Neu im Kino/Filmkritik: Kreative Titelwahl, nächste Ausgabe: „Kundschafter des Friedens 2“

Januar 24, 2025

Vor acht Jahren mussten einige ehemalige DDR-Geheimagenten einer früheren Sowjetrepublik für die BRD eine kritische Situation zu lösen.

Die von Robert Thalheim mit vielen bekannten DDR-Schauspielern inszenierte Agentenkomödie „Kundschafter des Friedens“, die sich über Ost- und West-Agenten und DDR-BRD-Befindlichkeiten in der Realität und im Film selbstironisch amüsierte, war ein Erfolg.

Bereits während der Kinotour entstand die Idee für einen weiteren Einsatz der rüstigen DDR-Agenten. Aber der Tod von Michael Gwisdek, einem der Hauptdarsteller des Films, am 22. September 2020, die Coronavirus-Pandemie und die Suche nach der richtigen Geschichte verhinderten dann einen früheren Drehstart. Die Hauptdarsteller waren immer an einer Fortsetzung interessiert. Henry Hübchen, Winfried Glatzeder und Thomas Thieme sind wieder dabei. Katharina Thalbach und Corinna Harfouch sind die prominenten Neuzugänge. Sie alle hatten ihren Spaß und schwelgten in den Drehpausen unter südlicher Sonne sicher in Erinnerungen an die DDR, gemeinsame Bekannte und Schauspielerfahrungen.

Dieses Mal werden die titelgebenden ‚Kundschafter des Friedens‘, die absolut unironische Bezeichnung der DDR-Regierung für ihre Geheimagenten, von Helene (Corinna Harfouch) um einen Gefallen gebeten. Die Tochter von DDr-Agentenlegende Markus Fuchs bittet Jochen Falk (Henry Hübchen), den James Bond der DDR, Romeo-Agent Harry (Winfried Glatzeder), Logistiker Locke (Thomas Thieme) und Technikgenie Tamara (Katharina Thalbach) ihr beim Austausch eines Testaments zu helfen. Kurz vor seinem Tod hat Fuchs seiner Ehefrau Lucia (Lynne Ann Williams) die Ernst-Thälmann-Insel in Kuba überschrieben. Lucia will aus der naturbelassenen Halbinsel ein Touristenmekka machen.

Um diesen Ausverkauf kommunistischer Ideale an kapitalistische Interessen zu verhindern, machen sich die ‚Kundschafter des Friedens‘ auf den Weg nach Kuba, dem letzten kommunistischen Paradies – und sie erleben ihr blaues Wunder.

Kundschafter des Friedens 2“ ist ein harmloser Spaß mit einigen Witzen über Ost und West damals und heute, viel Nostalgie, Klamauk zum Gähnen und einer zusammengestückelten Geschichte, die sich nicht um interne Logik und stimmige Figuren kümmert.

Kundschafter des Friedens 2 (Deutschland 2025)

Regie: Robert Thalheim

Drehbuch: Peer Klehmet, Robert Thalheim

mit Henry Hübchen, Katharina Thalbach, Corinna Harfouch, Thomas Thieme, Winfried Glatzeder, Alberto Ruano, Lynne Ann Williams, Rainer Reiners, Francisco de Solar, Nellie Thalbach, Amin Bahmeed

Länge: 96 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Filmportal über „Kundschafter des Friedens 2“

Moviepilot über „Kundschafter des Friedens 2“

Meine Besprechung von Robert Thalheims „Eltern“ (Deutschland 2013)


Neu im Kino/Filmkritik: „Die Ironie des Lebens“, die Leichtigkeit des Todes

September 5, 2024

Eines Abends, während der 67-jährige erfolgreiche Comedian Edgar gerade vor einem begeisterten Publikum sein erstaunlich unwitziges Programm abspult, entdeckt er im Saal seine Ex-Frau Eva. Sie haben gemeinsame, erwachsene Kinder, aber sie haben sich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen. Eva hat jetzt seine Vorstellung auch nur besucht, um ihm anschließend zu sagen, dass sie Krebs im Endstadium hat, sich nicht behandeln lassen will und demnächst sterben wird.

Edgar, der sich seit der Scheidung nicht um seine Familie kümmerte und auch nicht mit Eva redete, will nicht akzeptieren, dass sie bald stirbt. Er beginnt sich in ihr Leben und ihre Entscheidung einzumischen.

Als erste fällt einem die Besetzung auf. Eva wird von Corinna Harfouch gespielt. Sie kann alles spielen. Ihr Name steht für anspruchsvolles Kino. Edgar wird von Uwe Ochsenknecht gespielt. Im Kino sah man ihn in den letzten Jahren vor allem in Kinderfilmen. Anspruchsvolles Kino assoziert man nicht unbedingt mit ihm. Das war früher anders. Beispielsweise als er und Harfouch 2001 in Hark Bohms TV-Mehrteiler „Vera Brühne“ (später „Der Fall Vera Brühne“) mitspielten und für ihre Leistungen den Deutschen Fernsehpreis erhielten.

Dann fällt auf, dass der Film von Markus Goller inszeniert und von Oliver Ziegenbalg geschrieben wurde. Nach „Friendship!“, „25 km/h“ und „One for the Road“ ist dies ihre vierte Zusammenarbeit. Die Filme können als gehaltvolle Mainstream-Filme, die ernste Themen überraschend anspruchs- und humorvoll bearbeiten, bezeichnet werden.

Und das gelingt ihnen auch in „Die Ironie des Lebens“. Es geht um die Frage, wie man sterben möchte, um eine Familie, die sich auseinandergelebt hat und um einen allein lebenden Entertainer im Herbst seines Lebens, der durch Evas Auftauchen sein Leben bilanziert. Die Bilanz fällt ernüchternd aus. All das und wie Edgar sich mit Evas Wunsch arrangiert und wieder Kontakt zu seinem Sohn und seiner Tochter aufnimmt, erzählt das Team Goller/Ziegenbalg kurzweilig, humorvoll und die ernsten Aspekte des Themas ansprechend.

Die Ironie des Lebens“ ist ein erwartungsgemäß harmonisch und positiv endender, zum Nachdenken anregender Mainstream-Film, der sein Publikum nicht für dumm verkauft.

