TV-Tipp für den 10. Juni: Lawless – Die Gesetzlosen

Juni 10, 2016

https://www.youtube.com/watch?v=nvH7q5GmAyo

3sat, 23.05

Lawless – Die Gesetzlosen (Lawless, USA 2012)

Regie: John Hillcoat

Drehbuch: Nick Cave

LV: Matt Bondurant: The wettest County in the World, 2008

Franklin County, Virginia, während der Prohibition: Die Bondurant-Brüder sind Schnapsbrenner und mit sich und der Welt im Reinen. Bis der skrupellose und psychopathische Bundesagent Charlie Rakes die Schnapsbrenner und alle die in das Geschäft verwickelt sind, vernichten will.

Feiner, auf Tatsachen basierender Prohibitions-Gangsterfilm; – mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Shia LaBeouf, Tom Hardy, Jason Clarke, Guy Pearce, Jessica Chastain, Mia Wasikowska, Dane DeHaan, Chris McGarry, Tim Tolin, Gary Oldman, Lew Temple, Marcus Hester, Bill Camp

Hinweise

Homepage zum Film

Metacritic über „Lawless“

Rotten Tomatoes über „Lawless“

Wikipedia über „Lawless“ (deutsch, englisch)

Süddeutsche Zeitung: Interview mit John Hillcoat (27. März 2013)

Meine Besprechung von John Hillcoats Cormac-McCarthy-Verfilmung „The Road“ (The Road, USA 2009)

Meine Besprechung von John Hillcoats „Lawless – Die Gesetzlosen (Lawless, USA 2012)

Meine Besprechung von John Hillcoats „Triple 9“ (Triple 9, USA 2016)


Neu im Kino/Filmkritik: Ist „Erlösung“ eine Erlösung für Jussi-Adler-Olsen-Fans?

Juni 9, 2016

Ein Vorteil hat der dritte Teil einer Serie: er unterscheidet sich, jedenfalls in diesem Fall, kaum von den vorherigen Teilen und daher kann ich sagen: Wenn Ihnen „Erbarmen“ und „Schändung“ gefallen hat, wird ihnen „Erlösung“ gefallen.

Wieder spielt Nikolaj Lie Kaas Carl Mørck und Fares Fares Assad. Beide sind gewohnt überzeugend. Wieder schrieb Nikolaj Arcel das Drehbuch. Die Regie übernahm dieses Mal Hans Petter Moland, der die auf der Berlinale gezeigten Filme „Ein Mann von Welt“ und „Einer nach dem anderen“ inszenierte. Wieder sieht alles nordisch unterkühlt aus und wieder hat Jussi Adler-Olsen eine dicke Vorlage geschrieben. Inzwischen benötigt er gut sechshundert Seiten um einen Bestseller zu fabrizieren. Für den Film wurde das Konvolut auf knappe zwei Stunden eingedampft, die sich immer noch zu lang anfühlen.

Dieses Mal landet eine Flaschenpost – ja, eine richtige Flaschenpost! – auf dem Schreibtisch des Kopenhagener Sonderdezernat Q, der kleinen Abteilung im Keller des Polizeireviers für die alten, noch nicht aufgeklärten Fälle. Es ist eine Cold-Case-Abteilung, die nur Akten entstauben soll; was Kommissar Carl Mørck, seinem Kollegen Assad, der für das Finanzamt wohl immer noch kein richtiger Polizist ist, und ihrer Sekretärin Rose (Johanne Louise Schmidt) leidlich gelingt.

Sie versuchen, herauszufinden, wer den Brief mit Blut schrieb. Das erledigen sie in der gewohnten Arbeitsteilung. Während Mørck sich noch muffeliger als gewohnt in seiner Wohnung verkriecht, erledigen Assad und Rose die richtigen Ermittlungen. Sie vermuten, dass der kaum lesbare Brief von einem Kind geschrieben wurde. Allerdings wird kein Kind vermisst.

Während die Q-Abteilung langsam vor sich hin ermittelt, wissen wir Zuschauer schon mehr. Wir kennen den Täter, können sein Motiv vermuten und warten ab, bis die Herren Kommissare endlich auf unseren Wissensstand kommen.

Sie erfahren auch zunächst nicht, dass der Täter, der junge Missionar Johannes (Pål Sverre Hagen) von der freikirchlichen Gemeinde „Die Schüler des Herrn“, wieder zwei Kinder entführt hat. Die tiefreligiösen Eltern halten es für eine Prüfung Gottes und belügen Mørck und Assad. Oder besser Assad und Mørck.

Carl Mørck wird zwar wieder als der Protagonist verkauft. Er soll der Held der Geschichte und der Serie sein. Wir sollen mit ihm mitfiebern und leiden. Wobei Mørck sich vor allem auf das Leiden versteht. Er ist ein rechter Stinkstiefel, der nichts, aber auch absolut nichts tut, um den Fall aufzuklären. Dafür pflegt er, wie schon in „Erbarmen“ und „Schändung“, viel zu gerne seine Depression. Dieses Mal bevorzugt in seinem Haus.

Assad, sein Helfer, sein Dr. Watson, übernimmt dagegen, wie in „Erbarmen“ und „Schändung“, die ganze Arbeit. In Wirklichkeit ist er der Protagonist. Er ist, um im Bild zu bleiben, Sherlock Holmes. Auch als Mensch hat er, als Flüchtling mit ungeklärter Vergangenheit, die interessantere Biographie und damit auch die interessanteren Konflikte. Soweit sie in der Geschichte, in der es dieses Mal auch um Glaube und Religion geht, angesprochen werden. Denn in einer Detektivgeschichte – und das ist „Erlösung“ letztendlich – steht der aktuelle Fall im Mittelpunkt. Das Privatleben der Ermittler ist dagegen sekundär.

Erlösung“ hat genau die Probleme, die ich schon bei den beiden vorherigen Adler-Olsen-Verfilmungen ansprach und die, bei allen Freiheiten, die sich die Macher bei der Verfilmung nehmen, schon in den Romanen vorhanden sind.

Erlösung - Plakat

Erlösung (Flaskepost fra P, Dänemark/Deutschland/Schweden/Norwegen 2016)

Regie: Hans Petter Moland

Drehbuch: Nikolaj Arcel

LV: Jussi Adler-Olsen: Flaskepost fra P, 2009 (Erlösung)

mit Nikolaj Lie Kaas, Fares Fares, Jakob Ottebro, Pål Sverre Hagen, Johanne Louise Schmidt, Jacob Lohmann, Amanda Collin

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Die Vorlage

Adler-Olsen - Erlösung - Movie-Tie-In

Jussi Adler-Olsen: Erlösung

(übersetzt von Hannes Thiess)

dtv, 2016

592 Seiten

9,95 Euro

Deutsche Erstausgabe

dtv premium, 2011

Originalausgabe

Flaskepost fra P

Politikens Forlagshus, Kopenhagen, 2009

Hinweise

Homepage zum Film

Moviepilot über „Erlösung“

Rotten Tomatoes über „Erlösung“

Wikipedia über „Erlösung“

Dänische Homepage von Jussi Adler-Olsen

Deutsche Homepage von Jussi Adler-Olsen

Krimi-Couch über Jussi Adler-Olsen

Wikipedia über Jussi Adler-Olsen

Meine Besprechung von Jussi Adler-Olsens „Erbarmen“ (Kvinden i buret, 2008)

Meine Besprechung von Mikkel Nørgaards „Erbarmen“ (Kvinden i buret, Dänemark/Deutschland/Schweden 2013)

Meine Besprechung von Mikkel Nørgaards „Erbarmen“ (Kvinden i buret, Dänemark/Deutschland/Schweden 2013) (DVD)

Meine Besprechung von Mikkel Nørgaards Jussi-Adler-Olsen-Verfilmung „Schändung – Die Fasanentöter“ (Fasandræberne, Dänemark/Deutschland/Schweden 2014) und der DVD


Neu im Kino/Filmkritik: Herzlich Willkommen bei „Stolz und Vorurteil & Zombies“

Juni 9, 2016

Stolz und Vorurteil“ ist Jane Austen.

Zombies sind Zombies.

Und beide existieren in verschiedenen Welten. Eigentlich sogar Jahrhunderten, weil Zombies normalerweise in Filmen auftreten, die in der Gegenwart oder der nahen Zukunft spielen.

Jane Austen (1775 – 1817) beschrieb ihn ihren Büchern dagegen ihre Welt, das England des beginnenden 19. Jahrhunderts, und das Liebesleid und die Liebeswirren von Adligen. In England kennt ihre Romane noch jedes Kind; – vielleicht auch nur von den zahlreichen Verfilmungen.

