Neu im Kino/Filmkritik: „Mean Girls – Der Girls Club“ singt und tanzt

Januar 30, 2024

Nach einigen Tagen „Warum soll ich die Couch für das Bett verlassen? Ich will schlafen. Ich habe keinen Hunger. Aus dem Weg, das WC ist besetzt!!!“ und übelkeitsbedingt ignorierten Fantasy Filmfest White Nights bin ich jetzt in der richtigen Stimmung für die „Mean Girls – Der Girls Club“.

Mean Girls – Der Girls Club“ ist die Verfilmung des Musicals „Mean Girls“. Dieses ist die Bühnenversion des 2004 entstandenen Spielfilms „Girls Club – Vorsicht bissig!“ (Mean Girls). Und Tina Fey, die das Drehbuch für den ursprünglichen Film und das 2017 entstandene Musical schrieb, schrieb jetzt das Drehbuch für den aktuellen Film.

Die sechzehnjährige Cady Heron ist neu an der North Shore High School. Davor lebte sie in Afrika. Ihre Mutter, einer Umweltwissenschaftlerin, unterrichtete sie. Jetzt muss Cady sich an die Zivilisation gewöhnen (das geht problemlos) und durch die alltägliche Hölle einer US-amerikanischen Schule navigieren. Dazu gehört auch die Wahl der richtigen Clique. Also ob sie zu den von Regina angefühten, nur auf den äußeren Schein bedachten „Plastics“ oder zu den Außenseitern Janis und Damian gehören will.

Es geht darum, wie Cady sich einlebt, wie sie bei den „Plastics“ aufgenommen wird, sich mit ihnen, uh, zerstreitet und in Aaron Samuels, Reginas Ex, verliebt. Daraus ergibt sich eine Ansammlung von auch aus anderen High-School-Filmen bekannten Standard-Situationen. Die Hackordnung an der Schule wird beschrieben und als gegeben hingenommen als Basis für harmlose Scherze.

Die Gesangseinlagen und ihre die Story und die Gefühle der Figuren illustrierende Inszenierung gefallen.

Die im Trailer prominent gezeigten bekannten Schauspieler, wie Jon Hamm und Tina Fey, haben im Film nur Nebenrollen, die kaum mehr als etwas größere Cameos sind. Das überrascht jetzt nicht wirklich bei einem Musical für Teenager, das nicht als Musical beworben wird.

Mean Girls – Der Girls Club“ ist durchaus spaßige, insgesamt harmlose Musical-Unterhaltung für pubertierende Mädchen, die immer an der schönen Oberfläche verharrt.

Für mich ist, wenn wir bei Musicals bleiben, die am 8. Februar startende Musical-Version von „Die Farbe Lila“ interessanter.

Mean Girls – Der Girls Club (Mean Girls, USA 2024)

Regie: Samantha Jayne, Arturo Perez Jr.

Drehbuch: Tina Fey (basierend auf ihrem Musical, basierend auf ihrem Spielfilm)

mit Angourie Rice, Auliʻi Cravalho, Reneé Rapp, Jaquel Spivey, Avantika, Bebe Wood, Christopher Briney, Jenna Fischer, Busy Philipps, Ashley Park, Jon Hamm, Tina Fey, Tim Meadows

Länge: 113 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Moviepilot über „Mean Girls – Der Girls Club“

Metacritic über „Mean Girls – Der Girls Club“

Rotten Tomatoes über „Mean Girls – Der Girls Club“

Wikipedia über „Mean Girls – Der Girls Club“ (deutsch, englisch)


Neu im Kino/Buch- und Filmkritik: Hercule Poirot erlebt „A Haunting in Venice“

September 14, 2023

In seinen ersten beiden Hercule-Poirot-Verfilmungen „Mord im Orient-Express“ und „Tod auf dem Nil“ erzählte Kenneth Branagh bekannte und bereits sehr erfolgreich verfilmte Poirot-Romane noch einmal. Dabei hielt er sich weitgehend an die von Agatha Christie geschriebenen Romane. In seinem dritten Hercule-Poirot-Film ist alles anders. Die von Agatha Christie geschriebene Vorlage ist unbekannter. „Hallowe’en Party“ wurde einmal, 2010 im Rahmen der langlebigen ITV-Poirot-TV-Serie mit David Suchet als Ermittler, verfilmt. Auch diese Verfilmung ist unbekannter. Dieses Mal hielten die Macher sich kaum bis überhaupt nicht an die Vorlage. Bei Agatha Christie spielt die jetzt als „A Haunting in Venice“ verfilmte Geschichte 1969 in einem englischen Dorf.

Der Film spielt, wie der Titel andeutet, in Venedig. Er spielt auch nicht in den späten sechziger Jahren, sondern 1947. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog der weltberühmte Detektiv Hercule Poirot sich zurück. In Venedig genießt er seinen Ruhestand. Da bittet ihn die erfolgreiche und mit ihm befreundete Krimi-Autorin Ariadne Oliver um einen Gefallen. Er soll sie zu einer Séance begleiten.

In dem Palazzo der früheren Opernsängerin Rowena Drake soll die bekannte Hellseherin Joyce Reynolds an Halloween auftreten und den Kontakt zu Drakes vor einem Jahr verstorbener Tochter Alicia herstellen.

Poirots Freundin Oliver hat eine ihrer Shows besucht. Seitdem fragt sie sich nun, ob Reynolds eine Schwindlerin ist oder ob sie wirklich Kontakt zu den Toten hat. Denn ihr gelang es nicht, die Tricks von Reynolds zu durchschauen. Das soll jetzt ihrem Freund Hercule Poirot gelingen. Poirot, der auch nicht an Hellseherei, Wahrsagerei und Gesprächen mit den Toten glaubt, begleitet seine Freundin zu der Abendgesellschaft.

