Drehbuch: Charlie Wachtel, David Rabinowitz, Kevin Willmott, Spike Lee
LV: Ron Stallworth: Black Klansman, 2014
Ron Stallworth ist in den Siebzigern der erste schwarze Polizist in Colorado Springs. Als er eine Anzeige des Ku Klux Klans entdeckt ruft er dort an und wird auch gleich zu einem Treffen eingeladen. Aufgrund seiner Hautfarbe kann er nicht hingehen. Aber sein jüdischer Kollege Flip Zimmerman kann es. Gemeinsam beginnen sie gegen die weißen Rassisten zu ermitteln.
TV-Premiere. Spike Lee in Höchstform: er erzählt eine unglaubliche, aber wahre Geschichte mit viel Verve, Wut, satirischen Überspitzungen viel Zeitkolorit.
mit John David Washington, Adam Driver, Topher Grace, Laura Harrier, Ryan Eggold, Jasper Pääkkönen, Corey Hawkins, Paul Walter Hauser, Alec Baldwin, Harry Belafone
Inzwischen wohl schon ein historischer Film über ein immer noch aktuelles Problem
Arte, 21.45
Traffic – Macht des Kartells(Traffic, USA 2000)
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch: Stephen Gaghan (basierend auf der Miniserie „Traffik“ [GB 1989] von Simon Moore)
Der Kampf der USA gegen die aus Südamerika hereinkommenden Drogen, erzählt in drei parallelen Handlungssträngen.
Ein fantastischer, nah an der Realität entlang erzählter Drogenthriller
mit Michael Douglas, Benicio Del Toro, Catherine Zeta-Jones, Don Cheadle, Luis Guzman, Dennis Quaid, Stephen Bauer, Miguel Ferrer, Topher Grace, Rena Sofer, Albert Finney, Steven Bauer, James Brolin, Viola Davis, Benjamin Bratt
Beginnen wir mit dem Regisseur von „Irresistible“ (oder wie im Abspann mit farbigen Buchstaben angedeutet wird: „IrRESISTible“). Er heißt Jon Stewart und er schrieb auch das Drehbuch. Dieser Jon Stewart war von 1999 bis 2015 Moderator und kreativer Kopf der „The Daily Show“. In seiner Late-Night-Show erklärte er mit satirischen Mitteln Politik so gut, dass sie für viele, vor allem jüngere Zuschauer, zu einer politischen Informationssendung wurde. Und, dank YouTube, wurde Stewart auch bei uns bekannt. Seit dem Ende seiner täglichen Show verfolgte er verschiedene Projekte und trat einige Male in „The Late Show with Stephen Colbert“ auf.
Wenn dieser Mann jetzt eine Polit-Satire dreht, dann erwartet man, nun, scharfzüngige, äußerst konzentrierte, zum Nachdenken anregende, äußerst schnell erzählte Satire. Also irgendetwas in Richtung von „The Big Short“, „Vice“ oder etwas in der Tradition von Aaron Sorkin. Die Geschichte von „Irresistible“ ist für so eine Herangehensweise prädestiniert.
Nach der Wahl von Donald J. Trump ist der Politikberater Gary Zimmer (Steve Carell) am Boden zerstört. Als er einen YouTube-Clip von einem Auftritt von Colonel Jack Hastings (Chris Cooper) sieht, ist er begeistert. Hastings ist ein pensionierter Veteran, verwitwet und Milchbauer. Während einer Gemeindeversammlung in dem Kaff Deerlaken, Wisconsin, ergriff er für die im Ort lebenden illegalen Einwanderer und gegen eine sie diskriminierende Regel das Wort. Hastings hielt eine wahrhaft demokratische, patriotisch die US-amerikanischen Werte hochhaltende Rede im US-amerikanischen Hinterland; dem Landstrich, der eigentlich fest in republikanischer Hand ist.
Zimmer macht sich auf den Weg nach Deerlaken. Er will Hastings zur neuen Hoffnung der Demokraten aufbauen. Der erste Schritt ist ein erfolgreicher Wahlkampf gegen den seit Ewigkeiten amtierenden Bürgermeister.
Zimmer kann Hastings von seinem Vorhaben überzeugen. Kurz nach Hastings ersten Wahlkampfaktivitäten, kommt Faith Brewster (Rose Byrne) nach Deerlaken. Sie ist für eine langjährige Wahlkampfmanagerin der Republikaner und schon seit Ewigkeiten Zimmers Intimfeindin, mit der ihn eine Hassliebe verbindet.
Das klingt doch nach der Ausgangslage für eine zünftige Polit-Satire über den frei drehenden Wahlkampfwahnsinn in den USA, die aktuellen politischen Befindlichkeiten und die kulturellen Kämpfe und Gräben zwischen Washington, D. C., und der Provinz.
Aber genau das ist „Irresistible“ nicht. Es ist eine sehr betulich erzählte kleine Provinzschnurre, die niemand weh tun will. Alles plätschert nett harmlos vor sich hin. Nichts wird wirklich zugespitzt. Die Zahl der Pointen ist überschaubar. Die Menschen in Deerlaken sind sympathisch und nett. Politische Konflikte scheint es, außerhalb der Blase der beiden verfeindeten Wahlkampfmanager, nicht zu geben. Und Zimmer und Brewster sind vor allem daran interessiert, Gegensätze zu inszenieren, um mehr Geld für ihren Wahlkampf zu bekommen. Auch die von ihnen nach außen gezeigte Abneigung kann nie ihre Zuneigung füreinander überdecken. Die Landschaft zeigt sich von ihrer fotogensten Seite. Alles ist wundervoll entschleunigt. So wie es halt vor fünfzig, sechzig, siebzig oder achtzig Jahren war, als Mr. Smith nach Washington ging.
