Neu im Kino/Filmkritik: „Ouija: Ursprung des Bösen“ – ein sehenswertes Prequel

Oktober 20, 2016

San Francisco, 1967: Alice Zander verdient als Medium ihr Geld und sie ist dabei nicht ehrlicher als Blanche Tyler in Alfred Hitchcocks „Familiengrab“. Ihre beiden Töchter, die neunjährige Doris und die fünfzehnjährige Paulina, helfen der alleinerziehenden Mutter bei ihrem Hokuspokus, den sie als Lebenshilfe verkauft. Immerhin sind ihre Kunden, nachdem sie bezahlt und die beruhigenden Stimmen aus dem Jenseits gehört haben, glücklicher.

Und wie in jedem Geschäft muss auch ab und an in die Ausrüstung investiert werden. Alice hält ein Ouija-Brett für eine gute Ergänzung bei ihren Geisterbeschwörungen.

Aber dieses Ouija-Brett entwickelt schnell ein unangenehmes Eigenleben. Doris ist besonders empfänglich dafür und schnell von einem besonders fiesen Geist besessen.

Zum Glück – oder habt er geglaubt es geht ohne? – interessiert der katholische Geistliche Pater Tom sich für Alice und ihre beiden Kinder.

Wenn die Tricks nicht wären, könnte man „Ouija: Ursprung des Bösen“ für einen verschollenen Horrorfilm aus den Sechzigern halten. Die Ausstattung ist liebevoll im damaligen Stil gehalten; wobei im lauschigen Zander-Haus die Einrichtung schon einige Jahre und Jahrzehnte älter ist. Schließlich richtet man seine Wohnung nicht alle paar Tage neu ein. Die Geschichte wird, wie es sich für einen Geisterhorrorfilm gehört, eher gemächlich bis zum großen Finale erzählt. So lernen wir die Hauptpersonen kennen und der Schrecken kann langsam sein Wirkung entfalten.

Lulu Wilson als vom Bösen besessene Doris, die dann mit ihrem ausdruckslosen Kindergesicht, den geweiteten Augen und der unemotionalen, vom Bösen besessenen Stimme einem nachhaltiger Angst einjagt als die auch irgendwann körperlich in Erscheinung tretenden bösen Geister. Das bemerkt auch Paulinas Freund.

Ouija: Ursprung des Bösen“ ist, – immerhin ist der Film in den USA PG-13 und auch in Deutschland war eine FSK-12-Freigabe beantragt -, eher ein sanfter Grusler, ein Geisterhorrorfilm mit wenig Blut, vielen Schreien und furchterregenden Geräuschen. Er ist auch das Prequel zu dem 2014er Horrorfilm „Ouija“, der an der Kinokasse sein bescheidenes Budget mehr als einspielte und von der Kritik gehasst wurde. Dabei kann der „Ursprung des Bösen“ kann ganz gut für sich alleine stehen als Geisterhorrrorfilm, der gelungen die bekannte Formel ausfüllt und dabei einige eigene Akzente setzt.

P. S.: Es gibt eine Post-Credit-Szene.

P. P. S.: Mike Flanagans bereits 2013 gedrehter, aufgrund diverser Probleme und Startterminverschiebungen erst 2016 der Öffentlichkeit gezeigter Horrorfilm „Before I wake“ läuft am 24. November in unseren Kinos an. Das Drehbuch schrieb er mit Jeff Howard.

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Ouija: Ursprung des Bösen (Ouija: Origin of Evil, USA 2016)

Regie: Mike Flanagan

Drehbuch: Mike Flanagan, Jeff Howard (nach dem Hasbro-Spiel Ouija)

mit Elizabeth Reaser, Annalise Basso, Lulu Wilson, Henry Thomas, Parker Mack, Sam Anderson, Halle Charlton, Alexis G. Zall, Kate Siegel

Länge: 99 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Ouija: Ursprung des Bösen“

Metacritic über „Ouija: Ursprung des Bösen“

Rotten Tomatoes über „Ouija: Ursprung des Bösen“

Wikipedia über „Ouija: Ursprung des Bösen“

Ein „Collider“-Gespräch mit Mike Flanagan und seiner Frau und Partnerin Kate Siegel über „Ouija: Ursprung des Bösen“, „Before I wake“ und, vor allem, „Hush“


Neu im Kino/Filmkritik: „Human – Die Menschheit“, nur visuell überzeugend

Oktober 20, 2016

https://www.youtube.com/watch?v=D10UKEQ5qC0

Drei Jahre Produktionszeit

Drehorte in 60 Ländern

2.020 Interviews in 63 Sprachen

500 Stunden Luftaufnahmen“

Wow.

Wie bei einem Blockbuster wird man im Presseheft mit Zahlen und Superlativen erschlagen, die nichts über die Qualität des Endprodukts aussagen und oft in einem eklatantem Missverhältnis dazu stehen. Der betriebene Aufwand rechtfertigt in keinster Weise das Ergebnis. Dafür kann man mit dem größten Budget aller Zeiten punkten und von einem Blockbuster erwartet man auch nicht ernsthaft zum Nachdenken anregende Unterhaltung.

Human – Die Menschheit“ fragt dagegen ambitioniert nach dem „Sinn des Lebens“ (Presseheft). Den wollte Regisseur Yann Arthus-Bertrands herausfinden, indem er und sein Team auf der ganzen Welt Menschen interviewten. Ganz normale Menschen. Keine Prominenten und auch keine als Wissenschaftler, Politiker oder Aktivisten lokal und global anerkannte Personen. Die Gespräche dauerten oft über eine Stunde und jedem Interviewpartner wurden die gleichen Schlüsselfragen gestellt: Fühlen Sie sich frei? Worin besteht der Sinn des Lebens? Was war die größte Herausforderung Ihres Lebens und was lernten Sie daraus? Haben Sie eine Botschaft an die Bewohner dieses Planeten?

Die Gespräche wurden alle vor einem schwarzen Hintergrund mit der immergleichen Kameraeinstellung und Beleuchtung aufgenommen. Falls nicht einmal Schmeißfliegen durch das Bild fliegen würden, könnte man glauben, alle Gespräche seien in einem Zimmer aufgenommen worden.

Aus diesen Gesprächen und den fünfhundert Stunden Naturaufnahmen kondensierte Arthus-Bertrands dann mehrere Fassungen seines Films, in denen er durch eine Fusion von Naturaufnahmen, Musik und Statements zeigen möchte, was das Menschsein, vulgo die Menschheit, ausmacht. Was verbindet alle Menschen miteinander? Egal wo und wie sie leben und egal wie alt sie sind.

In der „eigens für den deutschen Markt erstellten Fassung“ (Presseheft) von „Human – Die Menschheit“, die auch „die kurze Kinoversion“ genannt wird, dauert Arthus-Bertrands Film 149 Minuten. Es gibt auch eine über dreistündige Kinoversion, verschiedene andere Versionen, auch eine mehrteilige TV-Version, und eine Ausstellung ist geplant.

Die deutsche Kinoversion ist eigentlich nur eine epische Version des Trailers: im Sekundentakt werden Menschen gezeigt, die vor einem schwarzen Hintergrund ein, zwei Sätze sagen.

In den kurzen Schnipseln erfährt man niemals ihre Namen, wer sie sind oder woher sie kommen. Kein Gesicht taucht öfter auf. Es sind einfach nur Gesichter in einem Raum. Die einzelnen Statements haben dabei, weil sie aus dem Zusammenhang gerissen sind, die Qualität von Binsenweisheiten. Denn was soll man davon halten, wenn eine Frau, die wir nur einmal kurz sehen, sagt, dass sie glücklich sei, dass ihr endlich einmal jemand zugehört habe? Das war ihr Auftritt in dem Film. Ob sie in dem Interview irgendetwas interessantes sagte oder nur Stuss erzählte, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass wir ihr nicht zugehört haben.

Dass den über zweitausend Interviewten bei den Gesprächen die gleichen Fragen gestellt wurden: geschenkt. Denn weil man die Fragen im Film nicht erfährt und nicht alle Antworten kennt, kann man, auch wenn ein Dokumentarfilm keine wissenschaftliche Arbeit ist, überhaupt nicht einschätzen, wie und welche Auswahl getroffen wurde. Also ob das ausgewählte Zitat irgendetwas wichtiges über die Person aussagt, ob seine vorgetragene Reue echt oder gespielt ist, und ob das ausgewählte Statement repräsentativ für alle Antworten zu dieser Frage ist oder es nur die Antwort ist, die dem Regisseur am besten gefiel. Man weiß es nicht und es ist auch egal.