Die Ironie des Lebens (Deutschland 2024)

Regie: Markus Goller

Drehbuch: Oliver Ziegenbalg

mit Uwe Ochsenknecht, Corinna Harfouch, Emilia Schüle, Robert Gwisdek, Henning Peker, Salka Weber, Reiki von Carlowitz, Liza Tzschirner, Sabine Ritter, Ingrid Domann

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Ironie des Lebens“

Moviepilot über „Die Ironie des Lebens“

Meine Besprechung von Markus Gollers „25 km/h“ (Deutschland 2018)

Meine Besprechung von Markus Gollers „One for the Road“ (Deutschland 2023)


Neu im Kino/Filmkritik: „Sterben“ mit Matthias Glasner

April 26, 2024

Zwölf Jahre sind seit seinem letzten Spielfilm „Gnade“ vergangen. Danach schrieb und inszenierte er für das Fernsehen unter anderem die vergurkte TV-Krimiserie „Blochin“ und die zweite Staffel von „Das Boot“. Mit „Sterben“ kehrt Matthias Glasner jetzt zurück ins Kino; wobei der dreistündige Spielfilm mit seiner Unterteilung in fünf weitgehend in sich abgeschlossene Kapitel und einem Epilog wie eine leicht für das Kino erfolgte Umarbeitung einer auf sechs halbstündigen Episoden bestehenden Miniserie aussieht. In Interviews und Statements betont Glasner dagegen, dass er, gerade Vater geworden, in Berlin in einem Coffee Shop vor sich hin schrieb über seine Eltern und notgedrungen auch über sich. Dramaturgische Regeln ignorierte er dabei. Am Ende hatte er zweihundert Seiten und stand vor der Frage, ob jemand eine Verfilmung dieses Konvoluts finanzieren würde.

Es geht, im ersten Kapitel von „Sterben“, um Lissy Lunies (Corinna Harfouch) und ihren Mann Gerd (Hans-Uwe Bauer), der zunehmend unselbstständig wird. Dabei muss auch Lissy mit den Gebrechlichkeiten des Alters kämpfen. Glasner zeigt diesen Verfall präzise in Szenen, die gleichzeitig peinlich, grotesk und witzig sind. Ihre Kinder sind schon vor Jahren ausgezogen. Sie sehen sie nur selten. Ihr Sohn Tom (Lars Eidinger), den wir im zweiten Kapitel kennen lernen, arbeitet als Dirigent. Im Moment probt er das neue Stück seines Freundes Bernard (Robert Gwisdek). Dieser hadert, ganz die sensible, von Selbstzweifeln geplagte, depressive, suizidgefährdete Künstlerseele, mit seinem Werk und den Musikern, die es spielen sollen. Durch sein Verhalten verhindert er zuverlässig die geplante Aufführung des Stücks „Sterben“.

Und dann ist da noch Toms Schwester Ellen (Lilith Stangenberg), die erst im dritten Kapitel auftaucht. Sie ist eine Alkoholikerin, die eine Beziehung mit ihrem Chef, dem verheirateten Zahnarzt Sebastian Vogel (Ronald Zehrfeld), beginnt.

Jedes dieser Kapitel und auch die nächsten beiden Kapitel und der kürzere Epilog, in denen Gerd ins Altersheim kommt, es nach Gerds Beerdigung eine hochpeinliche Aussprache zwischen Lissy und Tom gibt, es doch zur desaströs verlaufenden Uraufführung des Orchesterwerkes und weiteren Todesfällen kommt, sind eigenständige, teils parallel spielende Kurzfilme/-geschichten, die unabhängig voneinander genossen werden können. Keine dieser Geschichten ist auf ein bestimmtes Ende hin geschrieben. Immer gibt es Szenen, die die Filmgeschichte nicht voran bringen. So werden die Proben für Bernards Musikstück und seine Selbstzweifel ausführlich gezeigt. Das Stück wird auch im Film gespielt. In den Momenten erfahren wir nichts über die Familie Lunies.

Eine blinde Stelle des Films ist, dass wir zwar viel über schwierigen Familienmitglieder, die ein Talent zum Unglücklichsein haben, erfahren, aber vieles auch nur erahnen können, weil Glasner sich nicht sonderlich für eine tiefenpsychologische Ursachenforschung oder einfache Erklärungen interessiert.

Deshalb können wir nur erahnen, warum Lissy, Gerd, Tom und Ellen nur noch in gegenseitiger Abneigung miteinander verbunden sind. Sie sind zwar alle schwierige Personen, aber am Ende sind die Lunies‘ weniger eine dysfunktionale, sondern mehr eine schrecklich normale Familie, die nicht mehr miteinander spricht, weil sie an verschiedenen Orten leben und sich nur noch zu Beerdigungen sehen.

Inwiefern das Porträt der Familie Lunies auch ein Porträt der Familie Glasner ist, ist natürlich unklar und auch unerheblich, um die Qualität des Films zu beurteilen. Auch wenn Glasner es explizit auf eine solche Interpretation anlegt, weil er unter anderem auf dem Filmplakat den von Hans-Uwe Bauer gespielten Gerd Lunies als „mein Vater“ bezeichnet.

Alle Bedenken wegen der Länge und der Dramaturgie, die keine stringente Geschichte erzählt, sondern in Ab- und Umwege zerfleddert, werden schnell von Glasners epischem Atem und seiner erzählerischen Kraft hinweggefegt. „Sterben“ dauert drei Stunden, die schnell vergehen, weil das in diesem Fall die richtige Länge ist und es einiges zu Lachen gibt. Auch wenn es das Lachen der Verzweiflung ist.

Auf der diesjährigen Berlinale erhielt Glasner den Silbernen Bären für das beste Drehbuch und der Film den Preis der Leserjury der Berliner Morgenpost.