Und genau das ist „Irresistible“ letztendlich: ein archetypischer Frank-Capra-Film mit einigen kleinen Modernismen (ein, zwei Wahlkampfspots, einige Telefone) und einer allumfassenden Warmherzigkeit, die nur die versöhnenden Dinge sieht. Stewart zeigt, ohne erkennbare Brechungen, ein weißes Amerika, das es so niemals gab. Die Kamera nimmt das brav auf im Seitenverhältnis 1,66, das heute doch sehr an ein TV-Bild erinnert.
Und genau dort gehört Jon Stewarts rundum harmloser Film auch eigentlich hin.
Ach ja: es lohnt sich, sich den Abspann anzusehen. Dann erklärt ein Experte, wie realistisch die im Film gezeigten Ereignisse sind.
Irresistible – Unwiderstehlich (Irresistible, USA 2020)
Regie: Jon Stewart
Drehbuch: Jon Stewart
mit Steve Carell, Rose Byrne, Chris Cooper, Mackenzie Davis, Topher Grace, Natasha Lyonne, Brent Sexton, Blair Sams, Will McLaughlin, Will Sasso, C. J. Wilson, Andrea Frankle
Mike lebt dauerbekifft und wunschlos glücklich mit seiner Freundin Phoebe in einer Kleinstadt. Das friedliche Leben endet, als eine Frau wirres Zeug zu ihm sagt und zwei Männer an seinem Auto herumfummeln. Mit der Hilfe von einem Kaffeebecher und einem Plastiklöffel bringt er sie um. Kurz darauf wimmelt es in der Kleinstadt von schießwütigen CIA-Agenten, die Mike aufgrund seiner Vergangenheit als gemeingefährliche Killermaschine umbringen wollen. Aber Mike hat nichts verlernt und einiges neues gelernt.
LV: Mary Mapes: Truth and Duty: The Press, The President and The Privilege of Power, 2005
Im Sommer 2004 erfährt „60 Minutes II“-Produzenten Mary Mapes (Cate Blanchett), dass US-Präsident George Bush bei den Angaben zu seiner Militärzeit log. Sie und ihr Reporterteam recherchieren für eine TV-Reportage, die von Dan Rather (Robert Redford) präsentiert wird. Danach bricht, mitten im Wahlkampf, ein wahrer Shitstorm über sie herein.
Ein auf wahren Ereignissen basierendes, oft zu einseitig auf Mapes‘ Seite stehendes Journalistendrama. Letztendlich ist Vanderbilts von guten Absichten und guten Schauspielern getragenes Regiedebüt nur solala.
Gegen das wenige Monate vorher in den Kinos angelaufene, mit dem Oscar als bester Film des Jahres ausgezeichnete Drama „Spotlight“ sieht „Der Moment der Wahrheit“ reichlich blass aus.
Drehbuch: Stephen Gaghan (basierend auf der Miniserie „Traffik“ [GB 1989] von Simon Moore)
Der Kampf der USA gegen die aus Südamerika hereinkommenden Drogen, erzählt in drei parallelen Handlungssträngen.
Ein fantastischer, nah an der Realität entlang erzählter Drogenthriller
mit Michael Douglas, Benicio Del Toro, Catherine Zeta-Jones, Don Cheadle, Luis Guzman, Dennis Quaid, Stephen Bauer, Miguel Ferrer, Topher Grace, Rena Sofer, Albert Finney, Steven Bauer, James Brolin, Viola Davis, Benjamin Bratt
Natürlich kann Glaube in einem Film behandelt werden und natürlich kein ein solcher Film auch für Atheisten oder am Glauben vollkommen desinteressierte Menschen interessant sein. Der Film kann sogar ein Filmklassiker werden. Zum Beispiel Robert Bressons „Tagebuch eines Landpfarrers“, Ingmar Bergmans „Das siebente Siegel“, Pier Paolo Pasolinis „Das 1. Evangelium – Matthäus“, Martin Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ oder auch Mel Gibsons sehr umstrittene „Die Passion Christi“. In diesen Filmen wird der christliche Glaube in verschiedenen Facetten thematisiert. Die Figuren hadern mit sich, ihrem Glauben, Gott und der christlichen Botschaft, nach der sie bestimmte Dinge tun sollten, und ihrem Leben. Diese Filme stellen Fragen nach dem Sinn des Lebens.
„Breakthrough – Zurück ins Leben“ tut das nicht. Er versucht es noch nicht einmal. Denn es handelt sich um einen glaubensbasierten Film (bzw. „faith-based movie“ oder „Christian Movie“). In den USA sind diese Filme ein kommerziell sehr erfolgreiches Marktsegment, das nur die Zuschauer im Bible Belt begeistern soll. Das Budget ist überschaubar. Bekannte Schauspieler, Autoren und Regisseure sind nicht involviert. Die Filme sind meistens in jeder Beziehung grottenschlecht. Bei uns in Deutschland laufen diese Filme fast nie im Kino und sie werden auch nur selten auf DVD veröffentlicht.
Warum das so ist, zeigt „Breakthrough – Zurück ins Leben“ fast schon exemplarisch. Und dabei gehört er dank des straffen Drehbuchs, der professionellen Regie und der engagierten Schauspieler noch zu den besseren Faith-based-Werken. Der Film erzählt die wahre Geschichte von John Smith aus Lake St. Louis, einem Vorort von St. Louis, Missouri. Der vierzehnjährige Junge bricht im Eis ein. Fünfzehn Minuten ist er unter Wasser. In der Notaufnahme wird später erfolglos versucht, ihn wiederzubeleben. Als Johns Adoptivmutter Joyce Smith ins Krankenhaus kommt, sagt der Arzt ihr, sie solle von John Abschied nehmen. Stattdessen beginnt Joyce Smith, aktives Mitglied einer Pfingstler-Gemeinde, Gott anzuflehen, ihren Sohn am Leben zu lassen. Ihr Gebet wird prompt erhört. Jetzt muss John nur noch aus dem Koma erwachen. Das geht, so erzählt uns der Film todernst, am Besten mit Gebeten.
Heute ist John wieder mopsfidel. Und seine Mutter schrieb ein Buch darüber, wie ihr Sohn von dem Tod zurückkehrte.
