Ghost Dog – Der Weg des Samurai (USA 1999, R.: Jim Jarmusch)
Drehbuch: Jim Jarmusch
Poetisch-meditativer, mit Hip-Hop-Klängen unterlegter Gangsterfilm über einen nach dem Kodex der Samurai lebendem Killer, der auf die Abschussliste seiner Auftraggeber gerät. Jarmusch ist dabei gänzlich desinteressiert an der Story, aber sehr interessiert an dem Spiel mit Stimmungen, Symbolen, Zeichen und Motiven.
„Durch ‘Ghost Dog’ hindurch blicken wir wie durch ein Vergrößerungsglas in die Filmgeschichte. (…) Mit ‘Ghost Dog’ variiert Jarmusch einmal mehr sein Lieblingsthema, die Differenz der Kulturen und die wunderbaren, auch komischen Momente, die durch den Zusammenstoß verschiedener Mentalitäten entstehen können. Besonders bizarr sieht seine filmische Synthese von HipHop und italienischer Vorstadt-Mafia aus.“ (Nils Meyer in Rolf Aurich/Stefan Reinecke, Hrsg.: Jim Jarmusch, 2001 – ein empfehlenswertes Buch)
mit Forest Whitaker, John Tormey, Cliff Gorman, Henry Silva, Isaach de Bankolé, Gary Farmer, The RZA (Cameo; er schrieb auch die Musik)
„Man of Tai Chi“, das Regiedebüt von Keanu Reeves ist ein überraschend gelungener Film, ohne ein guter Film zu sein. Denn die Geschichte von Chin Lin-Hu, aka „Tiger Chen“, ist erschreckend vorhersehbar und altbekannt. Unser Held ist ein grundsympathischer, herzensguter junger Mann, der sich in Beijing als Kurier über Wasser hält und ein begeisterter Tai-Chi-Schüler ist. Tai Chi ist ein Kampfsport, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er nicht als Kampfsport, sondern als Meditation, praktiziert wird. Das predigt Master Yang seinem einzigen Studenten in seinem historischen Tempel immer wieder. Aber Tiger Chen möchte die Botschaft des Tai Chi in die Welt tragen. Er nimmt an einem Wettbewerb teil und gewinnt. Sein Lehrer ist enttäuscht. Donaka Mark, ein unglaublicher reicher Kapitalist, ist begeistert. Er möchte Tiger Chen als Kämpfer in seinen illegalen Untergrundkämpfen (Doppelt gemoppelt? Nun, so subtil ist der Film.) haben und beginnt Tiger Chen mit Geld und Versprechen zu manipulieren. Immerhin könne er doch jetzt endlich den Menschen, die er liebt, helfen und auch den vom Abriss bedrohten Tempel, in dem er Tai Chi praktiziert, retten.
Gleichzeitig wird Mark von Suen Jing-Si, einer unbestechlichen Hongkong-Polizistin, die sich auf der Jagd nach ihm auch über Vorschriften hinwegsetzt, verfolgt. Denn Mark hat die unangenehme Gewohnheit, Kämpfer, die ihn enttäuschen, umzubringen. Zum Beispiel wenn sie am Ende eines Kampfes den Verlierer nicht töten.
Nein, einen Innovationspokal wird „Man of Tai Chi“ nicht erhalten. Die Geschichte bewegt sich durchgängig auf dem Niveau einschlägiger Hongkong-Filme, in denen artistische Kampfszenen, weshalb man sich die Filme ansieht, mit einer grenzdebilen Geschichte und idiotischen Dialogen erzählt werden.
Aber Keanu Reeves erzählt sie flott, es gibt einige interessante Aufnahmen, die Schauspielerführung ist gut, Reeves als wirklich böser Bösewicht überzeugt und – auch in diesem Fall der Grund um sich den Film anzusehen – die Kämpfe sind gut inszeniert und Leben vom Können der Kämpfer, die, wie Hauptdarsteller Tiger Hu Chen, schon bei den „Matrix“-Filmen als Stuntmänner dabei waren. Damals trainierte Tiger Hu Chen Keanu Reeves. Seitdem sind sie befreundet.
Nur der Schlusskampf, wenn Tiger Chen und Keanu Reeves sich gegenüberstehen, ist als Kampf vollkommen unglaubwürdig, aber in der Logik des kindischen Drehbuchs begründet.
Insgesamt macht Keanu Reeves das Beste aus dem Material indem er einen altmodisches B-Picture, von dem niemand irgendetwas erwartet, inszeniert und er so die Erwartungen übertrifft.
Man of Tai Chi (Man of Tai Chi, USA/Volksrepublik China 2013)
Regie: Keanu Reeves
Drehbuch: Michael G. Cooney
mit Tiger Hu Chen, Keanu Reeves, Karen Mok, Hai Yu, Simon Yam
Woher wissen Vampire, wie sie sich verhalten müssen? Eine schwierige Frage, die aber bislang nicht besonders beachtet wurde. Irgendwie waren die Gebissenen entweder nach dem Vampirbiss tot oder sie wussten es einfach.
Heute ist das alles etwas komplizierter und wenn es dann noch eine große Mythologie mit Vampiren verschiedenen Grades und verschiedener Fähigkeiten und einem Dutzend königlicher Familien gibt, wie in den „Vampire Academy“-Young-Adult-Büchern von Richelle Mead, dann lohnt sich ein bildungsfördernder Schulbesuch. Denn bei Meads gibt es nicht nur Vampire und Menschen, sondern Moroi und ihre Bodyguards, die Dhampire, die eine Mischung aus Vampir und Mensch sind, die Strigoi, die wirklich bösen Vampire (die nie auf die Schule gehen), und halt noch die Menschen. Außerdem gelten viele der altbekannten Regeln, wie die mit dem Sonnenlicht, nicht mehr.
Also lohnt sich für die guten Vampire ein Besuch in der „Vampire Academy“, die irgendwo im Wald liegt, hübsche historische Gebäude und einen durchaus unklaren Internetanschluss hat. Menschen sind nicht in dieser Schule.