Sterben (Deutschland 2024)

Regie: Matthias Glasner

Drehbuch: Matthias Glasner

mit Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Lilith Stangenberg, Ronald Zehrfeld, Robert Gwisdek, Anna Bederke, Hans Uwe Bauer, Saskia Rosendahl, Saerom Park, Nico Holonics, Catherine Stoyan, Tatja Seibt

Länge: 182 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

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Filmportal über „Sterben“

Moviepilot über „Sterben“

Rotten Tomatoes über „Sterben“

Wikipedia über „Sterben“ (deutsch, englisch)

Berlinale über „Sterben“

Meine Besprechung von Matthias Glasner „Gnade“ (Deutschland/Norwegen 2012)

Meine Besprechung von Matthias Glasners „Blochin – Die Lebenden und die Toten: Staffel 1“ (Deutschland 2015)


TV-Tipp für den 6. September: Blutsauger

September 5, 2023

Arte, 22.40

Blutsauger (Deutschland 2021)

Regie: Julian Radlmaier

Drehbuch: Julian Radlmaier

1928: ein in der Sowjetunion in Ungnade gefallener Schauspieler strandet auf seinem Weg nach Hollywood in einem Kurort an der Ostsee. Dort trifft er eine vermögende Erbin und Blutsaugerin, die mit ihm beginnt einen Vampirfilm zu drehen.

TV-Premiere. Vampire, Marxismus, Kapitalismus-Kritik, filmische Anspielungen, Anachronismen und gewollt trockene Diskurse. Eine nicht wirklich überzeugende Komödie, die nichts mit dem üblichen deutschen Komödien-Klamauk zu tun hat. 

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Alexandre Koberidze, Lilith Stangenberg, Alexander Herbst, Corinna Harfouch, Andreas Döhler, Daniel Hoesl, Mareike Beykirch, Kyung-Taek Lie, Darja Lewin Chalem

Wer die Dialoge nachlesen will: Das Buch zum Film

Julian Radlmaier/Jan Bachmann: Blutsauger

August Verlag, 2022

256 Seiten

25 Euro

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Blutsauger“

Moviepilot über „Blutsauger“

Wikipedia über Julian Radlmaier

Meine Besprechung von Julian Radlmaiers „Blutsauger“ (Deutschland 2021) (und des Buchs zum Film)


Neu im Kino/Filmkritik: Über „Was man von hier aus sehen kann“

Januar 4, 2023

Wenn Oma Selma von einem Okapi träumt, stirbt jemand in dem Dorf im Westerwald. Aber das passiert nur alle Jubeljahre. Das Dorf sieht wie eine liebevoll zusammengestellte, die alte Bundesrepublik in all ihrer provinziellen Enge und wohligem Charme repräsentierende Modellstadt aus. Zwischen Oma Selmas Okapi-Träumen geht das Leben im Dorf seinen gewohnten Gang zwischen Erwachsenwerden, Liebe und nicht eingestandener Liebe weiter. Es passiert einiges. Und doch passiert nichts.

Erzählt wird die Romanverfilmung „Was man hier aus sehen kann“ von Selmas Enkeltochter Luise, „die vor der Liebe genauso viel Angst hat wie vor dem Tod“ (Mariana Leky).

Wenn Luise lügt, fällt etwas Großes herunter. Das kann sie sich allerdings auch einbilden. Trotzdem sorgt ihr schlechtes Gewissen für einige überraschende Splattereinlagen, die sich Sekunden später als Phantasien herausstellen. Irgendwann verliebt sie sich in einen schweigsamen jungen buddhistischen Mönch, den sie im Wald trifft. Er wohnt mit seinem Glaubensbrüdern bei einer abergläubischen Hausvermieterin. Und so könnte das Leben weiter seinen geruhsamen Gang gehen.

Das ändert sich, als Selma wieder von einem Okapi träumt und die Dorfbewohner von ihrem Traum erfahren.

Aron Lehmanns „Was man von hier aus sehen kann“ ist ein zwischen Gegenwart und Vergangenheit vor sich hin mäanderndes Märchen voller skuriller Figuren. Ihre Wohnungen und die Stadt sind aus der Zeit gefallen und existieren jetzt in einer Fantasiezeit. Das ist durchaus sympathisch, aber auch arg ziellos und gefällig in seiner Beschwörung der heilen Vergangenheit des Dorflebens. Eigentlich irritieren, nachdem man sich auf diese etwas seltsame, gleichzeitig sehr vertraute und wohlige Welt eingelassen hat, nur die unpassenden, sekundenlangen Traum-Splatter-Einlagen.

Das gesagt, hat der Film „Triangle auf Sadness“ als Spitzenreiter der der Arthouse-Kinocharts abgelöst.

Was man von hier aus sehen kann (Deutschland 2022)

Regie: Aron Lehmann

Drehbuch: Aron Lehmann

LV: Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann, 2017

mit Corinna Harfouch, Luna Wedler, Karl Markovics, Ava Petsch, Cosmo Taut, Rosalie Thomass, Benjamin Radjaipour, Katja Studt

Länge: 109 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

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Filmportal über „Was man von hier aus sehen kann“

Moviepilot über „Was man von hier aus sehen kann“

Wikipedia über „Was man von hier aus sehen kann“

Perlentaucher über den Roman „Was man von hier aus sehen kann“

Meine Besprechung von Aron Lehmanns „Highway to Hellas“ (Deutschland 2015)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Zu einem marxistischen Besuch bei einem „Blutsauger“

Mai 12, 2022

Marx, Eisenstein, Vampire, die zwanziger Jahre, betont bühnenhaft agierende Schauspieler sind einige der Schlagworte mit denen Julian Radlmaiers neuer Film beschrieben werden kann. Mit „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ (ausgezeichnet vom Verband der deutschen Filmkritik als Bestes Spielfilmdebüt) und seinen davor entstandenen kürzeren Filmen „Ein Gespenst geht um in Europa“ und „Ein proletarisches Wintermärchen“ wurde er bei der Kritik und dem eingefleischtem Arthaus- und Festival-Publikum bekannt. Und für sie ist „Blutsauger“ dann auch.

Im Mittelpunkt von „Blutsauger“ steht der Fabrikarbeiter Anton Inokentewitsch Petuschkin, der von allen Ljowuschka genannt wird. Er spielte in Sergei Eisensteins „Oktober“ den Revolutionshelden Leo Trotzki. Weil Trotzki vor der Premiere des Films in Ungnade gefallen war, wurde er aus dem Film entfernt. Und so verschwand Ljowuschkas in der großartigen Sowjetunion geplante Filmkarriere im Mülleimer des Schnittraums. Jetzt will Ljowuschka sein Glück im kapitalistischen Hollywood versuchen.