Die Séance nimmt einen ungeahnten dramatischen Verlauf. Und kurz darauf ist Reynolds tot. Spätestens in dem Moment sind im Palazzo und im Kinosaal die letzten Zweifler überzeugt, dass Reynolds eine Betrügerin ist. Eine echte Hellseherin hätte ihren Tod doch vorhersehen können.

In den nächsten Stunden versucht Poirot in dem düsteren Palazzo den Mord und viele weitere große und kleine Verbrechen und Lügen aufzuklären. Dabei zweifelt er mehr als einmal an seiner Beobachtungsgabe und seinen legendären kleinen grauen Zellen.

Das klingt doch ganz spannend. Aber Michael Green, der auch für Branaghs vorherige Poirot-Filme die Drehbücher schrieb, gelingt es nie, Poirots Ermittlungen und Überlegungen nachvollziehbar zu erzählen. Allerdings, das muss gesagt werden, haben Green und Branagh dieses Mal kein Interesse an einem konventionellem Rätselkrimi. Sicher, Poirot sucht den Täter, er verhört die Anwesenden, dröselt die Hinweise auf und enttarnt am Ende den Täter. Aber dieses Mal versammelt er dafür nicht, wie wir es bei einem Rätselkrimi erwarten, alle Tatverdächtigen und Anwesenden in einem Raum und präsentiert ihnen ein halbes Dutzend verschiedener Täter, ehe er, zu unserer Verblüffung, den wahren Täter enthüllt. In „A Haunting in Venice“ geschieht die Enttarnung des Mörders quasi nebenbei.

Branagh erzählt die Tätersuche und Enttarnung des Mörders so lustlos und chaotisch, dass wahrscheinlich niemand diesen Teil des Films nacherzählen kann. Es kann auch nicht mitgerätselt werden.

Als Rätselkrimi ist „A Haunting in Venice“ ein ziemlicher Totalausfall.

Aber schon in den ersten, sehr atmosphärischen Minuten entwirft Branagh ein Bild von Venedig als Geisterstadt, in der Maskierte und Tote in Gondeln durch die Stadt gleiten. Nach dem Mord ermittelt Poirot in einem sehr dunklem Palazzo. Fast jedes von Branaghs Stammkameramann Haris Zambarloukos aufgenommene Bild ist schräg und arbeitet mit teils extrem verschobenen Perspektiven. Unterbrochen von wenigen exzessiven Kamerafahrten und vielen desorientierenden Schnitten. Das bedient durchgehend die Klaviatur des Gothic-Horrorfilms.

Als sich wenig um erzählerische Konventionen kümmernder Horrorfilm voller echter und falscher Gespenster ist „A Haunting in Venice“ ziemlich gelungen.

Und jetzt zur Vorlage: Agatha Christies „Die Halloween-Party“. In seinem Vorwort zur Neuausgabe schreibt Michael Green, er habe einen Mord begangen und das Opfer sei Agatha Christies drittletzter Hercule-Poirot-Roman „Die Halloween-Party“. Denn die Verfilmung hat mit dem Roman, bis auf einige zufällige und vermeidbare Ähnlichkeiten und Namen, nichts zu tun.

Während einer von Rowena Drake in ihrem Haus für die Kindes des Dorfes Woodleigh Common veranstalteten Halloween-Party, behauptet die dreizehnjährige Joyce Reynolds, sie habe vor längerer Zeit einen Mord beobachtet. Das sei ihr damals nicht bewusst gewesen. Kurz darauf ist sie tot. Sie wurde in der Bibliothek des Hauses in einem für ein Spiel mit Wasser gefülltem Metalleimer ertränkt.

Die Krimiautorin Ariadne Oliver (ja, sie könnte Agatha Christie sein), die während der Tatzeit in Drakes Haus war, bittet ihren Freund Hercule Poirot um Hilfe. Er soll den Täter finden.

Poirot beginnt in dem Dorf mit der Mördersuche. Dabei will er auch herausbekommen, ob Joyce einen Mord beobachtet hat und, wenn ja, wer das Opfer und wer der Täter ist.

Die Halloween-Party“ (bzw. früher „Die Schneewittchen-Party“ oder, im Original, „Hallowe’en Party“) ist einer von Agatha Christies letzten Romanen. Und er hat nicht die Qualität ihrer früheren Geschichten. Die Figuren sind blass. Der Rätselplot ist bestenfalls solala. Und am Ende wird der Täter, wie in der Verfilmung, nicht in einer großen Versammlung aller Tatverdächtigen enttarnt. Er wird auf frischer Tat ertappt.