Das Problem des durchaus kompetent auf TV-Serienniveau gemachten Films (Roxann Dawson ist eine erfahrene TV-Serienregisseurin, Grant Nieporte schrieb „Sieben Leben“ und er hat seinen Syd Field gelesen, die Schauspieler stolpern nicht hilflos aus dem Bild) ist dabei nicht unbedingt seine Botschaft, sondern wie sie präsentiert wird und was für eine Art Glauben präsentiert wird. Präsentiert wird sie humorfrei und pathosgetränkt mit dem Holzhammer, der nur die eh schon Überzeugten in ihrer Meinung bestätigt.
Der christliche Glaube, der hier und in allen faith-based Movies, gezeigt wird, ist ein hoffnungslos naiver, kindischer Glaube. So fleht Joyce Smith Gott an, ihren Sohn vom Tod zurückzuholen und weil ihr Sohn überlebte, ist ihr Glauben gefestigt. Allerdings ist ihr Glaube rein zweckmäßig auf ein egoistisches Ziel ausgerichtet. Beim Tod ihres Sohnes hätte sie ohne zu Zögern von ihrem vorher wie eine Monstranz vor sich her getragenem Glauben abgeschworen. Schließlich hat Gott ihren Wunsch nicht erfüllt.
Es ist auch ein Glaube, der nicht reflektiert wird, über den nicht diskutiert wird und der auch keine rationalen Argumente für sich hat, sondern der nur überwältigen soll. Alles Gute wird auf Gottes Tun reduziert. Andere Erklärungen gibt es nicht oder sie werden in einem Nebensatz als idiotische Meinung eines Experten abgetan. So ist es, was auch ein Arzt im Film sagt, vollkommen normal, wenn eine im Koma liegende Person zuckt. Für Johns Mutter ist das kein Reflex, sondern eine von ihrem Sohn bewusst getätigte Bewegung.
Dieser primitive und von der Richtigkeit der eigenen Meinung überzeugte Laienglaube steht im Mittelpunkt von „Breakthrough“ (und auch anderen Faith-based Movies) und macht den Film zu einem Pamphlet, das noch nicht einmal zur Sonntagspredigt taugt.
Breakthrough – Zurück ins Leben (Breakthrough, USA 2019)
Regie: Roxann Dawson
Drehbuch: Grant Nieporte
LV: Joyce Smith: The Impossible: The Miraculous Story of a Mother’s Faith and Her Child’s Resurrection, 2017
mit Chrissy Metz, Josh Lucas, Topher Grace, Mike Colter, Marcel Ruiz, Sam Trammell, Dennis Haysbert
History vs. Hollywood über das Wunder – und warum es nicht auf die Richtigkeit von Fakten, sondern auf deren Interpretation ankommt erfahren wir in der nächsten Folge von…
Einer der letzten Leinwandauftritte von Robert Redford, der gerade als „Ein Gauner & Gentleman“ im Kino kriminell erfreut
WDR, 23.40
Der Moment der Wahrheit (Truth, USA 2015)
Regie: James Vanderbilt
Drehbuch: James Vanderbilt
LV: Mary Mapes: Truth and Duty: The Press, The President and The Privilege of Power, 2005
Im Sommer 2004 erfährt „60 Minutes II“-Produzenten Mary Mapes (Cate Blanchett), dass US-Präsident George Bush bei den Angaben zu seiner Militärzeit log. Sie und ihr Reporterteam recherchieren für eine TV-Reportage, die von Dan Rather (Robert Redford) präsentiert wird. Danach bricht, mitten im Wahlkampf, ein wahrer Shitstorm über sie herein.
Ein auf wahren Ereignissen basierendes, oft zu einseitig auf Mapes‘ Seite stehendes Journalistendrama. Letztendlich ist Vanderbilts von guten Absichten und guten Schauspielern getragenes Regiedebüt nur solala.
Gegen das wenige Monate vorher in den Kinos angelaufene, mit dem Oscar als bester Film des Jahres ausgezeichnete Drama „Spotlight“ sieht „Der Moment der Wahrheit“ reichlich blass aus.
Sam ist ein archetypischer Slacker: er schlurft durch Los Angeles, verbringt viel Zeit in seinem Apartment, aus dem er demnächst wegen ausstehender Mietzahlungen fliegen könnte, und er beobachtet seine Nachbarn. Zum Beispiel die vollbusige Hippie-Braut, die gerne unbekleidet durch ihre Wohnung streift. Sam ist zwar schon über Dreißig, aber er lebt das Leben eines zwanzigjährigen College-Studenten.
Eines Tages lädt ihn die neue Nachbarin Sarah in ihr Apartment ein. Sie haben Sex. Sam verliebt sich in die gutaussehende Nachbarin. Am nächsten Tag ist sie spurlos verschwunden. In der leergeräumten Wohnung findet Sam ein Zeichen und einen Schuhkarton mit Erinnerungsstücken. Er vermutet ein großes Verbrechen und eine noch größere Verschwörung. Er beginnt sie zu suchen und taucht dabei tief in die Mythologie von Los Angeles und unzählige Verschwörungstheorien, die auch in dem titelgebenden Comic angesprochen werden, ein. Er will herausfinden, was „Under the Silver Lake“ ist und, wie jeder gutsortierte Verschwörungstheoretiker hat er die obskursten Comics, Werbung, Karten und jahrzehntealte Cornflakes-Packungen in seinem Apartment.
„Under the Silver Lake“ ist der neue Film von David Robert Mitchell. Sein vorheriger Film, der ungewöhnliche Horrorfilm „It follows“, wurde von der Horrorfilmgemeinde und Kritikern euphorisch aufgenommen. Aktuell schwankt seine Bewertung zwischen Kultfilm und künftigem Klassiker. Nach dem auch kommerziellem Erfolg des Horrorfilms ließen die Produzenten Mitchell bei seinem neuen Werk anscheinend freie Hand. Mitchell nutzte sie, um als Filmfan einen Film für andere Filmfans zu inszenieren, die sich gegenseitig erklären können, welche Filme in welcher Sekunde zitiert werden. Es dürfte schwer fallen, mehr als fünf zusammenhängende Filmminuten zu finden, in denen es keinen Verweis auf andere Filme gibt.