Schnell wird „Human – Die Menschheit“ zu einer monotonen Abfolge von Statements und musikalisch unterlegten, bedeutungsschwangeren Naturaufnahmen, mal mit, mal ohne Menschen. Das sieht natürlich gut aus, ist aber insgesamt nicht mehr als ein Bildband ohne echten Mehrwert. Im Fernsehen oder in einer Kunstinstallation kann die zusammenhanglose Aneinanderreihung von Statements und Natur- und Stadtaufnahmen funktionieren. Beide Male kann man sich entscheiden, ob man zen-mäßig die Bilder genießt oder den Raum verlässt.

Im Kino starrt man dagegen regungslos mit einem Gefühl der Ennui auf die Leinwand. Wenn man nicht gerade eine Strichliste über die Zahl der gezeigten Köpfe führt.

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Human – Die Menschheit (Human, Frankreich 2015)

Regie: Yann Arthus-Bertrand

Drehbuch: Yann Arthus-Bertrand

Länge: 149 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film 

AlloCiné über „Human – Die Menschheit“

Moviepilot über „Human – Die Menschheit“

Rotten Tomatoes über „Human – Die Menschheit“

Wikipedia über „Human – Die Menschheit“ (deutsch, englisch, frazösisch)


TV-Tipp für den 20. Oktober: Ferien in der Hölle

Oktober 20, 2016

Zweiter Versuch, auch wenn Arte die Anfangszeit für den nachfolgenden Film „In den Krallen des Hexenjägers“ noch nicht berichtigt hat. Der müsste kurz nach Mitternacht als echter Mitternachtsfilm laufen.

Arte, 22.15

Ferien in der Hölle (Australien/USA 1971, Regie: Ted Kotcheff)

Drehbuch: Evan Jones

LV: Kenneth Cook: Wake in Fright, 1961

Lehrer John Grant will während der Weihnachtsferien aus dem Kaff Tiboonda nach Sydney flüchten, aber schon auf der ersten Reisestation trifft er auf einen Polizisten, der ihm ein Glas Bier anbietet und damit beginnen die titelgebenden „Ferien in der Hölle“.

Ted Kotcheffs Frühwerk, das damals in Cannes im Wettbewerb seine Premiere erlebte und von der Kritik gelobt wurde, galt lange als verschollen. Erst 2009 wurde, wieder in Cannes, eine restaurierte Fassung gezeigt und die Kritiker waren wieder sehr angetan von dem existenzialistischem Trip in den Outback. Roger Ebert meinte: „It’s not dated. It is powerful, genuinely shocking and rather amazing. It comes billed as a ‚horror film‘ and contains a great deal of horror, but all of the horror is human and brutally realistic.“ und gab 3,5 von 4 Sternen.

Nick Cave meint: „the best and most terrifying film about Australia in existence“.

Und die grausamen Bilder von der Känguru-Jagd entstanden während einer echten Jagd. Während der Präsentation des Films in Cannes 2009 verließen während dieser Szene zwölf Zuschauer den Saal.

Kotcheff inszenierte auch „Rambo“.

mit Gary Bond, Donald Pleasance, Chips Rafferty, Sylvia Kay, John Meillon

Wiederholung: Freitag, 28. Oktober, 01.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Ferien in der Hölle“

Wikipedia über „Ferien in der Hölle“


DVD-Kritik: „La belle Saison – Eine Sommerliebe“ hält auch im Winter warm

Oktober 19, 2016

Zum Kinostart schrieb ich ziemlich begeistert:

Frankreich, 1971: In Paris feiern die 68er noch fröhlich die Revolution. In der Provinz kümmern sich die Bauern um ihre alltäglichen Probleme. Da ist eine Liebesheirat nett, aber letztendlich muss halt ein Hof bewirtet werden und das ist wichtiger als irgendwelche romantischen Vorstellungen von Liebe.

Auch Delphine (Izïa Higelin) weiß das. Aber sie ist lesbisch und zieht nach Paris.

Dort trifft sie Carole (Cécile de France), die mit anderen Frauen in einer überdrehten Spaß-Aktion gegen normalchauvinistische Männer protestiert. Damals, das muss wahrscheinlich heute extra betont werden, war ein Klaps auf den Po einer wildfremden Frau nichts, worüber sich diese Frau aufregen sollte. Jedenfalls solange es ein Mann tat. Als die Frauengruppe um Carole es bei wildfremden, anzugtragenden Männern tut, halten die Betroffenen es für ein mehr als unverschämtes Verhalten.

Anschließend lädt Carole Delphine, die ihr spontan gegen einen dieser Männer half, zu einem Treffen der Frauengruppe in der Universität ein. Delphine kommt – und wir erleben die erste, sehr angenehme Überraschung. Delphine, die Frau vom Land, ist der aktive Teil, während die hippe, politisch engagierte Carole noch in einer heterosexuellen Beziehung lebt und erst langsam von ihren Gefühlen überzeugt werden muss.

Die glücklichen Tage in Paris enden, als Delphines Vater einen Schlaganfall hat, von dem er sich nicht mehr erholt. Sie kehrt zurück auf den elterlichen Hof, bewirtet ihn mit ihrer Mutter (Noémie Lvovsky) und steht, in der zweiten Hälfte des Films, vor der Frage, was sie tun soll: den Hof übernehmen und ein bürgerliches Leben führen oder sich zu ihrer Liebe bekennen und für immer den Hof, das Dorf und die Gemeinschaft, in der sie groß wurde, verlassen. Oder, – immerhin ist Carole, zunächst nur für den Sommer, bei ihr -, vielleicht muss Delphine sich nicht zwischen diesen beiden Lebensentwürfen entscheiden.

In ihrem neuesten Film „La belle saison – Eine Sommerliebe“ entfaltet Catherine Corsini („Die Affäre“ mit Kristin Scott Thomas) ihre Liebesgeschichte vor einem satten Siebziger-Jahre-Zeitkolorit, in dem Konventionen hinterfragt und für eine bessere Gesellschaft gekämpft wurde. Dabei konzentriert sie sich auf wenige Charaktere und ihre Konflikte, die sie facettenreich auslotet. Oft zeigt sie in nur einem Satz oder einer Geste, in welchen Traditionen und Konventionen die Menschen, vor allem natürlich Delphine, ihre Freundin und ihre Mutter, stecken.

Vor den damaligen gesellschaftlichen Umbrüchen, die erst mit einer Verzögerung in der Provinz ankamen, entfaltet sich die Liebesgeschichte zwischen Carole und Delphine, die sich zwischen Liebe und Beruf entscheiden muss. In der durchaus freizügig erzählten Liebesgeschichte werden immer wieder die Erwartungen des Zuschauers gebrochen und die Erzählkonventionen über die Geschichte der großen, wahren und einzigen Liebe so weit gegen den Strich gebürstet, dass die Geschichte von „La belle saison“ absolut realistisch wirkt. Damals und heute.

 

Das Bonusmaterial wirkt auf den ersten Blick enttäuschend. Es gibt nur „Interviews“ und „Deleted Scenes“. Auf den zweiten Blick, beim Ansehen, überzeugen die gut fünfzig Minuten allerdings restlos.

Hinter „Interviews“ verbirgt sich ein am 27. Oktober 2015 aufgenommenes, sehr informatives, gut halbstündiges Gespräch mit Regisseurin Catherine Orsini und Produzentin Elisabeth Perez, in dem sie auf verschiedene Hintergründe zum Film eingehen. Das Interview wird mit Fotos von den Dreharbeiten illustriert.

Die „Deleted Scenes“, ebenfalls eine gute halbe Stunde, sind eine Mischung aus geschnittenen Szenen, erweiterten Fassungen und Alternativfassungen, die die Filmgeschichte vertiefen, ohne ihr etwas wesentlich Neues hinzuzufügen.

Aber spätestens danach will man sich „La belle saison“ wieder ansehen, in die damalige Zeit eintauchen und wieder diese kurze, heftige, hemmungslose, herzerwärmende und wahrhaftige Sommerliebe erleben.

La belle saison - Plakat

La belle saison – Eine Sommerliebe (La belle saison, Frankreich/Belgien 2015)

Regie: Catherine Corsini

Drehbuch: Catherine Corsini, Laurette Polmanss

mit Cécile de France, Izïa Higelin, Noémi Lvovsky, Kévin Azais, Laetitia Dosch, Benjamin Bellecour

Blu-ray

Alamode Film

Bild: 2,35:1 (1080p)

Ton: Deutsch, Französisch (DTS-HD 5.1)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Interviews, Deleted Scenes, Trailer, Wendecover

Länge: 106 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „La belle saison“

Rotten Tomatoes über „La belle saison“

Wikipedia über „La belle saison“ (englisch, französisch)

Meine Besprechung von Catherine Orsinis „La belle saison – Eine Sommerliebe“ (La belle saison, Frankreich/Belgien 2015)


TV-Tipp für den 19. Oktober: Ferien in der Hölle

Oktober 19, 2016

Achtung, geändertes Programm: wegen des Todes von Andrzej Wajda zeigt Arte um 20.15 Uhr seinen ewig nicht mehr gezeigten Film „Danton“ und um 23.20 Uhr die Doku „Andrzej Wajda, großes Kino aus Polen„. Die Doku gibt es auch in der Mediathek und natürlich sind auch diese Sendungen sehenswert.