A Haunting in Venice (A Haunting in Venice, USA 2023)

Regie: Kenneth Branagh

Drehbuch: Michael Green

LV: Agatha Christie: Hallowe’en Party, 1969 (Die Schneewittchen-Party; Die Halloween-Party, und neuerdings A Haunting in Venice)

mit Kenneth Branagh, Kyle Allen, Michelle Yeoh, Camille Cottin, Jamie Dornan, Tina Fey, Jude Hill, Ali Khan, Emma Laird, Kelly Reilly, Riccardo Scamarcio

Länge: 104 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Die Vorlage in der Filmausgabe

Agatha Christie: A Haunting in Venice

(übersetzt von Hiltgunt Grabler) (mit einem Vorwort von Michael Green)

Atlantik, 2023

256 Seiten

14 Euro

Ältere deutsche Titel

Die Schneewittchen-Party (ursprünglicher Titel)

Die Halloween-Party (Titel der Neuausgabe von 2018)

Originalausgabe

Hallowe’en Party

Harper Collins, London 1969

Hinweise

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „A Haunting in Venice“

Metacritic über „A Haunting in Venice“

Rotten Tomatoes über „A Haunting in Venice“

Wikipedia über „A Haunting in Venice“ (deutsch, englisch), die Vorlage (deutsch, englisch), Hercule Poirot (deutsch, englisch) und Agatha Christie (deutsch, englisch)

Thrilling Detective über Hercule Poirot

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs „Jack Ryan: Shadow Recruit“ (Jack Ryan: Shadow Recruit, USA 2013)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs „Cinderella“ (Cinderella, USA 2015)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, USA 2017)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ (Death on the Nile, USA/Großbritannien 2022)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs „Belfast“ (Belfast, USA 2021)

Homepage von Agatha Christie

Krimi-Couch über Agatha Christie

Meine Besprechung von Agatha Christies „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, 1934)

Meine Besprechung von John Guillermins Agatha-Christie-Verfilmung “Tod auf dem Nil” (Death on the Nile, Großbritannien 1978)

Meine Besprechung von Michael Winners Agatha-Christie-Verfilmung „Rendezvous mit einer Leiche“ (Appointment with Death, USA 1988)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Mord im Orientexpress“ (Murder on the Orient Express, USA 2017)

Meine Besprechung von Gilles Paquet-Brenner Agatha-Christie-Verfilmung „Das krumme Haus“ (Crooked House, USA 2017) (und Buchbesprechung)

Meine Besprechung von Kenneth Branaghs Agatha-Christie-Verfilmung „Tod auf dem Nil“ (Death on the Nile, USA/Großbritannien 2022) (und Buchbesprechung)


Neu im Kino/Filmkritik: „Whiskey Tango Foxtrot“ – Tina Fey in Afghanistan

Juni 3, 2016

Kim Baker (Tina Fey) fühlt sich von ihrem Job in der Lokalnachrichtenredaktion eines Kabelsenders unterfordert und sie gehört zu den wenigen unverheirateten, kinderlosen Mitarbeitern. Das prädestiniert sie 2002 für den zunächst nur für einige Monate geplanten Einsatz in Afghanistan als Kriegsreporterin. Sie fliegt vollkommen unvorbereitet dorthin – und der Film „Whiskey Tango Foxtrot“ erzählt, basierend auf dem Buch der echten Kim Barker (für den Film wurde ihr Name leicht geändert), von ihren Erlebnissen an der Front, die viel Stoff für Anekdoten hergeben. Immerhin blieb sie mehrere Jahre dort.

Und genau das ist das Problem von Glenn Ficarra und John Requas Film, der keine 1-zu-1-Verfilmung von Barkers Buch ist. Die Episoden reihen sich aneinander. Zuerst lernt Baker die ihr fremde Welt der Kriegsreporter und der Afghanen kennen. Wobei sie die einheimische Kultur mehr oder weniger oft galant ignoriert. Genauso wie Anweisungen von Militärs, die sie beschützen sollen. Das ist natürlich, immer wieder lustig, und der Zusammenprall der verschiedenen Kulturen sorgt für einige Lacher. Dazwischen – wobei dieses ‚dazwischen‘ den größeren Teil des Films ausmacht – gibt es Einblicke in die Freizeitgestaltung der Journalisten, die sich anscheinend in dem reichhaltigen Konsum alkoholischer Getränke und auch außerehelicher Affären mit Kollegen erschöpft. Das spielt sich bevorzugt in dem gut geschützten Hotel, in dem die Journalisten leben, ab, während draußen der Krieg tobt, der sie ungefähr so sehr interessiert, wie Studenten die Kommunalpolitik während sie sich im Studentenwohnheim betrinken.

Insofern ist „Whiskey Tango Foxtrot“ das Äquivalent zu einem Kneipenabend mit einem oder mehreren Kriegsreportern, die von ihrem letzten Einsatz erzählen. Das ist vergnüglich, aber durchgehend oberflächlich und fernab von jeglicher Selbstkritik oder Analyse. Und Klischees, vor allem über die Einheimischen, helfen beim Erzählen der Anekdoten.

Für einen Film ist das natürlich etwas wenig.

Wenn dann, am Ende der Kriegssatire, Bakers Freund, Vertrauter und Geliebter Iain MacKelpie (Martin Freeman), ein schottischer Fotoreporter mit hohem Alkohol- und Frauenkonsum, entführt wird und Baker, auch mit Erpressungen, Himmel und Hölle (vulgo einem mächtigen afghanischen Politiker [Alfred Molina als interessante Besetzung] und das US-Militär) in Bewegung setzt, um MacKelpie zu befreien, dann wirkt das nicht wie das schlüssige Ende einer Geschichte, sondern wie eine schnell angeklebte Episode, die den vorherigen Anekdoten einen größeren Sinnzusammenhang geben soll. Weil das zu überraschend kommt, nicht zum mäandernden Stil des vorherigen Films passt und die bislang planlose Barker plötzlich planvoll und eiskalt handelt, funktioniert nicht.

Die mehr klamaukige als treffende Satire lässt eben genau die Analyse und Haltung vermissen, die nötig wäre, um aus „Whiskey Tango Foxtrot“ mehr als das neue Tina-Fey-Vehikel zu machen. Die setzt sich allerdings voll ein und darf mehrmals herrlich derangiert nach einer alkoholgeschwängerten Nacht aufwachen und aus ihrem Fenster auf den Innenhof des ‚Fun House‘ blicken.

