilme („Airport ’77 – Verschollen im Bermuda-Dreieck“, „Hebt die Titanic“) inszenierte. Aus rätselhaften Gründen holte man den 1934 geborenenRoutinier Jameson aus dem wohlverdienten Ruhestand zurück. Er inszenierte „Captive“ dann auch ohne besondere Ansprüche als den „TV-Film der Woche“. Dieses Mal mit penetrant christlicher Botschaft und einem für US-Verhältnisse angenehm gewaltfreien, aber auch unglaubwürdigem dritten Akt.

Captive - Plakat

Captive (Captive, USA 2015)
Regie: Jerry Jameson
Drehbuch: Brian Bird, Reinhard Denke (ungenannt)
LV: Ashley Smith/Stacy Mattingly: Unlikely Angel, 2005 (Der unverhoffte Engel: Die überraschende Wendung einer dramatischen Geiselnahme)
mit Kate Mara, David Oyelowo, Michael K. Williams, Mimi Rogers
Länge: 97 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Film-Zeit über „Captive“
Moviepilot über „Captive“
Metacritic über „Captive“
Rotten Tomatoes über „Captive“
Wikipedia über „Captive“
History vs. Hollywood über „Captive“


TV-Tipp für den 17. September: Mein Bruder Kain

September 17, 2015

3sat, 22.25

Mein Bruder Kain (USA 1992, Regie: Brian De Palma)

Drehbuch: Brian De Palma

Der angesehene Kinderpsychologe Carter Nix hat Probleme mit seinen verschiedenen Persönlichkeiten. Besonders Kain löst Probleme mit anderen Menschen gerne final.

Unterschätzter De-Palma-Film. Denn: “Raising Cain is (…) one of De Palma’s most challenging, elliptical and darkly comic films. Because of its refusal to ‘make it easy’ for the audience, it is also the least understood and appreciated film from his ‘red phase’.” (Senses of Cinema)

Mit John Lithgow, Lolita Davidovich, Steven Bauer, Frances Sternhagen, Gregg Henry

Wiederholung: Samstag, 19. September, 01.55 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über “Mein Bruder Kain”

Wikipedia über “Mein Bruder Kain” (deutsch, englisch)

Senses of Cinema über „Mein Bruder Kain“ (Raising Cain)

Slant Magazine über “Mein Bruder Kain”

Senses of Cinema über Brian De Palma (2003)