Die „Ferien in der Hölle“ gibt es am Donnerstag, den 20. Oktober, um 22.15 Uhr.

Arte, 22.40

Ferien in der Hölle (Australien/USA 1971, Regie: Ted Kotcheff)

Drehbuch: Evan Jones

LV: Kenneth Cook: Wake in Fright, 1961

Lehrer John Grant will während der Weihnachtsferien aus dem Kaff Tiboonda nach Sydney flüchten, aber schon auf der ersten Reisestation trifft er auf einen Polizisten, der ihm ein Glas Bier anbietet und damit beginnen die titelgebenden „Ferien in der Hölle“.

Ted Kotcheffs Frühwerk, das damals in Cannes im Wettbewerb seine Premiere erlebte und von der Kritik gelobt wurde, galt lange als verschollen. Erst 2009 wurde, wieder in Cannes, eine restaurierte Fassung gezeigt und die Kritiker waren wieder sehr angetan von dem existenzialistischem Trip in den Outback. Roger Ebert meinte: „It’s not dated. It is powerful, genuinely shocking and rather amazing. It comes billed as a ‚horror film‘ and contains a great deal of horror, but all of the horror is human and brutally realistic.“ und gab 3,5 von 4 Sternen.

Nick Cave meint: „the best and most terrifying film about Australia in existence“.

Und die grausamen Bilder von der Känguru-Jagd entstanden während einer echten Jagd. Während der Präsentation des Films in Cannes 2009 verließen während dieser Szene zwölf Zuschauer den Saal.

Kotcheff inszenierte auch „Rambo“.

mit Gary Bond, Donald Pleasance, Chips Rafferty, Sylvia Kay, John Meillon

Wiederholung: Freitag, 28. Oktober, 01.40 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Ferien in der Hölle“

Wikipedia über „Ferien in der Hölle“


Cover der Woche

Oktober 18, 2016

klavan-ein-wahres-verbrechen


TV-Tipp für den 18. Oktober: Inside Llewyn Davis

Oktober 17, 2016

ZDF, 00.20 Uhr

Inside Llewyn Davis (Inside Llewyn Davis, USA/Frankreich 2013)

Regie: Ethan Coen, Joel Coen

Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen

TV-Premiere eines Coen-Films zu einer vollkommen unmöglichen Uhrzeit. Da hofft man doch auf baldige Wiederholungen des Meisterwerks über den erfolglosen Folkmusiker Llewyn Davis und die New Yorker Folkmusikszene der frühen Sechziger. Kurz bevor ein Mann in Greenwich Village auftauchte, der vor wenigen Tagen den Literaturnobelpreis erhielt.

Mehr in meiner ausführlichen Besprechung. Mit mehreren Interviews.

mit Oscar Isaac, Carey Mulligan, John Goodman, Garrett Hedlund, Justin Timberlake, Adam Driver, Max Casella, F. Murray Abraham

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Film-Zeit über „Inside Llewyn Davis“

Moviepilot über „Inside Llewyn Davis“

Metacritic über „Inside Llewyn Davis“

Rotten Tomatoes über „Inside Llewyn Davis“

Wikipedia über „Inside Llewyn Davis“ (deutsch, englisch)

„You know, for kids!“  – The Movies of the Coen Brothers (eine sehr umfangreiche Seite über die Coen-Brüder)

Meine Besprechung von Bill Green/Ben Peskoe/Will Russell/Scott Shuffitts „Ich bin ein Lebowski, du bist ein Lebowski – Die ganze Welt des Big Lebowski“ (I’m a Lebowski, you’re a Lebowski, 2007)

Meine Besprechung von Michael Hoffmans „Gambit – Der Masterplan“ (Gambit, USA 2012 – nach einem Drehbuch von Joel und Ethan Coen)

Meine Besprechung des Coen-Films “Inside Llewyn Davis” (Inside Llewyn Davis, USA/Frankreich  2013)

Meine Besprechung ces Coen-Films „Hail, Caesar! (Hail, Caesar!, USA/Großbritannien 2016)

Die Coen-Brüder in der Kriminalakte


DVD-Kritik: Nice, „The Nice Guys“ beim Hausbesuch

Oktober 17, 2016

Zum Kinostart schrieb ich ziemlich begeistert:

Los Angeles, siebziger Jahre, als Philip Marlowe schon den long goodbye eingeläutet hat und Jim Rockford in seinem Büro am Strand (mit Anrufbeantworter!) auf Kundschaft wartet, treffen Holland March (Ryan Gosling) und Jackson Healy (Russell Crowe) aufeinander. Eigentlich bricht Healy, ein Mann fürs Grobe, March den Arm. Rein beruflich. March ist ein glückloser Privatdetektiv mit, was weder Marlowe noch Rockford passiert wäre, pubertierender, Nancy Drew spielender Tochter. Manchmal, wenn sie sich nicht gerade in den nicht jugendfreien Fall einmischt, liest Holly (Angourie Rice) auch ein Buch von Agatha Christie.

Kurz darauf wird Healy höchst unprofessionell von einigen Typen zusammengeschlagen, die seine inzwischen spurlos verschwundene Auftraggeberin suchen.

Healy engagiert March, der Amelia bereits im Auftrag einer anderen Person gesucht hat, für diese Suche und gemeinsam versuchen sie herauszufinden, was der Tod eines Pornostars mit einer vermissten jungen Frau und politischen Ränkespielen zu tun hat. Die mit viel Humor gewürzte, labyrinthische Handlung lässt „Tote schlafen fest“ wie ein Kinderrätsel wirken; – wobei schon damals die Atmosphäre wichtiger als der nach dem Lehrbuch aufgebaute, strikt logische Plot war.

Los Angeles war in den 1970er Jahren von Verfall geprägt. Smog bedeckte die ganze Stadt und aus dem Hollywood Boulevard war ein Pfuhl der Pornographie geworden. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die Geschichte zweier Schwachköpfe, die in eine Sache hineinstolpern, der sie nicht gewachsen sind, als sie versuchen eine gewaltige Verschwörung aufzudecken. Es gibt in dieser Story also Korruption und Dekadenz, und es stellte sich für mich die Frage, wie beunruhigend ungeeignet und überfordert man diese beiden Typen für diese Aufgabe zeichnen und zeigen durfte, auf die sie sich eingelassen hatten.“ (Shane Black)

The Nice Guys“ ist in seiner großen Lust, jedes Privatdetektiv-Klischee aus Buch und Film zu zitieren und gegen den Strich zu bürsten, ein großer Spaß für die Freunde des Genres. Und Shane Black ist einer. Er schrieb die Drehbücher für „Lethal Weapon – Zwei stahlharte Profis“, „Last Boy Scout“, „Last Action Hero“ und „Tödliche Weihnachten“, die als Actionkomödien immer dann besonders gut waren, wenn sie auch ein Buddy-Movie waren. Das war schon bei dem ersten „Lethal Weapon“-Film keine neue Formel, aber Shane Black erfüllte sie besser, gewitzter und intelligenter als die meisten anderen Autoren. Die brachiale Action half dann beim Kassenerfolg.

Zuletzt inszenierte er „Iron Man 3“ und auch der war letztendlich ein Buddy-Movie.

Aber die Blaupause für „The Nice Guys“ ist „Kiss Kiss Bang Bang“. Diese noirische Actionkomödie/Buddy-Movie war vor elf Jahren, nachdem man lange nichts von ihm hörte, sein Regiedebüt und seine Rückkehr nach Hollywood. Mit Robert Downey Jr. und Val Kilmer als Freunde wider Willen, die in Los Angeles ein vollkommen undurchschaubares Komplott aufklären müssen. „Kiss Kiss Bang Bang“ basiert offiziell auf einem Roman von Brett Halliday, der wahrscheinlich sein Buch nicht mehr erkannte. Er war vor Jahrzehnten ein enorm erfolgreicher Pulp-Autor, der mit dem Privatdetektiv Michael ‚Mike‘ Shayne einen langlebigen Privatdetektiv erschuf, der – jedenfalls in den Romanen, an die ich mich noch erinnere – in einer Nacht mehr Abenteuer erlebte als Jack Bauer in einer Handvoll „24“-Staffeln. In „The Nice Guys“ gibt es im Abspann einen ‚besonderen Dank‘ den 1977 verstorbenen Erfinder von Mike Shayne.