WTF?!

Whiskey Tango Foxtrot - US-Plakat 2

Whiskey Tango Foxtrot (Whiskey Tango Foxtrot, USA 2016)

Regie: Glenn Ficarra, John Requa

Drehbuch: Robert Carlock

LV: Kim Barker: The Taliban Shuffle: Strange Days in Afghanistan and Pakistan, 2011

mit Tina Fey, Margot Robbie, Martin Freeman, Alfred Molina, Billy Bob Thornton, Christopher Abbot, Nicholas Braun, Stephen Peacocke, Sheila Vand

Länge: 112 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Whiskey Tango Foxtrot“

Metacritic über „Whiskey Tango Foxtrot“

Rotten Tomatoes über „Whiskey Tango Foxtrot“

Wikipedia über „Whiskey Tango Foxtrot“ (englisch)


Neu im Kino/Filmkritik: Die „Sisters“ Tina Fey und Amy Poehler feiern eine Party

Februar 15, 2016

Die Ellis-Schwestern sind zurück in Florida. Weil ihre Eltern das Haus verkaufen, sollen Maura (Amy Poehler), die vernünftige Schwester, und Kate (Tina Fey), die unvernünftige Schwester, ihr Kinderzimmer ausräumen. Natürlich treffen sie alte Bekannte, schwelgen beim Aufräumen in Erinnerungen und, nachdem ihre Eltern (James Brolin und Dianne Wiest) ihnen verboten haben, eine Party zu feiern, beginnen sie eben diese Party zu planen. Sie soll noch besser werden als ihre inzwischen legendären Partys, die sie als Schülerinnen feierten. Und sie soll natürlich ihre Jugend wieder zurückbringen.
Diese Party, die im Zentrum des Films steht, ist der zweite Akt und er dauert ungefähr eine Stunde. Im dritten Akt, der ungefähr das letzte Viertel des Films einnimmt, werden dann die Scherben zusammengekehrt, inclusive Kater und pflichtschuldig mitgelieferter, aus der vorherigen Geschichte kaum erkennbarer Moral für die beiden Mittvierzigerinnen Kate und Maura.
Die Party selbst nimmt, und dabei ist das Geschlecht des Gastgebers egal, ihren vorhersehbaren Verlauf. Aus dem nobel-austauschbarem Vorstadtanwesen wird innerhalb weniger Stunden eine einsturzgefährdete Ruine. Es werden legale und illegale Drogen konsumiert, es werden sich Beleidigungen an den Kopf geworfen, es wird gekuschelt und alle versuchen sich, nach kurzen Anlaufschwierigkeiten, wieder wie hormon- und drogengetriebene Teenager zu benehmen. Selbstverständlich gibt es auch in „Sisters“ die Zeichnung eines männlichen Geschlechtsteiles an einem unpassendem Ort. Dieser zuverlässige Indikator für das klamaukige Witzniveau des Films verziert dieses mal eine Zimmerwand.
Das ganze könnte die weibliche Version von der ebenfalls diese Woche angelaufenen „Komödie“ „Dirty Grandpa“ sein, wenn es in „Sisters“ nicht auch ruhige Momente gäbe und nicht alle Witze bewegen sich auf vorpubertärem Niveau. In „Sisters“ ist auch eine leichte Verzweiflung über das Älterwerden und verpasste Chancen spürbar, die aber meistens in den zu lang geratenen improvisierten Szenen und der in ihrer Eskalation keiner wirklichen Dramaturgie gehorchenden Party untergeht.
Ein echter Pluspunkt von „Sisters“ sind die spielfreudigen Komikerinnen und ihr Mut zur Hässlichkeit und Gesichtsverrenkungen. Mit reduzierten Erwartungen (denn eigentlich geht es nur, mit langem Vor- und Nachspiel, um die hauszerstörende Party) ist Jason Moores Film ein annehmbares, aber auch verzichtbares und mit zwei Stunden zu lang geratenes Vergnügen, bei dem sich schon die Frage nach der Zielgruppe stellt. Wobei: Warum sollten nur Männer auf ewig pubertieren? Und warum sollte ein Geschlechterwechsel zu einer besseren Komödie führen? Aber schön wäre es schon.

Druck

Sisters (Sisters, USA 2015)
Regie: Jason Moore
Drehbuch: Paula Pell
mit Tina Fey, Amy Poehler, Maya Rudolph, Ike Barinholtz, James Brolin, Dianne Wiest, John Cena, John Leguizamo, Bobby Moynihan, Greta Lee
Länge: 118 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Deutsche Facebook-Seite zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Sisters“
Metacritic über „Sisters“

Rotten Tomatoes über „Sisters“
Wikipedia über „Sisters“


Neu im Kino/Filmkritik: I Origins; Like Father, like Son; Phoenix; Sieben verdammt lange Tage; Ein Sommer in der Provence; Who am I – Kein System ist sicher

September 26, 2014

Wenig Zeit, daher „Kurz & Knapp“ (auch eine Form von KuK) über die Neustarts im Kino am heutigen Donnerstag:

I Origins - Plakat

„I Origins“ ist einer der Filme, von denen ich viel erwartete und dann umso enttäuschter war. Denn die Prämisse, dass jede Iris einzigartig ist und ein Molekularbiologe, der in diesem Forschungsgebiet über die Evolution des Auges bahnbrechendes leistet, entdeckt, dass diese Arbeitshypothese falsch ist und damit seine gesamte Forschung und seine Überzeugungen in Frage stellen würde, verspricht einen philosophischen Science-Fiction-Film.
Aber dann geht es auch um eine Liebesgeschichte, die ungefähr in der Filmmitte ein abruptes Ende findet und später doch wieder wichtig ist. Es geht um Forschungsfragen. Es geht um die Frage nach der Einzigartigkeit des Menschen und um Wiedergeburt, was die Einzigartigkeit der Iris, aber auch etwas viel unangenehmeres beweisen würde. Es gibt auch ein seltsames Forschungsprogramm, das nicht näher erklärt wird, aber für die Fans von Paranoia-Thrillern gedacht ist. Für die gibt es auch eine Szene nach dem Abspann.
Letztendlich begnügt Mike Cahill sich in „I Origins“ mit dem Aufwerfen von Fragen und mehreren überraschenden bis abstrusen Wendungen, die nur verwirren ohne auch nur im Ansatz zu erklären, worum es den Machern ging.
„I Origins“ ist ein frustierender Film. Mit und ohne Seelenwanderung. Und dass Cahill im Presseheft sagt, dass für ihn „I Origins“ nur der Anfang seiner Erforschung des Bereiches zwischen Fakten und Glauben sei und er den Stoff in weiteren Filmen oder einer TV-Serie fortspinnen will, hilft nicht, weil wir dann den Film nicht als eigenständiges, in sich abgeschlossenes Werk, sondern nur als den Auftakt von etwas Größerem ansehen sollen.

I Origins – Im Auge des Ursprungs (I Origins, USA 2014)
Regie: Mike Cahill
Drehbuch: Mike Cahill
mit Michael Pitt, Brit Marling, Astrid Bergès-Frisbey, Steven Yeun, Archie Panjabi, Cara Seymour, Venida Evans, William Mapother, Kashish
Länge: 108 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Film-Zeit über „I Origins“
Moviepilot über „I Origins“
Metacritic über „I Origins“
Rotten Tomatoes über „I Origins“
Wikipedia über „I Origins“ (deutsch, englisch)

Like Father Like Son - Plakat 1

Was wäre, wenn dein Kind bei der Geburt vertauscht worden wäre? Und was würdest du tun? Das muss sich Ryota Nonomiya fragen, als er erfährt, dass genau das vor sechs Jahren geschehen ist. Der distanzierte, statusbewusste Architekt, der in finanzieller Hinsicht alles für seinen Sohn tut, aber wegen der vielen Arbeit ihn fast nie sieht, hat jetzt eine Erklärung für die Defizite und den mangelnden Ehrgeiz seines Sohnes. Aber ist Blut wirklich dicker als Erziehung? Soll er seinen falschen Sohn gegen seinen echten Sohn tauschen, der bei einer zwar liebevollen, aber armen und furchtbar ambitionslosen Familie lebt? Oder soll er dafür kämpfen, das Sorgerecht für beide Kinder zu bekommen?
Hirokazu Kore-eda erhielt für seinen Film „Like Father, like Son“ in Cannes den Preis der Jury und das ist verständlich. Ruhig und aus Ryotas Perspektive erzählt er von diesem Dilemma. Dabei bleiben die Sympathien für den egoistischen Ryota, der das Kind vor allem als Statussymbol braucht, überschaubar. Aber die angesprochenen Fragen sind unversell und Hirokazu Kore-eda behandelt sie auch angemessen komplex in einer scheinbar einfachen Geschichte über zwei Familien und ihre Kinder in einer Gesellschaft, in der – wenn so ein Fehler entdeckt wird – die Kinder getauscht werden und ein Adoptionen selten sind.
Ein sehenswerter Film.


Like Father, like Son (Soshite chichi ni naru, Japan 2013)
Regie: Hirokazu Kore-eda
Drehbuch: Hirokazu Kore-eda
mit Masaharu Fukuyama, Machiko Ono, Keita Ninomiya, Lily Franky, Yoko Maki, Shogen Hwang
Länge: 120 Minuten
FSK: ab 0 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Like Father, like Son“
Moviepilot über „Like Father, like Son“
Metacritic über „Like Father, like Son“
Rotten Tomatoes über „Like Father, like Son“
Wikipedia über „Like Father, like Son“

Phoenix - Plakat - 4

Nelly hat schwer verletzt und verunstaltet den Zweiten Weltkrieg und Auschwitz überlebt. Ihre Freundin Lene bietet ihr ein neues Leben in Israel mit einem neuen Gesicht an. Aber Nelly will wieder ihr altes Gesicht zurückhaben. Sie will in Deutschland bleiben und sie will wieder ihren Ehemann Johnny treffen. Er ist ihre große Liebe, der sie verraten hatte.
Johnny arbeitet jetzt in Berlin in der Bar „Phoenix“. Als er Nelly trifft, erkennt er sie nicht. Aber er bemerkt eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen der unbekannten Schönheit und seiner toten Frau. Jedenfalls glaubt Johnny, dass Nelly tot ist. Er will die Fremde zu Nellys Ebenbild verändern, um so an Nelly Familienvermögen zu gelangen. Nelly spielt mit.
Cineasten werden in „Phoenix“ sofort eine Variante von Alfred Hitchcocks „Vertigo“ erkennen. Sowieso hat jedes Bild, jeder Satz, jede Geste und jede Szene mindestens eine weitere Bedeutung, was beim Ansehen und Entschlüsseln Spaß macht. Wobei, wie üblich bei Christian Petzold, der Film auch einfach als spannende Geschichte funktioniert. Jedenfalls bis Nelly auf Johnnys Angebot eingeht. Dann fällt die vorher vorhandene Spannung wie ein Soufflé in sich zusammen und die restlichen Minuten, wenn Nelly die Gestik von Nelly einstudiert und sie bei ihren Verwandten, die den Krieg überlebten, vorgestellt wird, haben dann etwa die Spannung von Malen-nach-Zahlen.
„Phoenix“ ist Fritz Bauer, dem Initiator und Ankläger des Auschwitz-Prozesses, gewidmet. Harun Farocki, mit dem Petzold bei, ich glaube, jedem seiner Filme zusammenarbeitete, verstarb kurz vor der Premiere des Films.
Insgesamt ist „Phoenix“ ein sehenswerter Film. Aber Petzolds bester Film ist es nicht.