Der Neo-Noir ist allerdings auch ein Film, der mit hundertvierzig Minuten deutlich zu lang geraten ist und dem die ordnende Hand eines Produzenten fehlt. „Under the Silver Lake“ wirkt wie ein im jugendlichen Überschwang geschriebenes Drehbuch, in das einfach alles hineingestopft wurde, was einem wichtig ist. Gleichzeitig wirkt der in der Gegenwart spielende Film (bzw. nach den im Film gezeigten TV-Nachrichten 2011) wie ein Drehbuch aus den neunziger Jahren, das mit einigen Handys, Drohnen und Laptops aktualisiert wurde. Damit positioniert sich Mitchells Werk zwischen Slacker-Komödien, „The Big Lebowski“, „Lost Highway“, „Mulholland Drive“, „Maps to the Stars“ (Cronenbergs Hollywood-Portrait mit Geistern) und, obwohl in den siebziger Jahren spielend, „Inherent Vice – Natürliche Mängel“. Alle diese Komödien und Noirs sind deutlich gelungener, weil sie immer etwas über die Entstehungszeit des Films und, wenn der Film in einer anderen Zeit (oder einer anderen Welt) spielt, über diese Zeit und wie wir sie heute sehen, aussagen.
Mitchels sehr stilbewusste Neo-Noir-Komödie erzählt nichts über die Gegenwart, sondern er wirkt wie ein Film aus den Neunzigern, den damals niemand im Kino sah. Das gesamte System an Referenzen verweist noch weiter in die Vergangenheit: ein wenig siebziger Jahre Freizügigkeit (für einen US-Film gibt es viel nackte Haut) und die vierziger und fünfziger Jahre, mit Anspielungen auf den Film Noir, Alfred Hitchcock und Marilyn Monroe. Und wer will, kann mühelos noch etwas „L. A. Confidential“ James Ellroy entdecken, ehe der Film eine Abbiegung zur Underground-Comickultur nimmt.
„Under the Silver Lake“ ist eine Zitatsammlung, die letztendlich nie über die Form eines durchaus sympathischen zwanzig Jahre alten Zettelkastens hinauskommt.
Under the Silver Lake (Under the Silver Lake, USA 2018)
Regie: David Robert Mitchell
Drehbuch: David Robert Mitchell
mit Andrew Garfield, Riley Keough, Topher Grace, Callie Hernandez, Don McMandus, Jeremy Bobb, Riki Lindholme Zosia Mamet, Jimmi Simpson, Grace van Patten
LV: Mary Mapes: Truth and Duty: The Press, The President and The Privilege of Power, 2005
Im Sommer 2004 erfährt „60 Minutes II“-Produzenten Mary Mapes (Cate Blanchett), dass US-Präsident George Bush bei den Angaben zu seiner Militärzeit log. Sie und ihr Reporterteam recherchieren für eine TV-Reportage, die von Dan Rather (Robert Redford) präsentiert wird. Danach bricht, mitten im Wahlkampf, ein wahrer Shitstorm über sie herein.
TV-Premiere zur Prime-Time für Nachteulen, Vampire und Werwölfe: ein auf wahren Ereignissen basierendes, oft zu einseitig auf Mapes‘ Seite stehendes Journalistendrama. Letztendlich ist Vanderbilts von guten Absichten und guten Schauspielern getragenes Regiedebüt nur solala.
Gegen das wenige Monate vorher in den Kinos angelaufene, mit dem Oscar als bester Film des Jahres ausgezeichnete Drama „Spotlight“ sieht „Der Moment der Wahrheit“ reichlich blass aus.
Es klingt wie ein Witz: Ein Afroamerikaner wird Mitglied beim Ku-Klux-Klan.
Aber das passierte wirklich und Spike Lee verfilmte jetzt diese Geschichte. Wobei man wohl besser sagt „inspiriert von einer wahren Geschichte“ als „basierend auf einer wahren Geschichte“.
In den Siebzigern bewirbt sich Ron Stallworth (John David Washington) beim Colorado Springs Police Department. Er wird der erste afroamerikanische Polizist des Reviers. Wobei man damals nicht afroamerikanisch, sondern schwarz sagte. Oder gleich noch diskriminierendere Worte benutze und den neuen Kollegen, der zuerst einmal in das Archiv verbannt wird, seine Abneigung deutlich spüren lässt. Aber Stallworth bewegt sich schon ab dem ersten Tag mit seinem Afro (damals modisch der letzte Schrei) so selbstsicher durch das Revier, dass klar ist, dass er die Botschaft von „I’m Black and I’m Proud“ verinnerlicht hat und seinen Shaft kennt.
Eines Tages sieht er in der Tageszeitung eine Anzeige des Ku-Klux-Klans. Es werden Mitglieder für eine örtliche KKK-Gruppe gesucht. Stallworth ruft an und am Diensttelefon verkörpert er so gut den weißen Rassisten, dass sein Gesprächspartner begeistert über das zukünftige Mitglied ist. Etwas später ist auch KKK-Anführer David Duke (Topher Grace) begeistert. Am Telefon überzeugt Stallworth die Rassisten mühelos. Er kann, und das ist einer der zahlreichen witzigen Dialoge, in den Rassenstereotype aufgespießt werden, ’schwarz‘ und ‚weiß‘ klingen (Keine Ahnung, ob der Witz in der deutschen Synchronisation noch funktioniert). Für eine persönliche Begegnung, die sich irgendwann nicht vermeiden lässt, muss dann ein weißer Kollege einspringen. Das soll Flip Zimmerman (Adam Driver), ein Jude, tun.
Damit sind wir beim grandiosen zweiten Witz des Films: ein Schwarzer und ein Jude infiltrieren den Ku-Klux-Klan und fügen ihm eine empfindliche Schlappe zu.