Das ist die Welt, in der „The Nice Guys“ existiert und der gerade wegen des liebevollen Porträts dieser Welt, Zeit und Charaktere ein großer Spaß ist. Auch wenn „The Nice Guys“ letztendlich „Kiss Kiss Bang Bang“ in den Siebzigern ist.

Störend in diesem 1977 spielendem Retro-Fest ist eigentlich nur Kim Basinger als Leiterin des kalifornischen Justizministeriums. Die alterslose Schönheit, die hier mehr einem Avatar als einem Menschen ähnelt, spielt den Bösewicht, den Quasi-Strippenzieher, der in einem Amt ist, in das damals niemals eine Frau gekommen wäre. Immerhin hat sie eine afroamerikanische Sekretärin, die nicht nur in die Tasten der Schreibmaschine schlagkräftig bedienen kann.

Und die Chemie zwischen den Buddys Russell Crowe und Ryan Gosling, beide mit Mut zur Hässlichkeit, ist, wenn sie zwischen Schießereien und Kloppereien Einzeiler austauschen, glänzend.

 

Beim zweiten Ansehen, und auch nach der Lektüre von Charles Ardais Filmroman (der einiges umstellte, was die Story nachvollziehbarer und nacherzählbarer macht, aber den lakonischen Humor des Films vermissen lässt), fällt auf, wie gut die Chemie zwischen den drei Hauptdarstellern, also Russell Crowe, Ryan Gosling und seiner Filmtochter Angourie Rice ist. Das kann einfach nicht in einen Roman (der nicht übersetzt wurde und der auch nie übersetzt wird) übertragen werden. Dazu kommen im Film feinste Retro-Optik, knackiger Seventies-Soul, glänzend aufgelegte Schauspieler, die alle ihre unvergesslichen Auftritt haben und lakonische Einzeiler. „The Nice Guys“ ist eine wundervoll kurzweilige Liebeserklärung an das Privatdetektiv-Genre.

Im Bonusmaterial erfährt man zwar ein, zwei interessante Details (vor allem in dem Featurette „Die schlechtesten Detektive aller Zeiten. Making The Nice Guys“), aber insgesamt sind die zwei Featurettes (insgesamt knapp zwölf Minuten) und die Interviews mit Russell Crowe, Ryan Gosling, Kim Basinger, Matt Bomer und Margaret Qualey (insgesamt ebenfalls knapp zwölf Minuten) enttäuschend.

Oh, und es gibt insgesamt sieben Trailer zum Film.

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The Nice Guys (The Nice Guys, USA 2016)

Regie: Shane Black

Drehbuch: Shane Black, Anthony Bagarozzi

mit Russell Crowe, Ryan Gosling, Angourie Rice, Matt Bomer, Margaret Qualley, Keith David, Yaya DaCosta, Beau Knapp, Kim Basinger, Lois Smith, Murielle Telio, Gil Gerard

Blu-ray

Concorde

Bild: 1080p High Definition, 2,35:1 (16:9)

Ton: Deutsch (DTS-HD Master Audio 5.1, DD 2.0), Englisch (DTS-HD Master Audio 5.1)

Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

Bonusmaterial: Featurettes, Interviews, Trailer

Länge: 116 Minuten

FSK: ab 16 Jahre

Der Roman zum Film

Wie es sich für einen schundigen 70er-Jahre-Retro-PI-Film gehört, gibt es auch einen pulpigen Roman zum Film, veröffentlicht in dem Verlag, der darauf spezialisiert ist.

Ardai - The Nice Guys

Charles Ardai: The Nice Guys

Hard Case Crime, 2016

288 Seiten

7,99 US-Dollar (derzeit bei Amazon 7,64 Euro)

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „The Nice Guys“

Metacritic über „The Nice Guys“

Rotten Tomatoes über „The Nice Guys“

Wikipedia über „The Nice Guys“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Shane Blacks „Iron Man 3“ (Iron Man, USA 2013)

Meine Besprechung von Shane Blacks „The Nice Guys“ (The Nice Guys, USA 2016)


TV-Tipp für den 17. Oktober: Gätjens großes Kino

Oktober 16, 2016

ZDF, 00.05

Gätjens großes Kino

So spät (nach Mitternacht), so kurz (25 Minuten), aber immerhin ein Kinomagazin, das den gepflegten Mainstream mit Arthouse-Tendenz pflegt. Jedenfalls in der ersten Ausgabe des monatlichen Magazins.

Das ZDF schreibt: „In der ersten Folge von „Gätjens großes Kino“ ist Steven Gätjen viel unterwegs: Hollywoodstars wie Tom Hanks, Daniel Radcliffe, Renée Zellweger, Ben Affleck oder Colin Firth geben sich für Interviews die Ehre. Auch deutschen Kinostars wie Elyas M’Barek, Florian David Fitz und Film-Neuling CRO begegnet Steven Gätjen auf seiner Reise durch den Kinomonat Oktober mit folgenden Filmen: „Bridget Jones‘ Baby“, „Inferno“, „Girl on the Train“, „Willkommen bei den Hartmanns“, „Swiss Army Man“ und „Unsere Zeit ist jetzt“.

Die kommenden Ausgaben von „Gätjens großes Kino“ folgen am Dienstag, 22. November, und Dienstag, 13. Dezember, gegen 0.00 Uhr.“

Verdammt viel Programm in verdammt wenigen Minuten.

Und: Warum gibt es kein cineastisches Quartett?


TV-Tipp für den 16. Oktober: Vertigo – Aus dem Reich der Toten

Oktober 16, 2016

Tele5, 20.15

Vertigo – Aus dem Reich der Toten (USA 1958, Regie: Alfred Hitchcock)

Drehbuch: Alex Coppel, Samuel Taylor

LV: Pierre Boileau/Thomas Narcejac: D´entre les morts, 1954 (Aus dem Reich der Toten, Vertigo)

Scottie verfolgt im Auftrag eines Freundes dessen von einer Toten besessene, selbstmordgefährdete Frau Madelaine. Nach ihrem Tod trifft Scottie auf Judy. Er will sie zu Madelaines Ebenbild formen.

Beim Filmstart erhielt “Vertigo” gemischte Kritiken. Heute wird der Rang von “Vertigo” als eines von Hitchcocks Meisterwerken von niemandem mehr ernsthaft bestritten.

Mit James Stewart, Kim Novak, Barbara Bel Geddes, Henry Jones, Tom Helmore, Raymond Bailey

Wiederholung: Montag, 17. Oktober, 02.50 Uhr (Taggenau!)

Hinweise

Wikipedia über “Vertigo” (deutsch, englisch)

Turner Classic Movies über “Vertigo”

Rotten Tomatoes über “Vertigo”

Sex in a Submarine (Drehbuchautor William C. Martell) über “Vertigo”

Wikipedia über Alfred Hitchcock (deutsch, englisch)

Senses of Cinema (Ken Mogg) über Alfred Hitchcock

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock präsentiert – Teil 2“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 1“

Meine Besprechung von „Alfred Hitchcock zeigt – Teil 2

Meine Besprechung von Alfred Hitchcocks “Mr. und Mrs. Smith” (Mr. and Mrs. Smith, USA 1941)

Meine Besprechung von Thilo Wydras “Alfred Hitchcock”

Alfred Hitchcock in der Kriminalakte

Meine Besprechung von Robert Blochs “Psycho” (Psycho, 1959)

Meine Besprechung von Robert V. Galluzzos “Psycho Legacy” (The Psycho Legacy, USA 2010 – eine sehenswerte Doku über die “Psycho”-Filme mit Anthony Perkins, mit vielen Stunden informativem Bonusmaterial)

Meine Besprechung von Stephen Rebellos “Hitchcock und die Geschichte von ‘Psycho’” (Alfred Hitchcock and the Making of ‘Psycho’, 1990)

Meine Besprechung von Sacha Gervasis auf Stephen Rebellos Buch basierendem Biopic “Hitchcock” (Hitchcock, USA 2012)


TV-Tipp für den 15. Oktober: Im Auftrag des Drachen

Oktober 15, 2016

ZDFneo, 20.15

Im Auftrag des Drachen (USA 1975, Regie: Clint Eastwood)

Drehbuch: Hal Dresner, Warren Murphy (als Warren B. Murphy), Rod Whitaker

LV: Trevanian (Pseudonym von Rod Whitaker): The Eiger Sanction, 1972 (Im Auftrag des Drachen)

Jonathan Hemlock soll im Auftrag einer Geheimorganisation zwei Killer töten. Von einem ist nur bekannt, dass er an einer Besteigung der Eiger-Nordwand teilnimmt. Hemlock schließt sich den Bergsteigern an.