Da ist die Idee, einen Mash-Up aus beiden Welten zu machen, naheliegend. Zuerst sicher nur als die berühmte Schnapsidee nach dem vierten Bier. Seth Grahame-Smith schrieb dann ein Buch, in dem er in Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ Kapitel mit Zombies einschub. Es wurde ein Bestseller.

Jetzt gibt es für die Lesefaulen die Verfilmung des Buches, die dem gleichen Prinzip gehorcht: in einen traditionellen Jane-Austen-Film, dessen Geschichte wir schon kennen, bevor wir sie kennen (es sind halt Liebeswirren auf dem Niveau der letzten Inga-Lindström-Verfilmung, die wir kennen, ohne sie kennen zu müssen), gibt es Szenen mit Zombies. Denn in dieser Jane-Austen-Welt hängen Zombies wie Schmeißfliegen herum und sie werden von Mann und Weib mit der gleichen Lässigkeit getötet.

Weil Burr Steers diese Welt mit großer Liebe zum Detail zeichnet, wenn zum Beispiel die Damen über die Vorzüge der verschiedenen Herren, die im heiratsfähigen Alter und angemessenen gesellschaftlichen Position sind, parlieren und dabei ihre Waffen säubern, dann wohnt dem Film auch ein herrlich absurder Humor inne.

Diesen Mash-Up, in dem die beiden Welten immer kenntlich bleiben und sich entsprechend fremd gegenüberstehen, wird bis zum Ende durchgehalten, weshalb „Stolz und Vorurteil & Zombies“ besser gefällt als „Abraham Lincoln, Vampirjäger“, die andere Seth-Grahame-Smith-Verfilmung, die aus Lincolns Biographie, in die Grahame-Smith liebevoll Begegnungen mit Vampiren einschob, nur eine x-beliebigen Actionplotte in 3D und mit viel CGI machte.

Über die Länge eines Spielfilms nutzt sich der Witz auch ab. Die Zombies sind das einzige neue, immer fremd bleibende Element in dieser Jane-Austen-Welt, in der sich alles nur um das Liebesglück einiger adliger Damen und Herren in einer erschreckend vorhersehbaren Geschichte geht. Oder zweifelt irgendjemand daran, dass Elizabeth Bennet am Ende den adretten Mr. Darcy kriegt und so ihren Hof retten kann? Gegen Ende des Films wird ein politisches Komplott angedeutet, das erzählerisch und thematisch neue Dimensionen eröffnet. Aber weil es nicht in diese Jane-Austen-Geschichte von Stolz und Vorurteil gehört, wird es nicht weiter ausgeführt.

In „Dido Elizabeth Belle“ (Belle, Großbritannien 2013) wurde dagegen die Möglichkeit genutzt, frisches Blut in die Jane-Austen-Welt zu bringen. In dem Film wurde, während Dido Elizabeth Belle den Mann fürs Leben suchte, über Vorurteile und Rassismus gesprochen. In „Stolz und Vorurteil & Zombies“ hätte man ähnliches machen können, wenn Burr Steers mehr als nur ein knalliges Feierabendvergnügen gewollt hätte, das durchaus sympathisch zwischen den Stühlen sitzt. Für die Zombie-Fans gibt es zu viel Liebesgesülze im England des frühen neunzehnten Jahrhunderts; für die Jane-Austen-Fans zu viel Gewalt und einen, an der Oberfläche, erschreckend respektlosen Umgang mit dem klassischen Werk.

Denn den Schauspielern, eine Schar bekannter Namen, gefiel es, Jane Austen mit einem ironischen Augenzwinkern, zu spielen.

Stolz und Vorurteil und Zombies - Plakat

Stolz und Vorurteil & Zombies (Pride and Prejudice and Zombies, USA 2016)

Regie: Burr Steers

Drehbuch: Burr Steers

LV: Seth Grahame-Smith: Pride and Prejudice and Zombies, 2009 (Stolz und Vorurteil und Zombies)

mit Lily James, Sam Riley, Jack Huston, Bella Heathcote, Douglas Booth, Matt Smith, Charles Dance, Lena Headey

Länge: 108 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Stolz und Vorurteil & Zombies“

Metacritic über „Stolz und Vorurteil & Zombies“

Rotten Tomatoes über „Stolz und Vorurteil & Zombies“

Wikipedia über „Stolz und Vorurteil & Zombies“ (deutsch, englisch)


TV-Tipp für den 9. Juni: Der Gott des Gemetzels

Juni 9, 2016

Eins Plus, 23.05

Der Gott des Gemetzels (Carnage, Frankreich/Deutschland/Polen/Spanien 2011)

Regie: Roman Polanski

Drehbuch: Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly (nach ihrem Theaterstück)

Der Sohn von Nancy und Alan Cowan hat dem Sohn von Penelope und Michael Longstreet zwei Zähne ausgeschlagen. Die kultivierten Eltern treffen sich, um, ganz zivilisiert, eine Versöhnung zwischen ihnen und ihren elfjährigen Kindern auszuhandeln. Der gute Wille ist vorhanden, aber nachdem Kaffee und Kuchen gereicht werden, eskaliert der Streit. Immer wieder unterbrochen vom ständigen Klingeln des Telefons.

Großartiges Schauspielerkino (wobei Kate Winslet für meinen Geschmack etwas blass bleibt), das vier Menschen in ein New-Yorker-Apartment einsperrt. Wunderschön pointiert, schwarzhumorig und bissig geschrieben und von Roman Polanski in einer weiterer seiner Theaterverfilmungen auf den Punkt inszeniert. Atempausen gibt es nach dem Film.

‚Der Gott des Gemetzels‘ ist ein böser, vergnüglicher, kaum subtiler und durch und durch bürgerlicher Spaß.“ (Birgit Glombitza, epd Film 11/2011)

mit Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Der Gott des Gemetzels“

Wikipedia über „Der Gott des Gemetzels“ (deutsch, englisch)

Arte über die Roman-Polanski-Werkschau

Meine Besprechung von Roman Polanskis “The Ghostwriter” (The Ghost Writer, Frankreich/Deutschland/Großbritannien 2010)

Meine Besprechung von Roman Polanskis “Venus im Pelz” (La Vénus á la Forrure, Frankreich/Polen 2013)


Über die Neuauflagen von Eric Amblers „Die Maske des Dimitrios“ und „Ungewöhnliche Gefahr“

Juni 8, 2016

Ambler - Die Maske des Dimitrios - 2Ambler - Ungewöhnliche Gefahr - 2

Ein Franzose namens Chamfort, der es hätte besser wissen müssen, hat einmal gesagt, dass Zufall ein Spitzname für Vorsehung sei.

Dies ist einer jener bequemen, fragwürdigen Aphorismen, die geprägt wurden, um die unangenehme Wahrheit zu verschleiern, dass der Zufall eine wichtige, wenn nicht die Hauptrolle im Leben der Menschen spielt. Ganz abwegig ist Chamforts Gedanke jedoch nicht. Der Zufall kommt manchmal so unsicher daher, dass man ihn leicht mit dem Ergebnis bewusster Vorsehung verwechseln kann.

Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Dimitrios Makropoulos.“

Mit diesen Worten, die einen sofort neugierig auf die Geschichte machen, beginnt „Die Maske des Dimitrios“, ein 1939 erschienener Roman von Eric Ambler, der heute allgemein als ein Klassiker des Genres bezeichnet wird. Manchmal ist dann die Kriminalliteratur, manchmal der Agentenroman (oder Spionageroman) oder der Thriller gemeint. So ist er einer der 100 Thriller, die man gelesen haben muss (in David Morrell/Hank Wagner, Hrsg.: „Thrillers: 100 Must Reads“, 2010). In der schon 1990 erstellten, immer mal wieder zitierten Liste des Bochumer Krimi Archivs „Die 119 besten Kriminalromane aller Zeiten“ steht „Die Maske des Dimitrios“ auf dem vierten Platz, noch vor John le Carrés „Der Spion, der aus der Kälte kam“.

Und trotzdem hat mich der Roman jetzt bei der Lektüre überhaupt nicht angesprochen. Ein Grund könnte natürlich die Übersetzung von Matthias Fienbork sein. Obwohl ich mit seinen anderen Übersetzungen keine Probleme hatte. Diese Ambler-Romane, wie der ebenfalls jetzt wiederveröffentlichte „Ungewöhnliche Gefahr“, gefielen mir vor Jahren ausnehmend gut. Außerdem ist der Übersetzer immer ein billiges Ziel. So als mache man den Kellner für das versalzene Gericht verantwortlich.