Brian De Palma in der Kriminalakte


Philip Kerr, viel Fußball, ein Mord und „Der Wintertransfer“

September 16, 2015

Kerr - Der Wintertransfer - 2

Sogar mir als Mitglied der Fußball-ist-mir-egal-Fraktion (außer natürlich wenn es um Bürgerrechte, Polizeirepression, Gewalt und Korruption geht) fällt auf, dass Fußball einerseits ein Milliardengeschäft ist, andererseits aber kaum Romane über Fußball geschrieben werden. Dabei ist das Spiel und sein Umfeld doch ein ideales Biotop für spannende Geschichten.
Jetzt hat Philip Kerr mit „Der Wintertransfer“ eine im Fußballmilieu spielende Detektivgeschichte geschrieben. Scott Manson ist Co-Trainer beim Premier-League-Verein London City, der inzwischen dem ukrainischen Milliardär Viktor Jewegenowitsch Sokolnikow gehört. Nach Medienberichten ist er ein Oligarch mit mehr als guten Kontakten zum Organisierten Verbrechen, weshalb das mitten auf dem Spielfeld des Vereins ausgehobene Grab auch als ein Signal an Sokolnikow, von Russenmafiosi an Russenmafiosi, verstanden wird. Auch wenn es als Warnung arg theatralisch daherkommt und in dem Grab ein Bild von Joao Zarco, dem Trainer des Vereins liegt. Zarco ist in der Öffentlichkeit vor allem als kein Blatt vor den Mund nehmende Choleriker bekannt. Aber er ist auch ein guter Trainer und ein Freund von Manson.
Kurz darauf ist er tot. Er wurde in einem abgelegenen Raum des Stadions zu Tode geprügelt. Täter und Motiv sind vollkommen unklar.
Sokolnikow bittet Manson, den Mörder zu suchen. Denn in so einem Fußballverein gibt es viele Geschichten, von denen die Polizei und die Öffentlichkeit (via einem Informanten bei der Polizei) nichts erfahren muss.
Außerdem ist gerade der titelgebende Wintertransfer, eine Zeit von wenigen Wochen, in denen Vereine wie blöde Spieler kaufen und verkaufen. Da würde negative Presse sich negativ auf die Verkaufspreise auswirken.
Die meisten werden Philip Kerr über seine Bernie-Gunther-Romane, die sogenannte „Berlin Trilogie“ (oder „Berlin Noir“), die zwischen 1989 und 1991 erschien, kennen gelernt haben. Nach einer fünfzehnjährigen Pause schreibt Kerr inzwischen wieder regelmäßig neue Gunther-Romane die während und nach der Hitler-Diktatur spielen und die, als Hardcover bei Wunderlich (zuletzt „Wolfshunger“) und als Taschenbuch bei rororo (dort erscheint die Taschenbuch-Ausgabe von „Wolfshunger“ Ende November) erscheinen. Ich lernte Kerr über seine ab 1992 erschienenen Einzelromane, wie „Das Wittgenstein-Programm“, „Game Over“ und „Esau“, kennen. Es sind gut recherchierte Thriller, in denen Kerr Fakten und Fiktion gekonnt miteinander verbindet und von Buch zu Buch, manchmal auch in Richtung Science-Fiction gehend, zwischen den verschiedenen Thriller-Subgenres wechselt.
Das gilt auch für „Der Wintertransfer“, der von seiner Struktur her ein klassischer, gut konstruierter Rätselkrimi ist, bei dem die Spuren und falschen Spuren gut gelegt sind.
Dazu kommen viele Informationen über Fußball, die oft monologisierend präsentiert werden. Manchmal weil ein Trainer oder eine andere wichtige Person gerade eine Ansprache hält oder jemand anderes, beispielweise einer nicht-fußballbegeisterten Polizistin, etwas erklären will. Das hat oft die Qualität eines Zeitungskommentars, der sich vor allem an den Leser, mal als Fußballfan, mal als Nicht-Fußballfan, richtet und so in der Realität oft nicht gesprochen würde.
Über diese Fußballfakten und Spielbeschreibungen (so gibt es kurz vor der Auflösung ein in jeder Phase detailliert beschriebenes Spiel gegen West Ham, das Manson, abgesehen von einem Blick auf die Gästeliste, nicht einen Schritt näher an die Lösung, aber seine Mannschaft vielleicht näher an den Ligapokal bringt) gerät dann der Rätselplot immer wieder in den Hintergrund. Aber so habe ich genug über Fußball erfahren, um bei den nächsten Gesprächen mit Hintergrundwissen zu punkten.
Und Kerr, selbst ein bekennder Fan, hat Gefallen an Manson und dem Fußballmilieu gefunden. In England sind bereits zwei weitere Manson-Romane erschienen.

Philip Kerr: Der Wintertransfer
(übersetzt von Axel Merz)
Tropen, 2015
432 Seiten
14,95 Euro

Originalausgabe
January Window
Head of Zeus, London, 2014

Hinweise
Homepage von Philip Kerr
Krimi-Couch über Philip Kerr (nicht so aktuell)
Wikipedia über Philip Kerr (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 16. September: Small Town Murder Songs

September 15, 2015

EinsFestival, 20.15/00.00

Small Town Murder Songs (Kanada 2010, Regie: Ed Gass-Donnelly)

Drehbuch: Ed Gass-Donnelly

In der kanadischen Provinz wird eine nackte Frauenleiche entdeckt. Dorfpolizist Walter, der mit persönlichen Problemen zu kämpfen hat, hat schnell einen Verdächtigen.

Die Macher nennen „Small Town Murder Songs“, vollkommen zutreffend ein „gothic tale of crime and redemption“, das von „No Country for Old Men“ und „In Cold Blood“ (Kaltblütig) beeinflusst ist.

mit Peter Stormare, Aaron Poole, Martha Plimpton, Jill Hennessy, Stephen Eric McIntire, Ari Cohen, Jackie Burroughs

Hinweise

Amerikanische Homepage zum Film

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Small Town Murder Songs“

Rotten Tomatoes über „Small Town Murder Songs“

Wikipedia über „Small Town Murder Songs”

Scope.tv: Interview mit Ed Gass-Donnelly

Meine Besprechung von Ed Gass-Donnellys „Small Town Murder Songs“ (Small Town Murder Songs, Kanada 2010) (mit vielen Gass-Donnelly-O-Tönen)


Cover der Woche

September 15, 2015

Christie - Alibi

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Frau Christie!