Bis es dahin kommt, zeigt Spike Lee sich in seinem neuen Film „BlacKkKlansman“ in Hochform und es ist ein typischer Spike-Lee-Joint: etwas zu lang, etwas chaotisch zwischen Stilen und Stimmungen wechselnd, eklektisch in jeder Beziehung, voller Humor, gespickt mit mal mehr, mal weniger subtilen Anspielungen und satirischer Zuspitzungen und immer unterhaltsam. Wie man, um jetzt nicht all seine Klassiker zu erwähnen, es beispielsweise aus seiner grandiosen Mediensatire „It’s Showtime“ (Bamboozled, 2000) kennt. Das ist, obwohl „BlacKkKlansman“ auch ein Thriller ist, nicht der Spike Lee, der mit „Inside Man“ (2006) und „Oldboy“ (2013, seinem letzten bei uns im Kino gelaufenem Film) straffe Thriller erzählte. In „BlacKkKlansman“, erleben wir den Filmemacher wieder mit seiner bekannten politischen Agenda und, auch ohne die letzten Filmminuten, in denen er Bilder der rechtsextremen „Unite the Right“-Demonstration, die 2017 in Charlottesville stattfand, zeigt, sind die Bezüge zur Gegenwart für jeden im Kinosaal glasklar. Vor allem, wenn man hört, woher die bekannten Trump-Sprüche kommen.
„BlacKkKlansman“ ist eine wütende Anklage gegen Rassisten und ihre Weltsicht. Spike Lee macht sich über sie lustig, aber er dämonisiert sie nicht. Er reißt ihnen nur die Maske vom Gesicht und lässt immer wieder, auch wenn sie es nicht ahnen, deren schlimmsten Alpträume wahr werden. Denn „BlacKkKlansman“ zeigt, was das schlimmste ist, was White-Supremacy-Anhänger sich ausdenken können.
Seine Premiere hatte die Komödie in Cannes. Dort erhielt sie den Großen Preis der Jury. In den USA lief der Film am 10. August, dem ersten Jahrestag der Charlottesville-Demonstration, an.
Fun Fact: Hauptdarsteller John David Washington ist der Sohn von Denzel Washington. Sein Leinwanddebüt, ein Cameo, hatte er als Kind 1992 in Spike Lees „Malcolm X“.
BlacKkKlansman (BlacKkKlansman, USA 2018)
Regie: Spike Lee
Drehbuch: Charlie Wachtel, David Rabinowitz, Kevin Willmott, Spike Lee
LV: Ron Stallworth: Black Klansman, 2014
mit John David Washington, Adam Driver, Topher Grace, Laura Harrier, Ryan Eggold, Jasper Pääkkönen, Corey Hawkins, Paul Walter Hauser, Alec Baldwin, Harry Belafonte
Mike lebt dauerbekifft und wunschlos glücklich mit seiner Freundin Phoebe in einer Kleinstadt. Das friedliche Leben endet, als eine Frau wirres Zeug zu ihm sagt und zwei Männer an seinem Auto herumfummeln. Mit der Hilfe von einem Kaffeebecher und einem Plastiklöffel bringt er sie um. Kurz darauf wimmelt es in der Kleinstadt von schießwütigen CIA-Agenten, die Mike aufgrund seiner Vergangenheit als gemeingefährliche Killermaschine umbringen wollen. Aber Mike hat nichts verlernt und einiges neues gelernt.
Über die Meldung, dass George Bush seine Militärzeit nicht in Vietnam an der Front, sondern in der Heimat verbrachte und dort auch noch notorisch nicht zum Dienst erschien, wurde auch in Deutschland berichtet. Bush, dessen „war on terror“ schon damals umstritten war, kämpfte 2004 um eine zweite Amtszeit. Sein Herausforderer John Kerry war ein mehrfach dekorierter Kriegsheld und Vietnamveteran,
Was damals allerdings genau geschah, will „Zodiac – Die Spur des Killers“-Drehbuchautor James Vanderbilt in seinem Regiedebüt erzählen und er liefert damit einen guten Einblick in die tägliche Arbeit von Journalisten und wie eine prestigeträchtige Sendung, nämlich „60 Minutes II“ (das ist die Mittwochsausgabe des sonntags laufenden CBS-Nachrichtenmagazin „60 Minutes“) produziert wird. Mary Mapes (Cate Blanchett) ist die Produzentin, die auch die Folter in Abu Ghraib öffentlich machte und dafür 2005 einen Peabody-Award erhielt. Langjähriger Sprecher der Sendung ist Dan Rather (Robert Redford). Eine nationale Institution.
Jetzt, im Sommer 2004, erfährt Mapes von den Unregelmäßigkeiten während Bushs Dienstzeit. Weil auch andere Medien die Geschichte recherchieren, soll sie für ihre Sendung eine Reportage darüber anfertigen. Mit den Journalisten Mike Smith (Topher Grace) und Lucy Scott (Elisabeth Moss) und Oberst Roger Charles (Dennis Quaid), dem Militärexperten von CBS News, beginnt sie mit der Recherche. Sie finden mehr oder weniger aussagekräftige Beweise in verschiedenen Akten, es gibt Aussagen von Soldaten über Bushs Dienstzeit die nur einen Schluss zulassen: schon seine Einberufung bei der Texas Air National Guard wurde von politischen Freunden der Familie lanciert. Während seiner gesamten Dienstzeit wurde er protegiert und auch seine vorzeitige Entlassung war eine Bevorzugung gegenüber allen anderen Dienstleistenden. Dass er dann noch nicht einmal zum Dienst erschien, ist nur das berühmte I-Tüpfelchen.