Es könnte auch an der Geschichte liegen, die sich auf den ersten Blick nicht vom Grundplot anderer Ambler-Romane unterscheidet: ein Normalbürger gerät zufällig in eine gefährliche politische Verschwörung, die er nicht überblickt und die sein Leben gefährdet.

In „Die Maske des Dimitrios“ ist der Normalbürger der Kriminalschriftsteller Charles Latimer. In Istanbul zeigt ihm Oberst Hakki die Leiche von Dimitrios. Er sei ein geheimnisumwitterter Verbrecher, der schon seit Jahrzehnten im Orient und Osteuropa sein Unwesen treibe. Mord, Spionage, Rauschgifthandel und die Beteiligung an mehreren Attentaten werden ihm vorgeworfen. Es gibt kein Foto von ihm. Nur einige wenige Fakten, die mühsam in verschiedenen Ländern zusammengetragen werden müssen. Ali Karim nennt in „Thrillers: 100 Must Reads“ Dimitrios eine mögliche Inspiration für Keyser Söze, den Bösewicht aus „Die üblichen Verdächtigen“.

Latimer beginnt, von Neugier getrieben, aufgrund der kärglichen Spuren, die es über Dimitrios gibt, dessen Leben zu recherchieren – und das ist letztendlich der Grund, weshalb mich „Die Maske des Dimitrios“ nicht begeisterte. Latimer ist während des gesamten Buches nur von einer milden Neugierde, einem kuriosen Interesse an Dimitrios getrieben, während er alte und uralte Geschichten ausgräbt, die höchstens von historischer Relevanz sind. Er ist, auch wenn er schon früh im Roman, auf seiner Zugfahrt nach Sofia, wo Dimitrios Anfang 1923 war, dem geheimnisvollen Mr. Peters begegnet, nie in Gefahr. Er kann jederzeit mit seiner Recherche aufhören.

In „Ungewöhnliche Gefahr“, 1937 erschienen, ist die Ambler-Welt dann wieder in Ordnung. Vor dem Hintergrund der damaligen politischen Ereignisse – der Spanische Bürgerkrieg, Hitlers Einmarsch in das Rheinland, eine steigende Zahl von Flüchtlingen und Scheinehen und der zunehmenden Ohnmacht des Völkerbundes, etwas dagegen zu tun – entfaltet sich eine wilde Hatz. Der notorisch blanke Journalist Kenton erhält im Zug von Nürnberg nach Linz von einem deutschen Juden das Angebot, für eine stattliche Summe einen Brief über die Grenze in ein Hotel zu bringen.

Als er dort ankommt, findet er den Empfänger ermordet vor. Er wird für den Mörder gehalten und verschiedene Gruppen wollen den Brief haben. Kenton, der vom Tatort flüchten konnte, versucht jetzt seinen Kopf zu retten, seine Unschuld zu beweisen und er will, notgedrungen, herausfinden, in welchen Schlamassel er hineingeraten ist.

Das ist ein typischer Alfred-Hitchcock-Stoff, der förmlich nach einer Verfilmung schreit und, wie etliche andere seiner Romane, wurde auch „Ungewöhnliche Gefahr“ verfilmt. Von Raoul Walsh, der sich, auch das geschah öfter, einige Freiheiten bei der Verfilmung nahm.

Der Roman ist ein echter Pageturner.

Und ich hoffe, dass der Atlantik-Verlag möglichst viele oder sogar alle Romane von Eric Ambler wieder veröffentlicht. Jedenfalls sind weitere Neuausgaben der vergriffenen Diogenes-Ausgaben, teils in überarbeiteten Übersetzungen, geplant. Für Mitte Juli ist „Nachruf auf einen Spion“, für Mitte Januar „Der dunkel Grenzbezirk“ und „Doktor Frigo“, angekündigt.

Denn obwohl Ambler einige seiner bekanntesten und wichtigsten Romane in den Dreißigern schrieb und sie die damalige politische Gemengelage reflektieren, sind sie jetzt wieder erschreckend aktuell.

Eric Ambler: Die Maske des Dimitrios

(übersetzt von Matthias Fienbork)

Hoffmann und Campe, 2016

336 Seiten

22 Euro

Deutsche Erstausgabe dieser Übersetzung 1974 bei Diogenes.

Originalausgabe

The Mask of Dimitrios

Hodder & Stoughton, London, 1939

Titel der US-Ausgabe

A Coffin for Dimitrios

Verfilmung

Die Maske des Dimitrios (The Mask of Dimitrios, USA 1944, Regie: Jean Negulesco)

Drehbuch: Frank Gruber

Mit Peter Lorre, Zachary Scott, Sydney Greenstreet, Faye Emerson

Eric Ambler: Ungewöhnliche Gefahr

(übersetzt von Matthias Fienbork)

Atlantik, 2016

336 Seiten

12 Euro

Deutsche Erstausgabe dieser Übersetzung 1979 bei Diogenes.

Originalausgabe

Uncommon Danger

Hodder & Stoughton, London, 1937

Titel der US-Ausgabe

Background to Danger

Verfilmung

Spion im Orientexpress (Background to Danger, USA 1943, Regie: Raoul Walsh)

Drehbuch: W. R. Burnett

Mit George Raft, Brenda Marshal, Sydney Greenstreet, Peter Lorre

Hinweise

Wikipedia über Eric Ambler (deutsch, englisch)

Kirjasto über Eric Ambler

Krimi-Couch über Eric Ambler

Kaliber .38: Thomas Wörtche über Eric Ambler

California Literary Review: Brett F. Woods: Beyond the Balkans – Eric Ambler and the British Espionage Novel, 1936 – 1940 (26. März 2007)


TV-Tipp für den 8. Juni: Venus im Pelz/Der Tod und das Mädchen

Juni 7, 2016

Arte, 20.15

Venus im Pelz (La Vénus á la Forrure, Frankreich/Polen 2013)

Regie: Roman Polanski

Drehbuch: Roman Polanski, David Ives (nach seinem Theaterstück)

Als Vanda in das leere Theater platzt, ist der Vorsprechtermin schon vorbei. Dennoch lässt Regisseur Thomas, der sie für ein weiteres untalentiertes und kulturloses Dummchen hält, sie doch noch vorsprechen. Daraus, und weil Thomas ein Stück über eine sadomasochistische Beziehung inszenieren will, wird schnell ein Kampf der Geschlechter auf mehreren Ebenen.

Ein großartiger Spaß; mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Venus im Pelz“

Moviepilot über „Venus im Pelz“

Metacritic über „Venus im Pelz“

Rotten Tomatoes über „Venus im Pelz“

Wikipedia über „Venus im Pelz“ (deutsch, englisch, französisch)

https://www.youtube.com/watch?v=xBinVK8Xon8

Arte, 22.40

Der Tod und das Mädchen (Death and the Maiden, USA 1994)

Regie: Roman Polanski

Drehbuch: Rafael Yglesias, Ariel Dorfman (nach seinem Theaterstück)

Lateinamerika: Paulina glaubt, dass Dr. Miranda sie vor fünfzehn Jahren, während der Militärdiktatur, folterte. Jetzt will sie im den Prozess machen. Aber ist der nette Doktor wirklich ihr Folterer?

Eine Theaterverfilmung, die Dank des Buches, der Schauspieler, der Kamera (Tonino Delli Colli) ganz großes Kino ist, das zeitlich wichtige Fragen stellt und keine einfachen Antworten gibt.

mit Sigourney Weaver, Ben Kingsley, Stuart Wilson, Krystia Mova

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Der Tod und das Mädchen“

Wikipedia über „Der Tod und das Mädchen“ (deutsch, englisch)

Arte über die Roman-Polanski-Werkschau

Meine Besprechung von Roman Polanskis “The Ghostwriter” (The Ghost Writer, Frankreich/Deutschland/Großbritannien 2010)

Meine Besprechung von Roman Polanskis “Venus im Pelz” (La Vénus á la Forrure, Frankreich/Polen 2013)


CD-Kurzkritik: Trio Benares: Assi Ghat

Juni 7, 2016

Jazz trifft indische Musik ist wahrlich nicht neu, aber, – mal mehr, mal weniger traditionell -, immer wieder gerne gehört. Am bekanntesten dürften, auch bei Nicht-Jazzfans, etliche LPs aus dem Hause ECM und Shakti, die mit Unterbrechungen seit über dreißig Jahren bestehende Band von E-Gitarrist John McLaughlin und verschiedenen indischen Musikern, sein, die das westliche Publikum mit indischen Musikern, Instrumenten, Rhythmen und Melodien bekannt machten und sie zu etwas Neues verarbeiteten. Denn das, was dabei entstand, war nicht das sklavische Nachspielen einer fremden Musik, sondern das verschmelzen verschiedener Traditionen zu etwas vollkommen Neuem.