Auf dem Weg in die USA strandet er im August 1928 in einem noblen Ostseebad. In dem Kurort Bad Dämmerow trifft er die standesbewusste, hochnäsig-schnippische junge Fabrikbesitzerin Octavia Flambow-Jansen und ihren servilen Diener Jakob. Sie ist von Ljowuschka, der sich als verfolgter, aus der Sowjetunion kommender Aristokrat ausgibt, fasziniert und lädt ihn zu sich ein. Schnell durchschaut sie seine Charade. Trotzdem darf er weiter bei ihr wohnen.

Sie verbringen einige Tage zusammen. Er erzählt ihr von seiner gescheiterten Filmkarriere. Das führt dazu, dass sie im strahlenden Sonnenschein gemeinsam einen Vampirfilm improvisieren. Bei all dem fröhlichen Treiben ahnt Ljowuschka nicht, dass Flambow-Jansen eine Vampirin ist.

Dieses historische Setting wird immer wieder bewusst durchbrochen. Cola-Dosen, Containerschiffe und Motorräder sind im Bild. Diese Anachronismen schlagen natürlich auch eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart – und sie zeigen, wie künstlich filmische Nachstellungen der Vergangenheit sind. Gleichzeitig taucht mehrmals ein Marx-Lesezirkel auf, der sich Texte von Karl Marx vorliest und versucht, darüber zu diskutieren. Das wirkt, auch wenn sie in den Dünen sitzen, wie ein studentisches Seminar aus den siebziger Jahren.

So ist alles fein säuberlich arrangiert für einen intellektuellen Spaß, der sich dann nicht einstellen will. Die Texte von Marx sind nicht zum Vorlesen gedacht. Die langsam vorgetragenen Dialoge werden wie in einem Theaterstück deklamiert. Entsprechend künstlich klingen sie. Die Schauspieler und Laien agieren immer betont manieriert. Die Story, eher eine Abfolge disparater Episoden, plätschert in teilweise enervierender Langsamkeit vor sich hin. Die Diskussionen des Marx-Lesekreises drehen sich ergebnislos im Kreis. Überraschungen gibt es nicht. Damit verstärkt sich das Gefühl, dass nichts passiert.

Das ist von Julian Radlmaier, der an der Freien Universität Berlin Filmwissenschaft und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) Regie studierte, so gewollt. Bei den Kritiken, die ich gelesen habe, kommt dieser Stil sehr gut an. Bei mir überwiegt allerdings die Enttäuschung darüber, wie wenig aus der vielversprechenden Idee einer marxistischen Vampirkomödie gemacht wird. 

„Blutsauger“ knüpft an kapitalismuskritische Filme aus den Siebzigern an, den denen das richtige Bewusstsein unbestreitbar vorhandene erzählerische Defizite kaschiert. Auch in Radlmaiers Film kommt die Kapitalismuskritik mit dem Holzhammer – Kapitalisten als Blutsauger – und es wird mit der abendländischen Bildung geprotzt und etwas gespielt. Aber ohne überraschende Einsichten und ohne Humor. Schließlich wird auch im Proseminar nicht gelacht, sondern gegen den Schlaf gekämpft. 

Blutsauger (Deutschland 2021)

Regie: Julian Radlmaier

Drehbuch: Julian Radlmaier

mit Alexandre Koberidze, Lilith Stangenberg, Alexander Herbst, Corinna Harfouch, Andreas Döhler, Daniel Hoesl, Mareike Beykirch, Kyung-Taek Lie, Darja Lewin Chalem

Länge: 128 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Das Buch zum Film

Drehbücher werden selten veröffentlicht. Spontan fallen mir Chris Kraus‘ „Die Blumen von gestern“ (2017) und Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“ (2018) ein. Schließlich sind Drehbücher in erster Linie Baupläne für diesen einen Film und wenn der Film fertig ist, ist das Drehbuch nur noch Altpapier. Das unterscheidet ein Drehbuch von einem Theaterstück, das nach seiner Premiere mit anderen Schauspielern auf anderen Bühnen gespielt werden kann. Einen eigenständigen literarischen Wert haben Drehbücher  normalerweise auch nicht. Außerdem beschränkt sich das interessierte Publikum für diese Bücher auf einen sehr engen Kreis von Cineasten.

In diesen kleinen Kreis reiht sich jetzt Julian Radlmaiers „Blutsauger“ ein. In dem Buch sind, für den Druck leicht überarbeitet, das Drehbuch von Julian Radlmaier in der Fassung, die die Grundlage für die Dreharbeiten war, ein Essay von Sulgi Lie über den Film und über fünfzig Zeichnungen von Jan Bachmann enthalten. Zu Bachmanns früheren Werken gehört der Comic „Mühsam, Anarchisten in Anführungsstrichen“.

Für die Fans des Films ist das Buch eine gelungene Ergänzung.

Julian Radlmaier/Jan Bachmann: Blutsauger

August Verlag, 2022

256 Seiten

25 Euro

Hinweise

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Filmportal über „Blutsauger“

Moviepilot über „Blutsauger“

Wikipedia über Julian Radlmaier


TV-Tipp für den 30. März: Lara

März 29, 2022

Arte, 20.15

Lara (Deutschland 2019)

Regie: Jan-Ole Gerster

Drehbuch: Blaž Kutin

TV-Premiere. Zweiter Spielfilm von „Oh Boy“-Regisseur Jan-Ole Gerster und wieder ein Volltreffer. Dieses Mal beobachtet er Lara (Corinna Harfouch). Die biestige und einsame Sechzigjährige streift an ihrem Geburtstag ziellos durch Berlin. Am Abend will sie das Konzert ihres Sohnes besuchen. Ihr Sohn hat sie dazu nicht eingeladen. Und wir verstehen ihn sehr schnell.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung.

mit Corinna Harfouch, Tom Schilling, Volkmar Kleinert, André Jung, Gudrun Ritter, Rainer Bock, Mala Emde, Steffen Jürgens, Alexander Khuon, Birge Schade, Johann von Bülow

Wiederholung: Freitag, 1. April, 14.15 Uhr

Hinweise

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Filmportal über „Lara“

Moviepilot über „Lara“

Rotten Tomatoes über „Lara“

Wikipedia über „Lara“

Meine Besprechung von Jan-Ole Gersters „Lara“ (Deutschland 2019)


Neu im Kino/Filmkritik: Ist Corinna Harfouch „Das Mädchen mit den goldenen Händen“?