Weil das Drehbuch von Daniel Waters ist, weckt der Film Erwartungen, die er nie einlöst. Er schrieb auch die Bücher für die mit dem Edgar-Allan-Poe-Award ausgezeichnete schwarze High-School-Komödie „Heathers“, „Ford Fairlane“, „Hudson Hawk“, „Batmans Rückkehr“ und „Demolition Man“ und in den Filmen gab es immer etwas zum Lachen. Aber in „Vampire Academy“, der als High-School-Komödie unter Vampiren beworben wird (was eigentlich ein todsicheres Rezept für eine gelungene Komödie ist), gibt es nichts zu lachen. Erschreckend unkomisch und unkonzentriert wird die Geschichte von Lisa Dragomir (aka Prinzessin Vasilisa Dragomir), der künftigen Herrscherin der Vampire, und ihrer Beschützerin Rose Hathaway erzählt. Als sie nach ihrer Flucht zurück zur Vampire Academy gebracht werden, geschehen Dinge, die etwas mehr als die üblichen Schulstreiche sind und sie glauben, dass es um etwas größeres geht.
Nun, ich verrate nichts überraschendes, wenn ich sage, dass die Mädels recht haben.
Allerdings ist die Story ein einziger Mischmasch aus zusammengeklauten Teilen, die einfach, wie Unterrichtsstunden, nebeneinander drapiert werden: etwas Vampirfilm, etwas Schulkomödie, etwas Liebesfilm, einige Kämpfe (keine Schule ohne Sportunterricht und Schulhofkeilerei) und eine ebenso ausufernde wie uninteressante Mythologie im Geschichtsunterricht. Dabei kann der Film sich nie entscheiden was er sein will und was er erzählen will. Eher schon, was er nicht will, indem er zielsicher die schlechtesten Elemente aus den bekannten Filmen und Serien, die einem zu dem Thema sofort einfallen, nimmt und alle Möglichkeiten, die in dem durchaus interessantem Stoff und der Ausgangsidee liegen, verschenkt. Nach dem Besuch der „Vampire Academy“ erscheinen die ebenfalls nicht besonders gelungenen „Percy Jackson“-Filme, in denen in der Gegenwart ein griechischer Halbgott in die Schule geschickt wird, wie Meisterwerke der Filmkunst.
Nur in einem Punkt ist die ungenießbare „Vampire Academy“ interessant. Während in den erfolgreichen Vampirschmonzetten die Mädels immer nur schmachtend nach Mr. Right suchen und ihn züchtig anhimmeln, wird hier – wir reden von einem Mainstream-Film – erfrischend unbefangen mit dem Thema „Sex“ umgegangen und Rose bietet sich ihrer Freundin immer wieder und ohne negative Folgen als Blutlieferantin an. Das ist dann eine doch sehr offensichtliche Metapher für lesbischen Sex.
Das Ende des Films spekuliert zwar schamlos auf einen zweiten Teil, der sich nach dem enttäuschenden Kinoumsatz in den USA die Fortsetzung erledigt haben dürfte.
Was bisher geschah: Als TV-Serie lief „Veronica Mars“ von 2004 bis 2007 im US-TV und sie hatte eine überschaubare, aber sehr treue Fanbasis, zu der auch Stephen King und Ed Brubaker gehörten. In der Serie ist die Heldin eine Privatdetektivin, die auch Schülerin ist und das Ganze wird aus der Hardboiled-Noir-Perspektive, mit einer Prise Humor, erzählt. Eine einfache, aber ziemlich geniale Idee.
Im deutschen TV lief die Serie ab 2006 im ZDF. Zuerst am Samstag Nachmittag, dann Freitag Nacht, beide Male gut versteckt, mit wechselnden Anfangszeiten, vor einem überschaubarem Publikum, das nicht das Zielpublikum der Serie, nämlich Teenager, war. Ich gab bei dieser „Sopranos“-würdigen Programmierung schnell auf.
Nach dem Ende der Serie ließ die Beliebtheit von „Veronica Mars“ nicht nach, die Macher und Schauspieler wurden immer wieder auf die Serie angesprochen – und als Serienerfinder Rob Thomas auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter eine Seite veröffentlichte, um das echte Interesse der Fans an einer „Veronica Mars“-Neuauflage zu testen, war, wie bei „Stromberg“, das Spendenziel schnell erreicht. Genaugenommen sollten bei der Kickstarter-Kampagne zwei Millionen Dollar gesammelt werden. Das erreichten sie innerhalb eines Tages. Am Ende wurden es 5,7 Millionen, die Kampagne brach sämtliche Rekorde und einem „Veronica Mars“-Spielfilm, der neun Jahre nach dem Ende der Serie spielt, stand nichts mehr im Weg.
Die Gegenwart: Veronica arbeitet schon lange nicht mehr als Privatdetektivin. Sie hat ihr Studium abgeschlossen, einen gut dotierten Job in einer Kanzlei in Manhattan in Aussicht und sie hat einen Freund. So einen richtig braven Typen. Kurz: ihr Leben verläuft endlich in ruhigen und gesitteten Bahnen. Da erfährt sie, dass Bonnie DeVille, früher Klassenkameradin, später Sängerin, ermordet wurde und ihr Ex-Freund Logan verdächtigt wird, sie getötet zu haben. Veronica fliegt von der Ostküste zurück nach Neptune, Kalifornien. Eigentlich will sie Logan nur bei der Suche nach einem Anwalt helfen, aber dann beginnt sie doch mit der Mörderjagd.
Außerdem steht das zehnjährige Klassentreffen an, bei dem sie unter keinen Umständen dabei sein will.
Aber auch ohne das Klassentreffen (bei dem sie – das ist jetzt nicht wirklich überraschend – teilnimmt) ist der Spielfilm „Veronica Mars“ vor allem eine Begegnung mit alten Bekannten, die man mehrere Jahre nicht gesehen hat, und die man jetzt, wenn man wieder seinen Heimatort besucht, wieder trifft, sich mit ihnen über die Vergangenheit und die Gegenwart, in der die damaligen Träume an der Gegenwart gemessen werden, unterhält und bemerkt, was sich in den vergangenen Jahren veränderte. In der „Red Harvest“-Kommune Neptune veränderte sich wenig und die Seriennostalgie wird auch dadurch befördert, dass viele alte Serienbekannte wieder dabei sind.
Diese Reunion ist dann schon fast wichtiger als der vernachlässigbare Fall – und knüpft nahtlos an die „Veronica Mars“-TV-Serie an, die ja auch immer ein selbstironischer und stilbewusster Clash zwischen Teenager-Drama und Hardboiled-Privatdetektivkrimi (inclusive dem Voice-Over) ist und die Fälle (jedenfalls in den mir bekannten Episoden) eher mau sind.