Thriller, bei dem die Landschaftsaufnahmen (Monument Valley, Schweizer Alpen) mehr beeindrucken als die Story. Was auch Clint Eastwood zugibt. Trevanians Debüt mit dem Superspion Hemlock war ein weltweiter Bestseller.

Mit Clint Eastwood, George Kennedy, Heidi Brühl, Reiner Schöne

Hinweise

Rotten Tomatoes über „Im Auftrag des Drachen“

Wikipedia über „Im Auftrag des Drachen“ (deutsch, englisch)

Homepage von Trevanian

Wikipedia über Trevanian

L. A. Times: Nachruf auf Rod Whitaker (19. Dezember 2005)

Meine Besprechung von Trevanians “Im Auftrag des Drachen” (The Eiger Sanction, 1972)

Meine Besprechung von Trevanians „Der Experte“ (The Loo Sanction, 1973)

Meine Besprechung von Trevanians “Shibumi” (Shibumi, 1979)

Meine Besprechung von Don Winslows Jonathan-Hemlock-Roman „Satori“ (Satori, 2011)

Mein Interview mit Don Winslow zu “Satori” (Satori, 2011)

Meine Besprechung von Pierre-Henri Verlhacs (Herausgeber) „Clint Eastwood – Bilder eines Lebens“ (2008)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „Hereafter – Das Leben danach“ (Hereafter, USA 2010)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods “Jersey Boys” (Jersey Boys, USA 2014)

Meine Besprechung von Clint Eastwoods „American Sniper“ (American Sniper, USA 2014)

Clint Eastwood in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „American Honey“ – das ist nicht der amerikanische Traum

Oktober 14, 2016

Star beobachtet in einem Wal-Mart in Muskogee, Oklahoma, wie Jake und seine Bande Jugendlicher über die Kassen tanzen, singen und klauen. Sie hat vorher für ihre beiden jüngeren Geschwister in den Mülltonnen nach Essen gesucht. Ihre Eltern sind für sie nur Ballast. White Trash in Reinkultur eben. Deshalb nimmt Star auch sofort das Angebot von Jake an, bei ihnen mitzufahren. Sie verkaufen im mittleren Westen der USA an Haustüren Zeitungsabos. Für die jugendliche Star ist ein Platz in einer Drückerkolonne schon eine gesellschaftliche Verbesserung und es sieht nach einem großen Abenteuer aus.

Ein Abenteuer das Andrea Arnold in „American Honey“ mit unruhiger Handkamera, die immer extrem nah bei ihren jugendlichen Charakteren ist, erzählt. Das weckt Erinnerungen an Larry Clarks „Kids“, der vor über zwanzig Jahren sein freizügiges und tabuloses Porträt einiger New Yorker Jugendlicher in neunzig Minuten erzählte. Auch der Dogma-95-Einfluss ist unübersehbar. Das war, zur Erinnerung, ein Manifest, in dem einige dänische Regisseure sich verpflichteten, nur noch mit natürlichem Licht, ohne Sets und zusätzliche Ausstattung, nur mit Handkamera und im Academy-35-mm-Filmformat zu drehen. Das 35-mm-Format benutzt Andrea Arnold auch in einigen Szenen. Und sie engagierte für ihren chronologisch gedrehten Film, bei dem erkennbar viel improvisiert wurde, fast ausschließlich Debütanten.

Die Inspiration für ihren Film war Ian Urbinas 2007 in der New York Times erschienene Reportage „Door to Door: Long Days, Slim Rewards; For Youths, a Grim Tour on Magazine Crews“ über die Subkultur umherziehender, gesetzlich kaum kontrollierter Drückerkolonnen in den USA. Arnold unternahm auch eigene Recherchen und entdeckte, dass die Mitglieder der Drückerkolonne, die teilweise zum ersten Mal weg von zu Hause waren, die Arbeit als Lebensstil ansahen und sich als chaotische Ersatzfamilie betrachteten.

In dem Film ist die von Crystal mit harter Hand geführte, von der restlichen Welt abkoppelte Ersatzfamilie eine darwinistische, quasireligiöse Gemeinschaft, die über Druck, Unterdrückung, Ausbeutung, Angst und finanzielle Anreize funktioniert. Crystals System ist schnell zu durchschauen, wird aber von den Jugendlichen widerspruchslos akzeptiert.

American Honey“ ist als Porträt einer Subkultur, eines Lebensstils und -gefühls, das nur den Augenblick kennt, faszinierend anzusehen. Aber über die Laufzeit von gut drei Stunden hat „American Honey“ auch mit einigen Problemen zu kämpfen. Nach dem Beginn ihrer Reise mäandert der Film zunehmend vor sich hin. Es ist eine Reise ohne ein Ziel durch verschiedene Nicht-Orte und austauschbare Vororte, die nicht zum Verweilen einladen. Auch die Liebesgeschichte zwischen Star, gespielt von der Debütantin Sasha Lane, und Jake, charismatisch gespielt von Shia LaBeouf, dient kaum als roter Faden zwischen Stars Begegnungen mit verschiedenen Kunden. Die anderen Mitglieder der Drückerkolonne bleiben austauschbar. Wir erfahren in den drei Stunden nichts über sie, was wir nicht schon während der ersten Vorstellungsrunde im Kleinbus erfahren. Entsprechend oberflächlich bleibt das Bild von Stars Ersatzfamilie, das Arnold in aufgrund des dokumentarischen Gestus oft etwas zu lang geratenen Szenen zeichnet.

So ist „American Honey“, das dieses Jahr in Cannes den Großen Preis der Jury erhielt, ein sehenswerter, aber auch deutlich zu lang geratener Film über einen Aufbruch ohne Ziel und ohne Ende, aber mit vielen redundanten Wiederholungen.

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American Honey (American Honey, USA/Großbritannien 2016)

Regie: Andrea Arnold

Drehbuch: Andrea Arnold

mit Sasha Lane, Shia LaBeouf, Riley Keough, Verronikah Ezell, McCaul Lombardi, Raymond Coalson, Garry Howell, Christopher David Wright, Shawna Rae Moseley, Crystal B. Ice, Will Patton

Länge: 164 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „American Honey“

Metacritic über „American Honey“

Rotten Tomatoes über „American Honey“

Wikipedia über „American Honey“ (deutsch, englisch)

Die Cannes-Pressekonferenz

 


Neu im Kino/Filmkritik: Gar nicht so wunderlich, „Die Welt der Wunderlichs“

Oktober 14, 2016

Familie. Man kann sie sich nicht aussuchen und wenn man sich umhört, scheint es in jeder Familie mindestens eine verhaltensgestörte Person zu geben. Bei den Wunderlichs ist es etwas anders. Da ist Mimi die einzige normale Person. Die alleinerziehender Mutter arbeitet sogar ganz bürgerlich in einem Elektronikgeschäft (so Saturn/Media-Markt-mäßig), wenn sie nicht gerade von der Schuldirektorin angerufen wird, weil ihr hyperaktiver siebenjähriger Sohn mal wieder die Schule ins Chaos stürzte. Zum Beispiel indem Felix die Lehrerin in einen Schrank einsperrt und den Schlüssel in die Toilette wirft. Sie und ihre panischen „Ich will hier raus!“-Schreie sind auch das erste, was wir, während die Leinwand noch schwarz ist, in Dani Levys neuer Komödie „Die Welt der Wunderlichs“ hören.

Mimis Eltern sind für sie keine Hilfe. Ihr in einer Klinik lebender Vater ist manisch-depressiv. Er hat sich mal wieder selbst entlassen und verwettet Mimis Geld beim Pferderennen. Mimis Mutter pflegt dagegen im Bett schon seit Ewigkeiten ihre Depression über die durch ihre Töchter vergeigte Musikerinnenkarriere. Mimis Schwester Manuela führt tagsüber erfolgreich einen Frisörsalon, nachts stürzt sie sich in Sexabenteuer und Alkoholexzesse. Für ihre verkorkste Familie hat Manuela selbstverständlich keine Zeit.

Und dann gibt es noch Mimis Ex-Mann, der als Felix‘ Erzieher ausfällt. Denn er ist, in einem Hotelzimmer lebend, das wandelnde Klischee eines Rockmusikers irgendwo zwischen Udo Lindenberg und Keith Richards. Aber ohne deren gut gefüllte Bankkonten.

Kurz: die Wunderlichs sind ein Katastrophengebiet und Mimi kann höchstens Schadensbegrenzung betreiben.

Da erhält sie einen Anruf aus der Schweiz. Sie soll in der TV-Castingshow „Second Chance“ auftreten. Sie erinnert sich an ihre frühere, eher kurze Karriere als Musikerin und sie beschließt, in der TV-Sendung aufzutreten. Allein. Ohne ihre Familie, die immer alles kaputt macht.