TV-Tipp für den 15. September: Buffalo ’66

September 14, 2015

https://youtu.be/YI3thXsStMI

ZDFkultur, 20.15/23.40
Buffalo ’66 (USA 1997, Regie: Vincent Gallo)
Drehbuch: Vincent Gallo, Alison Bagnall (nach einer Geschichte von Vincent Gallo)
Radikales, überaus experimentierfreudiges und verspieltes US-Independent-Kino, das in der Tradition von John Cassavetes steht und eine einfache Geschichte erzählt: Gallo spielt den gerade aus dem Gefängnis entlassenen Billy Brown, der Layla entführt, die er seinen Eltern als seine Geliebte vorstellt. Layla verliebt sich dann doch in den großmäuligen Billy. Aber dieser hat nur einen Racheplan im Kopf.
Gallos zutiefst persönliches und galliges Regiedebüt begeistert mit seiner rohen Energie, den präzisen Beobachtungen eines verkorksten Lebens (mit zwei Alptraum-Eltern, die grandios von Ben Gazzara und Anjelica Huston gespielt werden) und den immer wieder eingestreuten Hollywood-Überhöhungen, die gleich als schaler Schein entzaubert werden.
Der Filmtitel „Buffalo ’66“ spielt auf den Handlungsort Buffalo, New York, und das Geburtsjahr des Protagonisten Billy Brown an.
„Buffalo ’66“ (auch „Buffalo 66“) war damals ein Versprechen, das der in Buffalo geborene Vincent Gallo (der auch die Musik schrieb) bislang nicht einlöste. Was sicher auch an seiner durchaus problematischen Persönlichkeit liegt. Immerhin ist er nie um einen starken Spruch und eine Beleidigung verlegen.
„beklemmende Galgenhumor-Studie eines Verlierers“ (Angie Dullinger, AZ, 29. Juni 1998)
mit Vincent Gallo, Christina Ricci, Ben Gazzara, Anjelica Huston, Mickey Rourke, Rosanna Arquette, Kevin Corrigan, Jan-Michael Vincent, Kevin Pollak
Hinweise
Homepage von Vincent Gallo
Rotten Tomatoes über „Buffalo ’66“
Wikipedia über „Buffalo ’66“ (deutsch, englisch)


Französische Verbrechen mit Léo Malet und Jérémie Guez

September 14, 2015

Malet - Das Leben ist zum Kotzen - 2015 - 2Guez - Paris die Nacht

Vor einigen Wochen sagte ich zu einem Freund: „Warum soll ich ein Buch von Léo Malet lesen? Der ist schon seit fast zwanzig Jahren tot und Neuausgaben gibt es keine.“
Nun, tot ist Malet immer noch, aber mit „Das Leben ist zum Kotzen“ gibt es eine Neuausgabe von einem seiner alten Romane (mit einem informativem Nachwort von Tobias Gohlis) und damit auch einen guten Grund, einen Malet zu lesen. Malet – für alle, die sich verzweifelt fragen, wer dieser Malet denn ist – ist vor allem bekannt für seine derzeit vor allem antiquarisch erhältliche Nestor-Burma-Privatdetektivserie, von denen jeder Roman in Paris in einem anderen Arrondissement in Paris spielt.
In „Das Leben ist zum Kotzen“, dem ersten Band seiner zwischen 1947 und 1949 entstandenen Schwarzen Trilogie (Band zwei ist „Die Sonne scheint nicht für uns“, Band drei ist „Angst im Bauch“), erzählt Malet die Geschichte von Jean Fraiger. Er ist der Kopf einer kleinen Verbrecherbande, die ihren ersten Überfall auf einen Lohngeldtransporter quasi im Auftrag streikender Bergarbeiter begeht. Dummerweise gerät der einfache Überfall etwas außer Kontrolle. Der Fahrer wird verletzt. Der Beifahrer wird erschossen. Er ist der Vater von Gloria, der Frau von Lautier, was kein Probleme wäre, wenn Fraiger, der ihren Vater erschoss, nicht unsterblich in sie verliebt wäre.
Und die streikenden Arbeiter wollen nach dem aus dem Ruder gelaufenem Überfall auch nicht das Geld. Sie wollen es vollständig verbrennen.
Kein Wunder, dass Fraiger meint: „Das Leben ist zum Kotzen.“
Aber er und seine Bande machen weiter. Dass das kein gutes Ende nimmt, können wir uns denken. Immerhin ist der Roman schon vor über 65 Jahren geschrieben worden und damals war es eine eherne (heute immer noch gültige) Regel, dass die Verbrecher für ihren Taten büßen müssen. Und dass Gloria keinen guten Einfluss auf den Ich-Erzähler Fraiger hat, können wir uns ebenfalls denken und dennoch wollen wir wissen, wie Fraiger sich immer weiter in Schuld verstrickt. Das erzählt Malet auf knapp 140 Seiten, die sich wie die Vorlage für einen französischen Kriminalfilm aus den fünfziger Jahren lesen. Mit Simone Signoret oder Jeanne Moreau als verführerische Gloria. Jean Gabin ist natürlich auch dabei. Und vielleicht Jean-Paul Belmondo als Fraiger. Und so legt sich über die Geschichte, die etwas unglücklich zwischen Sozialdrama, verquerer Liebesgeschichte (aus heutiger Sicht) und knallhartem Gangsterdrama schwankt, die Patina der Vergangenheit.