Februar 18, 2022

Während der Feier zu ihrem sechzigsten Geburtstag erfährt Gudrun, dass der Bürgermeister das Kinderheim, in dem sie aufwuchs, an einen Investor verkaufen will. Sie will das verhindern.

Bis dahin haben wir Gudrun als eine sehr bestimmende Person kennen gelernt. Die seit fast dreißig Jahren mit Werner verheiratete Lehrerin sagt immer allen, was sie zu tun haben und sie läßt nur ihre eigene Meinung gelten. Das bekommt auch ihre Tochter zu spüren. Lara lebt in Berlin und kommt für die Geburtstagsfeier zurück in das in der ostdeutschen Provinz liegende Dorf. Sie soll eine Geburtstagsrede halten. Aber noch bevor sie sie ihrer Mutter vor der Feier vortragen kann, beginnt Gudrun, ganz die resolute Macherin, die sie ihr ganzes Leben war, schnell die Rede aufzuschreiben, die ihre Tochter halten soll und wie sie auf die einzelnen Sätze reagieren wird. So eine Mutter ist Gudrun.

Im folgenden erzählt die Schauspielerin Katharina Marie Schubert in ihrem Spielfilmdebüt von Gudruns Versuchen, den Verkauf zu verhindern. Sie sind nicht strategisch durchdacht, sondern kindisch emotional. Währenddessen entdeckt Lara in der elterlichen Wohnung in einem Koffer ein ihrer Mutter gewidmetes Frauenporträt. Sie fragt sich, ob dieser Peter ihr leiblicher Vater ist. Neugierig geworden besucht sie in Berlin eine alte Bekannte ihrer Mutter, die sie bislang nicht kannte, und den ihr ebenfalls unbekannten Zeichner des Porträts ihrer Mutter.

Und wir fragen uns, warum Gudrun so heftig auf den geplanten Verkauf des Kinderheims reagiert. Sie verfolgt stur ein Ziel und ist dabei unfähig und unwillig, Kompromisse einzugehen oder über Alternativen nachzudenken. Aber warum sie den Verkauf der Ruine verhindern will, wird nie wirklich nachvollziehbar erklärt. Am Ende des Films kennen wir den Grund für ihr Verhalten nicht genauer als am Anfang, als Gudrun äußerst emotional auf die Nachricht von dem geplanten Verkauf reagiert. In dem Moment können wir uns denken können, dass das Kinderheim für sie wichtig war. Aber wir wissen nicht warum. Selbstverständlich, und das erklärt ihr Verhalten zu einem großen Teil, geht es in „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ nicht nur um Gudruns Geschichte, sondern auch um die Frage, wie wir mit der Vergangenheit als Individuum und Gesellschaft umgehen. Insofern steht das Kinderheim auch für die gesamte Geschichte der DDR und alle Figuren müssen sich im Film mit ihrer DDR-Vergangenheit auseinandersetzen.

Hier füllt Corinna Harfouch, die Gudrun spielt, mit ihrer schauspielerischen Wucht Lücken des Drehbuchs aus. Wir spüren ihre Schmerzen, Bedürfnisse und Leiden. Wir erkennen ihre Unfähigkeit, im Umgang mit ihr nahe stehenden Menschen Emotionen zuzulassen. Auch wenn wir den Grund dafür mehr ahnen als wissen. Auch die anderen Schauspieler – Peter René Lüdecke als ihr Mann, Birte Schnöink als ihre Tochter und Jörg Schüttauf als Bürgermeister – verleihen in wenigen Momenten ihren Figuren eine Tiefe, die die jahrelange Vertrautheit, die verdrängten Konflikte, Zuneigungen und Ablehnungen glaubhaft machen. Sie alle kennen sich seit ihrer Kindheit und erlebten teilweise drei verschiedene politische Systeme. Denn Schuberts Geschichte spielt wenige Monate vor der Jahrtausendwende.

Das ist alles sehr gelungen in oft langen Szenen inszeniert. Aber das Drehbuch schwächelt mit der Zeit. So nimmt Laras Leben in Berlin und ihr Stochern in der Vergangenheit ihrer Mutter einen zu großen Raum ein. Gudruns Motiv bleibt, wie gesagt, rätselhaft. Und das Ende ist eines der unschönen Deus-ex-machina-Enden.

Das Mädchen mit den goldenen Händen (Deutschland 2021)

Regie: Katharina Marie Schubert

Drehbuch: Katharina Marie Schubert

mit Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Peter René Lüdicke, Jörg Schüttauf, Gabriela Maria Schmeide, Imogen Kogge, Stephan Bissmeier, Ulrike Krumbiegel

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Filmportal über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“

Moviepilot über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“

 


TV-Tipp für den 7. Mai: Der Untergang

Mai 6, 2020

Kabel 1, 20.15

Der Untergang (Deutschland 2004)

Regie: Oliver Hirschbiegel

Drehbuch: Bernd Eichinger

LV: Joachim Fest: Der Untergang – Hitler und das Ende des Dritten Reiches, 2002

LV: Traudl Junge, Melissa Müller: Bis zur letzten Stunde – Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben, 2002

Was geschah in den letzten Kriegstagen in Berlin im Führerbunker? Nach 150 Minuten wissen wir es.

Der Untergang“ ist gediegen erzähltes, starbesetztes Unterhaltungskino im Hollywoodstil. Historisch akkurat und ohne eine erkennbare Haltung zum Sujet. Deshalb reiht sich eine Episode an die nächste Episode, aber eine Geschichte wird, abseits der strikt chronologischen Anordnung des Materials, nicht erkennbar.

mit Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Corinna Harfouch, Ulrich Matthes, Juliane Köhler, Heino Ferch, Christian Berkel, Matthias Habich, Thomas Kretschmann, Michael Mendl, André Hennicke, Ulrich Noethen, Birgit Minichmayr, Rolf Kanies, Justus von Dohnányi, Dieter Mann, Christian Redl, Götz Otto, Alexander Held, Bettina Redlich, Heinrich Schmieder, Anna Thalbach, Ulrike Krumbiegel, Jürgen Tonkel, Devid Striesow

Wiederholung: Freitag, 8. Mai, 02.30 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Filmportal über „Der Untergang“

Rotten Tomatoes über „Der Untergang“

Wikipedia über „Der Untergang“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Five Minutes of Heaven“ (Five Minutes of Heaven, GB 2009)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Diana“ (Diana, USA/GB 2013)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Elser“ (Deutschland 2015)  (mit Interviews mit Oliver Hirschbiegel über den Film) (und der DVD)

Meine Besprechung von Oliver Hirschbiegels „Der gleiche Himmel“ (Deutschland 2017)


Neu im Kino/Filmkritik: Oh Boy! Corinna Harfouch ist „Lara“

November 7, 2019

Endlich hat Corinna Harfouch wieder eine Hauptrolle übernommen. „Giulias Verschwinden“, „Blond: Eva Blond!“ und „Vera Brühne“ liegen ja schon einige Jahre zurück.