Dass das nicht funktioniert, kann man sich denken. Denn Mimis Reise, zunächst allein, aber schon schnell mit ihrer Familie, die Mimi natürlich nicht im Stich lassen kann und ihr bestmöglich helfen will, und ihr Auftritt in der TV-Sendung stehen im Mittelpunkt von Dany Levys neuem Film.

Und die Schauspieler – Katharina Schüttler als Mimi, Ewi Rodriguez als ihr Sohn, Peter Simonischek als ihr Vater, Hannelore Elsner als ihre Mutter, Christiane Paul als ihre Schwester, Martin Feifel als ihr Ex-Mann und Steffen Groth als über beiden Ohren in sie verliebter Jüngling – hatten sichtbar ihren Spaß mit ihren durchgeknallten Leinwandcharaktere, die sie in einer demaskierenden, aber auch liebevollen Mischung aus Komödie und Tragödie spielen.

Ärgerlich ist dann, nachdem die Welt der Wunderlichs durchgehend als ein wunderschöner funktional-dysfunktionaler Gegenkosmos zur normal-bürgerlichen Welt gezeichnet wurde, Mimis Auftritt in der Castingshow, die sich überhaupt nicht von all den anderen Castingshows unterscheidet. Mit Arabella Kiesbauer als Moderatorin, Thomas Anders, Sabrina Setlur und Friedrich Liechtenstein als Juroren sind dann eigentlich schon die üblichen Verdächtigen versammelt und dass die Rockerbraut Mimi wirklich auch nur einen Cent auf die Meinung von „Modern Talking“-Schlagerfuzzi Thomas Anders gibt, das kann und will ich nicht glauben.

Bis dahin sieht man eine herrlich unaufgeräumte, sozusagen dysfunktionale Komödie über gesellschaftliche Außenseiter, die sich nicht als Außenseiter sehen und deren Leben von „Alles auf Zucker!“-Regisseur Dani Levy mit spürbarer Sympathie und, zwischen den leisen Momenten, einem Hang zum Klamauk und theatralischen Auftritt gezeichnet wird.

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Die Welt der Wunderlichs (Deutschland/Schweiz 2016)

Regie: Dani Levy

Drehbuch: Dani Levy

mit Katharina Schüttler, Ewi Rodriguez, Peter Simonischek, Christiane Paul, Martin Feifel, Steffen Groth, Hannelore Elsner, Arabella Kiesbauer, Thomas Anders, Sabrina Setlur, Friedrich Liechtenstein

Länge: 103 Minuten

FSK: ab 0 Jahre

Hinweise

Homepage zum Film

Filmportal über „Die Welt der Wunderlichs“

Moviepilot über „Die Welt der Wunderlichs“

Wikipedia über Dani Levy

und ein längeres Interview mit Dani Levy, von 2011


TV-Tipp für den 14. Oktober: Good Kill – Tod aus der Luft

Oktober 13, 2016

3sat, 22.35
Good Kill – Tod aus der Luft (USA 2015, Regie: Andrew Niccol)
Drehbuch: Andrew Niccol
Ruhiges, äußerst intensives Drama über die Gewissenskonflikte von einem Ex-Kampfpiloten (Ethan Hawke), der jetzt Drohnenpilot ist und, wie viele Kollegen, seelische Probleme mit dem Töten per Drohne und seinem normalen Leben, nach Feierabend, in Las Vegas (das hätte Hollywood sich nicht besser ausdenken können: die echten Basen sind in der Nähe des Spielerparadieses) hat.
Das Drehbuch ist straff und facettenreich (auch wenn das Militär etwas nachdenklicher, selbtreflexiver und vernünftiger rüberkommt, als es wohl in der Realität der Fall ist), die Schauspieler überzeugend, und Andrew Niccol („Gattaca“, „Lord of War“, beide ebenfalls mit Hawke) zeigt nach dem Totalausfall „Seelen“, dass er nichts verlernt hat. Für einen Kinostart hat es trotzdem nicht gereicht und der Film (es ist der erste Spielfilm über den Drohnenkrieg) ist aufklärerisch im besten Sinne. Unbedingt sehenswert!
Mit Ethan Hawke, Zoë Kravitz, January Jones, Bruce Greenwood, Jake Abel, Dylan Kenin
Hinweise
Moviepilot über „Good Kill“
Metacritic über „Good Kill“
Rotten Tomatoes über „Good Kill“
Wikipedia über „Good Kill“
Meine Besprechung von Andrew Niccols „Seelen“ (The Host, USA 2013)
Andrew Niccol in der Kriminalakte


Neu im Kino/Filmkritik: „Inferno“ – Professor Langdon muss wieder die Welt retten

Oktober 13, 2016

Harvard-Professor Robert Langdon wacht in Florenz in einem Krankenhauszimmer auf. Der Symbologe kann sich an nichts erinnert. Auch nicht, wie er nach Italien gekommen ist. Als kurz darauf eine wild um sich schießende Polizistin auftaucht, weiß er, dass er flüchten sollte. Dabei hilft ihm seine Ärztin Sienna Brooks (Felicity Jones) – und ungefähr jetzt muss man sich als Zuschauer entscheiden, ob man die dritte Dan-Brown-Verfilmung „Inferno“ rational-kritisch begleiten möchte (und, ja, man wird seine helle Freude am Kritisieren haben) oder ob man „Inferno“ in erster Linie als eine Achter- und Geisterbahnfahrt genießen möchte. Denn selbstverständlich gibt es überhaupt keinen in diesem Moment nachvollziehbaren Grund, warum die hübsche Ärztin den verletzten und vollkommen erschöpften Patienten, nachdem sie ihn vor der schießwütigen Polizistin rettete, aus dem Krankenhaus in ihre Wohnung schleppt.

Dort kann Langdon in einen Anzug von ihrem Ex-Freund schlüpfen und schon tauchen Heerscharen bewaffneter Bösewichter und die schon aus dem Krankenhaus bekannte Polizistin auf. Sie gehören zu mehreren, eher verfeindeten und mächtigen Organisationen, die alle über eine gut gefüllte Kriegskasse verfügen. Anscheinend wollen sie alle Langdon mehr oder weniger schnell töten. Anscheinend verfügt Langdon über Informationen, die irgendetwas mit Dantes Prophezeiung zu tun haben und die die Menschheit vernichten könnten. Unklar ist nur, ob Langdons Wissen das titelgebende Inferno verhindern oder befördern soll.

Langdon reagiert rein instinktiv, während er mit Brooks eine sportliche Sightseeing-Tour durch die historischen Schönheiten von Florenz, Venedig und Istanbul veranstaltet, als sei er eine jugendliche Ausgabe von Jack Bauer. Dabei vermitteln sie uns, wahrscheinlich brav aus der Romanvorlage übernommen, in hölzernen Erklärungen zwischen Fremdenführerlatein, Proseminar und Lexikonartikel das nötige historische Wissen zum Verständnis der Geschichte.

Und wie Jack Bauer nur von Kiefer Sutherland gespielt werden kann, kann Robert Langdon, der Indiana Jones im Anzug, nur von Tom Hanks gespielt werden. Er übernahm, nach „The Da Vinci Code“ (USA 2006) und „Illuminati“ (Angels & Demons, USA 2009) zum dritten Mal die Rolle des Professors, der Dank seines Wissens über alte Symbole, Geheimbünde und Verschwörungen die Welt vor großem Unheil bewahren kann. Ron Howard übernahm wieder die Regie und David Koepp, der bei „Illuminati“ nur Co-Autor war, ist jetzt der einzige Drehbuchautor. Koepp schrieb auch die Bücher für „Jurassic Park“, „Mission: Impossible“, „Spiel auf Zeit“, „Panic Room“, „Spider-Man“ und „Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels“. Auch das Drehbuch für den nächsten Indiana-Jones-Film hat er geschrieben. Massentaugliche Action mit Hirn kann er. Auch wenn bei „Inferno“ das Hirn aus der Vorlage, dem gut siebenhundertseitigem Schmöker von Dan Brown stammt.

Mit seinem zweiten Langdon-Roman „Sakrileg“ (The Da Vinci Code) landete Brown 2003 einen internationalen Bestseller, der eine Geschichtsstunde mit viel Verschwörungstheorie, – mit sehr viel Verschwörungstheorie -, und Action verband. Ein Erfolgsrezept, das Dan Brown auch nicht für „Inferno“, seinen vierten Langdon-Roman, änderte. Sein nächster Langdon-Roman „Origin“, der für den 26. September 2017 angekündigt ist, wird sicher ebenfalls dem bewährtem Rezept folgen. Der Thriller erscheint gleichzeitig in den USA und in Deutschland. Natürlich wieder bei Bastei Lübbe.