Phoenix (Deutschland 2014)
Regie: Christian Petzold
Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki (Mitarbeit)
LV (nach Motiven): Hubert Monteilhet: Le retour des cendres, 1961 (Der Asche entstiegen)
mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, Michael Maertens, Imogen Kogge, Kirsten Block
Länge: 98 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Film-Zeit über „Phoenix“
Moviepilot über „Phoenix“
Rotten Tomatoes über „Phoenix“

Sieben verdammt lange Tage - Plakat


Nach dem Tod ihres Vaters müssen die Mitglieder der Familie Altman, auf Wunsch des Verstorbenen, eine siebentägige Totenwache nach jüdischer Tradition halten, was natürlich dazu führt, dass die gar nicht so gläubige Familie, die uns als dysfunktional vorgestellt wird, über alte und neue Probleme reden muss.
„Sieben verdammt lange Tage“ ist gut besetzt. Jason Bateman als gerade entlassener und getrennt lebender Radio-Producer (seine Frau schlief mit seinem Boss), der jetzt nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Tina Fey, Adam Driver und Corey Stoll als seine Geschwister. Jane Fonda (Die soll Jahrgang 1937 sein? Niemals.) als Mutter mit vergrößerter Brust und die ihre Kinder als Studienobjekte für ihre populären Erziehungsratgeber benutzte. In Nebenrollen sind unter anderem Rose Byrne als Batemans alte und neue Freundin und Timothy Olyphant als verblödeter, aber sehr verständnisvoller Nachbar und Ex-Freund von Tina Fey dabei.
Es ist auch gut inszeniert von Shawn Levy (Real Steel, Prakti.com). Jonathan Troppers Drehbuch schmeckt die dramatischen und die komödiantischen Teile in dieser in Richtung harmonieseliger RomCom gehenden Familienzusammenführung ordentlich ab.
Aber die Charaktere, die alle in einem luftleeren Raum abseits von all den normalen Alltagsproblemen lebten, interessierten mich niemals wirklich. Auch die Prämisse wirkte arg ausgedacht. Immerhin versteht die Familie sich gut und sie traf sich in den vergangenen Jahren sicher zum üblichen Thanksgiving-Dinner und dem gemeinsamen Weihnachts-/Silvesterurlaub. Immerhin leben sie doch in und um Long Island, New York, ziemlich nah beieinander.
„Sieben verdammt lange Tage“ ist kein schlechter, aber ein uninteressanter Film.

Sieben verdammt lange Tage (This is where I leave you, USA 2014)
Regie: Shawn Levy
Drehbuch: Jonathan Tropper
LV: Jonathan Tropper: This is where I leave you, 2009 (Sieben verdammt lange Tage)
mit Jason Bateman, Jane Fonda, Tina Fey, Adam Driver, Rose Byrne, Corey Stoll, Kathryn Hahn, Connie Britton, Timothy Olyphant, Dax Shepard, Debra Monk, Abigail Spencer, Ben Schwartz,
Länge: 103 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Amerikanische Homepage zum Film
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Sieben verdammt lange Tage“
Moviepilot über „Sieben verdammt lange Tage“
Metacritic über „Sieben verdammt lange Tage“
Rotten Tomatoes über „Sieben verdammt lange Tage“
Wikipedia über „Sieben verdammt lange Tage“ (deutsch, englisch)
Homepage von Jonathan Tropper

Meine Besprechung von Shawn Levys „Real Steel“ (Real Steel, USA 2011)

Meine Besprechung von Shawn Levys „Prakti.com“ (The Internship, USA 2013)