Mapes und Rather brachten diese Nachricht am 8. September 2004 in einer unter Zeitdruck produzierten Sendung und, immerhin sind wir jetzt erst ungefähr in der Mitte des Films, die Sendung wird heftig kritisiert. Die Beweise sollen Fälschungen sein. Das betrifft vor allem die von dem schon vor der Sendung verstorbenen Oberstleutnant Jerry B. Killian geschriebenen und unterzeichneten Papiere, die im Zentrum der Reportage standen. Er war in Houston Bushs Vorgesetzter bei der 111. Fliegerstaffel. Zeugen sollen gelogen haben. Es soll Verbindungen zwischen Mapes und dem Kerry-Lager geben.
Nicht erwähnt wird in Vanderbilts Film, der vor allem auf Mary Mapes Buch über die Affäre basiert, dass es auch grobe handwerkliche Mängel in der Story gab, die zu eben dieser Kritik an nicht ausreichend verifizierten Dokumenten und seltsamen Befragungen führten. Denn die Fakten sind inzwischen unbestritten und auch mehrere Zeitungen schrieben über Bushs Dienstzeit, ohne dass die Kritiker, also das Bush-Lager im engeren und weiteren Sinn, sie so einfach kritisieren konnte.
In diesem Moment wird „Der Moment der Wahrheit“ zu einem Stück, das auch ‚Mary Mapes gegen den Rest der Welt (und alle anderen sind blöd)‘ heißen könnte. Sie ist auch glücklich verheiratete Mutter mit einem sie liebevoll und rücksichtsvoll umsorgendem Mann. Sie muss sich gegen all die falschen Vorwürfe von anderen Medien, den CBS-Oberen und Anwälten, die alle von ihrem Beruf und ihrer Arbeit keine Ahnung haben, wehren. In „Variety“ schrieb Mary Mapes „the film is very much my truth“.
Diese so offensichtliche Einseitigkeit, präsentiert als objektive Nacherzählung der Ereignisse, mit didaktischen und pathetischen Abschweifungen, verdirbt einem schnell die Lust an dem brav inszeniertem Film. Dazu muss man, weil man sich schon beim Ansehen manipuliert fühlt, noch nicht einmal die wahren Hintergründe der Affäre, die zu ihrer und Rathers Entlassung führten, kennen.
Dass mit „Spotlight“ erst vor wenigen Monaten ein in jeder Beziehung besserer Film über die Arbeit von investigativen Journalisten erschien, lässt „Der Moment der Wahrheit“ als einen noch schlechteren Film, als das moralische Erbauungsstück der Woche, das seine Agenda und Ansichten wie eine Sonntagspredigt vor sich her trägt, erscheinen.
Der Moment der Wahrheit (Truth, USA 2015)
Regie: James Vanderbilt
Drehbuch: James Vanderbilt
LV: Mary Mapes: Truth and Duty: The Press, The President and The Privilege of Power, 2005
mit Cate Blanchett, Robert Redford, Topher Grace, Dennis Quaid, Elisabeth Moss, Bruce Greenwood, Stacy Keach, John Benjamin Hickey, Dermot Mulroney
Mike Howell hängt dauerbekifft mit seiner Freundin Phoebe in West Virginia in dem Kuhdorf Liman ab. Ob er sich wegen seinem Drogenkonsum oder aus anderen Gründen an nichts erinnern kann, ist da eigentlich egal. Er kann und will auch nicht weg aus Liman. Schon an der Stadtgrenze kriegt er die ersten Panikattacken, die erst wenn er von dem Dorfpolizisten freundlich begrüßt wird, abnehmen. Mit ihm, der sein Vater sein könnte, ist er schon lange per Du. Immerhin sitzt er oft genug wegen des Besitzes und Konsums illegaler Substanzen im Gefängnis. Dazwischen jobt er in der Friedhofsschicht im Supermarkt. Während er so tut, als warte er auf die nicht vorhandene Kundschaft, zeichnet er die Abenteuer des Affen „Apollo Ape“.
Eines Nachts kommt eine Frau an seine Supermarktkasse und redet wirres Zeug. Dass sie von der CIA ist und ihre Worte etwas in ihm auslösen sollen, ahnt er nicht. Auch nicht, als er kurz darauf auf dem Supermarkt-Parkplatz zwei Männer mit den Dingen, die ein Slacker so bei sich hat, wie Plastiklöffel und Pappbecher, innerhalb von Sekunden tötet. Auch nicht, als Sekunden später sein Schrottauto in die Luft fliegt. Er erklärt nur fassungslos seiner Freundin, was er getan hat, ehe schon die nächsten Anschläge auf sein Leben durchgeführt werden.
Denn er steht wegen seiner Fähigkeiten (von denen er nichts ahnt) im Fadenkreuz zweier verfeindeter CIA-Agenten, die sehr gegensätzliche Ansichten über sein weiteres Leben haben.
Ich glaube, ich verrate nicht zu viel, wenn ich sage, dass Liman wenige Stunden später ein von der restlichen Welt abgeschiedenes Schlachtfeld ist und Mike immer wieder Dinge tut, die seine Gegner dem eiskalten Killer niemals zutrauen, weil Kifferlogik der natürliche Feind jeglicher rational-militärischen Logik ist.
Kurz gesagt ist „American Ultra“ die durchgeknallte und gewalttätige Slacker-Version von „Burn After Reading – Wer verbrennt sich hier die Finger?“ und genau wie bei den Coen-Brüder, geraten bei Regisseur Nima Nourizadeh („Project X“) und Drehbuchautor Max Landis („Chronicle“, demnächst „Victor Frankenstein“, und der Sohn von „Blues Brothers“ John Landis) schnell die Dinge außer Kontrolle, weil alle kompromisslos ihre eigenen Interessen verfolgen, während Mike nur einen ruhigen Ort zum Entspannen sucht.
„American Ultra“ hat keine Scheu vor abstrusen Wendungen (wobei wir einige Wendungen schon aus anderen Büchern, Comics, Filmen und TV-Serien mehr oder weniger kennen) und Jesse Eisenberg und Kristen Stewart als Paar mit Geheimnissen sind natürlich die halbe Miete bei dieser durchgeknallten Action-Komödie, die durchaus Kultpotential bei den Unter-Dreißigjährigen hat. Obwohl man so etwas ja immer erst mit einigem zeitlichen Abstand sagen kann.