Da bleibt Koepp, wie es sich heutzutage für eine Bestsellerverfilmung gehört, nur noch die Aufgabe, den Wälzer in ein Drehbuch zu übersetzen ohne allzu viel von der Romangeschichte zu ändern. Das gelang ihm, in dem er sich auf die Action konzentriert, die Erklärungen knapp hält, etwas dringend notwendigen Humor integriert und mit knapp zwei Stunden (ohne Abspann) die kürzeste Brown-Verfilmung ablieferte. Angesichts der abstrusen Geschichte, die mehr Wendungen als zwei Sebastian-Fitzek-Romane hat, eine kluge Entscheidung. Denn im Gegensatz zu den Auflösungen in den Fitzek-Romanen ist in „Inferno“ der Plan des Bösewichts größenwahnsinnig, unglaublich kompliziert und vollkommen bescheuert. Er trägt das eigene Scheitern schon in seiner DNA.

Inferno“ ist eine durchgeknallte, aber auch, wenn man in der richtigen Stimmung ist, äußerst unterhaltsame Räuberpistole, die mit den Schauwerten der historischen Gebäude und Gärten, guten Schauspielern, etwas Humor und einem flotten Erzähltempo punkten kann. Es ist auch die bislang beste Dan-Brown-Verfilmung. Allerdings waren „The Da Vinci Code“ und „Illuminati“ überlange, vor Ehrfurcht gegenüber der Vorlage erstarrte, betuliche Verfilmungen, in denen sich viel zu viel Zeit für die Erklärungen der historischen Hintergründe genommen wurde.

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Inferno (Inferno, USA 2016)

Regie: Ron Howard

Drehbuch: David Koepp

LV: Dan Brown: Inferno, 2013 (Inferno)

mit Tom Hanks, Felicity Jones, Irrfan Khan, Omar Sy, Ben Foster, Sidse Babett Knudsen, Anna Ularu

Länge: 122 Minuten

FSK: ab 12 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Englische Homepage zum Film

Moviepilot über „Inferno“

Metacritic über „Inferno“

Rotten Tomatoes über „Inferno“

Wikipedia über „Inferno“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von Ron Howards „Rush – Alles für den Sieg“ (Rush, USA/Großbritannien/Deutschland 2013)

Meine Besprechung von Ron Howards „Im Herzen der See“ (In the Heart of the Sea, USA 2015)

Homepage von Dan Brown

Krimi-Couch über Dan Brown

Perlentaucher über Dan Brown

Die Vorlage

Leider ohne Filmfotos (das gab es früher öfter in den Filmausgaben), aber mit einem neuen Cover und selbstverständlich nur kurze Zeit im Handel

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Dan Brown: Inferno

(übersetzt von Axel Merz und Rainer Schumacher)

Bastei Lübbe, 2016

688 Seiten

11 Euro

Deutsche Erstausgabe

Lübbe, 2013

Originalausgabe

Inferno

Doubleday, 2013

Das Teaserplakat, das mir besser gefällt

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TV-Tipp für den 13. Oktober: Der Antichrist

Oktober 13, 2016

Arte, 22.40 (VPS 00.15)

Der Antichrist (Italien 1974, Regie: Alberto de Martino)

Drehbuch: Gianfranco Clerici, Alberto de Martino, Vincenzo Mannino

Der Exorzist“ war gestern. Heute kommt „Der Antichrist“ und er ist viel teuflischer.

Dieses Mal ist eine an den Rollstuhl gefesselte Aristokratentochter vom Teufel, von Satan, vom Antichristen besessen und in einem früheren Leben war sie eine Hexe. Teuflische Sache, das. Aber da kann die katholische Kirche helfen.

Italo-Horror, den Arte in seiner verdienstvollen Trash-Reihe zeigt und den wir uns genau deshalb ansehen wollen.

Auf billige Effekte spekulierendes Gruselspektakel mit kirchenfeindlichen Tendenzen.“ (Lexikon des internationalen Films)

Vieles wirkt schockierend und bewegt sich hart an der Grenze zur Geschmacklosigkeit, doch macht die glänzende Gesamtkomposition…manche Einzelheit wett.“ (Wolfgang Kühn, Vampir)

Die Musik ist von Bruno Nicolai und Ennio Morricone.

mit Carla Gravina, Mel Ferrer, Arthur Kennedy, George Coulouris, Alida Valli, Anita Strindberg, Umberto Orsini

Auch bekannt als „Schwarze Messe der Dämonen“ und „Die Hexe von Rom“

Hinweise

Arte über „Der Antichrist“

Rotten Tomatoes über „Der Antichrist“

Wikipedia über „Der Antichrist“


DVD-Kritik: „Kommissar Beck“ ermittelt wieder in Stockholm

Oktober 12, 2016

Zwischen 1965 und 1975 veröffentlichten Per Wahlöö und Maj Sjöwall die zehnbändige Serie um den Polizisten Martin Beck. Die ersten Fälle waren normale Kriminalromane. Später wurden sie immer politischer und, wie es sich für eine Polizeiserie gehört, wurden die einzelnen Teammitglieder immer wichtiger.

Die Serie war und ist ein Welterfolg, deren Bedeutung für die skandinavische Kriminalliteratur gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. rororo veröffentlichte, obwohl die ursprüngliche Übersetzung immer noch im Handel war, 2008 eine Neuübersetzung, die man problemlos beim Buchhändler seines Vertrauens kaufen kann.

Es gab auch einige Verfilmungen, wie „Massenmord in San Francisco“ mit Walter Matthau.

Aber erst mit der Serie „Kommissar Beck“ entstand eine langlebige Serie. Seit fast zwanzig Jahren, teilweise mit längeren Unterbrechungen, aber immer noch mit Peter Haber als Martin Beck, Mikael Persbrandt als sein Kollege Gunvald Larsson, Ingvar Hirdvall als Becks prinzipiell immer noch namenloser Nachbar (immer noch mit Halskrause) und Rebecka Hemse als Becks Tochter Inger (wie der Nachbar eine für die Krimihandlung unbedeutende Nebenrolle), laufen die spielfilmlangen Filme bei uns im Fernsehen. In Schweden liefen einige Beck-Fälle sogar im Kino und oft erschienen sie zuerst als Direct-to-Video.

Während die Romane zunehmend politisch wurden, ist dieser Anspruch aus den Filmen zunehmend verschwunden. So sind die jetzt als „Kommissar Beck – Staffel 5: Episoden 1 – 4“ (sie liefen letztes Jahr im ZDF) erschienen Folgen gewohnt gute TV-Krimis, die die ätzende Gesellschaftskritik und -analyse der bekennenden Marxisten Maj Sjöwall und Per Wahlöö vermissen lassen.

In „Mord in Zimmer 302“ wird in einem Nobelhotel die Leiche einer Achtzehnjährigen gefunden. Sie wurde erwürgt. Das Zimmer wurde mit der Kreditkarte eines wohlhabenden Geschäftsmannes bezahlt. Er hat ein Alibi, aber sein Sohn könnte sie benutzt haben.

In „Familienbande“ wird der glücklich verheiratete Gangster Zlatko, der deshalb seine Verbrecherkarriere beenden will, in seiner Wohnung aus dem Hinterhalt erschossen. Seine Frau und sein vermögender Schwiegervater standen neben ihm. Kommissar Beck und sein Team fragen sich nicht nur, wer Zlatko ermorden wollte, sondern auch, ob er überhaupt erschossen werden sollte.

In „Die Invasion“ gibt es mehrere, aus islamischen Ländern kommende Tote und die ersten Spuren deuten auf einen geplanten Anschlag hin. Aber ist es so einfach?

In „Anatomie des Todes“ (bzw. „Krankenhausmorde“) müssen Kommissar Beck und sein Team den Tod einer todkranken Krebspatientin aufklären. Ihr Sohn glaubt, dass der behandelnde Arzt sie tötete. Kurz darauf wird der Arzt ermordet.

Ab Sonntag, den 16. Oktober, zeigt das ZDF um 22.00 Uhr die Fälle fünf bis acht der fünften Staffel. Die DVD-Veröffentlichung ist für den 4. November angekündigt.