Seit 2014 gibt es auch das „Trio Benares“, das aus Roger Hanschel (Alt-Sax, u. a. „Kölner Saxophon Mafia“), Deobrat Mishra (Sitar) und Prashant Mishra (Tabla) besteht und das jetzt mit „Assi Ghat“ ihre erste CD mit einer guten Stunde Musik veröffentlichten. Außer den beiden Traditionals „Bhairav“ und „Kajari“ sind die restlichen fünf Lieder von Deobrat Mishra und, hauptsächlich, Roger Hanschel geschrieben.

Zusammen spielen die drei Musiker eine hochenergetische Fusion aus Jazz und indischer Musik, die an Shakti erinnert, wenn Mahavishnu McLaughlin auf Speed Altsaxophon spielen würde. Begleitet von zwei Indern, die ihn anfeuern.

Das ist ziemlich grandiose Musik, die fest in der Gegenwart verankert ist.

Trio Benares - Assi Ghat - Cover

Trio Benares: Assi Ghat

Jazzsick, 2016

Hinweise

Facebook-Seite des Trios

Homepage von Roger Hanschel

Homepage von Deobrat und Prashant Mishra – Music of Benares

 


Cover der Woche

Juni 7, 2016

Mcdonald - Fletch und der Präsidentschaftskandidat


TV-Tipp für den 7. Juni: Der Profi

Juni 6, 2016

RTLnitro, 22.15

Der Profi (Frankreich 1981, Regie: Georges Lautner)

Drehbuch: Michel Audiard, Georges Lautner

LV: Patrick Alexander: La mort d’une bete à la peau fragile, 1978

Jean-Paul Belmondo verfolgt als Killer im Dienste Frankreichs seinen Auftrag, unabhängig von der geänderten politischen Großwetterlage – und Ennio Morricone komponierte dazu das überaus erfolgreiche und eingängige Stück „Chi Mai“.

routinierte Hau-ruck-Mischung aus Agenten- und Unterweltfilm“ (Lexikon des internationalen Films)

Der Fischer Film Almanach meinte: „Zwischen Agentenfilm und Parodie pendelnd, bleibt der hintergründig politische Anspruch wegen der gezeigten Brutalitäten und der ausgesprochen rassistischen Tendenzen auf der Strecke.“ Außerdem ist der Film ein rechter Langweiler, der ein überwältigender Kassenerfolg war.

Der Profi 2“, ebenfalls mit Jean-Paul Belmondo, hat mit diesem Film nichts zu tun. Außer der Ideologie.

Mit Jean-Paul Belmondo, Robert Hossein, Jean Dedailly, Cyrielle Claire, Marie-Chrstine Descouard

Hinweise

Wikipedia über „Der Profi“ (deutsch, englisch, französisch)


TV-Tipp für den 6. Juni: Die neun Pforten/Ekel

Juni 5, 2016

https://www.youtube.com/watch?v=1DT9RNPDKpA

Arte, 20.15

Die neun Pforten (Frankreich/Spanien/USA 1999, Regie: Roman Polanski)

Drehbuch: Enrique Urbizu, John Brownjohn, Roman Polanski

LV: Arturo Perez-Reverte: El Club Dumas, 1993 (Der Club Dumas)

Ein Antiquar (Johnny Depp; zu jung für die Rolle) soll die letzten beiden Exemplare von „Die neun Pforten“, einem Buch das von Satan höchstpersönlich geschrieben wurde, finden. Während seiner Suche geschehen mysteriöse Dinge – und der Zuschauer langweilt sich satanisch während dieses Mummenschanzes.

Das dürfte Roman Polanskis uninteressantester Film sein.

Mit Johnny Depp, Frank Langella, Lena Olin, Emmanuelle Seigner, Barbar Jefford, James Russo

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Die neun Pforten“

Wikipedia über „Die neun Pforten“ (deutsch, englisch)

Arte, 22.25

Ekel (Großbritannien 1965, Regie: Roman Polanski)

Drehbuch: Roman Polanski, Gérard Brach, David Stone (englische Bearbeitung)

Ein junges Mädchen, mordgierig, schizophren, läuft in der verlassenen Wohnung ihrer Schwester Amok.“ (Roman Polanski)

Polanskis erster im Westen gedrehte Film. Ein künstlerischer und kommerzieller Erfolg, der heute ein Horrorfilmklassiker ist.

Und dabei wollten die Produzenten nur einen billigen Horrorfilm.

mit Cathérine Deneuve, Ian Hendry, John Fraser, Yvonne Furneaux, Patrick Wymark

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Ekel“

Wikipedia über „Ekel“ (deutsch, englisch)

Arte über die Roman-Polanski-Werkschau

Meine Besprechung von Roman Polanskis “The Ghostwriter” (The Ghost Writer, Frankreich/Deutschland/Großbritannien 2010)

Meine Besprechung von Roman Polanskis “Venus im Pelz” (La Vénus á la Forrure, Frankreich/Polen 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: „Der Moment der Wahrheit“ für CBS-Journalistin Mary Mapes

Juni 5, 2016

Über die Meldung, dass George Bush seine Militärzeit nicht in Vietnam an der Front, sondern in der Heimat verbrachte und dort auch noch notorisch nicht zum Dienst erschien, wurde auch in Deutschland berichtet. Bush, dessen „war on terror“ schon damals umstritten war, kämpfte 2004 um eine zweite Amtszeit. Sein Herausforderer John Kerry war ein mehrfach dekorierter Kriegsheld und Vietnamveteran,

Was damals allerdings genau geschah, will „Zodiac – Die Spur des Killers“-Drehbuchautor James Vanderbilt in seinem Regiedebüt erzählen und er liefert damit einen guten Einblick in die tägliche Arbeit von Journalisten und wie eine prestigeträchtige Sendung, nämlich „60 Minutes II“ (das ist die Mittwochsausgabe des sonntags laufenden CBS-Nachrichtenmagazin „60 Minutes“) produziert wird. Mary Mapes (Cate Blanchett) ist die Produzentin, die auch die Folter in Abu Ghraib öffentlich machte und dafür 2005 einen Peabody-Award erhielt. Langjähriger Sprecher der Sendung ist Dan Rather (Robert Redford). Eine nationale Institution.

Jetzt, im Sommer 2004, erfährt Mapes von den Unregelmäßigkeiten während Bushs Dienstzeit. Weil auch andere Medien die Geschichte recherchieren, soll sie für ihre Sendung eine Reportage darüber anfertigen. Mit den Journalisten Mike Smith (Topher Grace) und Lucy Scott (Elisabeth Moss) und Oberst Roger Charles (Dennis Quaid), dem Militärexperten von CBS News, beginnt sie mit der Recherche. Sie finden mehr oder weniger aussagekräftige Beweise in verschiedenen Akten, es gibt Aussagen von Soldaten über Bushs Dienstzeit die nur einen Schluss zulassen: schon seine Einberufung bei der Texas Air National Guard wurde von politischen Freunden der Familie lanciert. Während seiner gesamten Dienstzeit wurde er protegiert und auch seine vorzeitige Entlassung war eine Bevorzugung gegenüber allen anderen Dienstleistenden. Dass er dann noch nicht einmal zum Dienst erschien, ist nur das berühmte I-Tüpfelchen.

Mapes und Rather brachten diese Nachricht am 8. September 2004 in einer unter Zeitdruck produzierten Sendung und, immerhin sind wir jetzt erst ungefähr in der Mitte des Films, die Sendung wird heftig kritisiert. Die Beweise sollen Fälschungen sein. Das betrifft vor allem die von dem schon vor der Sendung verstorbenen Oberstleutnant Jerry B. Killian geschriebenen und unterzeichneten Papiere, die im Zentrum der Reportage standen. Er war in Houston Bushs Vorgesetzter bei der 111. Fliegerstaffel. Zeugen sollen gelogen haben. Es soll Verbindungen zwischen Mapes und dem Kerry-Lager geben.