Mit seiner „Batman“-Trilogie und „Inception“ zeigte Christopher Nolan, dass Blockbuster nicht hirnentleerter Lärm sein müssen. Etwas Nachdenken ist durchaus erlaubt. Auch sein neuester Film „Interstellar“, ein gut dreistündiger Science-Fiction-Film, der eine wichtige Botschaft hat (wir zerstören unsere Umwelt), eine Utopie formuliert (die Rettung liegt in den Sternen, ähm, auf einem anderen Planeten in einer anderen Galaxie) und ein Ende hat, das in vielen Kritiken sicher unzählige Vergleiche mit Stanley Kubricks Meisterwerk „2001: Odyssee im Weltraum“, dem Science-Fiction-Klassiker schlechthin, provoziert und die Fallhöhe anzeigt.
Nolans Film beginnt im US-amerikanischem Getreidegürtel, wo die Farmer gegen die Widrigkeiten der Umwelt kämpfen und, wie wir erst etwas später erfahren, die Menschheit sich inzwischen vollkommen von der Raumfahrt verabschiedete. Diesen Luxus kann man sich nicht leisten, wenn gerade jede Gehirnzelle für den konventionellen Anbau von Nahrungsmitteln gebraucht wird. Die Farmer produzieren so viele Lebensmittel wie möglich, um das Überleben der Menschheit zu garantieren. Allerdings werden durch Umweltkatastrophen auch viele Ernten zerstört. Und eine andere Methode, um die Menschheit zu Ernähren (zum Beispiel Astronautennahrung), gibt es nicht.
Es ist irgendwie eine apokalyptische Welt, in der die wenigen Menschen, die wir kennen lernen, im Korngürtel einfach noch so leben, als habe sich die letzten fünfzig Jahre nichts verändert. Es gibt auch keine TV-Nachrichten von anderen Gebieten, sondern nur willkürlich eingeblendete Erzählungen von alten Menschen, die von dieser Umweltkatastrophe, die sie vor Jahrzehnten erlebten, erzählen. In diesen Momenten findet Nolan eindrücklich-apokalyptische Bilder von Stürmen, Staub und Dreck, der sich innerhalb weniger Sekunden überall in der Wohnung ablagert. Wir erfahren auch nicht, wie der Staat organisiert ist. Sowieso verschwenden die Nolan-Brüder, abgesehen von lauschigen Sonnenuntergängen über Kornfeldern, keinen Gedanken an eine differenzierte Utopie und daran, wie eine Welt aussieht, in der es zu einer Klimakatastrophe kommt und die Welt zunehmend unbewohnbarer wird.
Im Mittelpunkt des Films steht Cooper (Matthew McConaughey), der früher Raumfahrer war und jetzt mit seinem Vater (John Lithgow) und seinen beiden Kindern Farmer ist. Aber in seinem Herzen ist er immer noch ein Bastler und Forscher. Er ist die vernünftige Ausgabe von Mark Wahlberg in „Transformers: Ära des Untergangs“.
Coopers Tochter Murph (Mackenzie Foy) glaubt, dass ein Geist ihr in ihrem Zimmer Zeichen gibt. Als sich die Zeichen in einer bestimmten Form anordnen, können Cooper und Murph sie entschlüsseln. Die Spur führt sie zu einer geheimen, unterirdischen Station der NASA, wo er seinen alten Freund Professor Brand (Michael Caine) trifft, der ihm ein Angebot macht, das er nicht ablehnen kann (auch weil dann der Film bereits nach ungefähr 45 Minuten zu Ende gewesen wäre). Cooper soll der Pilot einer Raumfahrtmission durch ein Wurmloch, das zufälligerweise am Rand unseres Sonnensystems aufgetaucht ist, sein. Brand hat schon einmal einige Raumfahrer durch das Loch geschickt und ihre rudimentären Signale lassen darauf schließen, dass es auf der anderen Seite des Wurmlochs für Menschen bewohnbare Planeten gibt. Brand glaubt auch, dass dieses Wurmloch nicht zufällig aufgetaucht ist, sondern dass es ein Signal von einer anderen, uns freundlich gesonnenen Spezies ist, die uns helfen wollen. Warum die Aliens dann nur ein Wurmloch im Weltall platzieren, das leicht übersehen oder falsch interpretiert werden kann und warum die Aliens uns nicht gleich helfen, beantworten die Nolans nicht. Aber sie sagen uns, dass die Zeit auf der anderen Seite des Wurmlochs langsamer vergeht, sie daher ihre Familie wahrscheinlich nie wieder sehen werden und, falls doch, ihre Kinder viel älter sind.
Jedenfalls könnte das, wenn sie schnell genug einen bewohnbaren Planeten finden, die Rettung der Menschheit sein. Cooper fliegt mit Amelia (Anne Hathaway), Romily (David Gyasi), Doyle (Wes Bentley) und einem sprechendem Roboter (kein Kommentar) los – und mehr will ich jetzt nicht verraten. Außer dass bis dahin ungefähr eine Stunde nicht sonderlich spannende Filmzeit vorbei ist (Nolan muss einfach nicht mehr ökonomisch erzählen), und er später zwischen den Erlebnissen von Cooper auf verschiedenen Planeten auf der einen Seite des Wurmlochs und seinen Hinterbliebenen auf der Erde hin und herspringt. Dabei sind die Erlebnisse von Jessica Chastain (als seine erwachsene Tochter Murph) und Casey Affleck (als sein erwachsener Sohn Tom) eher banal und die Auflösung, irgendwo zwischen irrationalen Zeitsprüngen, Wurmlöchern und Reisen durch Dimensionen nicht besonders überzeugend.