Ein Sommer in der Provence - Plakat

Für die beiden Pariser Teenager Léa und Adrien ist schon die Hinfahrt im Zug eine Tortur, die ihren Höhepunkt erreicht, als sie erfahren, dass das Gut ihres Großvaters ab von jeglicher Zivilisation mitten in der Einöde liegt und dass es dort keinen Handy-Empfang gibt (gut, das Problem wird später gelöst). Für ihren jüngeren, gehörlosen Bruder Théo ist die Zugfahrt wohl eher der Beginn eines großen Abenteuers. Und für ihren Großvater Paul (Jean Reno als grumpy old man) ist der Besuch auch eine höchst unwillkomme Unterbrechung seines geruhsamen Landlebens zwischen Olivenbäumen und funktionierendem Alkoholiker, der sich vor Ewigkeiten so heftig mit seiner Tochter zerstritt, dass er seine Enkelkinder noch nicht gesehen hat.
Dennoch verleben sie einen schönen „Sommer in der Provence“, in dem Léa sich in einen schönen Reiter und Pizzabäcker (mit Nebeneinkommen) verliebt, während ihr Bruder ein Auge auf die ebenfalls etwas ältere Dorfschönheit und Eisverkäuferin wirft. Sie treffen auch, via einer von Adrien gefakten Facebook-Einladung, die alten Freunde von Paul und seiner Frau Irène. Eine Bande echter Rocker. Jedenfalls im Sommer. In den anderen Jahreszeiten gehen sie bürgerlichen Berufen nach. Gemeinsam erinnern sie sich am Lagerfeuer an ihre Jugend, die so um 68 rum war, inclusive einem Besuch des legendären Woodstock-Festivals.
In der Realität hätten die Franzosen damals wohl eher das unbekanntere Isle-of-Wight-Festival besucht, aber diese kleine Ungenauigkeit ändert nichts daran, dass jetzt die 68er alt werden und damit auch neue Themen in das typisch französische „Die Familie verbringt einen Sommer auf dem Land“-Komödie gelangen.
Davon abgesehen ist Rose Boschs „Ein Sommer in der Provence“ die diesjährige Ausgabe dieses Genres, in dem die Familie einen Urlaub auf dem Land macht, die Teenager sich verlieben, die Generationen sich etwas streiten und versöhnen und es viele kleine Episoden für jeden Geschmack gibt. So ist „Ein Sommer in der Provence“ ein luftiger Ensemblefilm, der keinen Protagonisten und keine eindeutige Erzählperspektive hat. Diese Positionslosigkeit im Erzählerischen kann man dem Film vorwerfen, oder sich einfach von den Schönheiten der Landschaft verzaubern lassen.

Ein Sommer in der Provence (Avis de mistral, Frankreich 2014)
Regie: Rose Bosch
Drehbuch: Rose Bosch
mit Jean Reno, Anna Galiena, Chloé Jouannet, Hugo Dessioux, Lukas Pelissier, Tom Leeb, Aure Atika
Länge: 105 Minuten
FSK: ab 6 Jahre

Hinweise
Deutsche Homepage zum Film
Film-Zeit über „Ein Sommer in der Provence“
Moviepilot über „Ein Sommer in der Provence“
AlloCiné über „Ein Sommer in der Provence“
Rotten Tomatoes über „Ein Sommer in der Provence“
Wikipedia über „Ein Sommer in der Provence“ 

Who am I - Plakat

Nachdem seine Freunde in einem Hotelzimmer ermordet wurden, geht Benjamin (Tom Schilling) zur Europol-Cybercrime-Polizistin Hanne Lindberg (Trine Dyrholm), um ihr alles über die von ihm mitgegründete und polizeilich europaweit gesuchte Hackergruppe CLAY (Clowns laughing @ You) zu erzählen. Gemeinsam machten er und seine Kumpels Max (Elyas M’Barek), Stephan (Wotan Wilke Möhring) und Paul (Antoine Monot, Jr.) etliche Anonymus-Aktionen, die meistens mit einem Einbruch oder mindestens einem Hausfriedensbruch und Benjamins überragenden Computerkenntnissen durchgeführt wurden, gerieten in Kontakt mit der Russian Cyber-Mafia und in den Fokus der Polizei, die sie unerbittlich als Großverbrecher verfolgte.
Das klingt jetzt, nach Wikileaks und den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden, wie ein schlecht ausgedachter Scherz und genauso unglaubwürdig wirkt dann auch der gesamte Thriller „Who am I – Kein System ist sicher“ mit seinen eindimensionalen, sich unlogisch verhaltenden Charakteren, die wir immer durch Benjamins Augen sehen. Denn fast der gesamte Film besteht aus Benjamins Geständnis.
Für mich hörte sich Benjamins Geschichte allerdings von der ersten bis zur letzten Minute wie eine schlecht ausgedachte Kolportage aus Schlagzeilen und pubertärer Phantasie an, die eine erfahrene Polizistin niemals glauben würde. Das ist allerdings die Voraussetzung dafür, dass sie später Benjamin hilft und die doppelte Schlusspointe funktioniert. Wobei die erste Pointe Benjamins oft vollkommen unglaubwürdige Geschichte erklärt und die zweite ein netter Abschluss eines vermurksten Films über Hacker, Cybercrime, Lug und Trug ist.
Besser man sieht sich noch einmal „Inside Wikileaks – Die fünfte Gewalt“ an. Da gibt es auch atmosphärische Berlin-Bilder und einen glaubwürdigeren Einblick in das Hacker-Leben.

Who am I – Kein System ist sicher (Deutschland 2014)
Regie: Baran Bo Odar
Drehbuch: Jantje Friese, Baran Bo Odar
mit Tom Schilling, Elyas M’Barek, Hannah Herzsprung, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot, Jr., Triny Dyrholm, Stephan Kampfwirth
Länge: 106 Minuten
FSK: ab 12 Jahre

Hinweise
Homepage zum Film
Film-Zeit über „Who am I“
Moviepilot über „Who am I“
Wikipedia über „Who am I“
Meine Besprechung von Baran Bo Odars „Das letzte Schweigen“ (Deutschland 2010)


Neu im Kino/Filmkritik: „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“ und revolutioniert das Nachrichtenfernsehen zum Boulevard