Nicht erwähnt wird in Vanderbilts Film, der vor allem auf Mary Mapes Buch über die Affäre basiert, dass es auch grobe handwerkliche Mängel in der Story gab, die zu eben dieser Kritik an nicht ausreichend verifizierten Dokumenten und seltsamen Befragungen führten. Denn die Fakten sind inzwischen unbestritten und auch mehrere Zeitungen schrieben über Bushs Dienstzeit, ohne dass die Kritiker, also das Bush-Lager im engeren und weiteren Sinn, sie so einfach kritisieren konnte.

In diesem Moment wird „Der Moment der Wahrheit“ zu einem Stück, das auch ‚Mary Mapes gegen den Rest der Welt (und alle anderen sind blöd)‘ heißen könnte. Sie ist auch glücklich verheiratete Mutter mit einem sie liebevoll und rücksichtsvoll umsorgendem Mann. Sie muss sich gegen all die falschen Vorwürfe von anderen Medien, den CBS-Oberen und Anwälten, die alle von ihrem Beruf und ihrer Arbeit keine Ahnung haben, wehren. In „Variety“ schrieb Mary Mapes „the film is very much my truth“.

Diese so offensichtliche Einseitigkeit, präsentiert als objektive Nacherzählung der Ereignisse, mit didaktischen und pathetischen Abschweifungen, verdirbt einem schnell die Lust an dem brav inszeniertem Film. Dazu muss man, weil man sich schon beim Ansehen manipuliert fühlt, noch nicht einmal die wahren Hintergründe der Affäre, die zu ihrer und Rathers Entlassung führten, kennen.

Dass mit „Spotlight“ erst vor wenigen Monaten ein in jeder Beziehung besserer Film über die Arbeit von investigativen Journalisten erschien, lässt „Der Moment der Wahrheit“ als einen noch schlechteren Film, als das moralische Erbauungsstück der Woche, das seine Agenda und Ansichten wie eine Sonntagspredigt vor sich her trägt, erscheinen.

Der Moment der Wahrheit - Plakat

Der Moment der Wahrheit (Truth, USA 2015)

Regie: James Vanderbilt

Drehbuch: James Vanderbilt

LV: Mary Mapes: Truth and Duty: The Press, The President and The Privilege of Power, 2005

mit Cate Blanchett, Robert Redford, Topher Grace, Dennis Quaid, Elisabeth Moss, Bruce Greenwood, Stacy Keach, John Benjamin Hickey, Dermot Mulroney

Länge: 126 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Der Moment der Wahrheit“

Metacritic über „Der Moment der Wahrheit“

Rotten Tomatoes über „Der Moment der Wahrheit“

Wikipedia über „Der Moment der Wahrheit“


TV-Tipp für den 5. Juni: Der Pianist

Juni 4, 2016

Arte, 20.15

Der Pianist (Frankreich/Deutschland/Polen/Großbritannien 2002, Regie: Roman Polanski)

Drehbuch: Ronald Harwood

LV: Wladyslaw Szpilman: Śmierć miasta, 1946 (Das wunderbare Überleben; Der Pianist – Mein wunderbares Überleben)

Ergreifendes, plumpe Emotionalisierungen und Pathos vermeidendes Drama über das Schicksal des polnisch-jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman, der während des Zweiten Weltkriegs im Warschauer Ghetto war und sich danach bis zum Kriegsende in Warschau an verschiedenen Orten versteckte.

Für Roman Polanski, dessen Biographie Parallelen zu Szpilmans Biographie hat, war dieser Film auch eine Möglichkeit, mit seiner eigenen Vergangenheit, die er bislang in seinen Filmen nicht direkt ansprach, umzugehen.

Es ist ein filmisches Gebet für den Menschen. Und die Haltung des Künstlers können wir wohl als eine selbstbewusste Form der Demut bezeichnen.“ (Georg Seeßlen, Die Zeit, 24. Oktober 2002)

‚Der Pianist‘ ist, wie auch ‚Schindlers Liste‘ ein Referenzfilm für die Darstellung dieses entsetzlichen Kapitels der deutsch-polnischen Geschichte. Und das cineastische Anliegen eines Zeitzeugen.“ (Adrian Prechtel, AZ, 24. Oktober 2002)

Ein kühl inszenierter filmischer Triumph – und, wenn man sich den Film heute ansieht, eine eindrückliche Warnung vor dem Deutschland, das AFD und Pegida anscheinend gerne wieder hätten.

Anschließend, um 22.40 Uhr zeigt Arte „Roman Polanski: Mein Leben“.

Der Pianist“ ist der Beginn einer kleinen Roman-Polanski-Werkschau. Am Montag, den 6. Juni, zeigt Arte um 20.15 Uhr „Die neun Pforten“ und um 22.25 Uhr „Ekel“; am Mittwoch, den 8. Juni, zeigt Arte um 20.15 Uhr „Venus im Pelz“ (TV-Premiere) und um 22.40 Uhr „Der Tod und das Mädchen“; Eins Plus zeigt am Montag, den 6. Juni, um 21.45 Uhr, und am Donnerstag, den 9. Juni um 23.05 Uhr „Der Gott des Gemetzels“.

Mit Adrien Brody, Thomas Kretschmann, Thomas Finlay, Maureen Lipman, Ed Stoppard, Julia Rayner, Jessica Kate Meyer, Emilia Fox, Axel Prahl

Wiederholung: Mittwoch, 8. Juni, 13.55 Uhr

Hinweise

Arte über die Roman-Polanski-Werkschau

Rotten Tomatoes über „Der Pianist“

Wikipedia über „Der Pianist“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Roman Polanskis “The Ghostwriter” (The Ghost Writer, Frankreich/Deutschland/Großbritannien 2010)

Meine Besprechung von Roman Polanskis “Venus im Pelz” (La Vénus á la Forrure, Frankreich/Polen 2013)

Ein Telefoninterview mit Roman Polanski (geb. 18. August 1933) über seine Kindheit während des Zweiten Weltkriegs in Polen


Neu im Kino/Filmkritik: „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ zur Rettung der Welt

Juni 4, 2016

Mit einem kleinen, aber sehr effektivem Kunstgriff gelingt es Cyril Dion und Mélanie Laurent in ihrem Dokumentarfilm „Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen“ Interesse zu wecken. Am Anfang des Films sagen sie, sie hätten im Magazin „Nature“ (Juni 2012) den von mehreren Wissenschaftlern geschriebenen Aufsatz „Approaching a state shift in Earth’s biosphere“ gelesen. Das Fazit des Aufsatzes ist, dass ohne eine Änderung unserer Lebensweise unsere Ökosysteme zwischen 2040 und 2100 zusammenbrechen. Also in einer Zeit, die Dion und Laurent und wahrscheinlich die meisten Leser dieser Kritik noch erleben werden.

Die Schauspielerin („Inglourious Basterds“, „Die Unfassbaren – Now you see me“) und der Aktivist fragen sich, was sie ganz individuell gegen diese angekündigte Katastrophe tun können.

Auf der Frage nach Antworten reisen sie um die Welt, besuchen Projekte, die sich dem Schutz der Umwelt widmen und sprechen mit Menschen, die vor allem in ihrem Umfeld etwas tun, darüber. Ihre Reise teilen sie sinnvoll in Kapitel ein, die sich mit bestimmten Problemen und Initiativen dagegen beschäftigen und die dabei von dem einen Problemfeld zum nächsten kommen. Es beginnt mit der Landwirtschaft, geht über die Energieerzeugung, die Wirtschaft, die Demokratie hin zur Bildung. Gemeinsamer Nenner der gezeigten Initiativen und Projekte ist, dass die große, nationale und globale Politik nicht involviert ist.

Mit diesem konsequent durchgehaltenem „Global denken, lokal handeln“-Ansatz zeigen sie auch, was jeder machen kann und weil sie auf der Suche nach Antworten sind, beginnen sie auch nicht zu Predigen. Denn sie haben noch keine Antworten. Sie stellen Fragen. Sie suchen nach Lösungen und sie formulieren den Film als Gesprächsangebot.

Das macht ihn schon einmal grundsympathisch und lehrreich auf eine unterhaltsame Art..

Auch wenn viele dieser Projekte, die sie in England, Island, den USA und Indien besuchen, vor der eigenen Haustür ein Äquivalent haben.

Aber so zeigen die Filmemacher – trotz problematischer Umweltbilanz beim Filmen – dass es eine weltweite Bewegung gibt, die eben die Prognose des „Nature“-Aufsatzes in ihrer praktischen Arbeit widerlegen möchte.