Auch optisch bewegt sich „Veronica Mars“ immer auf dem gewohnten TV-Standard, der auf der Kinoleinwand doch etwas deplatziert wirkt.
So ist der Spielfilm nur eine überlange Auftaktepisode für eine neue „Veronica Mars“-TV-Serie, die auch als Einzelfilm, als Nachklapp zur Serie, eigentlich ins Fernsehen gehört, aber wegen der Vorgeschichte im Kino läuft.
„Veronica Mars“ ist von der ersten bis zur letzten Minute Fanservice, der kaum geeignet ist, neue Fans zu gewinnen.
Die Zukunft: In jedem Fall erscheint am 25. März der Roman „The Thousand Dollar Tan Line“ von Rob Thomas und Jennifer Graham. Es ist er erste „Veronica Mars“-Roman einer geplanten Serie und er spielt nach dem Ende des Films. Eine deutsche Übersetzung ist noch nicht angekündigt.
Veronica Mars (Veronica Mars, USA 2014)
Regie: Rob Thomas
Drehbuch: Rob Thomas, Diane Ruggiero (nach einer Geschichte von Rob Thomas)
mit Kristen Bell, Jason Dohring, Krysten Ritter, Ryan Hansen, Francis Capra, Percy Daggs III, Chris Lowell, Tina Majorino, Enrico Colantoni, Sam Huntington, Jerry O’Connell, Jamie Lee Curtis, James Franco
Broken Flowers – Blumen für die Ex (USA/Frankreich 2005, R.: Jim Jarmusch)
Drehbuch: Jim Jarmusch (inspiriert von einer Idee von Bill Raden und Sara Driver)
Don Johnston (Stoneface Bill Murray) lungert nur noch in seiner Wohnung herum und träumt von seinen früheren Frauen. Eines Tages erhält er einen anonymen Brief, in dem steht, dass er einen 19-jährigen Sohn habe. Don, der bislang von seinem Vaterglück nichts wusste, macht sich auf den Weg quer durch die USA zu seinen alten Freundinnen, die er seit Ewigkeiten nicht gesehen hat und von denen eine die Mutter sein muss.
Jim Jarmusch erhielt für sein lakonisches Road-Movie über verpasste Chancen den Großen Preis der Jury in Cannes, einige weitere Preise, viel Kritikerlob – und an der Kinokasse lief der Film auch gut.
Mit Bill Murray, Julie Delpy, Jeffrey Wright, Sharon Stone, Frances Conroy, Chloë Sevigny, Jessica Lange, Tilda Swinton
Als die schwarzhumorige Irvine-Welsh-Verfilmung „Drecksau“, mit James McAvoy (Wanted, Trance – Gefährliche Erinnerung, X-Men: Erste Entscheidung) war ich ziemlich begeistert über diesen vollkommen durchgeknallten Polizisten mit der verschobenen Selbstwahrnehmung.
Nein, zum Vorbild taugt Detective Sergeant Bruce Robertson (James McAvoy) nicht. Er ist auch kein Aushängeschild für die Polizei von Glasgow. Er ist ein egozentrisches, überhebliches, frauenverachtendes, reaktionäres Arschloch, das zwischen Drogenkonsum, Onanieren, Schulhofintrigen und Sex mit allen Frauen, die seinem Charme erliegen oder, weil sie Minderjährig sind, von ihm dazu erpresst werden, noch schnell einige obszöne Anrufe tätigt und, immerhin ist der Film, wie Irvine Welshs Roman, aus Robertsons Perspektive erzählt, alle anderen für Idioten, Trottel oder Spastis hält. Deshalb steht nur ihm die Beförderung zum Detective Inspector zu. Und den Mordfall an dem Japaner wird er auch mit links lösen. Es gibt ja genug Typen, die einen Knastaufenthalt verdient haben.
So malt sich Bruce Robertson seine Welt aus. Dummerweise sehen die anderen ihn nicht als glorreichen Helden, sondern als Drogenwrack, das in psychiatrischer Behandlung ist; wobei einige dieser Sitzungen bei Dr. Rossi auch in seinem Kopf stattfinden könnten. Aber diese Irritationen, wozu auch die pulpigen Auftritte seiner Frau gehören, schleichen sich langsam in die Geschichte ein und lassen – im Film früher und subtiler als im Roman – immer mehr an der Zuverlässigkeit des Erzählers zweifeln.
Jon S. Bairds rabenschwarze, satirisch überspitze, surreale Komödie ist, knapp gesagt, „Trainspotting“ im Polizeimilieu und Bairds Film muss den Vergleich mit Danny Boyles Klassiker nicht scheuen. Außerdem ist die Vorlage für beide Filme von Irvine Welsh. Mit „Drecksau“ schrieb er einen Polizeiroman, der an die düsteren britischen Polizeikrimis von G. F. Newman anknüpft, der in seinen Inspector-Sneed-Romanen (auch bekannt als Bastard-Romane) die Welt der Polizei als korrupten Augiastall porträtiert. Und natürlich ist Robertson das britische Gegenstück zu dem namenlosen Polizisten (Harvey Keitel) in Abel Ferraras „Bad Lieutenant“ (1992), dessen Drogenkonsum auch beachtlich war.
Die Änderungen zum mit vierhundertfünfzig Seiten zu langen Roman sind eher miminal. Statt in Edinburgh spielt die Geschichte in Glasgow, aus dem ermordeten Afrikaner wurde ein ermordeter Japaner, aus der Sauftour nach Amsterdam wurde ein Hamburg-Besuch, aus dem Bandwurm, der im Roman das Geschehen kommentiert, wird im Film ein sich sehr seltsam benehmender Psychiater, es wurde einiges weggelassen, bei den Frauen gibt es einige Änderungen, die aber den Film nicht weniger schwarzhumorig-zynisch machen als die Vorlage und sie sogar verbessern. Denn Jon S. Baird bleibt dem Geist der Vorlage treu und porträtiert einen wirklich abstoßenden Polizisten, der dank der beachtlichen Leistung von James McAvoy, sogar einige fast schon sympathische Seiten hat.
Inzwischen erhielt McAvoy den British Independent Film Awards als bester Schauspieler und auch beim zweiten Ansehen macht die Komödie Spaß. Eigentlich sogar noch mehr als beim ersten Sehen.