Endlich hat Jan-Ole Gerster wieder Regie geführt. Sein Debüt „Oh Boy“ war ein Überraschungserfolg und ist einer der allseits beliebten Berlin-Filme. Seitdem sind sieben Jahre vergangen.

Mit seinem zweiten Spielfilm „Lara“ hat er auf den ersten Blick noch einmal „Oh Boy“ inszeniert. Nur dass dieses Mal nicht Tom Schilling, sondern Corinna Harfouch einen Tag lang ziellos durch Berlin streift.

Auf den zweiten Blick ist „Lara“ erzählerisch dann mindestens ein großer Schritt nach vorne in erzählerisch anspruchsvollere Gefilde. In „Oh Boy“ stolpert der Endzwanziger Niko ziellos durch die Stadt, hat einige erfreuliche, einige weniger erfreuliche Begegnungen und er sucht dabei nur eine gute Tasse Kaffee. Die bekommt er am Ende des Films. „Oh Boy“ ist ein wunderschöner SW-Nouvelle-Vague-Film, der genauso ziellos wie sein Protagonist ist. Gerster könnte da mühelos Episoden austauschen oder weglassen und nichts würde sich verändern.

Lara“ ist dagegen ein deutlich komplexerer Film, der Gegenwart und Vergangenheit zu einem Psychogramm einer sehr problematischen Frau verwebt. Lara ist, pünktlich zu ihrem sechzigsten Geburtstag, in Rente geschickt worden. Die Beamtin war eine strenge, fordernde und vollkommen humor- und empathielose Abteilungsleiterin. Freunde hat sie keine. Sie ist auch nicht zum Konzert ihres Sohnes eingeladen.

Viktor ist ein gefeierter klassischer Pianist, der heute Abend ein von ihm komponiertes Stück aufführen will. In der Vergangenheit litt er immer wieder unter ihren Ansprüchen. Sie spornte ihn gleichzeitig zu Höchstleistungen an und sagte ihm, dass er nicht gut genug sei. Und Viktor gelang es nie, sich von ihrem prägenden Einfluss zu lösen. Weil sie durch ihre Anwesenheit Viktors großen Abend sabotieren könnte, will ihr Ex-Mann verhindern, dass Lara ihn vor dem Konzert trifft.

Lara, die an ihrem runden Geburtstag nichts vor hat, streift ziellos durch das alte Westberlin. Sie trifft immer wieder Menschen, die sie zwingen, sich mit ihrer Vergangenheit auseinander zu setzen. Lara wollte früher selbst Pianistin werden. Sie stellte höchste Ansprüche an sich selbst. Sie war auf dem besten Weg, eine Konzertpianistin zu werden, wenn nicht ein von ihr bewunderter Musiker an ihrem Talent gezweifelt hätte. Danach wurde sie die keine Fehler verzeihende, unverschämt hohe Ansprüche stellende Klavierlehrerin ihres Sohnes, der als erwachsener Mann immer noch versucht sich von ihr zu lösen und gleichzeitig, wie ein kleines Kind, von ihrem Urteil abhängig ist.

Schon in den ersten Minuten liefert Gerster die wichtigsten Informationen über Lara. In den nächsten gut hundert Minuten fügt er diesem Bild so viele neue Facetten bei, dass es immer spannend bleibt. Und in den letzten Minuten mit deprimierender Klarheit deutlich wird, wie sehr Lara unwissentlich Erfahrungen weitergab, die sie, ebenfalls unwissentlich, übernahm. Es ist ein Teufelskreislauf, aus dem sie sich nie befreite, weil sie nicht wusste, dass sie in diesem Kreislauf steckte. Falls sie es überhaupt wissen wollte.

Lara“ ist eine glänzend gespielte, präzise inszenierte und gespielte Charakterstudie, die bei aller Tristesse unglaublich unterhaltsam ist. Und ein Berlin-Film.

Jetzt ist nur zu hoffen, dass nicht wieder sieben Jahre bis zu Gersters nächstem Film vergehen.

Lara (Deutschland 2019)

Regie: Jan-Ole Gerster

Drehbuch: Blaž Kutin

mit Corinna Harfouch, Tom Schilling, Volkmar Kleinert, André Jung, Gudrun Ritter, Rainer Bock, Mala Emde, Steffen Jürgens, Alexander Khuon, Birge Schade, Johann von Bülow

Länge: 98 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

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Filmportal über „Lara“

Moviepilot über „Lara“

Rotten Tomatoes über „Lara“

Wikipedia über „Lara“

Gespräch mit Jan-Ole Gerster und Produzent Marcos Kantis nach der Premiere auf dem Filmfest München


Neu im Kino/Filmkritik: „So was von da“ in dieser Silvesterfeier

August 18, 2018

Für Oskar soll es eine unvergessliche Nacht werden. Immerhin ist diese Silvesternacht auch die letzte Nacht von seinem Club. Es soll in dem eh schon abbruchreifen Szene-Club, der sich anscheinend nie um irgendwelche Vorschriften kümmerte, eine Party gefeiert werden, die St. Pauli und Hamburg nie vergessen.