In Frankreich erhielt „Tomorrow“ dies Jahr den César als bester Dokumentarfilm und über 800.000 Menschen sahen sich im Kino den Film, der zeigt, dass eine andere Welt möglich ist, an.

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Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen (Demain, Frankreich 2015)

Regie: Cyril Dion, Mélanie Laurent

Drehbuch: Cyril Dion

mit Anthony Barnosky, Elizabeth Hadly, Vandana Shiva, Charles Hervé-Gruyer, Perrine Herve-Gruyer, Olivier de Schutter, Thierry Salomon, Robert Reed, Jan Gehl, Rob Hopkins, Emmanuel Druon, Bernard Lietaer, David Van Reybouck, Elango Rangaswamy, Kari Louhivuori

Länge: 120 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Französische Homepage zum Film

Moviepilot über „Tomorrow“

AlloCiné über „Tomorrow“

Rotten Tomatoes über „Tomorrow“

Wikipedia über „Tomorrow“ (deutsch, englisch, französisch)


Neu im Kino/Filmkritik: „Everybody wants some!!“ – Richard Linklaters Reise zurück in die Achtziger

Juni 4, 2016

Da liefert mir Hannah Pilarczyk auf Spiegel Online mit ihrer Nicht-Kritik über Richard Linklaters neuen Film „Everybody wants some!!“ doch glatt die Steilvorlage für den Einstieg in meine Besprechung des Films. Sie schreibt:

Das alles kann man schreiben. Allein: Der Film hat mir keine Freude bereitet. Ich habe das alles erkannt und dennoch nicht gelacht. (…)

Stattdessen hat mich dieser Film dazu gebracht, ganz grundlegend über die Aufgabe einer Filmkritik nachzudenken. Das soeben Angeführte ist die Summe des Wissen, (…)

Einen ähnlichen Kenntnisstand kann man bei der durchschnittlichen Kinobesucherin, beim durchschnittlichen Kinobesucher nicht voraussetzen. Muss ich ihn als Kritikerin deshalb liefern? Auch wenn er nur das Wissen über den Film vergrößert, aber nicht den Spaß daran?“

Ob eine Kritik den „Spaß“ an einem Film vergrößern kann, weiß ich nicht. Das liegt daran, was man unter „Spaß“ versteht. Und „Freude“ bei einem Film ist auch okay. Wobei sie hier mit „Freude“ wohl nicht „Wohlgefallen“ oder „Vergnügen“, sondern allgemeiner meint, er habe sie nicht angesprochen; sie in keinster Weise berührt. Zum Beispiel wird niemand von einem Film von Michael Haneke, Ulrich Seidl oder Todd Solondz „Freude“ erwarten und auch niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, wird sagen, Roman Polanskis „Der Pianist“ (am Sonntag auf Arte) habe ihr Freude bereitet. Aber es sind sehenswerte, gute Filme, die einen berühren und mit denen sich eine Auseinandersetzung lohnt.

Eine Kritik als eine begründete Meinung sollte genau dazu einladen. D. h.: ich versuche meine Meinung zum Film nachvollziehbar zu erläutern. Ich schreibe auch, um was es in dem Film geht, was der Regisseur zeigen wollte, ob er das erreicht und warum es nach welchem Standard und nach welchen Erwartungen ein gelungener oder misslungener Film ist. Die Kritik sollte den Leser auch befähigen zu beurteilen, ob ihm der Film gefallen könnte. Und, wenn er ihn schon gesehen hat, neue Informationen und Einsichten vermitteln. Also zum Beispiel, warum er ihm nicht gefallen hat, oder warum er vielleicht doch nicht so schlecht ist, wie er glaubt. Insofern ist eine Kritik immer eine persönliche und natürlich subjektive, aber informierte Auseinandersetzung mit dem Film, die mehr als ein „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ ist und bei der das Ego und die persönlichen Befindlichkeiten des Verfassers nicht im Mittelpunkt stehen sollten.

Richard Linklaters neuer Film hat mir auch nicht gefallen. Ich fand ihn langweilig und auch ich konnte für keinen Charakter irgendetwas empfinden, obwohl mir Linklaters andere Filme gefallen, er wieder einen autobiographischen Stoff inszenierte und der Film, siehe Rotten TomatoesLINK, bei der US-Kritik überaus gut ankommt.

Wo also lief es für mich (okay, nicht nur für mich) schief?

Everybody wants some!!“ erzählt von den letzten Tagen vor dem Beginn des Studiums. Im Sommer 1980 kommt Jake Bradford als Neuling an die Southeast Texas State University. Er gehört zum Baseball-Team und hat ein Zimmer in dem in der Stadt gelegenem Studentenwohnheim des Baseball-Teams. Seine Mitbewohner nehmen ihn auf und ziehen mit ihm an dem Wochenende vor dem College-Beginn um die Häuser. Sie nehmen feste und flüssige Drogen. Sie amüsieren sich in verschiedenen Lokalen von einer Disco über einen Punk-Schuppen und eine Country-&-Western-Bar hin zu einer Party im Studentenwohnheim der Kunst-Studenten. Sie spielen etwas Baseball. Sie haben Sex – oder versuchen es. Sie hängen ab. Und am Montag hängen sie müde in der ersten Vorlesung.

Der 1960 geborene Texaner Linklater, der selbst an der Universität Baseball spielte, blickt mit „Everybody wants some!!“ auf seine College-Zeit zurück und er schließt auch an „Dazed and Confused – Sommer der Ausgeflippten“ (Dazed and Confused, USA 1993) an. In diesem autobiographisch inspiriertem Film erzählt er in Episoden von den Erlebnissen mehrerer High-School-Freshmen und den Schülern der Abschlussklasse im Sommer 1976 in Texas. Es geht von der ersten Minute an um den Abschied aus der vertrauten Schule und Umgebung und um den Aufbruch in eine neue Welt. Die Folie, vor der sich alles abspielt, ist das Wissen, dass nach dieser Nacht alles anders sein wird.

Genau diese Folie fehlt „Everybody wants some!!“. Es geht zwar auch um die Aufnahme eines neuen Schülers in die Gemeinschaft, aber dieses Mal gibt es kein Ziel. Also ob das Wochenende der letzte Abschied von der unbeschwerten Jugend oder der Anfang der Eroberung einer neuen, schöneren, offeneren, mehr Möglichkeiten bietenden Welt ist. Es wird nur ein Wochenende gezeigt, bei dem es egal ist, ob es am Anfang oder Ende oder in der Mitte des Semesters oder des Studiums spielt.

Allein das führt schon zu einer Distanz zum Erzählten. Es gibt nämlich keinen Rahmen, in den man die Episoden sinnvoll einordnen kann und die ihnen damit eine größere Bedeutung verleihen. So ist es nur der Tanz in der Disco, das Besäufnis, der wirre Vortrag eines kiffenden Mitstudenten und die nächste Schönheit, die man erobern will.

Dazu kommt das Ensemble von jungen, unbekannten Schauspielern, die alle erschreckend eindimensionale Charaktere verkörpern müssen. Denn letztendlich muss sich keiner von ihnen mit einem Problem herumschlagen oder eine Entscheidung treffen. Aber gerade das Treffen von Entscheidungen verrät uns einiges über den Charakter einer Person und je wichtiger für ihn die Entscheidung ist, umso mehr können wir mit ihm mitfühlen.

Dann würden wir auch verstehen, warum der durchgeknallte Student, der wie eine Kopie von „Taxi Driver“ Travis Bickle wirkt, so ist, wie er ist. In dem Film erleben wir ihn zuerst in der Disco als den grundlos für Ärger sorgenden Psychopathen, mit dem wir keine zwei Sekunden zusammen sein wollen. Später sollen wir glauben, dass er ein wichtiges und durchaus respektiertes Mitglied des Baseball-Teams ist. Nur: wir glauben es nicht.

Ein anderes, älteres Mitglied aus dem Team verschwindet plötzlich, weil er seine College-Zulassung fälschte. Aus diesem Charakter hätte man durchaus etwas machen können, aber in dem Film bleibt er so nebensächlich, dass nicht nur ich mich fragte, wer er denn genau war, was er vorher in dem Film gemacht hat und, verdammt noch mal, welches Teammitglied er war.

Ebenso austauschbar bleiben die vielen anderen Charaktere. Über keinen will man unbedingt mehr erfahren, von keinem erwartet man sehnsüchtig den nächsten Auftritt und keinen würde man, wenn er plötzlich aus dem Film ausscheiden würde, vermissen.

So bleibt aber alles an der Oberfläche. Als ob man ein altes Fotoalbum durchblättert.