Das Bonusmaterial
Das Bonusmaterial ist überschaubar und mit ungefähr vierzig Minuten auch nicht besonders umfangreich ausgefallen. Die meiste Zeit nehmen dabei gut 15 Minuten Interviewschnipsel mit James McAvoy und etwas über elf Minuten mit Jon S. Baird ein. Der Regisseur und Drehbuchautor verrät einige Hintergründe über seine Entdeckung des Romans, wie er sich die Rechte sicherte und das Drehbuch schrieb. Gute sechs Minuten gehen dann noch für die B-Roll drauf.
In der UK-Fassung gibt es außerdem einen Audiokommentar von Jon S. Baird, ein über zwanzigminütiges Interview mit Irvine Welsh, mehrere geschnittene und erweiterte Szenen.
Drecksau (Filth, Großbritannien 2013)
Regie: Jon S. Baird
Drehbuch: Jon S. Baird
LV: Irvine Welsh: Filth, 1998 (Drecksau)
mit James McAvoy, Jamie Bell, Imogen Poots, Eddie Marsan, Jim Broadbend, Gary Lewis, Shirley Henderson
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DVD
Ascot Elite
Bild: 2.40:1/16:9 (PAL)
Ton: Deutsch (DTS, Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch
Bonusmaterial: Interviews mit James McAvoy, Jamie Bell, Imogen Poots, Jon S. Baird, Featurette, B-Roll, Trailer (englisch, deutsch
Länge: 94 Minuten
FSK: ab 16 Jahre
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Die Vorlage
Irvine Welsh: Drecksau
(übersetzt von Clara Drechsler und Harald Hellmann)
Tatort: Der Mann auf dem Hochsitz (D 1978, R.: Ulrich Neureuther)
Drehbuch: Richard Hey
LV: Richard Hey: Feuer unter den Füßen, 1984
Wurde ein Jäger auf seinem Hochsitz von einem Italiener angeschossen? Kommissarin Buchmüller ermittelt.
Nicole Heesters gebührt der Verdienst, die erste „Tatort“-Kommissarin (und die erste deutsche TV-Kommissarin) gewesen zu sein. Insofern ist sie das Vorbild für alle weiteren Kommissarinnen.
„Nicole Heesters verleiht ihrer Figur eine Art weltäufige Eleganz, sie erscheint klar, kühl und ohne Falsch. Gefühle kommen bei der Grand Dame des Verbrechns nur wohldosiert zum Tragen. Sie besteht auf einer klaren Trennung zwischen Beruf und Privatleben. (…) Im Subtext von ‚Der Mann auf dem Hochsitz’ geht es um das Scheitern von traditonellen Rollenvorgaben. (…) Das vielschichtige Gesellschaftsporträt von Autor Richard Hey gibt einen gelungenen Rahmen für den ersten Auftritt der Kommissarin ab.“ (Sabine Holtgreve: Supergirls – Die Geschichte der TATORT-Kommissarinnen, in Eike Wenzel, Hrsg.: Ermittlungen in Sachen TATORT, 2000)
Richard Hey verarbeitete später sein Drehbuch zum Roman „Feuer unter den Füßen“, der sich (so meine Erinnerung) zu stark auf die teilweise lange zurückreichenden Beziehungen der einzelnen Charaktere konzentriert, um als Krimi noch zu überzeugen.
Mit Nicole Heesters, Peter Nassauer, Jörg Fallheier, Stephan Orlac, Klaus Höhne (Gastauftritt als Kommissar Konrad)
Mit Jesse Stone, dem Polizeichef von Paradise, einem Kaff in Massachussetts in Sichtweite von Boston, erfand Spenser-Erfinder Robert B. Parker einen zweiten, bei seinen Lesern äußerst beliebten Serienhelden, der sich in einigen wichtigen Punkten von seinem in jeder Beziehung vorbildlichem Privatdetektiv Spenser unterscheidet.
Jesse Stone war in Los Angeles Mordermittler mit einem massiven Alkoholproblem, das ihn dort untragbar machte. In Paradise fand er einen neuen Job, den er vor allem bekam, weil er ein Trinker ohne Perspektive war. Die Stadtväter dachten, sie hätten einen Polizisten, der sie bei ihren Geschäften nicht stört. Sie irrten sich und in dem ersten Jesse-Stone-Roman „Das dunkle Paradies“ räumt er, in guter alter Wildwest-Tradition als neuer Sheriff in dem Ort ordentlich auf.
Danach schrieb Parker acht weitere Jesse-Stone-Romane, Michael Brandman, der in etliche Parker-Verfilmungen involviert war, schrieb nach Parkers Tod bislang drei Jesse-Stone-Romane. Für literarischen Nachschub ist also gesorgt. Und dann gibt es noch acht sehr gelungene Jesse-Stone-TV-Spielfilme mit Tom Selleck in der Hauptrolle, die immer wieder im TV laufen.
Jetzt veröffentlichte der Pendragon Verlag mit „Die Tote in Paradise“ (leider ist der doppeldeutige Originaltitel „Death in Paradise“ unübersetzbar) und „Eiskalt“ den dritte und vierte Jesse-Stone-Roman auf Deutsch.
In „Die Tote in Paradise“ wird im Wasser eine stark verweste Frauenleiche entdeckt. Es dauert eine Zeit bis Jesse Stone ihren Namen ermittelt. Billie Bishop wurde von ihren Eltern verstoßen, war eine Prostituierte und hatte über ihren Zuhälter Verbindungen zu dem Mafiosi Gino Fish, der auch in Robert B. Parkers Spenser-Romanen auftaucht.
„Die Tote in Paradise“ ist ein traditioneller Rätselkrimi mit einem sich im letzten Drittel deutlich abzeichnendem Täter und bekannten Parker-Themen. Immerhin geht es hier, mal wieder, um die Erziehung von Kindern, um Macht und Kontrolle in Beziehungen.
„Eiskalt“ ist dagegen vom Aufbau her ein Thriller, bei dem die Täter von Anfang an bekannt sind. Nämlich das Ehepaar Tony und Brianna Lincoln, das munter die Bevölkerung von Paradise dezimiert und kaum Spuren hinterlässt. Denn natürlich findet Jesse Stone mit guter, ehrlicher Polizeiarbeit Hinweise auf die Täter, aber gerichtsfeste Beweise hat er nicht. Da bemerkt er, dass sie ihn umbringen wollen.