Jérémie Guez‘ Debüt „Paris, die Nacht“ erinnert überhaupt nicht an die klassischen französischen Kriminalfilme. Immerhin spielt der ebenfalls angenehm kurze Roman, der ebenfalls „Das Leben ist zum Kotzen“ heißen könnte, im heutigen Paris. Bei einem ihrer abendlichen Streifzüge entdecken die beiden jungen kleinkriminellen Gelegenheitsdealer Abraham und Goran einen illegalen Spielsalon, in dem Verbrecher zocken. Sie halten es für eine geniale Idee, die Verbrecher auszurauben. Denn die können nicht zur Polizei gehen.
Dass das dann doch keine so grandiose Idee war, erfahen sie kurz darauf. Denn die Gangster wollen ihr Geld zurückhaben. Und im Gegensatz zur Polizei müssen sie sich nicht an das Gesetz halten.
Guez war, als sein Debüt in Frankreich 2010 erschien, 22 Jahre und so überzeugt „Paris, die Nacht“ vor allem als Talentprobe, die er besser nicht im Präsens geschrieben hätte. Allzu oft stockt der Lesefluss, weil ich immer wieder nach zwei, drei, vier Sätzen bemerkte, dass ich in Gedanken mal wieder in der vertrauten, aber hier falschen Zeitform war. Dass sein Debüt den bekannten Genrepfaden folgt, kann ihm nicht wirklich vorgeworfen werden. Immerhin schrieb er nicht, wie andere Debütanten, eine langweilige Selbstbespiegelung und die Geschichte seiner ersten großen Liebe. Frauen haben in „Paris, die Nacht“ noch nicht einmal eine Nebenrolle. Und er verzichtet auf die aus anderen Gangstergeschichten bekannten Klischees über die Banlieue, das Migrantenviertel Belleville und die chancenlosen Migrantenkinder. Hier ist jeder für sein Schicksal verantwortlich. Deshalb buddeln sich der Ich-Erzähler Abraham, sein bester Freund Goran und ihre Freunde, die alle wirklich nicht die Hellsten sind, ohne fremde Hilfe ihr Grab.

Léo Malet: Das Leben ist zum Kotzen
(übersetzt von Sarah Baumfelder und Thomas Mittelstädt)
(mit einem Nachwort von Tobias Gohlis)
Nautilus, 2015
160 Seiten
14,90 Euro

Deutsche Erstausgabe
Nautilus, 1987

Originalausgabe
La vie est dégueulasse
S. E. P.E./Editions du Scorpion, 1948

Jérémie Guez: Paris, die Nacht
(übersetzt von Cornelia Wend)
(mit einem Nachwort von Thekla Dannenberg)
Polar, 2015
152 Seiten
12,90 Euro

Originalausgabe
Paris la nuit
La Tengo, 2011

Hinweise
Wikipedia über Léo Malet (deutsch, französisch) und Jérémie Guez
Krimi-Couch über Léo Malet
Meine Besprechung von Jalil Lesperts „Yves Saint Laurent“ (Yves Saint Laurent, Frankreich 2013) (Guez ist einer der Drehbuchautoren)