Everybody wants some

Everybody wants some!! (Everybody wants some!!, USA 2016)

Regie: Richard Linklater

Drehbuch: Richard Linklater

mit Will Brittain, Zoey Deutch, Ryan Guzman, Tyler Hoechlin, Blake Jenner, J. Quinton Johnson, Glen Powell, Wyatt Russell

Länge: 117 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Everybody wants some!!“

Metacritic über „Everybody wants some!!“

Rotten Tomatoes über „Everybody wants some!!“

Wikipedia über „Everybody wants some!!“

Meine Besprechung von Richard Linklaters „Before Midnight“ (Before Midnight, USA 2013)

Richard Linklater in der Kriminalakte

Ein ausführliches Gespräch mit Richard Linklater über den Film und den ganzen Rest

Ein etwas kürzeres Gespräch mit ihm über den Film

Und eines mit ihm, Rick Keeler und Tyler Hoechlin (beides Mitstudenten von Linklater) und über den Film und ihre gemeinsame Uni-Zeit


TV-Tipp für den 4. Juni: Die Dolmetscherin

Juni 3, 2016

ZDFneo, 20.15
Die Dolmetscherin (Großbritannien/Frankreich/USA 2005, Regie: Sydney Pollack)
Drehbuch: Charles Randolph, Scott Frank, Steven Zaillian (nach einer Geschichte von Martin Stellman und Brian Ward)
UN-Dolmetscherin Silvia Broome behauptet, dass sie ein Gespräch belauschte, in dem im Landesdialekt über ein Mordkomplott gegen den verhassten Diktator ihres Heimatlandes, der in New York ermordet werden soll, gesprochen wurde. Agent Tobin Keller soll die wichtige Zeugin beschützen. Gleichzeitig fragt er sich, ob die schöne Frau mit rätselhafter Vergangenheit, die Wahrheit sagt.
Der spannende Polit-Thriller war der letzte Spielfilm von Sydney Pollack, der auch “Nur Pferden gibt man den Gnadenschuß” (They shoot horses, don’t they?), “Jeremiah Johnson”, “Yakuza” (The Yakuza), “Die drei Tage des Condors” (Three days of the Condor), “Tootsie”, “Jenseits von Afrika” (Out of Africa) und “Die Firma” (The Firm) inszenierte.
mit Nicole Kidman, Sean Penn, Catherine Keener, Jesper Christensen, Yvan Attal
Hinweise
Film-Zeit über „Die Dolmetscherin“
Moviepilot über „Die Dolmetscherin“
Metacritic über „Die Dolmetscherin“
Rotten Tomatoes über „Die Dolmetscherin“
Wikipedia über „Die Dolmetscherin“ (deutsch, englisch)
Mein Nachruf auf Sydney Pollack


Neu im Kino/Filmkritik: „Whiskey Tango Foxtrot“ – Tina Fey in Afghanistan

Juni 3, 2016

Kim Baker (Tina Fey) fühlt sich von ihrem Job in der Lokalnachrichtenredaktion eines Kabelsenders unterfordert und sie gehört zu den wenigen unverheirateten, kinderlosen Mitarbeitern. Das prädestiniert sie 2002 für den zunächst nur für einige Monate geplanten Einsatz in Afghanistan als Kriegsreporterin. Sie fliegt vollkommen unvorbereitet dorthin – und der Film „Whiskey Tango Foxtrot“ erzählt, basierend auf dem Buch der echten Kim Barker (für den Film wurde ihr Name leicht geändert), von ihren Erlebnissen an der Front, die viel Stoff für Anekdoten hergeben. Immerhin blieb sie mehrere Jahre dort.

Und genau das ist das Problem von Glenn Ficarra und John Requas Film, der keine 1-zu-1-Verfilmung von Barkers Buch ist. Die Episoden reihen sich aneinander. Zuerst lernt Baker die ihr fremde Welt der Kriegsreporter und der Afghanen kennen. Wobei sie die einheimische Kultur mehr oder weniger oft galant ignoriert. Genauso wie Anweisungen von Militärs, die sie beschützen sollen. Das ist natürlich, immer wieder lustig, und der Zusammenprall der verschiedenen Kulturen sorgt für einige Lacher. Dazwischen – wobei dieses ‚dazwischen‘ den größeren Teil des Films ausmacht – gibt es Einblicke in die Freizeitgestaltung der Journalisten, die sich anscheinend in dem reichhaltigen Konsum alkoholischer Getränke und auch außerehelicher Affären mit Kollegen erschöpft. Das spielt sich bevorzugt in dem gut geschützten Hotel, in dem die Journalisten leben, ab, während draußen der Krieg tobt, der sie ungefähr so sehr interessiert, wie Studenten die Kommunalpolitik während sie sich im Studentenwohnheim betrinken.

Insofern ist „Whiskey Tango Foxtrot“ das Äquivalent zu einem Kneipenabend mit einem oder mehreren Kriegsreportern, die von ihrem letzten Einsatz erzählen. Das ist vergnüglich, aber durchgehend oberflächlich und fernab von jeglicher Selbstkritik oder Analyse. Und Klischees, vor allem über die Einheimischen, helfen beim Erzählen der Anekdoten.

Für einen Film ist das natürlich etwas wenig.

Wenn dann, am Ende der Kriegssatire, Bakers Freund, Vertrauter und Geliebter Iain MacKelpie (Martin Freeman), ein schottischer Fotoreporter mit hohem Alkohol- und Frauenkonsum, entführt wird und Baker, auch mit Erpressungen, Himmel und Hölle (vulgo einem mächtigen afghanischen Politiker [Alfred Molina als interessante Besetzung] und das US-Militär) in Bewegung setzt, um MacKelpie zu befreien, dann wirkt das nicht wie das schlüssige Ende einer Geschichte, sondern wie eine schnell angeklebte Episode, die den vorherigen Anekdoten einen größeren Sinnzusammenhang geben soll. Weil das zu überraschend kommt, nicht zum mäandernden Stil des vorherigen Films passt und die bislang planlose Barker plötzlich planvoll und eiskalt handelt, funktioniert nicht.

Die mehr klamaukige als treffende Satire lässt eben genau die Analyse und Haltung vermissen, die nötig wäre, um aus „Whiskey Tango Foxtrot“ mehr als das neue Tina-Fey-Vehikel zu machen. Die setzt sich allerdings voll ein und darf mehrmals herrlich derangiert nach einer alkoholgeschwängerten Nacht aufwachen und aus ihrem Fenster auf den Innenhof des ‚Fun House‘ blicken.

WTF?!

Whiskey Tango Foxtrot - US-Plakat 2

Whiskey Tango Foxtrot (Whiskey Tango Foxtrot, USA 2016)

Regie: Glenn Ficarra, John Requa

Drehbuch: Robert Carlock

LV: Kim Barker: The Taliban Shuffle: Strange Days in Afghanistan and Pakistan, 2011

mit Tina Fey, Margot Robbie, Martin Freeman, Alfred Molina, Billy Bob Thornton, Christopher Abbot, Nicholas Braun, Stephen Peacocke, Sheila Vand

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Whiskey Tango Foxtrot“

Metacritic über „Whiskey Tango Foxtrot“

Rotten Tomatoes über „Whiskey Tango Foxtrot“

Wikipedia über „Whiskey Tango Foxtrot“ (englisch)


TV-Tipp für den 3. Juni: Blitz

Juni 3, 2016

Pro7, 22.25

Blitz (Großbritannien 2011, Regie: Elliott Lester)

Drehbuch: Nathan Parker

LV: Ken Bruen: Blitz or Brant Hits the Blues, 2002

London: Detective Sergeant Brant jagt einen Polizistenmörder und kümmert sich dabei wenig um Recht und Gesetz.