Das klingt jetzt nach einem ordentlichen Thriller, aber „Eiskalt“ plätschert erstaunlich spannungsfrei vor sich hin, während Stone noch seine alltägliche Polizeiarbeit erledigt (unter anderem hilft er einer vergewaltigten Schülerin) und eine Affäre mit der ebenfalls aus den Spenser-Romanen bekannten Anwältin Rita Fiore beginnt.
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Robert B. Parker: Die Tote in Paradise
(übersetzt von Bernd Gockel)
Pendragon 2014
312 Seiten
10,99 Euro
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Originalausgabe
Death in Paradise
G. P. Putnam’s Son, 2001
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Verfilmung
Jesse Stone: Totgeschwiegen (Jesse Stone: Death in Paradise, USA/Kanada 2006)
Regie: Robert Harmon
Drehbuch: J.T. Allen, Tom Selleck, Michael Brandman
mit Tom Selleck, Matt Barr, Edward Edwards, Viola Davis, John Diehl, William Devane
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Robert B. Parker Eiskalt
(übersetzt von Bernd Gockel)
Pendragon 2014
352 Seiten
10,99 Euro
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Originalausgabe
Stone Cold
G. P. Putnam’s Son, 2003
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Verfilmung
Jesse Stone: Eiskalt (Jesse Stone: Stone Cold, USA 2005)
Regie: Robert Harmon
Drehbuch: John Fasano, Michael Brandman
Mit Tom Selleck, Jane Adams, Reg Rogers, Mimi Rogers
Fukushima – Nichts ist, wie es war (Deutschland 2014, R.: Patrick Hörl, Kei Matsumot)
Drehbuch: Patrick Hörl, Kei Matsumoto
Zum dritten Jahrestag der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima zeigt der BR diese spielfilmlange Doku und, danach, um 00.20 Uhr „Meine Tante aus Fukushima“ und um 01.35 Uhr „Die Welt danach“.
Zwei Millionen Menschen verloren damals ihre Heimat und auch heute ist in dem Katastrophengebiet noch nicht allzu viel geschehen.
Der BR über die Doku: Drei Jahre nach der sichtbaren Katastrophe bemächtigen sich die wahren Folgen des Desasters der Region und ihrer Menschen. Mehr noch als die kalten Fakten des „Unfalls“ beleuchtet der Film das Trauma, das die Menschen dort erlebt haben und immer noch erleiden. In diesem Film geht es um die emotionalen Folgen eines Unglücks, das mit einer Naturkatastrophe begonnen hat, um sich in die oft unsichtbaren Auswirkungen einer bis heute anhaltenden Nuklearkatastrophe zu steigern.
Die Konsequenz (Deutschland 1977, R.: Wolfgang Petersen)
Drehbuch: Alexander Ziegler, Wolfgang Petersen
LV: Alexander Ziegler: Die Konsequenz, 1975
Selten gezeigter Film, der heute einen aufschlussreichen Blick in die Vergangenheit wirft und der damals ein veritabler Skandal war, der den Zuschauern in Bayern vorenthalten wurde, weil der Bayerische Rundfunk sich aus der ARD-Erstausstrahlung am 8. November 1977 ausklinkte. Das hatte der BR damals, als es pro Bundesland nur drei TV-Programme gab, öfter gemacht, um das schöne Bayernland vor Schmuddelkram und falschen Meinungen zu schützen. Wenige Tage nach der TV-Ausstrahlung lief der von Bernd Eichinger produzierte Film im Kino.
Wolfgang Petersen (noch vor „Das Boot“ und seinem Gang nach Hollywood) erzählt die Liebesgeschichte von Martin, der sich im Gefängnis in den sechzehnjährigen Thomas, den Sohn eines Gefängniswärters, verliebt. Als Thomas‘ Eltern davon erfahren, schicken sie ihren Sohn in ein Erziehungsheim. Dort soll ihm das Schwulsein ausgetrieben werden.
„Der Film berührt da am unmittelbarsten, wo er am peinlichsten hätte entgleisen können: in der Beziehung Mann-Mann.“ (Klaus Umbach, Der Spiegel)
„Die Konsequenz“, ein Aufruf zur Toleranz, war einer der wichtigen Filme für die Selbstfindung der deutschen Homosexuellen in einer repressiven Gesellschaft.
mit Jürgen Prochnow, Ernst Hannawald, Walo Lüönd, Edith Volkmann, Alexander Ziegler
Carmen und Wayne Colson beobachten den indianischstämmigen Auftragskiller Armand bei einem Verbrechen. Sie werden in des Zeugenschutzprogramm des FBI gesteckt. Aber Armand sucht sie weiter.
Ein interessanter Torso, der den Ton von Elmore Leonard ziemlich gut trifft und der nach dem Dreh so heftig umgeschnitten wurde, dass unklar ist, ob die Fehler des Films schon in der ersten Fassung vorhanden waren oder erst später hinzu kamen. Jedenfalls würde ich von diesem Film gerne einen Director’s Cut sehen.
mit Mickey Rourke, Diane Lane, Thomas Jane, Joseph Gordon-Levitt, Hal Holbrook, Rosario Dawson
Mary Poppins kennen wir alle. Jedenfalls das Musical aus dem Hause Walt Disney. Auch die Songs, wie „A Spoonful of Sugar“, „Chim Chim Cheree“, „Feed the Birds“, „Let’s go fly a Kite“ und natürlich „Supercalifragilisticexpialidocious“. Aber den Roman von P. L. Travers, der die Vorlage für „Mary Poppins“ war, dürften nur wenige kennen. Er und auch die anderen „Mary Poppins“-Bücher sind derzeit auf Deutsch nicht erhältlich. Und den Kampf zwischen P. L. Travers und Walt Disney, bevor sie die Verfilmungsrechte verkaufte, kennen wir nicht. Denn Valerie Lawsons Buch „Out of the Sky she came: The Life of P. L. Travers“ und Ian Collies TV-Dokumentation „The Shadow of Mary Poppins“, die sich auch mit der Entstehung des Films damit beschäftigten, sind neueren Datums und wurden nicht in Deutschland veröffentlicht. Sie dienten, neben dem Disney-Archiv, als Quellen für „Saving Mr. Banks“, einer ziemlich wahren Dramedy, die zeigt, wie vor den Dreharbeiten Welten aufeinander prallten. Auf der einen Seite war Walt Disney, ein erfolgreicher Produzent, der seinen Kindern versprach, „Mary Poppins“ zu verfilmen und in seinen Filmen für Kinder alles in Rosarot zeichnete. Zwanzig Jahre lang fragte er Travers immer wieder, ob er „Mary Poppins“ verfilmen dürfe. Die steife Engländerin lehnte standhaft ab, bis sie Anfang der sechziger Jahre Geld benötigte.