Love Steaks“-Regisseur Jakob Lass verfilmte Tino Hanekamps autobiographischen Roman „So was von da“ als „improvisierte Romanverfilmung“. Das heißt: es gab ein rudimentäres Drehbuch, die Schauspieler durften und mussten auf dieser Grundlage improvisieren und nachher, im Schnitt, wird dann alles mit Voice-Over und Musik zwischen Punk und Techno zusammengefügt. So entstand ein alkohol- und drogengeschwängerter Fiebertraum, der wie ein wilder Zusammenschnitt der Höhepunkte einer Nacht wirkt. Wie ein roter Faden ziehen sich dabei Oskars Probleme mit seinem Kredithai Kiez-Kalle, der jetzt sein Geld will, durch den Film. Er trifft wieder seine große Schulhofliebe. Er streitet und verbrüdert sich mit seinen Geschäftspartnern und Freuden; meistens sind sie beides gleichzeitig und selten kommen sie über kraft- und lustvoll ausgefüllte Klischees (Kiez-Kalle!) hinweg. Es gibt live und aus der Konserve einen ununterbrochenen Musikteppich. Der todkranke ‚falsche Elvis‘ (Bela B Felsenheimer) steht stumpf auf der Gitarre improvisierend auf der Bühne und will sie nicht mehr verlassen. Seine extrem zickigen Ehefrau, die gleichzeitig die amtierende, rechtsauslegende Innensenatorin (Corinna Harfouch) ist, besucht auf der Suche nach ihrem Mann den Club, den sie lieber gestern als heute schließen würde. Und dann steckt sie im Fahrstuhl fest. Ihr Sohn tritt mit seiner erfolgreiche Punkband im Club auf. Und wir sehen – Zum Glück gibt es kein Geruchskino! – Hamburgs schmutzigste Toilette.

In all dem hochenergetischen Chaos fehlt dann nur der normale Partyleerlauf. Wenn man stundenlang drogenumnebelt dumpf vor sich hin starrt oder sich tödlich langweilt, weil gerade nichts aufregendes passiert. Bei Lass stellt sich dagegen ein anderer Leerlauf ein: denn bei aller Hektik, passiert letztendlich nichts weltbewegendes in dieser Silvesternacht. Es ist dieser atemlose Stillstand, der aber in neunzig Filmminuten nicht langweilt, weil ja ständig etwas passiert und Oskar alle Hände voll zu tun hat, die alle Regeln ignorierende Party zu überleben.

So was von da“ ist herrlich pulsierendes Jugendkino, das nichts mit der Bräsigkeit der meisten deutschen Filme gemein hat.

So was von da (Deutschland 2018)

Regie: Jakob Lass

Drehbuch: Jakob Lass, Hannah Schopf

LV: Tino Hanekamp: So was von da, 2011

mit Niklas Bruhn, Martina Schöne-Radunski, David Schütter, Mathias Bloech, Tinka Fürst, Bela B Felsenheimer, Corinna Harfouch, Kalle Schwensen, Swiss

Länge: 91 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „So was von da“

Moviepilot über „So was von da“

Wikipedia über „So was von da“


TV-Tipp für den 11. April: Die fremde Frau

April 11, 2017

3sat, 22.25

Die fremde Frau (Deutschland 2003, Regie: Matthias Glasner)

Drehbuch: Thomas Schwank

Nach zwanzig Jahren kehrt Helen Berg (Corinna Harfouch) aus Rio zurück nach Hamburg und drängt sich gleich in das Leben des Juweliers Alexander Brandenburg (Ulrich Tukur), der nicht ahnt, was ihm blüht. Denn sie weiß, was er und seine Familie vor zwanzig Jahren getan haben.

Spannende Hitchcock-Hommage; vor allem von „Vertigo“.

Der (Fernseh-)Thriller fügt scheinbar zufällige Ereignisse zu einer Wahrheit zusammen, die eine schicksalhafte Verknüpfung aller Beteiligten offenbart.“ (Lexikon des internationalen Films)

mit Corinna Harfouch, Ulrich Tukur, Judith Engel, Tatja Seibt

Hinweise

Filmportal über „Die fremde Frau“

Meine Besprechung von Matthias Glasner „Gnade“ (Deutschland/Norwegen 2012)

Meine Besprechung von Matthias Glasners „Blochin – Die Lebenden und die Toten: Staffel 1“ (Deutschland 2015)


TV-Tipp für den 1. Oktober: Finsterworld

Oktober 1, 2015

Arte, 23.15
Finsterworld (Deutschland 2013)
Regie: Frauke Finsterwalder
Drehbuch: Frauke Finsterwalder, Christian Kracht
Perfekte Einstimmung auf die Feierlichkeiten zur Einheit. Denn Frauke Finsterwalder und Christian Kracht toben sich in ihrem Episodenfilm so richtig gemein in deutschen Befindlichkeiten (echten und falschen, alten und neuen) aus. Denn das „Finsterworld“-Deutschland ist ein aus der Zeit gefallenes Deutschland voller gestörter Charaktere, die sich auf die Nerven gehen und die sich letztendlich in ihrer Tristesse gut eingerichtet haben.
Das ist zwar nicht durchgehend gelungen, hat aber erfrischend wenig mit den gängigen deutschen Komödien zu tun; was schon einmal eine gute Sache ist.
mit Johannes Krisch, Michael Maertens, Margit Carstensen, Sandra Hüller, Ronald Zehrfeld, Corinna Harfouch, Bernhard Schütz, Christoph Bach, Carla Juri, Leonard Scheicher, Jakub Gierszal, Max Pellny, Markus Hering, Dieter Meier

Hinweise
Homepage zum Film
Film-Zeit über „Finsterworld“
Moviepilot über „Finsterworld“
Wikipedia über „Finsterworld“
Die Zeit: Ijoma Mangold unterhält sich mit Christian Kracht über „Finsterworld“ (10. Oktober 2013)

Meine Besprechung von Frauke Finsterwalders „Finsterworld“ (Deutschland 2013)