Denn während Stanley Kubrik und Arthur C. Clarke sich in „2001“ überhaupt nicht bemühten, das Ende zu erklären (obwohl Clarke später mehrmals in die „2001“-Welt zurückkehrte und die Geschichte weiter erzählte), wirkt das Ende von „Interstellar“ als ob Jonathan und Christopher Nolan zuerst alles detailliert und schlüssig auflösen wollten, aber ziemlich schnell, wie kleine Kinder, die ihr Zimmer aufräumen sollen, die Lust verloren. So endet „Interstellar“ halbherzig zwischen rationaler Aufklärung und fantastischem Ende, das so wenig überzeugt, wie der gesamte Film, der zu lang, zu zerfasert und zu konfus ist, um als Science-Fiction-Film zu überzeugen. Als Familiendrama zwischen Cooper und seinen beiden Kindern überzeugt er auch nicht.
Die Charaktere bleiben blass – und so auch die Schauspieler. Sie sind gefangen in einer Geschichte, in der Beziehungen, falls es sie überhaupt gibt, nur behauptet sind. Nur Coopers Beziehung zu seiner Tochter ist glaubwürdig. Jedenfalls am Anfang, wenn er als Vater seiner Tochter die Welt zeigt und sie lehrt, rational an Phänomene heranzugehen. Aber schon in diesen Momenten ist er der unbändige Forscher, der unbedingt neue Welten erforschen will; wenn er nicht gerade Computer für seine Traktoren und eine Drohne programmiert. Wenn er später, im Raumschiff, nur noch Videobotschaften von ihr, die inzwischen erwachsen ist, empfängt, wird sie zunehmend ein hölzerner Hinweis darauf, dass die Raumfahrer eine wichtige Mission haben und sich beeilen müssen, um die Welt zu retten.
Die Tricks sind, für eine Produktion, die 165 Millionen Dollar gekostet haben soll, erschreckend schlecht und die Musik von Hans Zimmer ist so laut, dass ich mich beim Ansehen fragte, ob IMAX-Filme einfach immer infernalisch laut sein müssen. Es gibt nämlich auch von „Interstellar“ eine IMAX-Fassung (größeres, fast quadratisches Bild), die in Deutschland in zwei Kinos läuft.
Die Zeiten, in denen man gespannt auf den neuen Film mit Robert de Niro wartete, sind schon lange vorbei. Als er sich für Rollen den Kopf kahl schor („Taxi Driver“), Pfunde anfrass („Raging Bull“), mit Method Acting in „New York, New York“ (inclusive Saxophonspiel) „Der Pate 2“, „Die durch die Hölle gehen“, „Es war einmal in Amerika“ hinter seinen Rollen verschwand und er anscheinend einen Klassiker nach dem nächsten drehte, sind vorbei. Die Zeit, als man wegen ihm in einen Film ging, endete ungefähr 1997 mit „Jackie Brown“. Danach war zwar nicht alles schlecht. „The Score“ ist ein unterhaltsames Caper-Movie, bei dem das Trio Edward Norton, Robert De Niro und Marlon Brando gefiel. Aber der Rest: Cameo-hafte Auftritte, Ensemblestücke und Komödien.
Sein neuester Film „The Big Wedding“ ist ein Ensemblestück, eine Komödie und ein Remake eines bei uns ziemlich unbekannten französischen Films, der wahrscheinlich gelungener ist. Denn „The Big Wedding“ ist eine zwar unterhaltsame, aber vernachlässigbare Familienkomödie mit vorhersehbaren Witzen und einer hoffnungslos unterforderten Besetzung, die den Film besser aussehen lässt, als er ist und gleichzeitig mehr als eine belanglose Rom-Com verspricht. Denn neben De Niro, der hier gerne den Dude geben würde, aber niemals auch nur ansatzweise die Grandezza von Jeff Bridges in „The Big Lebowski“ oder „The Door in the Floor“/“Die Tür der Versuchung“ erreicht, spielen Diane Keaton, Susan Sarandon, Robin Williams, Katherine Heigl, Topher Grace, Ben Barnes, Amanda Seyfried und „Sledge Hammer“ David Rasche mit.
Die Story: der Adoptivsohn von Ellen und Don Griffin, Alejandro, heiratet Missy. Die Griffins richten die Hochzeitsfeier aus, zu der natürlich auch ihre beiden Kinder Lyla (hat Beziehungsprobleme) und Jared (hat keine Beziehung) kommen und Missys Mutter Madonna Soto kommt aus Südamerika. Sie spricht kein Englisch, ist tiefgläubig und katholischer als der Papst. Und sie hat eine wunderschöne, des Englischen mächtige Tochter, die in den USA endlich alles tun will, was sie in ihrer Heimat nicht tun darf.
Madonnas Glaube wäre kein großes Problem, wenn Don und Ellen nicht geschieden wären. Der Bildhauer lebt inzwischen mit Bebe, Ellens bester Freundin (jedenfalls bis Don mit ihr ins Bett hüpfte), zusammen und er ist so ziemlich das Gegenteil eines guten Katholiken.
Damit ist dann genug Konflikt- und Versöhnungspotential für neunzig vorhersehbare Minuten vorhanden, in denen Schlüpfrigkeit permanent mit Erotik verwechselt wird. Denn natürlich drehen sich fast alle Problemchen und Witze um Sex und das auf eine so biedere Art, dass man die französische Leichtigkeit schmerzhaft vermisst.
Letztendlich ist „The Big Wedding“ nur eine hübsch verpackte Verschwendung von Talent; wobei Diane Keaton und Susan Sarandon sich noch am achtbarsten aus der Affäre ziehen. Fans von Robert De Niro, solange sie nicht zu den Komplettisten gehören, können den Film ignorieren.
The Big Wedding (Big Wedding, USA 2013)
Regie: Justin Zackham
Drehbuch: Justin Zackham (basierend auf dem Film „Mon frère se marie“ [Wie eine richtige Familie] von Jean-Stéphane Bron)
mit Diane Keaton, Robert De Niro, Susan Sarandon, Robin Williams, Katherine Heigl, Topher Grace, Ben Barnes, Amanda Seyfried, Christine Ebersole, David Rasche, Patricia Rae, Ana Ayora