1961 fliegt sie für einige Tage nach Hollywood. Disney will ihr zeigen, dass er ihren Charakter ernsthaft und feinfühlig behandeln wird. Er sichert ihr sogar zu, dass sie beim Drehbuch das letzte Wort habe. Travers hasst alles an Hollywood: die fröhliche Mentalität, das mit Disney-Plüschtieren vollgestopfte Hotelzimmer, die ständige Dutzerei („Walt, you gotta call me Walt, ya know.“) und das Wetter, das sie an ihre Jugend 1906 in Australien erinnert. Vor allem an ihre grenzenlose Bewunderung für ihren Vater, einen begnadeten Geschichtenerzähler, Hallodri und Alkoholiker. Ihr so urbritisches Kindermädchen Mary Poppins, das die Banks-Kinder erziehen soll, ist nämlich die verklärte Version ihrer eigenen Kindheit, die sie vom heißen Australien in ihr geliebtes London verlegte. Und weil sie ihre Erinnerungen nicht von Hollywood verunstaltet lassen will, ist ihr typisch britisches Verhalten, gepaart mit Zickigkeit und Rechthaberei, für den Drehbuchautor Don DaGradi und die beiden Komponisten Richard und Robert Sherman eine Tortur, von der – auf ihren Wunsch – Tonbänder existieren. Denn egal was sie tun, es ist falsch. Es wurden die falschen Schauspieler ausgewählt, die Lieder der Sherman-Brüder lehnte sie rundheraus ab, Animationen passten auch nicht zu ihrer Mary Poppins, der Familienvater Mr. Banks sollte in einem positiven Licht erscheinen und sie verbat sich auch die Farbe Rot. Dazwischen korrigierte sie penibel die Grammatik und das Versmaß und selbstverständlich lehnte sie Neologismen ab. Schon bei „responstable“ meinte sie, das sei kein Wort. Das war noch bevor sie „ Supercalifragilisticexpialidocious“ sah. Mit ihrem asozialen Verhalten verstörte sie Walt Disney und seine Angestellten.
Nur ihr Fahrer, ein immer gut gelaunter Familienvater, scheint mit ihr auszukommen. Jedenfalls lässt er sich von ihren schnippischen Bemerkungen nicht die Laune verderben.
John Lee Hancock erzählt, nach einem vorzüglichem Drehbuch von Kelly Marcel und Sue Smith, in „Saving Mr. Banks“ kurzweilig und humorvoll die Geschichte dieses Kampfes zwischen zwei Egos (grandios gespielt von Tom Hanks und Emma Thompson) um widerstreitende künstlerische Visionen. Denn selbstverständlich sind die Charaktere auch ein Teil ihres Erfinders, aber die Leser und Zuschauer eignen sie sich wiederum anders an. So gibt es in dem Film P. L. Travers, die ihre Erfindung beschützen will, Walt Disney, der sie der ganzen Welt geben will und einen anderen Blick auf Mary Poppins hat als P. L. Travers. Und es gibt, als Stellvertreter für ihre Fans, Travers‘ Fahrer, für den die Erlebnisse von Mary Poppins eine ganze besondere Bedeutung haben, die nichts mit der ursprünglichen Intention von Travers zu tun haben. Dabei nimmt Hancock sich, vor allem gegen Ende des Films einige Freiheiten. So war P. L. Travers nicht besonders begeistert von der Verfilmung, an der sie, dank einer prozentualen Beteiligung, prächtig verdiente. Und die Erinnerungen an ihre Kindheit sind auch eher kitschig geraten.
Davon abgesehen ist „Saving Mr. Banks“ prächtiges Schauspielerkino, bei dem viele Interna aus den Disney-Studios, die ihnen von Insidern verraten wurden, verwandt wurden. Auch die Ausstattung entspricht anscheinend genau der Originalausstattung, weil die mitproduzierende Walt Disney Company, Zugang zu ihren Archiven gewährte und auch dafür sorgte, dass ein echter Walt-Disney-Film entstand.
Außerdem sieht man danach, mit einem breiten Lächeln, „Mary Poppins“ mit anderen Augen.
Saving Mr. Banks (Saving Mr. Banks, USA/Großbritannien/Australien 2013)
Regie: John Lee Hancock
Drehbuch: Kelly Marcel, Sue Smith
mit Emma Thompson, Tom Hanks, Colin Farrell, Paul Giamatti, Jason Schwartzman, Bradley Whitford, Ruth Wilson, B. J. Novak, Rachel Griffiths, Kathy Baker
Los Angeles, 1928: Ein Kind verschwindet. Als die Polizei es unverletzt nach fünf Monaten findet, behauptet die Mutter, dass das nicht ihr Sohn sei. Ist sie, wie die Polizei über die Nervensäge behauptet, verrückt oder versucht die Polizei etwas zu vertuschen?
Nach gut 140 Minuten ist diese Frage beantwortet.
Just another Period-Picture mit Stars, stilechter Ausstattung, Überlänge (oder Blockbuster-Länge) und, natürlich, basierend auf einem wahren Fall. Insgesamt okaye Unterhaltung.
Mit Angelina Jolie, Gattlin Griffith, John Malkovich, Jeffrey Donovan, Amy Ryan, Colm Feore
Apple (Nadja Uhl) schickt ihre Mutter Ingrid (Hannelore Elsner) in den spanischen Ort Torremolinos zur Reha. Wobei Reha nicht ganz richtig ist. Denn Ingrids Hotel ist keine mondäne Reha-Klinik, sondern ein All-Inclusive-Hotel, durch das sie sich nach einer Hüft-Operation mit Krücken mehr schlecht als recht bewegt. Den Rest besorgt ihre Laune. Denn, wie schon ihre wallenden Gewänder verraten, ist Ingrid eine Überlebende der Hippie-Ära, die jetzt unter genau den Spießern sitzt, zu denen sie nie gehören wollte. Wie dieser Helmut (Axel Prahl), ein aufdringliches Großmaul, das sich durch das Buffet frisst und mit einer Arschbombe für gute Laune sorgt. Nicht bei ihr. Mit der Transe Tina (Hinnerk Schönemann), die allabendlich dem deutschen Publikum per Playback Schlager serviert, kann sie ebenfalls nichts anfangen. So muss die Vorhölle aussehen.