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Kommissar Beck – Staffel 5: Episoden 1 – 4 (Beck, Schweden/Deutschland 2015)

LV: Charaktere von Maj Sjowall und Per Wahlöö

mit Peter Haber (Martin Beck), Mikael Perbrandt (Gunvald Larsson), Ingvar Hirdwall (Nachbar), Rebecka Hamse (Inger Beck), Måns Nathanaelson (Oswald Bergman), Anna Asp (Jenny Bodén), Elmira Arikan (Ayda Cetin), Jonas Karlsson (Klas Fredén), Åsa Karlin (Andrea Bergström)

DVD

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Bild: 1,78:1 (16:9 PAL)

Ton: Deutsch, Schwedisch (Dolby Digital 5.1)

Untertitel: Deutsch für Hörgeschädigte

Bonusmaterial: –

Länge: 350 Minuten (2 DVDs)

FSK: ab 12 Jahre

Die 5.1-Fälle

Mord in Zimmer 302 (Rum 302)

Regie: Marten Klingberg

Drehbuch: Mikael Syrén

Familienbande (Familjen)

Regie: Marten Klingberg

Drehbuch: Marten Klingberg

Die Invasion (Invasionen)

Regie: Stephan Apelgren

Drehbuch: Daniel Karlsson

Anatomie des Todes (Sjukhusmorden)

Regie: Stephan Apelgren

Drehbuch: Antonia Pyk

Hinweise

ZDF über „Kommissar Beck“

Wikipedia über „Kommissar Beck“, Maj Sjöwall, Per Wahlöö und ihre Romane


TV-Tipp für den 12. Oktober: Marie-Octobre

Oktober 12, 2016

Arte, 20.15

Marie-Octobre (Frankreich 1958, Regie: Julien Duvivier)

Drehbuch: Julien Duvivier, Jacques Robert

LV: Jacques Robert: Marie-Octobre, 1948

Fünfzehn Jahre nachdem Résistance-Führer Castille von der Gestapo erschossen wurde, treffen sich auf Einladung von Marie-Octobre seine alten Weggefährten. Sie hat erfahren, dass Castille von einem von ihnen verraten wurde. Jetzt will sie Rache.

Seit Ewigkeiten nicht mehr gezeigtes Krimidrama, das Lino Ventura noch am Anfang seiner Karriere zeigt.

Ein virtuos gefilmtes Dialogdrama (…) Duvivier erörtert die Schuldfrage psychologisch, statt sie ethisch zu vertiefen. So begegnet der Zuschauer einem Film, der ihn als kriminalistisches Entlarvungsstück zwar ungemein fesselt, aber menschlich ziemlich kühl lässt, weil sein Leitbild nicht Humanität, sondern Rache ist. Als effektvolles Spannungsstück mit brillanten Darstellern immerhin sehenswert.“ (Katholischer Film-Dienst)

mit Danielle Darrieux, Bernard Blier, Paul Meurisse, Serge Reggiani, Lino Ventura, Robert Dalban

Hinweise

Arte über „Marie-Octobre“

Wikipedia über „Marie-Octobre“ (deutsch, englisch, französisch)


Cover der Woche

Oktober 11, 2016

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DVD-Kritik: „Sing Street“ – eine Band, eine Liebe, ein Film von John Carney

Oktober 11, 2016

Zum Kinostart schrieb ich über den Film:

Von der Musik kommt John Carney nicht weg. Nach den Musikfilmen „Once“ und „Can a Song save your Life?“ drehte der 1972 geborene Dubliner jetzt mit „Sing Street“ eine sehr autobiographisch inspirierte Geschichte über eine Band in den Achtzigern in Dublin.

Der fünfzehnjährige Conor (Ferdia Walsh-Peela) muss die Schule wechseln und landet, weil das Geld nicht für mehr reicht, auf einer öffentlichen, entsprechend gruseligen Schule in der Synge Street. Das beginnt schon mit Regeln für die richtigen Schuhe und endet bei den Benimmregeln, die heute noch altmodischer sind als damals, als im katholischen Irland Scheidungen verboten waren. Und selbstverständlich sind seine proletarischen Klassenkameraden nicht von dem Neuling, der von einer Privatschule kommt, begeistert. Kurz: Conor will nur möglichst schnell weg.

Als er auf einer Treppe, gegenüber der Schule, eine gut aussehende junge Frau entdeckt, verliebt er sich Hals über Kopf in sie. Er spricht sie an, indem er behauptet, Musiker zu sein und sie in ihrem Video auftreten solle. Die etwas ältere Raphina (Lucy Boynton) gibt sich kühl distanziert und sagt, sie sei ein Model, was dann auch die Inspiration für Conors Song „The Riddle of the Model“ ist.

Weil Conor kein Instrument spielen kann und, was noch schlimmer ist, keine Band hat, beginnt er schnell mit seinem ersten Freund an der neuen Schule, Darren (Ben Carolan), eine Band zusammen zu stellen. Sie üben gemeinsam, schreiben Songs, drehen Videos mit klobigen Kameras und sie bereiten sich auf ihren ersten Auftritt vor.

Nebenbei entspinnt sich eine Liebesgeschichte zwischen Conor und Raphina. Sie ist seine erste große Teenager-Liebe.

Dass John Carney ein Gefühl für Musik hat und sie inszenieren kann, wissen wir. Auch in „Sing Street“ sind die Auftritte der Band und wie sie sich, unter der Anleitung von Conors Bruder Brendan (Jack Reynor), entwickeln, ein Genuss für den Musikfan. Brendan ist ein typischer LP-Nerd, der jeden Ton seiner großen Schallplattensammlung kennt und der in jedem Zustand stundenlang darüber philosophieren kann. Auch wenn man seine Liebe zu „Duran Duran“, einer auch durch MTV in den Achtzigern enorm erfolgreichen, bei den Musikkritikern ungeliebten New Romantic/Synthpop-Band, bei der Stil wichtiger als Substanz war, durchaus an seinem Urteil zweifeln lässt. Aber damals waren Teenager von der Band, ihren Pop-Songs, ihrem Stil und ihren provokanten Videos, die auf dem damals neuen Musikkanal MTV (bei uns gab es als wöchentliche Video-Dosis die Musiksendung „Formel 1“) verbreitet wurden, begeistert.

Nach diesem Vorbild werden die Auftritte von „Sing Street“ zunehmend professioneller. Ihre Kleidung und ihre Frisuren ändern sich. Und die Songs der Band sind nicht schlecht.

Carney verknüpft die Geschichte der Band mit einer gewohnt feinfühlig erzählten Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der damaligen katastrophalen ökonomischen und politischen Situation in Irland. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass alle nur möglichst schnell weg wollen nach London, wo man seine Träume verwirklichen kann.

Nur wir wollen möglichst lange in der „Sing Street“ bleiben.

 

Diese Gelegenheit ist jetzt mit der DVD und Blu-ray vorhanden. Immerhin können wir sie, wie eine LP, immer wieder auflegen und beim wiederholten anhören (also in diesem Fall natürlich ansehen) neue Feinheiten entdecken. Beispielsweise mit wie wenigen Bildern und Sätzen John Carney einen ganzen Kosmos schafft und wie fein er die einzelnen Songs der Schülerband „Sing Street“ vorbereitet und wie kunstvoll er sie in Szene setzt. Und natürlich, welche Bands den neuen Song gerade beeinflussen.

Das Bonusmaterial ist auf den ersten Blick äußerst umfangreich. Allerdings besteht es fast nur aus kurzen, meist drei- bis vierminütigen Featurettes (Making of, John Carney und Adam Levine [Sänger] über ‚Sing Street‘, Der Cast, Die Story, Die Musik, Der Regisseur, Making of ‚Go Now‘), eines davon exclusiv für den deutschen Markt eingesprochen. In ihnen wiederholt sich vieles, weil sie als Werbeclips und nicht als mehrteiliges Making-of gedacht sind. Dazu gibt es noch zwei Musikvideos (Drive it like you stole it; Go now) und den Trailer. Da wäre mehr drin gewesen.

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Sing Street (Sing Street, Irland/USA/Großbritannien 2016)

Regie: John Carney

Drehbuch: John Carney

mit Ferdia Walsh-Peelo, Lucy Boynton, Jack Reynor, Maria Doyle Kennedy, Aiden Gillen, Kelly Thornton, Ben Carolan, Mark McKenna, Percy Chamburuka

DVD

Studiocanal

Bild: 2,35:1 anamorph

Ton: Deutsch, Englisch (5.1 Dolby Digital)

Untertitel: Deutsch

Bonusmaterial: Making of, Featurettes, Interviews, 2 Musikvideos, Trailer

Länge: 102 Minuten

FSK: ab 6 Jahre

Hinweise

Deutsche Homepage zum Film

Moviepilot über „Sing Street“

Metacritic über „Sing Street“

Rotten Tomatoes über „Sing Street“

Wikipedia über „Sing Street“ (deutsch, englisch)

Meine Besprechung von John Carneys „Can a Song save your Life?“ (Begin again, USA 2013)

Meine Besprechung von John Carneys „Sing Street“ (Sing Street, Irland/USA/Großbritannien 2016) (und dem Soundtrack)