TV-Tipp für den 14. September: Am Rande der Nacht

September 13, 2015

https://www.youtube.com/watch?v=HHvArK7NmCg

Arte, 20.15
Am Rande der Nacht (Tchao Pantin, Frankreich 1983)
Regie: Claude Berri
Drehbuch: Claude Berri, Alain Page
LV: Alain Page: Tchao Pantin, 1983
Ex-Polizist Lambert verdient seine normalerweise flüssigen Brötchen als Tankwart. Als sein Freund, ein arabischer Kleindealer, umgebracht wird, beginnt Lambert einen Rachefeldzug.
Äußerst gelungener Film noir – gemacht von zwei Männern, die damals für leichte Unterhaltung und Komödien bekannt waren. Der in Frankreich sehr populäre Komiker Coluche brachte sich damals als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch. Er starb überraschend 1986 mit 41 Jahren.
Arte zeigt die Tage eine kleine, aber sehr feine Claude-Berri-Reihe mit vielen selten gezeigten Perlen. So lief „Am Rande der Nacht“ nach meiner Buchführung zuletzt im September 2009 im Fernsehen. Arte zeigt die 2014 restaurierte Fassung.
Im Anschluss, um 21.45 Uhr, läuft „Papas Kino“ (La cinéma de papa, Frankreich 1970); ein Frühwerk von Berri.
Mit Coluche, Richard Anconina, Agnès Soral, Philippe Léotard
Wiederholung: Dienstag, 15. September, 13.55 Uhr

Hinweise

You Tube hat einige Clips über “Tchao Pantin” (französisch)

Allocinè über „Am Rande der Nacht“

Wikipedia über „Am Rande der Nacht“ (deutsch, englisch, französisch)


TV-Tipp für den 13. September: Die Teuflischen

September 12, 2015

Arte, 20.15

Die Teuflischen (Frankreich 1955, Regie: Henri-Georges Clouzot)

Drehbuch: Henri-Georges Clouzot, Jérôme Geronimi, René Masson (Mitarbeit), Frédéric Grendel (Mitarbeit)

LV: Pierre Boileau/Thomas Narcejac: Les diaboliques: Celle qui n´etait pas, 1952 (Die Teuflischen; Tote sollen schweigen)

Privatschullehrer Delasse quält mit sadistischer Freude seine herzkranke Frau und seine Geliebte. Da beschließen die beiden Frauen, das Ekelpaket umzubringen.

Eher selten gezeigter Klassiker, der einem auch heute noch den Atem raubt.

Das Drehbuch gewann einen Special Edgar.

Anschließend, um 22.05 Uhr, läuft Chris Markers einstündige Doku „Erinnerungen an Simone – Eine Hommage an Simone Signoret“ von 1986.

mit Simone Signoret, Véra Clouzot, Paul Meurisse, Charles Vanel, Michel Serrault

Wiederholung: Montag, 14. September, 14.05 Uhr

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Die Teuflischen“

Arte über die Henri-Georges-Clouzot-Reihe und die heutige Hommage an Simone Signoret

Wikipedia über Henri-Georges Clouzot (deutsch, englisch)

 