Dabei war sie schon einmal in Torremolinos: als sie noch jung und schön war, in der deutschen Hippie-Kommune den schönsten Busen hatte, den freien Sex exzessiv praktizierte und ihre Tochter vernachlässigte.
In Doris Dörries neuem Film „alles inklusive“ sind gerade die dokumentarischen Impressionen aus dem All-inclusive-Hotel und die fein aufspielenden Schauspieler, mit einer grandiosen Sexszene zwischen Hannelore Elsner und Axel Prahl (und einer Gitarre als wichtigem Accessoire) äußerst gelungen. Auch die eher impressionistischen Rückblenden in die Vergangenheit, die die Hippie-Kommune als einen alternativen Club Med zeichnen, sind gut. Aber in ihrem episodischen Film verzettelt Dörrie sich schnell zwischen ihren Geschichten und Episoden. Denn sie erzählt auch von Tinas Versuchen, zusammen mit seiner Freundin, mit Betrügereien genug Geld zusammen zu bekommen, um aus Torremolinos zu flüchten. Außerdem ist Tina, also eigentlich Tim, der Sohn von einem ihrer früheren Liebhaber. Tims Vater wohnt, inzwischen ein Rentner, in Torremolinos in einem Seniorenheim – und selbstverständlich begegnen sie sich. Tim, der Ingrid abgrundtief hasst, ist davon natürlich nicht begeistert.
Als ob das noch nicht genug wäre, gibt es noch die Erlebnisse von Ingrids Tochter Apple in München. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hat sie ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis und ist überfürsorglich. Auch gegenüber ihrem Hund Dr. Sigmund Freud, den sie solange verhätschelte, bis er sich überhaupt nicht mehr bewegte. Sie verliebt sich auch sofort in Freuds Tierarzt Dr. Fellborn (Fabian Hinrichs), den sie bis zum gehtnichtmehr zuquasselt. Dieser Plot hat, bis auf das Ende, wenn Apple nach Spanien zu ihrer Mutter fährt, mit dem Hauptplot absolut nichts zu tun und könnte genausogut gestrichen werden. Was auch besser gewesen wäre. Denn Apples Geschichte ist erkennbar für die billigen, schnellen Lacher gedacht, die in eine dieser typischen deutschen Komödien (ich sage nur Schweighöfer) passen.
Im dritten Akt fliegt Apple dann nach Spanien – und alle Konflikte lösen sich länglich auf. Denn bevor sie alle friedlich bis an ihr Lebensende zusammenleben dürfen, werden ihnen noch einige Steinchen in den Weg geräumt.
„alles inklusive“ ist ein zu lang geratenes, sich verzettelndes, episodisches Werk über Eltern, Kinder, Beziehungen und Sex.
alles inklusive (Deutschland 2013)
Regie: Doris Dörrie
Drehbuch: Doris Dörrie
LV: Doris Dörrie: Alles inklusive, 2011
mit Hannelore Elsner, Nadja Uhl, Hinnerk Schönemann, Axel Prahl, Fabian Hinrichs, Peter Striebeck, Maria Happel, Robert Stadlober
Oft schreibe ich in meinen Besprechungen ja, welcher Schauspieler welche Rolle spielt. Bei Wes Andersons neuem Film „The Grand Budapest Hotel“ mache ich das nicht. Denn ein Teil des Spaßes beim Ansehen der Komödie ist es, Ralph Fiennes, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Adrien Brody, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Jude Law, Bill Murray, Edward Norton, Saoirse Ronan, Jason Schwartzman, Léa Seydoux, Tilda Swinton, Tom Wilkinson, Owen Wilson, Florian Lukas und Bob Balaban, in ihren teils cameohaften Auftritten, teils gut geschminkt oder mit Bart, zu erkennen. Außerdem steht das ja alles auf dem stylischen Plakat.
Ein weiterer Teil des Spaßes, jedenfalls für Filmfans, ist es, all die Anspielungen, Zitate und Reminiszenzen zu entdecken. In dem sicheren Gefühl, in dieser Sekunde gerade zwei verpasst zu haben. Denn „The Grand Budapest Hotel“ ist ein großartiger Spaß, in dem 1968 im nur noch schwach von seiner früheren Größe zehrendem Grand Budapest Hotel der seltsame Hotelbesitzer Zero Moustafa einem jungen Autor erzählt, wie er der Besitzer des mondänen Hotels wurde.
1932 begann er als Zero (und das war er damals) unter der strengen Fuchtel von Monsieur Gustave H., der als Chefconcierge gerade bei den älteren Damen sehr beliebt war, als Lobbyboy. Nach dem plötzlichen Tod der 84-jährigen Madame Céline Villeneuve Desgoffe und Taxis (kurz Madame D.), fahren sie zur Trauerfeier, haben ein unschönes Erlebnis an der Grenze, erfahren, dass Madame D. Monsieur Gustave ein wertvolles Gemälde vermachte und dass die aasigen Erben ihnen das Bild nicht gönnen. Monsieur Gustave und Zero stehlen es, flüchten zurück in das Grand Budapest Hotel und spätestens hier beginnt eine herrlich verwirrende Geschichte um Lug und Betrug, Mord, falsche Verdächtigungen und, wir ahnen es, Liebe, die so flott und so vergnüglich erzählt wird, dass man kaum zum Nachdenken kommt und auch überhaupt nicht über die Geschichte nachdenken will, denn eine wichtige Inspiration für die Filmgeschichte sind die Screwballkomödien und Serials der frühen dreißiger Jahre, in denen der Held von einer tödlichen Gefahr in die nächste stolpert. Erzählt wird das äußerst geschmackvoll und stilbewusst mit mehr als einem Hauch Billy Wilder und Ernst Lubitsch und einer Danksagung an Stefan Zweig, dessen Memoiren Anderson zu diesem Film inspirierten.