Januar 30, 2014

Damit hat niemand gerechnet. Ron Burgundy ist zurück. Einige dürften ihn noch von seinem ersten Spielfilmauftritt „Anchorman – Die Legende von Ron Burgundy“ kennen. Da war er der Nachrichtensprecher eines Lokalsenders in San Diego und der ungekrönte König der Stadt, bis die junge Reporterin Veronica Corningstone kam, die nicht nur Ambitionen auf seinen Sprecherposten hatte, sondern ihm auch intellektuell haushoch überlegen war. Der tumbe Macho Burgundy und seine ebenso dummen Mitarbeiter kämpften mit allen Mitteln gegen sie, aber letztendlich konnten sie den Fortschritt nicht aufhalten und am Ende hatten sie sogar gelernt, dass auch Frauen Nachrichtensprecherinnen und echte Journalistinnen sein können. Außerdem verliebten Burgundy und Corningstone sich ineinander. Mit dem Filmende der liebevollen und kurzweiligen, aber auch sehr nachlässig erzählten Siebziger-Jahre-Gagparade war die Geschichte von Burgundy, Corningstone und dem „Action-4-News-Team“ zu Ende erzählt. Fortsetzung überflüssig.

Nun, irgendwie doch nicht. In den USA scheint der von Will Ferrell gespielte Charakter sehr beliebt zu sein. Also wurde nach einem Jahrzehnt die alte Bande wieder zusammengerufen, etliche Stars absolvieren einen Kurzauftritt und eine weitere Ron-Burgundy-Geschichte wird erzählt. Wir haben jetzt 1980. Burgundy und seine Frau Veronica Corningstone sind in New York und präsentieren gemeinsam eine Nachrichtensendung, bis Burgundy wegen erwiesener Unfähigkeit gefeuert wird und seine Frau aufsteigt. Mitten in seiner Depri-Phase (wir erinnern uns an den ersten „Anchorman“-Film) erhält er ein Angebot, das er nicht absagen kann: Kench Allenby (ein Klon aus Ted Turner, Rupert Murdoch und viel Richard Branson) baut den neuen Fernsehsender GNN auf, der 24 Stunden Nachrichten ausstrahlen soll. Eine bescheuerte Idee, findet jeder, aber Burgundy und seine alte Gang, das „Action-4-News-Team“, sind dabei und zielsicher steuert er die No-Gos an, die sich als zukunftsweisend entpuppen sollen. Bei ihm gibt es keine Berichte über Politik und wichtige Ereignisse, sondern substanzloses Geplauder über die schönen und alltäglichen Seiten des amerikanischen Alltags oder eine mehrstündige Live-Schaltung zu einer Autoverfolgungsjagd oder sie probieren vor laufender Kamera die angesagte Droge Crack aus. Kurz: Dinge, die keine Nachrichten sind, werden als Nachrichten verkauft und Burgundy erfindet das heutige Fernsehen.

Genau in diesem Moment wird „Anchorman 2“ zu einem Film, der immer wieder an seiner eigenen Haltungslosigkeit scheitert. Im ersten Film wurde auch erzählt, wie Frauen in eine Macho-Bastion einbrechen und am Ende hat Burgundy (und seine Freunde) gelernt, dass auch Frauen in ihrem Beruf ihre Berechtigung haben. Der Macho, das hirnlose Alpha-Männchen, wird zu einem besseren Mann – und wir konnten, mit den Schauspielern, über die damalige Zeit lachen. Das war ein schöner, nostalgischer Trip, der auch durchaus gelungen damalige Filme parodierte.

In „Anchorman 2“ erfindet eben dieser Trottel das heutige Nachrichtenfernsehen, in dem Boulevard-Meldungen und Pseudo-Nachrichten wichtiger sind als Aufklärung und klassischer Journalismus – und wir sollen es gut finden. Während „Anchorman“ noch eine durchaus fortschrittliche Botschaft hatte, ist „Anchorman 2“ durch und durch konservativ bis reaktionär. Denn wir sollen, im Gegensatz zum ersten „Anchorman“, einen Haufen Idioten bewundern und ihre Leistungen für das Nachrichtenwesen gut finden. Sogar Veronica Corningstone, die immer eine echte Journalistin werden wollte, ergibt sich dem Charme der Nicht-Nachrichten. Sie verrät alles, wofür sie bisher stand und was ihr wichtig war, während aus dem Trottel Burgundy der unumstrittene Held und Prophet wird, der niemals kritisch hinterfragt wird. Von Demontage, wie im ersten „Anchorman“-Film, wollen wir überhaupt nicht reden. Genau dieser – von den Machern vielleicht nicht beabsichtigte – Subtext vermieste mir den ganzen Film.

Da helfen dann auch nicht mehr die hübsch geschmacklosen Klamotten, etliche gelungen Gags (aber es gibt auch misslungene Gags und Leerlauf) und Reminiszensen an den ersten Film, der auch in erster Linie als Gagparade funktionierte.

Anchorman 2 - Teaser

Anchorman – Die Legende kehrt zurück (Anchorman 2: The Legend continues, USA 2013)

Regie: Adam McKay

Drehbuch: Adam McKay, Will Ferrell

mit Will Ferrell, Steve Carell, Paul Rudd, David Koechner, Christina Applegate, Meagan Good, James Marsden, Josh Lawson, Kristen Wiig, Dylan Baker, Judah Nelson, Greg Kinnear, Harrison Ford, Sacha Baron Cohen, Marion Cotillard, Will Smith, Kirsten Dunst, Jim Carrey, Steve Coulter, Tina Fey, Liam Neeson, John C. Reilly, Vince Vaughn, Kanye West (das meiste sind Cameos und sicher hab ich einige vergessen)

Länge: 119 Minuten

FSK: ?

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“

Moviepilot über „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“

Metacritic über „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“

Rotten Tomatoes über „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“

Wikipedia über „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“ (deutsch, englisch)