TV-Tipp für den 12. September: Mr. Dynamite: The Rise of James Brown

September 11, 2015

https://www.youtube.com/watch?v=Ai4i1GB3HVo

Arte, 21.45 (VPS 21.50)
Mr. Dynamite: The Rise of James Brown (USA 2014, Regie: Alex Gibney)
Drehbuch: Alex Gibney
Spielfilmlange Doku von Alex Gibney (Taxi to the dark side; We steal secrets: Die Wikileaks-Geschichte) über James Brown, den selbsternannten Godfather of Soul. Gibney erzählt, mit unbekanntem Filmmaterial und aktuellen Interviews, den Aufstieg von Brown aus ärmlichsten Verhältnissen zum Star.
Die hochgelobte Doku wurde mit dem Peabody, Image und Black Reel Award ausgezeichnet – und sie ist eine gute Ergänzung zu dem grandiosen James-Brown-Biopic „Get on up“.
Mit James Brown, Bobby Byrd, Bootsy Collins, Chuck D., Pee Wee Ellis, Mick Jagger, Alan Leeds, Christian McBride, Maceo Parker, Melvin Parker, Danny Ray, Cleveland Sellers, Al Sharpton, Greg Tate, Ahmir ‚Questlove‘ Thompson, Fred Wesley
Wiederholung: Samstag, 19. September, 00.25 Uhr (Taggenau!)
Hinweise
Arte über „Mr. Dynamite: The Rise of James Brown“
HBO über „Mr. Dynamite: The Rise of James Brown“
Metacritic über „Mr. Dynamite: The Rise of James Brown“
Rotten Tomatoes über „Mr. Dynamite: The Rise of James Brown“
International Business Times: Interview mit Alex Gibney über seinen Film
Meine Besprechung von Alex Gibneys „We steal Secrets: Die Wikileaks-Geschichte“ (We steal Secrets: The Story of Wikileaks, USA 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: „45 Years“ verheiratet und dann kommt ein Brief

September 11, 2015

Auf der Berlinale ging der Darstellerpreis an Charlotte Rampling und Tom Courtenay, die in „45 Years“ ein seit den titelgebenden 45 Jahren verheiratetes, kinderloses Ehepaar spielen und sie spielen dieses Ehepaar auch fantastisch in den kleinen Gesten, die Vertrauen und dann auch Verunsicherung ausdrücken. Denn kurz vor dem Hochzeitstag, der mit einer großen Party gefeiert werden soll, erhält Geoff Mercer einen Brief aus der Schweiz. Seine Jugendliebe Katya, die 1962 während eines Wanderurlaubs in eine Schlucht stürzte und deren Leiche erst jetzt, ein halbes Jahrhundert später, entdeckt wurde, hatte ihn als ihren nächsten Angehörigen genannt. Sie waren damals ein Liebespaar. Geoff erinnert sich jetzt wieder an sie und er gesteht seiner Frau Kate, einer pensionierten Lehrerin, die er erst danach kennen lernte, dass er, wenn er nicht sie geheiratet hätte, Katya geheiratet hätte.
„45 Years“ ist ein stilles, von den beiden Hauptdarstellern getragenes Drama in dem die Verunsicherung von Geoff und Kate über den Brief und seine Folgen nur angedeutet wird. Geoff beginnt zunehmend in Erinnerungen zu schwelgen. Kate fragt sich, ob sie nicht gegenüber der Verstorbenen nur die zweite Wahl war. Das wird von Andrew Haigh, nach einer knapp zwölfseitigen, lesenswerten Kurzgeschichte von David Constantine, äußerst langsam, in jeder Beziehung sehr reduziert und intim und mit der Konzentration auf einen Ort, das Haus der Mercers und einige Ausflüge in das nahe gelegene Dorf, erzählt. Fast so, als passe er sein Erzähltempo dem Schritttempo von Pensionären an, die nicht langsam genug gehen können, bis sie ans Ziel gelangen, was in „45 Years“ die Hochzeitsfeier ist, auf der wir ein reinigendes Gewitter erwarten.
Bis dahin stehen vor allem die immer stärker werdende Verunsicherung von Kate über ihre Ehe im Mittelpunkt, die mir, nachdem Kate fast fünfzig Jahre mit Geoff verheiratet ist und als zupackend-patente Ex-Lehrerin geschildert wird, dann doch zu weit hergeholt ist.
Allerdings richtet sich „45 Years“ auch an die Generation 50+, naja, 60+, naja Pensionäre, die seit Jahrzehnten miteinander verheiratet sind. Die sehen die Geschichte und das äußerst geruhsame Erzähltempo wahrscheinlich anders.

45 Years - Plakat - 4

45 Years (45 Years, Großbritannien 2015)
Regie: Andrew Haigh
Drehbuch: Andrew Haigh
LV: David Constantine: In Another Country, 2001 (Kurzgeschichte)
mit Charlotte Rampling, Tom Courtenay, Geraldine James, Dolly Wells, David Sibley, Sam Alexander, Richard Cunningham
Länge: 95 Minuten
FSK: ab 0 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „45 Years“
Moviepilot über „45 Years“
Metacritic über „45 Years“
Rotten Tomatoes über „45 Years“

Wikipedia über „45 Years“ (deutsch, englisch)
Berlinale über „45 Years“
Telegraph unterhält sich mit David Constantine über seine Kurzgeschichte und die Verfilmung