Harter Copfilm nach einem harten Polizeiroman von Ken Bruen, dem Erfinder von Jack Taylor. Von seinen sieben „Inspector Brant“-Romane sind inzwischen, endlich!, zwei Romane auf Deutsch veröffentlicht und in der Kriminalakte gebührend abgefeiert worden.

mit Jason Statham, Paddy Considine, Aidan Gillen, David Morrisey, Luke Evans

Wiederholung: Sonntag, 5. Juni, 01.15 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Blitz“

Wikipedia über „Blitz“ (deutsch, englisch)

Homepage von Ken Bruen

Meine Besprechung von Ken Bruens „Füchsin“ (Vixen, 2003)

Meine Besprechung von Ken Bruens „Kaliber“ (Calibre, 2006)

Meine Besprechung von Ken Bruens Jack-Taylor-Privatdetektivromanen

Meine Besprechung von Ken Bruens „Jack Taylor fliegt raus“ (The Guards, 2001)

Meine Besprechung von Ken Bruens “Jack Taylor liegt falsch” (The Killing of the Tinkers, 2002)

Meine Besprechung von Ken Bruens „Sanctuary“ (2008)

Meine Besprechung von Ken Bruen/Jason Starrs „Flop“ (Bust, 2006)

Meine Besprechung von Ken Bruen/Jason Starrs „Crack“ (Slide, 2007)

Meine Besprechung von Ken Bruen/Jason Starrs „Attica“ (The MAX, 2008)

Mein Porträt von Ken Bruen und Jason Starr in „Alligatorpapiere [Print] – Magazin für Kriminalliteratur – No. 2/2010“

Meine Besprechung von William Monahans Ken-Bruen-Verfilmung “London Boulevard” (London Boulevard, USA/GB 2010)

Meine Besprechung der TV-Serie “Jack Taylor” (Irland 2010/2011/2013 – basierend auf den Romanen von Ken Bruen)

Ken Bruen in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: Tödlicher „Green Room“

Juni 2, 2016

Ein Green Room ist ein Aufenthaltszimmer für Künstler vor einem Auftritt und eine solche Garderobe steht in „Green Room“ im Zentrum.

Es beginnt damit, dass die Punkband „The Ain’t Rights“ irgendwo im Nirgendwo von Oregon einen Auftritt annimmt, um so ihre Benzinkosten bezahlen zu können. Das erste Problem ist das Publikum. Es sind Nazi-Punks, die dann gleich von ihnen mit einem Klassiker – „Nazi Punks Fuck Off“ von den Dead Kennedys – bedient werden. Das Konzert verläuft dann doch noch ganz gut.

Nach dem Konzert werden die vier Musiker von dem Betreiber fast herausgeworfen, während schon die nächste Band den Green Room besetzt hat. Aber Sam hat ihr Telefon in der Garderobe vergessen. Sie will es schnell holen und entdeckt, mitten in der Garderobe liegend, eine Frauenleiche.

Der Wirt, der nicht besonders viel von der Polizei hält, schließt sie ein und ruft den Besitzer des Lokals: Darcy Banker. Er ist nicht nur der Eigentümer des Lokals, sondern auch noch der Chef der örtlichen Nazis und in mehr kriminelle Aktivitäten verstrickt, als sich die „Ain’t Rights“-Musiker denken können.

Darcy will das Problem möglichst unauffällig lösen. Auch wenn dafür die Musiker von „The Aint’t Rights“ verschwinden müssen.

Und diese müssen, mit und gegen Nazis, um ihr Überleben kämpfen.

Green Room“, der neue Film von Jeremy Saulnier („Blue Ruin“), ist ein fieser kleiner Thriller, der eine vertraute Geschichte, schön schwarzhumorig, mit einigen überraschenden Wendungen psychologisch glaubwürdig und gut gespielt erzählt. Dabei ist Sir Patrick Stewart als Bösewicht Darcy, auch wenn er wenig tun muss, schon die halbe Miete.

Ein Film wie ein Punk-Song.

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Green Room (Green Room, USA 2015)

Regie: Jeremy Saulnier

Drehbuch: Jeremy Saulnier

mit Anton Yelchin, Imogen Poots, Patrick Stewart, Alia Shawkat, Joe Cole, Callum Turner, Mark Webber, Eric Edelstein, Macon Blair, Kai Lennox

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 18 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Green Room“

Metacritic über „Green Room“

Rotten Tomatoes über „Green Room“

Wikipedia über „Green Room“ (deutsch, englisch)

Zwei Interviews mit Jeremy Saulnier über „Green Room“

https://www.youtube.com/watch?v=Z7bubLsyJUs


Neu im Kino/Filmkritik: Angst und Schrecken auf „The other side of the door“

Juni 2, 2016

Nach dem Unfalltod ihres achtjährigen Sohnes wird Maria von Alpträumen geplagt. Sie fühlt sich für den Tod von Oliver verantwortlich. Vor seiner Geburt waren sie mit ihrem Mann Michael nach Indien gezogen, weil er seine Arbeit auch von Indien erledigen könne. Sie hat, was ihnen einen gehobenen Lebensstil ermöglicht, irgendetwas mit dem Export von Antiquitäten zu tun hat. Für die Filmgeschichte ist das allerdings egal. In Indien bekam Maria ein zweites Kind, das sie jetzt wegen ihrer Trauer vernachlässigt.

Eines Tages sagt Marias Haushälterin ihr, es gebe einen abgelegenen Ort, an dem man mit den Geistern der Verstorbenen reden könne. Sie müsse sich allerdings an eine Regel halten: niemals und unter keinen Umständen die Tür zur anderen Seite, zum Reich der Toten, öffnen.

Maria macht sich auf den Weg zu dem abgelegen im Dschungel liegendem Tempel, in dem sie eine Nacht verbringen und noch einmal mit ihrem Sohn reden will. Dass alles um den Tempel herum ödes Brachland ist, irritiert sie nicht.

Dass sie die Warnung ihrer Haushälterin ignoriert und doch die Tür öffnet, wissen wir seitdem Piki genau das verboten hatte. Auch dass jetzt Marias Sohn zurückkommt und als Geist beginnt die Familie zu terrorisieren, überrascht nicht.

Überraschungen gibt es in dem Geisterfilm „The other side of the door“ kaum und die Entscheidung, die Geschichte in der Gegenwart in Indien spielen zu lassen, zehrt an der Glaubwürdigkeit. Denn Maria benimmt sich, als habe sie noch etwas von dem „Friedhof der Kuscheltiere“ gehört, noch nie eine Geistergeschichte gelesen oder einen Horrorfilm gesehen. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass sie Oliver um Verzeihung bitten will, deshalb nach jedem Strohhalm greift und sein Flehen hinter der verschlossenen Tür ihr Herz erweicht.

Trotzdem ist Marias Tun für eine in der Gegenwart spielende Geschichte arg unglaubwürdig. Wenn die Geschichte vor über hundert Jahren, während des Kolonialismus spielen würde, wäre sie mit ihren Klischees über das fremde Indien, in dem die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten schmal ist und Schamanen stumm und bedrohlich im Garten stehen, vielleicht glaubwürdiger.

So ist „The other side of the door“ nur ein weiterer, immerhin kompetent inszenierter und gespielter Geisterhorrorfilm, der sich nicht wesentlich von seinen vielen Vorgängern unterscheidet. Auch nicht in Punkto Logik; oder besser Unlogik.

The other side of the door - Plakat

The other side of the door (The other side of the door, USA 2015)

Regie: Johannes Roberts

Drehbuch: Johannes Roberts, Ernest Riera

mit Sarah Wayne Callies, Jeremy Sisto, Sofia Rosinsky, Suchitra Pillai, Logan Creran

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The other side of the door“

Metacritic über „The other side of the door“

Rotten Tomatoes über „The other side of the door“

Wikipedia über „The other side of the door“


Die KrimiZeit-Bestenliste Juni 2016

Juni 2, 2016

Lesestoff für draußen (bei Sonnenschein) und drinnen (bei Regen), geprüft von der KrimiZeit-Jury von Die Zeit und Nordwestradio:

1(1) Simone Buchholz: Blaue Nacht

2(9) Dominique Manotti: Schwarzes Gold

3(-) Olen Steinhauer: Der Anruf

4(10) Gerald Kersh: Die Toten schauen zu

5(-) Christian Roux: Der Mann mit der Bombe

6(4) Ahmed Mourad: Vertigo

7(6) James Lee Burke: Mississippi Jam

8(-) Andrea Fischer Schulthess: Motel Terminal

9(-) Ulrich Ritzel: Nadjas Katze

10(-) Christine Lehmann: Allesfresser

In ( ) ist die Platzierung vom Vormonat.

Mit vier Frauen ist der Frauenanteil – ohne jetzt noch einmal alle früheren Bestenlisten anzusehen – ungewöhnlich hoch.

Einiges habe ich ja schon besprochen. Manotti (Polit-Thriller) und Steinhauer (Agenten-Thriller) sollten demnächst folgen. Neben Besprechungen von Eric Amblers „Die Maske des Dimitrios“ und Friedrich Anis „Der geheimnisvolle Engel“ (seltsam, dass dieser Tabor-Süden-Roman es nicht auf die Liste schaffte).

Das klingt jetzt fast, als hoffe ich auf schlechtes Wetter.