TV-Tipp für den 18. Mai: Solo für Klarinette

Mai 18, 2014

BR, 22.55
Solo für Klarinette (Deutschland 1998, Regie: Nico Hofmann)
Drehbuch: Susanne Schneider
LV: Elsa Lewin: I Anna, 1984 (Solo für Klarinette)
Ein Kommissar mit desaströsem Familienleben verknallt sich bei den Ermittlungen in die Tatverdächtige.
Die bislang letzte Regiearbeit von Nico Hofmann ist ein beeindruckendes Krimidrama, das Berlin zu Klein-New-York stilisiert. Beim Kinoeinsatz gab es einen kleinen Skandal wegen der Sexszenen (Bild fungierte mal wieder eifrig als Lautsprecher der Werbekampagne) und einige Kritiker verrissen den Film über Gebühr (z. B. „Einer der ärgerlichsten Versuche, das deutsche Serienkrimiformat auf die Leinwand zu übertragen. Ein an Banalität kaum überbietbares Drehbuch, schematische Charaktere und der peinlich anbiedernde Versuch, über die engsten Genregrenzen hinaus etwas zu sagen, stellen eine gewaltige Herausforderung an den Langmut der Zuschauer dar.“ Multimedia). Insgesamt muss sich die intensiv-düstere Charakterstudie „Solo für Klarinette“ nicht vor us-amerikanischer Ware verstecken.
Weil der Film, der aus meiner Erinnerung vor allem in den problematischen Teilen ziemlich nah am Buch ist, seit fast zehn Jahren nicht mehr im TV lief, ist es auch fast eine Wiederentdeckung.
Eine zweite Verfilmung von Lewins Roman entstand 2012. Unter der Regie von Barnaby Southcombe spielten Gabriel Byrne und Charlotte Rampling in „I, Anna“ das Liebespaar.
Mit Götz George, Corinna Harfouch, Tim Bergmann, Barbara Auer, Barbara Rudnik, Christian Redl, Tobias Schenke, Katharina Thalbach, Rita Russek, Heinrich Schafmeister

Hinweise

Filmportal über „Solo für Klarinette“

Wikipedia über „Solo für Klarinette“


DVD-Kritik: „Finsterworld“ ist Deutschland, ist nicht Deutschland, ist Deutschland,…

Mai 2, 2014

Auch „Finsterworld“, der erste Spielfilm von Frauke Finsterwalder, nach einem Drehbuch von ihr und ihrem Ehemann Christian Kracht, spielt, wie die ganzen romantischen Komödien, in einer Parallelwelt; einem Deutschland, das es so nicht gibt. Aber das „Finsterworld“-Deutschland ist ein aus der Zeit gefallenes Deutschland voller gestörter Charaktere, die sich auf die Nerven gehen und die sich letztendlich in ihrer Tristesse gut eingerichtet haben.
In dem Film gibt es ein Ehepaar, das nur das Negative sieht und ihren Deutschlandhass in kurzweiligen Sentenzen von sich gibt, einen Fußpfleger, der sich im Alterheim in eine Bewohnerin verliebt, einen Polizisten, der in einem Bärenkostüm nach Nähe sucht, eine TV-Reporterin, die in ihren Drei-Minuten-Reportagen gerne große Kunst über das wahre Leben abliefern würde und dabei doch nur um sich selbst kreist, einen Einsiedler, der stumm im Wald lebt, und uniformierte Schüler, die sich während einer Klassenfahrt zu einem Konzentrationslager nicht für das Leid der Ermordeten interessieren.
Weil diese Charaktere teilweise miteinander verwandt sind und sie sich während des Films mehr oder weniger zufällig begegnen, hängen die Geschichten, die eigentlich eher Episoden aus einem beschädigten Land sind, im bewährten „Short Cuts“- oder „Magnolia“-Stil locker miteinander zusammen. Aber letztendlich werden sie nicht durch einen erzählerischen Zusammenhang, sondern durch den durchgehend misantrophischen Blick auf die Charaktere und Deutschland zusammen gehalten.
„Finsterworld“ ist ein, auch in der Inszenierung, durch und durch künstlicher Film, der wenig über Deutschland, aber viel über die Macher und ihren Hass auf Deutschland verrät. Dieser Deutschland-Hass ist allerdings ein unter Linksintellektuellen seit Jahrzehnten so gepflegter Topoi, dass „Finsterworld“ wie ein später Nachfolger des Neuen Deutschen Films und eine Rainer-Werner-Fassbinder-Hommage wirkt.
Deshalb ist es ein aus der Zeit gefallener Film, ohne besonders großen Erkenntnisgewinn, aber durchaus immer wieder spaßig anzusehen. Vor allem wenn Corina Harfouch und Bernhard Schütz als versnobtes, sich prächtig verstehendes Ehepaar ihren Deutschlandhass pflegen. Schütz nennt sie im Presseheft treffend „Manufaktum-Faschisten“.
Oder Sandra Hüller als endlos plappernde, um sich selbst kreisende Dokumentarfilmerin, die mit Michelangelo Antonionis „Liebe 1962“ einen vollkommen verschobenen Referenzrahmen für ihre kurzen TV-Dokus, in denen sie das wahre Leben zeigen will, nennt.
Und Ronald Zehrfeld als ihr Freund und knuffiger Polizist im Bärenkostüm ist natürlich schön anzusehen.
Da braucht es dann keine „Feuchtgebiete“ Carla Juri als Schülerin und „Dutschke“ Christoph Bach als gutwilligen Lehrer, der seine Schüler mit einem KZ-Besuch fortbilden will. Dabei ist er viel zu jung für einen 68er-Lehrer, aber er verkörpert exakt diesen Typus.
Wie gesagt: „Finsterworld“ ist ein aus der Zeit gefallener Film. Ein Film, der einerseits dreißig, vierzig Jahre zu spät kommt, andererseits ein probates Gegengift zu den deutschen Kinokomödien, wie „Irre sind männlich“, „Vaterfreuden“ oder „Der fast perfekte Mann“, ist.

Finsterworld - DVD-Cover

Finsterworld (Deutschland 2013)
Regie: Frauke Finsterwalder
Drehbuch: Frauke Finsterwalder, Christian Kracht
mit Johannes Krisch, Michael Maertens, Margit Carstensen, Sandra Hüller, Ronald Zehrfeld, Corinna Harfouch, Bernhard Schütz, Christoph Bach, Carla Juri, Leonard Scheicher, Jakub Gierszal, Max Pellny, Markus Hering, Dieter Meier

DVD
Alamode Film
Bild: 2,35:1 (16:9)
Ton: Deutsch (DD 5.1)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial (angekündigt): Interview, Making of, Deleted Scenes, Trailer
Länge: 91 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Film-Zeit über „Finsterworld“
Moviepilot über „Finsterworld“
Wikipedia über „Finsterworld“
Die Zeit: Ijoma Mangold unterhält sich mit Christian Kracht über „Finsterworld“ (10. Oktober 2013)