„The Grand Budapest Hotel“ ist ein sehr kurzweiliger, temporeicher Spaß voller Zitate, Witze und Überraschungen. Eine wahre cineastische Wundertüte, die man auch einfach als spritzige Komödie genießen kann.
The Grand Budapest Hotel (The Grand Budapest Hotel, USA/Deutschland 2014)
Regie: Wes Anderson
Drehbuch: Wes Anderson (nach einer Geschichte von Wes Anderson und Hugo Guiness)
mit Ralph Fiennes, Tony Revolori, F. Murray Abraham, Mathieu Amalric, Adrien Brody, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Jude Law, Bill Murray, Edward Norton, Saoirse Ronan, Jason Schwartzman, Léa Seydoux, Tilda Swinton, Tom Wilkinson, Owen Wilson, Florian Lukas, Bob Balaban, Lisa Kreuzer
Als Helmut Kohl 1990 von blühenden Landschaften sprach, die es in der DDR wieder geben sollte, dachte der damalige Bundeskanzler wahrscheinlich nicht an das, was Roland Blum in seiner Langzeitdokumentation „Mitgift“ zeigt. Nämlich Landschaften, in denen die Natur prächtig gedeiht und die Menschen in wunderschön restaurierten Innenstädten leben. Kohl und seine Zuhörer verstanden die „blühenden Landschaften“ als eine schiefe Metapher für einen rasanten ökonomischen Anschluss der DDR an die Bundesrepublik, Das war von der Wirklichkeit abgekoppeltes Wunschdenken. Denn damals war die DDR, nach den Statistiken, eine der führenden Industrienationen, die gerade ihre gesamten Absatzmärkte in Osteuropa verlor und deren Produkte gegenüber westlichen Produkten nicht konkurrenzfähig waren. Wer sich einen Golf kaufen konnte, verzichtete dankend auf einen Trabi. Die DDR war ein Unternehmen, das Produkte herstellte, die niemand mehr kaufen wollte. Da war ein Angleich der Ökonomien innerhalb weniger Jahre vollkommen illusionär und die Umweltkosten dieses dafür nötigen Wirtschaftswachstums wären enorm gewesen.
Damals, im Frühjahr 1990, zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung, begann Roland Blum die DDR zu erkunden. Denn jetzt konnten Journalisten aus dem Westen sich in der noch existierenden, aber sich in Auflösung befindenden DDR frei bewegen und mit den Menschen reden, die auch, weil sie keine staatlichen Repressionen mehr fürchteten, redeten. Und er filmte die Umweltzerstörung. Damals wurden Gifte und Chemikalien von Firmen einfach ins Wasser geleitet. Abgase verpesteten ganze Gegenden. Die Anwohner hatten sich daran gewohnt, dass das Trinkwasser ungenießbar war.
2000 und 2013 besuchte Blum wieder die Orte, an denen er 1990 die zerstörte Umwelt filmte. Er dokumentierte die Veränderungen und unterhielt sich teilweise wieder mit den gleichen Leuten.
Das ist durchaus interessant. Denn durch den direkten Vergleich fällt auch auf, wie sehr sich die Umwelt in der ehemaligen DDR in den vergangenen Jahrzehnten verbesserte. Wie wirklich blühende Landschaften entstanden.
Aber nachdem man das Erzählprinzip verstanden hat (was nicht besonders lange dauert), langweilt „Mitgift“. Denn Blum sagt eigentlich immer wieder, an verschiedenen Orten, das gleiche: Damals war es schlimm, heute ist es gut. Und implizit auch: Seht her, wie toll die BRD die auch ökologisch marode DDR rettete. Der Kapitalismus ist gut.
Dass die ökologische Situation im Westen wenige Jahre früher nicht viel besser war, wird dagegen nicht erwähnt. Das Ruhrgebiet versank unter einer Wolke Kohlestaub. Die Wälder sahen teilweise wie Müllkippen aus. Den Rest besorgte das Waldsterben. Der Rhein diente als Abwasserkanal. Als 1988 der damalige Umweltminister Klaus Töpfer in den Rhein sprang, um seine Ungefährlichkeit zu demonstrieren, wurde die Aktion als idiotische PR-Aktion verlacht. Das Umweltministerium gibt es erst seit 1986, als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Eine erstarkte Umweltbewegung und deren parlamentarischer Arm, die Grünen, kämpften seit den Siebzigern für eine saubere Umwelt, während die meisten Bundesbürger noch an sichere AKWs und das Recht auf den eigenen PKW glaubten.
Dass ein großer Teil des Umweltwunders in der ehemaligen DDR an einem kompletten Zusammenbruch der Industrie (denn wo nichts produziert wird, kann auch keine Umwelt verschmutzt werden), Arbeitslosigkeit und Flucht der Jüngeren aus ihrer Heimat, und einer großzügigen Förderung durch die Bundesregierung lagen, wird nur in Nebensätzen erwähnt.
Anstatt einer echten Analyse liefert Blum nur monothematische Impressionen des Wandels, die Umweltschützern gefallen können, weil es ihnen gelang, zahlreiche Biosphärenreservate (die für Westdeutschland auch ein einfacher Weg waren, um internationale Umweltziele zu erreichen) und, auf dem Grenzstreifen, das Grüne Band als Naturschutzgebiet festzulegen. Das sieht dann wie ein Sieg der DDR-Umweltbewegung aus. Gestandene CDUlern dürften in diesen Moment begeistert jauchzen, weil ihre Politik letztendlich doch zu blühenden Landschaften führten.
LV: Isaac Asimov: I, Robot, 1950 (Ich, der Robot, Kurzgeschichtensammlung)
2035: Roboter nehmen uns viele Aufgaben ab. Als der Chefkonstrukteur der Firma US Robotics in den Tod stürzt, glaubt Polizist und Roboterhasser Del Spooner, dass der Konstrukteur von einem Roboter umgebracht wurde. Niemand glaubt ihm.
Unterhaltsamer SF-Actionthriller, der von Asimov vor allem die drei Robotergesetze übernommen hat. Denn Proyas interessiert sich vor allem für Design und Entertainment.
mit Will Smith, Bridget Moynahan, Alan Tudyk, James Cromwell, Bruce Greenwood, Chi McBride, Shia LaBeouf