Ein Gespräch mit Andrew Haigh über seinen Film


Neu im Kino/Filmkritik: „Therapie für einen Vampir“, bei Dr. Freud höchstpersönlich

September 11, 2015

Der Vampir fühlt sich unwohl.
Der Vampir geht zum Therapeuten und erzählt ihm, dass er lebensüberdrüssig sei (was ja nach einigen Jahrhunderten vorkommen kann), dass er sich nicht mehr im Spiegel ansehen könne (bekannte Vampirkrankheit) und er Probleme mit seiner Frau habe, was in den besten Familien vorkommt.
Der Therapeut bemerkt nicht, wer sein Patient ist. Auch die ungewöhnlichen Therapiestunden irritieren ihn nicht. Denn die Leute kommen ja zu ihm, weil sie Probleme haben. Da ist der Wunsch nach Treffen nach Sonnenuntergang nicht weiter schlimm.
Der Therapeut ist Dr. Sigmund Freud und „Therapie für einen Vampir“ spielt folgerichtig im Wien der frühen dreißiger Jahre und natürlich ist David Ruehms Film ein herrlicher Wiener Schmäh, bei dem niemand über irgendetwas erstaunt ist, während der Filmfan sich in den Anspielungen suhlen kann. Vor allem nachdem der Vampir, ein Graf, sich in die Freundin von einem Mitarbeiter Sigmund Freuds verliebt. Lucy ist das Ebenbild seiner schon vor Jahrhunderten verstorbenen großen Liebe. Deren Freund ist ein Maler, in den sich die Gräfin auf einem ihrer nächtliche Streifzüge verliebt. Was sie nicht davon abhält, eifersüchtig zu sein.
Neben dem todernst präsentiertem Beziehungsgerangel (das dadurch natürlich noch witziger wird) punktet der Film mit seinen pointierten Einzeilern und Dialogen und seiner Ausstattung. Gedreht wurde im Studio am Wiener Rosenhügel, das auch immer als Studio erkennbar bleibt, weil die Horrorfilme der dreißiger Jahre auch im Studio gedreht wurden. Die Computertricks versuchen das überhaupt nicht zu verschleiern, sondern sie verstärken das wohlige Retro-Gefühl dieser bissfreudigen Liebeskomödie.

Therapie für einen Vampir - Plakat - 4

Therapie für einen Vampir (Der Vampir auf der Couch, Österreich/Schweiz 2014)
Regie: David Ruehm
Drehbuch: David Ruehm
mit Tobias Moretti, Jeanette Hain, Cornelia Ivancan, Dominic Oley, David Bennent, Karl Fischer, Ernie Mangold, Lars Rudolph, Anatole Taubman, Julia Jelinek
Länge: 87 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Film-Zeit über „Therapie für einen Vampir“
Moviepilot über „Therapie für einen Vampir“


TV-Tipp für den 11. September: Redacted

September 11, 2015

Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Brian De Palma!

3sat, 00.15
Redacted (USA/Kanada 2007, Regie: Brian De Palma)
Drehbuch: Brian De Palma
Irak, 2006: US-Soldaten vergewaltigen und töten eine 15-jährige Irakerin und ihre Familie. Vor einem Untersuchungsausschuss des Militärs sollen sie erzählen, was geschah.
De Palma zeigt dies in einer Collage aus Videos, Bildern von Überwachungskameras und dem Videotagebuch eines Soldaten – und er reflektiert so in seiner wütenden Anklage auch über die Wahrheit von Bildern.
„Redacted“ erschien bei uns nur auf DVD und erlebt erst heute, zu später Stunde, seine TV-Premiere.
Davor, um 22.35 Uhr, läuft „Dressed to Kill“. Und kommende Woche zeigt 3sat weitere Filme des 75-jährigen Meisters.
mit Kel O’Neill, Ty Jones, Daniel Stewart Sherman, Zahra Zubaidi, Izzy Diaz, Karima Attayeh, Rob Devaney
Hinweise
3sat über seine Brian-De-Palma-Reihe
Moviepilot über „Redacted“
Metacritic über „Redacted“
Rotten Tomatoes über „Redacted“
Wikipedia über „Redacted“ (deutsch, englisch)
Brian De Palma in der Kriminalakte